Vom Ich und vom Du: Gedanken über Liebe, Sinnlichkeit und Sittlichkeit
Von Heinrich Lhotzky
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Über dieses E-Book
Der Theologe und Publizist Heinrich Lhotzky philosophiert in diesem Buch nicht nur über das Rätsel Mensch, über Liebesglück und Triebleben, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, Religion und Gott, über das Ich und das Du. Nein, er bietet dem Leser zum Schluss auch noch eine Lösung des Rätsels Mensch!
In neuer deutscher Rechtschreibung und Korrektur gelesen.
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Buchvorschau
Vom Ich und vom Du - Heinrich Lhotzky
Zum Buch
Der Theologe und Publizist Heinrich Lhotzky philosophiert in diesem Buch nicht nur über das Rätsel Mensch, über Liebesglück und Triebleben, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, Religion und Gott, über das Ich und das Du. Nein, er bietet dem Leser zum Schluss auch noch eine Lösung des Rätsels Mensch!
1. Sinnlichkeit
Das Rätsel Mensch
Man kann nicht sagen, dass der Geheimnisse wenig sind, die uns umgeben. Kraft und Stoff ist ein Geheimnis, das noch keiner erklärt hat, obgleich wir beide beständig handhaben und recht gut zu handhaben gelernt haben. Wir kennen ebenso wenig das Geheimnis von Leben und Tod, obgleich sie unsere täglichen Kameraden sind. Rätselhaft geblieben ist uns auch das Wesen von Raum und Zeit und vieles, vieles mehr.
Das größte Rätsel ist der Mensch selbst. Ihn hat noch keiner erklärt. Gott und Mensch würde das Rätselpaar heißen. Die unerklärten Geheimnisse hängen sichtlich alle unter sich zusammen. Mit diesem letztgenannten Paare würden alle offenbar werden.
Das Ich und das Du sind ebensolche Geheimnisse. Diese solle uns hier beschäftigen.
Es gibt Menschen, die sich im Leben ungemein viel plagen mit der Not, dass sie sich selbst nicht verstehen. Viele sind in schweren Stunden geneigt, in denen ihnen diese Unklarheit besonders quälend nahe tritt, sich für minderwertige Menschen zu halten, weil sie nicht einmal sich selbst verstünden.
Glaubt mir, es gibt auf dieser Welt zurzeit wahrscheinlich keinen Menschen, der sich selbst verstünde, und die es doch vorgeben, dürften ziemlich beschränkt sein.
Wer fühlt, dass er sich selbst nicht versteht, hat einen großen Fortschritt in der Erkenntnis gemacht. Er ist inne geworden, dass große Geheimnisse uns umgeben, er hat einen Blick getan in die Tiefen der Lebensweisheit. Vielen, die unbekümmert an der Frage vorübergehen, ist er voraus, nicht nach. Er hat keine Ursache, die Sicheren zu beneiden. Eher ist's umgekehrt.
Er macht nur einen Fehler, den alle machen, die an großen Rätselfragen herantreten. Sie stellen Fragen, die an sich falsch oder unmöglich sind, und versuchen sie auf dem Denkwege zu lösen.
Das ist natürlich falsch. Eine alles menschliche Denken überragende Frage mit den unzureichenden Mitteln der Gedanken lösen zu wollen, ist aussichtslos. Gedanken sind prachtvoll, und die Luftpumpe ist eine entzückende Erfindung. Man kann aber nicht das Luftmeer mit der Luftpumpe auspumpen, und mit Gedanken kann man die höchsten Rätsel des Daseins nicht lösen.
Sie wollen aber und werden auch gelöst werden. Es wird aber auf einem andern Wege geschehen. Es schadet nichts, wenn jemand eine Zeitlang einen falschen Weg geht. Wenn er weiß, dass hier hohe Aufgaben liegen, und er willig ist, sie zu lösen, hat er schon darin einen Fortschritt gemacht.
Wir wollen uns aber ernstlich den Weg zur Lösung des Rätsels überlegen. Vielen, die im Dunkel tappen, soll damit eine Hilfe und ein Fingerzeig geboten werden.
Zunächst ist auffallend, dass der Mensch ein eigentümlich zweispuriges Wesen ist. Jedem muss das auffallen, jeder ist sich dessen bewusst, nur gehen die Erklärungsversuche auseinander. Aber Erklärungen sind immer die Nebensache, die Hauptsache ist die Wirklichkeit. Alle Erklärungen haben ihr Recht, wenn auch vielleicht nicht eine wirklich recht hat. Halten wir uns also an die Tatsachen.
An unseren Sinnen können wir die Zweispurigkeit zuerst beobachten. Wir sehen etwas, einen Baum, einen Berg, einen See. Wir stellen stillschweigend und unbewusst die Unterschiede und Eigenarten fest und bringen uns diese Naturerscheinungen zum Bewusstsein. Plötzlich tritt ein Neues in unser Auge. Wir sehen neben Baum und Berg und See etwas anderes, das drin liegt wie ein zartes Geheimnis, wie eine Seele, und werden staunend und wundernd inne: Es ist schön. Die drei Erscheinungen sind schön, jede anders schön, aber schön.
Oder wir essen. Der Hunger treibt uns. Wir essen mit dem Zwang des Lebensbedürfnisses und werden behaglich gestimmt durch die zunehmende Sättigung. Plötzlich finden wir etwas, das die Sättigung verklärt. Wir entdecken den Wohlgeschmack. Der Wohlgeschmack steht über der Sättigung, er ist wie die Seele, die in die Speise eingebettet ist. Sie ist nicht die Speise, sie umschwebt und durchdringt sie.
Noch bemerkenswerter ist das Hören. Man hört Geräusche, Worte wie Geräusche, man erkennt auch den Sinn. Unsere Tiere verstehen auch den Sinn vieler Worte, Aber plötzlich öffnet sich für den Menschen eine geheime Pforte, und aus dem Gehörten steigt wie eine heimliche Seele das tiefe Verstehen und umfängt uns wie in lieblicher Umarmung, dass wir uns nimmer satt hören und immer mehr hören wollen.
Wer weiß nicht, was fühlen heißt! Es ist ein Betasten und Anfassen, aber plötzlich erwacht in uns das Gefühl der Großmacht. Das ist kein Betasten mehr, das ist die geheime Seele des Seins.
Wie zart und wie tief fühlen oft Frauen! Sie fühlen in Fernen und Tiefen, weit hinein in unsichtbare Gebiete des Seins, und was uns Sinnlichkeit schien, wird plötzlich ein seelisches Gebiet, das alles Sinnenfällige weit hinter sich lässt und zugleich umfassender ist.
Weißt du noch, wie du das erste Mal einen Menschen gesehen hast, der dir lieber wurde als alle anderen? Es hielt diese Empfindung vielleicht nicht vor, aber sie war einmal da.
Ich weiß auch, wie du's erlebt