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Die Freifrau und der fremde Tod – Drei Romane
Die Freifrau und der fremde Tod – Drei Romane
Die Freifrau und der fremde Tod – Drei Romane
eBook961 Seiten12 Stunden

Die Freifrau und der fremde Tod – Drei Romane

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Über dieses E-Book

Peter Schrenk, einer der ersten Autoren, die das Genre »Regionale Krimis« bediente, der von einer Tageszeitung als der »Vater des Düsseldorfer Krimis« bezeichnet wurde, war ein Autor, der von seinen Werken klare Vorstellungen hatte.

Mit diesem Kompendium möchten wir dem Mitbegründer des Regionalen Krimis Peter Schrenk unsere Ehre erweisen und uns dafür bei ihm bedanken.

 

In diesem Band ist Peter Schrenks erster Roman EIN FREMDER TOD weiterhin OHNE OBLIGO, einer seiner Lieblingsromane sowie der erste Roman um die FREIFRAU – DIE FREIFRAU UND DER BOMBER, in dem er einen Teil seiner eigenen Lebensgeschichte verarbeitet hat, enthalten.

An Ende dieses Bandes gibt es einen kleinen privaten Einblick in das Leben des Peter Schrenk, aufgeschrieben von einer Frau, die ihn kannte wie kaum ein anderer.

Wer bislang noch keine Möglichkeit genutzt hat, die Romane Peter Schrenks zu lesen, wird mit drei vorzüglichen Krimigeschichten belohnt. Jeder der Romane ist ein Kleinod der Kriminalliteratur – spannend, atemberaubend, hintergründig und unterhaltsam

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum13. Nov. 2023
ISBN9783755406075
Die Freifrau und der fremde Tod – Drei Romane

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    Buchvorschau

    Die Freifrau und der fremde Tod – Drei Romane - Peter Schrenk

    Impressum

    Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv

    Cover: © by Steve Mayer mit Kerstin Peschel, 2022

    Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten

    Inhaltsverzeichnis

    Impressum

    Das Buch

    Vorwort

    Ein fremder Tod

    Prolog

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    18. Kapitel

    19. Kapitel

    20. Kapitel

    21. Kapitel

    22. Kapitel

    23. Kapitel

    24. Kapitel

    25. Kapitel

    26. Kapitel

    27. Kapitel

    28. Kapitel

    29. Kapitel

    30. Kapitel

    31. Kapitel

    32. Kapitel

    33. Kapitel

    34. Kapitel

    35. Kapitel

    36. Kapitel

    37. Kapitel

    38. Kapitel

    39. Kapitel

    40. Kapitel

    41. Kapitel

    42. Kapitel

    43. Kapitel

    44. Kapitel

    45. Kapitel

    46. Kapitel

    47. Kapitel

    48. Kapitel

    49. Kapitel

    50. Kapitel

    51. Kapitel

    52. Kapitel

    53. Kapitel

    54. Kapitel

    55. Kapitel

    56. Kapitel

    57. Kapitel

    58. Kapitel

    59. Kapitel

    60. Kapitel

    61. Kapitel

    62. Kapitel

    63. Kapitel

    64. Kapitel

    65. Kapitel

    66. Kapitel

    67. Kapitel

    68. Kapitel

    69. Kapitel

    70. Kapitel

    71. Kapitel

    72. Kapitel

    Ohne Obligo

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    18. Kapitel

    19. Kapitel

    20. Kapitel

    Die Freifrau und der Bomber

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    Epilog

    Nachwort

    Mein Freund Peter

    Folgende Werke sind von Peter Schrenk erschienen:

    Das Buch

    Peter Schrenk, einer der ersten Autoren, die das Genre »Regionale Krimis« bediente, der von einer Tageszeitung als der »Vater des Düsseldorfer Krimis« bezeichnet wurde, war ein Autor, der von seinen Werken klare Vorstellungen hatte.

    Mit diesem Kompendium möchten wir dem Mitbegründer des Regionalen Krimis Peter Schrenk unsere Ehre erweisen und uns dafür bei ihm bedanken.

    In diesem Band ist Peter Schrenks erster Roman EIN FREMDER TOD weiterhin OHNE OBLIGO, einer seiner Lieblingsromane sowie der erste Roman um die FREIFRAU – DIE FREIFRAU UND DER BOMBER, in dem er einen Teil seiner eigenen Lebensgeschichte verarbeitet hat, enthalten.

    An Ende dieses Bandes gibt es einen kleinen privaten Einblick in das Leben des Peter Schrenk, aufgeschrieben von einer Frau, die ihn kannte wie kaum ein anderer.

    Wer bislang noch keine Möglichkeit genutzt hat, die Romane Peter Schrenks zu lesen, wird mit drei vorzüglichen Krimigeschichten belohnt. Jeder der Romane ist ein Kleinod der Kriminalliteratur – spannend, atemberaubend, hintergründig und unterhaltsam.

    ***

    Die Freifrau und der fremde Tod

    Drei Kriminalromane von Peter Schrenk

    Vorwort

    Peter Schrenk, der im April 2020 viel zu früh verstorben ist, war ein Krimiautor, der nicht einfach nur Krimis schrieb. Bei ihm war jedes Manuskript etwas Besonderes.

    In der DDR geboren, nach dem frühen Selbstmord-Tod der Mutter 1958 zum Vater nach Hamburg umgesiedelt, dort aufgewachsen und in Düsseldorf den Großteil seines Lebens verbracht; was liegt da näher, als seine Geschichten in den Städten anzusiedeln, in denen er sich auskannte, in denen er zu Hause war?

    Eine Tageszeitung schrieb einmal von ihm, er sei der »Vater des Düsseldorfer Krimis".

    Fakt ist auch, dass er einer der ersten Autoren war, die das Genre »Regionale Krimis« bediente, und damit einen großen Markt für die Leserinnen und Leser eröffnete. Seine Werke waren äußerst penibel recherchiert, in einigen verarbeitete er auch ein Stück seiner eigenen Lebensgeschichte; unter anderem in den drei Romanen um die FREIFRAU, von denen noch mindestens sechs Stück angedacht waren. Dadurch sind seine Kriminalromane besonders tiefgründig und authentisch und wirken an keiner Stelle oberflächlich.

    Wie ich erfahren habe, wurde im Lektorat um jedes Wort, das ausgetauscht, jede Formulierung, die geändert werden sollte, hart gekämpft. Seine Liebe zu seiner Wahlheimat Düsseldorf kommt in allen seinen Werken zum Ausdruck. Dadurch hat er nicht nur seinen Werken, sondern auch Düsseldorf etwas ganz Besonderes gegeben.

    Vitus H. Benedict war Peter Schrenks Kriminalhauptkommissar im 1. Kommissariat. Mit ihm hat er einen/seinen Ermittler geschaffen, der uns in seinen Kriminalromanen begleitet und der stets bemüht ist, die Fälle zu lösen, die ihm übertragen wurden, was in keinem Fall eine leichte Aufgabe ist.

    Peter Schrenk hatte seine eigene, ganz besondere Erzählsprache, der es nicht immer einfach ist zu folgen. Er kreierte Wortschöpfungen, die man jedoch durch seine Art zu erzählen, ohne Probleme verstehen und nachvollziehen kann.

    Er hatte als Autor noch viel vor, Ideen für neue Buchprojekte reifte bereits in seinem Kopf. Leider kam er nicht mehr dazu, diese in die Wirklichkeit umzusetzen.

    Mit diesem Band möchten wir Peter Schrenk, der ein ganz besonderer Mensch und Autor war, unsere Ehre erweisen. Er hatte kurz vor seinem Tod von diesem Band erfahren und meinte dazu: »Das finde ich gut.«

    An Ende dieses Bandes gibt es noch einen kleinen privaten Einblick in das Leben des Peter Schrenk, aufgeschrieben von Gabi, einer Frau, die ihn kannte wie kaum ein anderer.

    Kerstin Peschel (2022)

    ***

    Ein fremder Tod

    Ein Düsseldorf-Krimi

    Prolog

    »Kampai!«

    Die vier anderen Herren um den niedrigen Holztisch griffen nach den schweren Kristallgläsern mit der honigfarbenen Flüssigkeit und erwiderten den Trinkspruch des ältesten Spielers höflich.

    Das leise, durch einen dünnen Spalt der nicht ganz geschlossenen, hölzernen Schiebetür hereindringende Klappern von Geschirr bildete für einen kurzen Augenblick die einzige Geräuschkulisse in dem kleinen Raum.

    Schwaden grau-blauen Zigarettenrauches entwichen durch den schmalen Spalt, um nach einem arabesk wirbelnden Tanz im Wärmedunst einer entfernten Küche zu verschwinden.

    Die Umrisse einer am Spielzimmer vorbeihuschenden Bedienung im Kimono zeichneten sich flüchtig auf dem festen, weißen Papier der Türbespannung ab.

    »Kampai!«

    Nochmals beantworteten die vier Männer den Trinkgruß des freundlichen Herrn mit dem Buddhagesicht respektvoll und erhoben die Gläser mit feinem Suntory-Whisky gegen ihn, um sich dann entspannt in die federnden Holzlehnen ihrer Bodensitze zurückzulegen und das milde Brennen des Alkohols in den Kehlen zu genießen.

    Dann wurden die elfenbeinfarbenen Spielsteine mit den chinesischen Zeichen von den Herren auf dem Tisch zusammengeschoben. Diesen Moment hatten sie genussvoll hinausgezögert. Das sanfte Klicken war ein schönes Geräusch. Die Mahjong-Partie war damit beendet.

    Mit Wohlbehagen rülpsend, erhob sich Herr Fukuda von seinem Sitz und legte den bequemen Männerkimono, den Yukata, ab. Der mit fünfundsechzig Jahren älteste Spieler der Runde beantwortete mit unsicheren, etwas steif wirkenden Bewegungen die Höflichkeitserweisungen der sich mühsam erhebenden Mitspieler und ging dann, leicht torkelnden Schrittes, zur Schiebetür des fensterlosen Raumes.

    Beim Abschied wandte er sich nochmals den in leichter Verbeugung harrenden Männern zu und betrachtete sie prüfend im matten Licht der in die Wandtäfelung eingelassenen Lampen.

    Nichts als entschlossene Aufmerksamkeit war auf den Gesichtern der in Ehrerbietung stehenden Männer zu erkennen. Mit einem leichten Beugen des Hauptes verließ der Älteste sodann das Nebenzimmer des Clubs und registrierte mit Wohlwollen die tiefen Verbeugungen der Zurückbleibenden. Diesen Respekt konnte Herr Fukuda erwarten.

