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Breslau: Geschichte einer europäischen Metropole
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eBook586 Seiten6 Stunden

Breslau: Geschichte einer europäischen Metropole

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Über dieses E-Book

Breslau, eine der attraktivsten und dynamischsten Städte in Polen, übt auf Bewohner wie Besucher einen besonderen Reiz aus. Nicht zuletzt die über tausendjährige Geschichte der Stadt trägt dazu bei. Eduard Mühle zeichnet diese bewegte und spannende Geschichte nach. Über tausend Jahre Stadtentwicklung unter wechselnden politischen Herrschaften und kulturellen Einflüssen – zwischen Böhmen, Polen, Österreich und Preußen – haben sich in die Topographie und Architektur Breslaus eingeschrieben. Am Ende des Zweiten Weltkriegs nahezu vollkommen zerstört, wurde das seit dem späten Mittelalter deutschsprachige Breslau als polnisches Wrocław wieder aufgebaut. Nach der politischen Wende von 1989 erhob sich die Stadt aus dem Grau des sozialistischen Alltags zu neuer, beeindruckender Blüte. Der städtebauliche Reichtum und die kulturelle, sprachliche und religiöse Vielfalt tragen maßgeblich zur Attraktivität Breslaus bei. 2016 wird die polnische Stadt "Europäische Kulturhauptstadt" sein. Eduard Mühles profunde, gut erzählte Stadtgeschichte vermittelt ein lebendiges Bild von der historischen Entwicklung Breslaus und veranschaulicht, warum die Stadt zu Recht zu den vielfältigsten europäischen Metropolen gezählt wird.
SpracheDeutsch
HerausgeberBöhlau Köln
Erscheinungsdatum3. Sept. 2015
ISBN9783412503024
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    Buchvorschau

    Breslau - Eduard Mühle

    Vorwort

    „Es ist eine große Vermessenheit, Städte beschreiben zu wollen. Städte haben viele Gesichter, viele Launen, tausend Richtungen, bunte Ziele, düstere Geheimnisse, heitere Geheimnisse. Städte verbergen viel und offenbaren viel, jede ist eine Einheit, jede eine Vielheit, jede hat mehr Zeit, als ein Berichterstatter, als ein Mensch, als eine Gruppe, als eine Nation. Die Städte überleben Völker, denen sie ihre Existenz verdanken und Sprachen, in denen ihre Baumeister sich verständigt haben."¹

    Was der österreichische Schriftsteller Joseph Roth 1924 mit Blick auf das galizische Lemberg formulierte, mag auch der nachfolgenden Darstellung als Mahnung zu angemessener Bescheidenheit und gehöriger Reflexion gereichen. Eine Erzählung, die die Geschichte der Stadt Breslau von ihren archäologisch fassbaren Anfängen im frühen 10. Jahrhundert bis in die Gegenwart des beginnenden 21. Jahrhunderts auf nur 350 Seiten vermitteln will, zwingt zu Auslassungen und bewussten Schwerpunktsetzungen. Dass dabei manche Laune, manches Geheimnis dieser Stadt unerzählt bleibt, ist ebenso in Kauf zu nehmen wie die Unmöglichkeit, in zehn knappen Kapiteln der ganzen Vielfalt ihrer über tausendjährigen Geschichte gerecht werden zu können. Vor diesem Hintergrund wurde der Versuch unternommen, die Darstellung auf die strukturellen Grundzüge und wichtigsten Entwicklungen der Stadtgeschichte zu konzentrieren, sie am Beispiel epochensignifikanter Bauwerke und Persönlichkeiten aber zugleich auch exemplarisch zu verdichten. So nähert sich jedes Kapitel der fraglichen Epoche zunächst über ein Architekturdenkmal, ehe es in mitunter großzügigem Überblick und nicht immer in strenger chronologischer Abfolge ihre wesentlichen Merkmale, Strukturen und Ereignisse beschreibt und anhand einer ausgewählten historischen Gestalt paradigmatisch vertieft. Nur das zehnte, letzte Kapitel weicht von diesem Muster insofern ab, als es das emblematische Architekturdenkmal ans Ende stellt und von einer biografphischen Skizze deshalb absieht, um nicht einen Lebenden porträtieren zu müssen. Es bleibt zu hoffen, dass eine derart angelegte Narration ein ebenso lebendiges wie konzises Bild von der historischen Entwicklung der Stadt Breslau zu vermitteln vermag.

    [<<11||12>>] Die Stadt, von der hier erzählt, über die hier nachgedacht wird, hieß und heißt im Deutschen Breslau. Diesen Namen, der vom 13. bis 18. Jahrhundert in verschiedenen Lautungen (Brezlauwe, Bretzlau, Bresslab, Breczlaw, Preszlaw, Bresslow, Preßlawe) begegnet, haben deutschsprachige Siedler, die sich seit dem 13. Jahrhundert in Breslau niederließen, aus dem von ihnen vorgefundenen (zunächst nur in lateinischer Form überlieferten) slawischen Namen – Wortizlava, Vratislavia, Wratzlau – abgeleitet. Der slawische Ortsname wiederum dürfte spätestens im 10. Jahrhundert vom Namen eines böhmischen oder schlesisch-slawischen Fürsten – Vratislav, Wortislaw/Wartislaw – hergeleitet worden sein. Die heutige polnische Variante des Stadtnamens – Wrocław – knüpft an die mittelalterliche slawische Ortsnamensform an und ist in dieser Form bereits seit Jahrhunderten in Gebrauch. Sie hat also keinesweg erst 1945 den deutschsprachigen, so seit 1770 feststehenden Namen Breslau abgelöst.² Die Namen Wrocław und Breslau sind mithin identisch und bezeichnen tatsächlich die eine Stadt. Dass diese Stadt 1945 materiell weitgehend zerstört und ihre Einwohnerschaft 1945–1948 nahezu komplett ausgetauscht worden ist, bedeutet keineswegs, dass diese stadtgeschichtliche Identität grundsätzlich in Zweifel gezogen werden muss ³ – so sehr das persönliche Migrationsschicksal deutscher Alt-Breslauer und polnischer Neu-Breslauer dies in den Jahren von 1945 bis 1990 (und mitunter darüber hinaus) subjektiv auch nahegelegt haben mochte. Breslau hat auch vor 1945 tiefgreifende Zäsuren – Zerstörungen, topographische Neuanlagen, Bevölkerungsmigrationen, Herrscherwechsel, wirtschaftliche und soziale Transformationen – erlebt, die sein Erscheinungsbild grundlegend verändert haben. Und dennoch hat die Stadt nicht nur ihren Ort, sondern auch ihre Identität bewahrt – wie auch immer man diese im Einzelnen definiert. Auch andere Städte, auch solche die ein weniger dramatisches Schickal als Breslau am Ausgang des Zweiten Weltkriegs erlitten haben, sind sich über die Jahrhunderte nicht gleich geblieben, haben sich grundlegend verändert – und dennoch werden sie über die Jahrhunderte hinweg als die eine identische Stadt betrachtet. Überall haben Städte immer wieder die über sie Herrschenden und die in ihnen Lebenden überlebt. In diesem – im Zitat Joseph Roths angedeuteten – Sinn geht auch die nachfolgende Darstellung davon aus, dass wir von Breslau ungeachtet aller Brüche als [<<12||13>>] von einem historischen Phänomen sprechen können, dessen Geschicke sich auch unter einem Namen – im vorliegenden deutschsprachigen Fall: Breslau – darstellen lassen.

