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Der Korsar: Roman
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eBook310 Seiten4 Stunden

Der Korsar: Roman

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Über dieses E-Book

Seine Eltern sind verschuldet. Der sechzehnjährige Matthias verdingt sich deshalb als Schiffsjunge. Erst in der Südsee erfährt er, dass er auf einem Sklavenjägerschiff angeheuert hat.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum25. Apr. 2019
ISBN9783730918746
Der Korsar: Roman

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    Buchvorschau

    Der Korsar - Sophie Wörishöffer

    Der Berg bebt

    Es war etwa um fünf Uhr morgens an einem herrlichen, aber heißen Sommertage. Aus dem Krater des Vesuvs stieg eine leichte bläulich-weiße Rauchwolke – die Fumarole – in langsamen Windungen zum sonnenhellen Himmel empor, gleichsam die höchste Krone des ganzen, prachtvollen Gesamtbildes, seine Besonderheit, die vielleicht dem Fremden, eben erst hierher Gekommenen ein unruhiges Herzklopfen verursachen mochte, deren beständige Erscheinung aber den Bewohnern der Gegend etwas so Alltägliches war, dass kein Auge den Gipfel des Berges auch nur streifte.

    Heute sollte die Weinlese beginnen. Aus den Dörfern und Städtchen am Abhange da unten hatten sich die Leute mit großen Körben und Butten zahlreich eingefunden, um den kostbaren Schatz an Trauben einzusammeln und ins Tal zu schaffen. Auch eine Anzahl halberwachsener Knaben kam die Anhöhen heraufgestürmt, nicht etwa im Verfolg der schmalen, gebahnten Wege zwischen den Weingärten, sondern durch die steinigen, von Lavablöcken bedeckten Schluchten, über tiefe Rinnen und Spalten, aus deren Mitte nur zuweilen einige breitästige Kastanien hervorwuchsen, über Stock und Stein mit lautem Hallo, das den ganzen, glücklichen Lebensmut ihrer fünfzehn oder sechzehn Jahre deutlich bekundete.

    Es waren braune, schlanke Gestalten, einige unter ihnen kaum halb bekleidet, Burschen mit schwarzem, lockigem Haar und ebensolchen Augen, kecke lustige Gesellen, denen vielleicht auf Erden nichts gehörte als der zerschlissene Leinenanzug und der breitrandige Strohhut, unter dem die Blicke so fröhlich hervorlugten, als sei die ganze Welt ihr Eigentum, die aber trotz dieser unverkennbaren Armut doch gesund und kräftig aussahen und munter durcheinander sprachen oder sangen.

    Zwei der Knaben unterschieden sich bemerkbar von ihren jungen Genossen, der eine durch einen etwas besseren Anzug und offenbar herausforderndes Wesen, der andere durch den weit größeren und kräftigeren Körperbau, der ihn im Verein mit einer helleren Hautfarbe und Blauaugen sogleich als einen Nordländer kennzeichnete. Auf dem Rücken trug der hübsche Junge den großen Korb und in der Hand ein Messer; er schien sich jetzt von den Genossen trennen zu wollen, der ausgestreckte Finger bezeichnete eine sorgfältig mit Dornen eingehegte Fläche, auf der die goldgelben und purpurnen Trauben in üppiger Fülle von den Stöcken herabhingen.

    „Da ist meines Vaters Weingarten! Adieu alle miteinander!"

    Der andere Junge mit dem kecken, wenig Vertrauen einflößenden Blick stand in diesem Augenblick still und hob die Hand, während er zugleich den Korb von der Schulter warf.

    „Ich habe einen Plan!", rief er.

    „Dann gib deine Gedanken zum besten. Wollen wir den alten mürrischen Vater Jakopo ärgern?"

    Der Knabe schüttelte den Kopf. „Ich weiß etwas viel Angenehmeres. Seht ihr da unten auf dem Meere das neue schöne Schiff mit den glänzend weißen Segeln und der großen Flagge?"

    Aller Augen suchten den Golf, aus dessen blauer Tiefe in ziemlich bedeutender Entfernung ein stattlicher Segler emporragte. „Das ist die ‚Napoli‘, rief einer. „Was soll’s mit ihr, Giulio?

