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JANUAR IM JAHR 2000: Der dystopische Science-Fiction-Klassiker!
JANUAR IM JAHR 2000: Der dystopische Science-Fiction-Klassiker!
JANUAR IM JAHR 2000: Der dystopische Science-Fiction-Klassiker!
eBook269 Seiten3 Stunden

JANUAR IM JAHR 2000: Der dystopische Science-Fiction-Klassiker!

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Über dieses E-Book

José van den Esch wurde im Jahr 1912 in Namur in Belgien geboren. Sein Studium der Geschichte wurde durch die Mobilmachungen zum Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Acht Jahre lang gehörte er der französischen Armee an, fünf davon brachte er in deutscher Gefangenschaft zu. Die Erinnerungen an das Kriegsende, welches er in Ostdeutschland erlebte, an den Einmarsch der Russen und das Berlin der Nachkriegszeit fanden ihren Niederschlag in seinen Romanen Le Rendez-vous de Berlin (1952) und Le Haie de Temps (1955). Der bekannte Journalist, Theaterkritiker und Bühnenautor war zudem einer der Chefredakteure der großen Pariser Tageszeitung L’Aurore.

Jose van den Esch hat die apokalyptischen Visionen einer absoluten Zivilisation und einer definitiven Technik beschrieben. Die dramatischen Auseinandersetzungen entstehen aus den unabdingbaren gesellschaftlichen Gepflogenheiten dieses Zukunftsstaates. Die Plastikrevolution hat nicht nur die Weltkul­tur, sondern alle Ideen der Menschheit entscheidend verändert.

Man ist dem Termitenstaat gefährlich nahegerückt...

Der Autor nahm sich möglicherweise Aldous Huxley und George Orwell zum Vorbild, denn in seinem Roman verbindet er wie sie Science Fiction mit philosophischem Gedankengut.

Die Jury des Grand Prix International du Roman d'Anticipation et de Science Fiction in Lugano hat Jose van den Esch den Ersten Preis für diesen Roman zuerkannt.

 

Der Apex-Verlag veröffentlicht Januar im Jahr 2000 (eine deutsche Erstausgabe erschien im Jahr 1964) als durchgesehene Neuausgabe in seiner Reihe APEX SCIENCE-FICTION-KLASSIKER.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum10. Aug. 2021
ISBN9783748791232
JANUAR IM JAHR 2000: Der dystopische Science-Fiction-Klassiker!

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    Buchvorschau

    JANUAR IM JAHR 2000 - José van den Esch

    Das Buch

    José van den Esch wurde im Jahr 1912 in Namur in Belgien geboren. Sein Studium der Geschichte wurde durch die Mobilmachungen zum Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Acht Jahre lang gehörte er der französischen Armee an, fünf davon brachte er in deutscher Gefangenschaft zu. Die Erinnerungen an das Kriegsende, welches er in Ostdeutschland erlebte, an den Einmarsch der Russen und das Berlin der Nachkriegszeit fanden ihren Niederschlag in seinen Romanen Le Rendez-vous de Berlin (1952) und Le Haie de Temps (1955). Der bekannte Journalist, Theaterkritiker und Bühnenautor war zudem einer der Chefredakteure der großen Pariser Tageszeitung L’Aurore.

    Jose van den Esch hat die apokalyptischen Visionen einer absoluten Zivilisation und einer definitiven Technik beschrieben. Die dramatischen Auseinandersetzungen entstehen aus den unabdingbaren gesellschaftlichen Gepflogenheiten dieses Zukunftsstaates. Die Plastikrevolution hat nicht nur die Weltkultur, sondern alle Ideen der Menschheit entscheidend verändert.

    Man ist dem Termitenstaat gefährlich nahegerückt...

    Der Autor nahm sich möglicherweise Aldous Huxley und George Orwell zum Vorbild, denn in seinem Roman verbindet er wie sie Science Fiction mit philosophischem Gedankengut.

    Die Jury des Grand Prix International du Roman d'Anticipation et de Science Fiction in Lugano hat Jose van den Esch den Ersten Preis für diesen Roman zuerkannt.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht Januar im Jahr 2000 (eine deutsche Erstausgabe erschien im Jahr 1964) als durchgesehene Neuausgabe in seiner Reihe APEX SCIENCE-FICTION-KLASSIKER.

