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Wenn sie wüssten...: Der Nachfolger
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eBook343 Seiten4 Stunden

Wenn sie wüssten...: Der Nachfolger

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Über dieses E-Book

17 Jahre sind vergangen seit dem grausamen Ereignis, das Avery widerfahren ist. Allein und sorglos lebt sie nun in ihrer eigenen Wohnung ein normales Leben, als wäre nie etwas in der Art geschehen. Als sie in einer Bar ihren zukünftigen Mann Xavier kennenlernt, weiß sie nicht, welche Rolle dieser von da an in ihrem Leben spielen wird. Die beiden kommen zusammen und bringen eine Tochter zur Welt. Doch neben der sowieso großen Belastung durch das Mutter sein, plagen Avery nun noch andere Sorgen. Was wäre, wenn ihrer Tochter Ähnliches wie ihr widerfahren würde? Geblendet von Angst und Unruhe, merkt Avery aber nicht, dass sie sich längst wieder in einem unausweichlichen Albtraum befindet, der sich auch in diesem Fall wieder einmal die Realität nennt...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum29. Jan. 2024
ISBN9783758343407
Wenn sie wüssten...: Der Nachfolger
Autor

Lucille Krämer

Lucille Krämer ist Jahrgang 2008 und bringt bereits ihr zweites Buch auf den Markt. Sie hat sich schon früh für das Schreiben interessiert. Lucille ist Schülerin und hat sich spannenden Büchern verschrieben.

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    Buchvorschau

    Wenn sie wüssten... - Lucille Krämer

    Für Emma,

    Danke, dass du mir immer eine Kerze anzündest, wenn ich das Gefühl habe, dass es dunkel wird.

    !!Triggerwarnung!!

    In diesem Buch geht es unter anderem um selbstverletzendes Verhalten, Posttraumatische Belastungsstörung, Übergriffigkeit und Suizidgedanken. Wer sich davon getriggert fühlt, dem wird davon abgeraten, weiterzulesen

    Playlist

    No Doubt – Don’t speak

    John Legend – All of me

    Emma (Original: Eminem) – Mockingbird

    Linking Park – In the End

    Adele – Hello

    Evanescence – Haunted

    Michael Jackson – You are not alone

    George Ezra – Hold my girl

    Evanescence – Hi-lo

    Katy Perry – I kissed a girl

    Ed Sheeran – Perfect

    Bo Bornham – 1985

    Billie Eilish – Lovely

    Seether/Amy Lee – Broken

    Billie Eilish – Everything I wanted

    Passenger – Let her go

    Abba – Dancing Queen

    Die Ärzte – Mach die Augen zu

    NF – Hope

    Coldplay – Hymn for the weekend

    Michael Jackson – Heal the world

    Cascada (Original: Maggie Reilly) – Everytime we touch

    Whitney Houston – I will always love you (The Bodyguard)

    Love isn’t soft, like those poets say. Love has teeth which bite and the wounds never close.

    ~ Stephen King

    Inhaltsverzeichnis

    Teil 1

    17 Jahre später

    Der Liebesfilm

    Der bekannte Fremde

    Eine alte Freundin

    Notizen aus vergangenen Zeiten

    Linea

    Wahrheit oder Pflicht

    Das erste Date

    Familientreffen

    Teil 2

    Geburtstagsplanung

    Eine besondere Neuigkeit

    Runa

    Aller Anfang ist schwer

    Fragen und Antworten

    Sorgen

    Der erste Schultag

    Engel

    Unerfreuliche Nachrichten

    Teil 3

    Alptraum

    Ein alter Bekannter

    Ein neues Opfer

    Elend

    Der neue Lehrer

    Eine kleine Reise in die Vergangenheit

    Ein kleiner Urlaub

    Ein verschollener Großvater

    Die Hütte in den Bergen

    Teil 4

    Verliebt?

    Mit der Wahrheit ins Verderben

    Zwischen Wahrheit und Lüge

    Verzeihlich oder Unverzeihlich?

    Ein Traum

    Absturz

    Rettung

    Liebe über Angst

    Überlebenskampf im Kopf

    Hilfe

    Das letzte Treffen der Feinde

    Die Frage der Fragen

    „Glücklicher als jemals zuvor"

    Danksagung

    TEIL 1

    17 JAHRE SPÄTER

    Der Morgen war kalt und neblig. Die geisterhaften Nebelschleier zogen sich durch die Stadt und versetzten sicherlich das ein oder andere Kind in Angst und Schrecken.

    Die Straßen waren leer, kaum jemand war zu dieser frühen Stunde schon unterwegs. Nur eine kleine Gestalt lief über die unbefahrenen Straßen. Es war eine junge Frau auf dem Weg zur Arbeit. Frierend zog sie die Kapuze tiefer ins Gesicht und versuchte, ihre rot angelaufene Nase zu wärmen.

    Obwohl die Stadt klein war, dauerte der Weg zum Bahnhof fast zwanzig Minuten. Ihre Finger spürte sie schon lange nicht mehr.

