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Lionel, der weiße Sklave: Roman
Lionel, der weiße Sklave: Roman
Lionel, der weiße Sklave: Roman
eBook345 Seiten4 Stunden

Lionel, der weiße Sklave: Roman

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Über dieses E-Book

Virginia zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges: Ein Landhaus, zahllose Felder, Scharen von Sklaven, nach Hunderten von Köpfen zählende Herden – all das soll der 16-jährige Lionel, Pflegesohn des Gutsherrn Charles Trevor einmal erben.

Leider hat Charles’ Vetter Manfred Trevor andere Pläne. Dieser möchte das Erbe für seinen eigenen Sohn Philipp und sorgt dafür, dass Lionel, obwohl von reinweißer Hautfarbe, aber mit einer Spur afrikanischen Blutes, als Sklave verkauft wird.

Coverbild: Pancale/Shutterstock.com

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum25. Apr. 2019
ISBN9783730915691
Lionel, der weiße Sklave: Roman

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    Buchvorschau

    Lionel, der weiße Sklave - Sophie Wörishöffer

    ZUM BUCH

    Virginia zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges: Ein Landhaus, zahllose Felder, Scharen von Sklaven, nach Hunderten von Köpfen zählende Herden – all das soll der 16-jährige Lionel, Pflegesohn des Gutsherrn Charles Trevor einmal erben.

    Leider hat Charles’ Vetter Manfred Trevor andere Pläne. Dieser möchte das Erbe für seinen eigenen Sohn Philipp und sorgt dafür, dass Lionel, obwohl von reinweißer Hautfarbe, aber mit einer Spur afrikanischen Blutes, als Sklave verkauft wird.

    Coverbild: Pancale/Shutterstock.com

    EINS

    Um 1860, während des amerikanischen Bürgerkrieges saßen auf der Veranda eines stattlichen Landhauses in Virginia zwei Herren bei Kaffee und Zigarre, nur hier und da in eine lebhaftere Unterhaltung verfallend, besonders dann, wenn eine helle Stimme herüberklang.

    Um die Ecke sauste ein junger Reiter, ein hochgewachsener dunkler Junge von sechzehn Jahren. „Der Ajax kennt mich noch, Onkel Trevor!", rief er.

    Dann brauste er wieder davon, während der Besitzer des Landhauses, Mr Trevor, ihm lächelnd nachsah. „Ein prächtiger Junge, der Lionel", sagte er.

    Der andere Herr schien seine Antwort sorgfältig zu überlegen. „Seit deine Frau starb, lebst du zu einsam, Charles, sagte er dann. „Ich glaube, diese Hunde, die Neger, sind oft dein einziger Umgang.

    Der Squire nickte. „Häufig genug, versetzte er. „Aber ich sehe in den armen Kerlen keine Hunde, Manfred – sie haben es gut bei mir und sie lieben mich aufrichtig.

    Böse flammte es in den Augen des anderen. „Ganz besonders dein Pflegesohn Lionel, nicht wahr, Charles? Weiß der Bursche überhaupt, dass in seinen Adern afrikanisches Blut fließt, dass er dein Eigentum ist, wie das Pferd, auf dem er reitet, oder der Boden, auf dem er sich so selbstbewusst ergeht?"

    Mr Trevor nahm die Zigarre aus dem Munde. „Er weiß es nicht, Manfred, sagte er mit scharfer Betonung, „und ich wünsche auch nicht, dass er es erfährt! Eins will ich dir übrigens bei dieser Gelegenheit sagen, setzte er dann hinzu. „Lionel und alle meine Sklaven, mehr als zweihundert an der Zahl, sind längst durch testamentarische Bestimmung in Freiheit gesetzt. Sterbe ich, so gewinnt kein anderer Mensch ein Recht auf das Eigentum an ihnen, die ich nur behalte, weil es ihnen bei mir besser ergeht als in einer Freiheit, die hierzulande doch vorläufig nur eine scheinbare sein kann. Vielleicht bringt die nächste Zukunft hierin eine Änderung."

