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Blutroter Neckar: Kriminalroman
Blutroter Neckar: Kriminalroman
Blutroter Neckar: Kriminalroman
eBook455 Seiten5 Stunden

Blutroter Neckar: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Als ihm seine Familie genommen wird, verliert Frank Waldau das, was ihn vor Jahren von einem skrupellos mordenden Soldaten einer Eliteeinheit in einen scheinbar biederen Menschen verwandelte. Von Rache getrieben fällt er zurück in das Muster des kaltblütigen Mörders, der auf seinem blutigen Weg kein Erbarmen kennt.
Kriminalhauptkommissar Nawrod und seine Kollegin Nesrin Yalcin erkennen erst spät, dass sie es mit einem Perfektionisten zu tun haben, der nicht einmal vor dem schlimmsten aller Verbrechen zurückschreckt. Eine gnadenlose Jagd beginnt …
SpracheDeutsch
HerausgeberGMEINER
Erscheinungsdatum8. Juli 2020
ISBN9783839265864
Blutroter Neckar: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Blutroter Neckar - Toni Feller

    Impressum

    Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung

    von BookaBook, der Literarischen Agentur Elmar Klupsch, Stuttgart«

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    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    1. Auflage 2020

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © Timmitom / photocase.de

    ISBN 978-3-8392-6586-4

    Haftungsausschluss

    Personen und Handlung sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

    sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    *

    Hätte irgendjemand behauptet, Thorsten Roths verkorkstes Leben sei derart bedeutend, dass es gewaltsam beendet werden muss, hätte man diesen Jemand für verrückt erklärt. Nicht einmal Roth selbst wäre auf diesen absurden Gedanken gekommen, obwohl er nicht ungebildet war und über genügend Fantasie verfügte. Immerhin hatte er das Hölderlin Gymnasium in Heidelberg besucht. Ein paar Monate vor dem Abi hatte er hingeschmissen. Ab da war es mit ihm stetig bergab gegangen.

    Jetzt war er 25 Jahre alt und am untersten Rand der Gesellschaft angekommen. Das Leben in der Gosse, Alkohol und Drogen hatten ein Wrack aus ihm gemacht. Seine Kleidung, seine Haut, alles an ihm war so grau wie die Straße, die er sein Zuhause nannte. Der Gestank, der ihn umgab, ließ keinerlei menschliche Berührungen mehr zu. Sie waren ihm genauso fremd geworden wie ein anständiges Essen.

    Niemand würde es für möglich halten, dass an diesem Alkoholiker mit aufgedunsenem Gesicht ein von langer Hand vorbereiteter, nicht nur perfider, sondern auch absolut perfekter Mord begangen werden sollte. Man hätte diesen Versager wie einen räudigen Hund einfach erschlagen können. Immer wieder kam es vor, dass betrunkene Obdachlose in Streit gerieten, in dessen Folge einer zu Tode kam. Aber der, der es auf ihn abgesehen hatte, liebte die Perfektion. Er wollte jegliche Gegenwehr seines Opfers ausschließen und der Polizei nicht den Hauch einer Chance lassen, jemals auf seine Spur zu kommen.

    Aus den Augenwinkeln sah Roth, wie der Mann auf ihn zuschwankte. Es war längst nach Mitternacht. Sterne funkelten, und der Mond spendete in dieser Nacht ungewöhnlich viel Licht. Doch aus der Ferne kündigte sich mit dumpfem Grollen ein Gewitter an.

    Roth hatte sich in einen Schlafsack gehüllt und lehnte sich halb sitzend, halb liegend an den kalten Beton des Brückenpfeilers.

    Er liebte diese Stelle. Sie blieb selbst bei Starkregen immer trocken. Überall lagen Glasscherben herum. Es stank bestialisch. Sowohl nach tierischen als auch nach menschlichen Exkrementen. An den nie enden wollenden Autolärm hatte er sich längst gewöhnt. Der Platz war sein Zuhause. Er wurde ihm von niemandem streitig gemacht. Von hier konnte er so lange auf das ruhig dahinfließende Wasser des Neckars schauen, bis ihm die Augen schwer wurden.

    Je nachdem, wie viel Wodka er getrunken hatte, bekam er manchmal Wahnvorstellungen. Dunkle, schemenhafte Schatten verfolgten und quälten ihn. Dämonen mit speicheltriefenden Mäulern erhoben sich aus dem blutroten Wasser des Neckars und bissen sich wie eine Meute von Hyänen an ihm fest. Zerfetzten seine Beine. Von wilden Bestien angegriffen, starben um ihn herum kleine hilflose Kinder. Ihre grellen Schreie hallten über ganz Heidelberg und fraßen sich in sein Gehirn.

