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Der Fall ins Blaue
Der Fall ins Blaue
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eBook430 Seiten5 Stunden

Der Fall ins Blaue

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Über dieses E-Book

Während einer Rundreise durch das faszinierende Island hofft Hanna auf Ablenkung von ihrer Vergangenheit und quälenden Zukunftsängsten. Im abgelegenen FineHostel begegnet sie ihrem Ex-Freund Luki, der mit seiner Freundin Dalia dort lebt. Dalias plötzlicher Tod in der Nacht nach Hannas Ankunft löst im Hostel heftige Konflikte aus.

Entschlossen, die Wahrheit über Dalias Tod aufzudecken, entdeckt Hanna verstörende Hinweise, die sie in ein Netz aus Intrigen ziehen. Zwischen den majestätischen Felsen und den geheimnisvollen Wasserfällen Islands wird ihre Suche immer gefährlicher. Die Spannungen im Hostel eskalieren, während dunkle Geheimnisse ans Licht kommen. Hanna muss nicht nur ihren eigenen Ängsten ins Auge blicken, sondern auch herausfinden, wem sie in dieser verwirrenden Situation noch vertrauen kann.

Inmitten von Verdächtigungen und unerklärlichen Vorfällen steht die Frage im Raum: Wird es Hanna gelingen, die Wahrheit hinter Dalias Tod aufzudecken, bevor es zu spät ist?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum30. Jan. 2024
ISBN9783758351853
Der Fall ins Blaue
Autor

Elisabeth Schröder

Elisabeth Schröder, 1996 in Karlsruhe geboren, verbrachte den Sommer nach ihrem Bachelorabschluss in "International Management" auf Island und verlor dort ihr Herz an das Land aus Eis und Feuer. Inspiriert von diesem Aufenthalt spielt ihr erstes Buch, "Der Fall ins Blaue", auf der Insel.

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    Buchvorschau

    Der Fall ins Blaue - Elisabeth Schröder

    TEIL 1

    Eines Tages schwimmt die Wahrheit nach oben. Als Wasserleiche.

    ~ Wiesław Brudziński, polnischer Schriftsteller

    KAPITEL 1

    „Alles tut weh! Geh nur, lass mich hier zurück", stöhnte sie und verlangsamte ihre Schritte auf dem steinigen Parkplatz. Ihre langen Beine fühlten sich an wie wackelige Stelzen. Einerseits hatte sie das Gefühl, auf Wolken zu schweben, andererseits fühlte es sich an, als würden sich ihre Füße bei jeder Bewegung aus klebrigem Matsch befreien müssen.

    Frida schaffte es als Erste ins Innere des Mietwagens und streckte ihre Hand aus.

    „Komm schon, Hanna! Du kennst mich, ich lasse keine Frau zurück", sagte sie lachend.

    Eine fünfstündige Gletscherwanderung lag hinter Hanna Schäfer, und sie spürte jeden Muskel ihres Körpers pulsieren, als sie sich endlich auf den Beifahrersitz fallen ließ. Lange war es her, dass sie sich einer solchen Anstrengung ausgesetzt hatte. Ihre routinemäßigen Joggingrunden waren nicht zu vergleichen mit diesem Aufstieg, der ihren Puls auf ungewohnte Weise in die Höhe getrieben hatte.

    „Ich kann nicht mehr. Das war’s für mich mit dem Touri-Kram für heute!" Sie massierte ihre Zehen und Fersen, nachdem sie endlich aus den robusten Wanderschuhen befreit waren.

    Frida überprüfte währenddessen ihr Aussehen im schmalen Rückspiegel. Wie immer fielen ihre schulterlangen blonden Haare in leichten Wellen. Anders als bei Hanna, die während eines flüchtigen Blicks in den Seitenspiegel ein braunhaariges Vogelnest auf dem Kopf und zerknautschte Stellen an den Wangen erhaschte, deutete bei Fridas Erscheinung nichts darauf hin, dass sie stundenlang einen engen Schutzhelm getragen hatte. „Ach, komm schon, wir haben heute nur noch einen klitzekleinen Stopp vor uns, bevor wir die Füße hochlegen können, gab Frida bestimmt, aber mit einem Augenzwinkern zurück. Sie drehte sich zur Rückbank und suchte fieberhaft nach etwas. „Hanna, wo hast du die Landkarte hin? Frida klang leicht abgehetzt. Es war nicht das erste Mal auf ihrem Road-Trip, dass Hanna Fridas Ordnungsfimmel nicht nachkam.

    „Ich habe sie in meinen kleinen Rucksack gepackt", sagte Hanna und hielt ihr nach kurzem Wühlen triumphierend die Karte unter die Nase. Frida schnaubte kurz verächtlich und wandte sich dann dem Plan zu.

    „Also … wir sind hier. In der Nähe des Jökulsárlón-See." Sie zeigte mit ihrem Zeigefinger auf den See, der unmittelbar vor dem Aufstieg des Gletschers lag.