    „Das verhüte Gott!, rief zornig der andere. „Charles, ich bitte dich, du wolltest deinem Erben die Summe von zweimal hunderttausend Dollar zugunsten dieser Schwarzen entziehen? Wahrhaftig, hättest du Kinder, so würde das nie und nimmer geschehen!

    Der Squire lächelte. „Du irrst, Manfred. Mein Grundsatz steht mir höher als alle persönliche Zuneigung – und überdies, wer sagt dir, dass ich meinen Nachfolger nicht liebe?"

    „Ihn – den – den –"

    Die Stimme des mageren Herrn schien vor Aufregung zu ersticken, er konnte seinen Satz nicht vollenden, sondern murmelte, als ihn der Squire ruhig fragend ansah, nur ein verwirrtes „Entschuldige, Charles! Dann wandte er sich zur Tür, aus welcher in diesem Augenblick ein junger Mensch von etwa siebzehn Jahren, an einer Krücke gehend, hervortrat. „Nun, Philipp, rief er, „wie geht es dir heute, mein Sohn? Sind deine Schmerzen erträglicher?"

    Der schlanke Junge mit dem blassen Gesicht und den mädchenhaft weißen Händen grüßte. „Guten Abend, Papa, guten Abend, Onkel Charles! Oh, wenn ich bedenke, wie ruhig und untätig wir hier sitzen, indes andere, Glücklichere für eine geheiligte Sache ihr Leben einsetzen! Schlacht um Schlacht wird geschlagen, und die Konföderierten gewinnen immer. Wohin soll das führen?"

    Sein Vater lachte behaglich. „Zum vollen Siegel versetzte er. „Das Banner der Südstaaten ist vom Himmel selbst geweiht.

    Philipp schüttelte den Kopf. „Nimmer!, bebte es über seine bleichen Lippen. „Nimmer! Wäre ich ein kräftiger Mann, ein Mensch mit gesunden Gliedern, heute noch ließe ich mich für die Nationalarmee anwerben.

    „Pst!, warnte unruhig der Vater. „Willst du deinen Kopf in Gefahr bringen, Junge? Es wird mit den Abolitionisten wenig Federlesens gemacht.

    Die Augen des kränklichen Jungen glänzten in Begeisterung. „Darauf gebe ich gar nichts!, rief er mit dem ganzen Ungestüm seiner Jugend. „Und ich glaube sogar, auch du denkst wie ich, Onkel Charles?

    Der Squire reichte ihm lächelnd die Hand. „Ich denke so, Philipp, mein guter Junge, versetzte er, „ich habe dich lieb tun deiner braven Gesinnung wegen, aber wir müssen über dieses Thema nicht so laut reden. Wenn heute ein Mann, der zweihundert Sklaven besitzt, für die Abolitionisten offen Partei nehmen wollte, so stände von seinem Hause morgen kein Stein mehr auf dem andern.

    „Natürlich! Natürlich!, bestätigte Manfred Trevor, der Vetter des Gutsherrn. „Das Gefängnis unten in der Stadt fasst kaum noch seine Insassen, es ist ein Schuppen ohne Fußboden oder Dach, die unglücklichen Eingesperrten haben weder Schutz vor den Sonnenstrahlen, noch vor den Regenfluten.

    „Siehst du Papa, dergleichen Gräuel geschehen unter dem Banner der Südstaaten, demselben, von welchem du wähnst, dass des Himmels Segen es begleitet. Fürwahr, Onkel Charles, ich bitte dich, vermache mir keinen einzigen Schwarzen, denn ich würde ihn sogleich laufen lassen und ihm, wenn ich zwei Röcke besäße, einen derselben schenken."

