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Die Segelfoß-Romane: Die Stadt Segelfoß + Kinder ihrer Zeit
Die Segelfoß-Romane: Die Stadt Segelfoß + Kinder ihrer Zeit
Die Segelfoß-Romane: Die Stadt Segelfoß + Kinder ihrer Zeit
eBook806 Seiten11 Stunden

Die Segelfoß-Romane: Die Stadt Segelfoß + Kinder ihrer Zeit

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Über dieses E-Book

Die Handlung spielt in dem fiktiven Küstendorf Segelfoss irgendwo in Nordland. Der Roman schildert das Aufkommen des neuen Zeitalters und die Mentalität der städtischen Gesellschaft mit einem üppigen, bissigen Humor. Auf dem Gut Segelfoss befinden sich der Eigentümer Leutnant Willatz Holmsen III, seine deutschstämmige Frau Adelheid und sein Sohn Willatz Holmsen IV. Der Leutnant repräsentiert die untergehende patriarchalische Herrschaftskultur, die wurzellose Künstlerseele Willatz IV ist nicht in der Lage, das Erbe seines Vaters weiterzuführen.
SpracheDeutsch
Herausgebere-artnow
Erscheinungsdatum2. März 2023
ISBN4066339505841
Die Segelfoß-Romane: Die Stadt Segelfoß + Kinder ihrer Zeit
Autor

Knut Hamsun

Born in 1859, Knut Hamsun published a stunning series of novels in the 1890s: Hunger (1890), Mysteries (1892) and Pan (1894). He was awarded the Nobel Prize for Literature in 1920 for Growth of the Soil.

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    Buchvorschau

    Die Segelfoß-Romane - Knut Hamsun

    Die Stadt Segelfoß

    (d.v. Pauline Klaiber-Gottschau)

    Inhaltsverzeichnis

    I

    II

    III

    IV

    V

    VI

    VII

    VIII

    IX

    X

    XI

    XII

    XIII

    XIV

    XV

    XVI

    XVII

    I

    Inhaltsverzeichnis

    Ein Mann auf dem neuen Flaggenhügel? Was soll er denn dort? Das ist wohl wieder ein schlechter Witz von dem Ladentheodor! Das hätte sein Vater, der alte Per im Laden, wissen sollen!

    Seht, der Mühlenbesitzer, Herr Holmengraa, der hat eine Flaggenstange, eine Flagge und einen Signalgast, und das ist begreiflich und notwendig, denn er muß für die Postschiffe die Flagge aufziehen, und auch wenn ein großes, schwer mit Korn beladenes Frachtschiff für die Mühle auf die Landungsbrücke zusteuert. Aber Theodor im Laden hat keine Scham im Leibe, er errichtete einen Flaggenhügel, nur weil er ein Krämer war, und flaggte für alles mögliche und manchmal für nichts und wieder nichts oder nur, weil Sonntag war. Er machte sich lächerlich.

    Jetzt hat er wieder einen Mann auf den Flaggenhügel hinaufgesandt, ganz als wäre das nötig, und der Mann späht aufs Meer hinaus und hält die Flagge bereit, damit er sie hinauffliegen lassen kann, sobald er sieht, was er sehen soll. Aber eigentlich schaut er doch wohl nur nach dem Fischkutter aus.

    Es ist merkwürdig   so oft auch der junge Theodor im Laden schon die Flagge aufgezogen und die Leute an der Nase herumgeführt hat, immer wieder hat man es ihm verziehen. Er hatte doch die Leute neugierig gemacht, hatte sie mitgerissen und die Zungen in Bewegung gesetzt   und jetzt, was ist nun wohl heute wieder los? Diesem verflixten Theodor war immer irgendeine Überraschung zuzutrauen. Ole Johan und Lars Manuelsen sind jedenfalls tüchtig neugierig, sie haben einander unterwegs getroffen und können nun ihre Augen nicht mehr von dem Mann auf dem Flaggenhügel abwenden.

    Ole Johan ist genau derselbe wie früher, Jahr um Jahr steht er in Herrn Holmengraas Diensten, schuftet mit Säcken und schweren Lasten, ein Schmutzfink in Wasserstiefeln und im isländischen wollenen Wams. Es ist wahrlich nichts Großes aus ihm geworden, und seine Familie ist auch immer noch recht ärmlich dran, ja, so schlecht kann es manchem gehen. Aber Lars Manuelsen ist heraufgekommen, ist mit dem Ort, mit ganz Segelfoß gewachsen; er ist der Vater von L. Lassen, dem großen Pastor im südlichen Teil des Landes, dem Gelehrten und Bischofanwärter, und er ist auch der Vater von Julius, der das Hotel Larsen am Landungsplatz drunten führt. Daverdana ist auch eins von seinen Kindern, sie, die mit dem Lagergehilfen verheiratet ist und mit ihrem roten Haar leidenschaftlich aussieht. Also ist die Familie von Lars Manuelsen recht in die Höhe gekommen, und er selbst desgleichen, er ist schon lange Besitzer seiner Hufe Land, und niemand hat ihn je ohne das nötige Kleingeld im Laden gesehen. Ja, so kann es manchem gehen. Sein roter Bart ist dünn und grau geworden, das Haar ist ihm vollständig ausgegangen; aber sein Sohn L. Lassen hat ihm eine Perücke geschickt, und diese trägt er nun täglich. Wenn er in seiner Düffeljacke mit den zwei Knopfreihen dahergeschlendert kommt und keinen Finger zur Arbeit rührt, so ist der Grund wohl der, daß er das Arbeiten nicht nötig hat, seine Verhältnisse haben sich so gebessert. In der letzten Zeit sagt niemand mehr etwas Kränkendes zu Lars, aber natürlich sagen seine alten Kameraden und Mitsklaven auf dieser Erde wohl ab und zu: Ich begreife nicht, wovon du lebst, Lars, wenn du es nicht geradezu stiehlst! Dann spuckt Lars Manuelsen aus und läßt sich gut Zeit mit der Antwort, schließlich sagt er: Bin ich dir etwas schuldig?   O nein, durchaus nicht, aber ich wollte, du wärst mir etwas schuldig, versetzt der andere.   Dann würde ich es bezahlt haben, antwortet er.

    Lars Manuelsens Einnahmen waren indes ganz natürlicher Art. Hätte zum Beispiel ein Mann mit so vornehmen Kindern bei anderen in Arbeit stehen können? O nein. Aber als Julius das Gasthaus einrichtete, war es selbstverständlich, daß der alte Vater mit dem Geschäft verknüpft wurde. Wer hätte sonst die Koffer und Kisten vom Landungsplatz her und wieder dahin zurückschaffen sollen? Im Anfang war Lars Manuelsen bescheiden und verdiente nur wenig; aber in der letzten Zeit haben sich die Einnahmen vergrößert. Bald kam dieser oder jener Schiffer, bald ein Viehhändler, der Schlachtvieh für die Stadt aufkaufte, oder ein Photograph, oder ein reisender Agent für eine illustrierte Zeitschrift; außerdem kam allmählich auch wohl der eine oder andere kleine Geschäftsreisende mit Mustern in seinem Handkoffer. Und diese alle waren ja freigebige, angenehme Reisende, Weltleute, denen es auf ein paar Groschen nicht ankam, wenn dafür der Vater eines berühmten Mannes ihr Gepäck trug. Von Ole Johan, der jetzt neben ihm steht, wußte niemand etwas; aber wer Lars Manuelsen war, das wußten alle, ja, er wußte es auch selbst und schwieg durchaus nicht darüber.

    Nein, einen Fischkutter oder eine Segeljacht erwarten sie nicht, sagt Lars Manuelsen. Denn es ist kein Wind da.

    Nein, es ist kein Wind da. Dann werden es wohl Gäste und Fremde in einem Ruderboot sein.

    Beide denken darüber nach, finden es aber unmöglich, ja lächerlich. Nein, der alte Per im Laden und sein Sohn Theodor bekamen keine Gäste. Wenn dagegen auf Herrn Holmengraas Flaggenhügel ein Signalgast gestanden hätte, dann    

    Denn Herr Holmengraa war immer noch der große Mann, an den alle zuerst dachten. Er hatte allerdings vor einigen Jahren einen überaus großen Verlust erlitten und später noch mehrere Verluste dazu; aber was bedeutete ein Verlust oder zwei für jemand, der es aushalten konnte! Roggen und Weizen kamen ja nach wie vor in großen Dampfern von Amerika und vom Schwarzen Meer nach Segelfoß und verließen Segelfoß wieder als Mehl für alle nordischen Länder und Finmarken. Herrn Holmengraas Mühlwerk stand ja fast an keinem Werktag still, obgleich es nicht mehr wie früher auch bei Nacht lief.

    Was aber die zu erwartenden Gäste betraf, so grübelten Ole Johan und Lars Manuelsen auch darüber nach, wen wohl der große Mann, Herr Holmengraa, erwarten könne, denn die Tochter, Fräulein Marianne, war ja schon in einem roten Mantel von Christiania und aus dem Ausland heimgekehrt, und wie es auch sein mochte, den Flaggenhügel von Theodor im Laden benützen, nein, das würde Herr Holmengraa sicherlich nicht.

    Ole Johan sagt: Wenn ich Zeit hätte, würde ich den Weg über den Flaggenhügel nehmen und fragen. Kannst nicht du hingehen, Lars?

    Lars Manuelsen antwortet: Ich? Nein.