    Es war der Vatnajökull, der größte Gletscher Islands, den sie heute zu einem kleinen Teil bestiegen hatten. Seine gesamte Fläche beträgt 8.100 Quadratkilometer, wobei ein großer Teil des Gletschers aufgrund der globalen Erderwärmung schon geschmolzen war, wie es ihnen ihr isländischer Gletscher-Guide erklärt hatte. Nachdem sie, mit stacheligen Schuhaufsätzen und Eispickeln ausgestattet, gelernt hatten, wie man am Gletscher hoch- oder seitlich entlangkletterte, sich absicherte und sich mit klarem Gletscherwasser erfrischte, hatten sie den Aufstieg geschafft. Sie waren bei Weitem nicht am höchsten Punkt angekommen, doch die Aussicht von da oben war trotzdem atemberaubend. Vom weißen, frostigen Eis umgeben, hatte sich vor ihren Augen der nordatlantische Ozean ausgebreitet. Die frischen Luftzüge hatten Hannas Gesicht nach der Anstrengung mit einer Abkühlung belohnt. Der Jökulsárlón-See, den sie Stunden zuvor hatten passieren müssen, um an den Hang des Gletschers zu gelangen, erschien auf einmal winzig im Vergleich zum Ozean. Die Menschen, die den Aufstieg noch vor sich hatten, hätten Ameisen sein können. Sie lächelte bei dem Gedanken an diesen Moment. Dort oben war die Freiheit greifbar nah.

    Frida stöhnte und fuhr sich mit der Hand durch ihr Haar. „Ich fühle mich wie eine 80-jährige Oma. Es tut sogar weh, meinen Zeigefinger auf diese Karte zu halten", ächzte sie.

    „Glücklicherweise haben wir bis dahin ja noch 50 Jahre!", erwiderte Hanna grinsend. Frida hob eine Augenbraue.

    „51 Jahre für mich, brummte sie, und beide mussten lachen, „Also, wo war ich? Hier sind wir ungefähr. Ihr Zeigefinger zitterte leicht, als sie auf ihren Standort zeigte. „Dann wollen wir hoch zum Leuchtturm Dyrhólaey. Von da aus hat man anscheinend eine schöne Sicht auf einen der Black Beaches. Danach geht’s zur Unterkunft. Wir können früh schlafen gehen, damit wir morgen erfrischt …", sie fuhr mit ihrem Finger entlang der Hauptstraße in Richtung Westen zum nächsten markierten Punkt, „… den Skógafoss besichtigen können! Von hier aus ist es nur ein Katzensprung zum FineHostel. Dort haben wir ein paar Tage Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Lange ist es nicht mehr, bis wir die Heimreise antreten", murmelte Frida vor sich hin.

    Hanna nickte zustimmend.

    Die zwei Wochen waren wie im Flug vergangen. In weniger als einer Woche würden sie am isländischen Flughafen Keflavík sitzen und nach Deutschland fliegen. Bei dem Gedanken daran bildete sich ein schwerer Kloß in ihrem Hals. Ich will nicht zurück. Immer noch lag Fridas Blick auf ihr, und Hanna sah, was sie dachte. Nach fast 25 Jahren Freundschaft kannte Frida sie manchmal besser als Hanna sich selbst.

    „Schau nicht so besorgt … Ich wusste ja, dass die Zeit auf Island irgendwann vorbei sein würde", murmelte Hanna.

    Frida nickte ernst. Hanna machte sich nichts vor, ihre Rückkehr und die damit verbundenen Entscheidungen bereiteten ihr Sorge. Ohne dass sie es wollte, schossen Bilder in ihren Kopf, die sie mit einem Kopfschütteln verstreute. Dennoch spürte sie, wie Beklemmung und Panik sich in ihrer Brust ausbreiteten.

    Haut ab! Der heutige Tag war gut. Sie hatte sich frei gefühlt, ihren Kopf abschalten können. Solange es ging, würde sie daran festhalten. Mit einem Blick verständigten sie und Frida sich darauf, dass es nun weiterging.

    „Auf geht’s zum Leuchtturm!", rief Frida enthusiastisch.

    Hanna schnallte sich an. Sie war gespannt, was der Weg für sie bereithalten würde.

    KAPITEL 2

    Jan-Uwe Ingomar Maassen war 41 Jahre alt, ledig und Buchhalter. Zu seinem letzten Geburtstag schenkte ihm seine Mitbewohnerin eine Reise nach Island. Nicht die gesamte Reise, sondern lediglich die Hin- und Rückfahrt. Mit dem Zug aus Hamburg in das dänische Hirtshals und von da mit der Fähre an eine isländische Anlegestelle. Ganze zwei Wochen lagen zwischen seinem An- und Abreisedatum. Seine Mitbewohnerin war seine Mutter und was sie ihm damit sagen wollte, blieb für ihn schleierhaft.

