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Aderlass: Nils Morgentau ermittelt
Aderlass: Nils Morgentau ermittelt
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eBook297 Seiten4 Stunden

Aderlass: Nils Morgentau ermittelt

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Über dieses E-Book

Hauptkommissar Nils Morgentau ist froh, endlich wieder einen Fall übernehmen zu können, der ihn von den Problemen seiner verkorksten Ehe ablenkt. Er spürt sofort, dass hinter Luna Ritters Verschwinden mehr steckt als eine bloße Entführung, denn es gibt keine Lösegeldforderung. Stattdessen schicken die Kidnapper der Familie eine Konserve mit dem Blut der Vermissten.

Bei seinen Ermittlungen erfährt Morgentau, dass die vermisste Frau nicht nur reich und schön, sondern zudem auch noch sehr beliebt ist. Aber es muss jemanden geben, der sie beseitigen will. Sara Hoffmann hatte seit Wochen Streit mit ihrer besten Freundin Luna, und sie hat kein Alibi.

Alexander Seefeld, Lunas Exmann, hat ein weitaus stärkeres Motiv, seine geschiedene Frau umzubringen, denn er ist ganz versessen darauf, ihre Firma in seinen Besitz zu bringen. Doch er ist ein Freund des Staatsanwalts, der dem Hauptkommissar die Untersuchungen nicht gerade erleichtert, ebenso wie der Kollege Erwin Lange, der kurz vor der Pensionierung steht und eigentlich keine Lust mehr auf seinen Job hat.

Morgentaus Hauptverdächtiger jedoch ist Luna Ritters Ehemann Roman, ein unsympathischer, cholerischer Typ, der seine Frau betrügt. Sie wollte sich von ihm scheiden lassen und hatte offensichtlich Beziehungen zu anderen Männern, von denen einer, der schwarze Student Gabriel Mbango aus Kamerun, ermordet aufgefunden wird. Der Verdacht gegen Roman Ritter verdichtet sich, als auch Alexander Seefeld umgebracht wird. Bei dieser Gelegenheit wird auch noch Charlotte, die elfjährige Tochter Seefelds und Luna Ritters, entführt. Aber Ritter streitet alles ab und erzählt dem Kripobeamten die wahre Geschichte seiner Ehe. Morgentau glaubt ihm. Aber reicht das aus? Wer sonst könnte die Taten verübt haben?

Kann es sein, dass die Leute des Heimatmuseums, bei dem Luna ehrenamtlich arbeitet, etwas mit der Sache zu tun haben? Morgentau hat Bianca Schröter im Visier, aber sie hat ein Alibi und kein Motiv.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum8. Mai 2017
ISBN9783743904002
Aderlass: Nils Morgentau ermittelt

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    Buchvorschau

    Aderlass - Mara Inhoff

    Mara Inhoff

    Aderlass

    Kriminalroman

    Aderlass

    Nils Morgentau ermittelt

    Mara Inhoff

    Impressum

    © 2017 Mara Inhoff

    ISBN 978-3-7439-0398-2 / 978-3-7439-0399-9 / 978-3-7439-0400-2

    Verlag: tredition GmbH, Hamburg

    Juli 2009

    Ich bin jetzt an dem Ort, wo alles angefangen hat. Hier muss ich mein Gelübde erfüllen. Die Schuld ist noch nicht gesühnt, denn sie vererbt sich weiter – so wie das Unglück sich weiter vererbt. Es muss ein Ende haben mit ihnen – so wie ich das letzte Glied in der Kette bin. Wenn ich sterbe, werden auch alle die tot sein, die Schuld in sich tragen. Dann wird es keine Opfer und keine Täter mehr geben. Erst mit dem letzten Tropfen Blut wird die Rache vollendet sein.

