Heimat: Warum wir wissen müssen, wo wir zu Hause sind
Von Ulrich Eggers
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Über dieses E-Book
Heimat: Wir alle sehnen uns danach. Wir alle haben eine. Doch ist das wirklich so? Was bedeutet dieses schöne Wort überhaupt? Was schenkt uns das Gefühl von Zugehörigkeit? Wo sind wir wirklich zu Hause?
Bekannte Christen schreiben darüber, was Heimat für sie bedeutet. Wo sie ein Zuhause gefunden haben. Was dieser Begriff mit ihnen macht. Und was ihnen dabei hilft, geerdet zu sein und doch den Himmel im Herzen zu haben.
Spannende Einblicke in persönliche Lebensgeschichten und kluge Gedanken zu einem brandaktuellen Thema! Mit Beiträgen von Andrea Adams-Frey, Eva-Maria Admiral, Bianka Bleier, Tamara Boppart, Christina Brudereck, Michael Diener, Johannes Dyck, Astrid Eichler, Klaus Gerth, Uwe Heimowski, Reinhard Holmer, Uwe Holmer, Konstantin Mascher, Helmut Matthies, David Neufeld, Maria Prean, Eckhard Schaefer, Manfred Siebald, Nicola Vollkommer, Jürgen Werth, Marielle Wittwer, Daniel Zindel.
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Buchvorschau
Heimat - Ulrich Eggers
SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-417-26862-1 (E-Book)
ISBN 978-3-417-26852-4 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
© 2018 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-brockhaus.de · E-Mail: info@scm-brockhaus.de
Seite 34: Sabine Schaefer-Kehnert, Heimat ist dort, wo nicht alles hinterfragt wird …, aus: Der Andere Advent 2016/2017, www.anderezeiten.de
Seite 197: Hermann Hesse, Stufen, in: ders., Sämtliche Werke in 20 Bänden.
Herausgegeben von Volker Michels. Band 10: Die Gedichte. © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2002. Alle Rechte bei und Vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin.
Die Bibelverse sind folgenden Ausgaben entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006
SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen (NLB).
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LUT 17 / LUT 56).
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen (ELB).
Hoffnung für alle ® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis – Brunnen Basel (HFA).
Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Titelbild: xbrchx/shutterstock.com
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
INHALT
Über den Autor
Vorwort
Unterwegs nach Hause
Andrea Adams-Frey
Wieso ich hier keine Heimat finde
Eva-Maria Admiral
Zuhause ist nicht nur ein Ort
Bianka Bleier
Zwischenland
Tamara Boppart
Wie Gott mir Raum schafft
Christina Brudereck
Heimat in 3-D
Michael Diener
Ein widerstandsfähiger Glaube braucht ein gutes Zuhause
Johannes Dyck
Heimat am Rand
Ulrich Eggers
Fremd
Astrid Eichler
Stationen
Klaus Gerth
Gemischte Gefühle und tiefe Prägungen
Uwe Heimowski
Ich wusste (fast) immer, wo ich hingehöre
Reinhard Holmer
Mein Mecklenburg, mein Himmel – geprägt vom Elternhaus
Uwe Holmer
Fremd in der Heimat
Konstantin Mascher
Auf die Heimat kommt es an
Helmut Matthies
Zugehörigkeit erleben und teilen
David Neufeld
Wo ich zu Hause bin
Maria Prean
Abschied nehmen und gewinnen
Eckhard Schaefer
Ein Zaun aus Stiefmütterchen
Manfred Siebald
Drei Kulturen und eine Heimat
Nicola Vollkommer
»Hier riecht’s nach Heimat!«
Jürgen Werth
Von Wurzeln und Flügeln
Marielle Wittwer
Heimat haben, als hätte man sie nicht
Daniel Zindel
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ÜBER DEN AUTOR
Ulrich Eggers ist Verleger der SCM Verlagsgruppe, Herausgeber des Magazins AUFATMEN und 1. Vorsitzender von Willow Creek Deutschland.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
VORWORT
Nach langen Jahren der Vernachlässigung oder Geringschätzung erlebt der Begriff »Heimat« einen Boom und neue Aufmerksamkeit. Hunderttausende Geflüchtete, deren Not und Verzweiflung so groß waren, dass sie ihre kostbare Heimat verlassen haben, stoßen uns neu auf den Wert dieses Ortes »Heimat«. Und auf all die Themen und Umstände, die daraus folgen, seine Heimat, Sprache und Kultur zu verlassen und entwurzelt zu sein, zwischen den Welten zu leben, sich neu orientieren zu müssen. Wer immer Heimat als sicheren Ort schätzt, der wird mit zupacken und sich engagieren, um Geflüchteten neue Heimat oder sichere Rückkehr zu ermöglichen.