    Im Vorfeld hatte er sich bereits über Island, das Land aus Eis und Feuer, gründlich informiert. Auf der Insel leben etwa 357.000 Einwohner. Das ist gerade einmal ein Fünftel der Einwohner, die in seiner Heimatstadt Hamburg leben! Die Einwohnerzahl verbreitet sich auf einer Fläche von 100.250 Quadratkilometern, wobei die meisten Isländer in der Hauptstadt Reykjavík leben. Island ist bekannt für seine unverwechselbare Landschaft, Vulkanismus und seinen Wasserreichtum. Und nach zahlreichen Recherchen stellte Jan-Uwe fest, dass es sich wohl lohnte, Isländer zu sein, denn sie genießen einen der höchsten Lebensstandards sowie Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Seine Reise ging von Ende Juli bis Mitte August, und deswegen stellte er sich auf Temperaturen zwischen 12 und 16 Grad ein. Es war kein typisch sommerliches Klima, aber als gestandener Norddeutscher war er wechselhaftes Wetter und kühle Temperaturen gewöhnt.

    Vor fünf Tagen war er in Seyðisfjörður, dem sogenannten „Fjord der Feuerstelle", angekommen. Die Stadt im Osten der Insel ist bekannt für ihre bunten Häuschen und ihre eisblau gestrichene Kirche Seyðisfjarðarkirkja.

    Vor Ort hatte er sich einen Kia Picanto als Mietwagen geholt, mit dem er sich seither fortbewegte. Die ersten Tage waren wie geschmiert verlaufen. Noch nie hatte er so unbewohnte Stellen und frei laufende Tiere gesehen. Die lange Hauptstraße schlängelt sich seitlich an steilen Klippen und durch klaffende Schluchten hindurch, was seiner Reise den Hauch eines waschechten Abenteuers gab.

    Seine Begeisterung wurde nur von einem Aspekt abgedämpft: Zu Hause in Hamburg war er die Zweisamkeit gewöhnt. Seine Mutter war zwar nicht die unkomplizierteste Frau, aber sie könnte ihn mit ihrer schroffen, doch gleichzeitig liebevollen Art niemals verjagen. Hier auf Island war er allein, und die Einsamkeit prägte so manche seiner Abende. Umso mehr freute er sich deshalb auf das nächste Hostel, das laut Internetbewertungen für seinen Komfort, sein reichhaltiges Frühstück sowie das herzliche Personal bekannt war.

    Diese Unterkunft befand sich auf der Strecke zwischen zwei der vielen Wasserfällen Islands: dem Skógafoss und dem Seljalandsfoss. Vor Ersterem stand er nun und konnte sein Glück kaum fassen. Der Wasserfall war eine wahre Pracht der Natur! Skógafoss heißt aus dem Isländischen übersetzt „Waldwasserfall". Er ist 60 Meter hoch und sein Wasservorhang 25 Meter breit – bei Weitem nicht der größte Wasserfall des Landes. Aber er hatte etwas Anziehendes an sich. Einst war dies die südlichste Küstenlinie des Landes gewesen, doch heute befindet sich das Meer mehr als fünf Kilometer südlich. Das schimmernde Wasser ergießt sich von der steilen Fallkante in die Mündung einer mit Moos bekleideten Felswand und auf grauen Kies.

    Es hätte der Schauplatz eines Märchens sein können, wären da nicht die ganzen Touristen, die sich um den Wasserfall tummelten. Er wollte sich gerade zu einer Gruppe asiatischer Touristen drehen, die ihm mit ihren Handy-Stöcken die Sicht vermiesten, als etwas Unglaubliches geschah: Sonnenstrahlen fielen auf den Wasserfall ein, und direkt von seinen Augen bildete sich ein kleiner Regenbogen. Die schnatternde Menge um ihn herum war vergessen, und pure Begeisterung machte sich in ihm breit. Gleich unter dem ersten bildete sich ein zweiter, wenn auch weniger gut sichtbarer Regenbogen.

    „Mama wird Augen machen!", sagte er laut und bat einen nebenstehenden Mann mit seinem gebrochenen Englisch darum, ein Foto von ihm zu machen. Der Fremde war vermutlich um die 30 Jahre alt. Er war leger in Jeans und einer grauen Sweatjacke mit Kapuze gekleidet.

    „Klar, mache ich ein Bild", gab der Dunkelhaarige auf Deutsch zurück. Lediglich so gute Ohren, wie Jan-Uwe sie hatte, konnten den Hauch eines nordischen Akzents heraushören.

    „Oh, Sie sprechen meine Sprache! Das ist eine Erleichterung. Wissen Sie, dieses Englisch und ich – wir waren schon zu Schulzeiten nicht die besten Freunde. Das wird mit dem Alter kaum besser", sagte er witzelnd und wartete darauf, dass der Fremde etwas erwiderte.

    Dieser nickte ihm verständnisvoll zu und stellte sich in Position, um ihn abzulichten.

    „Achten Sie bitte darauf, dass die beiden Regenbogen zu sehen sind, ja?"

    Der Mann murmelte etwas vor sich hin und machte die Bilder.

    „Da wird sicher etwas dabei sein!", sagte er. Der Mund des Mannes lächelte, doch seine grünen Augen musterten ihn abschätzig.

    Jan-Uwe bemerkte das nicht, sondern betrachtete die Bilder.

