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Alles ist lebend tot: Kriminalroman
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eBook344 Seiten4 Stunden

Alles ist lebend tot: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Eigentlich will Barbara Aubert nach dem Verkauf ihrer Wiener Firma ein ruhiges Leben in der Kleinstadt Tulln führen. Doch die provinzbürgerliche Idylle wird durch einen grausamen Raubmord gestört. Ein wichtiger Kunstsammler wird erschlagen und ein Bild von Egon Schiele gestohlen. Die Prominenz der Stadt gerät unter Verdacht. Der seltsame Professor, die Leiterin des Finanzamts und der Polizeikommandant - bald ist jeder verdächtig. Barbara glaubt sich außer Gefahr, bis sie auf ein Indiz stößt, das sie an Verrat denken lässt.
SpracheDeutsch
HerausgeberGMEINER
Erscheinungsdatum5. Sept. 2018
ISBN9783839257463
Alles ist lebend tot: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Alles ist lebend tot - Natalie Mesensky

    Zum Buch

    Tödlicher Verrat Tulln und Wien, 2018. Die erfolgreiche Unternehmerin Barbara Aubert hat ihre Firma verkauft und übersiedelt aus der Großstadt Wien in die Provinz. Sie renoviert eine alte Villa und beteiligt sich an einer Gärtnerei. Doch die Beschaulichkeit des neuen Lebens endet abrupt. Der Raubmord an einem Kunstsammler ist der vorläufige Höhepunkt einer Einbruchserie, welche die Kleinstadt in Atem hält. Diesmal wird ein Werk von Egon Schiele, dem berühmtesten Sohn Tullns, gestohlen. Gleichzeitig taucht vor Barbaras Haus ein fremder Mann auf. Er behauptet sein Großvater, ein Freund Egon Schieles, wäre in ihrer Villa aufgewachsen. Barbara ist misstrauisch. Doch bei Entrümpelungsarbeiten entdeckt sie ein altes Notizbuch und eine Mappe mit Zeichnungen. Gemeinsam mit ihrer Freundin Ines recherchiert Barbara die Geschichte ihres Hauses und ehe sie sich versieht, gerät sie in ein Netz von Intrigen, Verrat und Mord. Und die Freundschaft der beiden Buben Egon und Johann zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wird Teil ihrer eigenen Geschichte.

    Natalie Mesensky wurde 1964 in Wien geboren. Nach der Matura in einer Klosterschule immatrikulierte sie an der Universität Wien und studierte Biologie. 1988 war sie Mitglied des archäologischen Grabungsteams, das in der Wachau die damals älteste Venusstatuette der Welt fand: Fanny, die Venus vom Galgenberg. Auf dieses Schlüsselerlebnis folgte der Umstieg auf ein Studium der Ur- und Frühgeschichte. Die Autorin war aktives Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Experimentelle Archäologie, hat viele Jahre für Museen sowie auf archäologischen Ausgrabungen gejobbt und wissenschaftliche Arbeiten publiziert. Nach der Gründung eines Büros für Öffentlichkeitsarbeit wechselte sie in die Softwarebranche. Heute lebt die Autorin im Salzkammergut. Natalie Mesensky hat für »Alles ist lebend tot« ein Arbeitsstipendium des Landes Oberösterreich erhalten. www.mesensky.eu

    Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

    Der Teufel im Glas (2016)

    Im Namen der Venus (2015)

    Impressum

    Personen und Handlung sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

    sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    1. Auflage 2018

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Egon_Schiele_-_Sonnenbaum_-_1910.jpeg

    ISBN 978-3-8392-5746-3

    Widmung

    Für meine Mutter

    Schauplatz und Personen

    Wien und Tulln, im Frühjahr 2018

    Barbara Aubert, 45, Unternehmerin aus Wien, hat ihre Firma verkauft und orientiert sich neu. Ihre Freundin ist

    Ines Zeller, 51, Archäologin und Tochter eines ehemaligen Sektionschefs im Innenministerium.

    Leonie Bogner, 34, ist Barbaras neue Geschäftspartnerin, Witwe des Erben einer Gärtnerei und Mutter von Sami,14, und Alex,12.