    Donnerstag, 23. Juli 2015

    Luna

    Wenn sich der schwarze Vorhang zur Seite schiebt, ist da nichts als Nebel, und eine dunkle Gestalt erscheint zwischen den grauen Dunstschleiern. Sie hat kein Gesicht, und sie redet nicht. Irgendwo ist ein schwacher Lichtschein, doch seine Wärme erreicht mich nicht. Ein neuer Schmerz zieht durch mich hindurch, und das Grau wird von blutigem Rot verschluckt. Dann senkt sich der schwarze Vorhang wieder herab.

    Bin ich hier der Depp vom Dienst, oder was? Hauptkommissar Nils Morgentau war wütend.

    Er hatte den Mord an einem Bühnenbildner des Schauspielhauses fast ganz allein aufgeklärt, und es war ihm wichtig, dass im Bericht die komplizierten Hintergründe deutlich gemacht wurden. Ansonsten würde die Staatsanwaltschaft Mühe haben, den Richter von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen. Aber die Chefin hatte ihm gerade unmissverständlich klargemacht, dass er eine höchst dubiose Vermisstensache zu übernehmen hätte, und sie sich selbst um den Bericht kümmern würde. Das läuft natürlich wieder einmal darauf hinaus, dass sie an meiner Stelle die Lorbeeren einheimst, dachte Nils verbittert.

    „Hören Sie, Herr Morgentau, es ist mir sehr wichtig, dass Sie die Vermisstensache übernehmen. Die Frau, die wir suchen, ist eine der prominentesten Personen der Stadt. Sie können doch gut mit solchen Leuten umgehen. Sie kennen ja die Kollegen von der Vermisstenstelle. Die sind viel zu unsensibel für so etwas. Ich möchte keinen Ärger haben."

    Sie drehte sich um und ließ ihn einfach mit seinem Frust allein auf dem Flur stehen. Er ärgerte sich über sich selbst. Hella Vogelsang hatte ihn wieder einmal mit seiner Eitelkeit geködert, und er hatte den Schwanz eingezogen und sich unterwürfig ihrem Willen gebeugt.

    Aber was blieb ihm anderes übrig? Sie war nun einmal die Dienststellenleiterin, und die eingefahrenen Hierarchien musste man akzeptieren, ob es einem passte oder nicht. Doch Nils Morgentau war sicher, dass irgendwann seine Stunde schlagen würde. Dann würde er der Chef sein und für die nötigen Veränderungen sorgen.

    Er hatte es nicht besonders eilig und sah in Ruhe erst noch seine E-Mails durch, bevor er seine Jacke vom Garderobenhaken nahm und sich auf den Weg machte.

    Verdammt! Wo steckte dieser dämliche Lange bloß wieder? Es reichte schon, dass dieser Trottel ihm immer die lästigen Arbeiten überließ. Als der Dienstältere hatte er wohl das Recht dazu. Aber wenigstens hin und wieder sollte er den Anschein erwecken, sich an den Ermittlungen zu beteiligen - auch wenn im Moment wenig zu tun war.

    Er klopfte kurz an und öffnete die Tür zum Nachbarbüro. „Wissen Sie, wo HK Lange ist?"

    „Wo soll der schon sein? Entweder in der Kantine oder auf dem Klo. Der junge Mann grinste unverschämt, und sein Kollege lachte wiehernd. „Versuchen Sie es doch mal bei der Kleinschmidt. Die Chefin hat doch bereits das Haus verlassen.

    Natürlich! Hätte er sich ja auch denken können, dass Lange die Gunst der Stunde nutzte und sich ein Plauderstündchen bei der Sekretärin der Vogelsang gönnte. Die beiden hatten zwei Lieblingsthemen: seinen Altersdiabetes und ihr Rheuma. Wenn der alte Dickschädel doch nur endlich in Pension gehen würde!

    Vom ersten Moment an hatten sie sich nicht leiden können. Erwin Lange wusste, dass eigentlich Nils Morgentau derjenige war, der das Sagen hatte und neidete ihm die akademische Ausbildung. Er war fest entschlossen, ihm das Leben so schwer wie möglich zu machen; und Nils verfluchte Langes Eigensinn, wenn es um Neuerungen jedweder Art ging.