    „Das Schiff des reichen Signor Ferrati. Es geht dieser Tage nach den Südseeinseln unter Segel."

    Giulio nickte. „Und ich gehe als Kajütjunge mit, ergänzte er. „Vielleicht sehe ich in Jahren meine Heimat nicht wieder.

    „Und das war dein Plan, der Vorschlag, den du uns machen wolltest?"

    „Das war der Ausgangspunkt für meinen Gedanken. Hört zu: Wer von euch ist schon auf dem Vesuv gewesen?"

    Die Knaben sahen einander an. Die Hälfte war noch nicht auf dem Gipfel gewesen.

    „Ich selbst bin auch noch nicht hinaufgekommen, nickte Giulio. „Wie wäre es also, wenn wir heute die Sache versuchten? Vier Stunden genügen zum Aufstieg, ebenso viele zur Talfahrt – etwa gegen drei Uhr nachmittags sind wir wieder an Ort und Stelle, und kein Mensch erfährt, wo wir gesteckt haben.

    „Ich gehe nicht mit", sagte der Blauäugige.

    Giulio lachte spöttisch; in diesem Augenblick trug sein scharf geschnittenes Gesicht einen boshaften, ja gehässigen Ausdruck.

    „Natürlich nicht!, rief er. „Der brave, tugendhafte Matthias, dieser gehorsame Sohn wird sich ja um keinen Preis einen Spaziergang gestatten, dafür ist er ein viel zu zaghaftes Muttersöhnchen.

    „Willst du einmal wieder meine Fäuste fühlen, Giulio?"

    „Streitet euch doch nicht gleich, ihr beiden. Ich finde, wir könnten wohl auf den Berg klettern und dann von nachmittags drei Uhr bis zum Abendläuten noch Trauben genug pflücken – besonders du, Matthias. Euer Acker ist klein."

    „Und wir anderen helfen dir später deinen Korb füllen."

    Der junge Deutsche sah zu dem rauchenden Berge empor. „Es sind die letzten Trauben, sagte er halb zögernd, vielleicht von Giulios Worten heimlich gereizt, „wir haben unsere Vorräte fast völlig eingeerntet. Aber dafür erwarten mich die Meinigen auch schon nach zwei oder drei Stunden wieder zurück.

    „Ach, so lass sie doch warten. Wenn es weiter nichts ist, Matthias! Du kannst ja später dein längeres Ausbleiben erklären."

    „Seid ihr denn schon sämtlich entschlossen, den Aufstieg zu wagen?"

    „Ja! Ja!, hieß es. „Eine so gute Gelegenheit bietet sich nicht wieder.

    „Wir sind unserer zehn, nickte Giulio. „Wenn weiter hinauf Eseljungen mit ihren Tieren am Wege liegen, so gibt es einen vergnügten Ritt. Ich bezahle die Kosten für uns alle.

    Er hielt zwischen Daumen und Zeigefinger ein Geldstück hoch empor. „Das hat mir mein Pate zum Namenstage geschenkt – ich will dafür in der Heimat einen letzten frohen Tag genießen. Wer weiß, wann ich Neapel wiedersehe."

    Er hatte bei diesen Worten seinen Korb in einem Gebüsch versteckt, und nach ihm taten alle übrigen Knaben das Gleiche, auch Matthias. Es lockte doch gar zu sehr, von dem schmalen Rande des Kraters in das Flammenmeer hinabzusehen – er konnte nicht widerstehen. Das verziehen ihm die Eltern, er glaubte es gewiss.

    Wenige Minuten später trabte die ganze Schar über Geröll und Steine dahin, einem aufwärts führenden Wege entgegen. Die Trauben würden ja nicht davonlaufen, man pflückte sie morgen, meinten sie.

    „Da sind die Esel!", rief Giulio.

    Eine Menge kleiner halb nackter Jungen kam zum Vorschein, hinüber und herüber schwirrten die Angebote, Esel wieherten und trampelten, Menschen schimpften oder lachten. Fünf Minuten später saßen die Jungen in den Sätteln, die Treiber liefen, mit Dornenstöcken versehen, immerfort spornend und eifernd hinterdrein, und im schnellen Trabe ging es bergauf.