    Oberst Paul Kandler, 52, Barbaras Freund und Ermittler beim Bundeskriminalamt in Wien. Sein Assistent ist

    Dr. Bauer, 41, Jurist.

    Dr. Martin Widhalm, 60, Bezirkspolizeikommandant in Tulln, ist verheiratet mit

    Direktor Katharina Widhalm, 50, Schuldirektorin in Tulln.

    Dr. Gudrun Kohl, 35, ist Leiterin des Finanzamts und Kassier im Museumsverein, dessen Obmann

    Prof. hc. Dr. Johann Urban, 76, pensionierter Oberarzt im Krankenhaus Tulln und ehemaliger Chef von

    Dr. Sabine Gruber, 48, die auch Notarzt fährt.

    TANNENWALD.

    ICH KEHRE EIN IN DEN ROTSCHWARZEN

    DOM DES DICHTEN TANNENWALDES,

    DER OHNE LÄRMEN LEBT UND

    MIMISCH SICH ANSCHAUT.

    DIE AUGENSTÄMME DIE DICHT

    SICH GREIFEN UND DIE SICHTBARE

    NASSE LUFT AUSATMEN.

    WIE WOHL!

    ALLES IST LEBEND TOT.

    Egon Schiele 1910.

    Freitag, 4. Mai 2018

    In der Nacht auf Samstag starb Erich Hickel.

    Sein schmaler Körper lag seltsam verkrümmt am Ende der polierten Holztreppe in der Eingangshalle seiner Villa. Dunkel umkränzte geronnenes Blut das schneeweiße Haupt des alten Mannes. Seine Hände waren mit Kabelbindern auf dem Rücken gefesselt. Die dünnen Beine steckten in hellblauen Pyjamahosen und waren eng an die Brust gezogen. Zerschellt lag er da. Wie ein junger Vogel, der aus dem Nest gefallen war.

    Es war ein Morgen wie jeder andere gewesen. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass er heute sterben würde. Der tägliche Spaziergang entlang des Altarms der Donau in die Stadt hinein. Zarte Nebel verdeckten die aufgehende Sonne und ließen das Blau des Himmels erahnen. Es würde ein heißer Tag werden. Man konnte den Fluss riechen.

    Ein Graureiher pirschte durch das dunkelgrüne Wasser und fing einen Fisch. Erich Hickel blieb stehen und beobachtete wie der Reiher seine Beute im Schnabel in die richtige Position rückte, um ihn zu schlucken. Hickel wartete, bis der Fisch durch den Schlund des Vogels gezuckt und in seinem Magen gelandet war. Dann war Ruhe. Hickel sog die Luft und den schlammigen Geruch des Auwaldes bis tief in die Spitzen seiner Lungen und setzte seinen Weg fort. Der Spaziergang durch den Wald in die Stadt, war ein im Lauf der Jahrzehnte gern gepflegtes Ritual. Wie das tägliche Frühstück im Kaffeehaus auf dem Hauptplatz. Hickel saß, soweit es das Wetter zuließ und der Schanigarten aufsperrte, immer am selben Tisch in der ersten Reihe. Sein Stuhl noch im Schatten der roten Markise, der Tisch und die Zeitung schon in der wärmenden Sonne. Zwei Semmeln. Eine dünn mit gesalzener Butter, die andere süß und schwer mit Marillenmarmelade bestrichen. Das wachsweiche Ei und ein großer Espresso. Kein Orangensaft, aber ein Glas temperiertes Leitungswasser.

    Dann der Einkauf auf dem Wochenmarkt wie jeden Freitag. Man kannte ihn in der Stadt und er mochte das. Zufriedenes Grüßen nach links und nach rechts. Den Einkaufskorb über die Theke des Marktstandes reichen, sodass die Verkäuferin das Gemüse und den Käse einpacken konnte.

