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DIE ONEDIN-LINIE: ERSTER BAND - DER KAPITÄN: Die große Seefahrts- und Familien-Saga!
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DIE ONEDIN-LINIE: ERSTER BAND - DER KAPITÄN: Die große Seefahrts- und Familien-Saga!
eBook313 Seiten4 Stunden

DIE ONEDIN-LINIE: ERSTER BAND - DER KAPITÄN: Die große Seefahrts- und Familien-Saga!

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Über dieses E-Book

1860. Im Hafen von Liverpool liegt der stabile, aber heruntergekommene Frachtsegler Charlotte Rhodes. Der ehrgeizige Kapitän James Onedin, der von einer eigenen Schifffahrtslinie träumt, will ihn kaufen. Doch dazu fehlt ihm das nötige Geld. Da begegnet ihm die nicht mehr ganz junge Anne Webster, Tochter des Eigners. In einem gewagten Spiel um Aufstieg und Ruin wirbt Kapitän Onedin um das Herz der schönen Frau und nimmt den Kampf mit Wind und Wetter und seinen eiskalten Widersachern auf...

 

Cyril Abraham (* 22. September 1915; † 30. Juli 1979) war ein englischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Die BBC-Serie Die Onedin-Linie - von der ARD in den Jahren 1971 bis 1980 ausgestrahlt - gilt als sein bekanntestes Werk. Weitere Berühmtheit erlangte er durch seine Mitwirkung als Autor an der legendären TV-Serie Mit Schirm, Charme und Melone.

Der Kapitän spielt in der rauen Welt der Seefahrt: Spannend und lebendig verwoben mit der Familiensaga der Onedins erzählt Cyril Abraham von den letzten Tagen der ruhmreichen Frachtsegler, welche auf den Weltmeeren kreuzten, ehe das neue Zeitalter der dampfbetriebenen Stahlriesen begann.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum22. Sept. 2021
ISBN9783748795506
DIE ONEDIN-LINIE: ERSTER BAND - DER KAPITÄN: Die große Seefahrts- und Familien-Saga!

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    Buchvorschau

    DIE ONEDIN-LINIE - Cyril Abraham

    Das Buch

    1860. Im Hafen von Liverpool liegt der stabile, aber heruntergekommene Frachtsegler Charlotte Rhodes. Der ehrgeizige Kapitän James Onedin, der von einer eigenen Schifffahrtslinie träumt, will ihn kaufen. Doch dazu fehlt ihm das nötige Geld. Da begegnet ihm die nicht mehr ganz junge Anne Webster, Tochter des Eigners. In einem gewagten Spiel um Aufstieg und Ruin wirbt Kapitän Onedin um das Herz der schönen Frau und nimmt den Kampf mit Wind und Wetter und seinen eiskalten Widersachern auf...

    Cyril Abraham (* 22. September 1915; † 30. Juli 1979) war ein englischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Die BBC-Serie Die Onedin-Linie - von der ARD in den Jahren 1971 bis 1980 ausgestrahlt - gilt als sein bekanntestes Werk. Weitere Berühmtheit erlangte er durch seine Mitwirkung als Autor an der legendären TV-Serie Mit Schirm, Charme und Melone.

    Der Kapitän spielt in der rauen Welt der Seefahrt: Spannend und lebendig verwoben mit der Familiensaga der Onedins erzählt Cyril Abraham von den letzten Tagen der ruhmreichen Frachtsegler, welche auf den Weltmeeren kreuzten, ehe das neue Zeitalter der dampfbetriebenen Stahlriesen begann.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers.

    DER KAPITÄN

    Erstes Kapitel: Der Vater

    Isabel Onedins Droschke bahnte sich ihren Weg durch das geschäftige Treiben auf den Docks von Liverpool. Klüverbäume der Schiffe ragten hoch oben so weit über die Straße, dass sie fast die gegenüberliegenden Häuser berührten. Ein Wald von Masten strebte, so weit das Auge reichte, gen Himmel. Isabel begnügte sich damit, mit gespielter Gleichgültigkeit, die sie für damenhaft hielt, über das dahintrottende Pferd und das Geschrei der sie umgebenden Menschenmenge hinwegzusehen. Verstohlen zählte sie ihre Geldmünzen. Vier Penny-Stücke, ein Six-Pence-Stück und eine kleine silberne Drei-Penny-Münze. Zusammen ein Schilling und ein Penny. Sei’s drum. Der Mann musste sich eben mit einem Penny als Trinkgeld abfinden.

