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Im Goldland Kalifornien: Roman
Im Goldland Kalifornien: Roman
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eBook331 Seiten4 Stunden

Im Goldland Kalifornien: Roman

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Über dieses E-Book

Eine Gruppe polnischer Flüchtlinge fährt zusammen mit Hunderten Auswanderern auf einem Segelschiff nach Amerika. Ein Verwandter von ihnen, König Semen genannt, hat als Goldsucher sein Glück gemacht und ihnen die Überfahrt bezahlt. Statt aber bei ihm ihr neues Leben in Sicherheit aufbauen zu können, kommt alles ganz anders. Denn eine gefährliche Verbrecherbande, die Hounds, treibt ihr Unwesen.

Coverbild: M.Svetlana / Shutterstock.com

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum25. Apr. 2019
ISBN9783730915479
Im Goldland Kalifornien: Roman

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    Buchvorschau

    Im Goldland Kalifornien - Sophie Wörishöffer

    ZUM BUCH

    Eine Gruppe polnischer Flüchtlinge fährt zusammen mit Hunderten Auswanderern auf einem Segelschiff nach Amerika. Ein Verwandter von ihnen, König Semen genannt, hat als Goldsucher sein Glück gemacht und ihnen die Überfahrt bezahlt. Statt aber bei ihm ihr neues Leben in Sicherheit aufbauen zu können, kommt alles ganz anders. Denn eine gefährliche Verbrecherbande, die Hounds, treibt ihr Unwesen.

    Coverbild: M.Svetlana / Shutterstock.com

    EINS

    Der große Viermaster glitt bei günstigem Winde fast lautlos über die Wellen dahin. Weit dehnte sich der Atlantische Ozean. Wochen schon war das Schiff unterwegs, um Hunderte von Auswanderern aus allen Ländern des überfüllten Europas in die Neue Welt zu bringen, nach Amerika, dem letzten Ziel von Unzähligen, die daheim gestrandet waren oder keine Arbeit gefunden hatten oder durch die unseligen politischen Verhältnisse aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

    In einer Ecke lagerte eine Gruppe von polnischen Flüchtlingen. Es waren Bauern, die wie ihre Eltern und Voreltern jahrzehntelang unter der Knute ihrer Gutsherren gestöhnt und geblutet hatten, nun die Knechtschaft von sich geworfen und in einer letzten verzweifelten Anstrengung den Mut gefunden hatten, die alte Heimat mitsamt ihren Angehörigen zu verlassen und mit den letzten Habseligkeiten über die Grenze gingen.

    Schon Jahre vorher hatte einer ihrer Verwandten, den sie König Semen nannten, Polen verlassen und in Amerika sein Glück gemacht. Ursprünglich wohlhabend, da sein Vater eine Heilquelle entdeckte, die viel Geld einbrachte, war er durch die Machenschaften des Gutsherrn, auf dessen Boden die Heilquellen lagen, um sein Erbe gebracht worden. Dank seiner Energie und seiner hohen Bildung hatte er es in Kalifornien sehr bald zu Geld und Gut gebracht, hauptsächlich infolge riesiger Goldfunde. Nun ließ er seine Verwandten nachkommen, denen er auch die Überfahrt bezahlt hatte.

    Sein Bruder Kinski brachte Frau und Kinder mit. Arsa war ein gut gewachsener Junge von sechzehn Jahren. Ossip und Jegor waren Söhne anderer polnischer Bauernfamilien, die sich angeschlossen hatten. Ein Franzose namens Dubois und ein Deutscher, der sich Felsing nannte, hatten sich den jungen Leuten zugesellt, die nun fast den ganzen Tag zusammen auf dem Deck verbrachten.

    Einer nach dem anderen erzählte seine Vergangenheit und die Gründe, die ihn dazu gebracht, seiner Heimat den Rücken zu kehren. Jeder versuchte auf seine Weise, die eintönigen Wochen der langen Reise zu verkürzen.

    Felsing konnte miauen wie eine Katze, er verstand die Bauchrednerkunst und besaß als Taschenspieler eine erstaunliche Gewandtheit; er war fast der Einzige, welcher von der Seekrankheit verschont blieb und in allen Misshelligkeiten des Zwischendecklebens die gute Laune niemals verlor.

    Selbst Monsieur Dubois, der kleine Franzose mit der Ledertasche und dem kummervollen Gesicht, musste lächeln, wenn Felsing deklamierte oder irgendwelche Gaukeleien trieb.