    Weiter und weiter entschwand den Blicken das blühende Landschaftsbild am Fuße des Vulkans. Die alten Weiber mit ihren bunten Kopftüchern, die Kinder und Bettler zwischen den Weingeländen wurden kleiner und kleiner, das Geräusch des werktätigen Lebens verstummte immer mehr, bis endlich kein Laut empordrang in die hehre Einsamkeit da oben.

    Jetzt sah man die Fumarole schon näher und größer; wie eine Pinie war sie geformt, mit schlankem Stamm und breiter Krone, mitten aus dem riesigen Schlunde des Kraters kam sie heraus. Ob es nicht in der Luft nach Schwefel roch?

    „Merkwürdig still ist der Tag, sagte jemand. „Und kein Vogel singt mehr.

    „Weil es hier in den Steinwüsten keine gibt. Überall bedeckt fußhoch Lava den Boden."

    „Du, fragte Giulio den Treiber seines Reittieres, „du, warst du schon einmal oben am Rande des Kraters?

    Der Junge nickte.

    „Si, Signor, si!

    Etwas wie ein Schauer unwillkürlicher Beklemmung überschlich die jungen Seelen.

    „Kann man auch das Feuer sehen?", fragte Matthias.

    „Si! Si! Aber dazu musst du hinabsteigen, Signor – über den Rand –, musst mit sicherem Schritt von Stein zu Stein springen bis in die innerste Mitte des Kraters. Da steht ein einzelner Kegel – in dessen Schlund glüht die Flamme, da leuchtet es, und rote flüssige Glut füllt den Raum."

    Matthias schüttelte sich. „Das wage, wer mag!, rief er. „Ich nicht! Ein Fehltritt – und die gärende Lava hätte ihr Opfer erfasst.

    „Schade ist’s!, meinte ein anderer. „Gerade das Feuer würde ich gern beobachten. Ihr nicht auch?

    „Um diesen Preis nicht. Aber nun müssen wir bald den Gipfel erreicht haben, glaube ich."

    Die Füße der Esel glitten auf dem glatten Gestein aus, und bald weigerten sich die ermüdeten Tiere, noch weiter vorzugehen. Wie ein Feuerball stand am wolkenlosen Himmel die Sonne, kein Hauch milderte das Glühen und Brennen, kein fliegendes oder kriechendes Geschöpf belebte die Steinwüste. Wie Schattenstreifen lagen tief unten die letzten Kastaniengebüsche, wie dunkle Punkte die Türme von Neapel. Es flimmerte und blitzte vor den Augen der jungen Leute, die Esel keuchten, und die Treiber mussten beständig von ihren Dornenstöcken Gebrauch machen, um die widerspenstigen Vierfüßler vorwärts zu bringen.

    „Der Schwefelgeruch wird immer stärker", sagte Matthias.

    Das fanden die Übrigen auch. „Es ist, als sei Staub in der Luft", meinte einer.

    „Oder feine Asche."

    „Das dachte ich schon vorhin. Meine Hand war mit feinem grauen Pulver bedeckt."

    Diese Wahrnehmung störte aber das Vergnügen keineswegs. Der obere Rand war erreicht, an einigen Stellen scharf und unerklimmbar, an anderen so breit, dass der Fuß bequem auftreten und dem Körper die nötige Stütze bieten konnte. Überall bildeten zackige Felsen eine Art natürlicher Brustwehr, es war ungefährlich, über den Rand in die Tiefe zu blicken, auch für den, der etwa leicht vom Schwindel ergriffen zu werden pflegte.

    Fast wie eine Ebene dehnte sich das weite Rund, hie und da von rauchenden Spalten durchzogen, und nur in der Mitte wogte und gärte, den tieferen Schlund ausfüllend, die bewegliche Masse wie ein Knäuel von Riesenschlangen, bald zusammengeballt, bald auseinanderschnellend, unter- und übereinander dahinschießend wie lebende Wesen, die in enger Gefangenschaft den Ausgang suchen und, wenn undurchdringliche Mauern ihren Weg versperren, grollend, mit verdoppelter Stärke einen neuen Anlauf nehmen.