    Was meinst du damit? Nein?

    Ich habe keine Lust dazu.

    Na, dann also nicht; dann erfährt es eben keiner von uns, sagt Ole Johan gekränkt. Aber du bist jetzt so hochnäsig und magst einfach gar nichts mehr tun.

    Lars Manuelsen spuckt aus und erwidert: Bin ich dir etwas schuldig?

    Ole Johan wendet sich zum Gehen; doch im selben Augenblick sieht er den Knecht Martin mit einem Bund Vogelwild über der Achsel einherkommen.

    Der Knecht Martin kommt aus dem Wald, er trägt eine Büchse in der Hand, zurzeit geht er auf die Jagd, denn das Blaufuchsfell wird jetzt mit siebzig Kronen bezahlt und das Otternfell mit dreißig.

    Was hast du heute geschossen? fragt Lars Manuelsen, um ein wenig entgegenkommend zu sein.

    Sieh selbst nach! antwortet Martin kurz.

    Der Knecht Martin ist mit allen kurz angebunden, und gegen den Vater eines großen Mannes auch nicht anders als gegen andere. Ein großer Mann   wer ist heutzutage groß? Seit seine vorige Herrschaft das Zeitliche gesegnet hat, hat Martin keinen großen Menschen mehr gesehen; er lebt hauptsächlich in den Erinnerungen an die Zeiten des Herrn Leutnants, die Zeiten von Wilhelm Willatz Holmsen III., da die jetzige Frau Rechtsanwalt Rasch Hausjungfer auf dem Gute und Gottfred vom Telegraphenamt Diener auf Segelfoß gewesen waren. An diese Zeiten erinnert er sich. Natürlich war auch jetzt ein Willatz Holmsen da, er, der Vierte, Jung-Willatz genannt; aber der war ein Künstler und hielt sich nicht oft daheim auf, der Knecht Martin kannte ihn kaum.

    Er geht weiter mit seinen erbeuteten Vögeln auf der Achsel und seinem altmodischen Sinn.

    Warum gehst du nicht in unser Gasthaus hinunter und verkaufst die Vögel dort? Da bekämst du einen Batzen Geld dafür! sagt Lars Manuelsen zu ihm.

    Hat Martin es nicht gehört? O doch, recht gut, aber er gibt keine Antwort. So sehr verachtet er den hochmütigen Vorschlag.

    Du hast wohl nicht gesehen, wer dort auf dem Flaggenhügel stand? ruft ihm Ole Johan nach.

    Da bleibt der Knecht Martin stehen: Auf dem Flaggenhügel? Kornelius vom Laden, antwortet er, weil Ole Johan ihn gefragt hatte.

    Kornelius vom Laden?

    Ja.

    Martin geht weiter. Ganz besonders verächtlich ist ihm ja die doppelte Knopfreihe auf Lars Manuelsens Wams.

    Ach, Ole Johan und Lars Manuelsen hatten alle beide recht wohl gesehen, daß der Ladenjunge Kornelius dort oben auf dem Ausguck stand und sich mit einer Flagge in der Hand vom Himmel abzeichnete, aber sie wollten es ja hören und sie wollten doch darüber schwatzen. Ja, wenn es Kornelius ist, dann handelt es sich um etwas, was die im Laden angeht, entweder den Vater Per oder den Sohn Theodor im Laden; aber was kann es nur sein?

    Der Laden   es handelte sich übrigens nur um einen einzigen Mann, denn der alte Per Jensen selbst lag nun schon im achten Jahr gelähmt und marode auf dem Siechenlager und war eine Null; aber der Sohn war alles und brachte das Geschäft herrlich in die Höhe. Er betrieb es im großen Stil und war auf dem Weg ein reicher Mann zu werden. Dieser Theodor hatte bei allem, was er ausspekulierte und ins Werk setzte, eine glückliche Hand, er übertraf den Vater, er verdiente Geld, während der Vater nur Geld erspart hatte. Der junge Mann war noch in den Zwanzigern und hatte es bis dato verstanden, das Geschäft vor allen Konkurrenten zu schützen; erst kürzlich hatte er sogar den Bäcker mitsamt seiner ganzen Bäckerei für die bei ihm angekreideten Schulden verschluckt.

    Aber wenn dieser Junge, dieser Goldhamster, auch ein zäher, hartnäckiger Charakter war, so war er trotzdem ein beschränkter Mensch. Was konnte man auch mehr von ihm erwarten? Als geborener Bauer, als Filou, trieb er seinen Handel gut, aber außerhalb des Geschäfts war er nicht mehr als andere junge Burschen von seinem Stand, ja, er war vielleicht noch etwas schlimmer in Beziehung auf Eitelkeit und Albernheit. Die Leute sahen, daß er an beiden Händen Ringe trug, und manchmal lief er auf seinem gräßlichen Ladenfußboden mit seidenen Schleifen an den Schuhen umher. Sogar seine Dorfgenossen lachten über ihn: Ja, ja, das hätte dein Vater sehen müssen!

    Was kümmerte er sich um seinen Vater; dem war er über den Kopf gewachsen, er war über ihn weggeschritten. Schon seit mehreren Jahren spekulierte er ja auf eigene Faust, und auf dem Lofot hatte er so viel Fische gekauft, als er nur bezahlen konnte, jedes Jahr mehr, und schließlich hatte er seinen eigenen Fischkutter erworben. Nun war der junge Mensch in die Höhe gekommen und sah über ein Reich hin. Im Herbst überraschte er alle Leute damit, daß er seinen Fischkutter wieder verkaufte und viel Geld dafür einnahm. Wollte er sich etwa vom Fischhandel zurückziehen? Ja, auf ein Jahr; er wollte Atem schöpfen.

    Im Frühjahr kaufte er von einer Gesellschaft in ???Ytterøya das Schiff »Anna«; eine große verfaulte Jacht, durch die man einen Regenschirm hätte hindurchstecken können. Das Schiff war nichts wert, aber es kostete auch fast nichts. Ein paar Monate später war die Jacht auf die schnellste und beste Art hergerichtet, dazu zur Galeasse umgetakelt, war angestrichen, versichert und auf den Heringsfang ausgeschickt. »Anna« hielt, ihr Boden fiel nicht heraus. Wollte er sie vielleicht im Winter nach dem Lofot schicken, um Klippfische zu holen? Aber das wäre ihr Tod gewesen; deshalb mietete der Theodor in diesem Jahr ein Frachtschiff für seine Klippfische. Das war ein merkwürdiger Zug, und jedermann begriff, daß es einen täglichen Verlust bedeutete. Verlust? Gerade in diesen Tagen ließ dieser kleine Theodor an ein goldenes Zwanzigkronenstück einen Stil setzen und gebrauchte diesen überwältigenden Schmuck als Krawattennadel. Und was geschah im Herbst, als die Rundfischladung trocken und an Gewicht leicht geworden war? Der kleine Theodor verbrachte die ganze Ladung in die verfaulte Galeasse, versicherte sie wieder und schickte sie auf die Fahrt. Das war nun allerdings die letzte Reise der »Anna«; kaum war sie bis südlich von Folla gelangt, da ging sie unter, aber der kleine Theodor hatte noch nie ein besseres Geschäft gemacht. Durch dieses Verfahren bekam er das Kapital, das er für seinen nächsten Schachzug brauchte, nämlich den berühmten Kauf der Eiderdauneninsel von dem Händler Henriksen.

    Und danach folgte Zug um Zug. Ganz besonderes Glück hatte er mit alten Schiffen; zurzeit hatte er wieder eine alte, aber noch brauchbare Jacht. Und jetzt konnte die Jacht jeden Tag zurückerwartet werden, mit der neuen Klippfischladung, die auf den Felsen getrocknet werden sollte. Aber ohne Wind konnte sie nicht segeln. Also für die Jacht sollte Kornelius da droben nicht flaggen.

    Ole Johan hat einen eingewurzelten Fehler, der ihn jederzeit plagt: er ist so neugierig wie eine Frau. Jetzt bietet er sich an, rasch nach dem Laden hinunterzulaufen, um dort Bescheid zu holen, wenn Lars Manuelsen einstweilen seine Arbeit in der Mühle übernehmen wolle.

    Lars Manuelsen arbeitet allerdings nicht mehr mit seinen Händen; aber er hat seinen Kameraden und Nachbarn nun schon so lange zurückgewiesen, daß er nicht sofort nein sagt. Dagegen sagt er: Ich bin nicht dazu angezogen.

    Angezogen? Nein, du hast acht Knöpfe auf der Brust deiner Jacke, und die dürfen nicht mehlig werden, spottet Ole Johan aufgebracht.

    O, was das betrifft   antwortet Lars Manuelsen recht friedfertig. Aber ich weiß nicht, ob die Perücke es verträgt.

    Die Perücke? Kannst du die nicht heruntertun? Und willst du dich durch die Perücke von jeder Arbeit abhalten lassen? Zum Kuckuck mit der Perücke. Aber daß du sie an den Sonntagen und wenn du zum Abendmahl gehst, aufsetzt, dagegen läßt sich nichts einwenden.

    Da geht Lars Manuelsen auf dem kürzesten Weg in die Mühle und streitet nicht weiter. Dazu ist er zu stolz. Er sieht über seine Achsel weg, daß Ole Johan auf den Laden zusteuert.