    Am Bahnhof waren mehr Menschen. Fast wie Zombies liefen sie herum, wohl alle in der Hoffnung, dass niemand sie in dieser frühen Morgenstunde ansprechen würde. Die Frau setzte sich schweigend auf eine freie Bank, so lange, bis ihre Bahn kam. Die Fahrt dauerte knapp eine halbe Stunde.

    In der Bahn war es zum Glück wärmer. Sie setzte sich auf einen der ausklappbaren Plätze und schaute schweigend aus dem Fenster, bis sie losfuhren. Nach zwei Haltestellen stiegen zwei Männer ein und setzten sich ihr gegenüber. Der eine trug leicht gewellte blonde Haare, während der andere eine Glatze hatte.

    „Hey, guten Morgen!", rief er erfreut, als er sie sah.

    „Morgen", schmunzelte sie.

    „Wie geht’s dir?"

    „Gut, und euch?"

    Die beiden grinsten sich an. „Gut. Ist nur kalt draußen."

    Die Frau lachte. „Ist mir noch gar nicht aufgefallen."

    Es dauerte drei weitere Stationen, bis sich zwei weitere Männer zu ihnen gesellten. Die fünf waren, seit sie sich ein bisschen besser kennengelernt hatten, so gut wie jeden Tag gemeinsam zur Arbeit gefahren. Sie alle kamen aus verschiedenen Orten und arbeiteten auch nicht zusammen, aber der gemeinsame Arbeitsweg war schon genug gewesen, um eine ziemlich gute Freundschaft zu schaffen.

    „Wie war euer Wochenende?", frage die Frau in die Runde.

    „Ganz gut so weit. Ich war mit meiner Freundin unterwegs", antwortete der Blonde.

    Du hast eine Freundin?, stichelte sein Sitznachbar, einer der beiden, die sich eben zu ihnen gesetzt hatten. Er war ein schlanker Mann mit auffälligen dunklen Augen. „Ja, da staunst du, was?, lachte der andere. „Wie hast du das denn geschafft?"

    „Es gibt eben gute Dating-Webseiten. Noch nie die Werbung dazu gesehen? Machen doch gerade alle."

    „Du meinst die Leute, die anders sowieso keine Chancen haben?" Für den Kommentar bekam der Dunkeläugige einen freundschaftlichen Klaps auf den Hinterkopf.

    „Was hast du denn gemacht?, wurde die Frau gefragt. Sie pustete nachdenklich die Wangen auf. „Ich habe meine Eltern besucht und mich von der Arbeit erholt. Die letzte Woche war hart. Der Kreis nickte verständnisvoll.

    Die Bahn hielt. Eine große Menge Fahrgäste stieg ein.

    „Bei der nächsten müssen wir drei aussteigen", sagte die Frau zu den vier. Zwei von ihnen nickten.

    Als die Bahn das nächste Mal hielt, standen die drei bereits an der Tür, und als sich diese öffnete, winkten sie den anderen beiden zum Abschied zu, bevor sie ihrer Wege gingen.

    Die Frau verabschiedete sich aber ebenfalls nach wenigen Metern, bevor sie ein graues und hohes Haus betrat. Das Jugendzentrum.

    Im achten Stock lag ihr Büro, und dort wurde sie auch schon freudig von ihrer Kollegin begrüßt. „Guten Morgen Avery! Schön dich zu sehen!"

    „Guten Morgen Sandy", antwortete Avery lächelnd.

    „Du siehst ein klein wenig kränklich aus, ist alles in Ordnung?"

    „Ja, ich brauche nur einen Kaffee. Montagmorgens dauert alles ein bisschen länger."

    Sandy lachte. „Verstehe, ich koch‘ dir einen, wenn du nichts dagegen hast."

    „Gerne."

    Während Sandy sich schon auf den Weg machte, um in dem kleinen Nebenraum, in dem eine luxuriöse Kaffeemaschine und Unmengen an Tee standen, den Kaffee vorzubereiten, bog Avery zwei Türen weiter links ab.

    Ihr Büro war dunkel, trotz der gigantischen Fenster, die ihr sonst einen wunderschönen Panoramablick auf die Stadt gaben. Die Wolken ließen jedoch nicht einen Sonnenstrahl hindurch, und man konnte die Kälte von draußen beinahe sehen. Die große Lampe an der Decke reichte aber, um das ganze Zimmer mit sanftem und gemütlichem Licht zu erleuchten.

    Avery setzte sich hinter ihren Schreibtisch und schaltete den Computer ein, während Sandy anklopfte und den heißen, schwarzen Kaffee auf den Beistelltisch stellte, der neben einem der Fenster stand, umringt von zwei gemütlichen, grünen Sesseln.

    „Vielen Dank."

    Averys Kollegin grinste. „Aber gerne doch. Seufzend ließ sie sich auf einen der Sessel fallen und verrührte den Zucker in ihrer eigenen Tasse mit einem Teelöffel. „Und?, fragte sie, „was gibt es Neues bei dir?"

    Avery stand auf und setzte sich zu ihr. „Bei mir nicht gerade viel.

    Bei dir?"

    Sandy grinste. „Ich fliege nächste Woche mit meinem Freund in die Karibik."