    „Weshalb sind Sie so verstimmt?, fragte Arsa eines Tages den Franzosen. „Haben Sie Heimweh?

    „Ja, sehr."

    „War denn das schöne Landgut Ihr Eigentum?"

    „Nein, Monsieur, das meiner Eltern. Zehn Generationen der Dubois haben auf Montferrant glücklich gelebt – uns traf das Schicksal, es verlieren zu müssen. So bin ich gezwungen, in Amerika mein Glück zu versuchen."

    Die jungen Leute schwiegen. Arsa dachte an den Wohlstand seiner Großeltern in Polen, und wie sein Vater widerrechtlich herausgeben musste, was ihm gehörte.

    Er war blass geworden, und jetzt stand er auf, um in dem Mittelgange hin und her zu wandern. „Wie heiß es ist", seufzte er.

    Felsing wandte sich Arsa zu. „Ich bin Paul Wendt, der, den vor der Abfahrt die Polizei suchte, sagte er halblaut. „Wussten Sie das schon?

    „Ich glaubte es wenigstens, Herr –"

    „Nennen Sie mich in Zukunft Paul. Den Namen kann jeder führen; er verrät nichts."

    „Meine Eltern sind tot, setzte er dann hinzu. „Ich bin ein geborener Hamburger und hatte schon ein eigenes kaufmännisches Geschäft, aber das Unglück verfolgte mich beharrlich; trotz sorgfältigster Berechnung und genauester Sorgfalt verlor ich mein Vermögen. Dann nahm ich Stellung in einem Bankhaus, aber die untergeordneten Arbeiten, welche man von mir verlangte, ermüdeten mich, und so beschloss ich, mein Glück an der Börse zu probieren. Was andere konnten, das musste doch auch mir gelingen. Eine Zeit lang arbeitete ich gut, ich sah den Erfolg und bekam neuen Mut; nachdem mir häufig der einzelne Taler gefehlt hatte, klangen wieder Tausende in meinen Taschen und – ich erkannte, dass die Börse das Feld meiner Tätigkeit sei, dass ich es hier zu etwas Großem bringen würde. Weshalb sollte ich nicht ein zweiter Salomon Heine oder Rothschild werden? Das Zeug dazu fühlte ich in mir und fühle es auch heute noch. Aber man kann natürlich nicht mit allen Zufälligkeiten rechnen, man … – Lassen wir das, unterbrach er sich. „An der Richtigkeit meiner Berechnungen fehlte gar nichts, nur das Glück verließ mich und zwar gerade zu einer Zeit, in der ich den Erfolg am notwendigsten brauchte. Damals war mein jüngerer Bruder gerade mündig geworden, er hatte das väterliche Erbteil ausbezahlt erhalten und gab mir, da ich einen Kassenschrank besaß, die Papiere einstweilen in Verwahrung. Als junger Ökonom wollte er sich eine Zeit lang in der Welt umsehen und dann ein Landgut kaufen, um es selbst zu bewirtschaften. Ich –"

    „Oh, Paul, Paul!"

    „Sie erraten, was folgen wird, Arsa? Ja, ich habe zweihunderttausend Taler im Börsenspiel verloren, das ist leider wahr, aber gegen den Verdacht einer unredlichen oder auch nur unehrenhaften Gesinnung muss ich protestieren. Es war meine bestimmte Absicht, die Summe zu verdoppeln, zu verdreifachen und den ganzen Gewinn dem armen Hermann in den Schoß zu schütten. Nur die widrigen Zwischenfälle haben das verhindert."

    „Sie hätten fragen, Ihrem Bruder vorher den Plan auseinandersetzen und seine Genehmigung einholen sollen, Paul."

    Felsing schüttelte den Kopf. „Ach, das war unmöglich, rief er. „Hermann ist eine so besonnene, ruhige Natur, er würde seine Einwilligung nie erteilt haben. Immer Schritt für Schritt weitergehen, nichts riskieren und vor allen Dingen keine Prozente machen, das ist so seine Weise.

    „Dann passt er ganz zu meinem Vater, Paul."

    Felsing zog die Stirn in Falten. „Ihr Vater ist ein prächtiger Mann, Arsa, ich habe ihn sehr gern, aber ein wenig mehr hätte er wohl mit der Welt fortschreiten können. Ich glaube, einen Fall wie den meinigen, würde er als ein Verbrechen bezeichnen."