    Die Droschke passierte das Salthouse-Dock, bog nach links in die enge Straße von Cotton Hey ein und hielt vor dem Laden mit dem verwitterten Schild:

    S. Onedin & Sons, Schiffsausrüster.

    Isabel stieg aus, schüttete dem Kutscher ihre Münzen in die ausgestreckte Hand, schenkte ihm ihr betörendstes Lächeln, nahm die Reisetasche in die Hand und verschwand im Laden, bevor der arme Narr wusste, wie ihm geschah.

    Der Laden war klein und dunkel, der Warenvorrat mager. Der nur allzu vertraute süßsaure Geruch nach geteertem Tauwerk, Leinwand und Rapsöl brachte ihr mit bitterer Deutlichkeit in Erinnerung, dass sie hier zu Hause war.

    Robert blickte beim Kling-kling der Türglocke kurz auf, warf Isabel einen unfreundlichen Blick zu und wandte sich dann wieder der Kundin zu, die er gerade bediente. Sie war ihrem Aussehen nach Irin, denn sie trug den langen, schwarzen Strickschal und einen goldenen Ohrring, wie es bei ihresgleichen üblich war. Ihr Mann würde wohl den zweiten tragen. Zwischen den Eheleuten schien es nicht zum Besten zu stehen. Als ob, dachte Isabel, vier dreckige, hohläugige, spindeldürre Bälger, die sich der Mutter an die Rockfalten klammerten, nicht schon Anfechtung genug waren. Sie hasste es, diese Kreaturen zu bedienen, die ewig jammerten, um Kredit bettelten und dabei auch noch stahlen, was ihnen nur in den Weg kam. Sie wusste, dass auch ihr Bruder Robert trotz der für einen Ladenbesitzer angemessenen Höflichkeit diese Elendsgestalten verabscheute und sich nur nach dem Tag sehnte, da sein Laden von besserer Kundschaft aufgesucht werden würde.

    Isabel lüpfte die Röcke, machte einen Bogen, als habe sie Angst, sich durch eine Berührung mit der Frau zu beschmutzen, hob die Klappe des Ladentisches hoch und verschwand im rückwärtigen Zimmer.

    Robert gab der Frau für einen Penny Schiffszwieback, für einen halben Penny Trockenfleisch und ein bisschen Schmalz. – »Ich bin so frei.« Er komplimentierte sie zur Tür, dankte ihr für den Besuch und wünschte ihr höflich einen guten Tag. Wirklich, dachte er bei sich, als er die Tür hinter ihr zumachte, die Stadt wurde neuerdings von diesem Gesindel geradezu überschwemmt. Er erinnerte sich an einen ausgezeichneten Artikel im Liverpool Mercury vom selben Tag, in dem es mit schöner Offenheit hieß: »Die Wilden aus Irland, die nichts tun als betteln, sind die ärgste Plage, mit der sich unser Land auseinanderzusetzen hat.« Robert pflichtete diesem Satz aus ganzem Herzen bei. Nach seiner eigenen wohlerwogenen Meinung wurde das Unglück nur noch schlimmer, wenn man den Bettlern auch noch Geld gab. Der Liverpool Mercury fuhr in seiner schönen Offenheit fort und lenkte die Aufmerksamkeit aller ehrlichen, schwerarbeitenden angelsächsischen Staatsbürger auf die Tatsache, dass allein in diesem Jahre des Heils 1860 nicht weniger als £20750-6-4 an Wohlfahrtsunterstützung für 50.000 irische Almosenempfänger ausgegeben worden seien. Dieser Zustand sei unerträglich geworden.

    Beim Thema Geld fiel Robert ein, dass Isabel ihm noch sechs Pence für das Telegramm schuldete, das er ihr hatte schicken müssen, und dass sie die Unverfrorenheit besessen hatte, vom Bahnhof in einer Droschke heimzufahren. Ihre Extravaganzen gingen ihm allmählich zu weit. Er würde dem kleinen Frauenzimmer gehörig seine Meinung sagen.