    Droben in der Mühle ist er von früheren Zeiten her wohl bekannt und findet seine Arbeit allein. Aber er bückt sich nicht mehr als nötig ist und hebt auch keine schweren Lasten mehr, das gehört der Vergangenheit an, ehe er den großen Widerwillen gegen Anstrengungen bekam.

    Da ist nun der Bertel von Sagvika auf seinem Posten. Er ist im Dienst des Mühlenbesitzers mit einem etwas größeren Lohn als zu Anfang zum Vertrauensmann aufgestiegen. Jetzt geht es Bertel von Sagvika und seiner Frau ziemlich gut; er selbst verdient sein sicheres Geld, und die Frau näht wie andere Frauen auch Säcke für die Mühle und verdient nebenher. Ihre Kinder gediehen, und aus jedem wurde etwas, sobald sie konfirmiert waren; Gottfred war jetzt beim Telegraphenamt angestellt, und die Tochter Pauline sorgte immer noch als Wirtschafterin auf dem Gut Segelfoß für das Gesinde, das bei Jung-Willatz noch dort in Dienst stand. Diese Pauline war schon bei den alten Willatz Holmsens in der Haushaltung und im Kochen wohl unterrichtet worden, so daß sie eine äußerst nette, anstellige Hausmutter für das Hotel Larsen gegeben hätte. Und dachte Julius nicht etwa an sie? Oho, schon lange hatte er an sie gedacht und hatte sie lieb und freite ausdauernd um sie; aber Pauline hatte ihn abgewiesen. Lars Manuelsen kann es nicht lassen, ein bißchen zu Bertel hinüberzugehen, um einen kleinen Schwatz mit ihm zu halten; zuerst erklärte er, er sei nicht hergekommen, um wieder zu arbeiten, sondern nur um Ole Johan einen Gefallen zu tun.

    Das begreife ich, erwiderte Bertel und lachte in sich hinein.

    Ich geh nicht mehr in Arbeit, das hab ich nicht mehr nötig.

    Nein, nein, versetzte Bertel und lächelte noch mehr in sich hinein; denn Bertel ist mit den Jahren sehr munter und humoristisch geworden.

    Denn was das betrifft, so hat ja Julius das Hotel Larsen mit Essen und Trinken und gemachten Betten und allem, was man sich nur denken kann.

    Das will ich meinen.

    Lars Manuelsen sagt:

    Wie ist es denn, wird Julius die Pauline heiraten? Hast du etwas darüber gehört?

    Nein.

    Denn das muß ich sagen, fährt Lars Manuelsen fort, dann könnte ja mein Sohn Lassen sie trauen, und das wäre ja wohl ein klein wenig vornehmer, als wenn es ein anderer täte.

    Darauf erwiderte Bertel, daß er von nichts wisse, seine Pauline dürfe ganz tun, was sie wolle, und es sehe nicht danach aus, als ob sie sich vom Hofe fortsehne.

    Sie kann ganz tun, was sie will! Aber was will sie? Das klingt ja ganz gotteslästerlich. Denkt sie etwa an Willatz selbst? Ein loser Vogel und ein Musikante, bald ist er in dem einen Land, bald in einem andern. Und den Hof bewirtschaftet der Knecht Martin.

    Aber Bertel hat sich wohl noch etwas von seiner alten Achtung für das Haus Holmsen bewahrt; Lars Manuelsens Gespött über Jung-Willatz ärgert ihn, und er läßt es ihn merken:

    Ja, deine Mutter bekam einen losen Vogel, sagt er, und der bist du, sagt er. Willatz steht so hoch über mir und den Meinen, daß er uns auf der Erde gar nicht sieht, und noch weniger sieht er Pauline, die um einen Jahreslohn bei ihn im Brot steht. Willatz ist ein Herr, aber was bist du und was bin ich? Und deinen ungewaschenen Mund, Lars, aus dem macht er sich gar nichts, sondern er schlägt dir höchstens eins drauf.

    Darauf spuckt Bertel so recht unverschämt weit aus.

    Lars Manuelsen schweigt und weiß, wer er ist. In Jahr und Tag hat wohl nie jemand so kränkend mit ihm gesprochen, und nun ging er   zurück auf seinen Posten, zu seiner Arbeit und fort von Bertel von Sagvika.

    Drunten auf dem Weg kommt Herr Holmengraa hergewandert, der Mühlenbesitzer in eigener Person. Merkwürdig, wie sehr er sich verändert hatte! Eine graue Jacke, graue verschrumpelte Beinkleider, ein paar derbe mehlbestaubte Stiefel und einen großen unausgebürsteten Hut   das war der ganze Staat, den er auf dem Leibe trug. Die Winter waren von Jahr zu Jahr milder geworden, aber die Leute, die früher in der Jacke gingen, trugen jetzt einen Überzieher, sie waren so fein geworden und so verfroren; aber Herr Holmengraa kam in einer grauen Jacke einher. Sogar der Lensmann auf Ura hat eine Tresse an seiner Mütze, und selbst der Lotse auf dem Küstenboot hat blanke Ankerknöpfe, aber Herr Holmengraa sah aus wie ein Netzmeister oder wie ein Arbeiteraufseher. Wenn sich die Leute nicht in den letzten Jahren daran gewöhnt und nichts anderes von ihm gesehen hätten, dann hätten sie sich sehr verwundern müssen. War denn dieser Mann noch der König Tobias hier, der jedes Geschöpf vor sich in den Staub zwang? Aber wäre nicht die dicke goldene Kette auf seiner Weste gewesen, dann hätte er es wahrlich nicht sein können. Nein, er hätte wahrhaftig Theodors Fischtrockner sein können.

    Herr Holmengraa kommt an Bertel von Sagvika vorüber, und Bertel grüßt. Er geht zu einer Gruppe von vier Mann hin, die Mehl in Säcke füllen und diese zuschnüren; sie grüßen ihn und grüßen ihn auch nicht, zwei nicken ein wenig, zwei bücken sich absichtlich tief über die Säcke und tun, als sähen sie ihn nicht. Es sind moderne Arbeiter, die Galoschen tragen; sie kommen angeradelt zur Arbeit, ihre Räder stehen ganz in der Nähe.

    Herr Holmengraa spricht mit ihnen; sie richten sich nicht auf und lauschen nicht gespannt, sie bleiben über die Säcke gebeugt, lassen die Arbeit ruhen und hören so zu. Als ihr Herr ausgeredet hat, richten sie sich auf, überlegen das Gehörte ein wenig, dann fangen sie ganz laut und noch in Hörweite ihres Herrn untereinander zu reden an, drücken Zweifel aus, ob seine Entscheidung richtig sei, fragen sich gegenseitig um ihre Ansicht, spucken aus, beratschlagen. Was sagst du, Aslak? fragen sie. Was sollen wir tun? überlegen sie.

    Der Herr hat sich umgedreht, um weiter zu gehen, er ist auch schon ein paar Schritte weitergegangen, aber als er die letzten Worte hört, ruft er über die Schulter zurück: Was ihr tun sollt? Das sollt ihr tun, was ich gesagt habe!

    Damit meint er wohl, die Sache abgetan zu haben. Ach, vielleicht war sie ganz und gar nicht abgetan, aber der Mühlenbesitzer sieht jetzt, wie schon früher auch, daß die Achtung weg ist, er fürchtet einen Streit und geht deshalb weiter. Mehr wagt er wohl nicht in der Sache zu tun. Schon früher hatte der Mühlenbesitzer Aslak gekündigt, aber da hatten die anderen Angestellten auch mit dem Gehen gedroht. Schon zweimal war dies geschehen, und beide Male war es dann beim alten geblieben.

    Das hätte dem früheren Besitzer vom Gut Segelfoß, dem Herrn Leutnant, passieren sollen! Ein Schlag durch die Luft mit der Reitpeitsche   fort! Im Lauf der Jahre hatte Herr Holmengraa gar oft an Leutnant Holmsen denken müssen: er sprach nur wenig, zwei Worte, vier Worte, seine Augen wie zwei Kugeln. Wenn er die Faust um die Reitpeitsche ballte, traten die Knöchel weiß hervor, aber wenn er die Hand aufmachte und jemand freundlich begegnete, dann wurde der Augenblick reich und erinnerungswert. Man fühlte sich wohl bei ihm, weil er zu denen gehörte, die befehlen konnten, Anführer war er, Herr war er. Trug er etwa goldene Ringe in den Ohren wie die Segeljachtfahrer vom Westland? Rauchte er aus einer langen, silberbeschlagenen Pfeife? War er dick, mußte er auf zwei Stühlen sitzen, um seinen Umfang unterzubringen? Und doch wurde niemand so viel Platz gemacht wie ihm, und niemand sah ihn über die Achsel an!

    Herr Holmengraa verwundert sich bis zum heutigen Tag darüber. Hatte er es nicht selbst auf die verschiedenste Weise versucht, sich Achtung bei seinen Leuten zu verschaffen? Ja, war er nicht sogar darauf verfallen, Freimaurer zu werden und sich mit einer geheimnisvollen Macht im Hintergrund zu zeigen? Aber die Leute hatten sich nicht viel darum gekümmert, niemand hatte ihn gefürchtet, so einfältig war keiner. Und es wußte wohl niemand ganz sicher, ob Herr Holmengraa auch wirklich Freimaurer war.

    Er geht zu Lars Manuelsen hin und sagt: Guten Tag, Lars. Bist du wieder bei mir eingetreten?