    Auf zu vielfältige Weise waren sie ihm verpflichtet – wie auch er ihnen.

    Draußen, auf der nachtdunklen Marienstraße, erfrischte die feuchte Kälte eines Düsseldorfer Februars seine Haut angenehm. Mit Freude dachte er an die bevorstehende Heimreise und fühlte sich angenehm leicht und frei.

    Alles war geregelt, alles besprochen.

    Das Bushido hatte ewig Bedeutung und Bestand.

    Seinen Lippen entfuhr unwillkürlich ein bekräftigendes »Hai«, und er spuckte auf den Gehsteig. Morgen würde er Düsseldorf endgültig verlassen.

    »Sayonara, Düssel!«

    1. Kapitel

    Gegen ein Uhr nachts zieht sich das Leben der Düsseldorfer Innenstadt auf den Dunstkreis der Altstadt zurück. Hier, begrenzt vom trägen Rhein auf der einen und übergehend in die Baustelle Königsallee auf der anderen Seite, liegt das, was in den Medien als längste Theke der Welt gerühmt oder verlästert wird. Je nach Standpunkt des Betrachters.

    Eine Mixtur aus echten Altstadtkneipen und kopierten Weltstadt-Discos, Pizzerias und Hamburger-Garagen, Nachtbars und Straßenmusikanten, garniert von ›Kommödchen‹ und Kunsthalle, lockt sie allabendlich ein erlebnishungriges Feierabendvölkchen in die noch historischen Gassen und Straßen. Hindurch drängen sich auf Tuchfühlung die Provinzonkels vom Niederrhein, Azubis der umliegenden Banken und Werbeagenturen, an Samstagen Fußballfans, an Messetagen Aussteller auf der Suche nach Entspannung vom Messestress, Discoqueens, Taschendiebe, Dealer und Punker. Auch Düsseldorfer Mittelstandsbürger. An manchen Wochenenden sogar noch bis gegen vier Uhr morgens. Sie alle wollen Teil dieses Amüsiergeruches von Altbier, Hähnchen, Glühwein, Salamipizza, Knoblauch, Parfüm, Urin und getanztem Frauenschweiß sein. Die aus den vielen Kneipen und Discos dröhnende Musik, der grölende Gesang angeschickerter Kegelbrüder und das herausfordernd abwehrende Kichern von Mädchenpaaren, die ihre Runden drehen…, das alles vermischt sich mit den scharfen Gerüchen und hängt wie eine Glocke trunkener, rheinischer Geselligkeit über der Düsseldorfer Altstadt.

    Aber an der Königsallee, in deren sterilem Einzugsgebiet der Zerberus von Sams Nobel-Disco die Gäste sogar nach dem Geruch selektiert, findet diese Art rheinischen Frohsinns schon ihr Ende. Und noch weiter oben, in Richtung Hauptbahnhof, so auf der Höhe Immermannstraße, lässt sich die laute Anziehungskraft dieser Altstadt nicht einmal erahnen. Hier, zwischen in die Luft ragenden Geschäftsblöcken und düster wirkenden Baumkronen, die sich blattlos in die Nachtkälte strecken, ist schon gegen Mitternacht nichts mehr von der warmen, schwitzenden Fröhlichkeit des Vergnügungsviertels zu spüren.

    Zu welchem Zweck treiben die Verkehrsampeln noch ihr lautloses Farbenspiel? Auf dem Asphalt der öden, breiten Straßen spiegeln sich die Lichtreflexe.

    Grün. Orange. Rot. Grün …

    Lichtorgeln auf einem glatten Parkett ohne Tänzer.

    Nicht der geringste Lichtschein spiegelte sich im Gesicht.

    Die Gestalt hatte sich in Höhe des ersten Stockwerkes flach an die Außenwand gedrückt und beobachtete aufmerksam die leere Straße.

    Ab und zu hielt ein Wagen bei Rot an der Ampel. Selbst wenn die Wageninsassen nach oben gesehen hätten, wäre ihnen der an die Marmorwand gepresste Körper nicht aufgefallen. Auch ein wirklich geschulter Beobachter mit einem Nachtfernrohr hätte Schwierigkeiten gehabt, die schwarz gekleidete Figur an der Außenwand auszumachen.

    Mit einem Infrarot-Nachtsichtgerät, vielleicht. Ja.

    Aber wer lief um diese Zeit in der Innenstadt von D-Dorf schon mit so einem Ding herum?

    Die lauernde Gestalt hatte ihre jetzige Position vor ungefähr einer halben Stunde auf dem Sims eingenommen. Die unauffällige Schnelligkeit, mit der dieses schattengleich geschah, hätte so manchen Fassadenkletterer oder Bergsteiger verblüfft. Nun wartete der Schatten, Teil der polierten Außenmauer, konzentriert und gelassen in seiner kühlen Höhe.

    Aus einer Seitentür neben dem Restaurant trat ein Mann in die klamme Nachtkälte auf die Immermannstraße hinaus.

    Er hatte einige Whiskys getrunken und ein paar Liedchen gesungen. Das von der Loreley war auch dabei gewesen.

    Die Drinks waren gut gegen die Nervosität und aufgeregte Gespanntheit, die ihn stets vor einer neuen Premiere befiel, und der Gesang war die Folge der Wirkung ersterer auf die gereizten Nervenbahnen.

    Jetzt aber war er heiter gestimmt.

    Morgen würde sein Tag sein. Und auch für die andere Sache würde sich eine Lösung finden. Er war schließlich jemand. Die Zeiten hatten sich geändert.

    Es ging ihm gut.

    Der Schwarze auf dem Mauersims löste mit vorsichtigen Knüpfbewegungen die Verschnürung eines an seinem Gürtel hängenden Tuchbeutels. Mit vogelleichtem Griff entnahm er dem Beutel einen etwa handtellergroßen Gegenstand, den er vorsichtig und sorgfältig mit der Rechten ausbalancierte.

    Konzentriert richtete der Schatten Atem, Geist und Kraft des Körpers auf die gleich notwendige Bewegung aus.

    Dem frohgelaunten Mann da unten war danach zumute, sein Wasser im Freien abzuschlagen, obwohl sein Zimmer sich nur wenige Schritte entfernt befand. Mit großem Vergnügen pinkelte er, dabei leise vor sich hin singend, in einen Seiteneingang. Dann knöpfte er erleichtert die Hose wieder ordentlich zu und wandte sich …

    … der Shuriken aus der Hand des Mauermenschen sirrte in schneller Drehung durch die feuchte Luft nach unten. Die scharfen, vergifteten Enden des metallischen Wurfsternes zischten mit einem wespischen Surren am Gesicht des fröhlichen Mannes vorbei. Sie verursachten einen leicht blutenden Riss an seiner rechten Wange. Kurz, sehr kurz dachte er über die Bedeutung des scheppernden Geräusches nach, welches der, auf dem Boden aufschlagende Shuriken machte.

    Dann wirkte das schnelle Gift.

    Der zierliche Körper verkrampfte in einer Art epileptischen Anfalls. Die schmalen, gepflegten Hände krallten sich in den gepeinigten Leib, den die Arme umschlangen,

    Speichel troff zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor, und der schon fast Tote sank in Hockstellung zu Boden. Von der anderen Seite der breiten Straße näherten sich schnelle Schritte. Ein Mann bückte sich über die zusammengesunkene Gestalt, durchsuchte sie flinkfingrig und nahm einige Dinge an sich – nestelte an den Haaren des Toten, schickte prüfende Blicke.

    Der Mann suchte aufmerksam in der Umgebung des Toten.

    Fand den Shuriken und packte ihn vorsichtig in ein bereitgehaltenes Lederetui. Verschwand dann rasch in das Labyrinth der Gänge.

    An der schwarzen Fensterfront, auf dem Sims des ersten Stocks wäre jetzt mit einem Infrarotgerät nur noch die Restwärme wahrzunehmen gewesen.

    Die Ampeln blinken ihre lautlosen Farbsequenzen.

    2. Kapitel

    Auf der Königsallee regnet es.

    Es gießt in ganz Düsseldorf in Strömen, als hätte jemand den Rhein in seiner ganzen Länge umgekippt und würde ihn nun wie ein nasses Wäschestück über Nordrhein-Westfalen auswringen. Vom westfälischen Münster bis zum niederrheinischen Viersen, von Aachen bis Wuppertal regnet es Bindfäden. Die von der üblen Sorte – diese nasskalten Strippen, die auch das Innenleben der Menschen in diesem Landstrich einbinden.

    So gar nichts ist dann mehr von der sprichwörtlichen rheinischen Fröhlichkeit zu spüren, und Düsseldorf sieht an solchen Tagen aus wie Frankfurt oder New York. Oder Chicago, vielleicht.

    In der Düsseldorfer City stapeln sich die Autos.

    Der Verkehrsfunk auf WDR spielt verrückt. Die Sprecherin verhaspelt sich trotz heftigen Bemühens andauernd. Ist wohl nicht ihr Tag heute.

    Auf den Zufahrtsstraßen zum Messegelände ›parken‹ sie sich in Dreierreihen zu den mit großen, blauen P markierten Besucherstellplätzen. Die Parkeinweiser in ihren gelben Öljacken kassieren mit nassklammen Fingern Münzen und Scheine, klemmen rosa Parkbilletts hinter die Scheibenwischer. Kein leicht verdientes Geld im Schatten des Rheinstadions.

    Die Wagenkolonne wälzt sich mühsam vorwärts. Stopp. Go. Stopp Go.

    Viele Holländer und Franzosen.

    Eine ganze Menge Autos mit den weiß-roten Nummernschildern aus Belgien, ein paar Engländer und Deutsche – natürlich.

    Der Fahrer eines DHL-Kurierfahrzeuges hupt ungeduldig mit seiner eiligen Fracht. Die graue, schwammige Nässe draußen saugt den hysterischen Ton ganz einfach auf.

    Keiner reagiert. Montagslethargie.

    Die Top-Hotels in der Nähe des Messegeländes sind ausgebucht. Das Geschäft mit der Mode läuft in Düsseldorf auf vollen Touren. Es hat sich nach dem Krieg von Berlin auf die Schiene München-Düsseldorf verlagert.

    Die Nachtschicht im Glitzerhotel mit dem Michelin-Stern-Restaurant übergibt grau-müde an die noch bettwarmen Angestellten der ablösenden Frühschicht.