    Gelegentlich ritt er auf einem pechschwarzen Pferd im gestreckten Galopp zum Heidelberger Schloss hinauf. Dort waren unschuldige Menschen gefangen, die er befreien wollte. Nie erreichte er die gewaltigen Mauern. Immer hielt ihn etwas anderes davon ab. Furchterregende Wesen mit bösen Fratzen stießen ihn vom Pferd, oder urplötzlich rissen tiefe, unüberwindbare Gräben vor ihm auf.

    Es war nicht der kalte Nachtwind, der ihm vor drei Tagen Tränen in die Augen getrieben hatte. Selbstmitleid und die Erkenntnis, dass er nur noch ein Wrack war, ließen ihn still in sich reinweinen. Er ging hinunter zum Ufer des Neckars. Bis zur Hüfte schaffte er es. Als ihm das Wasser verführerisch zuraunte: »Lass los, ich nehme dich mit in die Tiefe, in der du keine Angst mehr zu haben brauchst«, verließ ihn der Mut. Er war noch nicht so weit. Oder er hatte nicht genügend getrunken? Vielleicht lag es daran, dass er in diesem Moment an seine Mutter dachte, die unheilbar an Krebs erkrankt war. Er wusste, dass es ihr größter Wunsch war, ihn noch einmal zu sehen. Aber so, wie er jetzt aussah? Niemals!

    Heute Nacht, in der ihm ein anderer die Entscheidung abnehmen und ihn vom Leben in den Tod befördern wollte, hatte Roth zwar wie gewohnt Alkohol getrunken, aber nicht genug, um ihn als besoffen zu bezeichnen. Ganz im Gegenteil. Er konnte klare Gedanken fassen und genoss den Blick auf den Neckar. Die kleinen Wellen tanzten um die Wette. Jede wollte dabei mehr Mondlicht einfangen als die andere. Wie lange brauchte das Gewitter wohl noch, bis es das Spiel beenden würde?

    Bereits aus der Distanz sah Roth, dass der Betrunkene ein feiner Pinkel war. Er trug einen dunklen Smoking mit Fliege, die allerdings verdammt schief am Hemdkragen hing.

    Mehr noch als der Glanz der schwarzen Schuhe sprang Roth die Flasche ins Auge, deren oberes Ende der Mann zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand geklemmt hatte. Als der Besoffene ihn erreicht hatte, warf Roth ihm seinen üblichen Spruch entgegen: »Hey, Kumpel, haste mal ne Kippe?«

    Er stellte diese Frage allen, die vorbeikamen. »Haste mal ’nen Euro?«, fragte er immer dann, wenn es ihm nicht an Zigaretten mangelte. Wenn er um Geld bettelte, waren die Erfolgschancen jedoch viel geringer. Und jetzt, mitten in der Nacht, war es nur der Gewohnheit geschuldet, dass er es überhaupt versuchte. Er konnte nicht erwarten, dass irgendjemand im Halbdunkel des Mondes unter der Theodor-Heuss-Brücke bei ihm stehen blieb, um ihm ein Almosen zu geben. Schon gar nicht dieser besoffene Mensch im noblen Zwirn.

    »Das Gleiche könnte ich dich fragen«, lallte der Mann zurück. Er roch stark nach Alkohol und hatte die Rolle des Betrunkenen präzise einstudiert. Sie war wichtiger Bestandteil seines Plans. Nichts durfte den Argwohn seines Opfers wecken. Er hätte Roth die Flasche einfach im Vorbeigehen in die Hand drücken können. Aber er wollte sein Vorhaben nicht nur perfekt durchziehen, sondern das langsame Sterben des Penners in vollen Zügen genießen.

    Roth schaute zu dem Mann auf. »Ganz schön einen in der Krone, oder?«

    Die Zunge des Fremden wirkte schwer wie Blei. »D… d… das kann man w… w… wohl sagen … hicks. A… a… aber mir ging es noch nie so … hicks … so gut wie heute Nacht, wenn m… m… man mal davon absieht … hicks, dass ich mich kaum auf den B… B… Beinen halten kann. Oh, ich gl… gl… glaube, ich muss … hicks … kotzen.«

    »Nicht hier!« Roth wurde laut und zeigte schräg zum Neckarufer hinunter. »Da vorne kannste kotzen, so viel du willst.«

    »Mach ich … hicks, mach ich doch gerne.«

    Als der Mann sich bückte, um seine Flasche auf den Boden zu stellen, fiel er vornüber. Er rappelte sich auf, kniete sich hin und krabbelte auf allen vieren auf Roth zu.

    »K… k… kannste mal … hicks … kannste mal einen Moment auf mein Baby aufpassen? Komm gleich wieder.« Er hielt Roth die halbvolle Flasche hin. Der Arm, mit dem er sich abstützte, knickte zweimal ein. Er schien den kümmerlichen Rest seiner Körperbalance aufbieten zu müssen, um nach mehreren Versuchen endlich auf die Beine zu kommen. Er torkelte ein paar Schritte weiter, hielt schwankend inne und öffnete seine Hose. Bevor er in den Neckar urinierte, tat er so, als ob er sich erbrechen würde.