    Nein, das fiele mir ein. Es ist nur zum Zeitvertreib.

    Wo ist Ole Johan?

    Er ist drunten aufgehalten worden. Ich will ihn so lange vertreten.

    Ich habe heute morgen einen Tagelöhner zur Hilfe hergeschickt, wo ist er? fragt Herr Holmengraa.

    Einen Tagelöhner? Vielleicht den Konrad? Nein, Lars Manuelsen hat keinen Konrad gesehen.

    Er ißt bei mir, ist in Kost bei mir, heute morgen sollte er hierher gehen.

    Dann sitzt er wohl irgendwo und wartet. Soll ich ihn suchen?

    Ja, geh und such ihn!

    Alles geht schief, und der Mühlenbesitzer runzelt die Stirne. Wahrlich, dieser König der Segelfosser Werke hatte Verdrießlichkeiten! Vor ein paar Jahren noch war er ein freundlicher, munterer Herr gewesen, jetzt hatte er bläuliche Adern an den Schläfen, eine magere Nase, viele Fältchen um die Augen und einen grauen Bart. Alles war dünn an ihm, die Hände und das Gesicht, die Beine, ja er war nur noch Haut und Knochen. Aber war er deshalb gering? Dann wäre er nicht der gewesen, der er war! Es lag zwar nicht mehr dieselbe verschwenderische Größe über seiner Arbeit wie früher, nein, er ließ nur noch bei Tag mahlen und betrieb das Geschäft mit einer beschränkten Arbeiterzahl, aber König Tobias selbst war ja nicht zerbrochen, er hatte mehr Haltbarkeit. Wenn er da auf dem Platze steht und nachdenkt, über seinen gewaltigen Fluß bis hinunter zum Landungsplatz und das offene Meer hinschaut und nur seinen Kopf arbeiten läßt, da drückt seine Miene Kraft aus, und seine Augen sind voller Mut. Die Jugend, die ist allerdings dahin, aber das Alter war trotzdem noch nicht über ihn gekommen, er war ein Mann in Jahren, aber es hieß, er bekomme doch noch Kinder in der Umgegend.

    Lars Manuelsen kommt mit dem Tagelöhner daher, und der Herr fragt:

    Was hast du heute getan?

    Ach, ich habe nur dort drüben gewartet, antwortete Konrad.

    Er saß dort und rauchte, meldete Lars Manuellen.

    Ja, was hätte ich denn sonst tun sollen? antwortet Konrad. Ole Johan ist ja nicht erschienen.

    Dann hättest du dich mir stellen können, und ich hätte dir eine Arbeit angewiesen, sagt Lars Manuelsen, und er kommt sich sehr wichtig vor.

    Aber Konrad lacht verächtlich. Du? Ich hätte mich dir stellen sollen?

    Jawohl, das hättest du sollen, sagt Herr Holmengraa.

    Nein, das hätte ich nicht sollen, versetzt Konrad. Und wenn Sie für diesen Zeitverlust etwas abziehen wollen, so habe ich nichts dagegen.

    Und du meinst, dann sei alles in Ordnung? fragt Herr Holmengraa; aber die Arbeit, die du hättest ausführen sollen, liegt ungetan da.

    Aber wenn doch Ole Johan nicht gekommen ist? Ich hätte es doch nicht anders machen können.

    Und die beiden Mahlzeiten, die du heute schon verspeist hast, soll ich die auch abziehen? sagt Herr Holmengraa.

    Da antwortet der Tagelöhner. Das Essen? Hätte ich vielleicht nüchtern an die Arbeit gehen sollen? Es wird immer schlimmer für uns Lohnsklaven. Ihr gönnt uns nicht einmal den Bissen im Munde.

    Schon wieder hätte es einen ordentlichen Wortstreit gegeben, wenn der Mühlenbesitzer nicht geschwiegen hätte. Er wußte schon, wie es gehen würde: der Mann blieb.

    Ich hätte dich eigentlich auf der Stelle verabschieden sollen, sagt Herr Holmengraa, und damit geht er.

    Konrad blieb die Antwort nicht schuldig. So, meint Ihr das? Ich bin nun so einfältig, daß ich meine, es gäbe Gesetz und Recht im Lande. Und wenn ich zur Zeitung hinunter gehe, so meinen sie dort gewiß dasselbe.

    Ja, die an der Zeitung werden sicher dasselbe meinen, dachte Herr Holmengraa, an der guten »Segelfosser Zeitung«, die jetzt in ihr siebtes Jahr ging und den Ort und die Umgegend leitete. Der Mühlenbesitzer war schon mehrere Male im Blatt genannt worden; man hatte dies und jenes an ihm auszusetzen gehabt, man hatte auch fleißig um die Mehlpreise mit ihm gefeilscht, besonders sei das Weizenmehl und das feingebeutelte Roggenmehl für den armen Mann teuer geworden. Aber die Segelfosser Zeitung war auch ein rechtschaffenes Blatt, der Redakteur war auch bereit anzuerkennen, und es war nicht ohne Bedeutung, wenn er etwas anerkannte. Wir, sagte er. Unsere Ansicht, sagte er. Ein seltenes Mal äußerte er sich zuvorkommend über Herrn Holmengraas Wirksamkeit, und einmal schrieb er:

    In Anbetracht der Umstände müssen wir Herrn Holmengraas Verlegung seines Fahrwegs nach dem Mühlwerk billigen. Die Steigung ist jetzt bedeutend geringer, und seine Fuhrleute können hundert Kilo mehr aufladen. Der Weg ist zwar etwas länger geworden; aber die Fuhrleute bringen es durch die größeren Fuhren wieder herein. Wir wollen deshalb als unsere Ansicht aussprechen, daß die Verlegung des Weges ein nützliches Unternehmen für unseren Ort war, obgleich wir die Bemerkung nicht zurückhalten können, daß so manches Pferd armer Leute schwierigere Hügel in härterer Arbeit ersteigen muß als hier. Es ist zweifellos auch ein Vorteil für den Brotherrn, daß der abgehetzte Arbeiter jetzt morgens auf seinem Rad bis zur Arbeitsstelle selbst fahren und demzufolge die Sklaverei des Tages mit frischen Kräften beginnen kann. Merkt euch das, Arbeiter!

    Endlich kommt Ole Johan angetrottet. Er gehört zu den guten alten Männern in der Mühle, ist dumm und beschränkt, aber treu und stark, ein Arbeiter, der nicht daran denkt, sich zu schonen, wenn es darauf ankommt. Seine Form von Höflichkeit äußert sich darin, daß er schon von weitem grüßt und ruft:

    Guten Tag! Ich bin schrecklich spät dran, aber ich hab auch Lars indessen für mich arbeiten lassen.

    Herr Holmengraa nickte nur und verließ die Mühle.

    War er böse? fragte Ole Johan und sah Herrn Holmengraa nach.

    Das will ich meinen! antwortete Lars Manuelsen mit übertriebenem Eifer.

    Ja, ganz ruhig war er nicht! sagte der Tagelöhner, indem er sich in die Brust warf.

    Nun wurde die ganze Geschichte erzählt und besprochen und begutachtet. Der Tagelöhner vergaß nicht zu wiederholen, was er dem guten Herrn geantwortet hatte: Recht und Gesetz im Lande! hab ich gesagt.

    Ja, ich stand daneben und hab es gehört, sagte Lars Manuelsen, der jetzt auf Konrads Seite war, und durch diese Unterstützung aufgemuntert, wurde Konrad noch größer.

    Du weißt auch, Lars, und du ebenfalls, Ole Johan, daß ich meine Arbeit tue und meine Last trage. Aber wenn er wie ein Tyrann vorgeht oder wie ein Sklavenaufseher, dann, das kann ich wohl sagen, bin ich nicht der Mann, der schweigt. Das soll er sich nur hinter die Ohren schreiben! Denn entweder sage ich ihm meine Meinung ins Gesicht, oder es kommt nicht eine Silbe über meine Lippen.

    Nein, sagte Lars Manuelsen. Aber was ich sagen wollte; weiß einer, warum der Theodor im Laden seine Flagge wehen läßt?

    Konrad war beleidigt; er hatte gemeint, er könnte das Interesse der anderen noch eine gute Weile festhalten. Dann trollte er sich, ging an Bertel von Sagvika vorbei, auch vorbei an den Fahrrädern, die er sich im Vorübergehen gemächlich betrachtete, und hielt bei der Gruppe an, die Säcke zuband.

    Aber Ole Johan ließ sich schwer auf einen Mehlsack niederfallen, daß der Mehlstaub um ihn herwirbelte. Das Schwein! Ach, aber das tat nichts, ein bißchen mehr oder weniger Mehl, was schadete das seinem Anzug? Der war schon vorher schmutzig und mehlig, ganze Krusten von Teig saßen darauf.

    Warum er flaggt? sagte er. Ich fragte ihn, warum er einen Mann hinaufstelle, der da droben zu Stein und Bein friere? Das wird sich schon zeigen, hat er geantwortet.

    Ja, so eine Antwort sieht seiner ganzen Art und Gemütsverfassung ähnlich, erwiderte Lars Manuelsen beleidigt.

    Ole Johan stand auf und zog die Jacke aus, um sich an seine Arbeit zu machen, aber seine Neugier war zu groß, sie lähmte ihn. Wenn ich es doch nur ergründen könnte! sagte er. Was meinst du, Lars?