    Das dachte Arsa auch, aber er behielt seine Ansicht doch aus Schonung für sich und vertraute lieber dem jungen Hamburger, dass ‚König Semen‘ sein naher Verwandter sei und dass er alle verfügbaren Mittel aufbieten werde, um diesen vielbegehrten Mann den Wünschen Felsings geneigt zu machen.

    „Aber behalten Sie die Sache für sich, Paul, setzte er hinzu. „Mein Vater will nicht, dass davon gesprochen wird.

    Felsing warf den Kopf zurück. „Ach, Ihr Vater! Er denkt, dass man mit Ehrenhaftigkeit durch die Welt kommt! Aber das ist ja eine ganz kostbare Entdeckung, setzte er dann im veränderten, äußerst vergnügten Tone hinzu. „Ich werde mit meinen kaufmännischen Kenntnissen Ihrem geschätzten Herrn Onkel zu Hilfe kommen – natürlich betrügt man den braven Mann auf das Unverantwortlichste; aber dem wollen wir abhelfen. Wenn er jetzt zehn Millionen besitzt, so wird er unter meinem Beistand bald zwanzig, fünfzig, ja hundert sein eigen nennen. Sie sollen nur sehen, wir alle verlassen als steinreiche Leute das wilde Gebiet von Kalifornien – denn ich darf mich doch überzeugt halten, dass auch Sie so bald als möglich in den Schoß der Zivilisation zurückkehren werden?

    Arsa lachte. „Noch sind wir nicht einmal in dem Goldlande angelangt, Paul, und Sie sprechen schon von der Abreise."

    „Schweinsfische voraus!, ertönte in diesem Augenblick die Stimme eines Matrosen. „Hallo, Schweinsfische.

    Felsing lachte laut auf. „Zukunftsbetrachtungen und Schweinsfische!, rief er. „Aber kommen Sie, Arsa – alle Welt läuft, um das Wunder anzustaunen, also müssen wir doch notwendig mit.

    Das Schiff hatte jetzt eine Reise von hundertfünfundsechzig Tagen zurückgelegt, die Küsten des Goldlandes mussten also nun bald aus den weißen Schleiern der verhüllten Ferne auftauchen, in jedem Augenblick konnte das ungeduldig ersehnte: „Land! Land!" über Deck schallen. Einige der Verwegensten suchten in die Masten zu klettern, andere hoben sich wenigstens auf die Fußspitzen und schirmten die Augen mit der Hand, um ja nichts zu übersehen.

    „Hundertsiebzig Tage, wenn alles gut geht", hatte einmal der Kapitän gesagt – diese Frist war ja beinahe abgelaufen.

    „Ob wohl schon gleich am Strande die Goldklumpen liegen?, fragte ein begehrliches Bäuerlein. „Das wäre wunderschön.

    „Ja – und ob man nur so zugreifen darf? Du tausend Taler, ich tausend – gerade, als ob man daheim eine Brombeere vom Strauch pflückt. Ich sage euch, Kinder, das gibt eine böse Enttäuschung. Die Polizei wird schon einen Erlaubnisschein vom König verlangen und schwere Steuern dazu."

    Rings um den Alten entstand ein lautes Gelächter. „Kalifornien hat ja gar keinen König!, rief jemand. „Und keine Polizei und keine Steuern – Hurra! Man tut alles, was man will.

    „So?, versetzte ärgerlich der Alte. „So? Und wenn es mir nun einfiele, dich auf der Straße zu erschießen, du Grünschnabel, was dann?

    „Dann wäre ich tot, Vater Graubart."

    Der Alte kehrte ihm den Rücken. Mit diesen vorwitzigen Burschen war gar kein Auskommen mehr; sie wussten alles besser. „Ein Land ohne König – solcher Unsinn!"

    Sooft eine Wolke den Rand des Horizontes umsäumte, sooft nur ein Nebelstreif erschien, entstand schon unter den Auswanderern eine lebhafte Bewegung.

    War das endlich das Land?

    Als die fernen Gebirgskuppen wie Schattenstreifen zuerst aus dem Meere auftauchten, da fühlten sich alle enttäuscht. Das war die Küste?

    „Was hattet ihr Kubikschädel denn zu sehen erwartet?, fragte zum größten Ergötzen seiner Genossen der Matrose am Ausguck. „Etwa gebratene Tauben, die euch entgegenfliegen sollten?