    Roth schüttelte den Kopf. Als er sich die Flasche genauer ansah, pfiff er durch die Zähne. »Was ist denn das für ein edles Tröpfchen?« Im fahlen Licht des Mondes konnte er das Etikett entziffern: »Remy Martin, Coeur de Cognac«. Er warf einen Blick auf den Fremden, der ihm den Rücken zugewandt hatte und offensichtlich damit kämpfte, sich zu übergeben, während er gleichzeitig urinierte.

    Roth öffnete die bauchige Flasche und nahm hastig einen großen Schluck. Der fruchtig weiche Weinbrand verursachte in seiner Kehle ein unglaubliches Wohlgefühl. Er schloss die Augen und stieß ein lautes »Ahh« aus.

    Der Fremde kam zurück. Stöhnend und schwer atmend ließ er sich neben dem jungen Penner nieder. »Jetzt ist mir wohler.«

    »Wo haste die denn her?« Roth hob die Flasche in die Höhe.

    »War auf einer Party. Lauter reiche Leute. Hab die Pulle mitgehen lassen, als ich mich verabschiedete. Stand ja ein Haufen von dem Zeug herum.« Die Stimme des Mannes klang immer noch ein wenig verwaschen, aber er konnte auf einmal wieder zusammenhängende Sätze formulieren. Roth nahm an, dass es dem Betrunkenen nach dem Pinkeln und Erbrechen tatsächlich besser ging.

    »Auf so ’ner Party möcht ich auch mal sein.« Roth lachte rau und setzte die Flasche ein zweites Mal an. Er bemerkte nicht, wie der andere für einen Moment seine Augenlider zu Schlitzen verengte und die Fäuste zusammenballte, bis das Weiße an den Fingerknöcheln hervortrat.

    »Wohl bekomm’s, Kumpel. Kannst sie ruhig leer saufen. Ich hab für heute genug.« Und du wirst auch bald genug haben, dachte er. Die Stunde der Rache ist gekommen. Endlich wirst du für das bezahlen, was du mir vor drei Jahren angetan hast.

    Roth nahm wieder einen kräftigen Schluck, der noch besser schmeckte als der vorige. »Haste wirklich keine Kippe?«

    »Wenn ich’s dir sage. Hab sie auf der Party alle gepafft. Tut mir leid.« Abermals ballten sich seine Hände zu Fäusten. Es war nicht das erste Mal, dass er einen Menschen eiskalt tötete. Er hatte keinerlei Skrupel. Ihm kam es einzig und allein darauf an, sich an dem Stadtstreicher zu rächen und den Mord so perfekt zu begehen, dass kein Polizist der Welt ihn als solchen erkannte.

    Roth wandte sich dem Fremden zu, beugte sich ein wenig nach vorn und stutzte. »Hey, sag mal, kennen wir uns?«

    Ein greller Blitz durchzuckte das Gehirn des Mannes. Verdammte Scheiße! Wie kommt dieser abgesoffene Typ darauf? Wir sind uns doch bisher nur einmal begegnet. Damals trug ich weder Bart noch Brille. Ich hätte vielleicht einen Hut aufsetzen sollen. Wenn sich das Schwein tatsächlich an mich erinnert, bleibt mir keine andere Wahl. Dann schneide ich diesem Abschaum von Mensch den Hals durch.

    Er tastete unauffällig nach dem Springmesser, das er in der Hosentasche trug. »Wir uns kennen? Wäre mir neu.« Seine Hand strich über den kunstvoll angeklebten Kinn- und Oberlippenbart und rückte die schwarze Hornbrille zurecht.

    Roth grübelte. »Ich dachte, ich hätte dich schon mal gesehen. Bin mir sogar ziemlich sicher.«

    Bei aller Kaltblütigkeit spürte der andere, wie sich an Rücken und Stirn kleine Schweißtropfen bildeten. Nicht dass er einen Augenblick zögern würde, Roth blitzschnell eine tödliche Verletzung beizubringen. Nein! Aber verdammt noch mal, das würde seinen Plan völlig durcheinanderbringen.

    »Ab und zu denke ich auch, jemanden schon mal gesehen zu haben, der mir zufällig über den Weg läuft. Das geht bestimmt jedem mal so. Liegt vermutlich in der Natur des Menschen. Oder hast du dich mal in der High Society herumgetrieben?«

    Roth winkte ab. »Kack drauf! Willste ’nen Schluck von meinem Wodka? Bei ’ner Sauftour tut etwas Abwechslung manchmal ganz gut.« Roth kramte in seinem Schlafsack und zog eine Flasche hervor.

