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Das Mordhaus am Wald: Ostseekrimi
Das Mordhaus am Wald: Ostseekrimi
Das Mordhaus am Wald: Ostseekrimi
eBook290 Seiten4 Stunden

Das Mordhaus am Wald: Ostseekrimi

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Über dieses E-Book

Im Seebad Bansin auf Usedom fällt der 74-jährige Eigentu¨mer Wilhelm Steinberg vom Dach seines Mehrfamilienhauses. Schnell steht fest: Bei dem Unfall hat jemand nachgeholfen. Feinde hatte das Opfer mehr als genug. Noch kurz vor seinem Tod haben alle Mieter im Haus ihre Ku¨ndigung erhalten, weil ihre Wohnungen saniert und verkauft werden sollen. Und offenbar trauert auch ansonsten niemand ehrlichen Herzens um Steinberg. Bei seinen Ermittlungen auf der im Sommertrubel steckenden Ostseeinsel erinnert sich Hauptkommissar Schneider aus Anklam an Berta Kelling. Die im Altersruhestand befindliche Wirtin hatschließlich vor einiger Zeit schon einmal den richtigen Riecher bei der Mördersuche bewiesen. Ihre Hilfe ist mehr als geboten, denn der Mörder schlägt schon bald wieder zu.
SpracheDeutsch
HerausgeberHinstorff Verlag
Erscheinungsdatum3. März 2014
ISBN9783356018622
Das Mordhaus am Wald: Ostseekrimi

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    Buchvorschau

    Das Mordhaus am Wald - Elke Pupke

    verzögern.

    Donnerstag, 30. Mai 2013

    Es ist Strandwetter, einer der ersten warmen Sommertage in diesem Jahr und die Straßen des Seebades sind um die Mittagszeit leer und ruhig wie im Winter. Nur einige Spätaufsteher schleppen ihre Stofftaschen mit Proviant, Getränken, Badebekleidung und Sonnenschutzcreme in Richtung Ostsee.

    In der Pension Kehr wieder ist die Gaststätte, die auch als Frühstücksraum genutzt wird, leer. Berta Kelling, ehemalige Wirtin und Tante der jetzigen Besitzerin, sitzt am Stammtisch, liest die Ostsee-Zeitung, schüttelt dabei hin und wieder missbilligend den Kopf und nippt zwischendurch an ihrem Kaffee.

    Die Haustür wird geöffnet. Berta blickt zunächst über ihre Brille hinweg und nimmt diese dann ganz ab, als sie den Eintretenden erkennt. Schwungvoller, als man es bei ihrem Alter und ihrer Figur vermuten würde, springt die Frau auf und geht an die Bar zur Kaffeemaschine.

    »Setzen Sie sich, Herr Hauptkommissar, ich mach Ihnen einen Kaffee. Nur mit Zucker, stimmt’s?«

    Der etwa vierzigjährige, schlanke Mann streicht sich durch das bereits schüttere dunkle Haar und sieht sich zögernd um.

    »Sie kommen doch bestimmt wegen Wilhelm Steinberg. Hab schon gehört, dass der heute Vormittag vom Dach gefallen ist.« Ohne Betroffenheit vorzutäuschen fährt Berta fort: »Dass dem sein Geiz noch mal den Hals bricht, hab ich ja geahnt. Aber dass es so schnell geht …«, sie zuckt mit den Schultern, stellt die Kaffeetasse auf den großen runden Tisch und faltet die Zeitung zusammen.

    Hauptkommissar Schneider seufzt kurz, setzt sich dann aber bereitwillig. Er weiß, dass es sinnlos ist, hier zu widersprechen. Außerdem schätzt er die über siebzigjährige Frau mit dem flotten Kurzhaarschnitt mehr, als er sich anmerken lässt. Ihre Menschenkenntnis, vor allem ihre Kenntnis der Menschen dieses Ortes, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hat, könnte ihm unter Umständen durchaus nützlich sein.

    »Eigentlich wollte ich zu Frau Dietzen«, stellt er dennoch erst einmal klar.

