Philipp Melanchthon in 100 persönlichen Briefen
Von Christine Mundhenk und Matthias Dall'Asta
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Buchvorschau
Philipp Melanchthon in 100 persönlichen Briefen - Christine Mundhenk
Christine Mundhenk / Matthias Dall’Asta /
Heidi Hein (Hg.)
Philipp Melanchthon
in 100 persönlichen Briefen
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 5 Abbildungen
Umschlagabbildung: Bildnis des Philipp Melanchthon.
Gemälde, 1551, Lucas Cranach d.J. (1515–1586), Werkstattarbeit.
© AKG / Museen Böttcherstraße
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-647-99840-4
Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de
© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.
www.v-r.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
EPUB-Erstellung:Lumina Datamatics, Griesheim
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Briefe
1An den Leser, vor März 1514
2An Johannes Reuchlin, 12. Juli 1518
3Von Johannes Reuchlin, 24. Juli 1518
4An Johannes Schwebel, kurz vor 3. August 1520
5An Johannes Lang, 18. August 1520
6An Kurfürst Friedrich von Sachsen, 27. Dezember 1521
7An Georg Spalatin, ca. Ende September 1522
8An Erasmus von Rotterdam, 30. September 1524
9An Joachim Camerarius, 31. Oktober 1524
10An Joachim Camerarius, 16. Juni 1525
11Von Erasmus von Rotterdam, 5. Februar 1528
12An Erasmus von Rotterdam, 23. März 1528
13An Franz Hertzenberger, ca. Juni 1528
14An Hieronymus Baumgartner, 14. Dezember 1529
15An Katharina Luther, 4. Mai 1530
16An Veit Dietrich, 22. Mai 1530
17An Martin Luther, 22. Mai 1530
18An Martin Luther, 25. Juni 1530
19An Veit Dietrich, 25. Juni 1530
20An Veit Dietrich, 29. August 1530
21An Johannes Brenz, ca. Februar 1531
22An Johannes Brenz, 12. Mai 1531
23An Antonius Corvinus, Mai/Juni 1532
24An Erasmus von Rotterdam, 25. Oktober 1532
25An Joachim Camerarius, 15. März 1533
26An Wilhelm Reiffenstein, 20. September 1533
27An Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, 15. August 1535 61
28An König Franz I. von Frankreich, 28. August 1535
29An Joachim Camerarius, 31. August 1535
30An König Heinrich VIII. von England, 1. Dezember 1535
31Von Martin Luther, 27. Februar 1537
32An Martin Luther, 27./28. Februar 1537
33An Elisabeth Bromm, 25. Februar 1538
34An König Heinrich VIII. von England, 26. März 1539
35An Martin Luther, 14. Juni 1540
36Von Martin Luther, 18. Juni 1540
37An Johannes Bugenhagen, 8. Juli 1540
38An Johannes Gigas, 19. April 1541
39An Burkhard Mithoff, 16. Oktober 1541
40An Joachim Camerarius, 2. Dezember 1541
41An Johannes Voit, 19. Dezember 1542
42An Justus Jonas, 27. Dezember 1542
43Von Justus Jonas, 3. Januar 1543
44An seinen Sohn Philipp, 9. Mai 1543
45An Justus Menius, 13. Februar 1544
46An Veit Dietrich, 24. Juni 1544
47An Heinrich Bullinger, 31. August 1544
48An Joachim Camerarius, 20. September 1544
49An Joachim Camerarius, 30. September 1544
50An Martin Seidemann, 9. November 1544
51An Martin Gilbert, 14. März 1545
52An Hieronymus Kammermeister, 13. August 1545
53An Johannes Koch, 24. Dezember 1545
54An Hieronymus Baumgartner, 10. Januar 1546
55An Matthäus Collinus, Ende März 1546
56An Joachim Camerarius, 17. Dezember 1546
57An Landgraf Philipp von Hessen, 17. Dezember 1546
58Von Landgraf Philipp von Hessen, 26. Dezember 1546
59An Justus Jonas, 6. Januar 1547
60An Paul Eber, 13./14. März 1547
61An Georg Sabinus, 6. April 1547
62An Paul Eber, 26. Mai 1547
63An Fürst Georg von Anhalt, 12. Juli 1547
64An Christoph Pannonius, 16. Oktober 1547
65An Andreas Hügel, 12. Januar 1548
66An Georg Fabricius, 24. Juni 1548
67An Johannes Stigel, 5. September 1548
68An Martin Bucer, 1. Oktober 1548
69An Veit Dietrich, 3. Dezember 1548