    »Denk daran, die Air Canada braucht noch zwei Tagesräume für die späte Crew von der Toronto-Maschine. Müsst ihr aber noch mal am Airport anrufen, wann die genau einchecken. Ansonsten sind wir bis oben hin voll!«

    Mit einem saloppen »Tschüss« beendet der Nachtschicht-Supervisor seine Übergabeprozedur und freut sich aufs Bett. Routine.

    IGEDO-Messe?

    Na und. Die läuft hier in Düsseldorf schließlich viermal im Jahr!

    Am Haupteingang des Nowea-Messegeländes hängen die bunten Flaggen der beteiligten Nationen wie vollgesogene Waschlappen an den glitschigen Fahnenmasten herunter.

    Kein Wind. Der Regen fällt fast senkrecht.

    Vom Rhein her übertönt das gedämpfte Geräusch eines schweren Dieselmotors blubbernd den momentan stockenden Autoverkehr. Auch die Polizei ist ausgebucht: Regelung des Messeverkehrs, Schutz von VIPs, Beobachtung der Drogenszene, ein Fußballspiel am Wochenende.

    Routine.

    Die IGEDO ist nicht die einzige Veranstaltung am Messeplatz Düsseldorf. Heute, am 1. März 1985, hat sie aber große Chancen, zu einer ziemlich einzigartigen Veranstaltung zu werden.

    Der Strom der deutschen und japanischen Angestellten hastet im Regen die Gehsteige der breiten Straße entlang. Die Büroarbeiter tragen fast ausnahmslos graue und verregnete Wochenanfangsgesichter.

    Die Montagsuniform.

    Die Straße verläuft vom Hauptbahnhof mit seinem eckigen Uhrenturm bis zur Berliner Allee und Schadowstraße, wo sie sich auf Stahlträgern in luftige Höhen schwingt.

    Immermannstraße. Die Ginza von Düsseldorf. Fast alle japanischen Banken residieren hier.

    Die großen internationalen Handelshäuser, Repräsentanzen der verschiedenen Exportbranchen, japanische Restaurants, sogar ein japanischer Buchladen, das große Kaufhaus Mitsukoshi, das First-class-Hotel »nikko« und … das Deutsch-Japanische Center! – ein Geschenk an die Stadt Düsseldorf, Kolossalbau mit bräunlich polierten Marmorfronten und schwarzen Fensterspiegeln. Ein Labyrinth von Ein- und Ausgängen sorgt dafür, dass die Besucher zum Generalkonsulat, zur Japanischen Handelskammer, zu den diversen Wirtschaftsverbänden finden – und zur Bank of Tokyo.

    3. Kapitel

    In einem Seiteneingang der noch nicht geöffneten Bank hockt ein Japaner. Dieser Eingang ist nur für Angestellte der Bank bestimmt.

    Der Japaner, er mag so um die Dreißig herum sein, ist kein Angestellter. Seine legere Kleidung hebt ihn von den in dunkle Anzüge gekleideten Bankangestellten ab. Sein halblanges, gepflegtes schwarzes Haar ist am Hinterkopf mit einem Strohband zusammengeflochten. Er wirkt dadurch fast ein wenig weiblich.

    Modisch gemusterte Jeans feiner Qualität, ein cremefarbenes Seidenhemd und ein buntes Halstuch in den Farben der Saison. Für die Düsseldorfer Kälte dieses Märztages ist das entschieden zu wenig. Helle Mokassins an sehr kleinen Füßen.

    Der junge Mann hockt in zusammengekrümmter Stellung im Eingang und sieht aus, als warte er schon lange auf jemanden.

    Aber dieser Mann wartet nicht mehr. Dieser Mann ist tot.

    4. Kapitel

    »Mist!«

    Kriminalhauptmeister Gernot Ganser wischt mit der Hand an der beschlagenen Windschutzscheibe entlang, starrt anschließend verärgert auf das Resultat seiner Bemühungen: eine verschmierte Scheibe und ein schwarzer Schmutzfilm auf der Hand.

    Aus der Seitentasche seines dunkelbraunen Lederblousons nimmt er ein Papiertaschentuch und wischt sich, einem Chefarzt vor der Operation nicht unähnlich, sorgfältig die Hand ab.

    Über den breiten Bürgersteig hinweg sieht er zum Messehaupteingang mit der schwarzen, nass glänzenden Aluminiumfassade hinüber. Der flache, rote Sportwagen, Marke japanischer Porscheverschnitt für Möchtegern-Laudas, bildet einen reizvollen Kontrast zu dem dunklen Hintergrund.

    Ganser lehnt sich im schwarzen Schalensitz des Wagens zurück und holt sich eine Zigarette aus der angebrochenen Packung in der Jackentasche. Klickend springt der Zigarettenanzünder aus der Fassung. Nach drei tiefen Zügen hat Ganser überhaupt keine Sicht mehr nach draußen.

    »Mist!«

    Mit dem gerade benutzten Taschentuch wischt er freie Sichtstreifen in den Fensterbeschlag und fummelt am Autoradio rum. Mit der gleichen Handbewegung schaltet er das Radio ein und das Funkgerät auf volle Lautstärke.

    Schließlich ist er nicht zum Spaß hier.

    Ab und zu kann man die Kollegen vom Schutzbereich II ja mal entlasten. Und Personenschutz auf der Modemesse ist das Schlechteste ja auch wieder nicht. Andererseits könnte man bei diesem Wetter auch gut in der Dienststelle sitzen und mit den Kollegen die Sportergebnisse des Wochenendes bequatschen.

    Ganser dreht das Radio etwas lauter.

    »You are big in Japan« dröhnt es in der engen Kabine aus der Stereoanlage. Das Stück wird in letzter Zeit oft gespielt. Passt ja wie die Faust aufs Auge, denkt der Polizist gerade, als ihm die Sicht plötzlich von einer schwarzen Lederjacke verdeckt wird.

    »Na, Meister! Die Parkplätze sind aber dahinten!«

    Der Beamte in der Motorradkluft der Polizei klopft mit der behandschuhten Rechten auffordernd an die Seitenscheibe des niedrigen Wagens und beugt sich tief herunter, um durch die beschlagenen Seitenfenster in das Innere sehen zu können.

    Ganser kurbelt lässig die Scheibe zur Hälfte runter und sagt freundlich in das Gesicht des nassen Polizisten hinein: »Nix Meister, Bulle. Einsatz! Ich hab’ dir schon mal gesagt, wenn du zur Kripo willst, musst du dir einen anderen Ton zulegen, Hermann!«

    Verdutzt und leicht verlegen starrt der motorisierte Riese auf seinen Lehrgangskameraden hinunter.

    »Eehhh! Schicki Ganser! Was hast du denn mit deiner Honda gemacht?«

    »Passte nicht mehr zu meiner Dienststellung …« Lässig grinsend fügt der Kriminalhauptmeister hinzu: »… und zu meinem Outfit!« Mit seinen ledernen Pranken rüttelt der fast zwei Meter große und ziemlich stabile Hermann an dem Sportflitzer.

    »Soll ich dich mal aus deiner Pillenschachtel raus kippen, du Angeber, du?«

    Das Fahrzeug beginnt in der Tat gefährlich zu wackeln. Der Mann in der nassen Lederkleidung nimmt aber dann doch die Hände vom Wagen und sagt mit abschätzigem Blick auf den unter ihm sitzenden Ganser: »Einsatz, mmhh! Auf 'ner Modenschau, hää! Neues Outfit anschaffen, was?«

    Der Mann von der Kripo reagiert ungnädig und wird förmlich. »Mot-Bulle Hermann! Sie laufen gleich mit der Bahnpolizei Streife im Hauptbahnhof. BVB-Fans anmachen! Nee, ehrlich«, schiebt er dann versöhnlich nach, »ich muss hier den japanischen Botschafter betüteln und …«

    Das Funkgerät am Motorrad des Ledernen gibt quäkende Töne von sich. Der Riese stakst zu seiner drei Meter entfernt aufgebockten Maschine, bestätigt mit knappen Worten den Empfang einer Meldung und schwingt sich dann mit verblüffender Eleganz auf den Sitz der BMW. Quietschend geben die Federn unter der Last nach, und mit leisem Blubbern springt die schwere, grün-weiß lackierte Maschine an.

    Kurz stoppt der Fahrer dann am noch immer geöffneten Seitenfenster des roten Wagens und nickt Ganser zu.

    »Dauert nicht mehr lange, Schicki. Die Eskorte mit deinem Botschafter ist jetzt auf der Klever Straße!«

    Schon im Anfahren dreht er den Kopf nochmals zurück und ruft seinem Kollegen zu: »Pass auf, dass er dich nicht für diesen Dior hält!« Fährt dann, die Maschine schnell hochschaltend, mit gellender Sirene und gekonntem Schwung den Bürgersteig hinunter auf die Messestraße.

    Gansers gekonnt gespielter, blasierter Gesichtsausdruck ist für die Katz. – Hermann ist schon auf und davon.

    Durch die geöffnete Scheibe hat es auf die Armaturen geregnet. Der Kilometerzähler auf dem Tacho zeigt die Zahl 223. Das Auto ist sehr neu.

    Mit einem tristen Blick nach draußen schaltet Ganser das Radio ab und kurbelt das Seitenfenster hoch. Leise rauscht das Funkgerät. Der langsam anschwellende Ton von Polizeisirenen kündet von der sich nähernden Begleiteskorte des japanischen Botschafters. Es ist acht Uhr dreißig.

    5. Kapitel

    Dienstbeginn.

    Luftlinie circa drei Kilometer vom Deutsch-Japanischen Center entfernt. Im Flur des Polizeipräsidiums am Jürgensplatz sitzen zwei Männer mittleren Alters auf den braunen Wartestühlen. Zwei Stühle zwischen sich haben sie frei gelassen. Sie kennen sich nicht. Sie warten.

    Es ist still auf dem Gang des großen Gebäudes.

    Einer der Wartenden blättert langsam, dabei mit den Lippen leise mitlesend, in einer bunten Zeitung mit dem Titel Tercüman. Sein Mitwarter dagegen schaut nervös von seiner wippenden Schuhspitze auf die Tür vor sich und wieder auf die Schuhspitze und wieder auf die Tür.

    An der ist nichts Interessantes. Sie ist hellbraun lackiert. Langweilig. Ein kleines, weißes Pappschild in einem metallischen Rähmchen. Auf dem Schild ein Name:

    Vitus H. Benedict.

    Kriminalhauptkommissar.