    „Oh, wunderbar! Vielen Dank, Herr …", setzte er an und musterte seinen Fotografen. Dieser hielt zunächst inne.

    „Luki. Einfach Luki. Hier benutzen wir keine Nachnamen", sagte der Mann, schaute sich in der Menge um, als suche er etwas, und kratzte sich beiläufig am Handrücken.

    „Na, wenn das so ist … Vielen Dank, Luki, sagte Jan-Uwe und grinste dabei von einem Ohr zum anderen, „Und du lebst hier? – Dein Akzent, der ist isländisch, oder?, erklärte Jan-Uwe, als Luki sich überrascht zu ihm drehte.

    „Ich lebe seit sechs Jahren auf Island und seit drei Jahren hier in der Gegend", antwortete er knapp.

    „Und wo wohnst du?", hakte Jan-Uwe weiter nach. Er konnte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Stundenlang hatte er stumm in seinem Auto gesessen, und nun stand hier jemand, für den er sich nicht einmal zum Englischsprechen bemühen musste!

    „Im FineHostel. Dort arbeite ich und …" Luki wollte gerade noch etwas hinzufügen, doch Jan-Uwe konnte sich nicht zurückhalten.

    „Du arbeitest in FineHostel? Das ist ja ein Zufall! Ich checke dort heute ein. Ich bin übrigens Jan-Uwe."

    Keine halbe Stunde später zog Jan-Uwe seinen Reisekoffer und seinen Rucksack aus dem Auto. Ein weißes Schild mit der Aufschrift ‚Verið velkomin í FineHostel‘³ hatte ihm den Weg zu dem weißen Haus mit dem hellroten Dach geleitet. Das Angebot, ihn mit seinem Kia mitzunehmen, hatte Luki ausgeschlagen. Er sei selbst mit einem Minivan unterwegs. Luki war definitiv kein Mensch der gesprächigen Sorte, das hatte Jan-Uwe direkt gemerkt und ihn deshalb auch nicht mehr angesprochen.

    Jeder Mensch ist nun einmal aus einem anderen Holz geschnitzt, dachte er und steuerte auf den Eingang des Hostels zu. An der weiß gestrichenen Tür hing ein verschnörkeltes „Welcome"-Schild. Er drückte die ebenfalls weiße Türklinke nach unten und trat ein.

    Der Duft von Kaffee und frisch gebackenen Keksen stieg ihm schlagartig in die Nase. Am Empfang saß ein eine junge südländische Schönheit und lächelte erwartungsvoll.

    „Hello, nice to meet you!⁴", sagte sie und stand mit dieser Begrüßung auf, um ihm eine Hand zu reichen.

    Jan-Uwe setzte zum nächsten Schritt an, doch statt wie gewohnt auf seiner Fußsohle aufzusetzen, passierte etwas anderes: Er fiel der Länge nach hin. Einigermaßen sanft landete er auf einem in die Jahre gekommenen Teppich. Hatte er tatsächlich vergessen, einen Schritt vorwärtszugehen? Nervös kicherte Jan-Uwe und spürte, dass seine Ohren heiß wurden. Sein Mund war trocken.

    Eilige Schritte näherten sich ihm, und jemand half ihm auf.

    „Are you okay?"

    Ach herrje, wie peinlich! Samt Rucksack auf dem Rücken und Koffer in der linken Hand stützte er sich auf.

    „It‘s okay. Thank you", sagte er, so tapfer er konnte. Ein schmerzliches Ziehen in seinem rechten Ellenbogen verriet ihm, dass er damit wohl den Fall abgefangen hatte.

    Die Frau, nun sah er, dass sie ein Namensschild an ihrem türkisfarbenen Pulli trug, hieß Dalia. Sie schaute ihn immer noch besorgt an. Sie könnte etwas Eis für den Ellenbogen holen, meinte sie, doch er winkte mit einer Handbewegung ab. Zumindest etwas Männlichkeit wollte er bewahren. Er lächelte und sagte, dass er gerne einchecken möchte. Sie nickte und prüfte die Reservierung.

    „Jan-Uwe Ingomar Maassen?"

    Er nickte.

    Und sie fuhr fort: „One bed, 4-beds-dorm, two nights. Correct?"

    Nein, das war nicht korrekt! Es stimmte, dass er zwei Nächte in FineHostel bleiben wollte, allerdings hatte er sein Bett in einem 8-Bett-Zimmer gebucht. Er schüttelte energisch den Kopf und suchte in seinem Gedächtnis nach den richtigen Worten.

    „I … want room with eight bed. Because … cheaper." Er machte eine Handbewegung, um zu symbolisieren, dass er in das 8-Bett-Zimmer wollte, weil es günstiger war.

    Dalia schien verstanden zu haben. Sie schaute noch einmal in ihren Computer und antwortete ihm etwas, das er nicht verstand. Er hörte, dass sie irgendetwas mit „voll und „Fußball sagte, doch sie sprach so schnell, dass seine Übersetzungskünste auf der Strecke blieben.