    An dieser Stelle sei einer Reihe von Personen und Einrichtungen Dank gesagt: Else, Siegrid und Siegfried Treske sowie meiner Mutter dafür, dass sie den Autor schon als Kind auf Stadt und Region neugierig gemacht haben; Johannes van Ooyen vom Böhlau Verlag für den Vorschlag, dieses Buch zu schreiben sowie für die hervorragende verlegerische Betreuung; Annegret Remy für eine erstes Korrekturlesen und die Vorbereitung der Register; Kornelia Hubrich-Mühle für ihre bewährt kritische Lektüre; dem Bildarchiv des Herder-Instituts Marburg, der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, der Universitätsbibliothek Wrocław, dem Via Nova Verlag Wrocław und Karol Modzelewski für die Bereitstellung von Bildmaterial sowie die entsprechenden Publikationsgenehmigungen; schließlich der Stiftung für die polnische Wissenschaft (Fundacja na rzecz Nauki Polskiej) in Warschau, deren Alexander von Humboldt-Ehrenstipendium mediävistische Forschungen vor Ort und die Abfassung der Kapitel zum mittelalterlichen Breslau ermöglicht hat.[<<13||15>>]

    I. Frühmittelalterliche Burgstadt (950er–1230er Jahre)

    Der romanische Dom

    Das Zentrum des frühmittelalterlichen Breslau lag auf einer Insel. Diese war durch mäandernde Oderarme natürlich geschützt und ein guter Ort für eine Burg. Ihr späterer Name – Dominsel – zeigt, dass sich zum weltlichen Herrschersitz ein kirchlicher Mittelpunkt hinzugesellte. Heute prägen allein kirchliche Einrichtungen diesen Teil der Stadt, in dessen Mitte sich die gotische St. Johannes-Kathedrale erhebt. Die einstige Insellage ist noch schwach erkennbar, von der ältesten Burgbefestigung, einer Graben-Wall-Anlage, gleichwohl nichts mehr zu erahnen. Ihre Relikte liegen in tausendjährigem Kulturschutt begraben und sind nur Archäologen zugänglich. Das gilt auch für die Überreste der ersten Domkirche, die hier nach dem Jahr 1000 über einem noch älteren Kirchenbau errichtet wurde. Dennoch ist, wer den Gang durch die Geschichte Breslaus mit einem Blick auf die ältesten in situ zugänglichen baulichen Zeugnisse der Stadt beginnen will, am Johannes-Dom am richtigen Platz. Denn in seinem Untergrund, unter dem Westjoch des heutigen Chores haben sich Mauerfragmente einer romanischen Kathedrale erhalten, die aus den 1150er–1160er Jahren stammt (Farbtafel 1).⁴

    Sie stellt nach Ansicht ihres langjährigen Ausgräbers den dritten Kathedral- bzw. vierten Kirchenbau an diesem Platz dar. Initiiert hat ihn der von 1148/49 bis 1169 amtierende Breslauer Bischof Walter von Malonne, ein aus dem Bistum Lüttich stammender Wallone, der schon längere Zeit im Umfeld seines Bruders Alexander in Polen gelebt hatte, ehe er nach Breslau kam. Alexander war seit 1129 Bischof im masowischen Płock und hatte dort eine mächtige dreischiffige Kathedrale erbauen lassen, die 1144 geweiht wurde.⁵ Vier Jahre später selbst zum Bischof erhoben, eiferte Walter seinem älteren Bruder nach und veranlasste in Breslau einen ähnlichen Kirchenneubau.

    Die Archäologen und Architekturhistoriker haben die Kathedrale des Walter von Malonne als eine etwa 48,5 m lange, 18 m breite Basilika rekonstruiert, die ein 24,5 m langes Querschiff, einen abgetrennten Altarraum [<<15||16>>] mit Apsis und eine von zwei Säulenreihen gestützte Krypta besaß. Ein Siegel, das um 1189 einer Urkunde des Breslauer Bischofs Żyrosław angehängt wurde, zeigt einen Bischof mit einer zweitürmigen Basilika in der rechten Hand. Daraus darf geschlossen werden, dass der Bau von Walters Amtsnachfolger vollendet worden ist und im Westen zwei Türme aufwies.⁶ Neben den von den Archäologen aufgedeckten Mauerfragmenten sind von der dritten Kathedrale nur einige wenige Steinmetzarbeiten erhalten geblieben, darunter Säulenfragmente im heutigen Westportal und eine um 1160 entstandene, 146 cm große Skulptur des Kirchenpatrons, Johannes des Täufers, die das Hauptportal geziert haben dürfte und heute im Breslauer Erzdiözesan-Museum aufbewahrt wird. Sie schmückte später auch das Portal des bis heute bestehenden, im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten gotischen Nachfolgebaus, dessen Errichtung Bischof Thomas I. nach der Mitte des 13. Jahrhunderts initiiert hatte, die aber erst unter einem seiner Nachfolger, Przecław von Pogarell, über ein Jahrhundert später zu einem vorläufgen Abschluss gebracht wurde.⁷