    Die Tür zum Hinterzimmer war durch einen Vorhang verdeckt. Robert schob ihn beiseite und rief mit barscher Stimme nach hinten, Isabel solle sofort zu ihm in den Laden kommen.

    Statt einer Antwort hörte er sogleich ein gebieterisches Klopfen aus dem Oberstock.

    Er errötete über seine Vergesslichkeit, und ein Anflug kummervoller Frömmigkeit trat auf seine groben Gesichtszüge. Oben im Schlafzimmer lag sein Vater im Sterben. Er senkte die Stimme zu einem Grabesflüstern und zischte:

    »Isabel!«

    Isabel blieb einen Augenblick auf dem Treppenabsatz stehen. Aber sie hatte keine Lust, ihrem Bruder und seinen ewigen Nörgeleien zuzuhören; deshalb öffnete sie leise die Schlafzimmertür und schlüpfte wie ein heller Schatten hinein.

    Drinnen stand Sarah, Roberts Frau, neben dem Bett; sie spielte in ängstlicher Nervosität mit einem kleinen Spitzentaschentuch. Isabel trat auf Zehenspitzen näher und blickte auf die verfallene Hülle ihres Vaters herab. Sein Gesicht hatte Aussehen und Farbe von zerknittertem Segeltuch angenommen. Ab und zu hoben sich die Augenlider, aber sein Blick schien schon ganz in verblasste Erinnerungen eingesponnen, und der Atem ging flach und rasselnd, als suche der Sterbende in dem stillen Raum nach einem letzten schwachen Halt.

    Isabel schreckte zusammen, als sich in der dunklen Ecke plötzlich ein Schatten regte. Ein trockenes Hüsteln.

    Pfarrer Samuels war herangetreten und formte hinter stummen Lippen eilige Beileidsworte. Er warf mit betonter Missbilligung einen kurzen Blick auf Isabels helles Kleid und legte dann eine tröstende Hand auf Sarahs Schulter; dabei betrachtete er ihren geschwollenen Leib mit der Anerkennung eines Mannes, der bereits zehnfacher Vater war.

    »Der Herr gibt, Mrs. Onedin, und der Herr nimmt. Sein Wille geschehe.«

    »Amen«, antwortete Sarah geziemend.

    Aber tausend Gedanken jagten ihr durch den Kopf. Es war wirklich ganz typisch für Isabel, in einem solchen Augenblick zu stören.

    Sarah hatte sich die Szene schon seit langem ausgemalt. Jedenfalls schon seit dem Tage, da ihr Schwiegervater den ersten Schlaganfall erlitten hatte.

    Während der letzten Augenblicke seines Lebens würde sie allein an seinem Bett stehen. Isabel, die durch ihre bloße Anwesenheit den Todesengel zur Verzweiflung bringen würde, hätte man irgendwohin weggeschickt. Robert würde sich unten um das Geschäft kümmern, und James würde auf See sein. Die Anwesenheit Pfarrer Samuels’ war ein unverhoffter Glückszufall. Als Mann des geistlichen Standes konnte er jene letzten bewegenden Momente bezeugen, wenn der alte Mann – so stellte es sich Sarah vor – mit letzter Anstrengung nach ihrer Hand greifen würde. Mit ersterbender Stimme würde er sie wegen der Härte, die er ihr und Robert gegenüber in der Vergangenheit bewiesen habe, um Vergebung bitten. Denn er war ein Geizkragen gewesen, der jeden Pfennig zählte und den lieben Robert wie ein Stück Dreck und sie beide als seine Sklaven behandelte, und dann würde er, mit seinem allerletzten Atemzuge, noch so viel Kraft aufbringen, um Robert den Laden zu vermachen. Das war nicht mehr als recht und billig. Robert war der ältere Bruder. Das Geschäft gehörte ihm von Rechts wegen. Es gehörte ihnen. Ihnen beiden! Sie hatten sich abgeplagt. Niemand sollte es ihnen jetzt streitig machen! Aber dort stand Isabel – sie duftete nach Parfüm, war wie ein Mädchen von der Straße aufgetakelt, und in ihren großen blauen Augen blinkten Krokodilstränen. Isabel war immer sein Lieblingskind gewesen. Er hatte sie von Geburt an verwöhnt. Sie war temperamentvoll, voller verrückter Einfälle und so selbstsüchtig, dass sie an nichts anderes dachte als an die Erfüllung ihrer eigenen Wünsche. Oh, das würde sich alles ändern, wenn sie erst einmal den Laden hätten. Dann würde sie für ihr eigenes tägliches Brot arbeiten müssen – dafür würde Robert schon sorgen.