    „Auf gebratene Tauben hoffen sie alle", sagte ein anderer.

    „Bis sie Steine bekommen, anstatt des Brotes; ja." Die Worte verhallten in der allgemein entstehenden Unruhe. Um nichts zu versäumen, schnallte der kleine Franzose schon jetzt seine Ledertasche an den Gürtel; sämtliche Auswanderer verlangten dringend, dass die Luken geöffnet würden und dass man ihnen ihr Gepäck herausgeben möge.

    „Wir wollen gleich heute Gold suchen", hieß es.

    „Alle Wetter! Und dazu braucht ihr die Packkisten, nicht wahr? Man muss ja doch die kalbsgroßen Blöcke irgendwo unterbringen."

    „Natürlich! Natürlich!"

    Die Matrosen lachten wieder. „Vor Mittag sind wir nicht da, sagte einer. „Und nun lasst uns in Ruhe, ihr Tollhäusler.

    Wie in einem Ameisenhaufen, so wogte es am Deck auf und ab. Häuser und Kirchtürme glaubte der eine zu sehen, Wälder und Berge der andere. „Es ist doch gewiss Kalifornien?, fragte zitternd am ganzen Körper eine alte Frau. „Das Schiff könnte ja wohl auch einmal den Weg verfehlt haben.

    Neues, donnerndes Gelächter.

    Nahe und näher kam der weite, einem Meerbusen gleichende Hafen von San Franzisko; Mastspitzen tauchten auf, endlich das bunte, farbenreiche Gewühl am Strande und auf den Fluten der Bai.

    Die ‚Flora‘ hatte das Ziel ihrer langen Fahrt erreicht – es war das neuentdeckte, irdische Paradies, welches jetzt offen vor den Blicken der Passagiere dalag, das Goldland

    Auf Deck herrschte minutenlanges Schweigen. Seltsam wild und unordentlich sah das Ufer aus.

    „Gar kein Hafendamm!, sagte jemand. „Keine Kräne!

    „Und die Häuser sind – Hütten. Hölzerne Hütten."

    „Merkwürdig, man sieht kein Fuhrwerk irgendeiner Art."

    „Du, ich glaube, es gibt nicht einmal eine wirkliche Straße."

    „Wenigstens wächst überall Gras. Das ist ein sonderbares Land, nicht viel besser als eine Wildnis."

    Die ‚Flora‘ hatte jetzt Anker geworfen, und mehrere Matrosen brachten die Boote ins Wasser, um nacheinander alle diese vor Ungeduld bebenden, trampelnden und fiebernden Menschen an Land zu schaffen. Jeder wollte der Erste sein, jeder bat und flehte, zunächst ihn mitzunehmen. Es herrschte ein Durcheinander, bei dem niemand seine eigenen Worte verstand.

    „Wenn es nur Wagen und Pferde gäbe! Wenigstens irgendein Transportmittel, aber da ist nichts zu entdecken."

    „Ihr seid an der Reihe, Leute."

    Die vier Boote der Flora brachten die Menschen an das Land, und nun fing der gute Rat an, teuer zu werden. Die Umgebung sah aus wie ein Jahrmarkt, hier und dort standen Zelte, man kochte unter freiem Himmel, man schusterte, zimmerte und tischlerte an allen Ecken und Enden. Hier fällten Leute einen schönen alten Baum, dort zersägten zwei Männer einen Baumstamm oder verarbeiteten schon gewonnene Bretter zu Karren. Keiner nahm Notiz von dem, was sein Nachbar trieb; die Leute sahen fast alle aus, als trügen sie schwere Sorgen.

    Davidoff sah zurück zum Meer. „Ich bitte euch, Kinder, es kommen schon wieder zwei Schiffe."

    „Man muss einen Anfang machen, sagte energisch der ältere Kinski. „Hier stehen bleiben können wir nicht.

    Er wandte sich dann an einen der arbeitenden Männer, von dessen Lippen er deutsche Worte gehört hatte. „Mit Verlaub, guter Freund!"

    Der andere sah auf. „Was gibt es denn?", brummte er.

    „Darf man Euch einige Fragen stellen?"

    „Nach einem billigen Hotel, nicht wahr? Nach Fuhrgelegenheit und einer Bierquelle?"