    Deutlich weniger – und daher Anlass zu kontroversen Deutungen bietende – Spuren sind von den drei Vorgängerbauten der Kathedrale des Walter von Malonne erhalten geblieben. Die zu Beginn der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts von Bischof Hieronymus errichtete zweite Kathedrale war, so weit erkennbar, etwas kleiner als ihr Nachfolger. Sie war erbaut worden, nachdem der erste Kathedralbau offenbar im Jahr 1038 bei einem Überfall des böhmischen Herzogs Břetislav I. zerstört worden war. Diesem ersten, um das Jahr 1000 errichteten Kathedralbau dürfte eine noch kleinere, in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts erbaute Kirche vorangegangen sein, die als herrscherliche Hofkapelle gedient haben wird.

    Die Anfänge der Burg auf der Oderinsel

    Die Forschung ist sich nicht einig, ob der Stifter der ältesten Breslauer Steinkirche ein böhmischer, schlesischer oder polnischer Herrscher war. Schlesien gelangte nicht vor dem ausgehenden 10. Jahrhundert unter polnisch-piastische Herrschaft. Noch das berühmte Dagome Iudex-Regest, das die von Herzog Mieszko I. um 990 vollzogene symbolische Übertragung seiner Gnesener Herrschaft (civitas Schinesghe) an den Heiligen Stuhl [<<16||17>>] überliefert, zieht deren südliche Grenze im Bereich des mittleren Schlesien entlang der Oder. Jenseits der Oder nennt das Regest ein Gebiet namens Alemure (Mähren?), das wie das Krakauer Land (Craccoa) im Osten und das Milzenerland (Milze) im Westen außerhalb des piastischen Herrschaftsbereichs (regnum) lag.⁸ Die Oder war also noch um 990 von Mieszko I. nicht überschritten worden und noch 995 wurde das linksufrige Schlesien von Kaiser Otto III. dem Bistum Meißen bzw. Markgraf Ekkehard zugesprochen.⁹ Ob das in der Mitte des Odergrenzabschnitts, wie ihn das Dagome Iudex-Regest bezeugt, gelegene Breslau in dieser historischen Situation bereits ein piastischer Grenzvorposten oder noch ein böhmisch-mährischer Verteidigungspunkt war oder vielleicht noch der Sitz eines zwischen beiden Mächten lavierenden lokal-regionalen Kleinfürsten, ist kaum noch feststellbar. Folgt man dem Entdecker des ältesten steinernen Kirchenbaus, so wies dieser auffällige Ähnlichkeiten mit einer Kirche auf, die im böhmischen Libice, dem 50 km östlich von Prag gelegenen Sitz der Slavnikiden, ausgegraben worden ist.¹⁰ Das könnte in der Tat für eine böhmische Zugehörigkeit des damaligen Breslau sprechen. Es könnte aber auch die Folge einer besonderen Verbindung eines in Breslau residierenden schlesischen Kleinfürsten zu den Slavnikiden gewesen sein, der sich bei seinem Kirchenbau an der Hofkapelle dieses regionalen böhmischen Herrschergeschlechts orientiert und dazu auf dessen Bauleute zurückgegriffen haben mag.

    Dass es im 9.‒10. Jahrhundert an der Oder von Kleinfürsten geführte regional-lokale Herrschaftsgebilde gegeben hat, darunter die Sleenzane oder Silensi, die ihr Heiligtum auf dem 35 km südwestlich von Breslau gelegenen Zobtenberg unterhielten, wird von verschiedenen Schriftquellen bezeugt und hat sich auch in archäologischen Befunden niedergeschlagen.¹¹ Auf der Breslauer Dominsel reichen die ältesten Relikte eines Holzerdewalles, der zunächst nur ein sehr kleines Burgareal von etwa 60 m Breite sicherte, möglicherweise bis in die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts zurück; da die dendrochronologisch in die 920er bis 930er Jahre datierten Holzfunde aus den beiden untersuchten Wallfragmenten aber auch sekundär verwendet worden sein können, belegen sie nicht zweifelsfrei, dass dieser Wall tatsächlich bereits vor der Mitte des 10. Jahrhunderts bestanden hat.¹²

    [<<17||18>>] Deutlichere archäologische Siedlungsspuren begegnen auf der Dominsel erst seit der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert. Daher wird die ältere, auf den Ortsnamen gestützte Annahme, Breslau sei bereits vor 921 von dem böhmischen Herzog Vratislav I. (um 888–921) ‚gegründet‘ worden, inzwischen kaum noch vertreten. Zwar geht das seit dem 13. Jahrhundert von deutschen Zuwanderern geprägte Breslau, wie die um 1017/18 von dem Merseburger Bischof Thietmar aufgezeichneten ältesten Namensformen – Wortislava, Wrotizlau (Wrotizlaensem) – belegen ¹³, tatsächlich auf den Personennamen Wartislaw/Vratislav zurück; doch war dieser bei den Slawen allgemein verbreitet. Breslau kann seinen Namen daher gut auch einem lokalen schlesischen Kleinfürsten verdanken, der sein Machtzentrum auf der Oderinsel eingerichtet hatte.