    Ich meine, es ist wieder nur Tand und Eitelkeit von dem Theodor.

    Ole Johan sagte: Weißt du, was ich meine, Lars? Ich meine, daß es auch diesmal nichts anderes als Tand und Eitelkeit von dem Theodor ist. Pfui über ihn!

    Aber auf diese Weise brachten sie sich nur selbst um ein Ereignis und fühlten sich leer danach. Ole Johan war die ganze Zeit nicht imstande, bei der Arbeit richtig zuzugreifen, und plötzlich sagte er:

    Ob es am Ende der Prinz vom schwedischen König ist? Ob der auf die Jagd will?

    Ach, was denkst du denn?

    Da wurde Ole Johan so sinnlos aufgeregt, daß er sein Wams an sich riß und sagte: Komm, wir wollen Aslak und die anderen fragen, was sie glauben.

    So verging die Zeit. Diese Leute wirkten und schafften auf ihre Weise mit dem Kopf, und sie verschafften ihren Herzen Nahrung. Auch sie sahen Gesichte, wenn sie in das Reich der Phantasie hineinschauten.

    Aber die Arbeit ruhte.

    Als sie zu Aslak und den anderen hinkamen, wurde diesen wieder die Geschichte von des Tagelöhners tapferem Auftreten, und daß Gesetz und Recht im Lande sei, aufgetischt. Und Konrads Gedächtnis war nicht stumpf geworden, im Gegenteil, es war geschärft; jetzt erinnerte er sich, daß er dem Mühlenbesitzer das Wort Sklavenaufseher und darauf das Wort Freimaurer mitten ins Gesicht geschleudert hatte. Sechs erwachsene Männer standen dabei und hörten dem siebten zu. Und die Arbeit ruhte.

    Hier waren die modernen Arbeitsmenschen, die mit Fahrrädern und Windjacken und baumelnden Uhrketten daherkamen, die auf dem bestanden, was sie wollten, und die zur Zeitung gingen. Alle hatten Ansichten, sie kannten ihren eigenen Wert, ja eigentlich waren es gerade sie selbst, die etwas wert waren, denn ihrer waren viele. Was hätten die anderen ausrichten können ohne sie? Und was konnten sie ausrichten gegen sie? Ihr Kapitalisten, der Tag naht heran!

    Ole Johan versuchte seine große Neuigkeit anzubringen: der Mann auf dem Flaggenhügel. Nein, Aslak und die anderen wußten nichts davon, sie waren hart geworden, sie hatten nicht einmal Phantasie und wandten sich wieder Konrads Sache zu. Ach, Konrads Sache, die war etwas wert, die konnte einem das Herz laben!

    Da fühlte sich Ole Johan enttäuscht und beleidigt; plötzlich wurde er von der Pflicht ergriffen, er schritt breitspurig auf seinen Platz und zu seiner Arbeit zurück, noch unterwegs zog er sein Wams aus und schrie den Tagelöhner an:

    Jetzt kommst du, Konrad, und zwar auf der Stelle!

    Lars Manuelsen ging seiner Wege.

    Wenn du etwas erfahren solltest, dann komm wieder und erzähl es uns! rief ihm Ole Johan nach.

    Das würde mir auch noch einfallen! dachte wohl Lars Manuelsen für sich. Diese alten Kameraden wissen nicht mehr, wessen Vater ich bin, dachte er wohl. Er ging den Hügel hinunter und stäubte unterwegs sein Wams ab.

    Kornelius stand noch immer auf dem Flaggenhügel und spähte hinaus. Drunten beim Laden, beim Kramladen war derselbe lebhafte Umtrieb wie an jedem Tag, Kunden und Zuschauer, Kinder und Hunde; und Gehilfen, die Kisten und Tonnen wälzten, wälzten auch jetzt die Waren in den großen Landhändlerladen zum Verkauf im kleinen.

    Daß etwas so Kleines etwas so Großes werden konnte!

    II

    Inhaltsverzeichnis

    Es war dasselbe Gebäude, in dem der alte Per seinen kleinen Kramladen begonnen hatte, aber ein zum doppelten Umfang ausgebauter und erweiterter Laden. Das hatte Theodor getan.

    Droben über der Zimmerdecke lag der alte Per im Laden und starb nie. Es war ein Wunder, wie lang es bei ihm dauerte, obgleich er auf der gelähmten Seite sehr zusammengeschrumpft war und statt der guten Glieder, die er gehabt hatte, nur noch eine welke Frauenhand und einen vertrockneten Frauenfuß besaß. Sterben? Selbstverständlich. Aber nicht zur Zeit, nicht vor der Zeit! Schon aus der Entfernung sahen die Leute, wie wenig Lust er täglich zum Sterben hatte. Da lag er in seinem Bett und stieß mit dem Stock auf den Boden, wenn er etwas wollte; er stieß ihn häufig auf und stieß ihn dröhnend auf und mischte sich in alles, was sich zutrug. Er hatte auch immer die Weste an, damit er jedenfalls mit dem Oberkörper nicht ganz bettlägerig aussah. Aber siech war er und jammervoll lahm, bärtig, und die Haarbüschel im Nacken waren ganz weiß. Im Sommer konnte er an warmen Tagen ins Freie getragen werden, und da war es ihm ein großes Vergnügen, den Verkehr von und zu seinem Laden zu beobachten.

    Aber im Winter während der kurzen Tage las er nicht in den Zeitungsblättern oder Postillen, dazu war das Lampenöl viel, viel zu teuer, sondern er lag im Dunkeln und lauschte auf den wohl eine Meile entfernten Gesang der Schwäne, und das war ein unheimlicher Gesang, vor dem ihm schauderte. Es war, als brauste der Sturm gegen eiserne Platten, als bewegten sich Kirchtürenflügel und als knarrten große Tore in ihren Angeln. Hu! Und warum zum Teufel schrien diese wilden Vögel nur so? Es tat ihnen doch niemand etwas!

    Aber im Sommer in den hellen Nächten, da war Per noch ein ganzer Mann, da lag er da und schmiedete Pläne und machte Geschäfte. Ach, es waren nur Kinderpossen, nur Gefasel! Er ging davon aus, daß der Handel und das Geschäft jetzt noch genau so betrieben würden, wie zu seiner eigenen Zeit, nur daß alles in etwas größeren Mengen umgesetzt wurde. Er glaubte immer noch an einen Artikel, die Wasserbrezeln, die die Küstenfahrer von Bergen in leeren Fässern und Särgen mitbringen sollten. Er glaubte an Drahtstifte, an viele Kisten mit drei und vier Zoll langen Drahtstiften, an Pfefferminzplätzchen für die Schulkinder, an Kragen und Hemdenbrüste aus Papier   was taten die Leute jetzt damit? Per im Laden war vom alten Schlag, ein blödsinnig sparsamer, ein über alle Maßen vorsichtiger, halsstarriger Krämer, jawohl! Aber wenn er da auf seinem Bette lag und mit ausgeschossenen Waren Handel trieb, dann, weiß Gott, verstand er seine Sache und tat geradezu, als haue er einen Käufer übers Ohr. Wen er übers Ohr haute? Entweder sich selbst oder andere, aber irgend jemand. Er war dazu geboren, zu feilschen und zu handeln, und sein unausrottbares Talent dazu führte ihn weiter und weiter; die leichte Doppelzüngigkeit im Handel hatte er längst hinter sich gelassen, über die bubenschlaue Mogelei war er hinausgewachsen, jetzt war er vielleicht schon ganz auf der Kehrseite angekommen: er spielte »Betrügerles«, er war ein lauernder, grotesker Kerl.

    Jetzt eben stieß er mit dem Stock auf den Boden. Nach längerer Zeit kommt seine Frau herbei; er verlangt nach Theodor, und als seine Frau eine Weile bei ihm stehen bleibt und sich nicht beeilt, wiederholt ihr Mann seine Worte sehr kurz angebunden. Er spricht mit seiner Frau nur, wenn er dazu gezwungen ist, und er sieht sie auch nicht an, nein, sie kommt ihm wie eine dumme Kuh vor.

    Es kommt darauf an, ob Theodor Zeit hat, sagt sie.

    Theodor soll heraufkommen! schreit Per.

    Aber Theodor kam oder kam nicht, je nachdem er Zeit und Lust hatte. Wenn der Vater zu lange warten mußte, schickte er aufs neue nach ihm, und sein Befehl klang dann noch barscher: Seht, der alte Stiernacken hatte immer noch eine gewisse Macht, abgesehen davon, daß das ganze Geschäft noch auf seinen Namen lautete und P. Jensen hieß. Theodor hatte noch nicht gewagt, seinem Vater in seinem ganzen Staat vor die Augen zu kommen, seine Fingerringe pflegte er heimlich in die Westentasche gleiten zu lassen. Das tat er auch jetzt.

    Er bleibt vor dem Bette stehen, und aus altgewohnter Achtung läßt er sich nicht auf einen Stuhl nieder.

    Hättest du nicht gleich kommen können, als ich geklopft habe? sagt der Vater.

    Ich bin im Keller gewesen, antwortet der Sohn.

    Das glaub ich nicht. Haben wir Zündhölzer?

    Zündhölzer? O ja  

    Sie steigen wohl nicht im Preis?

    Die Zündhölzer? Nein.

    Wir müssen noch ein Tausend Gros kaufen, und dann steigen sie, sagt der Alte.