    Aber wenn sich der alte Mann noch einmal aufraffen und Isabel erkennen sollte? Sarah erschauerte bei dem bloßen Gedanken. Sollte sie im letzten Augenblick noch ihrer ererbten Rechte beraubt werden? Oh, großer Gott, dachte sie, warum bloß, warum kann er nicht sterben?

    Sarah merkte, dass sie den Atem anhielt und dass sich die Finger des Pfarrers auf ihrer Schulter verkrampften. Der Raum schien plötzlich von einer seltsamen Stille erfüllt, kein Laut regte sich. Staubteilchen hingen im Sonnenlicht des heißen Augusttages. Dann verschwamm das Zimmer in die grüne Unwirklichkeit eines Traums, als Pfarrer Samuels mit sanften, weißen Fingern die Jalousien am Fenster herunterzog.

    »Lasst uns beten«, begann er, »für die Seele des lieben Verstorbenen.«

    Robert fegte das Pflaster vor dem Laden. Nicht etwa aus Rücksicht auf die Passanten, sondern nur im Hinblick auf den Dielenboden des Geschäfts. Pferdemist, der auf der Straße verrottete und über das ganze Pflaster verteilt war, wurde mehr als einmal in den Laden getragen und war, auf dem Holzboden festgetreten, nur schwer zu beseitigen. Isabel, das wusste er, hasste das Schrubben und ging dieser Art von Arbeit meistens aus dem Wege. Na, das würde sich schon sehr bald ändern. Isabel würde lernen, auch selbst mit zuzupacken oder nach der Pfeife eines anderen zu tanzen.

    Zwei barfüßige Straßenjungen kamen um die Straßenecke gelaufen und schrien aus vollen Leibeskräften. Der ältere der beiden hielt plötzlich inne und wies nach oben. Er brachte seinen Spielgefährten mit gespielter Andacht zum Schweigen.

    »Halt die Klappe, Willie. Da oben liegt ein Toter.«

    Das Paar machte kehrt und schlich auf Zehenspitzen in das Leben und den Lärm des Hafens zurück.

    Auch Robert blickte hinauf. Das leere, verdunkelte Fenster starrte ausdruckslos auf die Straße herab. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn.

    Es ist vorüber, dachte er. Es ist vorüber. Der Laden ist mein.

    Er verlieh seinen Gesichtszügen den Ausdruck stoischer Ruhe, während er mit einem raschen Seitenblick seinen Nachbarn, den Metzgermeister Simpson, herannahen sah.

    Mr. Simpson nahm den Hut ab und blieb neben Robert stehen.

    »Ein trauriger Tag, Mr. Onedin«, begann er mit feierlicher Stimme. »Ein trauriger Tag.«

    »Ja«, pflichtete ihm Robert bei. »Ein trauriger Tag für uns alle. Aber wir waren darauf vorbereitet, Mr. Simpson. Wir waren vorbereitet.«

    »Eine lange, mit großer Geduld getragene Krankheit«, zitierte Mr. Simpson. Er wiegte den Kopf weise hin und her. »Er hat nicht gelitten, hoffe ich?«

    »Er blieb bis zum Ende bei klarem Verstand«, gab Robert zweideutig zurück.

    Mr. Simpson liebte gute Zitate.

    »Mitten aus dem Leben gerissen?«

    »Ja«, sagte Robert zurückhaltend. »Ja.«

    Mr. Simpson unternahm einen neuen Versuch. »Einen Mann wie ihn wird es nicht mehr geben.«

    Robert nickte verständnisvoll.

    »Gewiss, Mr. Simpson, gewiss.«

    »Sie werden ihm ein schönes Leichenbegängnis bereiten?«, bohrte Mr. Simpson, der auf eine Einladung hoffte.

    »Sie können sicher sein – wir werden das Bestmögliche tun«, erwiderte Robert und dachte dabei an die Kosten.