    „Man könnte wohl ewig hier oben stehen, sagte Giulio, „und das Wühlen und Gären da in der Tiefe beobachten. Ob sich immer, Tag und Nacht, jahraus, jahrein, die Massen so drehen und überstürzen?

    Die kleinen Führer schüttelten ihre Köpfe. „Nein, so arg nicht. Heute sind die Berggeister in vollster Arbeit."

    „Die Berggeister?", lächelte Matthias.

    „Si, Signor. Da unten wohnen braune Zwerge mit großen Kappen und Schaufeln in den Händen, die heizen den Berg, dass er wundervolle Reben trägt, Beeren, die den kostbaren Trunk geben, von denen die Menschen Kraft und Genesung erlangen. Wenn aber das Volk in Undank und Übermut verfällt, wenn ein Strafgericht notwendig wird, dann fliegt vom Himmel ein Vöglein und bringt den Zwergen die Botschaft Gottes."

    „Welche?, fragte Giulio, die Lippen zu spöttischem Lächeln verziehend. „Welche Botschaft, mein Bursch?

    „Den Befehl, das Feuer da unten tüchtig zu schüren, versetzte mit beklommener Stimme der Eseltreiber. „Dann entsteht im Innern des Berges ein Rollen und Grollen, ein Dröhnen, dass die Erde hebt, Flammen schlagen hoch empor, das Land bedeckt sich im weiten Rund mit fußtiefer Asche, und in gewaltigen Strömen bricht die Lava hervor. Ein Feuerstrom braust und rauscht zu Tal, die Weinberge werden zerrissen, die –

    „Still doch!, unterbrach Matthias. „Still doch, Junge! Man hat ein Gefühl, als riefest du das Schrecknis herbei.

    „Hörtet ihr nichts?", fragte eine Stimme.

    „Nein. Was denn?"

    „Es klang, wie wenn ein Wagen in weiter Ferne über eine Brücke fährt. Aber ich kann mich auch getäuscht haben."

    „Das kommt von der Erzählung dieses kleinen Burschen und von dem Wühlen und Bewegen da im Krater. Ich mag es nicht länger ansehen."

    „Ich auch nicht. Man ist ohnehin durch den langen Ritt hungrig geworden."

    Die Esel verzehrten ihre spärliche, aus dem Tal mit heraufgebrachte Heuration, und auch die jugendlichen Reiter suchten hier und dort zwischen den Lavablöcken möglichst bequeme Sitzplätze, um dann das Frühstück aus den Taschen hervorzuholen und tüchtig hineinzubeißen. Freilich, das Wasser und die Trauben fehlten hier oben in der Steinwüste gänzlich, man musste sich mit trockener Kost begnügen, aber das schadete weiter nicht, die kräftigen Zähne zermalmten das Brot, und die Rede floss ununterbrochen weiter.

    „Also du willst ein Seemann werden, Giulio. Früher ist doch daran niemals gedacht worden."

    Der schlanke Knabe lächelte eigentümlich. „Vielleicht will ich auch nicht gerade den Beruf des Seemannes für immer ergreifen, versetzte er, „aber die Reise nach der Südsee mache ich erst einmal mit. Mein Vetter Carlos ist erster Steuermann an Bord der ,Napoli‘, müsst ihr wissen.

    Die anderen sprachen hin und her. „Ich möchte auch einmal eine Seereise unternehmen, meinte einer, „aber freilich – nicht mit der ‚Napoli‘.

    „Warum das nicht?"

    „Man sagt, der geizige Ferrati wolle Sklaven einfangen und nach Südamerika an den Markt bringen."

    Giulio lachte. „Was kümmert das die Besatzung?", rief er.

    „Die wird an den Mast gehängt, wenn etwa ein dänisches Kriegsschiff den Sklavenjäger auf frischer Tat ertappt."