Aber es sind nicht nur die Flüchtlingswellen, die unser Interesse an diesem Thema neu wecken. Es ist auch die Rückseite der unglaublichen Phase der Globalisierung, die uns in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren überschwemmt hat. Wir genießen die enormen Vorteile einer offenen und via Internet schier grenzenlosen Welt, die uns mit globalem Warenverkehr und Reisemöglichkeiten nie da gewesene Chancen bietet. Aber zugleich ist da die wachsende Schattenseite einer Entwurzelung und Verunsicherung im Eigenen: Was ist eigentlich noch Heimat und was macht sie mit uns? Ist Heimat wichtig – und wie finde oder behalte ich sie? Wir können jederzeit in Echtzeit rund um die Welt agieren, kennen Bali besser als Brandenburg – und sind doch in hoher Gefahr, uns in all dieser Offenheit und Vielfalt selbst zu verlieren. Entwurzelt und heimatlos zu werden in der grenzenlos gewordenen Fülle von Angeboten, Orten, Kulturen, Meinungen, Möglichkeiten.
Dabei ist Heimat ja nicht nur Landschaft und Region und ihre Schönheit und Eigenart. Sondern die Gesamtheit unserer Herkunft und Verortung: Kultur, das Verwobensein mit Geschichte, Glaube, Familie, Alltag, Eigenheiten, Prägungen, Sprache. Und was für ein Reichtum ist das! Je älter ich werde, umso mehr – und oft erstmalig richtig – entdecke ich das: die innere Schönheit all dessen, was zu diesem komplexen Begriff »Heimat« gehört, das Gewordensein, die Prägung und Eigenart von Menschen und Dingen. Darin auch einander zu entdecken als Angehörige ganz verschiedener Regionen und Kulturen innerhalb unserer deutschsprachigen Länder samt ihrer vielfältigen Verwobenheiten: Was für ein Reichtum! Dessen man sich überhaupt erst mal als Chance und Besitz bewusst werden muss: Vielfalt und Unterschiedlichkeit ist Schönheit und Ausdruck letztlich der Kreativität unseres Schöpfers! Aber unter Vielfalt, Andersartigkeit und Gegensätzlichem kann man auch leiden. Deswegen ist es so gut, sich mit dem Begriff »Heimat« neu zu befassen, ihn auszuloten und neu zu vermessen. Das beginnt oft damit zu verstehen, dass das Alltägliche und Gegebene in meinem Umfeld immer auch etwas Besonderes ist – ein Besitz, ein Geschenk, ein Segen, eine Gnade. Und dass andere ihr ganz anderes für sich genauso erleben. Und dass daraus miteinander eine Fülle und Schönheit des Lebens entsteht, die uns eine ganz neue Dimension des Staunens, Wahrnehmens und Verstehens bringen kann.
Wer nicht weiß, wie reich und begnadet er ist, der schöpft eine mögliche Tiefe und Weite des Lebens gar nicht aus. Deswegen tut es so gut, sich neu mit diesem Begriff »Heimat« zu befassen – ihn mit dem Herzen zu erfassen, seine funkelnde Vielfalt auch durch die Perspektive und Haltung anderer zu ihm zu erfassen.
Heimat haben. Verwurzelt sein – wie ein alter Baum. Halt haben in einer Heimat, einer Kultur, einem Glauben. Wissen, woher und wohin. Wissen, wie. Zu Hause sein, behaust, geschützt, geborgen. Geworden und geprägt sein durch etwas. Es ist gut, all das aus dem Nebel des Unbewussten herauszuholen und in den Blick zu nehmen. Und es ist gerade heute so wichtig und herzbewegend zu verstehen, was es mit einem macht, wenn man das alles nicht mehr hat, wenn man entwurzelt ist, vertrieben, geflüchtet und innerlich und äußerlich unbehaust und ungeborgen.