    Sie standen einige Augenblicke nebeneinander. Zwei gesetzte Männer, die ihre eigene Welt überblickten. Ein Windstoß hob ein Stück zerrissenen Zeitungspapiers in die Höhe und wirbelte es die Straße entlang. Mr. Simpson zog prüfend die Luft ein.

    »Der Wind hat sich gedreht, Mr. Onedin.«

    Robert nickte zustimmend.

    »Er wird Regen bringen, Mr. Simpson. Lassen Sie es sich gesagt sein: Er wird Regen bringen.«

    »Und den Staub beseitigen«, verkündete Mr. Simpson. »Alles hat auch seine guten Seiten.«

    Robert wiegte mit der Weisheit langjähriger Erfahrung den Kopf.

    »Schlecht für die Geschäfte, Mr. Simpson, sehr schlecht für die Geschäfte.«

    Der Metzger nickte unverbindlich und fand, dass er sein eigenes Geschäft schon zu lange vernachlässigt hatte.

    »Er war ein guter Mann, Ihr Vater. Einer der Besten«, erklärte er, womit er das Thema beschloss und zu seinem Laden zurückkehrte.

    Robert holte tief Luft und begann, die schweren, hölzernen Fensterläden zu schließen. Es war zwar höchst unbequem, aber er musste das Geschäft eine angemessene Trauerzeit geschlossen halten. Ganz sicher bis zum Tag nach dem Begräbnis. Dadurch erhielt er wenigstens Zeit, Inventur zu machen. Auch eventuell die eine oder andere Neuerung einzuführen. Da war zum Beispiel das Schild. Das war das Allererste: Es musste neu gemalt werden.

    Robert Onedin. Schiffsausrüster, dachte er.

    Er befestigte die Eisenstange in ihrer Halterung und dachte über die Formulierung nach. Vielleicht Schiffsausrüster & Kolonialwarenhändler? Ja, Kolonialwarenhändler klang vielversprechend.

    Sein Vater war ein altmodischer Kauz gewesen, der sich gegen jede Veränderung zur Wehr gesetzt hatte und jeglichen Fortschritt mit Argwohn betrachtete. »Robert«, pflegte er zu sagen, »ist ein Naseweis und glaubt, er könne einem alten Hasen noch etwas Neues beibringen.« Der alte Samuel Onedin hatte eiserne Grundsätze. »Alles hat einen Platz und gehört an seinen Platz. Schuster, bleib bei deinen Leisten – Geschäftsmann bei deinem Geschäft.« Samuel Onedin war von Beruf Kerzenzieher gewesen. Und blieb es innerlich bis an sein Lebensende.

    Robert erinnerte sich mit Bitterkeit an jene vergangenen Tage. Sein Vater kochte das heiße Wachs, während er und der junge James bis tief in die Nacht hinein die Kerzen gossen, wobei sie sich die Fingerspitzen völlig verbrannten; und Isabel saß weinerlich in der Ecke. Später wurde ihr beigebracht, dünne Peitschenkerzen herzustellen, sie aber, obwohl sie noch ein Kind war, rebellierte schon bald dagegen. Aus lauter Eigensinn machte sie die Kerzen entweder zu kurz oder zu lang, und manchmal drehte sie sie sogar in wilde Schlingen und Schlangen. Ihr Vater war ein strenger Mann und prügelte sie wütend. Aber ihr Geschrei stammte nicht von der Angst, sondern von der ohnmächtigen Wut der Hilflosigkeit. Am darauffolgenden Tag stellte man fest, dass jede Kerze im Laden gewalzt oder flachgehämmert worden war. Dafür wurde sie wieder geschlagen und dann bei Wasser und Brot im Dachboden eingesperrt. Sie reagierte, indem sie das Dachfenster einschlug und so lange hinausschrie, bis sich draußen auf der Straße eine Menschenmenge versammelt hatte und, in der Überzeugung, ein Kind werde umgebracht, drohte, das Haus und Onedin darin in Flammen aufgehen zu lassen.