    „Wenn! Wenn! Das Wort ist dehnbar wie Gummi. Und nebenbei glaube ich auch an die Sklavengeschichte keinen Augenblick. Signor Ferrati will eine der Südseeinseln für sich gewinnen, will da eine Art König werden und zu seinen vielen Millionen noch neue erjagen, das ist alles. Diese Inseln werden ja jetzt von den Schiffen jeder seefahrenden Nation eifrig aufgesucht, alle Welt will in der Südsee Beute machen – warum nicht auch Signor Ferrati?"

    „Weil er ohnehin schon ungezählte Reichtümer besitzt, warf Matthias ein. „Er ist sicherlich ein harter, herzloser Mann.

    Der junge Nordländer seufzte, er dachte an das niedere Häuschen, in dem seine Eltern und Geschwister lebten, an die schwere Arbeit, welche der Vater leisten musste, um im Dienste des reichen Signor Ferrati sich selbst und die Seinigen mit Ehren durchzubringen. Früher hatte der fleißige Mann selbst ein Weingut im Besitz gehabt, war vermögend und glücklich gewesen, aber mehrere aufeinanderfolgende schlechte Ernten raubten ihm Hab und Gut und stürzten ihn außerdem in Schulden, die bis auf den gegenwärtigen Tag nicht getilgt worden waren. Er trat in die Dienste des reichen Italieners und trug Jahr um Jahr von der großen Summe eine Kleinigkeit ab, aber ohne Hoffnung, sich jemals wieder zur Selbstständigkeit emporzuarbeiten, besonders da Signor Ferrati ein sehr harter Gläubiger war und eben, weil sein Weinbergsaufseher ihm gegenüber kein Selbstbestimmungsrecht mehr besaß, nach Herzenslust den strengen Gebieter, ja, den Tyrannen spielen konnte.

    An alles das dachte Matthias, als er so sinnend dasaß und auf das weiche sonnenbeschienene Blau des Meeres hinabsah. Die Genossen hatten indessen ihre Unterhaltung fortgesetzt und den geizigen Millionär tüchtig durchgehechelt.

    „Vor fünf Jahren hat er seinen einzigen Sohn auf die See hinausgeschickt, sagte einer. „Das war, als er das erste Schiff ausrüstete, um in der Südsee Sklaven zu fangen. Alfeo musste mit, ob er wollte oder nicht, denn er konnte ja doch die Besatzung überwachen und genau Acht geben, ob auch irgendeiner solche Unglücksmenschen von Insulaner für eigene Rechnung verkaufte. Der Alte soll ihn damals gewaltsam auf das Schiff gebracht haben.

    „So ist es, nickte Giulio. „Das war die erste ,Napoli‘.

    „Sie kam niemals hierher zurück, nicht wahr?"

    „Nie. Verschollen, verloren, untergegangen mit Mann und Maus."

    „Und das alles konnte den Geizkragen nicht mürbe machen? Er nennt auch dies schöne, schlanke Schiff getrost wieder ,Napoli‘ und versucht auf dem Wege, der ihn seinen einzigen Sohn gekostet hat, abermals das trügerische Glück?"

    „Natürlich. Was geht denn das Schicksal des verschollenen Dreimasters das neue Fahrzeug an? Wind und Wellen fragen doch nicht nach dem Namen."

    „Aber der Unsegen geht gleichsam von Anfang her mit an Bord. Ich würde mich hüten, ein verfemtes Schiff zu besteigen."

    Matthias hob den Kopf. „Ich auch", sagte er.

    Giulio sandte ihm einen spöttischen Blick. „Bleib daheim, du deutscher Biedermann, rief er im lachenden Tone. „Binde fleißig und ehrbar die Weinreben an Stöcke, suche auch jedes Steinchen vom Acker und scheuche die Amseln, wenn sie ja einen Beutezug unternehmen sollten. Das ist tugendhaft und anständig, ganz deiner würdig. Du bist eben zum Philister geboren.

    Matthias überhörte geflissentlich die beleidigenden Worte. „Wollen wir jetzt nicht an die Talfahrt denken?, fragte er. „Es wird Zeit.

