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Faszination, Enttäuschung, Wut: Wie Araber den Westen sehen
Faszination, Enttäuschung, Wut: Wie Araber den Westen sehen
Faszination, Enttäuschung, Wut: Wie Araber den Westen sehen
eBook140 Seiten1 Stunde

Faszination, Enttäuschung, Wut: Wie Araber den Westen sehen

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Über dieses E-Book

Tobias Schultz lebte 14 Jahre in verschiedenen Ländern
der arabischen Welt. Dort lernte er eine Kultur
und Mentalität kennen und schätzen, die sich in
vielem von der westlichen Welt grundlegend unterscheidet.
Seine These: Wer die arabische Welt mit westlichen
Denkmodellen zu verstehen sucht, wird
scheitern. Doch die internationalen Konfl ikte heute
fordern mehr Verständnis und Respekt für die
jeweils andere Seite denn je. Welche Traditionen
und Gefühle bestimmen unsere arabischen Nachbarn?
Welche Rolle spielen Religion und Geschichte?
Und wie sehen Araber den Westen?
Ein wichtiges Buch für unsere Zeit.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum19. Juni 2013
ISBN9783730932308
Faszination, Enttäuschung, Wut: Wie Araber den Westen sehen

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    Buchvorschau

    Faszination, Enttäuschung, Wut - Tobias Schultz

    Vorwort

    Anfang 1989 kamen wir jung verheiratet in Kairo an. Dies war nicht als kurzes Zwischenspiel in der arabischen Welt geplant, sondern als dauerhafter Aufenthalt. Zwar war unser Reisegepäck vollgepackt mit deutschen Dingen, die wir für wichtig hielten und von denen wir Angst hatten, sie so in der arabischen Welt nicht zu finden – doch im Grunde war uns klar, dass wir unseren Lebensstil und unsere Umgangsformen auf vielen Gebieten radikal ändern mussten, wenn wir die Hoffnung hegen wollten, mehr als nur Gäste und Außenseiter im Lande zu werden.

    Unser Domizil schlugen wir in einem der riesigen, überfüllten Vororte auf, die der ärmeren Bevölkerungsmehrheit der Megastadt vorbehalten sind. Privatsphäre und Ruhe waren dort absolute Mangelware. Die tägliche hautnahe Begegnung mit dem Teil der Bevölkerung im Lande, der am wenigsten mit westlicher Kultur und Ausbildung in Kontakt gekommen war, konfrontierte uns sehr schnell mit zutiefst ungewohnten Denkmustern und Verhaltensweisen. Abendland und Orient prallten in unserem Leben aufeinander. Das war zunächst neu und faszinierend, verursachte jedoch bald vor allem Stress und Irritation – der Preis dafür, dass wir uns in den Kopf gesetzt hatten, so schnell wie möglich die arabische Sprache und Kultur kennenzulernen.

    In diesen schwierigen ersten Jahren versuchten wir immer, eine Grundhaltung des echten Respekts unseren Gastgebern gegenüber aufrechtzuerhalten. Viele der westlichen Denkmuster, die wir ganz selbstverständlich für ‚richtig‘ gehalten hatten, mussten in Frage gestellt werden. Grundlegende Aspekte unseres Lebens wie das Ehrbewusstsein, der Umgang mit Zeit, die Privatsphäre, Anstand und gutes Benehmen – fast alles wurde in Frage gestellt. Das war zeitweise nicht leicht. Auf dem Höhepunkt dessen, was man Kulturschock nennt, war es für mich überaus schwierig, eine Grundhaltung des Respekts durchzuhalten: Ich erinnere mich noch deutlich an den Moment, an dem ich in jenen Tagen versuchte, unseren Gasherd anzuzünden. Das Streichholz versagte den Dienst – und unwillkürlich schoss mir durch den Kopf: „Noch nicht mal ordentliche Streichhölzer können sie produzieren!"

    Aber schlussendlich blieb der Erfolg nicht aus: Nach und nach ging eine erstaunliche Verwandlung vor sich. Die Umgebung, die uns noch vor wenigen Monaten großen Stress verursacht hatte, wurde zur Heimat. Aus oberflächlichen Beziehungen zu Menschen mit allerhöchst seltsamen Verhaltensweisen wurden tiefe Freundschaften, die über viele Jahre halten sollten. Vor Urlaubsreisen nach Deutschland packten wir nun die‚ lebenswichtigen‘ Dinge ein, die man in Deutschland nicht bekommen kann. Das tägliche Leben war längst nicht mehr so furchteinflößend und anstrengend, wie es zu Anfang noch gewesen war. Und darüber hinaus merkten wir, wie unser eigenes Leben und Denken zutiefst bereichert wurden. Es entwickelte sich ein echter Respekt für unsere arabischen Freunde und Nachbarn, der bis heute geblieben und gewachsen ist.