    Das wohlwollende Antlitz des Gutsherrn wandte sich lächelnd zu dem erregten Sprecher: „Ich vermache dir keinen Sklaven, mein guter Philipp, dessen darfst du sicher sein. Dein Onkel sorgt für dich, aber auf andere Weise – durch ehrlich verdientes Geld."

    Es schien, als sei ein Schatten auf die ruhige, edel geformte Stirn herabgesunken. Der Squire schüttelte leicht den Kopf. „Sonderbar, sagte er, „es ist nun heute schon zweimal von meiner Hinterlassenschaft gesprochen worden! Schickt mir der Tod seine Sendboten?

    „Torheit!, rief hastig der Vetter. „Bist du abergläubisch, Freund Charles?

    „Ich weiß nicht. Denke an Abraham Lincoln, meinen guten alten Abraham, von dem ich so viel halte. Er glaubt fest an Vorzeichen."

    „Das hat er dir selbst gesagt?"

    „Mehr als einmal."

    Mr Manfred Trevor hatte sich wie zufällig abgewandt, seine Augen glühten in düsterem Feuer. „Es tut mir leid, dich verstimmt zu haben, Charles, sagte er nach einer Pause. „Es geschah unabsichtlich.

    Philipp bot seinem Verwandten die Hand. „Auch von mir, Onkel!, sagte er mit offenem Blick. „Wirklich, meine Worte waren nur so hervorgestoßen – ihr eigentlicher Inhalt galt der Sache der Neger. Da kommt Lionel!, setzte er dann hinzu. „Der Glückliche, er ist gesund und voll Kraft! Ich könnte ihn beneiden!"

    Der Günstling des Hausherrn kam über den Kiesweg dahergegangen. „Nun, Onkel Charles, rief er, „hast du den Ajax bewundert? Ich möchte ihn, wenn die Ferien zu Ende sind, nach Richmond mitnehmen!

    „Welch ein Unsinn!", rief heftig Mr Manfred Trevor.

    Der Squire begütigte ihn. „Lionel soll das Pferd haben, sagte er, „und auch einen Schwarzen als Knecht dabei. Er ist jetzt kein Knabe mehr, sondern muss sich bei Zeiten auf den dereinstigen Plantagenbesitzer vorbereiten.

    Lionel flog dem väterlichen Freunde entgegen und umfasste ihn stürmisch mit beiden Armen. „Onkel Charles, rief er, „ach du goldener Onkel Charles – den Ajax soll ich wirklich haben? Aber – aber ja, siehst du, auch einen Neger dabei? Der mein Eigentum wäre? Mein Sklave? Das kann nicht geschehen.

    „Bravo!, rief Philipp. „Bravo, Lionel!

    „Philipp! Philipp!", warnte Mr Manfred.

    „Das kann nicht geschehen!, wiederholte Lionel. „Onkel Charles, bist du mir böse? Aber ich entsetze mich vor dem Gedanken, dass ein Mensch das Eigentum des anderen sein könnte – ich mag an dieser Schmach meines Landes keinen Teil haben. Lieber, guter Onkel, bezahle für mich in Richmond einen freien Neger, willst du das?

    Der Squire nickte. „Du sollst den alten Ralph mit dir nehmen, Lionel. Er hat deine Eltern gekannt, hat dich selbst als kleines Kind auf den Armen getragen und ist mir mit Leib und Seele zugetan. Seinen Freibrief erhält er vor eurer Abreise."

    „Charles!"

    „Nun, Manfred, was wolltest du sagen?"

    „Bitte, bitte – es war nur so ein unwillkürlicher Ausruf. Der Sklave Ralph, ein Mann in den besten Jahren, ist fünfzehnhundert Dollar unter Brüdern wert. Willst du diese große Summe der Laune eines Knaben opfern?"

