Der zweite Marburger Krimi-Cocktail: Neue kriminelle Kurzgeschichten
Von Rainer Güllich
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Über dieses E-Book
DER ZWEITE MARBURGER KRIMI-COCKTAIL
Neue kriminelle Kurzgeschichten
"Dumm gelaufen" können die meisten Protagonisten des zweiten Marburger Krimi-Cocktails sagen. Trotz erheblicher Energie scheitern ihre kriminellen Projekte an ihrem jeweiligen Missgeschick. Mag es unzureichende Planung oder Dummheit sein, ihre Unternehmungen enden in der persönlichen Katastrophe. Einige der Kurzgeschichten erzählen jedoch von schicksalhaften Begebenheiten, die ebenfalls kein gutes Ende finden. Wieder hat uns der Autor einen Krimi-Cocktail zusammengestellt, dessen fruchtig-herben Geschmack man genießen wird.
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Buchvorschau
Der zweite Marburger Krimi-Cocktail - Rainer Güllich
Inhalt
Die Entführung
Schnellschuss
Freitag, der 13.
Rosenmontag
Der Rollstuhlfahrer
Der Retter
Das Muttersöhnchen
Schwarze Sterne
Therapie
Unter Druck
Die Probefahrt
Nichtrauchen
Friedhofsstreife
Das Mettbrötchen
Die Entführung
Claudia Sommer parkte ihren Yaris auf dem Gelände der Gärtnerei in der Stephan-Niderehe-Straße ein. Der Kleintransporter, der ihr mit Beginn der Fahrt gefolgt war, hielt neben ihr. Es stieg aber niemand aus. Komisch, dachte sie, schloss ihren Wagen, nahm sich einen der Einkaufswagen und betrat das Gartencenter.
Ihre Mutter hatte sie gebeten, für das Grab der Großmutter eine Schale mit Blumen zu kaufen. Claudia kannte sich mit Pflanzen nicht aus, im Center würde sie aber bestimmt etwas finden. Doch so sehr sie auch schaute, entdeckte sie keine der bepflanzten Gefäße. Da sie im vorderen Bereich des Gartenmarktes keinen Verkäufer sah, ging sie weiter nach hinten in das Gewächshaus, um dort jemanden anzusprechen.
Gleich an der ersten Gestellreihe stand einer der Angestellten, erkennbar an seinen grünen Gärtnerklamotten. Er hielt ein Klemmbrett in der Hand. Schien Inventur oder sowas zu machen. Jedenfalls zählte er die vor ihm stehenden bepflanzten Blumentöpfe.
Auf ihre Frage nach einer fertigen Schale war er etwas ungehalten, doch konnte er Claudias freundlichem Lächeln nicht widerstehen und sagte ihr, er könne ihr eine Schale bepflanzen. Dass viele ihrer Mitmenschen positiv auf ihr Äußeres reagierten, wusste Claudia schon lange. Sie war schlank, hatte langes blondes Haar und hellblaue Augen. Sie war der Meinung, dass sie ein bisschen zu viel Oberweite hatte. Wie sie wusste, waren die meisten Männer da anderer Ansicht. Das änderte aber nichts an ihrem Blickwinkel.
Sie war neunzehn Jahre alt, ging noch zur Schule. Was sie nach dem Abitur machen wollte, wusste sie nicht. Seit dem letzten Jahr wurde sie von einigen Mitschülern öfter mit dem ihr unterstellten Wunsch aufgezogen, eine Modelkarriere anzustreben. Sie hatte nämlich aus Spaß an einem Schönheitswettbewerb teilgenommen und war tatsächlich zur „Miss Hessen" gewählt worden. Dadurch hatte sie einen ziemlich hohen Bekanntheitsgrad in der Region erlangt. Es lag ihr aber wirklich fern, später als Model zu arbeiten. Der Schönheitswettbewerb hatte einfach Spaß gemacht und fertig. Aus den Mitschülern, die sie damit hänselten, sprach nur der Neid.
Der Gärtnereiangestellte fragte, welche Blumen er für die Schale verwenden solle, Claudia meinte, sie würde es ihm überlassen. Der Angestellte nickte nur kurz und hatte im Handumdrehen ein ansehnliches Gesteck zusammengestellt. Claudia bedankte sich, marschierte an die Kasse, bezahlte und ging zu ihrem Wagen.
Bevor sie ihn aufschließen konnte, sprangen aus der Seitentür des Kleintransporters zwei vermummte Gestalten. Eine presste Claudia die Arme an den Körper, die andere stülpte ihr ein Tuch über den Kopf. Sie hörte noch das dumpfe Brechen der tönernen Schale, dann wurde sie in den Transporter geschleppt. Das Tuch wurde hochgehoben und ihr wurde ein mit einer beißenden Flüssigkeit getränkter Lappen auf Mund und Nase gepresst. Sofort schwanden ihr die Sinne.
Peter Sommer ging ruhelos auf und ab. Seine Frau Regina saß reglos in ihrem Ruhesessel vor dem Großbildfernseher und sah ihren Mann an. „Nun lauf nicht ständig hin und her. Das macht mich ganz nervös. Die Frage ist, sollen wir die Polizei verständigen oder nicht?"
Es war Samstagabend. Sie hatten ausnahmsweise zusammen frei. Vor wenigen Minuten war ein Anruf angekommen. Sie nahmen beide an, dass es die Klinik sei, doch war eine dumpf klingende Stimme am Telefon gewesen, die mitgeteilt hatte, dass sie ihre Tochter Claudia in der Gewalt habe. Sie forderte hunderttausend Euro, die Montagabend im Papierkorb am Taxenstand vor dem Hauptbahnhof zu deponieren seien. In einer braunen Papiertüte. Eine Stunde später würde der Entführer ihre Tochter freilassen und mitteilen, wo sie abgeholt werden könne. Wenn sie die Polizei einschalten würden, hätte das Claudias Tod zur Folge.
Peter blieb stehen und schaute Regina an. „Natürlich nicht. Ich werde Claudia nicht in Gefahr bringen. Oder bist du anderer Meinung?"
„Nein. Sicher nicht. Hunderttausend Euro. Ich hätte mit einer höheren Lösegeldforderung gerechnet. Das Geld werden wir ohne Probleme von der Bank bekommen. Und Henning wird auch dichthalten."
Henning Welfers war der Bankdirektor. Peter und er kannten sich schon aus der Schulzeit und waren seither eng befreundet.
„Ja, mit dem Geld wird es keine Probleme geben. Sicherheiten haben wir genug. Dass der Betrag nur diese Höhe hat, hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass der Täter richtig einschätzt, was uns möglich ist. Bei einer überzogenen Forderung hätten wir die Polizei mit einbeziehen müssen. Diese Herangehensweise lässt mich hoffen, dass die Entführung ohne Komplikationen über die Bühne geht und der Täter Claudia nach Erhalt des Geldes freilässt."
Regina Sommer seufzte. „Ich hoffe, du hast Recht. Ruf doch Henning schon mal an. Dann weiß er, was er Montag zu tun