    Berta nickt. »Das dachte ich mir schon. Aber sie ist gerade einkaufen gegangen. Kommt bestimmt gleich wieder. Vielleicht kann ich Ihnen inzwischen helfen. Was wollen Sie denn wissen?«

    »Erzählen Sie doch mal ein bisschen über die Hausbewohner. Wen kennen Sie denn von denen?«

    »Na, alle natürlich. Sind doch durchweg Einheimische.«

    Die Frau, die seine altmodische Arbeitsweise kennt, wartet, bis der Polizist einen Notizblock und einen Stift aus seiner Tasche gekramt hat. »Das war doch ein Unfall, oder?«, fragt sie währenddessen misstrauisch. »Oder hat da einer nachgeholfen? Sonst bräuchten Sie doch nicht die Leute auszufragen.«

    »Nein, nein«, beschwichtigt Schneider. »Bei einem unnatürlichen Todesfall müssen wir immer ermitteln. Aber in aller Regel liegt kein Fremdverschulden vor.«

    Berta ist klar, dass es nichts bringt, jetzt weiter nachzuhaken. Aber da sie diesem Kommissar mit umfangreichen Informationen dienen kann, wird er sich im Gegenzug vielleicht ein paar Hinweise aus der Nase ziehen lassen. Sie konzentriert sich. »Also, das Haus hat drei Stockwerke, in jeder Etage sind zwei Wohnungen. Ganz oben links wohnt unsere Noreen. Sie hat die Wohnung von ihren Großeltern übernommen, die waren da über fünfzig Jahre drin, ihre Oma ist erst vor ein paar Jahren gestorben. Noreen hat sie gepflegt bis zuletzt, sie wollte durchaus nicht in ein Heim …«

    »War Noreen Dietzen heute Vormittag hier?«, unterbricht Schneider.

    Berta Kelling nickt. »Ja, natürlich, sie hat gearbeitet. Wann genau war denn die Tatzeit?«

    Der Kommissar lacht. »Wilhelm Steinberg ist kurz nach elf Uhr vom Dach gestürzt«, berichtet er, ohne auf die versteckte Frage einzugehen. »Aber fahren Sie fort.«

    Das Gespräch wird unterbrochen, weil die Kellnerin Noreen vom Einkaufen zurückkommt. Die kräftige junge Frau mit dem dicken blonden Zopf setzt sich mit an den Tisch. Berta kommt gar nicht auf die Idee, die beiden anderen jetzt allein zu lassen. Sie ergänzt Noreens sachliche Aufzählung durch eigene Kommentare.

    Der Polizist kommt kaum dazu, seinen Kaffee zu trinken, während er sich Notizen macht, die später nur er selbst entziffern kann. Im Stillen beglückwünscht er sich zu der Idee, vom Tatort aus direkt hierher zu gehen. Berta Kelling gibt ihm genau die Informationen, die er zum jetzigen Zeitpunkt haben möchte, und es scheint wenig zu geben, was sie nicht über die Bewohner des Hauses Klabautermann weiß. Dass der Hausbesitzer, Wilhelm Steinberg, unten links gewohnt hat, ist ihm allerdings bereits bekannt.

    »Über den Toten reden wir später«, unterbricht er deshalb die Frauen, »beschreiben Sie mir bitte erst einmal die anderen Hausbewohner.«

    »Darüber, in der mittleren Wohnung auf der linken Seite, wohnt Familie Dreher. Ruhige Leute, die zurückgezogen leben und sich kaum auf Gespräche im Treppenhaus einlassen. Friedhelm Dreher ist Lehrer, seine Frau Ursula Hausfrau. Sie haben eine zwölfjährige Tochter namens Maylina. Ganz normale Leute eben«, urteilt Noreen.

    »Da war Wilhelm Steinberg aber anderer Meinung«, fällt Berta ihr ins Wort.