    Was nun echten Stress verursachte, war etwas ganz anderes: Besuch aus dem westlichen Ausland. Es war erschütternd zu beobachten, wie sich immer wieder Gäste aus der Heimat wie die sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen verhielten – und das, obwohl sie eigentlich zutiefst liebenswerte Mitmenschen waren und sich nach bestem Wissen benahmen. Als Bürger zwischen den Welten hatten wir gelernt, die Welt aus arabischer Perspektive zu sehen, waren aber gleichzeitig als Deutsche doch daran interessiert, dass Menschen aus unserer Heimat einen positiven Eindruck in unserer ägyptischen Nachbarschaft hinterließen. Wir sahen unsere Landsleute mit arabischen Augen – und mit dieser Brille gesehen, bot sich uns oft kein schönes Bild. Und so waren wir, so lange Besuch anwesend war, ständig in der Defensive, fühlten uns mit dem Rücken zur Wand, immer beschäftigt die schlimmsten Katastrophen abzuwenden. Viele aus dem Westen hatten keinerlei Gefühl dafür, wie sie auf ihre arabische Umgebung wirkten – und einige waren darüber hinaus in keiner Weise interessiert daran, ein Verständnis zu entwickeln.

    Viele Jahre später hat sich unser Horizont innerhalb der arabischen Welt wesentlich erweitert. Ein Jahr lang lebten wir in einem jordanischen Dorf, dessen Leben mehr von dem Lebenshintergrund der Beduinen geprägt war. Reisen führten uns in den Libanon, nach Syrien und auch in den Irak. Und Freundschaften blieben nicht auf die Welt der ärmeren Vororte Kairos beschränkt. Aber die Eindrücke der ersten Jahre sind geblieben, ja haben sich vertieft: Bis heute müssen wir oft den Kopf schütteln über die tiefgreifenden Unterschiede in den Denkstrukturen und Wertesystemen zwischen Orient und Abendland. Bis heute sehen wir die Begegnung mit der arabischen Kultur als zutiefst bereichernd an. Und immer deutlicher erkennen wir, dass Menschen aus dem Westen meistens kein Gefühl dafür haben, wie sie auf die Bevölkerung der arabischen Welt wirken – und das gilt nicht nur für Begegnungen auf der individuellen Ebene, sondern darüber hinaus für die westliche Kultur und Gesellschaft als ganze, und sehr stark auch für die Politik der westlichen Staaten im Nahen Osten.

    Dies ist der Hintergrund dieses Buches. Indem wir einige immer wiederkehrende Themen des Verhältnisses zwischen Westen und arabischer Welt aufgreifen, wollen wir deutschen Lesern, so gut es geht, die Brille aufsetzen, durch die sie von ihren arabischen Nachbarn gesehen werden. Das Bild, das sich uns bietet, hat viele Facetten. Einige Aspekte sind durchaus positiv, andere leider nicht sehr schmeichelhaft. Beide Seiten des Bildes sollten wir aushalten – da hilft es unserer Erfahrung nach nicht, sich schnell in seine altgewohnten Denkmuster zurückzuziehen.

    Unsere Erfahrung in der arabischen Welt ist gewiss begrenzt, und die Gefahr der leichtfertigen Simplifizierung ist immer groß. Zwischen dem weltoffenen und multikonfessionellen Libanon und dem Wüstenkönigreich von Saudi Arabien, selbst zwischen den immer konservativer werdenden Massen der einfachen Bevölkerung Ägyptens und der Pariser-Chic-tragenden Oberklasse desselben Landes gibt es gewiss große Unterschiede. Dennoch bin ich überzeugt, dass die im folgenden vorgetragenen Beobachtungen von einer großen Mehrheit der Menschen im Nahen Osten geteilt werden. Selbst bei denjenigen Arabern, die sich äußerlich betrachtet wie irgendein Bürger Europas geben, ist ihre ‚Westlichkeit‘ meistens nicht mehr als eine dünne äußere Fassade, hinter der sehr schnell das ‚arabische Herz‘ zu Tage kommt, wenn das Gespräch über Oberflächlichkeiten hinausgeht.