    Damit waren alle Übrigen einverstanden, und den Eseln wurden die Geschirre wieder angelegt. „Am Himmel steht eine schwarze Wolke, sagte einer. „Hoffentlich überrascht uns kein Gewitter.

    In diesem Augenblick fuhr ein Windstoß durch die Luft, eine Säule aus loser, zerflatternder Asche hob sich hoch empor und wirbelte auseinander, die jungen Leute mit schwärzlichem Staub vom Kopf bis zu den Füßen überschüttend. Es pfiff und heulte um den Berg, dann wurde wieder alles still.

    Die kleinen Eseltreiber hatten Mühe, ihre Tiere zum Gehorsam zu zwingen. Ein lautes „I – ah! I – ah!" zeigte die Unruhe, welche sich der ganzen Herde bemächtigte. Die Grauen rissen an den Halftern, warfen die Köpfe zurück und machten Miene, in wilder Flucht den Berg hinabzurennen.

    „Es kommt ein Unwetter, meinte zitternd vor Furcht einer der Treiber. „Die Tiere sind klüger als wir, sie suchen Schutz.

    „Aber hier oben gibt es ja weder Baum noch Strauch. Du lieber Himmel, wenn wir nur erst ohne Unfall wieder auf ebener Erde angelangt wären!"

    Er hatte noch nicht ausgesprochen, als ein neuer Windstoß daherfuhr, begleitet von langanhaltendem Donner und einem Aschenregen, der diesmal nicht wieder aufhören zu wollen schien. Die Luft verfinsterte sich von Minute zu Minute immer mehr, das Heulen und Brausen nahm beständig zu, unheimlich leuchtend spaltete ein Blitz das wirbelnde Aschentreiben.

    Jetzt hatten die jungen Leute ihre Tiere bestiegen, und diese suchten, ängstlich durcheinander rennend, den Weg ins Tal. Man konnte nicht mehr mit Sicherheit sehen, konnte kaum atmen, kaum die Augen offen halten, so sehr tobte von allen Seiten der entfesselte Sturm.

    „Ein Aschenregen!, jammerten die Eseltreiber. „Heilige Jungfrau, stehe uns bei! Ihr sieben gepriesenen Nothelfer, verlasst uns nicht!

    „Ruhig! Ruhig!, ermahnte Matthias. „Kameraden, ich glaube, wir müssen uns entschließen, zu Fuß zu gehen – die Herrschaft über die Tiere ist im Augenblick verloren.

    „Mein Esel sucht mich mit aller Macht abzuwerfen."

    „Und meiner möchte sich wälzen."

    „Das geht so nicht, Kinder. Lasst die Tiere laufen!"

    Die Treiber irrten wie Verzweifelte im stäubenden Aschenregen umher, unablässig ihre Esel lockend, bald mit Drohungen, bald mit Schmeichelworten, immer aber vergeblich. Die Tiere gehorchten nicht mehr, die Oberhoheit des Menschen über die vernunftlosen Geschöpfe war verloren.

    „Sorge jeder für sich!, rief Giulio. „Wir können nicht beieinanderbleiben.

    „Das ist ein schlechter Vorschlag – gerade der Einzelne geht verloren."

    Es war Matthias, der das gesagt hatte und um den sich jetzt fast alle Übrigen versammelten. Man ließ die Esel laufen, wohin sie wollten, und suchte zwischen den zerstreuten Lavablöcken, in mehr als fußtiefer Asche watend, den abwärts führenden Weg. Der heftige Wind trieb den Rauch aus dem Krater um den ganzen Berg, Funken mischten sich hinein und festere Aschenklumpen; dann, als zufällig einer der Knaben emporblickte, sah er durch alle Hindernisse hinweg eine hohe Feuersäule, die aus dem mittleren Schlunde aufstieg. In jedem Augenblick konnte der Strom glühender, flüssiger Lava hervorbrechen und seinen Weg in das Tal nehmen.

    Schauerlicher, furchtbarer Gedanke.

    „Ruhig!, ermahnte Matthias. „Ruhig! Durch den schnellsten Lauf könnten wir dem Verhängnis, wenn es wirklich eintritt, nicht mehr entrinnen.

    „Hältst du uns denn für unwiederbringlich verloren?"