    »Nein danke, Kumpel. Bin ziemlich fertig. Siehste ja.«

    »Wie heißt du eigentlich?«

    »Lorenz, und du?«

    »Bin der Thorsten. Stell dich nicht so an, Lorenz! Wodka ist kein Alkohol. Das ist Medizin. Ich trink nichts anderes.« Als der andere nicht reagierte, verstaute Roth den Wodka wieder in seinem Schlafsack.

    Lorenz grinste. »Nichts anderes? Das sehe ich.«

    »Ausnahmen bestätigen die Regel. Remy! Ein feines Tonikum wie dieses darf man nicht verschmähen. Was meinst du, wie da meine Leber Beifall klatscht. Prost!« Genüsslich führte Roth die Flasche an den Mund. Nachdem er sie abgesetzt und mit dem Korken verschlossen hatte, nahm er sie wie einen Säugling in den Arm und wiegte sie hin und her.

    »Haste kein Zuhause?« Lorenz rülpste laut.

    »Dumme Frage! Fällt dir keine bessere ein?«

    »Sorry, bin besoffen. Da funktioniert das Hirn nicht mehr besonders gut.«

    »Es gibt kein Zuhause, Alter. Ist schon lange vorbei.« Roth klopfte auf seinen Schlafsack. »Hier, das ist mein Schlafzimmer. Zumindest bin ich nicht allein. Jede Menge Läuse leisten mir Gesellschaft. Doch meistens bin ich hackedicht und spüre nicht, wie sie mit mir knutschen.«

    »Verträgst ziemlich viel, oder?«

    »Es geht. Heute hab ich mich ein wenig zurückgehalten. Den Wodka habe ich kurz vor Ladenschluss mitgehen lassen. Bin fast erwischt worden. Hatte die Hosen gestrichen voll. Kann dir sagen, ’ne Ausnüchterung bei den Bullen ist der reinste Horror. Dreimal musste ich das über mich ergehen lassen. Werde vorsichtiger sein müssen und mit meiner Medizin nicht mehr so verschwenderisch umgehen. Dich hat also sozusagen der Himmel geschickt. Prost, Kumpel!«

    »Wohl bekomm’s.«

    »Danke.«

    »Kannste gern behalten.« Lorenz schloss die Augen und legte seine Hände in den Schoß. Er ließ einige Zeit verstreichen, bevor er abermals zu sprechen begann. »Wieso machst du Platte? Bist doch noch jung und könntest arbeiten.«

    »Können ja, wollen aber nicht. Ödet mich an, für einen Hungerlohn den Buckel krumm zu machen. Hab’s probiert. War Fliegenschiss. Dann ist das ’ne einfache Sache: nicht arbeiten, keine Moneten, keine Scheißmiete bezahlen können. Aus! Verstehste?«

    »Ja, klingt irgendwie logisch. Heiliger Strohsack, bin hundemüde.« Lorenz gähnte laut und schloss die Augen. Der Geruch des Penners wehte ihm um die Nase. Abgrundtiefer Ekel stieg in ihm auf. Er hörte das leise Sirren einer Stechmücke. Sie ließ sich auf seiner linken Wange nieder. Lorenz’ blitzschnelle Reaktion hätte bei Roth Argwohn erwecken müssen, doch er war völlig auf den edlen Tropfen fixiert. Es war das Kostbarste, was er seit ewigen Zeiten in Händen hielt.

    »Der Remy ist ein Traum. Aber er hat mich ganz schön platt gemacht.« Roth drückte sich mit dem Rücken vom Brückenpfeiler ab, legte sich langgestreckt hin und zog seinen Schlafsack bis zum Kinn hoch. »Oh mein Gott, ich kann nicht … Was ist mit mir …? Was …?«

    Lorenz zerrieb in aller Ruhe die Stechmücke in seiner Hand. Ein Lächeln umspielte seinen Mund. Vorsichtig nahm er dem schlafenden Roth die Cognacflasche weg, die dieser umklammert gehalten hatte. Es war der einzige Gegenstand, auf dem er Fingerabdrücke hinterlassen hatte. Er warf die Flasche weit in den Neckar. Anschließend setzte er mit tiefer Befriedigung das Finale seines teuflischen Plans in die Tat um. Nur ein unliebsamer Zeuge könnte ihn noch daran hindern.

    *

    Sie feierten Wegners Abschied und die Aufklärung des grausamsten Verbrechens, das je in Heidelberg begangen worden war. Der Leiter des Morddezernats war in den letzten Wochen vor seiner Pensionierung sichtlich gealtert. Jeder wusste, dass ihm der Fall schwer zu schaffen gemacht hatte. Wie konnte es sein, dass ein intelligenter Mensch andere Menschen bestialisch tötete, nicht nur, um sich zu rächen, sondern auch, um die allmächtige Institution der katholischen Kirche in die Knie zu zwingen?