70An den Rat der Stadt Altenburg, 21. September 1550
71An Christoph Stathmion, 27. Oktober 1551
72An die Geistlichen in Dänemark, Oktober 1551
73An Georg Sabinus, 7. Januar 1552
74An Georg und Ulrich Fugger, 24. Februar 1552
75An Johannes Bretschneider, Anfang 1553
76An Anna Camerarius, 24. Februar 1553
77An David Chyträus, nach 4. April 1553
78An Jakob Bording, 31. Mai 1553
79An Caspar Peucer, ca. 10. April 1554
80An Johannes Weber, 27. Juli 1554
81An Georg Agricola, 12. August 1554
82An Johannes Calvin, 14. Oktober 1554
83An Joachim Moller, 18. Oktober 1554
84An Georg Fabricius, 27. Oktober 1554
85An Joachim Camerarius, 13. Juli 1555
86An Joachim Camerarius, 11. März 1556
87An Georg Fabricius, 1. Mai 1556
88An Hieronymus Baumgartner, 13. Juli 1556
89An Joachim Camerarius, 12. Oktober 1556
90An Georg Agricola, 24. Juni 1557
91An Johannes Mathesius, 30. Juli 1557
92An Sigismund Melanchthon, 29. Oktober 1557
93An Joachim Camerarius, 30. März 1559
94An Joachim Camerarius, 23. Juni 1559
95An die Universität Heidelberg, 1. Januar 1560
96An Abdias Praetorius, 27. März 1560
97An Johannes Crato, 29. März 1560
98An Herzog Albrecht von Preußen, 15. April 1560
99An Johannes Aurifaber, 15. April 1560
100Gründe, warum man den Tod nicht fürchten muss
Zeittafel
Register
Personen
Orte
Konkordanz
Abbildungsnachweis
Vorwort
Im Jubiläumsjahr 2017 eine Auswahl von Melanchthons Briefen in deutscher Übersetzung vorzulegen, ist ein doppeltes Statement: 1. Ohne Philipp Melanchthon bleibt jedes Reformationsgedenken und -narrativ unvollständig. Und 2.: Der beste Gewährsmann für Melanchthons Wirken ist Melanchthon selbst. Aus den rund 9.750 noch erhaltenen Texten seines Briefwechsels eine Auswahl von 100 Briefen zu treffen, ist allerdings ein schwieriges Unterfangen, das einem viel Mut zur Lücke abverlangt. Der Kreis der hierbei ausgewählten Adressaten umfasst Könige und Fürsten, Humanisten und Reformatoren, Familienangehörige und Freunde, Kollegen, Studenten und Schüler sowie deren Väter und Mütter. In wenigen (sechs) Fällen wurden auch Gegenbriefe aufgenommen, so dass an diesen Stellen der dialogische Charakter der Textgattung Brief jeweils sehr deutlich zum Ausdruck kommt.
Chronologisch bilden die hier versammelten Briefe einen weiten Bogen, der von dem frühesten greifbaren Briefdokument (1514) des damals erst siebzehnjährigen Tübinger Magisters bis zu einer wenige Tage vor Melanchthons Tod im April 1560 angefertigten Aufzeichnung reicht. Aus den dazwischenliegenden viereinhalb Jahrzehnten sind die allermeisten Jahre mit mindestens einem Brief vertreten; nur am Anfang gibt es zwei Sprünge von mehr als zwei Jahren. Thematisch öffnet sich dabei ein außerordentlich weites Feld, das von der großen Ereignisgeschichte über die Theologie, Philosophie und Philologie bis hin zu persönlichen oder familiären Alltagsthemen reicht.
Gleichwohl hatten die drei für die vorliegende Auswahl Verantwortlichen schon von Beginn an die verwunderten Fragen künftiger Leser im Ohr: „Warum denn dieser Adressat und nicht jener? Weshalb gerade dieser Brief, nicht aber jener andere?" Eine hübsche Anekdote, die in diesem Zusammenhang nicht ohne Interesse ist, überliefert der ältere Seneca: Der römische Dichter Ovid sei eines Tages von seinen Freunden gebeten worden, in seinen Werken drei beanstandete Verse zu tilgen, und Ovid willigte ein, stellte aber die Bedingung, vorab drei Verse von einer eventuellen Streichung ausnehmen zu dürfen. Als der Dichter und seine Freunde ihre jeweiligen Verse dann unabhängig voneinander niedergeschrieben hatten und ihre Zettel anschließend miteinander verglichen, stellten sie fest, dass auf beiden dieselben drei Verse standen.