    Die Leute ringsumher lachten. „Man muss den Mut nicht sinken lassen", sagte einer.

    „Gibt es hier denn wirklich keine Unterkunft? Muss man die Nacht auf der Straße verbringen?"

    „Sicherlich. Aber die Luft ist ja warm, Alter, und außerdem fragt auch kein Konstabler oder Nachtwächter nach dem Woher und Wohin."

    „Das ist die Hauptsache!", rief Felsing.

    „Nicht wahr, Landsmann? Diese Dokumente und Aktenstücke der lieben Heimat – brr, das ist ärger, als ein wenig tolles Spiel hier in der Welt, die sich erst aufbaut."

    „Sicher! Aber wie weit ist’s denn bis zu den Minen?"

    „So an die fünfzehn Meilen. Morgen früh haben wir unsere Karren fertig, und die Reise dahin beginnt."

    „Zu Fuß?", fragte Kinski.

    „Ja, Pferde oder Esel sind hier nicht zu haben."

    Sie sahen einander an. „Was nun?", fragte Arsa.

    „Wir müssen natürlich auch Karren zimmern und uns selbst davor spannen", rief Felsing.

    „Sagt einmal, Freund, wandte er sich dann wieder an den Deutschen, „ist es denn erlaubt, den nächsten besten Baum zu fällen?

    „Gewiss. Wer sollte es auch verbieten?"

    „Es gibt hier also keine Polizei?"

    „Die Regierung in Washington hat einen Richter hierher geschickt, aber der gute Mann ist durchaus nicht bösartig, er sitzt am liebsten hinter seinem grünen Tisch und spielt Karten."

    „Nehmt nur einen guten Baum, ehe euch andere zuvorkommen, riet jemand. „Das Holz ist hier spärlich genug.

    „Aber wir haben kein Arbeitsgerät!, rief Kinski. „Wahrhaftig, es ist mir nicht eingefallen, dass man so wertlose Dinge mit über das Weltmeer schleppen müsste.

    Der Deutsche zeigte auf einen wahren Berg von Kisten, Tonnen, Säcken und Körben, die, wie eine Art Wildnis für sich, in der Nähe aufgestapelt lagen. „Da finden Sie vielleicht noch einige Stücke", sagte er.

    „Sind die Sachen Ihr Eigentum, guter Mann?"

    „Die sind niemandes Eigentum. Nehmen Sie nur ganz getrost, was Ihnen aus dem Wirrsal etwa ansteht."

    Kinski schüttelte den Kopf. „Berührt nichts, Kinder. Erst müssen wir erfahren, wie die Sache zusammenhängt."

    Der Deutsche lachte. „Na, sagte er, „solch ein unternehmungslustiger Yankee hört, dass sich hier am Platz bedeutende Menschenmassen sammeln, und nun denkt er ein gutes Geschäft zu machen; die Leute sollen ihm jede Ware doppelt und dreifach bezahlen. Aber dann kommt der Rückschlag; es findet sich kein Gespann, um die Sachen in die Minenstädte zu schaffen, hier am Ort sind keine Käufer, und der Besitzer lässt alles im Stich, weil er selbst Gold suchen und sich so schnell als nur möglich von hier in die Berge begeben will.

    „Und die Waren werden dann einfach als gute Beute erklärt?"

    „Ja. Den größten Teil Ihres Gepäckes müssen auch Sie auf dieselbe Weise einbüßen, werter Herr Landsmann."

    „Hier wollen wir unser Zelt aufschlagen. Sammelt Steine zum Feuerherd, ihr Kleinen", rief Kinski.

    Die Kinder machten sich sofort daran, den erhaltenen Auftrag auszuführen; die Frauen suchten Decken und sonstiges Material hervor, um Zeltwände zu erhalten, während die Männer starke Äste von den Bäumen schnitten und Zeltstangen anfertigten.

    Jetzt entwickelte sich eine lebhafte, anregende Tätigkeit. Die vier jungen Leute fällten einen Baum. Boris und Iwan bauten den Herd, der Franzose trug in allerlei Blechschüsseln Wasser herbei, Davidoff sammelte seinen zersplitterten Zucker, und Alexei und Nikola suchten aus dem Trümmergewirre die wenigen noch leidlich erhaltenen Esswaren hervor.