    Ganz im Gegensatz zu früher und trotz einer stattlichen Größe von 1,90 Meter und 110 Kilogramm Körpergewicht wirkte Wegner an seinem letzten Tag im Polizeipräsidium zerbrechlich und angreifbar. Er saß abseits von den anderen in einer Ecke des großen Konferenzraumes. Mit seinen mächtigen Pranken umschloss er Halt suchend die Armlehnen des Stuhles. Gelegentlich fasste er sich an die linke Brustseite. Kollegen, die sich mit ihm unterhalten wollten, merkten schnell, dass er mit seinen Gedanken woanders war. Höflich beendeten sie das Gespräch und wandten sich jenen zu, die in bester Feierstimmung waren.

    Kriminalhauptkommissar Nawrod schnappte sich einen freien Stuhl und ging damit zu Wegner. Wortlos nahm er neben ihm Platz. Die beiden sahen sich kurz in die Augen. Nawrod legte seine Hand auf Wegners Unterarm und nickte ihm kaum merklich zu.

    Der Dezernatsleiter atmete tief durch. Er schien auf einen imaginären Punkt im Raum zu starren. Es dauerte einige Sekunden, bis er langsam zu sprechen begann. Seine Stimme war die eines gebrochenen Mannes. »Genug ist genug. Dieser Fall hätte mich um ein Haar das Leben gekostet. Er hat mich an eine Grenze gebracht, von der ich nicht einmal ahnte, dass es sie gibt.«

    »Sie sind ein Chef, wie man sich ihn nur wünscht. Ich bedauere sehr, dass wir nicht länger zusammenarbeiten können.«

    »Nawrod, Sie haben meinen Kopf gerettet. Wenn Sie und die Kollegin Yalcin den Fall nicht …«

    »Wir hatten unverschämtes Glück, und ohne die Arbeit der Soko, ohne das Engagement jedes Einzelnen, ohne Ihren Mut hätten wir nie und nimmer …«

    »Sie stellen Ihr Licht unter den Scheffel, ich bitte Sie! Als Sie in meinem Dezernat anfingen, eilte Ihnen ein Ruf voraus, dem Sie in vollem Umfang gerecht wurden. Sie sind kein einfacher Mensch, Nawrod. Und vor allen Dingen kein ›Untergebener‹, wie manche Führungsfiguren in unserem Laden ihre Mitarbeiter gerne nennen. Aber Sie sind ein Ermittler, von denen es in der Branche leider nur sehr wenige gibt. Ein Leitwolf, ein Alphatier, das sich ein Ziel setzt und es erreicht, egal was und wer sich ihm entgegenstellt.«

    Nawrod lachte. »Sie übertreiben schamlos!«

    »Ich habe Sie dem Polizeipräsidenten als meinen Nachfolger vorgeschlagen.«

    »Aber …«

    »Sagen Sie nichts!«

    »Ich wollte nur …«

    »Halten Sie einfach die Klappe. Bis Mitternacht bin ich immer noch Ihr Chef, und deshalb befehle ich Ihnen erstens, diesen Umstand geheim zu halten, und zweitens, mit den anderen zu feiern. Sie haben allen Grund dazu.«

    Nawrod schluckte und berührte Wegners Schulter. Ein eigenartiges Gefühl machte sich in ihm breit, das ihn innerlich ins Wanken brachte. Er erinnerte sich an die Zeit, als er in Stuttgart Leiter des Rauschgiftdezernates gewesen war, wie es zu seinem Sturz in den tiefsten und schwärzesten Abgrund seines Lebens gekommen und wie schwer es ihm gefallen war, wieder einigermaßen Fuß zu fassen. Und nun sollte er abermals Dezernatsleiter werden?

    »Nur wenn Sie mitfeiern. Schließlich waren Sie es, der Regie geführt hat.« Nawrod klang heiser. Er rang sich ein Lächeln ab.

    »Jeder sollte auf seine Art feiern und so, wie ihm zumute ist. Nun hören Sie endlich auf mit dem Gequatsche, sonst rufe ich auf der Stelle Präsident Lehmann an und sage ihm, dass ich mich in Ihnen getäuscht habe. Dass Sie nichts als eine Quasselstrippe sind, die ständige heiße Luft herauspustet.«

    Nawrod verstand. Wegner wollte allein sein. Kein anstrengendes Gespräch mehr führen. Einfach da sitzen und ein letztes Mal alles auf sich wirken lassen, bevor er endgültig seinen Hut nahm. Nawrod stand auf. Am liebsten hätte er Wegner umarmt. Doch das verkniff er sich. Wegner würde diese Geste nicht haben wollen. Und er selbst hatte etwas Derartiges noch nie getan. Nicht bei einem Mann.