    Auf dem Heimweg über den Hauptplatz, schwer beladen, drängte er sich an einem Lieferwagen vorbei, der widerrechtlich auf dem Gehsteig parkte. Wie ärgerlich, dachte er und blieb stehen, um den Möbelpackern Platz zu machen. Bei der Gelegenheit warf er einen neugierigen Blick in das Schaufenster der Baustelle. Ein schönes Haus aus dem 16. Jahrhundert. Er kannte das Geschäft seit seiner Schulzeit. Damals wurden in der alten Bäckerei die besten Salzstangerl im Bezirk gebacken. Jetzt Blumen. Naja. Morgen würde die neue Lokalität eröffnet werden. Er las das Plakat mit der Einladung – Prosecco und Brötchen am Samstagvormittag – zuckte mit den Schultern und ging weiter. Er gehörte ja nicht zu denen, die sich dem Tratsch widmeten. Obwohl er sich schon fragte, woher die gnädige Frau das Geld hatte, das alte Geschäft vom Bäcker Gruber so kostspielig zu renovieren. Die neue Verglasung der Schaufenster, der renovierte Marmorboden. Die angelieferten Möbel waren vom Tischler. Alles nach Maß gearbeitet. Ob sie gut geschieden war? Oder hatte sie geerbt? Kinder waren angeblich keine da und die Dame war nicht mehr die Jüngste, erzählte man sich. Die Villa vom alten Stadler hatte sie auch gekauft. Und sie war ungewöhnlich rasch eingezogen. Die Vorbesitzer hatten ewig an dem Haus renoviert, sich schließlich mit dem Denkmalamt zerstritten und das Anwesen zum Verkauf angeboten. Er wechselte den Einkaufskorb in die andere Hand und erinnerte sich an das Gespräch mit seinem Freund, dem Landeskonservator. Diese Neue hatte sich von den Beamten nichts sagen lassen und bereits nach kurzer Verhandlung ihren Willen durchgesetzt. Hickel hätte ihr die Sache mit dem Turm und dem Schwimmteich ohne Diskussion durchgehen lassen. Der Denkmalschutz sollte sich nicht so aufspielen. Tulln war Tulln. Provinz. Von wegen Ensembleschutz. Ob die Villa originalgetreu renoviert wurde oder nicht? Dem alten Stadler wäre es egal gewesen, murmelte er. Die Stadlers hatten auch keinen Geschmack gehabt.

    Ein Tag wie jeder andere.

    Zu Hause angekommen räumte er die Einkäufe aus, erledigte seine Korrespondenz und ein paar Telefonate. Die Gemäldegalerie im Belvedere in Wien wollte eines seiner Bilder von Egon Schiele in der kommenden Sonderausstellung zeigen. Er schüttelte unmerklich den Kopf. Wie oft sollte er das Angebot noch ablehnen? Er fühlte sich nicht wohl, wenn er seine Bilder außer Haus wusste. Ausstellen war gefährlich. Obwohl er darauf achtete, dass sein Name nicht genannt wurde. »Leihgeber privat« war ausreichend. Niemand musste wissen, welche Werte er in seiner Villa verwahrte.

    Er wärmte die Suppe, die ihm Frau Eder vorbereitet hatte und ging früh zu Bett, um noch ein paar Seiten zu lesen.

    Ein hartes Klirren weckte ihn. Er horchte angestrengt in die Dunkelheit. Hatte er geträumt? Das Herz hämmerte in seiner Brust. Er drehte die Lampe auf dem Nachttisch auf. Nichts zu hören. Alles war still. Bis auf den Ruf der Käuzchen in der Tanne vor dem Haus.

    Hickel war nun hellwach. Hatte er das Scherengitter auf der Terrasse geschlossen? Er konnte sich nicht erinnern. Vielleicht sollte er doch die Alarmanlage scharf stellen? Er hasste dieses neumodische Zeug, zu dem ihn die Versicherung gezwungen hatte. Er glitt aus dem Bett und tappte auf nackten Füßen durch den Flur Richtung Stiegenhaus. Der kühle Parkettboden knarrte unter seinen Schritten.

    Die drei Männer mit den schwarzen Sturmhauben spielten zusammen wie die Räder eines Uhrwerks. Sie sprachen kein Wort. Einer verklebte ihm den Mund mit silbernem Klebeband. Das machen die nicht zum ersten Mal, dachte er und hatte Angst zu ersticken. Panik überkam ihn. In seiner Brust brannte es wie Feuer. Der Hals schwoll zu. In den Schläfen pulsierte das Blut, als ob es seinen Kopf sprengen wollte. Der andere packte ihn an der Schulter und stieß ihn in das Arbeitszimmer. Der Kleinste der drei trat hinter den Schreibtisch, an dem schon sein Vater gesessen war, und nahm den goldenen Rahmen von der Wand. Schwarze Kreide auf Papier. Blaugrüne Blätter mit zarten Blüten, die wie rote Glocken an zerbrechlichen Zweigen hingen.