    Tausend Gros? Das ist eine ganze Schiffslast. Und wo sollen wir sie unterbringen?

    Im Bootshaus. Im Bootshaus soll keine Tanzerei mehr gehalten werden, denn es ist Sünde. Ich habe einen bösen Traum deswegen gehabt. Nun soll die Fleischeslust im Bootshaus Zündhölzer bekommen.

    Aus altgewohnter Achtung lacht Theodor nicht, und er schlägt sich auch nicht aufs Knie; aber der Vater will also die Fleischeslust unterkriegen, will den Teufel unterkriegen mit Zündhölzern! Er meint auch gar nicht, daß etwas dabei zu verlieren wäre, er will die Fabrik auskaufen und dann Besitzer aller Zündhölzer im ganzen Nordland werden. Kinderpossen   der Vater ist kindisch geworden. Tausend Gros Zündhölzer können gar nicht verladen werden, sie nehmen fürchterlich viel Platz ein und wiegen nichts. Und was würden tausend Gros Zündhölzer einbringen? Nichts. Ja, wenn es Spazierstöcke oder Blusenstoffe gewesen wären!

    Tausend Gros, so habe ich's bestimmt. Und haben wir Salz? fragt der Alte weiter, und er denkt, durch ein schweres Gewicht im Kielraum das Gleichgewicht wieder herzustellen.

    Salz? Wir haben, was wir im Sommer brauchen.

    Ist das Salzfaß voll?

    Ganz voll will ich nicht sagen. Aber das Salz schwindet in der Hitze.

    Du Gelbschnabel   willst du deinen Vater belehren? Hundert Tonnen Salz, hörst du! Geh und schreib es auf!

    Es war das reine Gefasel. Theodor ging hinunter und schrieb es nicht auf. Er begriff wohl, wie sehr dem Vater daran gelegen war, der Fleischeslust zum Tort Zündhölzer zu kaufen, wenn er sogar einen großen Salzschwund an dem Geschäft erleiden wollte; aber der Vater war unzurechnungsfähig. An dem Bootshaus durfte auch nichts geändert werden, das war der Tanzsaal der Jugend, er bezahlte sich außerordentlich gut, bezahlte sich unsinnig. Allerdings war dem Laden jetzt das Weinverkaufsrecht entzogen worden; aber trotzdem kam gar mancher Mann zum kleinen Theodor, und es wurde ihm mit einer Flasche zum Samstagsball ausgeholfen. Und wenn Theodor selbst, was selten geschah, in seiner ganzen Pracht und mit Schleifen auf den Schuhen in das Bootshaus kam, dann stellte er einen Herrn, einen großen Herrn, einen reichen Mann vor, und für jedes Mädchen, das da war, alles Hohe und Herrliche der Welt. Übrigens liebte der junge Theodor eine Prinzessin, und die Mädchen waren Luft für ihn. Gott hatte wohl dieses schwere Leid in seinen Kielraum gelegt, damit er vor lauter Torheit und Windigkeit nicht davonfliegen sollte. Aber es war ein Kreuz.

    Theodor steckt seine Ringe wieder an und tritt in seinen Laden, sein Reich. Die Leute, die am Ladentisch stehen und ihm den Weg versperren, weichen zur Seite vor ihm; er hebt die Klappe auf, gleitet durch die Öffnung und macht die Klappe wieder hinter sich zu. Jetzt ist er der Kommandant. Der junge Mann hat zwei Ladenbedienstete unter sich, die Schubladen und die Fächer an den Wänden sind voll, die Decke mit Waren vollgehängt, der Fußboden mit Waren besetzt, es ist ein Laden mit allem, was Menschen nur begehren können: Seidenzeug, Elfen, Kaffeekuchen. Theodor kündigte in der Segelfosser Zeitung nur zum Staat an, es war ganz unnötig, er hatte keine Konkurrenten, aber er betrieb das Geschäft modern.

    Der alte Per hatte eigentlich keine Ahnung davon, was sich tatsächlich da drunten unter seinen Füßen zutrug. Zündhölzer hatte er gesagt, Salz hatte er gesagt. Meinte er, es sei noch wie zu seiner eigenen Herrscherzeit, wo die Ausbeute des Tages in einen Lederbeutel gestopft und in der Nacht unter das Kopfkissen gesteckt werden konnte? Jetzt wurde die Einnahme in große Protokolle eingetragen und im Kontor in einem feuerfesten Schrank verwahrt, und das Kontor war für Theodor, der da auf einem hohen Drehstuhl saß und an alle Welt schrieb, ganz allein da.

    Und früher, im Anfang, als er noch klein war, unterschrieb er, ehrerbietigst Theodor Pedersen, weil sein Vater Per hieß, jetzt aber unterschrieb er Theodor Jensen, weil der Vater Jensen hieß. Seine Mutter war es gewesen, die den Vater umgetauft hatte, sie wollte im Hut gehen und Madame sein. So wuchs alles in die Höhe, das eine mit dem andern und der Handel am allermeisten. Zündhölzer und Salz? Nein, Konservenbüchsen und Makkaroni und Schweizerkäse. Der halsstarrige Krüppel da droben im Oberstock wollte wie in den alten Tagen auch jetzt noch Ziegenkäse haben   der einfältige Mann, Ziegenkäse war ja gar nicht mehr aufzutreiben, weil niemand mehr Ziegen hielt, die Ware war ausgerottet, wie die Papierkragen und Wasserbrezeln ausgerottet waren. Der Alte konnte statt Ziegenkäse etwas bekommen, was Fettkäse hieß, und er konnte auch Meiereikäse dafür haben   jawohl, aber was er sagte, war rein auf den Boden gespuckt. Der Vater war der schlechteste Kunde, den der Laden hatte, weil er so schrecklich altmodisch war. Konnte er nicht wie andere Leute Rochefort in Silberpapier und Camembert in niedlichen Holzschachteln nehmen? Aber das sei alles Betrug. Auf Milch mit Klößen verstand er sich, aber Makkaroni, was war das für ihn? Er hatte den Aufschwung des Ortes und der Menschen nicht mitgemacht, jetzt gab es niemand mehr, der nicht Makkaroni in Wasser gekocht aß, und sie schmeckten wie Kuchen, schmeckten gar herrlich weich, und man hätte wahrlich auch hier einen wogenden Makkaroniwald haben sollen wie im Ausland!

    Aber über alle diese Vorteile ragte doch die neue bequeme, leichte Haushaltführung hinaus! Butter! Man rührte jetzt keine Butter mehr, man ging in den Laden und kaufte »Pellerin«. Die Speisekammer und das Rauchloch voll Fleisch und Speck und Fisch? Man hätte sich über den, der jetzt noch Salzfleisch einlegte, totgelacht! Es gab doch wahrhaftig Fleischgerichte in Büchsen, Büchsengerichte genug! Die waren fertig gekocht, sie waren auch schon gekaut, sie waren jederzeit bereit, um in einen Lappen gebunden zu werden als Lutschbeutel für die Menschheit. Ach, wie hatten sich die armen Weiber in ihren Hütten früher mit der Haushaltung plagen müssen! Wozu brauchte der Mund jetzt noch Zähne? Zähne zum Staat hingen ja jetzt an der Schnur aufgereiht im Laden des Zahnmachers, und zu den Büchsengerichten brauchte man nichts als einen Löffel. Die Büchsengerichte waren überdies ungesalzen, sie wirkten gelinde auf die Leute, die schon Magengeschwüre davon bekommen hatten. Nun, war das nicht ein Aufschwung auf der ganzen Linie?

    Aber der Schuhmacher Nils und sein Sohn wurden brotlos. Sie, die einst die notwendigsten Menschen in Segelfoß und in der Umgegend gewesen waren, sie, die Lederschuhe nähten, die ein Jahr oder zwei hielten, und die einen Fleck aufsetzen konnten, der ein Schmuck und eine Zier für den Stiefel war, sie wurden brotlos. Jetzt kauften die Leute ihr Schuhzeug im Laden, jawohl. Und es glänzte großartig und hatte spitzige Kappen und war so lecker, daß es einem auf der Zunge hätte zergehen können.

    Als der Schuhmacher Nils es einige Jahre ausgehalten hatte und dabei immer dünner geworden war, ja, wie ein Widerschein seiner selbst, ja so leichtfüßig wie ein Konfirmand, wenn er von Haus zu Haus ging und da oder dort eine Tasse Kaffee mit einer Brotscheibe dazu ergatterte   und wenn er dann auf jedem Kehrichthaufen diese Fabrikschuhe und Fabrikstiefel liegen sah, die die Leute in ein paar kurzen Monaten vertragen und weggeworfen hatten   ja, als nun der Schuhmacher Nils dies alles einige Jahre ausgehalten hatte, schickte er kurz entschlossen seinen Sohn nach Amerika, er selbst aber ging auf der Brandstätte umher und hungerte sich von einem Tag zum andern durch. Bisweilen begegnete ihm auch eine freigebige Seele, das muß man zugeben. Er begegnete dem Vorsteher Baardsen vom Telegraphenamt und bekam ab und zu einen Groschen von ihm. Es bestand eine merkwürdige Bekanntschaft zwischen ihnen. Sie hatte damit angefangen, daß Nils eines Tages zum Telegraphenamt gekommen war, auf des Vorstehers Stiefel gedeutet und gebeten hatte, sie besohlen zu dürfen. Nein, erwiderte Baardsen, das kann ich mir nicht leisten. Aber ich habe einen Schnaps und ein, zwei Kronen, sagte er. Und seither bekam der Schuhmacher immer ein bißchen was, wenn Baardsen es entbehren konnte.