    Der ruhige Blick des Gutsherrn trieb das Blut in Manfreds blasses Gesicht. „Ich kann mir diese Freude gestatten, war die Antwort. „Sowohl Ralph als auch Lionel hängen mit dankbarer Liebe an mir, sie fühlen sich in meinem Schutze glücklich – das ist’s, was mich die materiellen Verluste ganz übersehen lässt. Fünfzehnhundert Dollar haben bei mir einen weit geringeren Wert als die Zuneigung treuer, ergebener Herzen.

    Lionel war während dieser Rede wie der Blitz davongesprungen. „Ich wette, er sucht den alten Ralph, lachte Philipp, „er will ihm die Freudenbotschaft brühwarm hinterbringen!

    „Um das übrige schwarze Gesindel rebellisch zu machen!, setzte mit giftigem Tone sein Vater hinzu. „Fürchtest du nicht, dass sie dir das Haus über dem Kopfe in Brand stecken, mein guter Charles?

    Der Squire lächelte. „Meine Neger?, sagte er. „Nein, Manfred! Ich will den Kopf mit größter Ruhe jedem Einzelnen unter ihnen in den Schoß legen und so sanft schlafen, als wache bei meinem Lager ein Regiment Bewaffneter. Diese Neger sind große Kinder, wie man sie behandelt, so geben sie es zurück. Du darfst mir glauben, dass die, welche von ihren Sklaven verraten oder bestohlen wurden, dies auch verdient hatten.

    Manfred zuckte die Achseln. „Seit wir uns vor fünf Jahren zum letzten Male sahen, hast du dich sehr verändert, Charles. Es ist, als seiest du so vereinsamt, dass du dich den Schwarzen zuwandtest. Deine nächsten Verwandten hast du völlig vergessen."

    Der Squire reichte ihm freundlich die Hand. „Keineswegs, Manfred, allerdings sind mir, seit ich meine Frau verlor, die noch gebliebenen Hausgenossen näher getreten. Lionel ist mir teurer als mein eigenes Kind, das leugne ich nicht."

    Mr Manfred Trevor blieb die Antwort schuldig. Vom Stall her kam Lionel mit einem großen, kräftig gebauten Neger, dem er eifrig zuzureden schien und den er dann lachend am Ärmel der Kattunjacke bis in die Veranda zog. „Onkel Charles, rief er, „der unkluge Ralph hat sich förmlich entsetzt, denke dir, er will gar keinen Freibrief haben! Er will unter keiner Bedingung dein Haus und deinen Dienst verlassen.

    Der Squire zuckte die Achseln, in seinen Augen lachte der Schalk. „Dann muss Ralph eben hier bleiben, versetzte er, „aber – der Gaul auch.

    „Oh – wie schade."

    Der Neger schüttelte den Kopf. „Ralph geht mit nach Richmond, sagte er, „oh ganz gewiss, er geht mit, aber der Freibrief soll hier bleiben. Ralph mag keinen anderen Herrn haben als Mr Charly, den guten Squire.

    „Das sollst du auch nicht, törichter Bursche! Aber wäre es denn nicht besser und angenehmer, gar keinen Herrn zu haben?"

    Der Neger sann nach. „Bei Mr Charly will ich bleiben!" Das war alles, was er auch diesmal zu antworten wusste.

    „Siehst du wohl, Manfred!"

    Der Squire entließ lächelnd den Riesen mit dem einfältigen Kinderherzen. Die beiden Jungen schlossen sich ihm an, und so kam es, dass die Herren einen Augenblick lang auf der Veranda allein blieben.

    Charles legte zutraulich seine breite Hand auf die Schulter des Vetters. „Manfred, alter Junge, lass mich dir eine gut gemeinte Frage stellen, ich möchte es wenigstens gern, aber du musst mir versprechen, nichts krummzunehmen!"

    Der andere schien sehr erstaunt. „Ich wüsste nicht, was!", sagte er.