    JANUAR IM JAHR 2000

    Erster Januar

    Guillaume wurde durch das Telefon aus leichtem Schlaf geweckt. Das Zimmer war von einem Licht überflutet, das an ein Aquarium erinnerte. Die grünen transparenten Platten zur Straßenseite hin erzielten diesen Effekt. Wie ein Fisch in einer Glaskugel, dachte er und rieb sich die Augen. Unter dem Einfluss des Ortes, den er bewohnte, verfolgte ihn dieses Bild. Die Wissenschaftler, die für die Architektur den Baustoff der PVS (Plastikvolkssiedlung) entwickelt hatten, hätten diesen Punkt nicht außer Acht lassen dürfen.

    Guillaume träumte in seinem grünen Kubus nicht von irgendeinem Fisch. Er dachte an den Coeclanthide; vielleicht deshalb, weil er einmal dem Fernsehpublikum diesen Kaltblüter vorgestellt hatte. Der Coeclanthide sagt Ihnen nichts? Wohl kaum möglich! Dieses hechtähnliche Tier primitiver Meere – dieses sechzig Millionen alte Urtier – nimmt einen ehrenwerten Platz unter unseren Vorfahren ein. Älter als der Dinosaurier und der Diplodokus! Und liebenswerter!

    Guillaume hatte seinem Publikum auf Kanal 13 auseinandergesetzt, dass die Nachkommen des Coeclanthide, also sie, die Zuschauer, und er selbst, zu diesem Urfisch zurückkehren würden. Wenn das Atom nach zweimaligem Versagen bei einem dritten Versuch die Erde von jeglichem Leben gesäubert haben würde, gäbe es in der Tiefe der Meere nur noch den letzten der Coeclanthiden – einen traurigen Philosophen, der auf den Tod wartete... Aus Scham über dieses Ende würden Gott und er es nicht wagen, sich ins Antlitz zu sehen.

    Das Telefon klingelt immer noch, aber Guillaume hat keine Lust, zu antworten. Wenn man ihn doch an diesem ersten Januar des Jahres 2000 in Ruhe ließe! Der Himmel dringt durch die transparente Decke über seinem Kopf. Ein grauer Dunstschleier hängt über der Stadt. Das beginnende Jahrtausend erscheint schmutzig und kalt.

    Trunken, ohne getrunken zu haben, gejagt von Schlagworten aus seiner Silvesterrede, hatte Guillaume schlecht geschlafen. Das Thema: Der Fortschritt seit der Verdrängung von Stein, Ziegel und Beton durch synthetische Stoffe. Das angenehme Leben im Zeitalter der Plastik. Verherrlichung der Definition Zivilisation.

    Ein Lobgesang auf die Zeitverhältnisse – eine lästige Aufgabe! Im Allgemeinen lässt die Zensur den wissenschaftlichen Berichterstatter in Ruhe. Guillaume versteht sich mit der elektronischen Maschine Anastasia, die unter anderem die Fernsehsendungen kontrolliert, recht gut, obwohl sie mit dem Altwerden einen Zug zur Bitterkeit zu bekommen scheint. In ihrem Stromkreis treten ab und zu unkontrollierte Impulse auf. Anastasia zeigt sich krankhaft argwöhnisch. Doch auf Guillaumes mutwillige Phantastereien geht sie immer noch ein und erlaubt ihm, unter dem Vorwand, eine glänzendere Zukunft zu malen, die Gegenwart zu ironisieren.

    Doch am Vorabend nichts dergleichen. Anastasia hatte Anweisung von Oben erhalten: »Jegliche Art von Witz, Spott oder Humor ist untersagt; an diesem Silvesterabend kann die Definitive Zivilisation nur mit äußerstem Ernst behandelt werden.«

    Das Telefon hört nicht auf zu klingeln, und Guillaume nimmt endlich den Hörer ab. Eine Frauenstimme klingt schmeichelnd an sein Ohr.

    »Alles Gute zum Jahr 2000, mein Liebling.«

    »Vielen Dank. Gutes Neues Jahr.«

    »Hast du gut geschlafen, mein Liebling?«

    Er kennt die zärtliche Stimme nicht.

    »Bitte, mit wem...«

    »Aber mein Liebling! Mit wem hast du Silvester gefeiert? Solltest du mir etwa untreu geworden sein, du...«

    Er legt auf. Es kann sich hier nur um irgendeinen dummen Witz oder eine Bosheit handeln. Millionen von Menschen wünschen sich heute alles Gute über Leitungen, die von diesen Wünschen überlastet sind. Aber Guillaume erwartet keinen Anruf.