Dieser Anekdote eingedenk verzichteten die drei Unterzeichneten darauf, die von ihnen für diese Auswahl jeweils ausgewählten Briefe wechselseitig allzu inquisitorisch zu hinterfragen. Sie ahnten nämlich dunkel, dass es bei einem vergleichbaren Aussonderungsverfahren wohl ebenfalls zu einer Überschneidung von beanstandeten und unverhandelbaren Texten gekommen wäre. Auch der kundige Leser wird daher um eine angemessene Großzügigkeit bei der Beurteilung dieser Auswahl gebeten. Er sei versichert: Wie dem genialen römischen Dichter fehlte es auch uns nicht an Urteilskraft, wohl aber an dem Willen, unserer Auswahl ein Korsett anzulegen, das dem Briefcorpus nur wenig Luft zum Atmen ließe.
Unser herzlicher Dank für Anregungen und konstruktive Kritik geht an die Mitglieder der projektbegleitenden Kommission „Melanchthon-Briefwechsel" der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Frau Svenja Baier danken wir für Unterstützung beim Korrekturlesen und bei den abschließenden Registerarbeiten.
Christine Mundhenk / Matthias Dall’Asta / Heidi Hein
Einleitung
Bisweilen lassen sich die charakteristischen Grundüberzeugungen eines Menschen leichter aus eher beiläufigen Dokumenten ablesen als aus dessen großen Werken. Der Humanist und Reformator Philipp Melanchthon ist dafür ein gutes Beispiel. Aus seiner Feder stammen nicht nur mehrere zentrale Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, sondern auch einflussreiche wissenschaftliche und zeitgeschichtliche Werke in großer Zahl: Grammatiken, Lehrbücher zur Rhetorik, Logik, Ethik, Politik, Physik, Anthropologie und Geschichte, Kommentare, Textausgaben und Übersetzungen biblischer Bücher und antiker Autoren, theologische, kirchenpolitische und bildungsreformerische Schriften und vieles mehr.¹ Die sich in so vielen unterschiedlichen Disziplinen entfaltende Universalität seines Denkens lässt sich aber auch in den wenigen Versen spüren, die Melanchthon im Oktober 1547 anlässlich einer Mondfinsternis niedergeschrieben hat:
Wahrlich, eingeprägt hat dem Weltall Gott seine Spuren,
daß erkennen man mag Weisheit des Schöpfers daran.
Daß nicht der Zufall bestimmt, zeigt an die kunstvolle Fügung,
welche der Sterne Lauf und ihre Bahnen regiert.
Gott existiert: das lehrt uns das Licht, das in uns gepflanzet
und den Unterschied uns zeigt zwischen Böse und Gut.
[…]
Wenn aber auch die Gestirne uns Menschen regieren, regiert doch
über den Sternen der Gott, welcher kein Stoiker ist.