    „Hm! Ich fürchte, du befindest dich in augenblicklicher Geldverlegenheit, Vetter! Ist es so? Dann brauchst du ja nur eine Andeutung, ein –"

    Die schnelle Handbewegung seines Verwandten ließ ihn innehalten; Manfred biss sich heftig auf die Lippen. „Du wärest geneigt, mir eine Anleihe zu bewilligen, Charles, ich danke dir wirklich bestens, aber es ist keine Verlegenheit vorhanden. Deine Großmut erhält meinen Sohn auf der Schule, während ich selbst als Privatlehrer gerade genug erwerbe, um mich satt essen und einen anständigen Rock tragen zu können. Das genügt."

    „Wie du willst, nickte der Squire. „Meine Kasse steht dir immer offen.

    Und als sein Vetter nichts erwiderte, erhob er sich, um in das Haus zu gehen. „Begleitest du mich Manfred? Ich möchte einige Forellen fangen!"

    „Danke, danke – dies Stillsitzen liegt mir nicht. Ich schieße lieber ein Raubzeug, das vorher überlistet sein will."

    Er winkte mit der Hand und schlenderte davon, um dann an einem Felsen stehen zu bleiben und starr ins Leere zu sehen. Bittere, hasserfüllte Gedanken mochten es sein, die hinter seiner Stirn einander drängten. Er murmelte halbabgebrochene Laute, der Mann mit der gelben Hautfarbe und dem drohenden Blick. „Warum anderen alles und mir nichts?"

    ZWEI

    Währenddessen waren Philipp und Lionel auf den Hof hinausgegangen und befanden sich nun unter der Schar der von ihrer Arbeit heimkehrenden Neger.

    „Ich gehe noch in die Stadt, Philipp, willst du mit, dann soll Ralph meine Ponys vor den Wagen spannen!"

    Philipp schüttelte den Kopf. „Ich danke dir, Lionel, heute Abend nicht mehr. Du reitest auch gewiss lieber deinen Ajax."

    „Ja! Ich will ein Farmer werden und draußen in Wald und Feld meine Tage verleben, immer mit der Kugelbüchse auf der Schulter, halb Squire, halb Trapper, das ist’s, was ich mir wünsche."

    Philipp lächelte. „Was dir jedenfalls auch zuteil werden wird, Lionel, du erbst doch wohl diese Farm."

    Der andere schien betroffen. „Ich?, sagte er gedehnt. „Aber ich bin nur ein Pflegesohn, kein Blutsverwandter des Onkels – wie sollte ich also erben? Nein, nein, du wirst der Squire und ich muss sehen, wo für mich der Tisch gedeckt ist. Onkel Charles steht mir ja darin bei.

    Die milden Züge des verkrüppelten Jungen trugen in diesem Augenblick einen sinnenden, beinahe trüben Ausdruck. „Lass uns noch keine Pläne bauen, Lionel! Es gibt Leute, die da behaupten, dass sich der Krieg gerade hier entscheiden müsse und dass die Nordstaaten den Sieg behalten werden."

    Das sollen sie ja auch! Ich wünsche den Konföderierten alles Böse!"

    „Pst! Ich denke ganz wie du, Lionel, aber wenn sich der Krieg hierher zöge, das wäre doch schrecklich!"

    „Dann würde ich sofort eintreten, Philipp! Dich aber brächte ich irgendwo in Sicherheit, du solltest gewiss nicht darunter leiden!"

    Der Krüppel reichte ihm die weiße, magere Hand. „Wenn es gilt, schlage ich auch mit den Krücken um mich, versetzte er. „Aber lieber wäre mir doch der Friede.

    „Master Lionel!, rief von unten her die Stimme des Sklaven Ralph. „Wollen Sie mitfahren, Sir? Ich muss noch zur Stadt.

    „Gleich! Gleich! Adieu, Philipp, ich will nur einen Freund begrüßen, in etwa zwei Stunden sehen wir uns wieder."