    Er hat keine Familie; weder Onkel noch Tante noch Cousin. Nicht einmal entfernte Verwandte. Alle Rousseaus sind vor fast genau dreißig Jahren bei der Katastrophe umgekommen. Guillaume hat den Zusammenbruch als Säugling auf dem Lande überlebt. Sein Name ist die einzige Verbindung zu einer zerstörten Wurzel. Der junge Mann weiß nicht, wer seine Eltern waren. Er hat niemanden getroffen, der sie gekannt hat. Zwischen 1930 und 1940 geboren und gegen 1960 getraut – unter welchen Verhältnissen mochten sie gelebt haben? Arbeiter? Angestellte? Geschäftsleute? Der Staat hat den kleinen Rousseau aufgezogen. Ein Kind unter Millionen anderer Opfer der Katastrophe.

    Aber der Staat – anonymer Vater und anonyme. Gesellschaft – war weder Kamerad noch Freund. Und die Freunde...

    Nur ein Mensch konnte Guillaume aus einem echten Gefühl heraus alles Gute wünschen: Nathalie.

    Nein! Nicht ihren Namen aussprechen! Nicht an sie denken...

    Aber er hat sich nicht genug in der Gewalt, um das Bild der jungen Frau zu verscheuchen. Er hat ihr weiches Gesicht vor Augen, ihr gelocktes Haar, kurzgeschnitten, gleich dem toskanischen Hirtenknaben, den Donatello in der Gestalt des heiligen Jean-Baptiste unsterblich machte.

    Wie er sie nah und lebendig vor sich sieht! Nicht ein Zug von Nathalie ist verschwommen. Die zwölf Monate, die seit ihrer Trennung verstrichen sind, breiten Trostlosigkeit auf dieses tote Jahr aus. Vielleicht hat Nathalie neben einem neuen Glück vergessen können... Guillaume krallt seine Finger in das Kopfkissen. Er streckt seinen linken Arm aus: Der Platz, wo sie schlief, ist leer, wo er sie umarmte, sie an sich zog, mit ihr unterzugehen schien, wo sie am Morgen zu neuer Liebe erwachten. Zwölf Monate! Fast vierhundert Tage sind vergangen, seit er sie zum letzten Mal in seinen Armen hielt. Er schluchzt tränenlos. Ein Mann von Dreißig weint nicht!

    Wie hat wohl Nathalie diese Nacht und dieses Fest verbracht? Er möchte schwören, dass sie sich nicht für die Inszenierung dieses Neujahrstages interessiert hat. An seiner Seite hatte sie sich über alles mokiert. Die Gesetze der Ordnung, die Vermassung der Lebensfreuden riefen in ihr Ironie, und Zorn hervor. Die Kommissare hätten zu ihrer Erziehung nur eins sagen können: Fehlgeschlagen.

    Es wäre für Guillaume und Nathalie besser gewesen, wenn beide sich nicht begegnet wären. Sie haben sich nicht gesucht. Das Büro für wissenschaftliche Forschungsarbeit stellte dem Fernsehen für Guillaumes Sachgebiet eine Mitarbeiterin zur Verfügung: Nathalie, ein junges Mädchen, das mit Diplomen geradezu gepanzert schien, was ihr zwar eine äußerst gute Klassifizierung eingebracht hatte, worüber sie sich aber selbst am meisten lustig machte. Zu Zeiten ihres Glücks hatte sie einmal in ihrer eigenwilligen Art gesagt: »Wir haben uns nach dem Index 780 geliebt.«

    Aber, wozu das alles...? Doch trotz des Kummers, den die Einsamkeit dieses Neujahrstages wieder heraufbeschwört, bereut Guillaume nichts. Er bedauert nicht, den kurzen Weg des Glücks mit Nathalie gegangen zu sein.

    Alles ist still. Eine befremdende Ruhe herrscht über der Stadt. Weit weg, in der unfertigen Nacht der östlichen Welt, geht das Fest weiter. Die erste Minute des Jahres 2000 hat die verlassene Gegend des früheren New York und Chicago überflogen; sie gleitet über Kalifornien hinweg. Los Angeles und San Francisco, die modernen Großstädte der ehemaligen Vereinigten Staaten, treten in das Leben des dritten Jahrtausends. Ganz Amerika lacht, tanzt, trinkt und gibt sich der Liebe hin. Asien, Afrika und Europa liegen erschlagen von Müdigkeit und Alkohol, die Nerven abgestumpft, mit satten Sinnen.