    1. Kommissariat.

    Der Schuhspitzenwipper auf dem Stuhl lächelt belustigt in sich hinein. Stellt er irgendwelche Wortspielereien mit dem Namen auf dem Pappschild an der Tür an?

    Hinter dieser Tür beginnt ein Telefon zu klingeln. Einmal. Zweimal. Dreimal…

    Drinnen nimmt keiner ab.

    Der Mann mit den anatolischen Gesichtszügen liest weiterhin gleichmütig in seiner grellbunten Zeitung. Sein korpulenter Sitznachbar lässt braune Schweinsäuglein hurtig den Gang hin und her fliegen. Kurze, dicke Finger nesteln an einem vielfarbigen Schlips, drehen nervös an einem dicken, rot-goldenen Ehering. Im Nebenzimmer wird von innen eine Tür aufgerissen.

    Eine Männerstimme schreit laut in den Gang: »Bennieee! Telefoon!« Die Tür fliegt wieder krachend zu.

    Stille.

    Das Telefon klingelt immer noch.

    Ein Herr kommt aus Richtung des runden Lichtschachtes in den Gang gebogen. Ein Zeuge? Ein Anwalt?

    Wohl doch nicht.

    Der ungefähr fünfundvierzigjährige Mann balanciert in der rechten Hand vorsichtig, um nichts von dem dampfenden Inhalt zu verschütten, eine Tasse aus Porzellan mit chinesischem Dekor vor sich her. Nein. Dieser Herr ist nicht zu Besuch im Präsidium.

    Mit der linken Hand, die eine graue Blechdose mit der Aufschrift Twinings Formosa Oolong trägt, deutet er auf den Mann mit den Schweineaugen.

    »Herr Limberger?«

    Eilfertig nickt der alerte Mann mit dem grellen Schlips und steht geschwind von dem Stuhl auf. Schweißperlen von der Stirn wischend, geht er in Richtung Tür.

    »Setzen Sie sich doch bitte schon mal hier rein!«

    Mit dem Kopf deutet der Teeträger zur Tür mit der Aufschrift Vitus H. Benedict.

    »Das Protokoll muss gleich vom Schreibbüro rüberkommen.«

    Der Blick seiner blauen Augen trifft im Vorübergehen auf die bunt gewimmelte Seidenkrawatte. Ein kurzer Anflug von Missbilligung überzieht das leicht gebräunte Gesicht. Gefolgt von einem mokanten Lächeln. Unvermittelt wird es dann wieder von einer Maske distanzierter Höflichkeit verdrängt.

    Mit der blechernen Teedose klopft er dann mehrere Male an die Tür des Nebenzimmers. »Herr Benedict, wenn ich bitten darf! Oder wenigstens Kollege. Wir wollen doch immer schön die Form wahren!«

    Eine Antwort bleibt aus.

    Er geht in sein Dienstzimmer.

    Hauptkommissar Vitus H. Benedict schiebt mit dem Ellenbogen die Tür auf und stellt bei seinem Eintritt fest, dass Herr Limberger sich auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch gesetzt hat. Die Beine übereinandergeschlagen und laute, grell farbige Slipper italienischer Machart vorzeigend.

    Auf der ihm abgewandten Seite der Schreibtischplatte liegt nur ein einzelnes Schriftstück mit wenigen Schreibmaschinenzeilen – der Grund für die Anwesenheit des untersetzten Herrn Limberger in dieser Dienststelle. Das Protokoll.

    Immer noch klingelt das Telefon.

    Der Kommissar geht mit seiner dampfenden Last an einem der Fenster vorsichtig vorbei und zwängt sich durch den knapp bemessenen Zwischenraum hindurch. Stellt die Teedose auf ein Sideboard und setzt sich dann, die Tasse vor sich abstellend, an seinen Platz.

    Mit der rechten Hand führt er die Tasse zum Mund.

    Trinkt einen ersten Schluck, mit sichtbarem Genuss. Nimmt das Telefon ab.

    »Ja, hier Benedict«, sagt er ruhig in die Sprechmuschel des Dienstapparates hinein. »Aber ja doch. Natürlich will ich ihn sprechen. Geben Sie ihn mir gleich durch!«

    Mit einem um Entschuldigung heischenden Blick nickt er seinem wartenden Gegenüber zu, der während des folgenden Telefonates Gelegenheit hat, den Beamten eingehender zu betrachten.

    Sieht eher aus wie ein Banker oder einer von unserer Werbeagentur … in diesem grauen Nadelstreifer … könnte direkt von Cerruti sein … ist von Cerruti… ein Bulle in so einem teuren Zwirn? … trotzdem … sicher ein Tausend-Mark-Anzug … bin schließlich vom Fach … ob das wohl ein dienstliches Gespräch ist? … und dafür lässt der mich hier so lange warten …

    »Benedict! Guten Tag, Thomas. Schön, dass Sie anrufen. Haben Sie die Änderungen schon fertig? Nein, nein! Sie brauchen praktisch doch nur den untersten Knopf zu versetzen, dann klafft das unten nicht immer so auseinander. Ja, genau so! Der Mantel war ja auch teuer genug. Und bei Kaschmir sieht das sonst doch ziemlich popelig aus. Ach ja, fragen Sie bei der Schneiderei noch mal nach, was die Hosen machen!«

    Hauptkommissar Benedict, den Hörer immer noch am Ohr, bittet mit einer kleinen Handbewegung nochmals um Geduld.

    Herr Limberger, der leise vor sich hin schwitzt, gerät etwas aus der Fassung, … eine komische Type ist das … Weste… Hemd mit Button-down-Kragen… Mensch, der trägt ja noch richtige Manschettenknöpfe… ob das echtes Gold ist?

    Der Mann mit den goldenen Manschettenknöpfen streicht sich jetzt über die modisch sehr kurz geschnittenen, graublonden Haare und rückt mit nervöser Energie an seiner goldmetallischen Brillenfassung. Die wachen, neugierigen Augen in dem großflächigen Gesicht heften sich während der Gesprächspause auf das vor ihm liegende Schriftstück. Er liest.

    Die Sprechmuschel mit der langfingerigen, gepflegten Hand abdeckend, wendet er sich nun direkt an seinen Besucher.

    »Bitte entschuldigen Sie. Wir sind sofort fertig und … ah, Thomas? Ist ja hervorragend. Fein. Dann hole ich die Sachen so gegen eins bei Ihnen im Geschäft ab. Danke für Ihre Mühe!« Benedict legt den Hörer auf die Gabel zurück und dreht mit der rechten Hand das vor ihm liegende Schriftstück so, dass der Besucher den Inhalt jetzt lesen kann.

    »Herr Limberger! Wir haben Sie noch mal herbestellt, damit Sie Ihre Aussage gründlich durchsehen und eventuelle Fehler korrigieren. Ist alles in Ordnung, dann unterschreiben Sie bitte unten, und die ganze Sache dürfte dann für Sie erledigt sein …« Eine kleine Pause entsteht, während der Besucher liest. Der Kommissar räuspert sich leicht. »Sollte sich die Sachlage allerdings ändern, dann werden wir wohl nicht umhinkommen, auch Ihre Frau zu vernehmen. Ich sage Ihnen das aber nur vorsichtshalber. Sie wissen ja, bei uns muss alles seinen geordneten Gang gehen!« Wäre der Oberbekleidungsvertreter Klaus Limberger nicht so erschrocken vor der angedeuteten Perspektive gewesen, hätte er eventuell die Ironie in dem letzten Satz des Vitus H. Benedict wahrnehmen können. So aber denkt er hauptsächlich darüber nach, wie er seiner Frau die Anwesenheit in dem Sauna-Club in der Oststraße im Ernstfall erklären können würde. Außerdem konzentriert sich Herr Limberger ernsthaft auf das Studium der Niederschrift in seinen schweißnassen Händen.

    Der Polizeibeamte mustert ihn dabei fast mitleidig.

    Armes Schwein. Musst du auch ausgerechnet in einem Puff landen, wo im Nebenzimmer ein Freier an Herzversagen stirbt! Auf jeden Fall immer noch besser als Aids. Die mitleidigen Gedanken, sowieso nur oberflächlich, verschwinden nach einem erneuten Blick auf die Krawatte seines Klienten. Bemüht, die beißenden Farben zu übersehen, beschäftigt Benedict seine Augen mit dem rotgerandeten Fahndungsplakat an der Innenseite der braun gestrichenen Tür. GESUCHT WEGEN MORDES, steht da in fetten Druckbuchstaben zu lesen. Darunter ein Foto.

    Ein Bauerngesicht, findet Benedict. Gedrungen, fremdartig. Gefährlich? Nein, eher einfältig. Es erinnert ihn an diese naive Brutalität der Bauerndesperados in den Filmen über die mexikanische Revolution.

    Lauter Pancho Villas. Unbändige Lust am Lieben … und am Töten!

    Nein, es braucht nicht den fast unaussprechlichen Namen unter dem Bild, um die Fremdartigkeit des Mordverdächtigen herauszustellen. Die Staatsanwaltschaft hat fünfzehnhundert Deutsche Mark Belohnung ausgelobt. Nicht gerade viel, wenn man da so an andere Sachen denkt, überlegt der Kommissar.

    Ein billiger Mord.

    Achmed schlitzt Mustafa. Eine Ausländersache.

    »Kann ich jetzt gehen, Herr Kommissar?«

    Die Stimme zwingt Benedicts Aufmerksamkeit nun wieder in Richtung Krawattenmann.

    Mit einem kurzen Nicken des Kopfes, Bestätigung und Verabschiedung zugleich, entlässt er das offensichtliche Objekt persönlichen Missfallens aus dem Zimmer.

    Sein lustloser Blick streift die Schnellhefter auf dem Aktenschrank an der linken Seite des Schreibtisches. Leicht fröstelnd reibt er sich die Hände, steht auf, trinkt im Stehen noch einen Schluck von dem inzwischen nur noch lauwarmen Tee und geht zum zweiten Fenster des erleuchteten Raumes.

    Auf das dunkle, regenverschmierte Szenario vor dem Präsidium blickend, denkt er an feinsandige Strände, Palmen, Hibiskusblüten und den rumigen Duft eines gekühlten Planters Punch. Dabei fingert er aus der Tasche seiner feinen Tuchweste eine goldene Uhr. Spielerisch lässt er den farbigen Porzellandeckel aufschnappen. Während die Tonfolge von: »Üb immer Treu und Redlichkeit«, als Glockenspiel durch die Amtsstube klingt, starrt er mit zusammen gepressten Lippen auf die Gravur in der Innenseite des Deckels. »Meinem kleinen Polizisten. In Liebe von Kitty.«

    Es ist zwanzig Minuten nach neun.