    Er nickte nochmals und sprang dann davon, um mit dem Sklaven zur Stadt zu fahren. Hier begann ein Bild lautesten Durcheinanders. In allen Straßen lungerten Haufen von Soldaten, nicht selten lärmend und betrunken, dazwischen Gesindel, heruntergekommene Subjekte, die, aus allen Teilen der Erde zusammengelaufen, den Truppen folgten, um einen Teil der Beute zu erhaschen.

    Hier und da sah man Offiziere hoch zu Ross, Equipagen, in denen über Nacht zu Millionären gewordene Spekulanten sich blähten. Wo das Gesicht eines Bürgers hinter den Fensterscheiben zum Vorschein kam, da sah man düster blickende Augen und gramvolle Züge. Mochte auch die Armee der Südstaaten bis jetzt den Sieg für sich haben – ehe alles entschieden, waren die Kräfte des Landes erschöpft und seine Bürger ruiniert.

    „Wohin fährst du, Ralph?", fragte Lionel.

    „Zum Obersten Smith, Sir. Mr Charly muss zehn Ochsen liefern und hundert Bushel Mais – ich soll fragen, zu welcher Stunde das morgen geschehen kann."

    Der Wagen hielt auf dem Markt, und nun verabschiedete sich Lionel von seinem Begleiter. „In zwei Stunden bin ich wieder da, Ralph."

    „Well, Sir, well!"

    Und Lionel ging schnellen Schrittes durch die Straßen bis zu einem Hause, dessen Schaufenster ein Eisenwarengeschäft verrieten. Die Tür war geschlossen und von innen mit einer Kette gesperrt; Lionel schüttelte voll Erstaunen den Kopf. Das in einem offenen Laden?

    „Wer ist da?", fragte aus dem halbdunklen Hintergrunde eine Frauenstimme.

    „Guten Abend, Frau Neubert! Ich bin es, Lionel Forster von Seven Oaks!"

    „Ach – das freut mich ja sehr! Hermann, Hermann, komm rasch herauf!"

    Die Kette wurde entfernt und die Tür geöffnet; eine blasse, vergrämt aussehende Frau ließ ihn eintreten, indem sie gleich hinter ihm den Zugang wieder versperrte. „Wie Sie gewachsen sind, Lionel! Beinahe schon ein junger Mann zu nennen! Ach, das ist eine traurige Zeit, in der wir uns wiedersehen!"

    „Hoffentlich geht es Ihnen und den Ihrigen gut, Frau Neubert?"

    Die blasse Frau trocknete ihre Tränen, sie führte den Gast in das Wohnzimmer, wo zwei Kinder von acht und zehn Jahren still und scheu in einer Ecke spielten, das ganze Haus erschien überhaupt verdüstert und bedrückt. „Gesund sind wir gottlob bis jetzt alle, mein lieber Lionel, aber die bittere Not steht vor der Tür."

    Ehe er zu antworten vermochte, erklangen draußen Schritte, und ein kräftiger Junge von Lionels Alter trat in das Zimmer. „Oh Lionel, Lionel, wie gut von dir, dass du kommst!"

    Die beiden waren Seite an Seite durch alle Klassen einer Privatschule der Stadt gewandert, bis dann Lionel nach Richmond zog, während Hermann als Lehrling in das Geschäft seines Vaters trat. Jetzt sahen sie einander zum ersten Male wieder.

    „Ich wollte dich bitten, mit mir nach Seven Oaks hinauszukommen, rief Lionel. „Philipp Trevor ist auch da.

    Frau Neubert und ihr Sohn sahen einander an. „Es geht unmöglich! sagte die Mutter. „Du weißt, dass Papa dich braucht.

    „Aber wozu denn, wenn doch Handel und Wandel so sehr stocken, Frau Neubert?"

    Ein unmerkliches Zeichen schien dem Jungen Stillschweigen zu gebieten, laut sagte Frau Neubert: „Du könntest ja deinen Vater auf einen Augenblick herbeirufen, Hermann. Lass ihn selbst entscheiden!"

    „Mama!"

    „Ja, ja, mein Junge. Geh nur!"

