Wenn Männer verschwinden: Satirischer Roman
Von ROLF BIDINGER
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Buchvorschau
Wenn Männer verschwinden - ROLF BIDINGER
1. Kapitel
„Du gehst? Wohin? Und wann kommst Du wieder?"
Wie ein Maschinengewehr feuerte sie ihre Salven ab, ohne auch nur eine Zwischenphase für eine Antwort ihm zu gewähren. Für ihn nichts Ungewöhnliches. Es war ihr alltägliches Ritual. Längst erwartete sie keine Reaktion und er hatte jeglichen Versuch eingestellt, ihr in die Parade zu fahren.
Nur diesmal war etwas anders. Er lächelte, als er die Tür leise hinter sich zuzog. Kein Blick zurück. Kein „Bis gleich."
Sie war bereits im Schlafzimmer und machte die Betten. Erst am Abend, als er immer noch nicht zuhause war, wurde sie etwas unruhig, dann nervös und später panisch.
„Mein Name ist Schmitt, mit Doppel-T. Geborene Schlotzmeier mit Ei.", erklärte sie dem Wachhabenden am Telefon und ihre Stimme überschlug sich fast.
„Na nun beruhigen wir uns erst einmal.", versuchte der Beamte zu beschwichtigen.
„Sie können sich ja beruhigen, aber ich bin und bleibe aufgebracht. Schließlich ist es mein Mann, der mir abhandengekommen ist.", regte sich Frau Schmitt auf.
„Ich habe ja auch gar keinen Mann.", offenbarte der Polizist sehr Privates.
„Dann halt ihre Frau!", warf Frau Schmitt ein, der es gleichgültig war, in welchen Lebensumständen der Polizist sich eingerichtet hatte.
Der seufzte tief bei dem Gedanken, zuhause würde eine Frau auf ihn warten.
Sein bisheriges Leben hatte ihn dankbarerweise verschont und er genoss sein Singledasein. Er begnügte sich mit kleinen Tagesaffairen, die ihm seinen Hormonhaushalt wieder in Gleichklang brachten. Auf diese Weise bekam er, was er wollte und eheähnliche Nebenwirkungen waren ausgeschlossen. Der Markt ähnlich gelagerter Damen war reichhaltig und er konnte aus dem Vollen schöpfen.
Er war ein Mann der Abwechslung und konnte seine Diensthandschellen auch jederzeit zum Einsatz bringen, wenn die dementsprechende Partnerin auf Zeit dem zustimmte. Doch dies war sein gutgehütetes Geheimnis und er sah nicht den geringsten Grund, dies Frau Schmitt unter die Nase zu reiben. Wahrscheinlich hätte sie ohnehin momentan kaum den Kopf dafür.
„Ich fordere Sie auf, unverzüglich eine Hundestaffel, Helikoptereinsätze und Bundeswehr, in Alarmbereitschaft zu setzen, damit mein Mann gesucht, gefunden und mir wieder zugestellt wird.", forderte sie nun in schneidigem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Herr Kreuzmeier, der an der anderen Leitung langsam unruhig wurde, versuchte vergebens Frau Schmitt, zu beruhigen.
„Vielleicht ist er noch bei einer Freundin."
Doch damit stieß er in ein Wespennest.
„Mein Mann hat mich, da braucht er keine Freundin. Ich gebe ihm alles, was ein Mann sich von einer Frau nur wünschen kann.", empörte sich Frau Schmitt.
„Vielleicht ist er dann bei einem Freund?", versuchte Herr Kreuzmeier, seinen Fauxpas wieder glattzubügeln.
Doch was gut gemeint war, führte bei Frau Schmitt dazu, sich aufzumachen und die erstbeste Palme zu erklimmen.
„Was erlauben Sie sich. Mein Mann ist ein Mann. Der braucht keinen anderen Mann. Wie können Sie ihm nur so was unterstellen. Außerdem geht Sie unser gutes funktionstüchtiges Sexualleben nichts an. Oder sind Sie einer, der sich ..."
Frau Schmitt war jetzt so aufgebracht, dass ihr die Worte ausgingen.
„Der sich was ....?", entgegnete Herr Kreuzmeier nun, der den Beginn einer Beamtenbeleidigung roch.
Doch Frau Schmitt sah sich außerstande den Satz zu vervollständigen und entging so noch einmal einer drohenden Haftstrafe. Stattdessen setzte sie nun ihrerseits Herrn Kreuzmeier unter Druck, indem sie nach seinem Vorgesetzten verlangte.