    »Stimmt, der hat behauptet, Dreher würde seine Frau schlagen. Aber das kann ich mir gar nicht vorstellen. Wer weiß, was der gehört hat. Er soll sogar Anzeige erstattet haben. Aber ich glaube, der wollte bloß, dass Dreher von der Schule fliegt und die Miete nicht mehr bezahlen kann. Er hat doch ständig versucht, die Leute aus dem Haus zu treiben.«

    »Darüber reden wir später. Über Familie Dreher, also oben links, wohnen Sie selbst«, übernimmt Schneider wieder die Gesprächsführung. »Wer wohnt Ihnen gegenüber?«

    »Carmen Graf«, Noreen verzieht das Gesicht, »eine totale Nervensäge. Die kann wirklich niemand leiden. Im Haus geht ihr jeder aus dem Weg, aber sie kommt mindestens einmal in der Woche hierher, um über die Leute herzuziehen. Ihr Mann Alfred sagt nicht viel, hat auch nichts zu sagen, der geht jeden Tag brav zu seiner Arbeit auf dem Bau. Im Gegensatz zu seinem Sohn Amadeus, der ist seit etwa vier Wochen zu Hause. Er ist Schauspieler und hatte sein letztes Engagement an irgendeinem bekannten Theater, ich habe vergessen, wo das war. Jetzt schreibt er angeblich an einem Drehbuch, er will einen Film machen, mit sich selbst in der Hauptrolle. Das erzählt seine Mutter jedenfalls.«

    Berta sieht sie erstaunt an. »Weißt du wirklich nicht, wo der gewesen ist?«

    Der Kriminalkommissar kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Das letzte Engagement habe ich ihm besorgt. Sechs Monate hat der ›Künstler‹ Amadeus Graf unter anderem wegen mehrerer Wohnungseinbrüche in der Justizvollzugsanstalt Stralsund verbracht.«

    Noreen schüttelt erstaunt den Kopf. »Das wusste ich nicht. Wie kann man bloß so dreist lügen. Denkt die Alte wirklich, das kommt nicht raus? Na ja, der sieht aber auch nicht aus wie ein Schauspieler, schon eher wie ein Knacki. Die Wohnung unter Grafs«, fährt die Kellnerin fort, »also rechts in der mittleren Etage, gehört Frau Haase. Eine nette, ruhige Frau. Sie war früher Buchhalterin, ist aber schon lange arbeitslos. Nach der Wende hatte sie nur noch ABM-Stellen und Weiterbildungen oder Umschulungen und so was. Ich frage mich, wovon sie die Miete bezahlt. Ihre Tochter Roxana ist ein faules Aas, die lebt nur auf Kosten ihrer Mutter.« Sie blickt Berta an, aber die nickt diesmal nur bestätigend. »Bruno Kerr, ein arbeitsloser Lehrer, wohnt unten rechts.« Noreen Dietzen schildert ihn als aggressiven, permanent schlecht gelaunten Alkoholiker: »Der alte Säufer legt sich wirklich mit jedem an. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie der mit Kindern umgehen konnte. Die müssen doch eine Heidenangst vor ihm gehabt haben. Er soll von der Schule geflogen sein, weil er ein Kind geschlagen hat.«

    »Unsinn!« Berta grinst. »Der hat kein Kind, sondern seinen Chef, den Schuldirektor, geschlagen. Und das hatte sicherlich einen Grund. Die Kinder haben den geliebt, der war ein guter Lehrer, streng, aber gerecht. So alt ist der übrigens noch gar nicht, nicht mal sechzig, glaub ich.«

    »Aber er hat Probleme mit dem Alkohol?«

    Die alte Frau sieht Schneider einen Moment lang nachdenklich an, dann erklärt sie entschlossen: »Nein, gar nicht. Nur ohne.«

    Der Kriminalkommissar lacht kurz und trinkt einen Schluck. »Das sind dann wohl alle Hausbewohner. Was wissen Sie denn über das Opfer, Wilhelm Steinberg?«

    »Ach!« Berta, die gerade aufsteht, um frischen Kaffee zu holen, setzt sich schnell wieder hin und blickt den Beamten aufmerksam an.