    Wir sehen uns als zutiefst privilegiert an ob der Jahre, die wir unter einem durch und durch wertvollen Volk leben und arbeiten konnten.

    Mohammed, Ahmed, Suleiman, Amani, Faisa – dieses Buch ist euch gewidmet.

    Gewogen und für zu leicht befunden

    Der Festsaal der Amerikanischen Universität Kairo ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Die Bühne ist ein Meer von schwarzen ehrwürdigen Roben und den fröhlichen Gesichtern der Studenten, deren Absolvierung heute gefeiert wird. Stolz und erleichtert nehmen sie ihre Urkunden entgegen, Reden werden geschwungen, viele schöne Worte gemacht. Zum Abschluss hat ein junger Student das Wort, der als bester des Studienganges Politikwissenschaften abgeschlossen hat:

    „Als ich auf der Amerikanischen Universität zu studieren begann, war ich zutiefst fasziniert von Amerika. Und nun, nachdem drei Jahre vergangen sind und nachdem die Faszination verflogen ist, habe ich entdeckt, dass ich in mir überaus tiefe Werte und echte Fundamente habe, die viel wichtiger sind als all das, wovon ich fasziniert war."

    Man sieht in den Augen des einen oder anderen Mitstudenten, dass er ihm zutiefst aus dem Herzen gesprochen hat. Und so fährt er fort und fasst in wenigen Worten einiges von dem zusammen, was die Faszination in Enttäuschung umschlagen ließ: „Um es geradeheraus zu sagen: Wir hassen niemanden und sind gegen niemanden. Aber wir hassen Tyrannei und Brutalität und hassen es, wenn jemand uns seine Meinung aufzwingen will. Wir mögen es nicht, wenn Leute uns als unterentwickelt ansehen oder uns für weniger wert halten als sich selber." Tosender Beifall.

    „Ich hätte am liebsten 60 Millionen Einladungen verteilt, damit ganz Ägypten an dieser Feier teilnehmen kann. Obwohl das natürlich nicht geht, so haben wir doch jemanden unter uns, der Ägypten in all seinen Werten repräsentiert – meinen Vater, Al-HaggDahschuriKhalaf. Erlaubt mir, dass ich in Respekt seine Hand küsse." Mit diesen Worten tritt der junge Mann vom Podium und der Bühne herunter und bahnt sich einen Weg zu seinem alten Vater, der von der ersten Reihe im Zuschauerraum aus den Feierlichkeiten gefolgt war.

    Al-Hagg Dahschuris äußere Erscheinung sticht stark vom Rest des Publikums ab: Fast alle anderen männlichen Gäste haben sich dem Stil des Anlasses angepasst und sind in Anzug, Hemd und Krawatte gekommen. Er jedoch, als ober ägyptischer Bauer, hat sich in seine beste weiße, knöchellange Galabiyya1) gekleidet, die schwarze ‘Abiyya für feierliche Anlässe übergeworfen, und sich seinen Turban mit extra viel Mühe gebunden. In seinem Gesicht sind die Entbehrungen eines langen Lebens und die Mühen der Arbeit unter der sengenden Sonne Oberägyptens eingegraben. Er sieht anders aus als die meisten anderen Gäste und seine Züge sind die eines einfachen Mannes – aber seine Erscheinung gebietet Respekt und zeugt von tiefem Ehrgefühl.

    Die soeben geschilderte Szene ist so nicht wirklich geschehen. Es ist die Schlussszene des Films „Ein Oberägypter an der Amerikanischen Universität", der 1998 ein überaus erfolgreicher Kinokassenschlager war. In der Titelrolle spielt Mohammed Heneidy, einer der ganz großen Komiker der arabischen Filmindustrie, den Sohn eines oberägyptischen Bauern. Ein sehr guter Schulabschluss öffnet ihm die Tür zum Studium an der renommierten Amerikanischen Universität in Kairo. Doch von dem Augenblick, an dem er in seiner Studentenbude ankommt, beginnen die Probleme. Zwei Welten prallen aufeinander: Kulturschock eines Ägypters mitten in seinem eigenen Land, Ägypten.

    Der Rest des Filmes ist eine schwere Belastung für das Zwerchfell. Ein Lacherfolg jagt den anderen, während unser

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