    „Tut mir leid, wenn ich störe, sagte er ironisch, als er die beiden Leidensfanatiker bei Kaffee und Mandelgebäck in trauter Zweisamkeit sitzen sah. „Wir müssen los. Es gibt Arbeit, Herr Lange.

    Fast zehn Minuten musste er m Auto warten, bis sein Kollege endlich erschien. Seufzend ließ Lange seinen schweren Körper auf den Beifahrersitz fallen. „Was gibt’s?"

    „Eine vermisste Frau im Stadtteil Wilhelmsforst."

    „Sind Sie bekloppt? Seit wann machen wir die Arbeit der Vermisstenstelle? Und dann auch noch da, wo die ganzen Bonzen wohnen!"

    „Weil es der ausdrückliche Wunsch der Chefin ist. Die Sache scheint ziemlich heikel zu sein. Die vermisste Frau ist reich und die Exfrau von Staatsanwalt Rosskamps Golfpartner. „Ach, daher weht der Wind. Natürlich alles streng geheim, nehme ich an. Als Nils spöttisch nickte, fuhr er ärgerlich fort: „Ich hasse solche Fälle im Promimilieu. Da kannst du nur Fehler machen und dich in sämtliche Nesseln setzen. Wahrscheinlich ist die Alte mit irgendeinem halbseidenen Lover durchgebrannt, und wir Idioten dürfen die gnädige Frau aus dem Lotterbett holen, damit die vornehme Familie nicht in Verruf kommt. Wissen wir schon was über sie?"

    „Nicht viel bis jetzt. Sie heißt Luna Ritter, ist Schriftstellerin und war in erster Ehe mit Alexander Seefeld, dem Geschäftsführer einer Firma KEL-electronics, verheiratet. Ihr jetziger Ehemann heißt Roman Ritter. Über den wissen wir allerdings noch nichts. Ein Hauptwachtmeister Jeschonnek wartet im Polizeirevier in Wilhelmsforst auf uns. Er kennt wohl die Familie persönlich und hat Staatsanwalt Rosskamp informiert, weil der, wie schon gesagt, der Golfpartner des Ex-Ehemannes ist."

    Lange murmelte weitere Verwünschungen der unfeinen Art vor sich hin, aber Nils hörte ihm nicht mehr zu. Ganz gleich, welche Art von Fall ihnen aufgetragen wurde, Lange hatte immer etwas daran auszusetzen. Dass dem Kollegen sein Beruf längst zuwider war, stand außer Frage. Was aber hätte er denn sonst mit seiner Zeit anfangen sollen? Seine Frau hatte ihn schon vor zwanzig Jahren verlassen, und seine Kinder und Enkelkinder ließen sich nur noch kurz vor Weihnachten und Geburtstagen bei ihm sehen, um ihre mit Geld gefüllten Umschläge abzuholen. Er konnte einem eigentlich ein bisschen leidtun. Nils musste krampfhaft schlucken. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Würde es ihm irgendwann genauso ergehen? Energisch schüttelte er die Gedanken an seine eigene zerrüttete Ehe ab. Nicht jetzt!

    Hauptwachtmeister Tobias Jeschonnek erwartete sie bereits an der Tür. „Endlich! Ich weiß schon nicht mehr, wie ich die Damen beruhigen soll. Sie sind alle ganz außer sich vor Sorge. „Jetzt machen Sie mal nur nicht so einen Wind, Mann. Was für Damen meinen Sie überhaupt? Lange wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Habt ihr denn hier keine Klimaanlage?"

    „Die Mutter, die Schwiegermutter und die Freundin von Frau Ritter. Sie wohnen alle zusammen."

    „Großer Gott! Auch noch eine hysterische Weiberwirtschaft. Das hat mir gerade noch gefehlt."

    „Seit wann ist Frau Ritter verschwunden?", schaltete Nils sich ein.

    „Seit gestern Mittag."

    „Gerade mal 24 Stunden. Und da machen Sie so einen Affenaufstand?" Polternd zog Lange sich einen Stuhl zurecht und setzte sich stöhnend nieder.