    Der nickt. »Sie erfahren es ja doch. Wilhelm Steinberg hat gerade telefoniert, als er vom Dach gestoßen wurde. Daher wissen wir, dass er dort nicht allein war. Vermutlich war es jemand aus dem Haus, denn er hat gesagt, der oder die solle die Wäsche woanders aufhängen.«

    Noreen wird blass und sieht den Polizisten entsetzt an. »Sie meinen, es gab einen Mord? Aber das kann doch nicht sein! Vielleicht hat der Steinberg bloß etwas rascheln gehört, eine Maus oder einen Vogel. Und dann hat er sich so erschrocken, dass er vom Dach gefallen ist. Das mit der Wäsche könnte er doch nur mal so auf Verdacht gerufen haben. Im Leuteanbrüllen war er gut. Und im Sparen. Nur diesmal hat ihm sein Geiz das Genick gebrochen. Im wahrsten Sinne des Wortes.« Sie kichert nervös, hält sich aber gleich erschrocken die Hand vor den Mund, als Berta sie missbilligend ansieht.

    »Nein«, Schneider schüttelt den Kopf. »Aus dem Gespräch ging eindeutig hervor, dass er eine ihm bekannte Person, vermutlich einen Mieter, gesehen und angesprochen hat. Hat er das Haus eigentlich gekauft oder hat es ihm schon immer gehört? War er ein Einheimischer?«

    »Nein, nicht direkt. – Hol uns mal noch Kaffee«, weist die ältere Frau die Kellnerin an und wartet, bis die Tassen aufgefüllt sind, bevor sie zu einer längeren Erklärung ansetzt. »Das Haus wurde von seinem Großvater, Artur Steinberg, gebaut. Sein Vater, Friedrich Steinberg, hat es geerbt. Der wurde 1953 enteignet, ist dann in den Westen gegangen und hat das Haus 1990 zurückbekommen. 1995, so ungefähr, ist er gestorben und Wilhelm Steinberg hat es übernommen.«

    »Also war der seit 1995 wieder hier?«

    »Nein. Er hat in Westberlin gelebt. Hat wohl noch bis vor kurzem gearbeitet, obwohl er schon über siebzig ist – war. Er kam seit der Wende bloß einmal im Jahr her. Dann hat er immer hier in der Pension gewohnt. Und was hat der sich aufgeregt. Über die DDR, in der das Haus so heruntergekommen ist, über die Mieter, die nicht ausziehen wollen, und über die Gesetze, die ihm nicht erlauben, die Leute einfach rauszuschmeißen. Wegen der Mieter ist es seinem Vater schon nicht gelungen, das Haus zu verkaufen, jedenfalls nicht zu dem Preis, den er haben wollte. Steinberg hatte nun wohl irgendwo Fördermittel aufgetrieben, vom Denkmalschutz oder so, und wollte sanieren. Dazu hätte er die Bewohner aber loswerden müssen. Die Familie, die unten links gewohnt hat, ist schon ausgezogen, ich schätze, da hat er eine schöne Abfindung gezahlt. Ob er auch die anderen Mieter für ihren Auszug bezahlen wollte, weiß ich nicht, ich kann es mir bei seinem Geiz eigentlich nicht vorstellen. Vermutlich dachte er, wenn im Haus erst mal gebaut wird, ziehen die von allein aus. Er soll behauptet haben, das hat mir Carmen Graf erzählt, wenn die Wohnungen umgebaut wären, könnten die alten Mieter wieder einziehen. Aber es war klar, dass von denen dann niemand mehr eine Wohnung hätte bezahlen können. Das sollten alles Luxuswohnungen werden, die wollte er dann wohl verkaufen. Er hat mir vor Jahren schon mal erzählt, in Berlin gäbe es genügend Leute, die eine Menge Geld für eine Ferienwohnung hier an der Ostsee ausgeben. Na, das war schon immer so, für die wurden die Häuser seinerzeit ja gebaut.«

    »Wenn das Haus unter Denkmalschutz steht und er mit Fördermitteln bauen wollte, hätte er aber nicht viel verändern können«, wirft Schneider ein.