    »Danke für alles, Chef.«

    »Keine Ursache, Nawrod. Verschwinden Sie endlich.«

    Nawrod erhob sich und ging in Richtung Buffet. Obwohl er einen Bärenhunger hatte, drehte er sich nach zwei Schritten um, ging zurück zu Wegner und blieb dicht vor ihm stehen. »Was ist mit Faber?«

    »Was soll mit dem sein?«

    »Er ist immerhin Ihr Stellvertreter?«

    »Na und?«

    »Er macht sich bestimmt Hoffnung auf die Stelle des Dezernatsleiters.«

    »Faber hat kein Rückgrat, kein Format. Die Mannschaft würde ihm auf der Nase herumtanzen. Der Mann hat nur eine einzige hervorstechende Eigenschaft: Er kann buckeln und schleimen wie kein anderer. Insofern ist er mir zwar keine große Hilfe gewesen, andererseits hatte ich auch nichts von ihm zu befürchten. Der hatte nie einen Dolch hinter seinem Rücken versteckt. Ich musste zunächst allerdings die Rangordnung wahren und ihm pro forma den Marschallstab übergeben, aber den wird er sehr bald an Sie weiterreichen. Wenn Sie klug sind, und davon gehe ich aus, ziehen Sie ihn auf Ihre Seite. Sollte er sich querstellen, servieren Sie ihn ab, denn Menschen wie er können, trotz ihrer Schwächen, gefährlich werden.«

    »Verstehe.« Nawrod runzelte die Stirn, machte kehrt und ging zum Buffet, das ein Partyservice geliefert hatte. Er nahm sich Teller und Besteck. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es hier relativ ruhig zuging. Die meisten der über 30 Anwesenden hatten sich auf das Essen konzentriert.

    »Vögel, die fressen, pfeifen nicht«, murmelte Nawrod.

    »Hey, Mister, darf ich dich ein bisschen verwöhnen?« Nesrin Yalcin stand plötzlich neben ihm und nahm ihm den Teller aus der Hand. Nawrod sah Yalcin verwundert an.

    Die junge Kollegin hatte sich anlässlich der Feier wunderschön herausgeputzt. Ihr Make-up war dezent und dennoch umwerfend. Die getuschten Wimpern und dunkle Kajalstriche ließen ihre kastanienbraunen Augen noch größer und ausdrucksvoller erscheinen. Das zarte Rouge war perfekt auf die Farbe des Lippenstiftes abgestimmt. Es verlieh ihrem Gesicht Weiblichkeit und Charme. Durch die eng anliegende weiße Bluse kam ihr südländischer Teint noch besser zur Geltung. Die dunkelblaue Hose aus feinem Satin saß perfekt. Rote Pumps ließen sie um einiges größer erscheinen. Ihre langen pechschwarzen Haare hatte sie mit einer silbernen Spange hochgesteckt, sodass ihre kleinen, hübsch geformten Ohren zum Vorschein kamen.

    Nawrods Blick wanderte auffällig von unten nach oben. Er pfiff leise durch die Zähne.

    Yalcin wurde sich ihres Fauxpas bewusst. Sie grinste breit. »Mit Verwöhnen meine ich natürlich kulinarisch.«

    »Klar, nur kulinarisch. An etwas anderes habe ich keinen Moment gedacht. Du etwa?«

    »Deine Augen waren da offenbar anderer Meinung. Kann es sein, dass die dir manchmal nicht gehorchen?«

    »He, Kleine, du hast noch Eierschalen hinter den Ohren und willst die Gedanken eines Mannes lesen können?« Nawrod lachte.

    »Hatten wir uns nicht vor Wochen geeinigt, dass du mich nicht mehr ›Kleine‹ nennst?«

    »Ach ja, damals. Das war eine Minute, nachdem du mir versprochen hattest, mich nicht mehr ›Mister‹ zu nennen. Und was haben meine Lauscher soeben vernommen? Mister! Dieses grässliche Wort.«

    »Oh sorry, habe nicht dran gedacht. Ist ja auch irre, dass du dich dann immer mit einem Stallburschen vergleichst, der den Mist wegräumen muss.«

    »Ich bin irre? Überlege dir, was du sagst, Kleine!«

    Yalcin legte den Kopf schief. Sie lächelte so bezaubernd, dass Nawrod ihr nicht einmal im Ansatz böse sein konnte. Nur ein wenig musste sie sich strecken, um ihre flache Hand auf seine Stirn zu legen. »Friede sei mit dir, lieber Jürgen.«

    Dann ballte sie die Faust und boxte ihn sanft in den Bauch. »Hey, Kumpel, heute feiern wir, dass die Balken krachen. Das ist das Mindeste, was wir uns für die geile Nummer gönnen, die wir beide abgezogen haben.«

    »Pst! Nicht so laut. Wenn das jemand hört, werde ich spätestens morgen wegen Verführung Minderjähriger dem Haftrichter vorgeführt.«

    »Wenn schon, wäre es Unzucht mit Abhängigen. Aber in welchen Sphären schwebst du? Habe mir sagen lassen, dass in deinem Alter ohne Viagra nichts geht. Von Verführung kann also keine Rede sein. Eher von Wollen und nicht Können.«