    Eine Nacht – der Abschluss von tausend Jahren. Guillaume hatte mit dem Gedanken gespielt, darüber im Fernsehen zu sprechen. Es erschien ihm eine gute und recht ungewöhnliche Idee, durch das Wunder von Wellen ein Jahrtausend auszulöschen. Ein Jahrtausend von Revolutionen und unzähligen Kriegen, von weltbewegenden Fortschritten... Beim Durchblättern einer deutschen Chronik hatte er ein interessantes Thema entdeckt: Die Auferstehung von Fulda. An Hand dieser Ausführungen hätte er aufzeigen können, wie das Christentum am Silvesterabend des Jahres 999 furchtgequält auf den Knien lag und das Ende der Welt erwartete, wie es beim Morgengrauen des ersten Januar 1000 in gläubiger Freude aufsprang, weil Gott und seine Würgeengel nicht über die Menschheit gekommen waren.

    Die Leute von Oben hatten dieses Sendeprogramm abgelehnt. »Nicht aktuell, dann sprechen Sie schon lieber über das Jahr 3000!«

    Wieder klingelt das Telefon. Wieder die gleiche Stimme...

    »Ich flehe Sie an«, sagt Guillaume, »nennen Sie Ihren Namen oder lassen Sie mich in Ruhe! Ich bin heute Nacht sehr spät schlafen gegangen.«

    »Ah, sieh an!« Einen Moment Stille, dann: »Hier ist Monique!«

    Er kennt keine Monique!

    Dieser Name hat einen seltsam altmodischen Klang. Nur noch Großmütter wagen, ihn zu tragen. Ihre Töchter, die man bis gegen 1970 noch so getauft hat, fürchten sich derart vor dem Lächerlichen, dass sie sich einen gebräuchlichen Vornamen zugelegt haben: Oktavia, Olympia, Sigismunde...

    »Entschuldigen Sie, ich erinnere mich an keine Monique.«

    Die Stimme klingt aufgebracht: »Das geht zu weit, wie Sie sich über eine Frau lustig machen!«

    »Und Sie über einen Mann!«

    Guillaume würde über diese telefonische Zänkerei laut auflachen, wenn ihm danach zumute wäre. Er konnte dieses Gespräch nicht komisch finden, denn er hatte im Unterbewusstsein zu sehr auf Nathalies Anruf gewartet. Sie wusste, wo er zu finden war, während er keine Ahnung hatte, wo er sie suchen sollte.

    »Madame, ich bitte Sie inständig! Lassen Sie mich schlafen. Sie haben die falsche Nummer gewählt und wollen nun nicht zugeben...«

    Die Stimme unterbricht ihn aufgebracht. »Ich habe mich nicht getäuscht. Man macht nicht zweimal den gleichen Fehler. Du betrügst mich. Das ist der Grund für deine abgeschmackte Komödie. Du bist nicht allein. So ist es. Ich bin die erste betrogene Frau dieses Jahrtausends... Schalte deinen Bildschirm ein, wenn du es wagst, mir mein Unglück zu zeigen!«

    Diesmal lächelt Guillaume. Das Operettenhafte dieser Situation bezwingt seine schlechte Laune. Abgesehen davon, dass die Stimme angenehm wohlklingend und weich ist... Die Stimme einer Frau eines gewissen Alters und sicherlich einer gewissen Bildungsschicht; ihr Wortschatz hat nichts mit dem Basic zu tun, jenem Gemisch von fünfhundert Vokabeln aus dem Englischen, Deutschen, Skandinavischen, Russischen, Arabischen und Sambischen, das heute die Sprache der Menschen mit niedrigem Index darstellt.

    Aus Neugierde zieht Guillaume seinen freien Arm unter der Bettdecke hervor und dreht den Knopf des Televisors. Die Kamera überflutet ihn mit blauweißem Licht. Er glaubt natürlich, dass seine Gesprächspartnerin das gleiche tut.

    Aber auf seinem Bildschirm macht sich nur eine milchige Helligkeit breit. Kein Bild erscheint. Doch irgendwo in der Stadt muss sein Kopf in einem Televisor aufgetaucht sein, denn die Stimme im Hörer lacht belustigt auf: »Tatsächlich ein Irrtum! Aber ich hätte auch mehr Glück haben können. Was für eine Enttäuschung! Soll das einundzwanzigste Jahrhundert so für mich anfangen?«

    Guillaume fährt sich hastig durchs Haar. Am anderen Ende der Leitung lacht die Frau von neuem: »Damit machen Sie auch nichts besser.«

    Er schaltet die Kamera aus.