    »Der hätte nur die Fassade erhalten«, erklärt Noreen. »Ich habe seine Baupläne einmal gesehen. Innen hätte er eine Menge Wände weggerissen, das sollten alles große Räume werden, mit offenen Küchen und Luxusbädern. Der Hof und das Hinterhaus wären ganz weg gekommen, da wollte er Tiefgaragen bauen. Ich weiß nicht, was so eine Wohnung kosten sollte, aber mit Sicherheit wäre da kein Einheimischer aus Bansin eingezogen.«

    »Na gut.« Schneider klappt sein Notizbuch zu und verstaut es in der Aktentasche. »Danke für den Kaffee und die Auskünfte. Wenn Ihnen noch etwas einfällt – Sie wissen ja.« Er zwinkert Berta zu, während er ihr die Hand gibt. »Hören Sie sich um, ich komme dann mal wieder vorbei.«

    Als der Kriminalhauptkommissar die Tür hinter sich geschlossen hat, geht Berta an die Treppe, die nach oben zu den Gästezimmern führt, und ruft ihre Nichte. Die blickt kurz darauf mit einem Stapel Handtüchern im Arm über das Treppengeländer nach unten.

    »Was ist denn los? Warum schreist du so? Ich komme sowieso gleich runter, muss nur noch die Handtücher verteilen.«

    Aus der Küche ist das Klappern von Töpfen zu hören. Berta stößt die Schwingtür neben dem Stammtisch auf und ruft hinein: »Wollt ihr heute keine Kaffeepause machen?«

    Renate, die große korpulente Köchin, stellt die Gasflamme unter einem Kochtopf kleiner und wischt sich die Hände an ihrem Vorstecker ab. »Wir kommen«, antwortet sie ihrer ehemaligen Chefin und wendet sich an die junge Küchenhilfe, die Kartoffeln schält. »Du kannst nachher weitermachen, Svea, wir haben noch Zeit.« Sie hat es jetzt eilig, den Besuch des Polizisten hat sie mitbekommen und will wissen, weshalb er da war.

    Zehn Minuten später sitzt auch die rothaarige Wirtin am Stammtisch und hört mit großen Augen dem Bericht ihrer Tante zu. »Der Schneider erinnert sich also, wo man in Bansin nachfragen muss, wenn man einen Mord aufzuklären hat«, stellt sie dann befriedigt fest. Sie überlegt einen Moment. »Aber eigentlich kann das diesmal doch wirklich nicht schwer sein. Ich meine, so viele wohnen da nicht und die meisten werden wohl ein Alibi haben. Kann es wirklich nur ein Hausbewohner gewesen sein? Was meint ihr?«

    Renate zuckt ratlos mit den Schultern und Svea, die kleine dunkelhaarige Küchenhilfe, schweigt ebenfalls. Sie sind noch geschockt von der Vorstellung, dass in ihrer unmittelbaren Umgebung ein Mord geschehen ist und sie den Täter wahrscheinlich sogar kennen.

    »Einen Grund, den vom Dach zu werfen, hatten viele«, überlegt Berta.

    »Er war ein aufgeblasenes Arschloch«, verdeutlicht ihre Nichte Sophie, was ihr einen vorwurfsvollen Blick einbringt.

    »Ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass es jemand aus dem Haus war«, wirft Noreen ein. Leise fügt sie hinzu: »Vielleicht war es ja gar kein Mensch?«

    »Was?« Berta bedenkt sie mit einem skeptischen Blick. »Meinst du, eine Katze hat ihn da runtergestoßen, oder eine Möwe?«

    »Nein.« Die junge Frau errötet ein wenig, was bei ihren blonden Haaren besonders auffällt. »Ich glaube, bei uns im Haus geht nicht alles mit rechten Dingen zu. Ich wohne doch direkt unter dem Dachboden, da habe ich schon öfter nachts komische Geräusche gehört, Schritte und Poltern und so was.«

    »Und so was. Und der Geist wollte gerade seine Wäsche aufhängen, als Steinberg auf dem Dach war?«