„Ich bin mein eigener Vorgesetzter!", stellte dieser klar.
„Aber es muss doch jemanden geben, der ihnen sagt, wann sie zum Dienst erscheinen müssen oder ihnen urlaub zubilligt?"
„Das entnehme ich dem Dienstplan.", rechtfertigte sich Herr Kreuzmeier.
„Und wer erstellt diesen Dienstplan?", rief Frau Schmitt, nicht Willens ihn vom Haken zu lassen.
„Den erstelle ich selbst, nach Rücksprache mit mir.", gab Kreuzmeier freimütig Interna heraus, wofür ihm ein Disziplinarverfahren anhängig werden könnte, wenn er sich bei sich melden würde.
Frau Schmitt zeigte sich entsetzt über den Filz, der offensichtlich in der Behörde herrschte, die sie mit ihren Steuergeldern am Laufen hielt.
„Wenn das so ist, möchte ich mich offiziell bei Ihnen über sich beschweren.", forderte sie nun, der Logik gehorchend.
Nun waren Herrn Kreuzmeier die Hände gebunden. Die Beschwerde einer Bürgerin musste er verpflichtend nachgehen, wenn er sie nicht noch auf den letzten Drücker besänftigen konnte. Einen Versuch war es zumindest wert.
Aus Angst unter Repressalienleiden zu müssen, die er gegen sich, nach einer monatelang dauernden internen Untersuchung, womöglich aussprechen müsste, falls er zu dem Schluss käme, er sei schuldig, konnte er nur so entgehen, wenn er sie sich gewogen machen könnte.
Mit einem besonders freundlichen und zugewandten Tonfall, ja fast flötend, gab er sich plötzlich handzahm.
„Verehrte gnädige Frau Schmitt, lassen Sie uns doch wieder gute Freunde und Helfer sein, so wie es das Motto der Polizei ist. Wie kann ich denn ihren seelischen Schmerz lindern, der so sehr auf ihr Gemüt drückt?"
Der plötzliche Stimmungswechsel des Herrn Kreuzmeier fiel bei Frau Schmitt auf gutbegründete Skepsis.
„Männer!", pfiff sie nur in abfälligem Ton, durch ihre sanierungsbedürftige vergilbte Kauleiste.
Herr Kreuzmeier hörte einen gewissen Zweifel aus dem herausgehauenen Geschlechterbegriff und legte rasch noch eine Schippe, angefüllt mit genügend Charmeoffensive, drauf.
„Junge Frau, nicht alle Männer sind gleich zu bewerten. Ich persönlich werde nichts unversucht lassen, mich ihnen als ein guter dienstbarer Geist zu beweisen."
„Flirten Sie etwa mit mir?", rief Frau Schmitt und im Unterton konnte man es vorsichtig erahnen, sie fühlte sich geschmeichelt.
„Nur mit ihrem Einverständnis und wenn es nicht gegen ihre Religionszugehörigkeit nicht verstößt.", versicherte Kreuzmeier.
„Hannelore. Ich heiße Hannelore.", warf sie ihm einen kleinen Knochen hin.
„Hannelore. Das klingt so melodisch, wie aus einem Gedicht von Hölderlin entsprungen. Hannelore, so Mozärtlich und schillernd. Hannelore, wie eine leichte Nordseebrise. So wie das lichtdurchflutete von Gerhard Richter gestaltete Fenster im Kölner Dom. Hannelore, ein symphonisches Glockenspiel."
„Weiter! Weiter! Mehr!", seufzte Frau Schmitt, eingehüllt von den ekstatischen Worten, für den ihr Mann nie die Muße fand.
Und Kreuzmeier, ein Name in dem schon der Wesenskern des eigenen überschätzten Geschlechts enthalten ist, enthielt sich nicht und fuhr, ohne sich der Brisanz seiner Worte bewusst zu sein, unaufhaltsam fort.
„Wohliges willfähriges Weib, wo Wonne wild wabert, wie Winde warm wehen, wagen wir weit weniger, wie Wotan wohl weise wohlfeil wüten würde. Wisse Weib, wehklagen wir wissend weiter. Wollust will weiter wachsen."
„Wahre Worte, wertvoller Werber weiblicher Wünsche.", entgegnete Frau Schmitt, dem Wahn seiner Worte folgend.
Längst hatte sie den Grund ihres Anrufs verdrängt und sich der Stimme am anderen Ende vollends hingegeben.