    »Nicht den Schiele«, wollte er rufen. Er kämpfte. Wand sich wie der Fisch im Schnabel des Reihers. Wollte sich aus der Umklammerung lösen und wurde hart zu Boden geworfen. Stöhnte. Reckte den Hals. Wollte unbedingt sehen, was sie mit seinem Bild machten. Als sie das Papier aus dem Rahmen lösten, war es, als ob sie ihm sein Herz aus dem Leib schnitten. Seine Mutter hatte das Bild geliebt. Er konnte ihr Parfum riechen, wenn er die Zeichnung ansah. Ihr Lachen hören. Ihre Wärme spüren. Sie rissen das Klebeband von seinem Gesicht.

    »Nicht die Fuchsien!«, bettelte er und suchte den Blick seines Angreifers. Dann verstand Erich Hickel. Er schloss die Augen und schmeckte das Salz seiner Tränen.

    Samstag, 5. Mai

    »Sie haben den Professor umgebracht!«

    Mit einem Schlag erstarb das Stimmengewirr im Blumenladen. Die Eröffnungsgäste blickten gebannt zum Eingang. Eine ältere Frau mit flotter Kurzhaarfrisur stieg die Stufen in das Verkaufslokal hinunter. Totenstille machte sich in dem alten Gewölbe breit. Barbara Aubert stand hinter der Theke. Sie legte den Blumenstrauß, den sie eben in Papier gepackt hatte, zur Seite und sah sich nach ihrer Geschäftspartnerin um. Sicher kannte Leonie diese Frau, die an den Stehtisch beim Schaufenster getreten war und sich von einem Kunden ein Glas Prosecco reichen ließ. Leonie kannte jeden in der Stadt.

    »Die Einbruchserie ist endgültig eskaliert.« Die Frau trank einen Schluck und tupfte sich mit dem Handrücken über die Oberlippe. »Jetzt haben wir einen Raubmord«, sagte sie.

    Ein Raunen ging durch den Laden.

    »Wer ist das Opfer?«, fragte ein junger Mann.

    »Der Professor Hickel«, antwortete die Frau. »Das habe ich doch schon gesagt. Sie haben den Professor Hickel ermordet.«

    Ein anderer Kunde bekreuzigte sich. »Wann ist das passiert?«, fragte er.

    »Sie kommen immer in den frühen Morgenstunden. Das ist die übliche Vorgangsweise dieser Bande.«

    Leonie trat mit zwei Servierplatten aus dem Arbeitsraum hinter dem Laden.

    »Was ist denn hier los?«, flüsterte sie Barbara zu.

    »Irgendein Professor ist umgebracht worden.« Barbara tippte den Preis des Blumenstraußes in die Kassa. »Raubmord«, fügte sie dann hinzu.

    »Na bravo.« Leonie stellte eine der Platten mit den Brötchen auf die Theke. Rasch erfasste sie die Situation. »Das ist die Frau von unserem Polizeikommandanten«, erklärte sie. »Die Frau Direktor Widhalm. Komm mit! Es schadet nicht, wenn ihr euch kennt.«

    Barbara kassierte das Geld und folgte Leonie. Um Frau Direktor Widhalm hatte sich bereits eine Menschentraube gebildet.

    »Haben sie den Täter schon gefasst?«, fragte eine elegant gekleidete Dame.

    Frau Direktor Widhalm nahm eines der Schinkenbrötchen, die ihr Leonie anbot und senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Raunen: »Mein Mann wartet noch aufs Fernsehen. Ich darf erst nach der Pressekonferenz über die Ermittlungen sprechen.«

    Sie spülte das Brötchen mit Prosecco hinunter und gab so unwillkürlich das Signal, dass die Vorstellung beendet war. Das Gedränge löste sich auf und die Gespräche sprangen wieder an.