    In diesem Moment öffnete sich die Eingangstür, und Luki kam herein. Jan-Uwe lächelte ihm zu, doch dieser schenkte ihm nur einen hastigen Blick und schaute dann rüber zum Empfang. Dalia fing an, auf ihn einzureden.

    Luki kam zu ihr herum und schaute in den Computer.

    „Dalia meinte gerade, du hättest dich wegen deines Zimmers beschwert?", fragte er mit einem prüfenden Blick.

    Jan-Uwes Nervosität war schlagartig zurück.

    „Na ja, nicht direkt beschwert. Ich habe ihr lediglich gesagt, dass ich mein Bett in einem anderen Zimmer reserviert habe. Ich wollte in das 8-Bett-Zimmer", erwiderte er mit einem Seitenblick auf einen großen Mann, der plötzlich den Treppenabsatz zu ihnen an den Empfang emporstieg.

    Der Mann war ihm auf den ersten Blick nicht geheuer. Seine Haare waren ungekämmt, und in seinem Blick lag etwas Wildes. Er sah aus wie ein Wolf, der Gefahr witterte. Grimmig näherte er sich und ließ Jan-Uwe dabei nicht aus den Augen.

    Luki sah den Mann ebenfalls und nickte ihm beschwichtigend zu.

    „Das ist Alvar. Er ist der Besitzer des Hostels."

    „Ah. Jan-Uwes Stimme klang hohl und versagte im Abgang. Er reichte Alvar die Hand. „Hello … I am Jan-Uwe.

    Der Hostelbesitzer streckte ebenfalls seine Rechte aus, und bei dem Anblick fiel Jan-Uwes Herz in die Hose: Seinem Gegenüber fehlten zwei Finger! Was war mit diesem Mann passiert? Er gab sich alle Mühe, so zu tun, als hätte er das nicht gesehen. Als er zum Handschlag zudrückte, durchfuhr Jan-Uwe ein lähmender Schmerz, der sich in seinem gesamten rechten Arm ausbreitete.

    Aaargh! Seine kleinen, wurstigen Finger wurden gegen ihren Willen aneinandergepresst und gaben dem Druck nach, den Alvars Pranke auf sie ausübte. Er hatte zwar nicht mehr alle Finger, aber das hielt ihn nicht davon ab, Jan-Uwes Knochen zu zerquetschen. War das eine isländische Begrüßung, von der er im Internet nichts gelesen hatte? Oder war Alvar einfach stärkere Männerhände gewohnt? Jan-Uwe lächelte gequält, und sein Arm knickte ein. Er versuchte, immer noch gelassen auszusehen, doch sein zitternder Mund und seine tränenden Augen verrieten ihn.

    Eine Woge der Erleichterung durchfuhr ihn, als der Besitzer endlich lockerließ. Er wandte sich wieder Luki und Dalia zu. Sie schienen in der Zwischenzeit in eine Meinungsverschiedenheit geraten zu sein. Er räusperte sich.

    Luki blickte auf.

    „Unsere beiden 8-Bett-Zimmer sind voll. Es muss wohl einen Fehler im System gegeben haben. Eine Fußballmannschaft aus Deutschland hatte beide Zimmer schon vor Monaten gebucht. Das nächstgünstigere Zimmer, das wir dir anbieten können, ist das 4-Bett-Zimmer", erklärte Luki sachlich.

    Dann habe ich wohl keine andere Wahl, dachte Jan-Uwe ernüchtert. Da kam ihm eine Idee.

    „Schade. Ich habe meine Finanzen kalkuliert und jetzt habe ich diese unerwartete Ausgabe … Wäre es möglich, aufgrund dieser Unannehmlichkeit einen Preisnachlass auf mein neues Zimmer zu erhalten? Das kommt in einer Bewertung im Internet sicher besser rüber …", säuselte Jan-Uwe und blickte Luki fragend an.

    Alvar schnaubte, als Luki ihm den Sachverhalt in isländischem Singsang erklärte. Nach kurzem Überlegen nickte er, wenn auch verärgert.

    „In Ordnung. Du bekommst das Zimmer für den Preis des 8-Bett-Zimmers", sagte Luki.

    Jan-Uwe lächelte triumphierend. Tja, wenn das Leben dir eine Zitrone gibt, dann mach einfach Limonade daraus. Jan-Uwes Kreditkarte steckte bereits im Einlesegerät. Heute schien sein Glückstag zu sein.

    „König, Arthur."

    Jan-Uwe war gerade dabei, sich eine Kelle des Lammeintopfs in den Teller zu schöpfen, als neben ihm ein kraushaariger Mann mit hervorgestreckter Hand erschien, um ihn zu begrüßen. Arthur König war Mitte 40, hatte braune Haare, die langsam ins Grau fanden, und war der Trainer der deutschen Fußballmannschaft. Trotz seiner sportlichen Beine kam unter seinem roten Jogginganzug der deutliche Ansatz eines Bäuchleins zum Vorschein. Sein rundes Gesicht zierte ein breiter, geradezu grotesk großer Mund, um den ein buschiger Bart wuchs. Schnell kamen sie ins Gespräch.