    „27, um genau zu sein, sagte Jeschonnek pikiert und wandte sich an den anderen Mann, denn er hatte sofort begriffen, dass er bei dem älteren auf wenig Interesse und noch weniger Verständnis hoffen konnte. „Ich gehöre nicht zu der Sorte Polizisten, die sich wichtigmachen wollen, glauben Sie mir. Ich kenne Frau Ritter schon seit Jahren. Sie ist eine ganz besonders liebenswürdige Frau. Nicht so eine überkandidelte High Society Lady, wie Sie vielleicht denken. Sie hat zwei ganz reizende Töchter und würde sie und ihre Mitbewohnerinnen nicht einfach im Stich lassen. Zumindest hätte sie eine Nachricht hinterlassen oder sich gemeldet, wenn sie irgendwo aufgehalten worden wäre. Es ist einfach nicht ihre Art, verstehen Sie? Nils nickte. „Haben Sie schon in allen Krankenhäusern, Notrufzentralen und so weiter nachgefragt?"

    „Ja, sicher. Auch bei der Autobahnpolizei. Alles schon erfolglos abgeklappert. Und ihr Wagen ist auch spurlos verschwunden."

    „Haben Sie eine Vermutung, was passiert sein könnte? Eine Entführung?"

    „Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Bisher hat es jedenfalls keine Lösegeldforderung oder sonst etwas in dieser Richtung gegeben."

    „Wir lassen trotzdem vorsichtshalber eine Fangschaltung installieren. Ich werde kurz mit unserer Dienststelle telefonieren, um das zu veranlassen. Geben Sie mir bitte die genaue Adresse der Vermissten, Herr Jeschonnek, und Automarke, Baujahr, Farbe und Kennzeichen. Wir lassen es zur Fahndung ausschreiben."

    Während Morgentau im Vorraum telefonierte, machte Lange seinem Ärger noch einmal Luft: „Das ist doch alles nur wieder viel Lärm um nichts. Ich sage euch, wir werden uns bis auf die Knochen blamieren."

    Aber Jeschonnek ließ sich nicht beirren und versuchte es noch einmal bei dem missgelaunten Beamten: „Ich muss Ihnen noch sagen, dass es in den vergangenen Jahren einige Unfälle bei den Ritters gegeben hat, flüsterte er ihm zu. „Deshalb kommt mir die ganze Sache auch so merkwürdig vor. Es könnte doch einen Zusammenhang geben, oder? Und ein Gewaltverbrechen kann man ja auch nicht ausschließen.

    „Und was ist bei den Untersuchungen dieser ominösen Unfälle aus der Vergangenheit herausgekommen?", wollte Lange genervt wissen.

    „Äh... nichts. Unfälle eben."

    „Na also. Alles nur heiße Luft. Wie ich bereits sagte."

    Nils hatte seinen Anruf beendet und wandte sich wieder den beiden Männern zu. „Wir sollten jetzt mit den Angehörigen sprechen. Vielen Dank für Ihre Informationen, Herr Jeschonnek. Wenn wir Sie noch brauchen, melden wir uns. Und, ehe ich es vergesse: die Sache soll nach Möglichkeit vorerst nicht an die Öffentlichkeit. Also keinerlei Informationen nach außen und schon gar nicht an die Presse. Kommen Sie, Herr Lange?"

    Nachdem sich das schmiedeeiserne Tor geöffnet und hinter ihnen von selbst wieder geschlossen hatte, fuhren sie über eine breite, mit Kies bestreute Auffahrt, die durch einen parkähnlichen Garten mit altem Baumbestand führte. Üppig blühende Ziersträucher säumten den Weg: Weißer Hartriegel, blaue Hortensien, rosarote Magnolien. Zwischen Rasenflächen in sattem Grün lagen ovale Blumenbeete, die in verschwenderischer Blütenpracht schwelgten und den Blick auf die leuchtend weiße Fassade eines dreistöckigen Baus aus dem 19. Jahrhundert freigaben.