    Außenposten piastischer Expansion

    Spätestens zu Beginn des 11. Jahrhunderts befand sich diese Insel im Besitz Bolesławs I. des Tapferen. Im Frühjahr des Jahres 1000 war der Piastenherzog in Gnesen mit Otto III. zusammengetroffen und hatte dort nicht nur den Abschluss eines prestigeträchtigen Freundschaftsbündnisses mit dem Kaiser, sondern auch die Errichtung einer eigenen polnischen Kirchenprovinz erwirken können.¹⁴ Eines der drei dem neuen Erzbistum unterstellten Bistümer wurde unter der Leitung eines Bischofs namens Johannes in Breslau errichtet. Die beiden anderen entstanden in Kolberg und Krakau, während das ursprüngliche Missionsbistum Posen zunächst selbständig blieb. Alle drei neuen Bistümer entstanden in Gebieten, die weit jenseits des piastischen Kerngebietes um Gnesen und Posen lagen und der piastischen Herrschaft zunächst erst noch tatsächlich hinzugewonnen werden mussten. Dass diese Expansion auch scheitern konnte, zeigte sich rasch im Fall des pomoranischen Kolberg, wo das piastisch-polnische Bistum bereits wenige Jahre nach seiner Gründung wieder einging.

    In Breslau dagegen konnte die piastische Herrschaft – wie in Krakau – mit größerem Erfolg Fuß fassen. So entstand auf der Dominsel nicht nur ein erster Kathedralbau, sondern auch eine neue, größere Befestigungsanlage. Diese scheint von Anfang an zweigeteilt gewesen zu sein, wobei der kleinere, nordwestliche Teil einen herzoglichen Hofkomplex, der größere [<<18||19>>] südöstliche Teil – wie einschlägige Kleinfunde (Waffen, Sporen, Pfeilspitzen) belegen – die Behausungen der militärischen Gefolgschaft und ihrer Familien, aber auch der geistlichen Amtsträger beherbergte. Der an mehreren Stellen archäologisch untersuchte Befestigungswall bestand aus einer Sand-Lehm-Aufschüttung, die im Innern durch Palisadenkammern beziehungsweise ineinander verkeilte Roste aus Eichenholz stabilisiert wurde. Er schützte das sich nur 4–5 m über das Oderniveau erhebende Inselgelände nicht zuletzt vor Hochwasser, war aber vor allem ein wichtiger militärischer Rückhalt der piastischen Expansion. Diese zielte bald nicht mehr allein auf Schlesien, sondern mit den Marken Lausitz und Meißen, mit Böhmen und Mähren auch auf südwestlich angrenzende Reichsgebiete. Seit 1002 stand Bolesław der Tapfere folgerichtig in einem langjährigen Krieg mit Kaiser Heinrich II. Als dieser 1017 die schlesischen Burgen Glogau und Nimptsch belagerte, wartete Bolesław, wie Thietmar von Merseburg berichtet, „voller Sorge in der Burg Breslau (in Wortizlava civitate)" den Ausgang dieses Angriffs ab. Sobald der Kaiser unverrichteter Dinge aus Schlesien abgerückt war, zog der Piastenherzog von Breslau aus mit über 600 Fußsoldaten sogleich gegen Böhmen.¹⁵ Ein Teil dieser pedites wird zweifellos in der Breslauer Burg stationiert gewesen sein. Allerdings wies deren innere Bebauung, folgt man den archäologischen Funden und Befunden, in den älteren, ins erste Drittel des 11. Jahrhunderts datierten Kulturschichten noch eine ziemlich unregelmäßige, lockere Form auf. Die Breslauer Burg dürfte daher zu diesem Zeitpunkt ungeachtet ihrer Funktion als militärischer und kirchlicher Stützpunkt wohl noch nicht allzu intensiv bewohnt und genutzt worden sein. Sie blieb zunächst nicht mehr als ein Außenposten piastischer Herrschaft.

    War der politische Anspruch der Piasten in Gestalt des Kathedralbaus und der neuen Befestigungsanlage auf der Oderinsel auch nachdrücklich zum Ausdruck gebracht worden, so blieb er doch nicht unangefochten. Als in den 1030er Jahren ein innerer Aufruhr und ein verheerender Überfall des Böhmenherzogs Břetislav die 1025 zum Königtum erhöhte Piastenherrschaft allgemein in ihren Grundfesten erschütterte, brach sie auch in Breslau vorübergehend zusammen. Das bezeugen sowohl schriftliche als auch archäologische Quellen. So beginnt die lokale, in Breslauer Bischofskatalogen festgehaltene Kirchentradition die Reihe der Breslauer Bischöfe [<<19||20>>] erst in der Mitte des 11. Jahrhunderts mit dem vermeintlich ersten Bischof namens Hieronymus (primus episcopus … Ieronimus).¹⁶ Zudem weiß sie von zwei älteren Bischofssitzen in Schmograu und Ritschen zu berichten. Zwar kann von diesen allenfalls Ritschen anhand einer päpstlichen Bulle aus dem Jahr 1155, in deren Besitzauflistung für das Bistum dieser Burgort – wie für Bischofssitze üblich – an erster Stelle genannt wird, als provisorischer Bischofssitz plausibel gemacht werden.¹⁷ Doch sprechen die angeführten Indizien dafür, dass das im Jahr 1000 begründete Bistum vor Einsetzen dieser Tradition augenscheinlich untergegangen war.