    »Vielleicht hat Steinberg das mit der Wäsche nur gesagt, weil er gedacht hat, das sei ein Mieter – bevor er jemanden gesehen hat.«

    »Wer wusste denn, dass er da oben auf dem Dach ist?«, fragt Berta, ohne weiter auf die Geistergeschichte einzugehen, die ihr ganz offensichtlich zu kindisch ist. »Von der Straße aus war er vermutlich nicht zu sehen.«

    »Im Haus wusste es jeder«, sagt Noreen. »Er hat vor einer Woche einen Zettel an die Tür vom Trockenboden gehängt, dass man heute keine Wäsche aufhängen soll, weil das Dach repariert wird. Und dass er das selbst macht, war mit Sicherheit auch jedem klar. Angeblich konnte er sich keine Handwerker leisten, weil wir so wenig Miete zahlen.«

    »Sophie hat Recht«, stellt Berta fest, »wir müssen nur herausfinden, wo jeder Hausbewohner zu der Zeit gewesen ist, das kann doch so schwer nicht sein.«

    »Darum wird sich bestimmt die Polizei kümmern, dazu brauchen die uns nicht«, meint Renate.

    »Die Polizei kann man aber leichter belügen. Wir kennen die Leute, das ist entscheidend, uns erzählen sie mehr als denen. Der Schneider weiß schon, warum er mich um Hilfe bittet. Oder uns«, fügt sie nach einem Seitenblick auf ihre Nichte hinzu.

    »Ich war jedenfalls hier«, erklärt Noreen zufrieden. »Das kann Renate bezeugen und die da drüben weiß es bestimmt auch noch!« Sie ist lauter geworden und deutet mit dem Kopf auf Svea Carstensen. »Wir hatten heute nämlich schon einen schönen Streit.«

    »Na, das wäre ja nichts Neues. Was war denn wieder los?«, fragt Sophie streng.

    »Ich hatte das Radio leise gestellt, damit ich höre, wenn das Telefon klingelt, und Svea ist aus der Küche gekommen und hat es wieder aufgedreht.«

    »Ich wollte eben auch ein bisschen Musik hören. Da lief gerade mein Lieblingssong«, erklärt die Hilfsköchin schüchtern und streicht ihre langen dunklen Haare hinters Ohr.

    Sophie sieht die hübsche junge Frau mit den großen braunen Augen freundlich an. »Wir können ein zweites Radio in die Küche stellen.«

    »Kommt gar nicht in Frage«, empört sich Renate. Die Köchin möchte zumindest akustisch nichts verpassen, was in der Gaststätte, besonders am Stammtisch, der direkt neben der Küchentür steht, passiert. »Du kannst dir doch so ein Ding in die Ohren klemmen, das die Jugendlichen alle haben, da kannst du hören, was du willst. Allerdings solltest du trotzdem mitkriegen, was ich dir sage«, schränkt sie ein.

    Im Haus Klabautermann ist der Chef der Spurensicherung derweil auf der Suche nach dem Hauptkommissar.

    »Der müsste gleich wiederkommen.« Fred Müller, der örtliche Polizist, sieht auf die Uhr. »Er wollte eine Hausbewohnerin auf ihrer Arbeitsstelle befragen. Er ist aber schon eine ganze Weile weg.«

    »Na gut, wir sind dann so weit fertig, wenn noch etwas ist, soll er mich anrufen.«

    Müller, ein großer kräftiger Mann mit kurzgeschorenen Haaren, nickt, zupft unsicher an seiner Uniform und blickt zur Haustür. Ob er schon mal mit der Befragung der anwesenden Mieter beginnt? Schneider hat ihnen nur gesagt, sie sollten in ihre Wohnungen gehen und warten. Aber langsam werden die Leute ungeduldig. Immer wieder tritt jemand ins Treppenhaus und fragt, wie lange das denn nun noch dauert. Sie hätten schließlich noch etwas anderes zu tun. Wahrscheinlich haben sie das dringende Bedürfnis, über den Vorfall in ihrem Haus zu reden, vermutet Müller und kann es niemandem verdenken. Er ist selbst aufgeregt, an einer Mordermittlung ist er schließlich nicht jeden Tag beteiligt.