    »Bilde dir ja nichts ein. Zugegeben, du bist die hübscheste Türkin, die mir je über den Weg gelaufen ist. Alle anderen haben mich allerdings nicht ›Mister‹ genannt. Und das macht eben den Unterschied.«

    »Aber keine wird dir jemals einen Teller mit Köstlichkeiten so schön garnieren wie ich.« Als ob sie das Buffet selbst zubereitet hätte, wählte Yalcin zielgerichtet die leckersten Häppchen aus und platzierte sie dermaßen schnell auf dem Teller, dass Nawrod nur staunen konnte. Drei mit gebratenem Speck umhüllte Frischkäsestücken, eine kleine Weißbrotscheibe mit geräuchertem Lachs, garniert mit Dillspitzen und einem Klecks Sahnemeerrettich, verschiedene Käsepralinen und mehrere Kalbsmedaillons mit Röschen aus Thunfischcreme. »Voilà, der Herr. Ich hoffe, es mundet.«

    »Drück dich nicht so geschwollen aus. Passt gar nicht zu dir.« Verwundert nahm Nawrod die Häppchen entgegen. »Du hast mich gar nicht gefragt. Woher wusstest du, was ich mag und was nicht?«

    »Eine kluge Frau muss nicht lange fragen. Sie entscheidet in solchen Fällen für den dankbaren Mann.« In Verlängerung der Mundwinkel blitzten zwei zauberhafte Grübchen auf.

    »Hey, Nesrin, was ist denn in dich gefahren? Du hast doch nicht etwa einen Schnellkurs in vornehmem Umgang mit den Herren der Schöpfung absolviert?«

    »Wie kommst du darauf?« Sie deutete auf das Essen. »Das hier ist ein kleines Dankeschön für die lehrreichen Tage, die ich mit dir verbringen durfte.«

    »Da hätte ich mehr Grund, mich zu bedanken. Schließlich hast du mich in letzter Sekunde von der Schippe des Teufels geschubst.«

    »Du wärst bestimmt in den Himmel gekommen. Zu lauter hübschen Engeln, die dich von morgens bis abends umgarnt hätten. Aber halte jetzt keine Volksreden und schieb dir endlich das Zeug zwischen die Kiemen, damit wir zum gemütlichen Teil übergehen können.«

    »Was ist mit dir? Warum isst du nichts?«

    »Längst erledigt. Muss nur noch verdünnen.« Yalcin nahm sich ein Glas Sekt mit Orangensaft von einem Beistelltisch und prostete Nawrod zu.

    »Ich dachte, Muslime trinken keinen Alkohol. Was sagt denn dein gestrenger Vater dazu?«

    »Der bekommt es ja nicht mit und muss es auch nicht erfahren, oder?«

    »Euer Prophet sieht es bestimmt, und der hat das streng verboten.«

    »Woher weißt du das? Du bist zwar etwas älter, aber nicht so alt, dass du mit ihm gesprochen haben könntest.«

    »Das weiß doch jedes Kind, sogar wir Ungläubigen. So nennt ihr alle, die nicht Muslime sind, oder etwa nicht?«

    »Du siehst das zu eng, Herr Religionsprofessor. Ich lebe, wie ich es für richtig halte, und da gehört ein Schlückchen Sekt dazu. Der Koran wurde in einer anderen Zeit geschrieben. Heute würde Mohammed sicher anders denken, reden und schreiben, denn er war ohne Zweifel ein sehr kluger Mann. Ich denke, dass er nicht mehr von Ungläubigen sprechen würde, wenn es um Christen oder Angehörige anderer Religionen ginge.«

    Nawrod pfiff leise durch die Zähne. »Dass du ein kluges Köpfchen bist, wusste ich gleich, als wir uns kennenlernten. Umso mehr freue ich mich, dass du offensichtlich einen größeren Horizont besitzt als die meisten eurer hochstudierten Glaubensführer. Und das meine ich ganz im Ernst.«

    Nesrin lachte. »Danke, Herr Lehrer. Aus deinem Mund geht das runter wie Öl.«

    Das laute Klingeln eines Telefons unterbrach das Stimmengewirr im Raum schlagartig. Die Anwesenden kannten den Ton. Er gehörte zum Diensthandy des Dezernatsleiters. Alle Augen richteten sich auf Wegner. Offiziell war längst Feierabend. Jedem war klar, dass der Anruf Arbeit bedeutete. Ohne sich zu bewegen, hielt Wegner den Blicken stand. Es klingelte abermals. Faber zuckte regelrecht zusammen, als er feststellte, dass das schnurlose Telefon in seiner unmittelbaren Nähe lag. Hastig griff er danach. Wegner hatte es ihm schon vor Stunden pro forma, sozusagen als Zepter, übergeben.