    Dieser Untergang spiegelt sich auch in einem bemerkenswerten archäologischen Befund, der zwar schon in den 1960er Jahren ermittelt, aber erst kürzlich durch eine detaillierte Sekundäranalyse vollständig zum Sprechen gebracht worden ist.¹⁸ Er belegt, dass im nordwestlichen Teil der Burg, nahe der späteren Martinskirche (Farbtafel 2), der Holzerdewall stellenweise eingeebnet und auf der planierten Fläche ein rechteckiges, 9 × 4,5 m großes Gebäude errichtet worden ist. Nach der dendrochronologischen Datierung des in ihm verbauten Eichenholzes kann dies frühestens nach dem Frühjahr 1033 geschehen sein. Der Baubefund (insbesondere die mit idolförmigen Enden versehenen Palisadenhölzer) und das Fundmaterial (u. a. Reste von Seiden-, Leinen- und Wollstoffen sowie ein unter dem Fundament abgelegter Pferdeschädel) weisen auffällige Ähnlichkeiten zu elb- und ostseeslawischen bzw. lutizischen Tempelbauten auf, wie sie in Wolin und im mecklenburgischen Groß Raden aufgedeckt worden sind. Es spricht daher einiges dafür, auch den Breslauer, in die 1030er Jahren zu datierenden Befund als einen paganen Kultbau zu deuten. Die Errichtung dieses fanum idolatriae – so nannte der Autor der Prüfeninger Vita Ottos von Bamberg die pomoranischen „Tempel des heidnischen Götzendienstes¹⁹ – muss während jenes Aufruhrs erfolgt sein, den die Forschung als „heidnische Reaktion bezeichnet und der nach böhmischen, rus’ischen und polnischen Chroniknachrichten ebenfalls in die 1030er Jahre datiert werden kann. Die älteste polnische Chronik, das Werk des sogenannten Gallus Anonymus, hat ihn „nicht ohne tränenerstickte Stimme als einen Abfall „vom katholischen Glauben beschrieben, bei dem sich „Knechte […] in die Herrschergewalt erhoben und „Bischöfe und Priester […] töteten. Doch wurde Polen damals, wie der Chronist weiter vermerkte, nicht nur [<<20||21>>] „von seinen eigenen Bewohnern gequält, sondern auch von Fremden „in einen solchen Zustand der Verwüstung [gebracht], dass es seines Reichtums und seiner Menschen fast völlig entblößt wurde.²⁰ Vor allem die Böhmen plünderten 1038/39 das Land und schlossen bei dieser Gelegenheit auch Breslau wieder ihrer Herrschaft an. Dabei werden sie zweifellos den paganen Kultbau und die mit ihm verbundene Herrschaft der Rebellen, zu denen möglicherweise auch elbslawische bzw. lutizische, von den Piasten in Breslau und Umgebung angesiedelte Kriegsgefangene gehört haben, wieder beseitigt haben. Noch im Oktober 1041 hat Kaiser Heinrich III. dem Böhmenherzog Břetislav die schlesische Eroberung bestätigt.²¹

    Herzogliche Pfalz und Burgbezirkszentrum

    Die Wiederherstellung der piastischen Monarchie war das Werk Kasimirs I., des „Erneueres", der die Zeiten des Aufruhrs im ungarischen und deutschen Exil verbracht hatte. Mit kaiserlicher Unterstützung gewann er in den 1040er Jahren eine polnische Region nach der anderen zurück. Schlesien konnte er der böhmischen Herrschaft allerdings erst nach dem Jahr 1050 entwinden. Sollte die Vermutung zutreffen, dass der Sitz des um 1051 wieder belebten Breslauer Bistums zunächst provisorisch in der Burg von Ritschen errichtet wurde ²², dann scheint den Piasten Breslau noch nicht sogleich wieder zugänglich gewesen zu sein. Es musste von ihnen erst in weiteren Anläufen dauerhaft zurückerobert werden. Wann genau dies geschah, lässt sich nicht sagen. Der zerstörte Holzerdewall könnte, wie dendrochronologisch belegte Fälldaten des verbauten Holzes (1057) belegen, vielleicht schon in den ausgehenden 1050er Jahre erneuert worden sein. Mit der Rückeroberung dürfte ein weiterer Elitenaustausch einhergegangen sein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt werden die letzten, aus vorpiastischer Zeit übrig gebliebenen sozialen bzw. ‚stammespolitischen‘ Strukturen und politischen Einflüsse beseitigt gewesen sein.

    Die archäologischen Funde und Befunde weisen für die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts eine merkliche Belebung der Siedlung auf der Oderinsel aus. Diese wurde von einem neuen, noch einmal vergrößerten Holzerdewall umgeben, der nunmehr das gesamte 5–6 ha große Inselareal schützte, dessen Bebauung an Dichte und Regelmäßigkeit zunahm. An sorgfältig [<<21||22>>] konstruierten Wegen aus hölzernen Bohlen richteten sich die von Zäunen, Steinreihen oder Gräben begrenzten Gehöfte aus. Auf ihnen standen in Gerüst- oder Blockbauweise errichtete ein- bis zweikammrige Wohnhäuser, Badestuben oder Speicher. Die circa 20 m² großen, zumeist rechteckigen, manchmal auch quadratischen Wohngebäude besaßen mit Holz oder Stein ausgelegte Fußböden, Feuerstellen, die entweder durch einen Holzrahmen oder eine Steinsetzung begrenzt waren, oder einen Kuppelofen sowie mit Holz verschalte Kellergruben. Die Gebäude wurden in der Regel nach Abnutzung an gleicher Stelle neu errichtet, wobei die unterste Balkenlage des alten Gebäudes dem neuen als Fundament diente. Auch diese stabile Bauabfolge verweist auf feste Grundstücksgrößen, denen offenbar ein im Rahmen des herzoglichen Rechts geregelter Grundbesitz zugrunde lag. Dass in den entsprechenden Kulturschichten nach wie vor keine Belege für eine am Ort betriebene handwerkliche Produktion begegnen, allenfalls Spuren eines sehr bescheidenen Hausgewerbes und einer begrenzten Viehhaltung, deutet darauf hin, dass das unter piastischer Herrschaft wiederbelebte und verdichtete Burgzentrum aus dem Umland versorgt wurde. Das belegt auch die vergleichsweise differenzierte Keramik, in der ein Teil der Produkte in die Burg geliefert bzw. die für den Bedarf der Burgbewohner im Umland hergestellt wurde.