    Eidechsen und große Käfer, Schlangen und Würmer, besonders aber Legionen von schwarzen Ameisen hatten alles in Besitz genommen. Die Zuckerhüte waren buchstäblich bedeckt von diesen widerwärtigen Tieren, durch den Kaffee schlüpften Käfer mit langen Beinen, der Speck war überall angenagt und zerfressen.

    „Dass man hier auch gar nichts kaufen kann, seufzte Frau Kinski. „Kein Brot, keinen Tropfen Milch für die Kinder.

    „Wollen wir es einmal im nächsten Hause versuchen?, fragte eine andere. „Aber dann müsste uns Herr Felsing begleiten.

    Dazu war der junge Hamburger sogleich bereit. Die Axt hatte ihm schon Schwielen gedrückt, er fand es angenehmer, eine Sache zu organisieren, als selbst Hand an das Werk zu legen. „Suchen wir den Milchhändler, meine Damen, sagte er, ein blechernes Kochgefäß in der Hand. „Irgendwo wird ja doch dergleichen aufzutreiben sein.

    Und dann las er die Überschrift der nächsten hölzernen Tür. „Wein- und Brandy-Salon."

    „Das wäre also nichts, fürchte ich."

    Die zweite Holzhütte erwies sich als Bankhaus, dessen Schwelle mehrere große Doggen und ein wüst aussehender Kerl mit zwei Pistolen im Gürtel bewachten; dann kam wieder ein Gin-Palast und endlich ein Laden, in dem man ein steinhartes, verschimmeltes Brot kaufen konnte.

    „Besser etwas, als nichts, meine Damen. Darf ich fragen, was dieses Genussmittel kostet?"

    „Zwanzig Dollar, mein Herr."

    „Wie?"

    „Zwanzig Dollar."

    Frau Kinski verlor vor Schreck die Sprache. Das war der Preis für hundert Brote, aber doch nicht für ein einziges.

    Der Verkäufer lächelte spöttisch. „Die Herrschaften hätten in Europa bleiben müssen", meinte er.

    Wüste Vorgänge unterbrachen gelegentlich die Stille. Man warf einen ausgeplünderten Gast zur Tür hinaus, Pistolenschüsse klangen durch die Nacht, wilde Verwünschungen und Hilferufe.

    „Betrüger seid ihr, Spitzbuben, Halunken!"

    „Wo ist der Richter? Ich will mein Recht, mein gutes Recht Ihr habt mich, während ich schlief, bestohlen."

    Der das mehr kreischte als rief, war ein Goldgräber im roten Wollhemd, den breitrandigen Strohhut auf dem Kopf, die Pistole im Gürtel und das lange Bowie-Messer im Stiefel. „Wo ist der Richter?", schrie er.

    „Wir wollen ihn holen", riefen einige junge Burschen.

    „Das ist recht, Kinder. Ich bin bestohlen worden, schändlich bestohlen – alle meine Taschen waren voller Goldkörner."

    Davidoff konnte ein heimliches Ächzen nicht unterdrücken. „Alle Taschen voll!, murmelte er. „Alle Taschen voll!

    „Wer schläft denn aber auch mit solchen Schätzen an einem fremden Orte ganz unbekümmert ein?"

    Der Dieb, ein Spanier namens Manoel, wurde vor den Richter geschleppt.

    Dieser warf sich in die Brust, räusperte mehrere Male sehr vernehmlich und setzte einen Fuß vor den anderen. Als solchergestalt die Amtswürde tunlichst zur Geltung gebracht worden war, sprach er das Urteil.

    „Gefängnisse haben wir hier nicht; allerlei Volk, gutes und schlimmes, läuft zusammen, Verbrechen jeder Art werden täglich begangen, die öffentliche Sicherheit ist vollständig dahin – man muss also ein abschreckendes Beispiel aufstellen. Nehmt diesen Manoel und hängt ihn, lyncht ihn in aller Form, Kinder. Wenn sich dann später ähnliche Fälle wieder ereignen sollten, so wisst ihr, was ihr zu tun habt. Und was mich betrifft, setzte er dann hinzu, „so will ich fernerhin nicht mehr aus dem Schlaf geweckt werden. Wer bei mir eindringt, bekommt eine Kugel zwischen die Rippen. Verstanden?

    „Jawohl, Euer Ehren."

    „Das ist gut. Und nun die Bezahlung, denke ich." Er streckte die Hand aus, und Jim füllte diesen natürlichen Behälter mit Goldkörnern.