    Barbara stellte sich als Miteigentümerin des Blumenladens vor. Frau Direktor Widhalm übersah ihre ausgestreckte Hand und blickte sich ostentativ im Laden um.

    »Schön habt ihr es hier«, sagte sie. »Die Leonie hat halt ein Gespür für Design. Sehr stilvoll diese dunklen Holzregale mit den Keramikvasen. Wie war noch mal Ihr Name?«

    »Barbara Aubert.«

    »Ich habe gehört, Sie hatten Probleme mit dem Denkmalamt?«

    Barbara lächelte ihren Ärger weg.

    »Da wissen Sie mehr als ich,« sagte sie.

    »Sie sind aber schon diese Frau, die die Stadler-Villa gekauft hat, nicht wahr?«

    Barbara nickte.

    »Man hört, Sie hatten vor, den Turm abzureißen?«

    »Hört man das?« Barbara hatte nun doch Mühe, freundlich zu bleiben.

    »Wenn’s Ihnen gefällt … ein altes Haus muss man halt auch erhalten können.« Frau Widhalm wandte sich einer jungen Frau zu, die schon länger neben Barbara gestanden war und darauf gewartet hatte, sich ins Gespräch zu mischen. Offensichtlich war Barbaras Audienz beendet. Sie ging hinter die Theke, um die nächste Platte mit Brötchen zu richten. Der Raubmord hatte den Gästen nicht den Appetit verdorben.

    »Die Widhalm ist eine Frau ohne Makel«, sagte eine Stimme hinter Barbara. Sie drehte sich um und blickte in freundliche, hellblaue Augen. »Ich bin die Sabine«, stellte sich die Frau vor. Sie war nicht mehr ganz jung, sehr schlank und trug die grauen Haare raspelkurz. Der Lippenstift war für den schmalen Mund eine Spur zu dunkel.

    »Die Widhalm ist der Typ, der einem immer das Gefühl vermittelt, unzulänglich zu sein«, sagte sie.

    »Du meinst, ich soll’s nicht persönlich nehmen?«, fragte Barbara.

    »Ich weiß, wovon ich rede«, nickte Sabine. »Die Widhalm ist die Chefin meiner Frau. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir jeden Abend anhören kann.«

    Barbara war kurz irritiert. Dann wechselte sie das Thema.

    »Was sagst du zu dem Raubmord?«, fragte sie.

    »Grausliche Sache«, Sabine stibitzte ein Dekorationsgurkerl von einem Brötchen. »Wir waren diesmal vor der Polizei da.«

    Barbara schaute sie fragend an.

    »Ich fahre Notarzt und hatte heute Nacht Dienst.«

    »Du hast die Leiche gesehen?«

    »Zwangsläufig«, sagte Sabine. »Der Professor ist am Fuß der Freitreppe in der Eingangshalle gelegen. Eine Szenerie wie in einem schottischen Schloss. Unglaublich. Der Hickel hatte eine Riesenvilla. Sie ist um einiges größer als deine.«

    Wunderbar, dachte Barbara. Sabine wusste also auch, wo sie wohnte. Diese Stadt war ein Dorf. Aber selbst gewählt und selber schuld. Niemand hatte sie gezwungen, Wien zu verlassen.

    »Die Villa Hickel ist vollgestopft mit Kunst«, erzählte Sabine. »Der Vater vom alten Hickel war ein mittelmäßiger Maler. Heute kennt den keiner mehr. Aber er war ein Freund von Schiele und Klimt und hat eine sagenhafte Sammlung hinterlassen.«

    »Aha.« Barbara hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie wollte das Geschehen im Laden im Blick behalten.

    »Meine Frau ist auch Malerin«, erzählte Sabine. »Sie verschenkt aber mehr, als sie verkauft.«

    »Diese wertvollen Gemälde verwahrte der Professor in der Villa? In einem normalen Haus?«

    Sabine stibitzte ein weiteres Gurkerl. Barbara widerstand dem Drang, sich daran zu stören.

    »Die Villa vom Hickel ist ein Kunstwerk. Jugendstil vom Feinsten und das Haus war sehr gut gesichert. Ich habe gehört, –«

    »In dieser Stadt hören alle sehr gut«, Barbara unterbrach sie.