    Einige wenige Funde von Klappwaagen, Gewichten und Hacksilber ²³ sowie Importgegenstände zeigen, dass auf der Oderinsel inzwischen wohl auch etwas (Fern-)Handel stattfand, doch blieb die Funktion der Burg im Wesentlichen auf die politische und kirchliche Verwaltung eines in ihrem Umfeld organisierten Burgbezirks beschränkt. In diesem Bezirk, der einen Radius von etwa 15–20 km erreichte, übten die auf der Oderinsel stationierten weltlichen Amtsträger für den permanent durch sein Reich umherziehenden Monarchen die herzogliche (1076–1079 kurzfristig auch noch einmal königliche) Herrschaft aus. Dazu sprachen sie in seinem Namen Recht, organisierten die lokal-regionale Heeresabteilung und schöpften über ein System von Abgaben und Dienstleistungen die für den Herrscherhof bestimmten sowie zu ihrer eigenen und der Burgsiedlung Unterhaltung erforderlichen Ressourcen ab. Gleichzeitig verfolgten kirchliche Amtsträger ihr Missionswerk, das nach der „heidnischen Reaktion" der 1030er Jahre zunächst wieder ganz von vorn beginnen musste. Bedenkt [<<22||23>>] man, dass das Gnesener Erzbistum nicht vor Mitte der 1070er Jahre erneuert werden konnte, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass auch das Breslauer Bistum erst um 1075 im Kontext der von Papst Gregor VII. unterstützten kirchlichen Reformbemühungen Bolesławs II. des Kühnen seinen Sitz wieder in Breslau selbst erhielt und erst zu diesem Zeitpunkt auch eine Erneuerung der in den 1030er Jahren zerstörten ersten Domkirche, das heißt der zweite Kathedralbau in Angriff genommen worden ist. Vielleicht wurden jene Münzen, die den Kopf Johannes des Täufers, des Patrons der Breslauer Kathedrale, und die Namen Johannes und Bolesław tragen, von Bolesław II. gerade aus diesem Anlass geprägt.²⁴

    Mit der Erneuerung des Bistumssitzes in Breslau gewann die Oderburg eine über den engeren Burgbezirk hinausgehende zentralörtliche Funktion. Diese schlug sich bis zum Ende des 11. Jahrhunderts auch in einer weiter gefassten territorial-politischen Organisation nieder. Der für die 1090er Jahre belegte Breslauer Graf (comes Wrotislaviensis) Magnus hat im Namen des Herzogs augenscheinlich bereits mehr als nur den Burgbezirk beaufsichtigt. Gallus Anonymus spricht ihm jedenfalls ein ‚Herzogtum‘ (ducatus) zu, während ihn der Chronist Vincentius von Krakau (Kadłubek) gegen Ende des 12. Jahrhunderts als ‚Provinzvorsteher‘ (praeses provinciae) bezeichnete und damit offenbar richtig deutete, dass Magnus seinerzeit bereits als herzoglicher Statthalter in ganz Schlesien agierte.²⁵ Damit war am Ende des 11. Jahrhunderts die Breslauer Burg, die urbs Wratislavia, zu einem der führenden Zentren des piastischen Reiches aufgestiegen. Gallus Anonymus zählte sie zu Beginn des 12. Jahrhunderts neben Krakau und Sandomir zu den „Hauptsitzen des Reiches" (sedes regni principalis). Auch das große Gewicht, das der gleiche Chronist den Breslauer Burgleuten im Kontext jenes Konfliktes zuschrieb, der in den 1090er Jahren zwischen Herzog Władysław Herman bzw. seinem Pfalzgrafen Sieciech und den Herzogssöhnen Zbigniew und Bolesław III. ausbrach, bestätigt Breslaus damalige herausgehobene Bedeutung. Denn als die mit Sieciech unzufriedene Partei gegen diesen und damit Herzog Władysław opponierte und sich zu diesem Zweck zunächst des älteren Herzogssohnes Zbigniew, später auch Bolesławs III. bediente, waren es die Breslauer Großen (maiores et seniores civitates) und Graf Magnus, die Zbigniew in Breslau aufnahmen und „auf den Schild der Abwehr" gegen den verhassten Sieciech hoben.²⁶ [<<23||24>>] Damit und durch ihre anschließende Unterstützung für beide Brüder im Kampf gegen ihren Vater trugen die Breslauer (Wratislavienses) tatsächlich nicht wenig dazu bei, dass der Pfalzgraf nach einigem Hin und Her letztlich gestürzt wurde.

    Ein Breslauer Großer – der Pfalzgraf Petrus

    Wer waren die von Gallus Anonymus erwähnten Breslauer Großen und Vornehmen, die maiores et seniores civitates, die neben dem Grafen Magnus in der Burgstadt und der Provinz das Sagen hatten? Die Frage rührt an ein altes Problem der polnischen Mediävistik, nämlich den Ursprung des polnischen Adels. War die Schicht der politisch und wirtschaftlich Bevorrechtigten ein uraltes, in vorpiastische Stammeszeiten zurückreichendes Phänomen oder eine jüngere sozialgeschichtliche Erscheinung, die sich erst mit der Ausgestaltung der monarchischen Herrschaft herausgebildet hat? Diese Frage wird nach wie vor kontrovers diskutiert und ist angesichts der Quellenlage nur schwer definitiv zu beantworten. Der Breslauer Graf Magnus war einer der ersten namentlich bekannten Vertreter dieser Schicht und der Bericht des Gallus Anonymus über die mit ihm am Ende des 11. Jahrhunderts gemeinsam agierenden Breslauer Großen eines der frühestens Zeugnisse für die Position und Rolle, die diese Personengruppe eingenommen hat. Ausführlicher berichten die Quellen erst für das 12. Jahrhundert und auch für diese Zeit ist es zunächst ein Breslauer Großer, über den wir die vergleichsweise größte Kenntnis gewinnen.