    Montag.

    6. Kapitel

    In der Halle vier des Messegeländes an der Beckbuschstraße hat sich auf fast tausend Quadratmetern der japanische Modedesigner Akido Yoshiwara, in der Glamourwelt der Mode unter dem Künstlernamen AKI teuer gehandelt, zur Präsentation seiner neuen Kollektion natürlich etwas Besonderes einfallen lassen.

    Er weiß schließlich, was er seinem Ruf als kühner Extravaganter schuldig ist.

    Einkäufer, Medien und Publikum erwarten von ihm eben stets etwas Außergewöhnliches. Und nur aus diesem Grunde drängen sich ja alle um die Einladungen zu seinen »Performance Shows mit Modellen«, wie er sie selbst nennt.

    Und wer was gilt oder zu gelten meint in dieser Welt von Seide und Satin, Tand und Talmi, giert förmlich nach dem Papier d'Invitation mit dem lila Monogramm von AKI. Diese Auserwählten haben ihre Einladung mit der Nonchalance der ›in people‹ mehr oder weniger beiläufig präsentiert und sitzen nun in gespannter Erwartung bei Champagner oder Kaffee im abgetrennten Showroom der Doppelhalle vier und fünf. Wie das aber hier so üblich ist, verbirgt man seine Spannung entweder hinter einer Maske von Blasiertheit oder einer kiloschweren Schicht Make-up. Die dann aber auch in den Farben der Saison.

    Der ganze, vom profaneren Restgeschehen der Halle abgetrennte Raum ist mit hochklassiger, weißer Teppichware ausgelegt. Der ein Meter hohe Laufsteg ist mit strapazierfähigem, bordeauxrotem Teppich bezogen. Er teilt den großen Raum in zwei unsymmetrische Teile.

    Ableger dieser Diagonale reichen mit kleinen Seitenverzweigungen in die beiden Saalhälften hinein und ermöglichen so fast jedem Eingeladenen einen guten Betrachtungswinkel auf die sicherlich sehenswerten Mannequins, die die AKI-Kreationen vorführen werden. Zwei der berühmtesten und somit auch für deutsche Verhältnisse teuersten Ikebana-Meister ließ der Designer mitsamt ihren besten Schülern extra aus den Städten Osaka und Tokushima nach Düsseldorf einfliegen. Sie haben in dem weiß-roten Raum die perfekte Kopie eines japanischen Gartens geschaffen. Oder vielleicht auch nur eine totale Illusion davon?

    Jedenfalls sitzen die Gäste, allen voran der japanische Botschafter als Ehrengast, in einem luftigen Arrangement von Steinen, Pflanzen und kleinen Wasserkaskaden und harren der Dinge, die da kommen sollen.

    Aus den großen Lautsprecherboxen werden nachher die dröhnenden und klirrenden Rock- und Popklänge sicherlich einen ungewöhnlichen, aber reizvollen Kontrast zu der Innengestaltung des Raumes ergeben. Zurzeit allerdings vermischen sich die leisen, erwartungsvollen Gespräche unter den Geladenen noch mit den untermalenden Klängen der hölzernen Koto-Zither, die von einer älteren japanischen Dame mit traditioneller Tracht und Frisur auf einem der Seitenzweige des Laufstegs gespielt wird. Ähnlich wie sich Gitarrenspieler dazu häufig eines Plektrons bedienen, hat sich die Koto-Spielerin über ihre Finger kleine Eisenkrallen gestülpt, mit denen sie die harten Saiten des Instrumentes besser anschlagen kann.

    Die Musik ist für Ungeübte anstrengend.

    Zwei Stuhlreihen hinter seiner Exzellenz, dem japanischen Botschafter nebst Gattin, sitzt Gernot Ganser ohne Gattin und nimmt die vielfältigen Eindrücke der Veranstaltung in sich auf. Er ist überwältigt.

    Beeindruckt von der Vielzahl der Prominenten, die er für gewöhnlich nur aus den Klatschspalten seiner morgendlichen EXPRESS-Lektüre kennt. Kö-Geflüster auf tausend Quadratmetern Grundfläche. Selbstverständlich sind auch einige Japaner dabei.

    Neben ihm sitzt so ein freundlicher älterer Herr, der ihm gerade höflich zunickt. Ernst und, wie er annimmt, ebenso höflich gibt Ganser den Gruß zurück und schaut sich dann weiter um. Der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt.

    Am Eingang allerdings, wo einige der von AKI in prächtige Kimonos gewandeten Mannequins auch die Aufgaben der Einlasskontrolle und Platzzuweisung übernommen haben, bemerkt Ganser leichte Unruhe und Nervosität. Eines der Mädchen blickt mit einer Einladungskarte in der Hand suchend über die vollständig besetzten Platzreihen. Besorgt konsultiert sie dann eine andere der Damen in den lila Kimonos.

    Es scheint, als hätten auch die japanischen Preußen manchmal Schwierigkeiten mit der Organisation. Wohl zu viele Einladungskarten ausgegeben, denkt Ganser amüsiert und wartet ab, wie man das Problem lösen wird.

    Ein rothaariger Nichtjapaner taucht auf und begrüßt den an der Falttür wartenden Gast. Auch er wirft, dabei leicht die Stirn runzelnd, einen suchenden Blick über die Reihen. Veranlasst dann mit einem Wink, dass ein weiterer Sessel aus einem Raum hinter dem Laufsteganfang geholt wird, und führt den zuletzt Gekommenen persönlich zu seinem Extraplatz.

    Das Kimonomädchen serviert sofort Erfrischungen.

    Der Vorfall ist bereinigt.

    Suchend sieht sich Ganser nach einem Aschenbecher um und tastet nach der angebrochenen Zigarettenpackung in der Seitentasche. Aufsteigender Rauch von den anderen Plätzen signalisiert ihm Raucherlaubnis. Der freundliche Japaner auf dem Nebensitz reicht ihm mit höflicher Gebärde einen Behälter für die Asche.

    Gansers Versuch, die Geste des Japaners mit gleicher Höflichkeit zu erwidern, missrät völlig. Der schon halbvolle Aschenbecher fällt dem Kriminalhauptmeister bei der angedeuteten Verbeugung auf den feinen Teppich.

    Das heißt … er hätte fallen müssen … normalerweise.

    Verwundert starrt Ganser auf den Aschenbecher in der Hand des älteren Herrn neben sich. Gerade in dem Moment, als sich der Ascher, der Erdanziehung folgend, auf dem Wege nach unten befand, musste die Hand des Japaners, mit für Ganser nicht erkennbarer Schnelligkeit hervorgeschossen sein, das sich im Sturzflug befindliche Gefäß ergriffen, und ihn damit vor einem peinlichen Malheur bewahrt haben.

    Jetzt hält ihm die gleiche Hand den Behälter, ohne zu zittern, erneut hin. Und das sogar mit Handicap, denkt Ganser mit kurzem Blick auf das fehlende Fingerglied an der ausgestreckten Rechten des japanischen Herrn. Nochmals bedankt er sich bei seinem Nachbarn zur Linken, packt die Aschenurne fester und achtet gleichzeitig darauf, dass ihm das auf den Knien liegende Päckchen nicht runterrutscht.

    Auf den Inhalt ist er äußerst gespannt, muss er für sich zugeben. Andererseits scheint allzu offensichtliche Neugier in diesen Kreisen verpönt zu sein, denn ein weiterer Blick über die Reihen der Gäste zeigt ihm, dass bisher niemand sein Päckchen mit der kunstvollen Verpackung geöffnet zu haben scheint. Jeder geladene Besucher hatte bei seinem Eintritt ein solches Päckchen überreicht bekommen, und allein die Verpackung, ein wunderschönes Seidentuch mit den bekannten AKI-Initialen, hätte ihn wahrscheinlich ein Viertel seines monatlichen Gehaltes gekostet.

    Madeleine Clairence Ganser, als ehemaliges Mannequin eine intime Kennerin der Branche, würde sich über dieses unerwartete Mitbringsel heute Abend sicherlich besonders freuen.

    Pluspunkte, Pluspunkte!, denkt der junge Beamte in Hinblick auf die mit seiner Frau bevorstehende Auseinandersetzung über ein heikles Thema.

    Sein Blick geht auf die Armbanduhr hinunter.

    Pünktlich sind die hier aber nicht gerade. Immerhin steht auf der Einladung zehn Uhr als Beginn, und jetzt ist es schon zwölf Minuten drüber. Sicherlich lässt der Zeitplan des Botschafters auch nicht mehr viel Spielraum übrig.

    In seine Gedanken hinein dringt das Piepsen des Signalempfängers aus der Innentasche der Lederjacke.

    Schnell schaltet er den Ton ab und geht möglichst diskret über den leeren Gang zum Ausgang des Showrooms. Das Mädchen an der zusammengefalteten Tür überreicht ihm eine Lackplakette.

    »Damit Sie nachher auch wieder reinkommen können«, sagt sie mit leichtem Kichern in der Stimme und lässt Ganser durch die Falttür nach draußen.

    Draußen bedeutet in diesem Fall den beginnenden Messebetrieb in einer riesigen Halle. Die Telefonzellen suchend, bahnt sich der Polizeibeamte einen Weg durch die ersten Besuchergruppen, die eiligen Schrittes den Messeständen zustreben.

    7. Kapitel

    Kommissar Benedict und Ganser haben eine klare Abmachung, dass der erforderliche Rückruf in derartigen Situationen, wenn möglich, von einem öffentlichen Fernsprecher ausgeführt werden sollte.

    Die beiden Groschen klimpern blechern den Zahlschacht hinunter. Natürlich fällt einer wieder in den Rückgabeschacht zurück. Beim zweiten Versuch klappt es. Der Teilnehmer meldet sich.

    »Benedict!«

    »Morgen, Chef. Sie haben gepiepst?«

    »Morgen, Gernot. Wie lange dauert der Klimbim da bei Ihnen noch?«

    »Schwer zu sagen, im Moment. Die Sache hat bis jetzt noch gar nicht angefangen. Warum?«

    »Scheint, wir hätten einen Fall.«

    »Scheint?«

    Die Stimme aus dem Präsidium klingt etwas unsicher. Nach einer kurzen Pause kommt eine zögernde Antwort aus dem Hörer.