    Ein steinerner Dreiecksgiebel, der als Vordach diente und mit Ornamenten in Form von Blumenranken reich verziert war, wurde von vier korinthischen Säulen getragen, und eine beeindruckende Freitreppe führte zu einem schweren Eichenportal. Die Villa und das ganze Areal machten einen überaus gepflegten Eindruck und deuteten darauf hin, dass das Anwesen vor nicht allzu langer Zeit aufwändig renoviert worden war. „Nicht übel, was? Nils pfiff anerkennend durch die Zähne. „Manchen gibt’s der Herrgott im Schlaf, antwortete sein Beifahrer schlechtgelaunt.

    Nils zögerte, da er nicht wusste, ob er den Türklopfer, der die Form eines Löwenkopfes hatte und aus glänzendem Messing war, betätigen sollte, aber da wurde die Tür bereits geöffnet. Er hatte einen Butler in schwarzem Anzug erwartet oder doch zumindest ein Hausmädchen mit weißer Schürze und Spitzenhäubchen. Aber die hagere Frau, die ihm gegenüberstand, sah nicht so aus, als gehörte sie zum Hauspersonal. Sie trug eine modische Hose mit passender Bluse, und das kräftige braune Haar war jugendlich kurz geschnitten. Sie war ungeschminkt und mochte so Mitte dreißig sein.

    „Ich bin Sara Hoffmann, Luna Ritters Freundin und Mitbewohnerin. Bitte kommen Sie herein", sagte sie, nachdem die beiden Männer sich vorgestellt und ihre Ausweise vorgezeigt hatten.

    Sie ging voran durch eine große Halle mit Mosaikfußboden, von der eine geschwungene Freitreppe mit einem Geländer aus geschnitztem Holz in die oberen Stockwerke führte. Ein bemalter Bauernschrank, eine dazu passende Kommode und eine schwere Truhe waren aus hellem Holz, und ein Kronleuchter mit blankpolierten Messingarmen hing von der hohen Stuckdecke.

    Sie öffnete eine weiß lackierte Flügeltür und bedeutete ihnen einzutreten.

    Nils sah sich erstaunt um, bevor er auf der großen Couch im Wohnzimmer Platz nahm. Er hatte nicht erwartet, eine so anheimelnde, gemütliche Atmosphäre vorzufinden. Moderne Möbel aus Pinienholz, bequeme Sitzpolster, Wände in warmen Pastellfarben, ein gemauerter Kamin und dezente Dekorationen – keine teuren Perserteppiche, keine Picassos an den Wänden, keine Chippendale-Vitrinen. Hier lebte anscheinend eine ganz normale Familie. Auf dem Sideboard standen Fotografien, und auf dem Boden waren Spielzeuge und Bilderbücher verstreut.

    „Möchten Sie Kaffee?, fragte die Frau. „Ich habe gerade frischen gemacht.

    „Ja gern. Vielen Dank, sagte Nils, aber Lange schüttelte den Kopf. „Muss an mein Herz denken. Haben Sie ein Glas Wasser?

    „Sicher, gab sie knapp zurück. „Ich bin gleich zurück.

    „Ihre Freundin ist also letzte Nacht nicht nach Hause gekommen, stellte Lange mit sarkastischem Unterton fest, als Frau Hoffmann sich selbst und die beiden Beamten mit Getränken versorgt hatte. „Was glauben Sie, wo sie stecken könnte? „Wenn ich das wüsste, hätten Sie sich ganz bestimmt nicht herbemühen müssen, gab sie unfreundlich zurück. „Luna gehört nicht zu den Frauen, die einfach mal so für ein paar Tage verschwinden, wenn ihnen der Sinn danach steht. Das passt einfach nicht zu ihr. Sie liebt ihre Kinder sehr und fühlt sich für uns alle verantwortlich. Es muss ihr etwas zugestoßen sein. Und wenn Sie nicht langsam anfangen, nach ihr zu suchen und die Sache aufzuklären, mache ich Ihnen die Hölle heiß. Darauf können Sie Gift nehmen!