    »Ich merke das gar nicht mehr«, lachte Sabine. »Vielleicht bin ich schon zu lange hier.«

    »Hatte der Hickel keine Alarmanlage?«

    »Die Alarmanlage war nicht aktiviert. Es hat ein paar Fehlalarme gegeben und die Polizei hat gedroht, dem Hickel die Einsätze zu verrechnen. Er war sehr sparsam.«

    »Wer hat ihn gefunden?«, Barbara nickte einer Kundin zu, die das Geld für einen Strauß Bauernrosen auf die Theke zählte und druckte einen Kassenbeleg aus.

    »Die Frau Eder konnte nicht schlafen«, erzählte Sabine. »Deshalb war sie im Morgengrauen unterwegs und hat entdeckt, dass die Eingangstür der Villa Hickel nur angelehnt war. Sie hat sofort den Notruf gewählt. Ich glaube, sie ist gar nicht ins Haus gegangen. Eh besser für sie. Das muss keiner sehen, der weiter ruhig schlafen will. Obwohl, schlafen kann sie ja eh nicht …«

    »Wie wurde er umgebracht?«

    »Ich vermute, sie haben ihn mit einem Totschläger oder einer Stahlrute erschlagen. Der Schädel war aufgeplatzt. Wie eine Melone, die man aus dem dritten Stock wirft.«

    Barbara wurde flau im Magen. Was für ein seltsamer Vergleich.

    »Ich bin keine Gerichtsmedizinerin.« Sabine nahm eines der halbnackten Brötchen, denen sie vorhin die Dekoration weggegessen hatte und biss hinein. »Ich tippe …«, sagte sie mit vollem Mund, besann sich und schluckte hinunter. »Ich tippe auf einen Totschläger.«

    »Einen Totschläger?«

    »Ein Totschläger ist eine flexible Rute mit einem Griff an dem einen und einem Gewicht am anderen Ende«, erklärte Sabine. »Damit erzielst du einen Peitscheneffekt und kannst dein Opfer ratzfatz betäuben. Oder töten. Ich verwende einen Totschläger beim Fischen.«

    »Du meinst angeln?«

    »Genau dieses Fischen«, nickte Sabine. »Ich habe drüben auf der anderen Seite der Donau, in der Au meinen Platz. Vielleicht hast du Lust mich einmal zu begleiten?«

    »Vielleicht.«

    »Ich würde mich freuen«, sagte Sabine. »Aber jetzt erzähl von dir. Ich habe gehört, du hattest eine Firma in Wien. Software oder so. Die hast du verkauft und dich mit dem Geld an der Gärtnerei von der Leonie Bogner beteiligt?«

    »Dem habe ich nichts hinzuzufügen«, sagte Barbara.

    »Das muss eine Riesenfirma gewesen sein.«

    »Naja. Wie man’s nimmt.«

    »Immerhin hast du auch die Villa vom Stadler gekauft. Die Renovierung –«

    »Es ist sich ausgegangen.«

    »Ich bin zu aufdringlich. Ich weiß. Dieses ›Leute ausfragen‹ ist eine Berufskrankheit. Meine Frau beschwert sich immer über mich. Sie sagt, ich behandle alle Leute, als ob ich ihre Anamnese aufnehmen würde. Entschuldige bitte.«

    »Es ist ja kein Geheimnis«, beruhigte sie Barbara. »Nach dem Verkauf meiner Firma wollte ich es noch einmal wissen und habe alles auf eine Karte gesetzt.«

    »Warum?«, fragte Sabine.

    Barbara überlegte. »Ich habe mir einen Kindheitstraum erfüllt«, sagte sie dann. »Ich wollte schon immer ein Blumengeschäft haben. Vielleicht, weil ich diesen speziellen Duft im Laden so liebe.«

    Sabine schnupperte.

    »Es riecht nach frischer Farbe und Lösungsmittel«, sagte sie.