Gerade deswegen habe ich für dieses Buch eine große Gruppe völlig unterschiedlicher Menschen eingeladen, ihre Blickwinkel auf den Begriff »Heimat« zu teilen: Männer und Frauen, Heimgekehrte und Einheimische, Grenzüberschreiter und Ortsfeste, Ausgezogene und Pendler zwischen den Welten, Menschen aus Süd, Nord, Ost und West: Was für ein Reichtum an Herkünften allein dort! Mein Wunsch an diese bunte Mischung von Autorinnen und Autoren war, dass sie von ihrer Heimat erzählen, von ihrem Gewordensein und ihrer Beziehung zu diesem Begriff. Lieben sie ihre Heimat – oder wehren sie den Begriff eher ab? Schreiben sie eine Liebeserklärung an ihre Stadt oder Region – oder empfinden sie eher Enge statt Geborgenheit? Fremdeln sie mit dem Begriff oder haben sie ihre Heimat neu entdeckt? Problematisieren sie ihre Haltung dazu oder haben sie eine neue, geläuterte Sicht gefunden? All das, damit wir als Lesende abgleichen und messen können, wie es uns wohl selbst mit unserer Heimat geht – und wo wir vielleicht Nachholbedarf haben oder Entdeckungsterrain finden.
Zugleich war es die Aufgabe meiner Mitschreibenden, den Begriff »Heimat« für sich neu zu durchdenken: Brauchen wir mehr oder weniger Heimatgefühl und regionale Verortung? Gehen Menschen tatsächlich in einer zunehmend globalisierten Welt unter – oder fördert sie gerade eine Neuentdeckung unserer Wurzeln? Und was ist eigentlich mit denen, die keinen Zugang mehr zu ihrer Heimat oder zur Begrifflichkeit finden? Birgt das Reden von Heimat auch eine Gefahr des Rückzugs ins kuschelig Private, dessen Pflege und Aufbau zum eigentlichen Lebensziel wird? Kann man die Heimat lieben und ein Patriot sein, ohne ins Nationalistische und Abgrenzende zu fallen? Und: Welche Einsichten vermittelt an dieser Stelle die jeweilige persönliche Biografie – egal, ob sie heimatverbunden und ortsfest oder wild bewegt vom ständigen Neuaufbruch ist?
Aber auch dies: Ist Heimat überhaupt eine Region, ein Ort – oder eher ein innerer Zustand? Ein Mensch, eine Gruppe, eine Gemeinde? Oder ein Raum, ein Zimmer, ein Sehnsuchtsort? Schließlich: Wie erleben Christen, deren Heimat doch eigentlich im Himmel sein soll, die Spannung zwischen irdischem Eingerichtetsein und himmlischer Zukunft? Und wie sehr zieht uns die Vorstellung, dass unser guter Vater im Himmel dort eine Wohnung für uns bereithält – und als unser Schöpfer ganz offensichtlich viel von der Notwendigkeit von Heimat für uns Menschen weiß?
Wer schon einmal aufmerksam den tief wissenden Blick eines kleinen Babys oder Einjährigen erforscht hat, der weiß: Wir kommen nicht aus dem Nichts – da ist eine Ahnung von himmlischer Heimat verborgen. Und wir gehen nicht ins Nichts – hier ist nur »Heimat auf Zeit«. Aber Heimat ist eine Herzenssehnsucht, eine Notwendigkeit. Verwurzelt sein und offen für Aufbruch. Heimat im Herzen haben, die mit mir geht. Bei der Beschäftigung mit diesem Begriff merke ich: Heimat haben ist viel wichtiger, als mir bisher klar war. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir auch anderen Heimat schaffen – oder Zugang vermitteln zu diesem Begriff und seiner inneren und äußeren Dringlichkeit. Danke an alle Mitautorinnen und -autoren, die uns hier eine Tür in ihre Welt und Heimat öffnen.
Ulrich Eggers
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Andrea Adams-Frey
UNTERWEGS NACH HAUSE
Ich sitze gerade unter einem Bambusdach und genieße den wunderschönen Ausblick auf die malerische Bucht einer noch sehr wenig touristischen, ruhigen Insel in der Andamanensee in Thailand. Eine leichte Brise sorgt auch jetzt am Nachmittag für ein angenehmes Klima um die 30 Grad. Zu Hause ist es kalt. Zu Hause friert es. Es ist unter 0 Grad.
Mareike, Susanne und meine Freundin Nadine hüten unseren Hof und die Tiere. So ist es möglich, dass ich gemeinsam mit meinem Mann Albert vier Wochen meinem Fernweh nachgeben kann und hier herumreisen darf.
Und nun schreibe ich in der Fremde über Heimat. Unpassend und passend zugleich, habe ich das Gefühl. Denn sind nicht Fernweh und Heimweh wie zwei Seiten einer Medaille? Für mich war es immer so. Hin und her gerissen zwischen Fernweh und Heimweh trieb ich durch mein Leben, so scheint es mir im Nachhinein.