    Hermann sprang davon. Nach einigen Minuten erschien er wieder und sagte, dass der Vater bitten ließe, ihn zu entschuldigen, Mr Forster möge einen Augenblick mit hinüberkommen zum Lager.

    Frau Neubert wechselte die Farbe. „Hat Papa das wirklich gesagt, Hermann?"

    „Gewiss, Mama, du darfst mir glauben!"

    „Dann gehen Sie nur, Lionel, aber vergessen Sie nicht, dass Ihrer Jugend hier Dinge anvertraut werden, die das Leben und das Eigentum dritter Personen betreffen – wollen Sie mir darauf Ihr Wort geben?"

    „Sicherlich, Frau Neubert, antwortete der Junge voll Verwirrung. „Von mir haben Sie, keinen Verrat zu befürchten.

    „Komm nur, komm nur", drängte Hermann.

    „Ich will auch mit!, rief der zehnjährige Alfred. „Wo ist Papa denn jetzt eigentlich den ganzen Tag, Mama?

    Frau Neubert hielt das Kind fest. „Papa arbeitet im Garten oder auf dem Lagerboden, Alli, du darfst ihn nicht stören!"

    Lionel und Hermann gingen über einen halbdunklen Gang zum Hofe, wo sie im Gewirre hoher Speicherräume verschwanden und dann in einen Schuppen traten. Vor ihnen stand Hermanns Vater, ein kräftiger Mann in der Mitte der vierziger Jahre.

    „Es ist mir lieb, dass Sie kommen, Lionel, sagte er. „Hermann und ich vollbringen ein Werk, dessen Verantwortlichkeit schwer auf mir lastet.

    Er deutete auf den Hintergrund des geräumigen Lagerschuppens, wo die Erde bis zur Tiefe von fünfzehn Fuß mit Schaufeln ausgeworfen war. In der weiten Höhlung flimmerte das Licht einer Blendlaterne und warf seine Strahlen auf eine Anzahl großer, mit Eisenreifen umspannter Kisten, die dicht gedrängt über- und nebeneinander standen. „Sehen Sie, Lionel, das ist das Hab und Gut einer Reihe deutscher Familien, setzte er hinzu, „viele Tausende an Wert.

    „Aber weshalb vergraben Sie es denn hier im Speicher?"

    Manche haben behauptet, der Norden erhalte von uns Mittel zur Unterstützung seiner Zwecke. Man konfisziert und drangsaliert uns. Man nennt die Deutschen, wenn sie nicht ihre Läden von dem umherlungernden Gesindel ausplündern lassen wollen, einfach Abolitionisten und wirft sie ins Gefängnis."

    Lionel erschrak immer mehr. Draußen auf der Farm war von all den Dingen nie die Rede gewesen.

    Ein langes Schweigen folgte. Kiste nach Kiste wurde unter vereinten Anstrengungen in den Schoß der Erde befördert und dann die Grube mit Brettern verdeckt. „Morgen kommt der Rest, meinte Herr Neubert, „ich will dem Himmel danken, wenn alles glücklich geborgen ist.

    „Unsere kostbarsten Sachen sind auch mit hier verscharrt", setzte Hermann hinzu.

    „In jeder Kiste liegt ein Dokument mit dem Namen des Besitzers und einer Liste der vorhandenen Gegenstände, auch die Erklärung, auf welche Weise dieselben in meinen Schuppen gelangten – das sollten Sie wissen, Lionel, denn ich brauche bei einer so schweren Verantwortung die Mithilfe eines verschwiegenen Zeugen. Mein Junge und ich sind täglicher Gefahr ausgesetzt, aber Sie, der Sohn eines Plantagenbesitzers, kommen nicht in die Lage, für einen Abolitionisten gehalten zu werden."

    „Während ich ganz von Herzen ein solcher bin! Philipp ebenso, auch Onkel Charles – dieser wenigstens heimlich. Er ist für seine Schwarzen in jeder Beziehung ein väterlicher Freund."