    »Das Revier West ist dran«, brachte er unsicher hervor. Er nahm das Gespräch entgegen und bat einen der Umstehenden um Kugelschreiber und Papier. Während er in leicht gebückter Haltung mehrfach mit »Jawohl« antwortete, machte er sich Notizen. Dann beendete er das kurze Telefonat, ging zu Wegner und wollte ihm Bericht erstatten.

    Bevor Faber etwas sagen konnte, machte Wegner eine abwehrende Handbewegung und führte den Zeigefinger an den Mund. »Pst, Faber. Ich will es gar nicht wissen. Das geht mich ab heute alles nichts mehr an.«

    »Aber, Chef …«

    »Haben Sie nicht gehört?« Wegners vorwurfsvolle Miene zeigte Wirkung.

    Faber blickte in die Runde. »Unter der Theodor-Heuss-Brücke wurde ein Toter gefunden. Kunze, Hauk, Sie beide übernehmen den Fall. Die Schutzpolizei ist vor Ort und wartet auf Sie.«

    Kriminaloberkommissar Kunze hob die Schultern. »Tut mir sehr leid, Herr Kollege, ich habe einiges getrunken. Außerdem haben wir Feierabend. Schlage vor, wir schicken den Kriminaldauerdienst hin.«

    »Der ist wegen eines Raubüberfalls auf den Rewe-Markt im Mathematikon bereits im Einsatz. Herr Hauk, dann würde ich Sie bitten …«

    »Ich habe mindestens so viel intus wie Kunze, wenn nicht noch mehr.« Hauks Mund umspielte ein triumphierendes Lächeln. »Außerdem gefällt es mir auf unserer Party.« Er hob sein Glas in die Höhe. »Prost, Herr Stellvertreter, oder müssen wir jetzt ›Chef‹ zu Ihnen sagen?«

    Fabers Adamsapfel hüpfte zweimal hoch und runter. Hilfesuchend drehte er sich Wegner zu. Doch der zeigte keine Reaktion. In jeder Ecke des Raumes hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Auf Fabers Stirn bildeten sich Schweißperlen. Ihm wurde bewusst, dass dies die erste Kraftprobe zwischen ihm und der Mannschaft war. Er sah auf die fast leere Flasche Wein und das halbvolle Glas, das vor ihm auf dem Tisch stand. Allen war klar, dass es ein großes, unkalkulierbares Risiko war, wenn Faber sich selbst ans Steuer setzen würde. Sein Blick wanderte abermals hilflos in die Runde.

    »Wir übernehmen.« Nawrod stellte kauend seinen Teller weg. »Nesrin, würdest du dich um einen Dienstwagen kümmern, während ich die Kriminaltechnik verständige?«

    Faber fiel sichtlich ein Stein vom Herzen. Er atmete laut durch. »Okay, Nawrod. Sie haben etwas gut bei mir. Wenn Sie Verstärkung benötigen, melden Sie sich bitte.« Fabers Stimme klang ungewohnt fest. Doch als er nach seinem Glas griff, zitterte seine Hand merklich.

    *

    Kurze Zeit später saß Yalcin am Steuer des Dienstwagens. In ihrem Büro hatte sie in Windeseile die Satinhose gegen eine Jeans und die Pumps gegen modische Sportschuhe getauscht.

    Nawrods Brustkorb hob und senkte sich in auffälliger Weise, denn er wusste, was ihm bevorstand. Die junge Kollegin war eine exzellente Fahrerin. Doch sie unterschied bei solchen Einsätzen nicht zwischen einer Rennstrecke und den Straßen einer Innenstadt. Bei der ersten Blaulichtfahrt mit ihr vor wenigen Wochen hatte Nawrod Todesängste ausgestanden. Als er danach aus dem Auto gestiegen war, waren seine Beine eingeknickt. Um ein Haar wäre er zu Boden gestürzt, hätte er sich nicht im allerletzten Moment an der Beifahrertür festgekrallt. Seitdem versuchte er vergeblich, sich an Nesrins halsbrecherischen Fahrstil zu gewöhnen. Natürlich übernahm er immer das Steuer, wenn sie es nicht eilig hatten, denn ihm waren die meisten Straßen in Heidelberg noch fremd. Ganz anders Nesrin. Sie kannte ihre Geburtsstadt wie ihre Westentasche und wusste genau, wo sie das Gaspedal durchdrücken konnte und wo sie im höchsten Maße bremsbereit sein musste.

    Nesrin hatte den Kojak auf das Autodach geklebt. Die starke Magnetplatte an der Unterseite hielt das Blaulicht selbst bei extremen Belastungen stabil. Kaum hatte sie den Motor gestartet, schaltete sie das Martinshorn ein. Nawrod wollte protestieren, ließ es dann jedoch sein, weil der Lärm des Martinshornes eine Verständigung Sprechen nur schwer möglich machte.

    Von Weitem sah er der Römerkreis auf sich zukommen. Nesrin schaltete vom dritten in den zweiten Gang. Der Motor heulte auf. Herr im Himmel, die denkt überhaupt

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