Mich hat es immer berührt, wenn Menschen offen und ehrlich etwas von sich preisgegeben haben. In Büchern, in Artikeln, im persönlichen Gespräch. Theoretisches Wissen hat mich nie so wirklich interessiert, obwohl das natürlich auch wichtig ist. Ich wollte immer etwas von den Menschen spüren, die mir etwas weitergaben. Deshalb möchte ich auch hier in meinem Beitrag von meiner ganz persönlichen Suche nach Heimat erzählen. So wie ich sie erlebt habe und erlebe. Äußerlich und innerlich. Ich möchte im Schreiben ergründen, was mich gezogen, angetrieben und in Bewegung gebracht hat.
Irgendwann …
Ich bin, wenn ich richtig gerechnet habe, in meinem Leben genau zwanzigmal umgezogen. Viermal davon als Kind mit meinen Eltern und meinen beiden Schwestern. Folglich 16-mal als Erwachsene. Für mich war es nie übermäßig anstrengend oder aufreibend umzuziehen, so wie es für viele andere Menschen wohl ist. Ich habe einfach alles zusammengepackt und bin weitergezogen.
Gut, mittlerweile hat sich einiges angesammelt, das macht es mühsamer! Aber die Zeiträume, die ich an einem Ort sein kann, werden auch immer länger. Seit 2012 leben Albert und ich auf unserem eigenen Hof und haben uns so vor allem meinen Traum erfüllt, dass wir unsere Pferde direkt bei uns am Haus halten können. Schon als 4-jähriges Kleinstadtmädchen habe ich mir immer gewünscht, mit Tieren, vor allem Pferden, auf einem Bauernhof zu leben. Dieser Wunsch war viele Jahre verschüttgegangen und in Vergessenheit geraten. Aber er schlummerte wohl immer still in mir und nährte eine tiefe Sehnsucht. Ist dieser Hof nun aber schon mein Zuhause? Meine Heimat?
Ich liebe Sendungen im Fernsehen, in denen es um Immobilien geht, um »Zuhause-Häuser« oder eben Eigenheime. Albert und ich haben bereits unser drittes Haus gekauft. Natürlich haben wir jeweils das vorige wieder verkauft!
Ich glaube nicht daran, dass man sich bis in alle Ewigkeiten festlegt, wenn man den Schritt wagt, sich ein Eigenheim zu kaufen. Es ist keine bleibende Stadt. Zumindest haben wir es so erlebt.
Ich habe es geliebt, den Hof umzubauen, alles einzurichten und auszusuchen, den Plan für den Stall zu entwerfen, damit sich auch die Pferde so wohl wie möglich fühlen. Klar war es auch anstrengend! Und wie oft waren wir am Beten um richtige Entscheidungen … Aber es war erfüllend für mich.
Mir kam es vor, als würde ich ein Bild malen oder ein Drehbuch für einen neuen Film schreiben, in dem ich dann später irgendwann die Hauptdarstellerin sein sollte. Und genau das war wohl immer mein Problem: später. Irgendwann. Nicht heute, nicht jetzt.
Warum fühle ich mich so hingezogen zu Gebäuden und Einrichtungsgegenständen, Stoffen und Kissen und Kerzen, und warum bin ich so hingerissen von der Schönheit eines Raumes, wenn er heimelig anmutet und mich einlädt zu verweilen? Und warum kann ich das dann oft gar nicht gut: darin verweilen?
Warum schare ich meine Tiere um mich und gerne auch Menschen, die mir nahe sind?
Warum wollte ich unbedingt zurück ins hohenlohische Baden-Württemberg, wo ich Ende der 90er-Jahre eigentlich nur fünf Jahre gelebt hatte? Und wo es auch nichts besonders Spannendes zu erleben gibt?
Wurzeln schlagen und entwurzelt sein
Als Albert und ich 2001 geheiratet haben, bin ich ihm erst einmal gefolgt und mit ihm nach Ravensburg gezogen. Es hat sich auch einfach angeboten. War es doch das, was vordergründig richtig erschien.
Dort war es ja eigentlich auch wunderschön! Nahe am Bodensee gelegen, nahe den Alpen. Mit netten Menschen einer geistlichen Gemeinschaft und Alberts Familie, die mich herzlich aufnahm. Aber ich bin dort innerlich nie richtig angekommen. Fünf Jahre habe ich es versucht.
Heute glaube ich, dass mein Herz nach all der Rumzieherei in meinem Leben bereits woanders Heimat gefunden hatte. Zum ersten Mal. Es hatte Wurzeln geschlagen in einem abgeschiedenen Dorf in Hohenlohe, in einem alten Haus namens »Schlössle«, in einer therapeutischen Einrichtung bei Menschen, die mir das erste Mal in meinem Leben das Gefühl gaben, die Andrea zu sein, die ich wirklich bin. Weil sie daran glaubten, dass Gott mich so gemacht hat und mich genau so wollte!