Hätte Herr Kreuzmeier nur annähernd geahnt, was er mit seinen Worten ausösen würde, so entfernte er sicherlich das „W" aus seinem persönlichen Alphabet. Doch diese Einsicht kam nun zu spät. Denn das unbeabsichtigte Saatgut was er gestreut hatte, stand bereits in voller Blüte.
Die letzten Worte, ehe das Gespräch abbrach, hatte Frau Schmitt ausgesprochen und er konnte nicht mehr rechtzeitig dazu Stellung zu beziehen.
„Ich komme rasch vorbei, um Auge in Auge, meine Fürbitte vorzubringen."
Zurück blieb ein verstörter Herr Kreuzmeier, der spürte, dass sein glückliches Singledasein an einem seidenen Faden hing.
Ohne es zu beabsichtigen hatte er einer hilfesuchenden Frau Hoffnung gemacht. Hoffnung auf ihn. Bei dem Gedanken, der bei ihm einschlug wie eine Bombe, erschrak er zutiefst und er suchte rasch nach Ausflüchten oder Gegenmaßnahmen, die das Schlimmste noch verhindern konnten. Und die zeit lief ihm davon. Er war kurz davor es der vorbildhaften Zeit gleichzutun und seinen Fluchtreflex auszulösen. Doch noch war er ein Gefangener seiner Dienstzeit und so waren ihm die Hände gebunden. Er begriff, die Zeit war sein größter Feind, neben dem persönlichen Erscheinen Frau Schmitts, die, wenn ihre Stimme auf ihr Aussehen schließen ließ, er aufs Schlimmste gefasst sein müsste. Der Vergleich einer Stahlbürste, die man über eine Schultafel zieht, war nicht abwegig. Die Vorstellung über ihr Äußeres übertraf alles das, was er an Vorstellungskraft aufbringen konnte, obwohl er es nicht wollte. Grauen und Schaudern, Schrecken, Furcht und Panik, waren nur einer der wenigen Gefühle, die bei ihm hervortraten. Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt, wenn er nicht so schmerzempfindlich gewesen wäre.
Inständig hoffte er auf einen Anruf, wo ihm ein Mord, eine Entführung oder wenigstens eine Geiselnahme angezeigt würden. Selbst mit einem Fahrraddiebstahl könnte man ihm eine Freude machen. Doch ausgerechnet er musste in einer Kleinstadt Dienst tun, wo nicht einmal jemand sich aufraffen kann um Tauben zu vergiften, da es überhaupt keine hier gibt. Selbst denen scheint es hier zu langweilig zu sein, wohl auch wegen des öden Nachtlebens. Gerade einmal eine einzige registrierte Prostituierte versah noch ihren Dienst an der Gesellschaft, wenngleich sie längst schon in Rente war. Ein letzter Stammkunde war ihr noch geblieben und pflichtbewusst wie sie nun einmal war, fuhr sie mit ihrem Rollator Woche für Woche ins Seniorenheim und tat, was zu tun war.
Zum Glück geschah dies alles sehr diskret und so gibt es weder Foto- noch Filmaufnahmen davon, die verstörend auf die Jugend wirken könnten oder die Tristesse des sonntäglichen Gottesdienstes aufwerten. Dafür kniet der Pfarrer auf Knien, denn sonst müsste er in seiner Predigt darauf Bezug nehmen. Erschwerend kommt für ihn hinzu, in dieser Materie von Lust und Leidenschaft, wenig erbauliches sagen zu können, da es ihm an fundiertem Basiswissen fehlt.
Und das, was er weiß, wäre nur Hörensagen. Denn ein aberwitziges jahrhundertealtes Gesetz verbietet es ihm, aus Beichtgesprächen Kapital zu schlagen.
Alles dort Erfahrene muss er runterschlucken und bleibt für alle Zeiten in seinem Magen, der noch sicherer ist als jedes Schweizer Bankschließfach. Unbestätigten Gerüchten zufolge, soll sich so mancher Bußwillige in seine Beichte reingesteigert haben, dass der Pfarrer erst den Beichtstuhl wieder verlassen konnte, nachdem sich die Soutane wieder beruhigt hatte. Manche beichten eben so, dass sie auch dort noch als toller Hengst oder Hecht oder sonst ein passendes Tier, sich ihre Bestätigung abholen. Je mehr Rosenkränze zu beten sind, desto mehr Bestätigung für den Buße tuenden, der, nachdem sein Sündenkonto wieder auf Null gesetzt ist, sich aufmacht es wieder aufzufüllen. Nicht ohne Grund wird ein Beichtstuhl