    Arthur König war anders als Jan-Uwes Freunde in Hamburg. Er war ein in die Jahre gekommener Sportler – kein „Sesselfurzer", wie König Jan-Uwe bezeichnete, als dieser dem Trainer von seinem Beruf als Buchhalter erzählte. Klar, Jan-Uwe hätte aufgrund dieses Ausdrucks beleidigt sein können, doch er genoss es viel zu sehr, endlich in Gesellschaft zu essen und sich zu unterhalten. Obwohl König den einen oder anderen schmutzigen Witz brachte, den Jan-Uwe nicht verstand, stellte sich der Trainer als geselliger Gesprächspartner heraus.

    Jan-Uwe war ohnehin auf andere Dinge fokussiert. Seit frühester Kindheit ärgerten ihn die anderen wegen dieses einen Charakterzugs – lediglich seine Mutter empfand Jan-Uwes Interesse an anderen Menschen als „eine besondere Auffassungsgabe". Diese verleitete ihn dazu, sein Umfeld intensiv zu begutachten. Er versuchte, hinter die Fassade der anderen zu blicken, und war stets darauf gewappnet, scheinbar unlösbare Rätsel zu lösen und Lügner zu entlarven. Seinem Scharfsinn war es zu verdanken, dass der Kaugummidieb seiner Schule auf frischer Tat ertappt worden war oder dass das rätselhafte Verschwinden seiner Nachbarskatze hatte gelöst werden können. Wo er auch war: Jan-Uwe war immer auf der Hut. Auch nun achtete er auf Königs Mimik und Gestik.

    Schnell erfuhr er, dass der Fußballtrainer Inhaber einer Schreinerei war und in seiner Freizeit die Fußballmannschaft trainierte. Ihm entging kein bisschen die Leidenschaft, die König für seine Tätigkeit als Coach verspürte. Seine braunen Augen funkelten regelrecht, als er von seinen Sporteinheiten erzählte. Wie er die Jungs um das Gebäude des Hostels jagte oder sie morgens aus den Betten trommelte. So viel Enthusiasmus für Fußball, das stand für Jan-Uwe fest, konnte niemand vorspielen!

    Jan-Uwe freute sich schon darüber, dass er endlich die erste nette Bekanntschaft im Urlaub gemacht hatte, da tat Arthur König etwas, das Jan-Uwe zutiefst anekelte. Nachdem sie sich zum dritten Mal am Eintopf bedient hatten, legte König die Füße auf einen nebenstehenden Stuhl hoch und zog unter dem Tisch zwei Dosen Bier heraus. In wenigen Schlucken leerte er erst das eine, dann das zweite Gesöff, um direkt nach zwei weiteren Dosen zu greifen und das Prozedere zu wiederholen. Der scheußliche Geruch des billigen Biers löste in Jan-Uwe den Wunsch aus, sich zu übergeben. Er wollte nicht mehr länger mit König reden, denn Betrunkene waren ihm zuwider. Nicht dass er selbst keinen Alkohol trank – gelegentlich ein Gläschen Wein mit seiner Mutter, während sie eine Dokumentation anschauten –, doch exzessiven Alkoholkonsum hatte er nie unterstützt. Es machte ihn krank, jemandem dabei zusehen zu müssen, wie er seinen Körper auf diese Weise beschädigte. Warum er so stark darauf reagierte? Sein Vater war Alkoholiker, und deswegen wusste Jan-Uwe aus erster Hand, wohin diese Art des Kontrollverlustes führen konnte: zu gewalttätigem Verhalten, Leberproblemen und schlussendlich einem frühzeitigen Tod.

    Unter dem Vorwand, urplötzlich von Erschöpfung übermannt worden zu sein, begab er sich auf sein Zimmer und ließ Arthur König mit seiner fünften Dose Bier allein.


    ³ Isländisch für: „Willkommen im FineHostel."

    ⁴ Englisch für: „Hallo, schön dich kennenzulernen!"

    KAPITEL 3

    Es war kurz vor Mitternacht, und die letzten Momente der Dämmerung brachen an. Es war die vierte Nacht in Folge, in der sie sich nachts aus dem Haus geschlichen hatte, um einen Spaziergang zu machen.

    Das Gras der Weide ging ihr bis zum Knie. Das war an sich nichts Besonderes, da sie eine kleine Person war. Sie setzte Schritt vor Schritt. Ihr festes Schuhwerk trotzte dem unebenen Boden unter ihren Sohlen. Auf Island kamen ihre leichten Espadrilles oder Sandaletten selten zum Einsatz. Hinter ihr lagen riesige Gebirge, die dieser Landschaft erst ihren einmaligen Charakter geben. Es überkam sie immer ein nervöser Schauer oder ein Flattern in ihrer Magengegend, wenn sie sich fragte, was sich wohl noch alles unter diesen Schichten aus Erde und Stein befand. Sie kehrte dem Gebirge den Rücken zu, denn ihr Ziel war ein anderes.