    Diesen Großen nennen die zeitgenössischen Quellen Petrus. Der heutigen polnischen Forschung ist er als Piotr Włostowic, der deutschen als Peter Wlast bekannt.²⁷ Sein Titel (comes) weist ihn – wie zuvor den Magnus – als einen herzoglichen Amtsträger aus. Tatsächlich dürfte Petrus früh zu den engsten Beratern Herzog Bolesławs III. gehört haben. Die 1159 verfasste Vita Ottos von Bamberg aus der Feder des Mönches Herbord lobt ihn als „Heerführer, einen Mann von scharfem Verstand und tapfer in seiner Kraft, bei dem es zweifelhaft ist, ob er bedeutender bei den Waffen oder im Rat war."²⁸ Auch Magister Vincentius porträtierte Petrus gut vier Jahrzehnte nach dessen Tod – er starb um 1153 – als einen überaus weisen und tapferen Mann, der im Rat des Herzogs eine führende Rolle spielte.²⁹ Wie sich diese [<<24||25>>] Nähe und Treue in konkreten Handlungen ausdrückte, zeigt die Erzählung von der Entführung des Fürsten Volodar Rostislavič. Folgen wir den zeitnahen Quellen des 12. Jahrhunderts, so beriet sich Herzog Bolesław III., als sich im zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts ein erneuter Konflikt mit dem Fürsten von Przemyśl anbahnte, mit seinen Amtsträgern und Großen darüber, wie diesem Konflikt mit dem rus’ischen Teilfürsten am besten begegnet werden könnte. Dabei habe Petrus als einer der einflussreichsten Ratgeber des Herzogs vor einem Mehrfrontenkampf gewarnt, da er fürchtete, dass Volodar nicht nur die Polovcer, sondern auch die Pomoranen und Pruzzen gegen die Polen ins Feld führen könnte. „Deshalb habe ich in meinem Kopf – so die Worte, die Herbord Petrus bei dieser Gelegenheit in den Mund legte – einen Plan entwickelt, die Rus’ besser durch eine List zu überwinden."³⁰ Der Herzog und die übrigen Großen akzeptierten diesen Plan, woraufhin Petrus mit dreißig Getreuen zu Volodar zog, sich dort als politischer Flüchtling ausgab, sein Vertrauen gewann und ihn anschließend – das gewonnene Vertrauen missbrauchend – nach Polen entführte, um für die Freilassung des Entführten einen Friedensschluss und enorme Beute zu erpressen. Aus der Rus’ bzw. Przemyśl habe Petrus, wie die Zwiefalter Chronik berichtet, auch seine Ehefrau Maria, eine mit dem byzantinischen Kaisergeschlecht der Komnenen verwandte Rurikidin, mit nach Polen gebracht.³¹

    Nach dem Tod Bolesławs III. wendete sich das Schicksal des kühnen Mannes zunächst. Władysław II., der als ältester Sohn des Bolesław 1138 die Oberherrschaft erhalten hatte, das Reich aber mit seinen Brüdern teilen musste, gab sich mit dem Seniorat nicht zufrieden, strebte vielmehr bald nach der Alleinherrschaft. Dabei fürchtete er offenbar, dass sich Petrus, den er im Amt des Pfalzgrafen belassen hatte und der auf dieser Basis unterdessen seine Stellung in Breslau weiter ausbaute, auf die Seite der jüngeren Brüder stellen könnte. Noch zu Weihnachten 1144 trat Petrus in Vertretung Władysławs in Magdeburg vor König Konrad III. als princeps Poloniae auf.³² Wenig später aber ließ ihn der Herzog – wie eine Kiever Chronik berichtet – blenden und vertreiben.³³ Doch wurde der Senior schon 1146 selber von den jüngeren Brüdern und den vom Schicksal des Petrus wohl aufgeschreckten Großen des Reiches vertrieben und sein nächst jüngerer Bruder, Bolesław IV. Kraushaar, zum Senior erhoben. Dieser muss [<<25||26>>] Petrus rasch rehabilitiert haben, wird er in einer Urkunde von 1149/50 doch erneut als Inhaber des Pfalzgrafenamtes, das heißt als der nach dem Herzog zweitmächtigste Mann des Reiches ausgewiesen.³⁴ Auch hier findet die Charakterisierung des Vincentius eine Bestätigung, dass Petrus dem Herzog von allen Großen des Reiches zeitweise am nächsten gestanden habe. Vincentius hob auch die hohe Verwandtschaft des Petrus hervor. Ob er damit die elterliche Herkunft – manche Historiker sehen in Petrus einen Nachkommen jenes sleenzanischen Kleinfürsten, der im 10. Jahrhundert seinen Sitz auf der Oderinsel gehabt haben soll – oder die Eheschließung des Petrus mit der Tochter eines rus’ischen Fürsten bzw. die Verheiratung seiner eigenen Tochter Agapia/Agatha mit einem Fürsten namens Jaxa (von Köpenick?), gemeint hat, bleibt offen. Einen Elternteil spricht Vincentius insofern an, als er dem Namen Petrus das Patronymikon Vlostides anhängt, womit er wohl auf den Vater – einen Mann namens Vlost/Vlast – verwies. Dieser könnte mit jenem comes Wlaz identisch gewesen sein, der dem Breslauer Bischof im ausgehenden 11. Jahrhundert drei Dörfer schenkte.³⁵ Eine Urkunde von 1139/1149 nennt eine comitissa Vlostonissa; sie dürfte die Ehefrau des Vlost und Mutter des Petrus gewesen sein.³⁶ Als Angehörige der Sippe der Vlostiden sind schließlich auch ein cognatus Ceseborius und ein frater Boguslaus belegt.³⁷

    Sie alle traten als kirchliche Wohltäter auf. Doch reichten ihre frommen Werke bei Weitem nicht an die Kirchen- und Klosterstiftungen des Petrus selbst heran. Schon die mittelalterlichen Quellen haben ihm eine geradezu gewaltige Stiftungstätigkeit zugeschrieben. Über 70 bzw. 77 Kirchen und Klöstern soll er – vermeintlich zur Buße für seine Verbrechen (darunter die Entführung des Volodar) und auf Geheiß des Papstes oder der polnischen Bischöfe – errichtet und reich ausgestattet haben. Die Großpolnische Chronik aus dem ausgehenden 13. bzw. 14. Jahrhundert nennt sieben Klosterstiftungen auch namentlich: das Marienkloster der Regularkanoniker auf der Breslauer Sandinsel, das Vinzenzkloster auf dem Breslauer Elbing, je eine Abtei in Czerwińsk und Sulejów, ein Kloster in Strzelno, eine Laurentius-Präpositur bei Kalisch und eine weitere in Mstów.³⁸ Jan Długosz schrieb dem Petrus im 15. Jahrhundert schließlich insgesamt 45 Kloster- und Kirchenstiftungen namentlich zu.³⁹ Was all diesen – zweifellos vom Topos der heiligen Zahl beziehungsweise oder [<<26||27>>] von späteren Ausschmückungen geprägten – Angaben gemeinsam ist, ist die Erinnerung an eine offenbar ganz außergewöhnliche Stiftertätigkeit des Breslauer Großen.