    Im Hausflur ist es angenehm kühl. Eine breite Steintreppe führt von der Eingangstür zu den Wohnungen im Hochparterre. Die Wände sind mit kunstvoll gemusterten Kacheln verziert, die zum Teil beschädigt sind. Der Boden ist blauweiß gefliest, aber an einigen Stellen durch unpassende Fliesen lieblos ausgebessert. Müller lehnt sich an das elegant geschwungene Treppengeländer, sieht auf die Wohnungstür des Mordopfers und beschließt, mit der Befragung zu warten, bis Schneider als Chef der Mordkommission zurück ist. Er weiß, wie viel Wert der auf diese ersten Gespräche legt, und möchte nichts falsch machen.

    Nachdenklich sieht sich der Polizist im Treppenhaus um. Hier besteht wirklich dringender Sanierungsbedarf. Sah es zu DDR-Zeiten wirklich in allen Häusern so aus? Er kann sich nicht daran erinnern, er war damals noch ein Kind, da empfindet man das vielleicht nicht so.

    Warum ist hier eigentlich noch nichts gemacht worden? Wahrscheinlich fehlte dem Besitzer das Geld. Fred Müller vermutet, dass hier früher oder später Eigentumswohnungen für wohlhabende Sommergäste entstehen sollen. Es wurde schon oft so praktiziert, dass die Wohnungen erst verkauft und von dem Erlös saniert wurden. Anscheinend hat sich das Modell bewährt, allerdings hat er noch nie gehört, dass an solchen Geschäften Einheimische beteiligt waren. Weder als Käufer noch als Verkäufer. – Wilhelm Steinberg war auch kein richtiger Bansiner, obwohl er hier geboren ist.

    Im ersten Stock lauscht Johanna Haase an ihrer Wohnungstür. Nach dem ganzen Gerenne, Gepolter und den lauten Stimmen ist es nun seit zehn Minuten vollkommen still im Treppenhaus. Leise öffnet sie die Tür, tritt an das Treppengeländer und blickt hinunter, auf den Polizisten, der gerade seine Mütze abnimmt und sich über die kurzen Haare streicht. Sie erwägt kurz, ihn anzusprechen, zu fragen, ob sie jetzt endlich einkaufen gehen darf, schleicht dann aber zurück in ihre Wohnung.

    Unruhig läuft sie durch die Zimmer, rückt ein Sofakissen zurecht, zupft an der Gardine, während sie kurz hinausblickt, und setzt sich dann an den Küchentisch.

    »Rücksichtslos«, murmelt die Frau, »einfach rücksichtslos. Alles bringen sie durcheinander.«

    Sie blickt auf einen Schreibblock, der vor ihr liegt, dann auf die Uhr an der Wand.

    »Gleich halb drei«, murmelt sie weiter, »vierzehn Uhr dreißig abwaschen, geht nicht, ich habe noch gar nicht gegessen, ich muss doch erst einkaufen.«

    Johanna Haase springt auf, läuft zur Wohnungstür und legt die Hand auf die Klinke. Dann atmet sie tief durch und geht langsam zurück in die Küche. Sie setzt sich wieder hin, schiebt den Block beiseite und schüttelt über sich selbst den Kopf. Sie weiß ganz genau, dass das alles Unsinn ist, was sie macht, manchmal befürchtet sie, völlig durchzudrehen. Aber sie kann nicht anders, sie braucht ihre Pläne. An denen hält sie sich fest, um nicht ins Bodenlose zu fallen. Wenn sie nicht genau aufschreibt, was zu tun ist und wann sie es tut, ist der Tag vollkommen leer. Sie hat es versucht, hat den Block weggeräumt und einfach den Tag angenommen, so, wie er kam. Es ging nicht. Sie hat immer wieder minutenlang die Wand angestarrt, wusste nicht, was sie tun sollte, und hatte immer das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Aber was ist eigentlich

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