    »Ist alles noch so ein bisschen vage und nebulös. Hier ist 'ne ganze Menge schiefgelaufen, heute Morgen. Ein Asiate. Leute, die das angeblich unterscheiden können, behaupten, ein Japaner … aber keine Papiere …«

    Ganser wartet geduldig, ob sein Chef weitere Anweisungen oder Erklärungen durchgibt. Schließlich meldet sich die Stimme wieder. Sie hat jetzt einen deutlich drängenden Unterton.

    »Wann können Sie wieder im Präsidium sein?«

    »Tja, wenn das hier gelaufen ist und ich den Botschafter wieder komplett bei seiner Eskorte abgeliefert habe, bin ich sofort zu Ihnen unterwegs. Anderthalb Stunden vielleicht!«

    »Entzückend. Dann bis gleich!«

    Der Tonfall in der Stimme seines Vorgesetzten straft diese Worte Lügen. Bevor der Kommissar auflegen kann, fragt Ganser noch schnell nach: »Moment noch! Was sagen denn die Dottores?«

    »Noch nichts Genaues weiß man nicht, Herr Kriminalhauptmeister. Ende!«

    Aus dem Telefonhörer ertönt das Besetztzeichen.

    Unwillig verzieht Ganser sein Gesicht, zuckt verärgert mit den Achseln und knallt den Hörer auf die Gabel des Wandapparates. Gewohnheitsmäßig fasst er noch mal in den Rückgabeschacht. Nichts. Schließlich hat der Alte mir ja selbst diesen Auftrag angedreht, denkt er, als er durch die nun sehr laute Halle wieder zum AKI-Showroom zurückgeht.

    Die Atmosphäre in dem Raum hat sich in der Zwischenzeit verändert.

    Das vorher erwartungsfreudige Getuschel hat sich zu einem unruhigen, halblauten Geraune ausgewachsen. Der Herr Botschafter lässt leichte Anzeichen von Verärgerung erkennen. Auf seiner blassen Stirn kräuseln sich Unmutsfalten unter den korrekt gescheitelten, schwarzen Haaren.

    Ein Erster Botschaftssekretär hat diese Falten dem Generalkonsul von Düsseldorf in aller Form übermittelt, denn dafür ist der Botschaftssekretär ja da. Der Konsul befindet sich bei Gansers Eintritt in angeregtem Gespräch mit dem Rothaarigen von vorhin. In Ganser erwacht dienstliches Interesse.

    Statt an seinen Platz, geht er neugierig zu der diskutierenden Gruppe am Ende des Laufsteges. Dort haben sich auch der Botschaftssekretär und eines der Mannequins eingefunden.

    Ohne Zweifel, der Generalkonsul ist ungehalten. In sehr korrektem Deutsch und mit betont höflicher Stimme hört Ganser ihn sagen: »Selbst, wenn Yoshiwara-san eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, so gibt ihm das noch lange nicht das Recht, die eingeladenen Gäste, insbesondere unseren Botschafter, derart lange warten zu lassen. Das ist zumindest eine Unhöflichkeit… fast schon eine Beleidigung!«

    »Herr Generalkonsul …« Der Rothaarige windet sich. »… es ist ganz und gar nicht die Art von Aki, jemanden warten zu lassen. Er weiß sehr genau, was er sich und seinen Gästen schuldig ist. Und seinem Land«, begegnet er schließlich noch dem Angriff des Japaners vor ihm.

    »Wo, bitte sehr, bleibt er dann? Und wann, wenn Sie mir das bitte sagen wollen, fängt die Vorführung endlich an?«

    Auf den Gesichtszügen des Rothaarigen erscheint jetzt ein Ausdruck der Entschlossenheit. »Natürlich fangen wir gleich an. Wenn Sie sich bitte wieder an Ihre Plätze begeben wollen!«

    Zögernd begeben sich die Herren zum Platz des Botschafters, um ihm zu berichten. Während sich die Falten seiner Exzellenz schnell glätten, hört Ganser den Rothaarigen das immer noch dabeistehende Mannequin fragen: »Hast du eine Ahnung, wo Aki bleibt?«

    Die blasse Schönheit mit den tiefrot geschminkten Lippen antwortet halblaut und mit deutlich englischem Akzent: »Aki war die ganze Abend weg und auch nicht beim breakfast im Hotel. Ich habe ihn heute überhaupt noch nicht gesehen, no!«

    Ein Hitzekloß flimmert Ganser von der Brust hoch in den Hals. Er zwingt sich gewaltsam zur Ruhe und wendet sich, näher herantretend, an den Roten in den blauen Jeans und dem rosafarbenen Hemd. »Wie sieht Herr Aki aus? Was für Kleidung trug er gestern Abend? Wann hat ihn diese Dame …« Ganser zeigt mit der linken Hand auf das leichenfarbene Mädchen. »… zuletzt gesehen?«

    Schlecht, ganz schlecht, du Superpolizist, schießt es ihm im gleichen Moment durch den Kopf. Viel zu viele Fragen auf einmal! Die Quittung kommt postwendend.

    Mit scharfer Stimme fragt ihn der Angesprochene: »Wer sind Sie eigentlich?«

    Ganser nestelt den Dienstausweis aus der Brusttasche seines Oberhemds und hält ihn dem Rothaarigen mit der angewinkelten Hand vors Gesicht.

    »Entschuldigung«, murmelt er hastig, »Kriminalhauptmeister Ganser von der Kripo Düsseldorf. Personenschutz. Für den japanischen Botschafter!«

    Dann wendet er sich nochmals direkt an das Mädchen.

    »Also bitte, wann haben Sie Aki zuletzt gesehen?«, beginnt er von neuem. Nur eine Vermutung bis jetzt, nichts weiter. Wie sagte der Kommissar am Telefon? Vage und nebulös. Genau.

    »Nach dem Ende des letzten Durchlaufs«, antwortet das Mannequin auf Gansers Frage, »gestern Abend im Hotelflur. Er hatte sich wohl etwas frisch gemacht und wollte noch was abschalten, as he said.« Das Mannequin ist sichtlich um gutes Deutsch bemüht, damit der Polizist sie auch versteht. Sie macht einen verschreckten Eindruck.

    »Können Sie sich erinnern, wann das ungefähr war?«, wiederholt Ganser die vorher schon gestellte Frage nochmals geduldiger.

    »Um kurz vor neun Uhr Abend, glaube ich.«

    »Das wissen Sie so genau? Warum?«

    »Weil, wir haben uns für neun Uhr in die Bar verabgeredet, sagt man so? Wir wollten uns da treffen, und ich bin kurz vor die Zeit mit dem Lift nach unten gefahren.«

    »Und was hat Herr Aki bei dieser Gelegenheit für Kleidung getragen?«

    »Oh, das ist mal leicht! Hellblaue Jeans, einen türkisfarbenen Gürtel, ein beiges Seidenhemd und helle Socken. Ein Halstuch aus unsere neue Collection … so eins, wie Sie da um Ihr Present haben …«

    »Sie meinen das Päckchen?«

    »Ja, ja doch«, sprudelt das langbeinige Mädchen weiter, »und hellbraune Mokassins hatte er an. Ob das genug ist, so?«

    Ein verblüfftes »Toll«, schlüpft Ganser angesichts dieser präzisen Beschreibung durch die Lippen. »Na ja, Sie sind eben vom Fach. Das merkt man.«

    Während ihrer Beschreibung hatte er einen Notizblock aus der Jacke geholt und kritzelnd mitgeschrieben. Er begutachtet sein Werk und wendet sich dann nochmals an das Mannequin.

    »Sie sagten eben, Sie hätten sich mit Herrn Aki in der Bar verabredet gehabt. Was meinen Sie damit? Sie wollten sich mit Herrn Aki treffen?«

    Das Mädchen sieht ihn mit einem Ausdruck ungläubigen Erstaunens an. Ganser wundert sich, zu welchen mimischen Leistungen sie trotz der zentimeterdicken Schminke auf ihrem Gesicht fähig ist. »Ich? Mit Herrn Aki?«, bricht es dann fast aus ihr heraus. »Herr Aki mit mir?« Hilflos sieht sie jetzt zu dem Mann mit den roten Haaren hinüber, der ironisch die sandfarbenen Augenbrauen nach oben zieht und anstelle des Mädchens antwortet.

    »Sie kennen die Gepflogenheiten unseres Hauses und von Herrn Aki nicht. Herr Aki verabredet sich nie privat mit Angestellten. Das ist schlecht für das Betriebsklima!«

    »Mit wem hat sie sich dann aber verabredet?«, fragt Ganser halb dem Mädchen und halb dem Rotblonden zugewandt.

    Mit einem erneuten Nicken des Kopfes erteilt der Rothaarige dem Mannequin wieder Sprecherlaubnis.

    »Na, wir haben uns alle zusammen in der Bar getroffen. Die ganzen Mädchen. Die Proben sind sehr anstrengend und schlauchen ganz schön. Wir sind dann richtig ausgepowert. Und am Abend vor der Premiere machen wir dann immer ein bisschen Dampf ab!«

    »Lassen!«

    »Wie bitte?«

    »Es heißt, wir lassen Dampf ab, nicht, wir machen Dampf ab!« Ganser nickt der verwirrten Vorführdame freundlich zu und wendet sich direkt an den Wortführer, der schon wiederholt ungeduldig auf seine goldene Rolex geblickt hat.

    »Ich nehme an, dass Sie hier das Sagen haben, wenn Herr Aki nicht da ist?«

    Ein Nicken als Antwort.

    »Darf ich Sie um Ihren Namen bitten!«

    »Ich bin Jens Peter Rügner. In der Branche heiße ich der Rote Pete. Ich bin Europa-Manager der Firma Aki Fashion International, und ich sorge dafür, dass der Laden hier läuft, wenn Yoshiwara-san in Japan ist!«

    Ganser schürzt die Lippen.

    Eine lange Rede. Mit vielen Ichs drin. Eine Spur zu laut und ein klein wenig zu tönend.

    »Roter Pete also, hmm«, wiederholt Gernot Ganser mit einem langen Blick auf die Haarpracht seines Gegenübers, um dann hinzuzufügen: »Ich bin nicht aus Ihrer Branche, Herr Rügner!«

    Ein neuerliches Hochziehen der Augenbraue signalisiert deutlichen Spott an die Adresse des Polizisten.

    Nein, ich mag dich nicht, Freundchen, bemerkt Ganser zu sich selbst. Er wundert sich über die heftige Abneigung, die er gegen Rügner empfindet. Aber warum ich dich nicht mag, kann ich eigentlich nicht sagen. Trotzdem. Reiß dich bloß zusammen, mein Freund! Dann hat er sich wieder unter Kontrolle und fragt: »Können Sie diese Veranstaltung hier auch erst mal ohne Ihren Boss beginnen? Ich meine, bis er hier wieder auftaucht?«

    »Natürlich. Das wollte ich ohnehin schon tun … bevor Sie mich davon abhielten!«

    Einstand.