Drum wollen wir, denen liegt das Leiden der Kirche am Herzen,
mit demütig Gebet inständig flehen zu Gott,
daß er gnädig von uns abkehren möge die Fährnis
und daß Heilung er mag bringen dem Leid seines Volks.²
Die kunstvolle Ordnung des Kosmos führt den Menschen zur Gotteserkenntnis, und das den Gestirnen korrespondierende innere Licht dient ihm dabei als moralischer Kompass. Weil aber Gott den Menschen gegenüber nicht gleichgültig ist und die Macht hat, in den scheinbar unabänderlichen Lauf der Dinge einzugreifen, fordert Melanchthon die Gläubigen zum Gebet auf. Schon Luther rieb sich an Melanchthons Hochachtung der Astrologie (und seiner daraus resultierenden Horoskopgläubigkeit), die sich in den zitierten Versen offenbart und auch in manchen der in diesem Buch versammelten Briefe zum Ausdruck kommt.³ Darin nur die versponnene Marotte eines abergläubischen und ängstlichen Menschen zu sehen, wäre allerdings zu kurzsichtig, denn als aufmerksamer Leser im Buch der Natur ließ sich Melanchthon im Grunde nur in ähnlicher Weise faszinieren wie rund zweieinhalb Jahrhunderte später ein Königsberger Philosoph: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt : Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir."⁴
Als der wichtigste Weggefährte Martin Luthers war Melanchthon ein nachhaltiger Hauptakteur der Reformation und berichtete – im Rahmen einer nur wenige Monate nach Luthers Tod gedruckten Darstellung von dessen Leben – auch von einem Ereignis, das bald zum bildgewaltigen Gründungsmythos der Reformation werden sollte: dem sogenannten Thesenanschlag. Die folgenden Sätze Melanchthons bildeten jahrhundertelang dessen maßgebliches Quellenzeugnis:
Als Luther sich auf besagtem Weg befand, wurden in dieser Gegend durch den Dominikaner Tetzel Ablassbriefe zum Verkauf angeboten. Über die gottlosen und frevelhaften Predigten dieses völlig schamlosen Gauners erzürnt, brachte der von frommem Eifer glühende Luther daraufhin seine Thesen über die Ablässe heraus […] und machte diese am Vortag von Allerheiligen 1517 an der Wittenberger Schlosskirche durch Aushang öffentlich.⁵
Auf eine Wiedergabe von Melanchthons einflussreicher, bereits mehrfach übersetzter und langer Vorrede,⁶ aus der die zitierte Passage nur einen kleinen Bruchteil darstellt, kann hier verzichtet werden, da es in diesem Band nicht um die Monumentalisierung Luthers geht. Bei der im Folgenden präsentierten Auswahl von 100 Briefen aus dem fast hundertmal größeren Gesamtkorpus von Melanchthons Briefwechsel waren vielmehr folgende vier Grundsätze leitend: 1. Die ausgewählten Briefe, darunter auch einige Vorreden zu eigenen oder fremden Werken (Nr. 1, 72 und 74–76), sollen die Person Melanchthons möglichst umfassend beleuchten, den Humanisten ebenso wie den Reformator, den Theologen und Universitätsprofessor mit europaweiter Ausstrahlung ebenso wie den einfühlsamen, die Gemeinschaft suchenden Freund und Familienvater, den bestens vernetzten Zeitzeugen weltgeschichtlicher Ereignisse ebenso wie das von Krankheiten und Unglücksfällen heimgesuchte Individuum. 2. Die Briefe werden nicht in Auszügen, sondern grundsätzlich vollständig wiedergegeben. 3. Die Anordnung der Briefe folgt dabei streng der Chronologie.⁷ 4. Die kommentierenden Anmerkungen zu den Briefen beschränken sich auf Zitatnachweise und nötige Verständnishilfen, während die Lebensdaten der Adressaten und erwähnten Personen samt einer jeweils kurzen Charakteristik dem Personenverzeichnis am Ende des Bandes zu entnehmen sind und die beigegebene Zeittafel den historischen Kontext der Briefe skizziert.
Die Auswahl beginnt mit einer einleitenden Vorrede (Nr. 1) und einigen Briefen, die Melanchthons 1518 vollzogenen Wechsel von Tübingen nach Wittenberg und seine frühe Begeisterung für Luther beleuchten (Nr. 2–5). In den folgenden Jahren geht es in den Briefen immer wieder auch um Luther : Mal bedauert er dem sächsischen Kurfürsten gegenüber Luthers Abwesenheit von Wittenberg, mal versucht er zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam zu vermitteln, mal berichtet er in griechischer Sprache von Luthers 1525 mitten im Bauernkrieg geschlossener Ehe mit Katharina von Bora (Nr. 6, 8 und 10–12). Als der mit der Reichsacht belegte Reformator 1530 auf dem Weg zum Augsburger Reichstag im sächsischen Coburg zurückbleiben musste, hielt der weiterreisende Melanchthon mit Luther und dessen in Wittenberg verbliebener Frau brieflich engen Kontakt (Nr. 15–20). Melanchthon und Luther stärken und trösten einander bei Krankheiten und Anfechtungen (Nr. 31 f und 35 f);⁸ die unbändige Streitlust des alten Luther ließ Melanchthon 1544 aber auch seinen Fortgang aus Wittenberg in Erwägung ziehen (Nr. 47 und 49). Nach Luthers Tod fühlte sich Melanchthon dann wieder stärker an die Wittenberger Universität gebunden (Nr. 55), der er nur in den Wirren des Schmalkaldischen Krieges 1546/47 vorübergehend den Rücken kehrte (Nr. 62 f).