Ich habe in den fünf Jahren von 1996 bis 2001, in denen ich dort gelebt habe, viel Gutes und Heilendes erlebt – so viel echte Begegnung mit mir selbst, mit Gott, mit Menschen und nicht zuletzt auch mit der Natur, der Landschaft, der fruchtbaren Erde dort –, dass ich verbunden wurde. Ich fand Verbindung. Verbindung mit dem Leben, mit mir und mit Gott. Ich habe das nicht gemacht. Es geschah einfach.
Hat das Gefühl von Beheimatetsein also etwas mit Verbundensein zu tun? Und gibt mir diese Verbundenheit das Gefühl, dorthin zu gehören?
Albert spürte, dass ich in Ravensburg, seiner Heimat, nicht wirklich glücklich war. Nach etwa vier Jahren und nachdem wir viel in das alte Haus seiner Großmutter investiert hatten, um es umzubauen, nahm der Gedanke fortzuziehen immer mehr Raum in uns ein, obwohl es nicht sehr vernünftig erschien. Also überlegten wir, wo ein guter Ort sein könnte, um zusammen neu zu beginnen. Unsere Überlegungen gingen von Cuxhaven bis ins Allgäu, wo wir uns Häuser anschauten. Wir spürten hin, ob an einem dieser Orte eine gemeinsame Heimat entstehen könnte. Aber es zog mich zurück in die Gegend, wo ich das erste Mal in meinem Leben Wurzeln geschlagen hatte.
Tatsächlich fühlte ich mich völlig entwurzelt in der Zeit in Ravensburg. Ich verlor buchstäblich den Boden unter den Füßen, wusste nicht mehr, wer ich bin und wohin ich gehöre. Das wurde zeitweise so schlimm, dass ich nicht mehr alleine einkaufen gehen konnte, weil der Boden unter meinen Füßen schwankte. So verbrachte ich im Jahr 2002 acht Wochen in der Klinik Hohe Mark, um dort innerlich wieder stabil zu werden, was auch gelang.
Wir fingen an, nach Höfen im Hohenloher Land zu suchen. 2006 zogen wir dann tatsächlich dorthin. Wir kauften im Nachbarort der Schlössle-Gemeinschaft ein altes Bauernhaus, bauten auch dort wieder vieles um und das Tonstudio fand seinen Raum oben im Dach. Hier lebten und arbeiteten wir weitere sechs Jahre. Ich spürte innerlich, es ist gut. Auch Albert hatte nun ein ganzes Ja zu diesem Schritt. Ich rechne es ihm bis heute hoch an, dass er für mich seine Heimat verließ und mir diesen Wunsch erfüllte. Und auch er fand einen tieferen Sinn darin, gemeinsam mit mir etwas Neues anzufangen. Denn ging es für mich darum, Wurzeln zu schlagen und zu vertiefen, ging es für ihn doch mehr darum, Altes zu verlassen – »Vater und Mutter zu verlassen« – auch im übertragenen Sinn.
Unsere zwei Pferde, die wir mittlerweile besaßen, stellten wir im Nachbarort in einem Reitstall unter. Und das war noch der Haken an dem Bauernhaus. Wir hatten dort keine Möglichkeit, die Pferde unterzubringen. Ich hatte das eigentlich gehofft, aber es stellte sich heraus, dass wir dort kein Land für eine Weide bekamen.
Noch mal weiterziehen
Ich liebte das alte Haus, das wie im »Auenland« in einem kleinen Weiler, bestehend aus sechs Häusern, stand. Es war schon im 17. Jahrhundert erbaut worden, war schief und krumm, hatte niedrige Decken, bemalte Türen und eine ganz besondere Atmosphäre. Man erzählte uns, dass immer besondere Menschen von diesem Haus angezogen worden waren und es dann besessen hatten. Wir fühlten uns geehrt.
Nach ca. vier Jahren fing ich heimlich wieder an, nach Immobilien zu gucken. Ich trau es mich kaum zu schreiben: Es war einfach immer noch nicht das Richtige. Der Wunsch, die Pferde selber, nach meinen eigenen Vorstellungen zu halten, wurde so groß!
So las ich immer »so ganz nebenbei« die Immobilienanzeigen der Hohenloher Zeitung. Und eines Tages fand ich einen Aussiedlerhof nur 2 km weiter. Ich fuhr dort vorbei. Wollte wissen, wo er