    „Das weiß nur Gott allein. Aber wer fallen und ein Bein brechen würde, der wäre es sicherlich."

    „Wir sind fehlgegangen!, tönte Giulios helle Stimme. „Vor uns liegt eine breite Schlucht.

    „Auch die Esel können nicht hinüber. Sie laufen schreiend durcheinander."

    Im heftigen, den Blick mehr als nur halb verschleiernden Aschenregen sahen die jungen Leute das tief ausgehöhlte Bett eines früheren Lavastromes. Schwarz und unheimlich gähnte der offene Schlund – wie aus weiter Ferne drang zu den Obenstehenden das klagende Wimmern einer Tierstimme. Einer der Esel mochte in den Abgrund gestürzt sein und nun mit zerschmetterten Gliedern auf dem spitzen Gestein liegen.

    Der Treiber rang voll Verzweiflung die Hände. „Das ist Mira, mein armes, gutes Tier – ach, ihr Heiligen, das ist Mira! Wie soll ich ihr nur helfen?"

    „Vorwärts, Kleiner, ermahnte Matthias. „Vorwärts! Danke dem Himmel, wenn du dich selbst zu retten vermagst.

    „Aber ich kann doch die arme Mira nicht in der Not verlassen!"

    Seine Kameraden rissen den Schluchzenden gewaltsam mit sich fort, in dicht geschlossener Reihe ging es jetzt am Rande des Abgrundes dahin, während Blitz und Donner die Luft zerrissen und ein pfeifender Sturm die Asche in steter Wirbelbewegung den Wanderern um die Köpfe fegte. Man konnte nur mit Mühe atmen, nur hinter der vorgehaltenen Hand die notwendigsten Worte sprechen.

    „Mir will scheinen, als ginge unser Weg nicht mehr bergab!", rief Matthias.

    „Großer Gott, das wäre schrecklich!"

    „Aber die Schlucht zwingt uns, an ihrem Rande zu bleiben."

    „Oh, die Schlucht. Stundenweit führt sie dahin!"

    „Und nicht zu Tal?", rief Matthias.

    „Nein – zur Wohnung des Eremiten."

    „Hier oben in der Steinwüste lebt also ein Mensch?"

    „Ja, ein frommer Bruder Franziskaner. Seine Hütte hat er aus Lavablöcken aufgebaut – er lebt von dem, was ihm mitleidige Menschen schenken."

    „Kennt ihr diesen Mann?"

    Ein einstimmiges „Si! Si! Signor!, beantwortete die gestellte Frage. „Wer von den Leuten in Resina einen Schwerkranken im Hause hat, oder wen das Gewissen quält, der trägt dem frommen Bruder einen Krug Wasser hinauf, erzählte einer der Knaben. „Dann schenkt ihm Fra Urbino seine Fürbitte."

    „Und ist die Wohnung dieses Mannes noch weit, ihr Jungen?"

    Die kleinen Führer weinten sämtlich bittere Tränen. „Man kann ja nicht die Hand vor den Augen sehen, schluchzten sie. „Es kommt gewiss das Jüngste Gericht, und wir alle müssen sterben.

    In den Lüften heulte die Windsbraut, immer dichter fiel der Aschenregen, immer wilder zuckten die Blitze durch das Dunkel, selbst starke Herzen hätten in diesem furchtbaren Kampf aller Elemente wohl die gewohnte Festigkeit verloren und ihren Mut schwinden gesehen, wie viel mehr nicht junge unerprobte Knaben, die noch dazu wussten, dass sie sich auf verbotenen Wegen befanden. Welche Sorge mochten wohl daheim die Angehörigen bei diesem Unwetter, bei der drohenden Gefahr eines vulkanischen Ausbruches empfinden!

    Vorwärts! Immer vorwärts! Es gab kein Zurück, keine Bedenken mehr – die tiefe Schlucht zur Seite des Weges hinderte jede freie Bestimmung, jede Möglichkeit, eine andere Richtung einzuschlagen.

    Noch eine martervolle Viertelstunde wurde durchlitten, dann schimmerte ziemlich nahe vor der kleinen

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