    Julius war auch verschiedentlich gut gegen Nils, das Hotel Larsen hatte manchen Bissen für den ausgemergelten armen Tropf. Gib dem Nils was zu essen, er hat einen weiten Weg hinter sich, sagte der Wirt Julius zu seiner Mutter, die der Küche vorstand. Gib ihm ein ordentliches Stück Fleisch, Mutter, sagte Julius. Und wenn du von hier aus aufs Gut gehst und zu Pauline kommst, dann sollst du vom Hotel Larsen nicht mit hungrigem Magen kommen, sagte Julius zum Schuhmacher Nils.   Es ist noch nie vorgekommen, daß ich am Hotel Larsen ohne ein großes Traktement vorbeigekommen wäre, sagte dann seinerseits der Schuhmacher Nils, und er sprach durchtrieben und unterwürfig. Der Schlauberger!

    Eine andere Küche, wo Nils gut ausgenommen wurde, war die der Frau Rechtsanwalt Rasch. Den Rechtsanwalt selbst sah Schuhmacher Nils nie, nein, der war fett und dick, saß nur auf seinem Kontor und schnappte nach Luft und leitete große Geschäfte; dagegen aber sah Schuhmacher Nils Frau Rasch, die gute Seele, sie, die zu des Herrn Leutnants Zeiten Jungfer Salvesen auf Segelfoß gewesen und dann die vornehme Frau geworden war. Ja, gegen früher war es in Wahrheit ein Emporkommen für alle Menschen! Bei Leutnants hatte Jungfer Salvesen nur im Lohn gestanden, aber merkwürdigerweise, da war sie auch zufrieden und glücklich gewesen. Aber jetzt war sie Frau Rasch, hatte Geld in Hülle und Fülle und war Mutter von zwei Kindern, was fehlte ihr da noch? Aber trotzdem war die Frau Rechtsanwalt elend und nervös und aufgeregt; sie weinte oft und war töricht, obgleich sie sich in Samt und Seide kleiden konnte. Es war ein Zustand! Hatte sie nicht die Kraft gehabt, Mutter von zwei Kindern zu werden? Oder konnte sie am Ende den Lagermeister von Herrn Holmengraas Lagerhaus nicht vergessen, mit dem sie damals, als Rechtsanwalt Rasch sich einstellte und sie bekam, verlobt war?

    Wenn der Schuhmacher Nils mit einem Reisigbesen, den er für Frau Rasch verfertigt, in die Küche schlüpfte, oder mit einem Kinderschuh, den er ein bißchen zusammengeflickt hatte, dann setzte sich Frau Rasch zu ihm und bewirtete ihn und sprach von den alten Zeiten und fragte nach seinem Sohn in Amerika. Ja, diese merkwürdige Frau Rasch war es auch gewesen, in deren Kopf der Plan zu dieser Amerikareise gewachsen war; aber Geld hatte sie leider selbst nicht entbehren können, nur ein paar Kronen, zwanzig Kronen, die sie in vielen Monaten durch allerlei kleine Kniffe in der Haushaltung zusammengestohlen hatte. Die törichte Frau weinte auch beinahe, als sie Nils diese zwanzig Kronen für den Sohn gab, diese Groschen für den Sohn, und sie wurde rot im Gesicht, weil es so wenig war. Aber sieh, hier ist noch mehr, hier ist das Geld zur ganzen Überfahrt, und es ist von Jung-Willatz, weißt du, Wilhelm Holmsen, sagte sie.

    Und Frau Rasch erzählte weiter, daß sie an Jung-Willatz geschrieben habe, der sehr weit weg sei, in der großen weiten Welt draußen, daß er da musiziere und ein berühmter Mann sei. Nun, an ihn habe sie geschrieben und habe alles bekommen, um was sie gebeten habe, ja mehr als das Geld? habe Jung-Willatz geantwortet, bitte hier! habe er geantwortet. Er mache es genau wie sein Vater seinerzeit, wenn zu dem jemand gekommen sei und ihn um etwas gebeten habe. Ach, die Holmsens auf dem Gute, das war eine Herrschaft! Und der Sohn genau so, auf den Punkt so wie die Eltern. Jetzt zum Sommer komme er nach Hause und wolle wieder längere Zeit in seinem großen Hause wohnen.

    Frau Rasch ist merkwürdig bewegt, sie spricht ganz begeistert mit dem Schuhmacher und macht sich nichts daraus, daß ihre Mägde zuhören. Aber dazwischen scheint sie plötzlich wie auf Nadeln zu sitzen; sie ermahnt Nils, das Butterbrot und das Stückchen Kuchen schnell zu essen, damit sie den Tisch abräumen könne, denn es sei unnötig, daß etwas herumliege. Dann geht sie in die Speisekammer, und als sie zurückkommt, fragt sie den Schuhmacher, ob er nicht auch den anderen Kinderschuh mitnehmen und zusammenflicken wolle. Ich habe hier ein großes Paket daraus gemacht, damit es nicht so leicht zu verlieren ist, sagt sie.

    Als der Schuhmacher Nils mit dem Paket unter dem Arm wieder vor der Tür steht, wird Frau Rasch ruhiger, und sie fragt nun noch allerlei.

    Wie geht es dir eigentlich? Denn du bist bei dieser Kälte nicht recht warm angezogen.

    Warm angezogen? erwidert Nils, und jetzt, da er satt ist, scherzt er und lacht mit seinem welken Gesicht. Ich vertrage wirklich nicht mehr Kleider auf mir, als ich anhabe. Und außerdem laufe ich so geschwind, daß ich die Kälte weit hinter mir lasse. Ha, ha, jawohl das tu' ich, sagt der Schuhmacher Nils.

    Und Frau Rasch fragt weiter: Hat dir dein Sohn noch gar nichts geschickt?

    O doch, antwortet Nils, ei freilich! In der Hauptsache allerdings nur Briefe. Denn so sehr glänzend hat er es wohl auch nicht. Aber ich bin froh, daß es ihm so ausgezeichnet geht.

    Hast du gar nichts weiter von ihm bekommen als Briefe? fragt Frau Rasch.

    O doch. Eine Photographie.

    Sonst nichts?

    Nei n. Aber er hat versprochen, mir das nächstemal etwas zu schicken. Er schreibt sehr groß und deutlich, und man kann es gut lesen. Und er unterschreibt sich Nelson.

    Wenn das der Herr Leutnant erlebt hätte! sagt Frau Rasch und ballt die Faust. Er hätte deinen Sohn dazu gebracht, so zu schreiben, daß es noch leichter zu lesen wäre!

    Darauf erwiderte Nils kein Wort; aber als er sich bedankt und zum Gehen wendet, sagt Frau Rasch, sie werde Jung-Willatz dazu bringen, an diesen Sohn in Amerika, diesen Nelson, zu schreiben. Da antwortet der Schuhmacher, dessen Seele dem amerikanischen Sohn gegenüber, dem es so ausgezeichnet geht, stockblind ist:

    Ja, aber   nein, er hat es vielleicht auch nicht so ganz leicht. Aber Gott behüte, auf der Photographie sehe ich ja, daß er sich ordentlich schindet und das hat, was er braucht, Kleider und Uhr usw. Er sagt, er habe im Sinn, einen Besuch in der Heimat zu machen, und was mich betrifft, so werde ich schon durchkommen bis dahin. Ja, und nun bedanke ich mich schön, Frau Rasch.

    Komm bald wieder! sagt Frau Rasch.

    Als der Schuhmacher gegangen ist, spricht sich Frau Rasch gegen ihre Mägde aus: Sie wolle diesen amerikanischen Herrn, diesen Nelson, Mores lehren! Ist es nicht zum Davonlaufen! Eine Photographie! Davon werde ein magerer Vater schön fett werden! Aber warte, bis Jung-Willatz heimkommt!

    Und jetzt erinnert sie sich plötzlich daran, daß sie durchaus nach Segelfoß, dem Herrenhof, muß. Sie will es auch gleich tun, von Tag zu Tag ist es hinausgeschoben worden, aber jetzt will sie keinen Augenblick mehr warten.   Hol mir meinen Mantel, Florina! Und vergeßt nicht, Mädchen, daß eine von euch, während ich fort bin, in den Laden gehen und Kaffee holen muß!

    Ach, die gute Frau Rasch, sie hatte Jung-Willatz versprochen, ab und zu in seinem Hause Umschau zu halten, und das wollte sie jetzt tun. Auf dem Herrenhof war Pauline als Wirtschafterin; sie war ein tüchtiges Mädchen und hatte ihrerseits mehrere Mägde unter sich. Und dann war auch der Knecht Martin für die Landwirtschaft da, der den Halblappen Petter und die anderen Knechte kommandierte.

    Frau Rasch hatte immer alles sauber und wohlbestellt im Hause gefunden, aber im Herbst und im Frühjahr wollte sie doch wirklich das Silberzeug sehen. Ja, das wollte sie. Es war ihre Pflicht, da sie es versprochen hatte, und dann war es ja Silberzeug, das zu sehen der Mühe wert war! Ach Gott, die Platten, die Schüsseln mit echt vergoldeten Henkeln, die Kuchenschalen, die Auftragbretter, die Kannen, die Messer mit den Widderköpfen am Heft, das Waschgeschirr aus Silber für die Zimmer des gnädigen Herrn und der gnädigen Frau. Und überall nicht ein Raum ohne überwältigende Pracht und Ölgemälde und Marmorfiguren und vergoldete Kronleuchter und Schmuckkästen.