    Abb. 1 Stiftungstympanon der Marienkirche auf der Breslauer Sandinsel. Das in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandene, noch heute im rechten Seitenschiff des im 14. Jahrhunderts errichteten Nachfolgebaus vorhandene Tympanon stellt die Ehefrau von Petrus Vlostides Maria (links) und ihren Sohn Świętosław (rechts) als Stifter dar

    Die Urkunden des 12. Jahrhunderts bezeichnen Petrus nur für zwei kirchliche Einrichtungen explizit als fundator, nämlich zum einen für eine Kapelle auf dem Breslauer Elbing und zum anderen für das der Jungfrau Maria geweihte Benediktinerkloster ebenda, das spätere Vinzenzstift, dessen Anfänge von der Forschung in die zweite Hälfte der 1120er Jahre datiert werden und für das auch die Zwiefalter Chronik den Pfalzgrafen Petrus als Stifter ausweist.⁴⁰ Umstritten ist dagegen, ob auch die Gründung eines zweiten Breslauer Marienklosters, jenes der Augustinerchorherren auf der Sandinsel, unmittelbar auf Petrus zurückgeht. Unsichere urkundliche Hinweise und die Tradition des Klosters selbst deuten daraufhin, dass es ursprünglich – möglicherweise auf Initiative von Petrus’ Vater Vlost, vielleicht aber auch von diesem selbst – zunächst auf dem Zobtenberg angesiedelt und erst später auf die Breslauer Sandinsel verlegt worden ist. Die bereits zitierte Urkunde von 1149/1150 berichtet davon, dass der Breslauer Bischof Walter auf Bitten des Petrus zwei Marienkirchen, einer auf der Breslauer Sandinsel und einer auf dem Zobtenberg, den Zehnten von neun [<<27||28>>] Dörfern übertrug. Schließlich benennt die Inschrift eines aus der ältesten, nicht erhaltenen steinernen Klosterkirche des Sandstifts überlieferten Tympanons (Abb. 1) die Ehefrau und den Sohn des Petrus, Maria und Świętosław, als Stifter dieses Kirchenbaus. Daher ist nicht auszuschließen, dass auch der Ehemann und Vater selbst bereits an der Gründung und Erstausstattung dieses Klosters auf der Breslauer Sandinsel und möglicherweise auch seines Vorgängers auf dem Zobtenberg beteiligt war.

    Die Stiftungen des Petrus, deren Umfang und Qualität augenscheinlich all das beträchtlich übertrafen, was andere Große damals als Stifter zu realisieren vermochten, sollten ihm und seiner Familie in erster Linie geistlichen Schutz, Gnade und ein geistliches Andenken (memoria) gewähren und damit das Seelenheil im Jenseits sichern. Angesichts der herausgehobenen Stellung, die Petrus einnahm, mag er mit seinen Stiftungen jedoch auch den Gedanken verfolgt haben, sein Breslauer Aktionszentrum aufzuwerten, symbolisch zu erhöhen und auf diese Weise zu festigen. Hierzu passt sehr gut die Nachricht, dass er mit Fürsprache König Konrads III. beim Magdeburger Erzbischof die Reliquien des hl. Vincentius erwarb, die er am 6. Juni 1145 im Beisein der schlesischen Großen (terre illius primates) feierlich in sein Hauskloster auf dem Breslauer Elbing überführen ließ. Dieser symbolische Akt war zweifellos auch eine eindrucksvolle Demonstration seiner weltlichen Stellung. Im Übrigen blieb sein kirchliches Engagement nicht auf die Errichtung und Ausstattung einzelner Kirchen und Klöster beschränkt. Vielmehr trat Petrus – so die Magdeburger Annalen – ganz allgemein als „ehrfürchtigster Anhänger der christlichen Religion" hervor, der den hl. Vincentius wohl nicht nur aus politischem Kalkül, sondern auch, wie es in den Magdeburger Annalen weiter heißt, zur Verbreitung des katholischen Glaubens innerhalb seines Machtbereichs nach Breslau hat überführen lassen.⁴¹ Als eifriger Verfechter der römisch-katholischen Religion trat er schließlich auch in einem Brief auf, den er gemeinsam mit dem Krakauer Bischof Matthäus 1143–1145 an Bernhard von Clairvaux richtete, in dem über Möglichkeiten einer Bekehrung der orthodoxen Rus’ informiert und der berühmte Abt der Zisterzienser und Propagandist der Kreuzzüge zu einem Besuch Polens eingeladen wurde.⁴² [<<28||29>>]

    Polyzentrische Frühstadt

    Große wie Petrus haben die Breslauer Burgstadt bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts hinein geprägt. Die Piasten waren zunächst wenig präsent, sodass der herzogliche Burgsitz, in dem noch vor Mitte des 12. Jahrhunderts eine Martinskirche entstand, die 1149 dem Vinzenzkloster übergeben wurde, bescheiden blieb. Der weitere Ausbau der Siedlung einschließlich ihrer kirchlichen und ökonomischen Infrastruktur lag daher vor allem in den Händen der geistlichen und weltlichen Großen. Letztere verfügten über einen erheblichen Teil des Breslauer Siedlungsgebietes zu beiden Seiten der Oder und etablierten ihre Gehöfte (curiae) und die von ihnen gestifteten Kirchen und Klöster an handelsstrategisch wichtigen Punkten, und zwar: 1. auf dem linken Oderufer im Bereich der Kreuzung des aus dem Reich über Kleinpolen in die Rus’ führenden West-Ost-Handelsweges mit der aus Böhmen kommenden Süd-Nord-Verbindung; 2. auf der Sandinsel, die eine entscheidende Stütze für die Oderüberquerung und daher ein idealer Kontroll- und Zollpunkt war; schließlich 3. auf dem Elbing, auf dem sich die Süd-Nord-Route in einen nach Großpolen und einen nach Kujawien und Masowien weiterführenden Weg gabelte.

    Der nördlich der Dominsel gelegene Elbing war ein Werder, der von Seitenarmen der Oder umspült wurde und eine west-östliche Ausdehnung von etwa 3,5 km besaß. Er war, wie

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