    »Und Sie, Gnädigste?«, ruft er außer sich vor Zorn. »Zeigen Sie sich.«

    »Meinem Geliebten erlaube ich, mich zu sehen wie ich bin. Aber einem Fremden...«

    »Na, und? Was riskieren Sie dabei? Auch ich möchte gern feststellen können, welches Gesicht das neue Jahrtausend für mich hat.«

    »Na gut.«

    Er hört ein Knacken in seinem Televisor und stellt den milchigen Bildschirm ein. Wie aus tiefem Nebel taucht eine Silhouette auf. Durch irgendwelche Störungen in der Leitung zittert das Bild und wechselt sekundenschnell von hell nach dunkel. Bei grellem Licht gleicht die Frau einer entfleischten Totenmaske.

    Und das sollte das erste Gesicht sein, das Guillaume im neuen Jahrtausend sah?

    »Regulieren Sie Ihren Apparat, stellen Sie die Bildschärfe ein. Das ist ja...«

    Er beißt sich auf die Lippen, aber die Frau weiß, was er sagen wollte.

    »Sprechen Sie es doch aus! Das ist scheußlich, nicht wahr? Das meinten Sie doch, oder?«

    Und er liest aus ihren Augen Teilnahmslosigkeit und zugleich Traurigkeit.

    Eine alternde Frau? Nein. Das Licht auf dem Fernsehschirm wird weicher und verwischt die Hässlichkeit der Frau. Außerdem war ihre Stimme so voll und jung.« Wie auch das vom Schlaf zerwühlte Haar, das auf ihre Schultern herunterfällt. Die Frau muss blond sein. Der tiefe Ausschnitt ihres Nachthemdes bedeckt die festen, wohlgeformten Brüste nur halb.

    »Sie sehen verwirrt aus«, stellt sie fest. »Warum?« Und sie setzt mit einem traurigen Lächeln hinzu: »Eine komische Art, sich kennenzulernen, nicht wahr?«

    Guillaume fragt sich, wie er wohl auf dem Bildschirm der Unbekannten aussieht, wem er auf dem Glasviereck gleicht, das wie unruhiges Wasser von Wellen durchzittert wird. Hat er, irgendwo dort in der Stadt, das schlaffe Gesicht eines Mannes, der sein Leben am Schreibtisch verbringt? Einen vom Fernsehen ausgewaschenen Bück? Stumpfes, lebloses Haar? Ein abscheulicher Gedanke. Wie oft hat er vom Triumph eines gesunden Körpers im Wind geträumt... am Meer oder auf dem Land, im Herbst auf der Jagd. Nathalie hatte ihn immer dazu angehalten, Sport zu treiben. Aber sie war nicht mehr da.

    Die Unbekannte hat die absurde Unterhaltung abgebrochen. Das Gerät verblasste und schwieg.

    Er steht auf. Sein Pyjama klebt ihm an der Haut. Das Thermometer über seinem Bett zeigt zwanzig Grad – die gesetzliche Dauertemperatur der PVS. Trotzdem herrscht im Zimmer eine Gluthitze. Nathalie hat diesem Wärmemessgerät nie getraut und seine starre Gleichmäßigkeit als Lug und Trug betrachtet.

    Nur einmal frische, kalte Luft einatmen zu können! Guillaume sehnt sich danach. Aber die moderne Architektur erlaubt keine Fenster. Keine Lüftung. Der Plastikkubus schließt seinen menschlichen Bewohner ein wie das Seidengespinst die Puppe des Insekts. Die Leute, die außerhalb der Städte in zugigen Steinhäusern wohnten, waren zu beneiden.