    Na, die Sache fängt ja gut an.

    »Dann fangen Sie nur ruhig an, sonst läuft der Botschafter hier noch Amok!«

    Ein Blick aus sehr hellen, blauen Augen heftet sich intensiv auf das Gesicht des Polizisten. Das gleichzeitig produzierte charmante Lächeln des AKI-Managers steht mit diesem Blick nicht in Einklang.

    Galle aus blauen Gletscherspalten, empfindet Ganser unangenehm berührt, bevor er sich zum Gehen wendet.

    An der Tür zur Halle vier dreht er sich nochmals kurz um, bleibt aber angesichts des sich ihm bietenden Spektakels doch noch länger stehen.

    8. Kapitel

    »Das ist ja echt Spitze!«, fährt es ihm bewundernd durch die Zähne.

    Die Koto-Spielerin mit den Lackhaaren hat den Laufsteg verlassen. Das Licht im Publikumsbereich ist auf fast Schwärze herunter gedimmt worden. An die Wandflächen zaubern wabernde Beleuchtungseffekte den Eindruck sprühender Wasserkaskaden in sprudelndem Fall. Unterstützt wird dieser Eindruck noch zusätzlich durch die indirekt ausgeleuchteten, künstlichen Wassergebilde der Ikebana-Meister Mori und Iragi, die erst jetzt ihre dramatische Wirkung voll entfalten.

    Den Lichtspezialisten, ebenfalls hochkarätige Perfektionisten und Meister ihrer Zunft, ist es gelungen, die Laufstegbeleuchtung so zu begrenzen, dass nur die Oberfläche selbst und die davon abzweigenden Seitenstege von den ständig laufenden, pulsierenden Lichtquellen ausgeleuchtet werden. Diese fließenden Lichtbewegungen wandern im Rhythmus der Musik schneller oder langsamer den Laufsteg mit seinen Seitenzweigen entlang, so wiederum die perfekte Illusion eines strömenden Baches vermittelnd.

    In die beginnenden »Aaahs« und »Ooohs« der Gäste hinein, fällt wie der Hieb eines blitzenden Samurai-Schwertes der schrille, fetzend-dissonante Klang einer elektrischen Gitarre!

    Begeistertes Klatschen der Zuschauer.

    Diesen Moment geschickt nutzend, fährt ein unsichtbarer Regisseur die Musik in der Lautstärke herunter. Ein Lichtkegel richtet sich grellweiß auf den Beginn des Laufstegs. Ein Handmikrofon schwenkend, taucht der Rote Pete mit herzlichem Begrüßungslächeln in den Lichtkreis hinein.

    »Meine Damen, meine Herren! Liebe Kunden und Freunde! Seien Sie herzlichst begrüßt durch das Haus Aki Fashion International und bitte, meine Freunde… begrüßen Sie mit uns gemeinsam Seine Exzellenz, den Botschafter des Kaiserreiches Japan, und seine reizende Gattin! Beifall bitte!!!«

    Der suggestiven Animationskraft des AKI-Managers können die Gäste nicht entrinnen. Der Beifall ist denn auch nicht nur höflich. Was für ein Scharlatan, denkt Ganser mit widerwilliger Bewunderung, und ein schlauer Fuchs noch dazu. Das mit der reizenden Gattin war ein taktisch sehr geschickter Schachzug, denn jetzt dürften sich die Falten des Botschafters endgültig geglättet haben. In den Abgangsbeifall für den Rothaarigen hinein verlässt Ganser den Saal. Mit Bedauern.

    Denn soeben betritt das erste Mannequin den Laufsteg. Seine Freundin von eben. Die Lautsprecher dröhnen mit Hyperphonstärke. Draußen in der großen Halle fällt es nicht besonders auf, dass der Polizist die Melodie leise mitsingt.

    »You are big in Japan … you are big in Japan …«

    9. Kapitel

    Um zehn Uhr fünfundvierzig geht Hauptkommissar Vitus H. Benedict durch eine Verbindungstür in den Besprechungsraum, in dem zwanzig Personen mit Mühe und Not Platz finden.

    Aus einem Wandschrank holt er ein dreibeiniges Metallgestell und eine dicke Rolle weißen Papiers. Mit einem roten Schweizer Offiziersmesser schneidet er über die Längskante des braunen Besprechungstisches in der Zimmerecke mehrere gleiche Formate von der Papierrolle zurecht und befestigt sie dann an einer Federklammer des Dreibeins.

    Er mustert sein Werk zufrieden und stellt die Restrolle wieder in den Wandschrank zurück. Bevor er ihn verschließt, entnimmt er einem anderen Fach mehrere DIN A4 Schreibblöcke, eine Handvoll Bleistifte und einen dosenförmigen Anspitzer. Diese Gegenstände verteilt er sorgfältig auf die in zwei Reihen aufgestellten Stühle.

    Von einem kleinen Terminzettel, den er seiner Brieftasche entnimmt, überträgt er mehrere Zeilen auf einen DIN A4 Block. Der Zettel fliegt zusammengeknüllt in den Papierkorb unter dem Besprechungstisch. Nach einem kritischen Rundblick geht Benedict wieder in sein Zimmer zurück.

    Setzt sich mit Blickrichtung Fenster auf die Schreibtischkante. Tut nichts.

    Wartet.

    Wartet auf seinen Teamassistenten, den zweiunddreißigjährigen Kriminalhauptmeister Gernot Ganser, den er selbst dummerweise zu einem noch dümmeren Einsatz kommandiert hat. Wenn er auch nicht allzu viel von seinem ›Jungstier‹ hält, noch zu jung und unerfahren in den Augen des alten Hasen, so arbeiten sie doch seit fünf Jahren erstaunlich erfolgreich zusammen.

    Die Tätigkeit der beiden nicht nur altersmäßig sehr verschiedenen Männer hat sich in der rapide gestiegenen Aufklärungsquote des für Tötungsdelikte zuständigen 1. Kommissariats niedergeschlagen. Und in mehreren Belobigungen in der Personalakte.

    Benedict wartet ungeduldig.

    Bevor das Telefon zum zweiten Schrillen ansetzen kann, hat der Kommissar den Hörer am Ohr.

    »Ja!«

    »Ganser, Chef.«

    »Na endlich. Wo stecken Sie denn?«

    »Immer noch Halle vier«, kommt es gleichmütig aus dem Hörer, »hab, glaube ich, 'ne schlechte Nachricht für Sie …«

    »Und?«

    »Der tote Asiate, den Sie da aufgelesen haben. Ist der FKK gewesen, oder hatte er was an?«

    Kommissar Benedict unterdrückt mühsam eine wütende Entgegnung und spricht sehr kontrolliert in den Apparat: »Die Leiche war in bekleidetem Zustand!«

    »Ich will Sie ja nicht ärgern, Chef, aber vielleicht bekleidet mit hellbraunen Mokassins, blauen Jeans, einem beigen Seidenhemd und einem Halstuch?« Gansers Stimme klingt, als verlese er die ARD-Nachrichten.

    »Moment. Moment!«

    Benedict springt von der Schreibtischkante und holt den Schreibblock vom Besprechungstisch rüber. »Mokassins, Jeans, Seidenhemd, Halstuch … ein Gürtel …?«

    »Türkisfarbene Handarbeit!«, tönt es fast triumphierend aus dem Hörer.

    Der Hauptkommissar nickt perplex ins Telefon.

    »Stimmt haargenau überein. Sind Sie unter die Hellseher gegangen?«

    Gansers Stimme hat jetzt fast etwas Gehässiges, als er sagt: »Der tote Asiate ist somit aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich Japaner, heißt Akido Yoshiwara und ist ein weltberühmter Modeschöpfer. Bekannt von Film, Funk und Fernsehen, und als Toter, Mann, da ist der sicher ein saftiger Braten für unsere Blut- und Bodenblätter!«

    »Und wohl jetzt auch unser Fall«, murmelt Benedict. Während es im Hörer leise knackt, überlegt er einige Sekunden.

    »Sind Sie noch dran, Chef?«

    »Mmmm«, bestätigt der Beamte im Präsidium, »also soviel ist mal klar«, sagt er dann entschieden, »wir können nicht die ganze Crème de la crème auf der Messe festhalten, um sie zu vernehmen. Oder sehen Sie dafür einen handfesten Grund?«

    Ganser schildert dem Kommissar in aller Kürze, was auf der Messe abgelaufen ist, und beschließt seine Bestandsaufnahme mit einem »Ich halte das aus technischen Gründen nicht für machbar!« Der Hauptkommissar im zweiten Stock des Präsidiums nickt, und wie um sich selber zu bestätigen, fügt er noch hinzu: »Es ist ja auch kaum anzunehmen, dass der Botschafter was damit zu tun hat. Oder?« Dann fährt er mit bestimmter Stimme fort: »Ich gehe davon aus, dass da so was wie eine Einladungsliste existiert. Stellen Sie die bitte sicher, Gernot! Und nehmen Sie auch die Angestellten auf. Alle, die da so rumlaufen. Dann kann sich die Kommission damit beschäftigen.«

    »Und was ist mit mir?«

    »Ich sag’ dem Schutzbereichsleiter, dass Sie abgezogen werden. Sollen die sich darum kümmern. Sie kommen dann mit allen Namen rüber ins Präsidium, und bringen Sie mir jemanden mit, der diesen Toten zweifelsfrei identifizieren kann. Hier ist heute schon genug mit Vermutungen gearbeitet worden, ich will endlich Fakten auf dem Tisch haben! Ja, und dann können Sie zur Abwechslung mal wieder arbeiten kommen, nicht!«

    Er unterbricht das am anderen Ende der Telefonleitung beginnende Lamento mit einem fast unwirschen »Ach, Gernot, denken Sie an das Hotel des Toten, ja! Ende!«

    10. Kapitel

    Das anschließende Gespräch mit dem Leiter der Kriminalgruppe I ist sehr kurz. Um elf Uhr werden die ersten Beamten verständigt, dass sie der vierzehnköpfigen Ermittlungsgruppe zur Aufklärung der Todesumstände des aufgefundenen Japaners angehören.