    Herr Neubert nickte. „Das weiß ich, mein lieber Lionel. Und nun versprechen Sie mir, über das hier Geschehene zu schweigen, geben Sie mir die Hand darauf."

    „Hier, Mr Neubert. Ich will, so wahr mir Gott helfe, Ihr Geheimnis bewahren, gegen wen es auch sei."

    Lionel hatte jetzt größte Eile, ihm blieb keine Zeit, das Abendbrot der Familie zu teilen, sondern er musste, obgleich ihn alle baten, doch nicht fort- zugehen, sich entschließen, ungesäumt das Wirtshaus zur blauen Traube aufzusuchen und mit Ralph den Heimweg anzutreten. „Ich darf wiederkommen, nicht wahr?, bat er beim Abschied. „Sie sehen alle so blass aus, so gedrückt, selbst Hermann ist verändert – ich will meinen Onkel bitten, ihn für vierzehn Tage mit nach Seven Oaks hinausnehmen zu dürfen. Dort merken wir von den Leiden des Krieges nichts.

    Damit verabschiedete er sich und suchte den Neger auf, mit dem er den Wagen bestieg.

    Der Schwarze führte mit sicherer Hand die Zügel. „Weiß wohl, Sir, sagte er. „Hier in Virginia hält es der eine mit dem Norden, der andere mit dem Süden; überall schlägt das Gezänk hohe Wogen. Wir leben in einer schrecklichen Zeit!

    „Und du möchtest nicht gern deinen Freibrief in der Tasche haben, Ralph?"

    Der Neger wiegte den Kopf von einer Seite zur anderen. „Nein, antwortete er, „nein, Massa Lionel. Ich bin allezeit Mr Charlys Sklave gewesen, schon als wir beide kleine Knaben waren – da trug ich seine Schulmappe, und wenn uns kein Auge sah, spielten wir wie Brüder zusammen! Ich habe es im Hause seiner Eltern und bei ihm selbst gut gehabt, hab’s heute noch gut, also lasse ich auch auf keinen Fall von ihm. Wenn die Union siegt und alle Neger frei werden, dann muss Mr Charly den alten Ralph als Diener behalten – er tut’s auch, dessen bin ich sicher. Seine übrigen Sklaven hat er vor zehn oder zwölf Jahren mit der Farm zugleich gekauft, aber ich bin, soweit wir uns beide erinnern können, sein Eigentum gewesen.

    Lionel sah auf. „Dann hast du also auch meine Eltern gekannt, Ralph?"

    Der Neger schien plötzlich wortkarg zu werden. „Ja, Sir", versetzte er.

    „Mein Vater war ein entfernter Verwandter des Onkels, nicht wahr?"

    „Ich denke wohl, Massa Lionel."

    Der Junge schüttelte den Kopf. „Weshalb tust du, als sei die Sache ein Geheimnis, Ralph? Ich selbst war bei dem Tode meiner Eltern ein ganz kleines Kind und ich kann mich also aus diesem Grunde an nichts erinnern, aber warum sollte ich nicht fragen dürfen, besonders dich, der doch alle Ereignisse im Hause des Onkels mit durchlebt hat?"

    „Gewiss!, murmelte der Neger. „Ich glaube, da lief eben ein Hase, Master Lionel! Oder waren es sogar zwei?

    „Meinetwegen zehn! War meine arme Mutter eine gute Frau, Ralph? Hatten die. Schwarzen sie lieb?"

    Der Alte nickte. „Mrs Jane?, sagte er halblaut. „Oh, sie war ein Engel, der Tod saß ihr in der Brust, seit Mr Forster so weit fortgehen musste.

    „Mein Vater?, rief Lionel. „Weshalb verließ er sie?

    Der Neger erschrak. „Er verließ sie nicht, Master Lionel! Nein, nein, es war nur eine notwendige Reise.

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