    „Frau Hoffmann, Sie können ganz sicher sein, dass wir alles tun werden, um Ihre Freundin zu finden, sagte Nils beschwichtigend. Lange war wirklich ein Idiot. Der Staatsanwalt würde ihm den Hals umdrehen, wenn er so weitermachte. „Erzählen Sie uns doch bitte, wann Sie Frau Ritter zuletzt gesehen haben.

    „Gestern Morgen. Wir haben zusammen gefrühstückt und gemeinsam das Haus verlassen. Ich bin dann zur Arbeit gefahren. Luna wollte die Kleine in den Kindergarten bringen und danach die Frühschicht im Museum übernehmen. Anschließend wollte sie noch zu ihrem Verlag nach Köln fahren. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.

    So gegen zehn Uhr heute Morgen rief mich Monika, also Lunas Schwiegermutter, ganz aufgelöst in der Bank an. Luna war über Nacht nicht nach Hause gekommen und hatte sich auch nicht gemeldet. Ich habe von meinem Büro aus alle Freunde und Bekannten, Krankenhäuser und zuletzt die Polizei angerufen. Mehr kann ich Ihnen eigentlich gar nicht sagen."

    „Was ist das für ein Museum?"

    „Das kleine Heimatmuseum in der Brunnengasse. Luna und Monika haben es aufgebaut und arbeiten dort ehrenamtlich. Soviel ich weiß, war meine Freundin bis zur Mittagspause dort. Eine Frau vom Reinigungsdienst hat mit ihr das Museum kurz nach 13 Uhr verlassen. Seitdem hat sie niemand mehr gesehen."

    „Haben Sie den Namen und die Adresse der Frau?"

    „Nein. Ich habe nur mit jemandem aus der Reinigungsfirma gesprochen. Hier ist die Telefonnummer."

    Nils steckte den Zettel in sein Notizbuch. „Und der Verlag in Köln?"

    „Sie war nicht dort. Die Lektorin war ziemlich sauer, dass sie nicht, wie verabredet, erschienen ist, weil man im Verlag dringend auf einige Korrekturen gewartet hat."

    Inzwischen war ein Techniker eingetroffen, der die Fangschaltung installieren sollte, und Nils wandte sich wieder Frau Hoffmann zu, nachdem er kurz mit dem Kollegen von der Technik gesprochen hatte.

    „Wo sind die anderen Hausbewohner? Es ist wichtig, dass ein Familienmitglied da ist, wenn die Entführer anrufen – falls es sich um eine Entführung handelt."

    „Ich fürchte, Sie müssen sich mit mir begnügen. Monika Ritter ist mit den Kindern im Garten, und sie ist auch viel zu aufgeregt für so etwas. Hoffentlich reißt sie sich wenigstens etwas zusammen, damit die Mädchen nichts mitkriegen. Cora Lindemann, Lunas Mutter, hat ein paar Beruhigungspillen genommen. Sie war nämlich kurz vor einem hysterischen Anfall. Jetzt hat sie sich hingelegt und schläft hoffentlich."

    „Cora Lindemann? Die Bildhauerin?"

    Er hatte neulich einen Artikel über ihre Arbeiten und ihre neue Ausstellung gelesen.

    „Ja, genau die. Wie ich sehe, interessieren Sie sich nicht nur für Spitzbuben und Vagabunden. Sehr lobenswert."

    „Was ist mit Herrn Ritter, dem Ehemann der Verschwundenen?"

    Ein verächtliches Lächeln trat auf ihre Züge. „Der ist irgendwo in der Wüste."

    „Wie bitte?"

    „Herr Ritter arbeitet für einen amerikanischen Hotelkonzern und ist seit zwei Jahren in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der SAGA-Konzern baut dort mehrere neue Hotels und Roman leitet das Verkaufsmanagement."

    „Er war seit zwei Jahren nicht mehr zu Hause?"

    „Doch, natürlich. Zwischendurch kommt er immer mal für ein paar Tage heim. Zuletzt war er Ostern hier."

    „Haben Sie ihn verständigt?"