Aus den 600 erhaltenen Briefen, die an Melanchthons lebenslang engsten Freund und späteren Biographen, den Humanisten und langjährigen Leipziger Professor Joachim Camerarius,⁹ gerichtet sind und besonders tiefe Einblicke in die Gedankenwelt sowie den jeweiligen Gemütszustand ihres Verfassers ermöglichen, wurden dreizehn Schreiben ausgewählt, in denen es um ihre Freundschaft, um Literatur und Wissenschaft, Lebenskrisen, Handlesen und Wunderzeichen, um Alltagsdinge und anderes mehr geht (Nr. 9 f, 25, 29, 40, 48 f, 56, 85 f, 89 und 93 f). Seiner Frau Anna Camerarius sind Melanchthons 1553 auf deutsch erschienene „Hauptartikel christlicher Lehre" gewidmet (Nr. 76), und seinem Bruder Hieronymus Kammermeister, dessen Tochter sich 1545 heimlich verlobt hatte, riet Melanchthon, dem jungen Paar nicht länger zornig im Wege zu stehen (Nr. 52).
Unter den Adressaten der Briefe befinden sich – neben König Franz I. von Frankreich und König Heinrich VIII. von England – einige fürstliche Hauptakteure der Reformation wie Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen oder Herzog Albrecht von Preußen (Nr. 27 f, 30, 34, 57 und 98), und neben Luther begegnen unter den Adressaten auch andere Reformatoren wie Johannes Brenz, Johannes Bugenhagen, Heinrich Bullinger, Martin Bucer oder Johannes Calvin (Nr. 21 f, 37, 47, 68 und 82). Nicht weniger eindrücklich sind allerdings Melanchthons Schreiben an eher unbekannte Zeitgenossen wie Elisabeth Bromm in Frankfurt am Main, die besorgte verwitwete Mutter eines in Melanchthons Haus lebenden und nunmehr heiratswilligen Wittenberger Studenten (Nr. 33), oder Johannes Weber in Neustadt an der Orla, einen thüringischen Pfarrer, den Melanchthon in einem bewegenden Schreiben über den Tod seines Sohnes informieren muss, der außerhalb des Wittenberger Stadtgebietes ermordet in einem Gebüsch aufgefunden worden war (Nr. 80).
Hochzeiten, Todesfälle, Krankheiten und seelische Schmerzen gab es auch in Melanchthons familiärem Umfeld sowie im Freundeskreis in großer Zahl. Dies dokumentieren die ausgewählten Briefe an Familienangehörige, darunter Melanchthons Sohn Philipp, sein Neffe Sigismund und seine Schwiegersöhne Georg Sabinus und Caspar Peucer (Nr. 44, 61, 73, 79 und 92), an enge Freunde und Vertraute wie Veit Dietrich, Justus Jonas oder Paul Eber (Nr. 42, 46, 59 f und 69), an seinen treuen Diener Johannes Koch, dessen Tod Melanchthon 1553 tief betrauerte (Nr. 53 und 77), oder das Schreiben an einen Rostocker Arzt, dem Melanchthon von dem 1553 ebenfalls lebensbedrohlich schlechten Gesundheitszustand seiner Frau Katharina berichtete (Nr. 78).
Melanchthon war ein leidenschaftlicher Briefschreiber, der oft und nicht selten sehr ausführlich schrieb.¹⁰ Die Briefe zeigen aber auch, dass er dabei mitunter an den Rand seiner Kräfte kam. 1547 formulierte er die Zwänge, unter denen er stand, einmal wie folgt:
Aristoteles sagt, es sei wenig freundlich, beim Briefeschreiben allzu penibel zu sein. Und das ist wahr. Nachlässigkeit lobe ich aber dennoch nicht. Mich zwingt jedoch die Not, eher nachlässig zu schreiben, weil ich oft vielen gleichzeitig schreibe. Doktor Sabinus haben wir bei seinem Abschied nicht nur Bündel, sondern fast schon ganze Wagenladungen von Briefen mitgegeben.¹¹
Und 1556 schrieb er noch übersteigernder:
Die erdichteten Qualen in der Unterwelt sind nicht vergleichbar mit den Qualen, die mich martern, wenn ich Disputationen, Statuten, Vorreden und Briefe schreiben muss!¹²
Ob Melanchthon bei der Formulierung dieses Satzes vor allem an