    Diese Zahl ist vergleichsweise niedrig, wenn man bedenkt, dass in anderen Fällen bis zu vierzig Mann die Ermittlungen aufnehmen. Bedauerlicherweise richten sich die Täter in Düsseldorf nie danach, dass dem Polizeipräsidium Düsseldorf nur knapp vierhundert Kriminalbeamte zur Verfügung stehen, und verüben ihre Verbrechen nicht nach und nach. Da die Kripo also an diesem 1.März 1985 noch mehrere andere Ermittlungen laufen hat und die Anhaltspunkte in Benedicts Fall äußerst vage sind, kann er von Glück sagen, dass er vom Kriminalrat diese Leute bekommt, die jetzt zu einem ersten Briefing in dem kleinen Besprechungsraum eintrudeln.

    Um elf Uhr fünfundzwanzig biegt Kriminalhauptmeister Ganser mit schnellen Schritten um die Flurecke im zweiten Stock des Präsidiums. Mit einem erleichterten Aufatmen betritt Ganser den Raum und schließt die Tür hinter sich. Hauptkommissar Benedict, der gerade ein Telefonat an seinem Schreibtisch führt, fordert ihn mit der linken Hand zum Hinsetzen auf.

    Als Ganser sitzt, nimmt Benedict den Hörer in die andere Hand und deutet mit dem rechten Zeigefinger erst auf den Hörer und dann an die Zimmerdecke.

    Gernot Ganser nickt verstehend.

    Mit einem »In Ordnung, Chef. In einer halben Stunde bei Ihnen«, beschließt er das Telefongespräch. Der Hörer fällt auf die Gabel, und Benedict macht sich eine Notiz auf seinem Schreibblock. Während er schreibt, sagt er ohne aufzublicken zu Ganser: »Sie habend mitgehört. Zwölf Uhr in der Präsidentensuite!« Dann steht er auf und geht vor Ganser in Richtung Besprechungsraum.

    »Also, um zwölf Uhr müssen wir beim Karo sein. Wie spät haben wir es jetzt?« Gansers metallene Digitaluhr am linken Arm zeigt exakt 11:34:55 Uhr an.

    Aus dem Besprechungsraum hört man leises Gemurmel und Stühlerücken. Die schon anwesenden Kollegen der Ermittlungskommission stellen ihre Gespräche ein, als Benedict mit Ganser den Raum betritt.

    Ganser setzt sich schnell auf einen der noch leeren Plätze, und Benedict überfliegt, bevor er zu sprechen ansetzt, die fast besetzten Stuhlreihen. Nicht gerade das Beste vom Besten, denkt er für sich. Die Neumann-Zwillinge sind richtig. Gute Interviewer mit viel Feingefühl und der erforderlichen Härte, wenn’s notwendig ist. Kommissar Läppert mit der notwendigen Ruhe und Abgeklärtheit. Doemges, der Hartnäckige. Zwei weibliche Kriminalbeamtinnen sind vielleicht nicht so schlecht, um die Mädchen zu vernehmen, und dann noch zwei, drei ausdauernde Schreibtischermittler, die er von einigen anderen Fällen kennt. Ansonsten knapper Durchschnitt. Vielleicht nicht genug in dieser Sache. Mit einem kleinen Räuspern setzt er sich auf die Kante des Besprechungstisches und blickt die versammelten Kollegen der Reihe nach an.

    »Also, erst mal guten Morgen allerseits!«

    Ohne die Reaktion der Kollegen abzuwarten, fährt er fort zu reden. »Um zwölf Uhr müssen der Ganser und ich beim Karo sein. Das lässt uns gerade noch zwanzig Minuten Zeit für ein Kurzbriefing und die Aufgabenverteilung. Deshalb, ohne großes Brimborium folgendes vorweg …«

    Einer der neueren Beamten hebt die Hand und fragt: »Darf geraucht werden?«

    »Nein. Also …«

    Aufmerksam richtet Ganser seine braunen Augen auf den Vorgesetzten. Den Schreibblock aufgeschlagen vor sich, den Bleistift schreibbereit. Er weiß, dass er, was gestraffte Informationsübermittlung und Fallanalyse angeht, von dem erfahrenen Hauptkommissar noch viel lernen kann. Dennoch stört etwas seine Konzentration…

    »… haben Sie das notiert, Kriminalhauptmeister Ganser?«

    Scharf dringt die Stimme Benedicts durch das halblaute Gemurmel der Beamten im Raum. Der Kriminalhauptmeister lenkt seine volle Aufmerksamkeit auf die Worte seines Vorgesetzten, der jetzt aufgestanden ist und, beide Hände auf den Tisch aufgestützt, einen lückenlosen Bericht über die Ereignisse des Vormittags gibt.

    Einen lückenlosen Bericht? – Einen ziemlich lückenlosen Bericht.

    »Vorweg. Bei dieser Geschichte ist bis jetzt so ziemlich alles schiefgelaufen, was nur schieflaufen kann.«

    In Erinnerung an die farbenprächtige Krawatte seines morgendlichen Besuchers verzieht er angewidert sein Gesicht. Was konnte ein Tag schon bringen, der mit einem solchen Herrn Limberger anfing?

    Hauptkommissar Vitus H. Benedict geht zu dem Metallgestell mit den weißen Papierbögen. Er nimmt einen der auf der schmalen Ablage liegenden Faserschreiber und beginnt zu schreiben.

    »Erstens!«

    Mehrere der Beamten halten sich die Hände auf die Ohren, als der Faserstift mit einem kratzenden Scharren über das Papier läuft. »Erstens. Gegen acht Uhr dreißig findet eine japanische Angestellte der Bank of Tokyo in der Immermannstraße die Leiche einer männlichen Person. Der Eingang wird in der Regel nur von Bankangestellten benutzt, liegt zwar etwas abseits, kann aber vom Bürgersteig aus eingesehen werden.

    Die Angestellte, deren Name …« Benedict wirft einen Blick auf seinen Block, bevor er weiterspricht: »… mit Noriko Takahashi angegeben wird, identifiziert den Toten als Japaner und …« Die leichte Unruhe unter den Zuhörern bemerkend, hört der Hauptkommissar in seinem Vortrag auf.

    »Ja, ja, ja, Kollegen. Ich weiß. Ich kann Chinesen, Japaner, Koreaner, und was da sonst noch so rumläuft, auch nicht auseinanderhalten, aber diese Dame konnte das offensichtlich, und irgendeiner von euch Oberschlauen wird nachher bestimmt rauskriegen, wie sie das gemacht hat! Kann ich dann weitermachen?«

    Er wirft einen Blick in die Runde.

    Aber Kommissar Läppert hat doch noch eine Frage.

    »Es müssen da doch schon ’ne ganze Menge Leute vorbeigegangen sein. Und von denen hat keiner die Leiche gesehen?«

    Benedict bekommt wieder seinen gefürchteten, ironischen Unterton. »O Kollege Läppert, ich bin fest davon überzeugt, dass mindestens fünfhundert Leute da vorbeigegangen sind, die den Toten gesehen haben. Aber Sie wissen doch aus eigener Erfahrung, wie oft der sogenannte normale Bürger bereit ist, wirklich hinzusehen, wenn er irgendwo eine hilflose Person liegen sieht. Und wie oft die, die hinsehen, dann auch was tun, das können wir doch an den Fingern einer Hand abzählen. Wir sind ein Volk von Bogenmachern geworden. Und das ist kein Handwerksberuf!«

    Läppert ist von der Bissigkeit in Benedicts Stimme unbeeindruckt. »Woher ist die Zeit acht Uhr dreißig bekannt?!«

    »Erste Vernehmung der Takahashi am Fundort!«

    »Durch wen wurde sie vernommen?«

    Die Stimme Benedicts bekommt auf einmal einen merkwürdig gepressten Klang, als er antwortet: »Dazu komme ich gleich.« Dann schreibt er eine große Zwei auf das Flipchart.

    »Laut Eintrag wird der Diensthabende in der Polizeiwache Zwei um neun Uhr und sechs Minuten telefonisch über das Vorhandensein einer Leiche informiert.«

    »Das darf doch wohl nicht wahr sein!«, entfährt es einem der Neumann-Zwillinge, und Ganser, der schnell den Kopf herumgedreht hat, kann wieder einmal nicht sagen, welcher der beiden es war.

    »Ruhe, Leute, Ruhe!«, mahnt Benedict die Runde, »es kommt noch viel, viel dicker. Der Anruf in der Wache Zwo kommt von einem deutschen Mitarbeiter der Bank of Tokyo.«

    Nochmals sieht der Hauptkommissar wie suchend über die Reihen hinweg. Fragt dann: »Jemand vom zweiten K da? Zufällig?«

    Niemand meldet sich, sodass Benedict, grimmig mit dem Kopf nickend, in seinem Vortrag fortfährt.

    »Zum Zeitpunkt des Anrufs, also um neun Uhr sechs, befinden sich in der Wache Karlstraße zufällig, ich betone: zufällig, zwei Kriminalmeister aus der Abteilung Sexualstraftaten, Vermisstensachen und Rauschgiftdelikte unseres allseits geschätzten Kollegen Grammatzki und bekommen den Anruf mit. Ich muss zugeben, dass das zumindest auf ein gutes Gehör hinweist. Die beiden hören also, wie der Wachhabende zu seinem Stellvertreter das Wort Asiate sagt, schließen sofort und messerscharf auf Drogen und machen sich zu Fuß auf die Socken in die Immermannstraße!«

    »So spart das zwote K dem Bundesland Nordrhein-Westfalen Spritkosten!« Das muss der andere Zwilling gewesen sein, aber wieder war Ganser nicht schnell genug gewesen. Dafür hat er aber jetzt eine Frage an seinen Vorgesetzten: »Was ist mit der Meldung an die Einsatzleitstelle im Präsidium?«

    Der Hauptkommissar seufzt schwer.

    »Ist irgendwo unter die Räder gekommen. Im Klartext: Sie wurde nicht abgesetzt, weil der Diensthabende annahm, die beiden Grammatzki-Leute würden das machen, über ihren Funk im Wagen. Außerdem hatten die ausgerechnet zu dem Zeitpunkt einen Mordszoff auf der Wache. Irgendwelche besoffenen Jugoslawen, oder Türken, oder so, haben da richtige Randale veranstaltet. Jedenfalls ist bei uns im ersten K nichts gelandet, und irgendwer wird hier in der nächsten Zeit mit einem Disziplinarverfahren zu tun haben, und dieser Irgendwer werde nicht ich sein!«

    An der Tür klopft es.

    Eine ältliche Verwaltungsangestellte kommt, trotz des

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