    „Er ist im Moment nicht zu erreichen. Seine Sekretärin sagte mir, dass er vor drei Tagen nach Kuwait aufgebrochen ist. Seitdem hat er sich nicht mehr gemeldet. Sie vermutet, dass er irgendwo ist, wo es kein Handynetz gibt, will aber weiter versuchen, ihn zu erreichen."

    „So fertig! Funktioniert alles, sagte der Techniker. „Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, fahre ich jetzt zurück.

    „Erklären Sie Frau Hoffmann bitte vorher noch alles, was sie wissen muss."

    „Dann können wir ja auch endlich abhauen", brummte Lange erleichtert und erhob sich.

    „Ich bleibe hier, Herr Lange. Der Kollege nimmt Sie bestimmt gerne mit zum Präsidium. Vielleicht könnten Sie versuchen, etwas über die finanziellen Verhältnisse und so weiter in Erfahrung zu bringen."

    „Haben Sie mal auf die Uhr geschaut? Ich habe seit einer halben Stunde Feierabend. Aber Sie können ja gerne hier Ihre Freizeit verplempern, wenn Sie nichts Besseres zu tun haben. „Entschuldigen Sie bitte. Ich muss kurz telefonieren, sagte Nils, als die beiden Kollegen gegangen waren. Aus den Augenwinkeln beobachtete er ein kleines Mädchen, das ungestüm durch den Raum rannte, gefolgt von einem größeren mit flatternden hellblonden Haaren und einem fröhlichen Lachen. Eine ältere Frau kam schnaufend hinter ihnen durch die Terrassentür. Ihr Gesicht war gerötet, und ihre dunklen Augen sahen ihn voller Sorge an. Dann ging sie aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

    Er hatte damit gerechnet, dass Jessica enttäuscht sein würde, weil er sie nicht zum Geburtstagsessen ihrer Mutter begleiten konnte, aber mit einem derartigen Wutausbruch hatte er nun doch nicht gerechnet. Resigniert steckte er das Smartphone wieder in die Tasche.

    „Das eben war Monika Ritter, sagte Sara Hoffmann erklärend. „Sie bereitet für die Kinder jetzt das Abendessen zu und bringt sie dann ins Bett. Aber ich fürchte, aus ihr werden Sie heute nicht mehr viel herausbekommen. Sie ist total fertig. „Ich muss aber unbedingt noch mit ihr sprechen. Würden Sie ihr das bitte sagen? Vorher können wir uns ja noch ein wenig unterhalten. Sie scheinen von allen hier die besten Nerven zu haben."

    „Das sieht nur so aus, Sherlock Holmes. Ich habe mindesten genauso viel Angst um Luna wie die anderen. Das können Sie mir glauben. Aber eine muss ja schließlich einen klaren Kopf behalten, auch wenn es mir verdammt schwerfällt. Das muss ich zugeben. Am besten mache ich uns auch erst einmal eine Kleinigkeit zu essen, wenn wir schon dazu verdammt sind, unseren wohlverdienten Feierabend gemeinsam zu verbringen."

    Er trat auf die Terrasse und streckte die Glieder. Die Hitze hatte ein wenig nachgelassen, und ein leichter Windhauch strich angenehm durch sein dichtes, dunkelblondes Haar. Tief atmete er die frische Brise ein und ließ den Blick durch den herrlichen Garten schweifen, doch dessen üppige Pracht nahm er kaum wahr, denn seine Gedanken kreisten unaufhörlich um den neuen Fall. Sein untrügliches Gespür sagte ihm, dass es um mehr ging als um das Verschwinden einer reichen Frau. Hier kamen Dinge auf ihn zu, die jeden seiner Sinne und jeden Nerv in seinem Körper beanspruchen würden. Er war erleichtert, dass Lange sich quasi aus dem Geschehen ausgeklinkt hatte, denn er wollte die Ermittlungen auf seine Weise führen. Mit Langes plumper Taktik und seinen rigorosen Befragungsmethoden würden sie hier nichts erreichen, das war ihm klar. Für Lange zählten nur Fakten. Für ihn gab es nur gute und böse Menschen. Und er mochte weder die einen noch die anderen.