    Robert musste in Gedanken an damals lächeln. Isabel hatte immer eine Begabung dafür gehabt, ihren Kopf durchzusetzen. James – ja, James, der war aus anderem Holz geschnitzt. James war den Anordnungen ihres Vaters immer in stillem Gehorsam gefolgt. Er half im Laden, diente als Laufbursche und saß bis in die Nacht über seinen Kerzen – ein folgsamer Knabe, der, zwei Jahre jünger als Robert, mit einer Art verbissener Ruhe arbeitete und regelmäßig, ohne ein Wort der Klage, sein Soll an Kerzen fertigstellte. An seinem dreizehnten Geburtstag war er mit einem Bündel sauberer Hemden und Socken erschienen und hatte in aller Seelenruhe die Absicht kundgetan, er werde als Schiffsjunge auf einem nach Westen laufenden Auswandererschiff, das unter der rotgoldenen Callon-Flagge fuhr, anheuern. Ihr Vater hatte zu protestieren versucht, aber dem Blick von James’ harten Knopfaugen konnte er nicht standhalten. »Sieh dich woanders nach billigen Arbeitskräften um, Kerzenzieher«, hatte James gesagt und dem Laden für immer den Rücken gekehrt.

    Und jetzt, sinnierte Robert, war James Kapitän und stand bei Callon zweifellos hoch im Kurs.

    Er versperrte das Vorhängeschloss und schaute die Straße entlang.

    Mr. Jenkins, dem die Pferdestallungen vier Türen weiter gehörten, streute bereits Stroh auf das Pflaster, um das Geklapper der Pferdehufe zu dämpfen. Robert nahm sich vor, auch Mr. Jenkins zu der Beerdigung einzuladen. Er würde noch mit Sarah darüber sprechen. Aber sie mussten wirklich versuchen, die Zahl der Trauergäste so niedrig zu halten, wie es mit dem Anstand noch gerade zu vereinbaren war. Sterben war eine kostspielige Angelegenheit. Er hatte den Sarg bereits ausgesucht. Billig zwar, aber aus polierter Eiche mit Messinggriffen. Keine Ausschussware. Vier Totengräber würden da sein, außerdem der Leichenbestatter und sein Gehilfe. Ein zweispänniger Leichenwagen würde genügen. Es war etwas Protziges an vier großen Rappen, die doch nur das Gewicht eines einzigen Menschen zu ziehen hatten. Zwei, vielleicht drei Kutschen. Robert beschloss, in dieser Hinsicht nicht mit sich reden zu lassen. Dann kam die Frage des Leichenschmauses hinterher. Gebackener Schinken war eine zwingende Notwendigkeit. Er würde sich einen Schinken vom Großhändler besorgen, und Sarah könnte ihn dann über Nacht kochen und im Ofen fertig backen. Tee war kein Problem; er hatte eine Viertelkiste von bestem Congou im Laden. Sarah konnte ihn ziemlich dünn aufgießen und eine Prise Bleichsoda zusetzen, damit er mehr Körper erhielt. Oh ja, er konnte diese Seite der Angelegenheit ruhig Sarah überlassen. Sie war eine gute Hausfrau. Eine Frau, auf die jeder Mann stolz sein konnte. Robert empfand eine gewisse wohltuende Selbstgefälligkeit. An dem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte sie, barfuß und schmächtig, die Schweine zum Markt getrieben. Wer hätte damals ahnen können, dass dasselbe verwahrloste Kind heute die Frau eines Mannes sein würde, der selbständiger Geschäftsmann war? Ja, beschloss er, das Schild dort oben musste weg. Er würde ein neues anbringen lassen: Robert Onedin. Schiffsausrüster und Kolonialwarenhändler.

    Den Kopf voller Zukunftspläne, ging Robert hinein, zog den Rollladen herunter und verriegelte die Tür.

    Ein Windstoß huschte wieder über die Straße und hob spielerisch

    Mr. Jenkins’ frisch ausgelegtes Stroh in die Höhe, bevor er ebenso rasch wieder mit einem leisen Seufzer des Bedauerns erstarb, als ob die Anstrengung zu groß gewesen wäre.

    Derselbe böige Wind hatte eine schmale Wolkenbank weit im Südwesten heraufgeführt. Die Wolken hatten die Aufmerksamkeit des Ausgucks der Maisie Rose erregt. Sein lauter Ruf wies nach steuerbord.

    James Onedin kniff die Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht zusammen und hielt in der Richtung Ausschau, in die der ausgestreckte Arm des Seemannes zeigte.

    »Wo?«, rief er hinauf.

    Der Ausguck ließ den Arm sinken.

    »Südwest. Tief auf der Kimm.«

    James dachte nach.