    „Reicht das hin, Euer Ehren?"

    „Ich danke. Gute Nacht, meine Jungen."

    Ein brausendes Hurra folgte ihm nach. Diese Art Rechtspflege fand in den Herzen der Abenteurer einen lebendigen Widerhall, sie packten den an allen Gliedern zitternden Spanier und schleppten ihn gewaltsam in das Haus. „An seinem eigenen Pfosten soll er baumeln, der Schurke!"

    „Gnade!, wimmerte Manoel. „Gnade! Ich will ja gestehen – ich besitze Gold –, ihr könnt es bekommen, aber lasst mich doch leben, Kinder. Was kann euch denn mein Tod nützen? Nehmt doch lieber das Geld!

    „Das nehmen wir außerdem. Du hast uns alle ausgeplündert und betrogen, wo es dir möglich war, dafür sollst du jetzt büßen."

    „Wir wollen dich zappeln sehen! Schade, dass der Anblick nur so kurze Zeit dauert, dass wir dich nicht mehrere Male lynchen können."

    Ein rohes Gelächter folgte diesen Worten. Mit vereinten Kräften schleppten die Goldgräber den zeternden Manoel in das Blockhaus und knüpften ihn, während er immerfort schrie, mit seinem eigenen Lederriemen an den nächsten Balken, dann nahmen sie ihre Plätze wieder ein und setzten das unterbrochene Kartenspiel weiter fort.

    Sie hatten den ganzen Vorgang mit angesehen.

    Felsing, der einzige, welcher Englisch sprach, hatte den anderen das Gehörte übersetzt. „Eine verwegene Bande, sagte er, unwillkürlich schaudernd. „Sicher hat der Spanier sein Vergehen mit dem Leben büßen müssen.

    „Und neben dem Gehängten spielen die Mörder ganz ruhig Karten!"

    Felsing zog einen Goldgräber zu sich. „Kommen Sie zu meinen Reisegefährten; wir unterhalten uns ein wenig."

    Der Goldgräber ging mit. „Das sieht ja beinahe aus wie ein Familienkreis, sagte er nach der ersten Begrüßung. „Wollen Sie denn Ladies und Kinder mit hinausnehmen in die Minenstädte?

    „Das beabsichtigen wir, versetzte Felsing. „Man baut sich da oben ein eigenes Haus und tischlert und zimmert darauf los.

    „Wenn man genug gutes Bauholz besitzt, ja, außerdem das nötige Wasser, Viehfutter, Lebensmittel und tausend andere Dinge mehr. In den Minen ist gerade jetzt der Teufel los, kann ich Ihnen sagen."

    „Gibt es Unruhen?, fragte Kinski, für den Felsing im Gespräch mit dem Blusenmann den Dolmetscher machte. „Ist da oben ein Aufstand losgebrochen?

    Jim zuckte die Achseln. „Habt ihr schon den Namen ,König Semen‘ gehört, Freunde? Wisst ihr, wer der Mann ist?"

    „Natürlich. Es wird doch in Bezug auf ihn nichts Böses geschehen sein?"

    Kinski hielt den Atem an. Sein Bruder, der, den er wiederzusehen hoffte, weil er ihn liebte – wenn er gestorben wäre!

    Jim sah von einem zum anderen. „Die Hounds haben ihn, sagte er im vertraulichen Tone. „Es ist nicht anders möglich.

    „Die Hounds?"

    „Sicherlich. Oder solltet ihr noch gar nicht wissen, dass König Semen seit mehreren Tagen verschwunden ist?"

    „Oh Gott! Verschwunden!"

    „Die Hounds haben ihn; niemand zweifelt daran. König Semen besitzt einen Millionenschatz an Goldkörnern; das hat die Hounds zu einem dreisten Handstreich ermutigt. Irgendwo im Walde oder im Gebirge halten sie ihn fest, bis er das Versteck bezeichnet, in dem er seinen Schatz verborgen hält."

    Felsing hatte Wort für Wort übersetzt, was der Blusenmann berichtete. Jetzt schlug Davidoff, in den grimmigsten Zorn ausbrechend, mit der Faust auf den Stein, der ihm als Sitz diente. „Wer sind die Hounds?, rief er. „Das ist zu arg, das kann den Sanftmütigsten erbittern. Wer sind die Hounds?

    Jim drohte mit erhobenem Finger. Er hatte den Sinn der

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