    Nils Morgentau hatte zuerst Psychologie studiert, bevor er sich für die Kriminalistik entschieden hatte, und auf genau dieses Zusammenspiel würde es ankommen, um Licht in das Dunkel zu bringen. Eine Entführung war naheliegend, aber er glaubte nicht daran. Sein Instinkt sagte ihm etwas anderes. Was immer er herausfinden würde, er fühlte, dass er einer menschlichen Tragödie auf der Spur war.

    Sie aßen schweigend, und jeder hing seinen Gedanken nach. Dann half er ihr beim Abräumen und trug das Tablett in die Küche.

    „Danke, sagte sie. „Warum sehen Sie mich so erstaunt an? „Nun, eigentlich hatte ich erwartet, in so einem vornehmen Haus jede Menge Personal vorzufinden."

    Sie lachte leise. „Ja. So kann man sich täuschen. Wir wohnen zwar in einer repräsentablen Villa, aber wir sind alle keine verwöhnten Luxusweibchen, die dem Müßiggang frönen. Klar, wir haben eine Putzfrau, die uns einiges abnimmt, aber den Rest machen wir selber. Hier herrscht strikte Arbeitsteilung. Monika ist Küchenchefin, Cora kümmert sich um die Wäsche, Luna ist für den Garten zuständig, und ich wasche die Autos. Außerdem haben wir alle einen Beruf und verdienen unser Geld selbst, bis auf Moni, die ist schon Rentnerin. Ist Ihre Neugier damit befriedigt?"

    „Keineswegs, sagte er lächelnd und folgte ihr zurück ins Wohnzimmer. „Ich habe noch jede Menge Fragen.

    „Na, dann schießen Sie mal los, Mr. Holmes. Möchten Sie auch ein Bier?"

    „Nur wenn Sie ein alkoholfreies haben."

    „Dann müssen Sie sich einen Moment gedulden. Solche edlen Getränke bewahren wir im Keller auf."

    Wie gebannt starrte er auf die Fotografie in einem Silberrahmen, die Sara Hoffmann ihm wortlos in die Hand gegeben hatte. Kein Makel war in dem klassisch-schönen Gesicht zu erkennen, das von goldblondem Haar umrahmt wurde. Auf ihren Lippen lag ein warmes Lächeln, und man konnte fast die pfirsichzarte Haut ihres Teints fühlen. Das Auffälligste aber waren ihre Augen, die von einem intensiven Blau waren und ihm irgendwie bis ins Herz strahlten. Nils hatte im Laufe der Jahre gelernt, dass Menschen grausam sein und anderen Menschen die abscheulichsten Dinge antun konnten. Aber im Augenblick war es unvorstellbar für ihn, dass es irgendjemanden geben sollte, der diesem Sinnbild der Reinheit und Unschuld etwas zuleide tun könnte. Und doch musste es so sein. Und ihm war die Aufgabe zugefallen, die traurige Wahrheit herauszufinden.

    Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie sie ihn beobachtete. „Ich sehe, Sie sind auch fasziniert von ihr. Jedem geht das so. Nicht nur Männer kriegen Herzklopfen, wenn sie sie zum ersten Mal sehen. Auch Frauen können sich ihrer Anziehungskraft nicht entziehen. Ich kenne Luna schon seit fast dreißig Jahren, und ich habe noch nie einen Menschen getroffen, den sie nicht mit ihrem Liebreiz verzaubert hätte."

    „Erzählen Sie mir mehr von ihr", bat er.

    „Ach Gott. Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll."

    „Am besten ganz von vorn. Sie sagten, Sie kennen sich seit dreißig Jahren. Sind Sie zusammen zur Schule gegangen?" „Ja. Wir waren in der ersten Klasse, und alle beteten sie an. Die frechsten Jungen verstummten, wenn sie in der Nähe war, und selbst der strengste Lehrer konnte ein gefühlvolles

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