    Frau Rasch genießt in vollen Zügen, sie hat sich aus ihrer Hausjungferzeit eine unerschütterliche Ehrfurcht für alles auf dem Gute bewahrt, nichts war so wie hier, sogar bis zum Geländer der beiden Herrschaftstreppen   Ja, ich weiß nicht, aus was es gemacht ist, sagte sie, aber es glänzt wie Gold. Und als sie einmal in einer Zeitung von einem goldenen Speiseservice bei irgendeinem Fürsten las, sagte sie zu ihren Mägden in der Küche: Auf dem Gut hatten wir ein Tafelgeschirr, das niemals gebraucht wurde.   Aus Gold? fragten die Mägde.   Aus Gold will ich nicht sagen, erwiderte Frau Rasch, aber jedenfalls war es aus Silber. Wir gebrauchten es nie, denn es war zu kostbar. Es wurde nie herausgenommen, sondern blieb immer eingepackt. Denkt euch, Teller für vierundzwanzig Personen!   Teller aus Silber? riefen die Mägde. Und Frau Rasch antwortete: Ja, entweder waren sie von Silber oder von Gold, ich weiß es nicht; aber ich meine mich deutlich zu erinnern, daß ich einmal vierundzwanzig Teller gesehen habe!

    Na ja, Frau Rasch übertrieb wohl und log und war in guter Laune. Deshalb war sie auch ganz aufgeräumt, als sie nach Segelfoß kam, und als sie Pauline sah, rief sie ihr zu: Hier kommt der Inspektor und will nachsehen!

    Und Pauline erwidert: Das ist gerade recht, denn Martin hat jetzt Nachricht erhalten.

    Kommt er?

    Ja, er kommt bald. Und nun müssen Sie uns sagen, was wir tun sollen.

    Das war gar nicht so leicht zu sagen, es mußte gründlich überlegt werden. Jung-Willatz hatte außer dem Herrenhof auch noch die beiden Zimmer im Ziegelwerk, in denen sein Vater gelandet war. Wo würde nun der Sohn wohnen wollen? Beide Wohnungen waren mit allen Möbeln darin ganz unberührt.

    Schreibt er nicht, wo er am liebsten wohnen möchte? Nun, Pauline, du mußt hier alles in Ordnung machen! Meinst du, ein Mann wie er könne wo anders wohnen als im Herrenhaus? Richte die Zimmer seines Vaters, des Herrn Leutnants, die ganze Nordseite, weißt du. Komm, wir wollen alles ansehen!

    Die beiden zogen miteinander los. In jedem Zimmer schlugen Frau Rasch Erinnerungen entgegen; sie ging umher und gab Befehle wie in den alten Zeiten, zog Pauline mit sich, deutete dahin und dorthin und rückte die Stühle zurecht. Dann gingen sie in die Zimmer der gnädigen Frau; auch hier mußte geputzt und abgestaubt, mußten Kissen geklopft und die Vorhänge gewaschen werden. Darauf machten sie sich an das Silber.   Ah! sagte Frau Rasch und setzte sich auf den nächsten Stuhl, und die beiden Frauen waren ganz hingenommen. Tiefer und tiefer drangen sie in die Silbergrube ein, hoben die Gegenstände heraus, legten sie wieder nieder und saßen mit großen Silberschüsseln im Schoß da. Nun diese kleine Kommode, die aussah wie ein ärmliches Ding, obgleich sie auf vergoldeten Löwenfüßen stand.   Diese tiefen Schubladen hatten die beiden noch nie ordentlich durchgesehen   her mit dem Schlüssel! Jawohl, wieder in Watte gepacktes Silber, aber von alter, seltsamer Form, durchbrochene Sachen, Tafelgeschirr. Pauline hob Schachtel um Schachtel, Paket um Paket heraus, ganz unten stand ein Kasten. Nimm den auch heraus, Pauline! Gib den ganzen Kasten, Pauline!

    Der Kasten war sehr schwer, und als er geöffnet war, enthüllte er zwei Dutzend silberne Teller.

    Da sprang Frau Rasch von ihrem Sitz auf. Was sie selbst fast für einen Traum gehalten hatte, ja für eine Art Lüge ihrerseits, das war Wirklichkeit! Hab ich es nicht gesagt? rief sie. Ich wußte ja, daß es da war und hatte es mit meinen eigenen Augen gesehen; aber ich war nicht ganz gewiß, ob es der Herr Leutnant nicht am Ende verkauft hatte   ob er es nicht in der letzten Zeit, ehe er starb, zu Geld gemacht hatte. Aber ich hätte es besser wissen sollen, ein Mann wie er! Zwei Dutzend, wenn ich mich nicht täusche, zähl sie, Pauline! Natürlich sind hier silberne Teller für vierundzwanzig Personen. Nun, stehen wir in einem Herrenhaus oder stehen wir nicht in einem Herrenhaus? Ach, du lieber Gott!

    Sie war in große Erregung geraten, es reute sie, daß sie nicht ihre beiden Kinder mitgenommen hatte, da hätten sie einmal ein Märchen sehen können. Wer weiß, vielleicht hätte es auf ihr ganzes Leben eingewirkt   vielleicht auf meine lieben Kinder fürs ganze Leben! Aber ich werde es ihnen heute abend beim Schlafengehen erzählen; du weißt, Pauline, was für schöne Augen sie haben, beide gleich schöne und große Augen, Gott segne sie! Ich hätte nur noch mehr Kinder haben sollen! Aber jetzt werde ich wohl bald zu alt, dann bekomme ich keine mehr, und wenn die beiden groß sind, dann ist kein einziges Nesthäkchen mehr im Hause. Daran denke ich mehr als einmal. Pauline, vergiß nur nicht, alles wieder hübsch abzuwischen und in seine Watte zu wickeln, dann lege es wieder in die Schubladen und lasse es schlafen. Schlafen, schlafen, hier liegt ein Reichtum und schläft! Ja, gewiß, kleine Pauline, heute haben wir beide etwas gesehen. Ich will dir einmal sagen, wie eine Tafel mit Silber gedeckt werden muß, wo außer den venetianischen Gläsern jedes kleinste bißchen aus Silber besteht. Und dann gibt es nicht nur Butterbrot oder gekochtes Ziegenfleisch, sondern allein drei Gänge von allen Sorten Fisch, außer fünf bis zehn Gängen mit mehrfachen Fleischarten, und Obst und Käse, und dann zuletzt Kaffee mit Likör aus den Krügen im Keller. Ich werde dir einmal erzählen, wie es ist, wenn die Großen Feste feiern. Da haben wir gestärkte Latzschürzen an und weiße Florhäubchen auf dem Kopf, damit kein Haar ins Essen fällt. Und die Damen haben bis hier ausgeschnittene Kleider und goldene Ketten um den Hals, und alle Herren sind im Frack, wenn auch mitten am Tag gespeist wird. So ist es Sitte. Dann erhebt sich der Herr Leutnant und hält eine Rede an alle   als die kleine Margarete Coldevin getauft wurde, fand die Taufe hier statt, und da hielt der Herr Leutnant auf sie eine Rede, die das Schönste gewesen sein soll, was je eine menschliche Zunge ausgesprochen hat. Aber damals war ich nicht dabei, es war vor meiner Zeit gewesen, Konsul Frederik hat es mir später selbst erzählt. Und Konsul Frederik, Pauline! Er erzählte Geschichten, über die ich mich bis an mein Ende halbtot lache, und er nahm mich bei der Hand, wenn er mit jemand ein bißchen schön tun und bezaubernd sein wollte. Seinesgleichen gab es nicht. Niemand brachte so komische Sachen über die Lippen wie er. Ich warte auf Sie, sagte er zu mir; aber er tat nur so, denn er war schon lange verheiratet. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, dann weiß Gott, was zwischen uns hätte werden können, denn er konnte uns alle herumschwatzen. Doch hier sitze ich und plaudere, nein, komm jetzt, Kind, und laß uns gehen! Ich vergesse meine Kinder daheim und das Vesperbrot.

    Als Frau Rasch unter der Tür stand, um zu gehen, hatte sie doch noch nicht ihren letzten Befehl gegeben; sie ging nochmals ganz in die Küche hinein und sagte zu Pauline:

    Ich bin entsetzt, daß wir nicht früher daran gedacht haben. Laß auch die Zimmer im Ziegelwerk in Ordnung bringen. Laß die Vorhänge waschen und die Teppiche klopfen und überall abstauben. Man kann nicht wissen, ob so ein Herr wie er nicht vielleicht an zwei Orten wohnen will.

    Dann wanderte Frau Rasch wieder heim zu ihren Lieben. Und sofort durften die Mägde an dem großen Erlebnis im Herrenhause teilnehmen, an diesen Silbersachen, die zu einer reinen Diamantengrube, zu ungezählten Mengen, zum Paradies wurden.

    Wir haben auch das Goldgeschirr abgewischt, sagte sie wie beiläufig, vierundzwanzig Teller.   Waren sie von Gold? fragten die Mägde und schlugen die Hände zusammen.   Das hab ich nicht so genau gesehen, antwortete Frau

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