    Weit und breit war kein anderes Haus zu sehen. Sie war bereits lange gelaufen, vielleicht schon eine Stunde. Sobald sie sich nachts aus dem Haus schlich, verlor sie auf unerklärliche Weise das Zeitgefühl. Der Wind pfiff ihr um die Ohren und wehte ihr langes Haar nach hinten. Sie griff nach einer pechschwarzen Strähne und wickelte sie um ihre Finger. Normalerweise hatte sie sehr lockiges Haar, doch der Wind war manchmal so stark, dass es glatt wurde.

    Ein frostiger Hauch lief ihr über die Arme. Ihr flauschiger Pulli spendete zwar Wärme, ersetzte aber nun einmal keine Jacke. Nach den drei Jahren, in denen sie bereits auf Island lebte, hatte sich Dalia Salcido Herrera bereits fast daran gewöhnt, dass die recht frischen Sommertage lang und die Nächte kurz waren, aber eben nur fast. Heute war wieder einer dieser schrecklichen Tage, an denen sie ihre Heimat vermisste – mehr als sonst. Sie sehnte sich nach warmen Sommernächten, ihrer Muttersprache, Tacos am Straßenrand, Salsa tanzen und vor allem nach ihrer Familie. Besonders jetzt, besonders in den vergangenen Tagen. Sie hatte Heimweh und obwohl sie sich immer eingeredet hatte, dass es besser werden würde, wurde es das nicht.

    Seit Wochen hatte sie keinen Appetit und kämpfte stattdessen mit einer anhaltenden Übelkeit. Sie verkroch sich in ihrem Zimmer, übernahm unbeliebte Schichten oder schlich aus dem Haus. Täglich standen ihr Tränen in den Augen, und schon die kleinsten Herausforderungen stiegen ihr über den Kopf. Diese innere Leere – Dalia hatte sie bereits akzeptiert. Sie quälte sich täglich aus dem Bett und sah der Arbeit im Hostel mit großem Grauen entgegen, obwohl ihr der Kontakt mit Menschen eigentlich immer gefiel und sie darin aufging. Es war das Umfeld, das ihr keine Freude mehr bereitete, zumindest nicht mehr so wie zu Beginn ihrer Zeit auf Island. Sie ertrug es wegen der Bezahlung, der Unterkunft und natürlich Luki, der die Arbeit im Hostel um keinen Preis aufgeben wollte, obwohl auch er nicht mehr zufrieden zu sein schien. Mit voller Gewissheit wusste sie das nicht. Dalia spürte nur seinen Unmut. Sie verstand ihn ja! Auch sie hatte keine Lust mehr, die gut gelaunte Mexikanerin zu spielen, die sie von Natur aus eigentlich war. Im Gegensatz zu Luki wollte sie über ihren Gemütszustand reden. Doch sie schafften es seit Wochen nicht einmal, eine halbe Stunde lang miteinander zu sprechen, ohne dass Aufgaben im Hostel dazwischenkamen oder sie anfingen, sich zu streiten. Es war anscheinend unmöglich, ihn zu einem Zeitpunkt anzutreffen, an dem er nicht genervt, distanziert oder eifersüchtig war. Seit geraumer Zeit begleitete sie das Gefühl, ihn nicht mehr zu kennen. Sie dachte viel darüber nach, über dieses ewig gleiche Problem. Es gab scheinbar nur einen Ausweg.

    Sie kam zum Stehen. Vor ihr breitete sich schwarzer Sand aus – das Ergebnis der Erosion von vulkanischem Gestein – und dahinter das endlose Meer. Die Nacht war klar. Nur einzelne Sterne reflektierten auf der dunklen Wasseroberfläche. Obwohl sie fröstelte, zog sie zunächst ihre Schuhe aus und entledigte sich danach ihrer Kleidung. Ihre entblößten Füße berührten den erkalteten Sand, der sofort in die Ritzen ihrer Zehen drang. Sie näherte sich dem Wasser und spürte die starke Meeresbrise, die sie in Empfang nahm. Jeder Zentimeter ihres splitternackten Körpers war mit einer Gänsehaut übersät. Ein Lächeln huschte ihr über das Gesicht: das erste echte Lächeln des Tages.

    Diese Insel barg viele traumhaft schöne Orte. Dalia liebte ihre geheimnisvollen Seiten und die Natur. Doch sie allein und die wenigen Freundschaften, die sie hier geknüpft hatte, konnten ihren inneren Konflikt nicht mehr aufhalten. Sie war hier nicht mehr glücklich.