    Liverpool lag vor ihnen. Aber in den letzten drei Tagen hatte die Maisie Rose gegen den Wind, der stetig aus südöstlichen Richtungen den Mündungsarm des Mersey entlang wehte, ankämpfen müssen. Eine Wolke über dem Horizont könnte darauf hindeuten, dass sich der Wind bald drehen würde. Wenn ja, würde eine Reihe neuer Probleme entstehen. Wie konnte man die Situation am besten ausnutzen? James sah zu den anderen, über den ganzen Mündungsarm verstreuten Schiffen hinüber, die wie eine Schar Möwen verbissen gegen eine unsichtbare Felswand anzukämpfen schienen. Und die Tide hatte den Höhepunkt fast erreicht; bald würde die Ebbe einsetzen. Kein Schiff konnte hoffen, gegen die volle Strömung des Mersey Fahrt über Grund zu machen.

    Ein auslaufender Clipper, der die rot-gelbe Flagge der Callons führte, kam ihnen stromabwärts entgegen. Auf Steuerbordhalsen segelnd und mit festgezurrten Bram- und Stagsegeln, weißen Gischt vor dem Bug, dippte sie die Reedereiflagge zum Gruß der Maisie Rose und setzte mehrere Signalwimpel.

    James nahm das Fernrohr und las:

    »Von Reederei: Erwarten Fracht. Empfehlen Dampfschlepper.«

    Diese Reise hatte sich bereits als beschwerlich genug erwiesen, und James lehnte es als seiner unwürdig rundweg ab, sich zu guter Letzt noch von einer stinkenden Dampfmaschine in den Hafen schleppen zu lassen.

    Während Mr. Baines, der Steuermann, den Antwortwimpel hisste, schwang sich James in die Wanten und kletterte Hand über Hand nach oben.

    Sechzig Fuß über Meereshöhe erweiterte sich für James die Sicht von vier auf neun Meilen. Fünfzehn Fuß über ihm saß der Ausguck.

    Dieser wies wieder in die Ferne, und James ließ den Blick über den Horizont in südwestlicher Richtung schweifen. Gewiss, da stand eine weiße Wolkenwand, die fast die Kimm berührte. James nahm das Glas aus dem Gürtel, stellte es ein und suchte weiter westlich, Richtung Irland. Irgendetwas leuchtete weiß und golden und reflektierte das Sonnenlicht. James stemmte sich fester gegen das langsame Rollen des Schiffes und stellte das Fernglas noch schärfer ein. Der Fleck löste sich in die Ambossform einer Kumuluswolke auf, die einen Regenvorhang hinter sich herzog.

    Er atmete befriedigt auf und schob das Fernrohr wieder zusammen. Erst würde der Wind kommen, dann der Regen.

    Einen kurzen Augenblick genoss er das Hochgefühl des Alleinseins. Ein Ausschnitt der Welt, seiner Welt, lag wie auf einer Karte vor ihm ausgebreitet.

    Die krause Oberfläche der Liverpool Bay wurde hier und da von den Sandbänken der Great Burbo und den Untiefen von East Hoyle unterbrochen. Der stumpfe Daumen der Wirral-Halbinsel stieß gegen den engen Hals des Mersey vor. Auf der anderen Seite lag der Hafen von Liverpool. Auch Mitte August hing ein Schleier von Kohlendunst über der Stadt und streckte vom Wind zerzauste Arme über den Fluss. Dampffähren bahnten sich den Weg über den Strom; ihre das Wasser aufwühlenden Schaufelräder vermittelten den Eindruck, als hüpften schwarze Insekten über die Wasseroberfläche.

    James hatte das seltsame Gefühl, als brauche er nur den Arm auszustrecken, und die ganze Welt liege ihm zu Füßen.

    Eine zänkische Möwe ließ sich mit lautem Geschrei auf dem Ende der Rah nieder und brachte ihn aus seinen Träumen wieder in die Wirklichkeit zurück.

    Das Problem war jetzt ein mathematisches und geometrisches. Geometrisch kam es darauf an, dem hereinkommenden Wind genau am richtigen Punkt zu begegnen, dann zu wenden und wie ein immer schneller dahingleitender Wellenreiter in den Mersey einzulaufen. Mathematisch hing alles davon ab, die Gezeiten so zu berechnen, dass

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