    Gestern Abend, am Fernsehen, hat Guillaume das Gegenteil behauptet. Er hasst es, nach Notizen zu sprechen und hat daher seinen Vortrag auswendig gelernt. Er könnte ihn fehlerfrei wiederholen:

    Achtundvierzig Millionen Tests, meine Damen und Herren, haben zu Ergebnissen geführt, die Sie heute in Ihrem Haushalt, in Ihrem Leben genießen. Material, das sich die Intelligenz der Menschheit zu eigen gemacht hat, formt ihr Bett, Ihren Tisch, Ihren Televisor, Ihre Wände aus einem einzigen Guss. Vielleicht, meine Damen, sind Sie manchmal verärgert, die Möbel nicht nach Ihrem Willen stellen zu können. Zu Unrecht! Achtundvierzig Millionen Tests haben für jeden Gegenstand den genauen Platz bestimmt. Für immer. Denn, wie Sie wissen, Plastik ist unzerstörbar! Aber, man hat die Anbringung der Klappsitze Ihrem Geschmack überlassen. Sie werden einfach mit Haftscheiben an die Wand gepresst. Die achtundvierzig Millionen Zeugen konnten sich über den arteigenen und somit besten Platz dieser Sitzgelegenheiten nicht einig werden. Aber lassen Sie mich Ihnen sagen, dass auch dieses Problem kurz vor der Lösung sieht. In den neuesten Appartements gibt es bereits keine verrückbaren Stücke mehr. Ein Druck mit dem Fuß auf einen Knopf genügt, und schön fallen aus den Wänden Klappsitze. Und ich darf Ihnen versichern, dass die Anordnung dieser Sitze genauestens nach den Bedürfnissen des Familienlebens berechnet ist. Im Wohnzimmer ist eine romantische Ecke eingebaut, die für intime Gespräche gedacht ist und geradezu als Wunderwerk der Plastik bezeichnet werden kann.

    Was das Fernsehen von Guillaume verlangt hatte, war nicht etwa eine Beschreibung der Wohnungen, die alle Zuschauer vor Augen hatten, sondern eine Lobrede auf das Schaffen der Architekten, die die zerstörte Stadt wieder aufgebaut hatten! Er sollte erklären, warum es logisch erschien, die PVS in Gruppen von tausend zu Wohngemeinschaften (nach der Terminologie der Verwaltung Schäften genannt) zusammenzufassen. Es waren praktisch einzelne Städte innerhalb der Stadt, die mit allen Mitteln für individuelle und kollektive Bedürfnisse ausgestatte. waren. Etwa wie zu früheren Zeiten ein Überseedampfer.

    Nachdem er den Verwendungszweck in Heim und Familie kurz gestreift hatte, wandte sich Guillaume der revolutionären Veränderung zu, die die Anwendung von Plastik gebracht hatte. Dieses Material hatte in der Geschichte der Menschheit ein neues Zeitalter geprägt – wie einstmals das Eisen oder die Bronze. Es war unausbleiblich, dass die universelle Verwendung dieses Stoffes von einmaliger Gestaltungsfähigkeit Lebensgebräuchen einen anderen Stempel aufdrückte und die bisherigen Anschauungen von Grund auf änderte. Was sich natürlich auf das ganze Universum auswirkte. Und zwar so erfolgreich, dass durch die ersten Wohnsiedlungen auf den Planeten die Bewohner von Mars und Venus mit einem Schlag aus ihrer Vorgeschichte gerissen und in die Definitive Zivilisation hineingestellt wurden. (DZ laut offizieller Bezeichnung) Der Homo Definitivus regiert über das Sonnensystem, die Zeit scheint nicht mehr fern, wo das Plastikmaterial die Milchstraßensysteme bis zu den Sternen vierter und fünfter Größe verändern wird.

    Ein Vortragsthema, so unendlich wie das Weltall, Warum hat Guillaume ein ungutes Gefühl, wenn er an seine Rede im Fernsehen denkt? Warum hat er ein schlechtes Gewissen? Waren seine Ausführungen über die DZ ernst gemeint gewesen oder nicht? Er kennt sich selbst nicht mehr aus.

    Guillaume steht vor den transparenten Platten der Außenwand seines Zimmers und schaut auf die Stadt, Draußen muss es bitter kalt sein. Wie aus dem Aufriss einer technischen Landschaft laufen die Linien ins Unendliche. Wo mochte die Unbekannte in diesem Spiel von Kuben wohnen? Ganz in der Nähe erhebt sich die Schaft 189, ein Riesenblock aus gelbem Plastikmaterial. Dahinter, in mattem Rosa die Schaft 190. Und weiter... Guillaumes Augen schweifen über die aufeinanderfolgende Flucht von Formen und Farben bis zum Rand der Hügelkette hin, die im Süden den Horizont abschließt. Obwohl er sie nie gekannt hat, denkt er mit Sehnsucht an die Wälder, die früher die Landschaft schmückten, und stellt sie sich vor. Es waren sehr alte Wälder gewesen, wie sie schon Caesar in seinem Bericht über Gallien und die

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