    Als ihre Füße das eiskalte Wasser berührten, beschleunigte sich ihr Atem. Wie immer versuchte sie, wieder Kontrolle über ihn zu erlangen, indem sie tiefe Züge der frischen Nachtluft in sich aufsaugte und ebenso tief wieder ausatmete. Sie ließ sich von ihren Füßen tragen. Das kalte Nass nahm sie ein. Es schloss sich um ihre Beine. Als der Wasserstand ihren Unterleib erreichte, machte sie halt und streichelte sanft über ihren Bauch. Er war ihre sensibelste Stelle. Die helle Dunkelheit der Nacht umgab sie, und der raue Wind brachte ihren Oberkörper zum Beben. Ihre Haare peitschten entlang ihres Rückens. Sie atmete tief ein, ihre Beine gaben nach, und sie sank vollends ins Wasser. Ein überwältigender Schauer übermannte sie. Ihr Atem ging wieder schneller und flacher. Konzentriert schloss sie ihre Augen. Ihr Kopf war leer. Ihr Geist war frei. Nach etwa zehn Sekunden regulierte sich ihr Atem. Die Kälte machte ihren Körper taub. Endlich spürte sie wieder Frieden in sich. Sie dachte an Vergebung und endlich sah sie klar. Ihr Entschluss war gefasst. Das alles würde bald vorbei sein.

    KAPITEL 4

    Ein lautes Geräusch riss Dominik Ebersbach aus seiner traumlosen Nacht. Es war der schrille Weckruf seines Trainers.

    „Sollte das nicht ein Urlaub werden?", fragte er schlaftrunken. Er nahm das flauschige Kissen und vergrub sein Gesicht darin. Es roch angenehm nach Waschmittel. Um ihn herum regten sich die ersten seiner sieben Zimmergenossen.

    „Also ich bin schon seit einer Stunde wach und höre mir den neuen Rechtswissenschafts-Podcast an", gab René, der im Stockbett unter ihm lag, von sich.

    „Klappe, René!", tönte es aus unterschiedlichen Richtungen.

    Dominik stöhnte in Gedanken. René konnte eine Nervensäge sein! Immerzu betonte er, dass er sich für Jura interessierte oder dass er Jurastudent war. Manchmal wünschte Dominik sich, selbst mit der gleichen Passion hinter seinem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens zu stehen. Obwohl er mit seinen 25 Jahren zwei Jahre älter war als René, war er sich seines Weges nicht sicher.

    Arthur König trat wieder in das Zimmer.

    „Aufstehen, Männer! Das Frühstück steht bereit, und ich habe heute eine anstrengende Trainingseinheit geplant!", rief er in das noch abgedunkelte Zimmer. Ohne Vorwarnung riss er die Vorhänge vor den beiden Fenstern des Zimmers zur Seite und erntete daraufhin gequältes Stöhnen. Arthurs militärischer Ton machte deutlich, dass er keine Trägheit duldete. Er nahm die Mitte des Raums ein und beobachtete, wie sich die Jungs aus den Betten hievten. Die Hände stützte er in seine runden Hüften und grinste jeden Einzelnen mit seinem breiten Lächeln an. Die wild abstehenden Haare waren wie immer ungekämmt, und sein Bart hatte seit Beginn des Urlaubs keine Rasierklingen mehr gesehen. Scheinbar genoss er es, dass seine Frau ihm nicht befahl, ihn zu stutzen.

    Arthur gefiel es, die Jungs herumzukommandieren. Es war anstrengend, doch vermutlich war es das, was Arthur zu einem solch guten Coach machte. Nichtsdestotrotz war Dominik über die Tatsache, dass er zumindest räumlich von Arthur getrennt war, nicht unglücklich. Das hätte mir den Rest gegeben. Er kletterte die Treppen des Hochbetts herunter und drückte sich vorbei am wartenden Arthur auf den Weg in das Gemeinschaftsbad.

    Stunden später fand sich Dominik im Gemeinschaftsraum des FineHostels wieder. Das Training lag hinter ihm, und der anstehende Nachmittag stand dem Team zur freien Verfügung. Nachdem das Training der vergangenen Tage hauptsächlich aus Technik bestanden hatte, lag der Fokus der heutigen Einheit auf Crossfit für die allgemeine Fitness. So hatten er und seine Teamkollegen über Hürden springen, Liegestütze machen oder sprinten müssen. Für Dominik war das kein Problem, denn Bewegung und Sport gehörten in sein Leben wie die Luft zum Atmen. Er liebte es, sich zu verausgaben und sich dann mit einer eiskalten Dusche zu belohnen.

    Seine rotblonden Haare waren noch nicht ganz trocken, als er sich neben zwei Teamkollegen niederließ.

    „Und, was ist der Plan?", fragte er neugierig. Paul schaute von seinem Smartphone hoch.

    „Wir könnten mit dem Van zum Gullfoss fahren. Das ist ein Wasserfall, den wir in etwa eineinhalb Stunden erreichen würden. Ansonsten gibt es in der Nähe noch andere Wasserfälle wie den Seljalandsfoss, den Skógafoss oder den Gljúfrabúi…"

    „Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass ihr den typischen Touristenkram machen wollt", ertönte René hinter Dominik und pflanzte sich auf den Stuhl neben ihn.

    Dominik stöhnte leise.

    „Mit dir redet niemand", gab Paul trocken zurück.

    „Ich meine ja nur … Hier gibt es einige wilde Trekkingrouten, da würden wir auf viel weniger Menschen treffen", erklärte René.

    „Willst du uns etwa still und heimlich umlegen oder warum stehst du auf Orte fernab

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