    *

    Barbara schleppte die letzte Kiste mit schmutzigem Geschirr zum Lieferanteneingang. Dann zog sie die Schuhe aus und ging barfuß zurück in den Arbeitsraum. Sie öffnete den Kühlschrank, entschied sich für eine Flasche Riesling und suchte nach einem sauberen Glas. Sie würde mit sich selbst auf den heutigen Tag anstoßen. Alles war perfekt gelaufen. Sie hatten den Großteil der Ware verkauft und den leeren Flaschen nach zu urteilen, hatte die halbe Stadt zur Eröffnung des Blumenladens vorbeigeschaut. Ohne Leonie, die in Tulln tief verwurzelt war, hätten sie das nie geschafft. Leonie war ein Schatz. Barbara hatte sie fast überreden müssen, endlich nach Hause zu gehen und sich um ihre Töchter zu kümmern. Die beiden Mädchen waren die letzten Wochen sicher zu kurz gekommen. Barbara drehte den Schraubverschluss der Flasche auf und schenkte den Wein in ein Sektglas. Leonie würde lernen Verantwortung abzugeben. Seit dem Tod ihres Mannes war sie gewohnt, die Gärtnerei alleine zu führen. Und sie selbst?, fragte sich Barbara. Wie kam sie mit ihrer neuen Lebenssituation zurecht? Seit sie nach Tulln übersiedelt war, in eine Kleinstadt 40 Kilometer von Wien entfernt, verhielten sich ihre Freunde, als ob sie an das andere Ende der Welt ausgewandert wäre. Einzig Ines hatte sich entschuldigt und würde morgen zum Frühstück kommen. Auch ehemalige Geschäftspartner hatten auf ihre Einladung nicht reagiert. Nicht einmal eine Absage war sie wert gewesen. Es war, als ob sie nach dem Verkauf ihres Unternehmens aufgehört hätte zu existieren. Obwohl die Eröffnung ein Erfolg gewesen war, blieb ein bitterer Nachgeschmack zurück. Mehr als das, dachte Barbara. Es tat weh.

    Das harte Klopfen an der Auslagenscheibe schreckte sie aus ihren Gedanken. Sie ging in den Verkaufsraum und blickte durch die Glastür nach draußen. Auf dem Gehweg vor dem Laden stand ein älterer Herr in Jeans und einem dunklen Poloshirt. Im Gegenlicht der Straßenlaterne war sein Gesicht nicht zu erkennen. Barbara suchte auf der Theke nach dem Schlüssel, lief barfuß zur Tür, stellte ihr Weinglas auf den Boden und sperrte umständlich die beiden Schlösser auf Höhe des Fußbodens auf.

    »Ich habe noch nicht viel Übung«, entschuldigte sie sich und hielt ihm die Tür auf.

    »Ich habe Licht brennen sehen«, er ging an ihr vorbei, die Stufen ins Gewölbe hinunter. »Andernfalls hätte ich mich nicht getraut zu klopfen.«

    Er sah sich um.

    »Schön haben Sie es hier«, sagte er dann. »Die Regale hinter der Budel kenne ich noch von der Bäckerei.«

    »Wir haben uns Mühe gegeben.« Barbara sperrte hinter ihm ab.

    Er hatte einen kleinen Bauchansatz, der sich aber bei seiner Größe gut verteilte. In dem grauen Dreitagebart leuchteten letzte blonde Sprenkel. Er zog die Brille von der Stirn, setzte sie auf die Nase und schaute auf das Weinglas in ihrer Hand.

    »Darf ich Sie auf ein Glas Riesling einladen?«, fragte sie.

    »Gern«, sagte er.

    Barbara ging nach hinten in den Arbeitsraum.

    »Lassen Sie immer fremde Männer nach Geschäftsschluss ins Lokal?«, rief er ihr nach.

    »Sie schauen nicht gefährlich aus.« Barbara spülte ein Glas aus, schenkte den Wein ein und kam zurück in den Verkaufsraum.

    Er zog einen Ausweis aus der Gesäßtasche seiner Hose.

    »Widhalm«, las Barbara. »Da kann mir ja nichts passieren. Sie sind doch der Polizeichef?«

    »Bezirkspolizeikommandant.«

    »Ihre Gattin hat uns heute auch schon besucht.«

    »Sie ist der Anlass meines nächtlichen Überfalls«, sagte er. »Meine Frau hat Hochzeitstag und Sie sind meine letzte Rettung. Ohne Blumen

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