    Erstaunt hob ihre Kollegin die Brauen. „Stimmt, du hast erzählt, du hättest jemanden kennengelernt. Scheint ja gut zu laufen. Verschmitzt grinsend nippte sie an ihrem Kaffee. „Wo geht’s denn genau hin?

    „Wir fliegen nach Jamaika."

    „Oh, wie schön! Die Wasserfälle dort sollen wunderschön sein."

    Sandy nickte. „Ja, und mein Freund ist ein großer Fan von Bob Marley, generell von Reggae-Musik. Sie seufzte verträumt. „Ich hoffe, dass wir unserer Beziehung dort den nächsten Schritt geben können.

    Avery nickte. „Ich wünsch euch viel Spaß."

    „Wie läuft es denn bei dir beim Thema Liebe?", fragte ihre Kollegin lächelnd.

    „Oh, nichts Erwähnenswertes, wies Avery sie ab und nippte verlegen an der Tasse. „Nach wie vor Single.

    „Hast du immer noch niemanden kennengelernt?"

    Sie schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, ich bin kein Fan von großen Menschenmengen."

    „Aber irgendwo musst du doch mal jemanden kennenlernen, muss ja nicht an einem Ort sein, wo vielen Leute sind. Es gibt doch zum Beispiel solche Webseiten."

    Avery lächelte abwehrend. „Damit mich irgendwelche Fremden anschreiben, die sowieso nur an meinem Körper interessiert sind?

    Nein danke, um das zu haben, brauche ich keine Webseite."

    Sandy verdrehte die Augen. „Man hat es aber auch nicht leicht mit dir, murmelte sie, lächelte dabei aber freundlich. „Hast du denn gar nicht vor, dich mal an jemanden zu binden? Oder eine Familie zu gründen?

    „Schon… Aber warum soll ich mich denn damit beeilen?"

    „Nein, nein! Abwehrend hob Sandy die Hände. „Du musst dich mit gar nichts beeilen.

    „Weißt du, ich hatte bisher auch nur eine richtige Beziehung, und die hatte ich, bis ich siebzehn war. Ich hab‘ schon auch mal jemanden kennengelernt, aber mehr als kuscheln und küssen ist da dann nicht passiert, das zählt wohl nicht bei dir, oder?"

    Sandy verneinte. „Aber du kannst mir nicht erzählen, dass es nur an den Typen liegt, sagte sie und hob tadelnd die Braue. Avery drehte sich verlegen weg. „Mag sein, dass es eher an mir liegt.

    „Hör mal, du bist eine attraktive und freundliche junge Frau. Die Jungs müssen bei dir doch Schlange stehen. Vielleich musst du lernen, sie auch mal in dein Herz reinzulassen."

    Ihr Gegenüber seufzte. „Ich hab‘ nur Sorge, dass ich den Falschen reinlasse. Wie findest du denn raus, wer der Richtige ist?"

    „Ich bin nicht so wählerisch", grinste Sandy. Avery verdrehte die Augen.

    „Und ich lasse mich auch mal auf Neues ein", ergänzte sie.

    „Und wenn ich das nicht möchte? Wenn ich auf Anhieb und auf den ersten Blick erkennen will, ob jemand nett zu mir ist und mich gut behandelt?"

    „Es ist schwierig, das von Anfang an zu merken. Bei vielen denkst du, dass du endlich jemanden gefunden hast, dem du vertrauen kannst, und letzten Endes irrst du dich doch. Um jemanden zu finden, der es so ernst meint, brauchst du schon Glück."

    „Glück haben würde ich jetzt nicht unbedingt als meine Haupteigenschaft einstufen."

    Sandy lachte. „Ich bei mir doch auch nicht. Ich empfehle dir, triff dich vielleicht dreimal oder noch öfter, ohne ihm Hoffnung zu machen. Wenn du dann das Gefühl hast, er ist anständig zu dir, dann ist er auch der Richtige."

    Avery nickte. „Ja, das ist eine gute Idee. Vielen Dank."

    „Gerne. Aber ich denke, ich muss dich jetzt verlassen. Ich hab‘ noch so viel zu tun. Immer wieder schön, mit dir zu plaudern", sagte Sandy zum Abschied.

    „Kann ich nur zurückgeben. Vielleicht bis später."

    Sandy stand auf und verließ mit einem Winken das Büro.

    Seufzend stand auch Avery auf und setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch.

    Sandy war eine gute Freundin. Sie mochte sie wirklich sehr, aber mit ihrem Verständnis für gewissen Dinge hielt es sich leider etwas in Grenzen. Was ihr Avery allerdings nicht erzählt hatte, war der eigentliche Grund, warum sie niemanden fand.

    Oft schon hatte sie sich im Internet und in der Öffentlichkeit umgesehen und einige nett wirkende Leute kennengelernt, aber jedes Mal abgebrochen.

    Die typischen Sätze wie „Ich liebe nur dich oder „Ich würde dich niemals allein lassen machten ihr in gewisser Weise Angst.

    Es waren Worte, die nicht nur nach einer Lüge klangen, immerhin kannte sie diese Menschen oft für weniger als eine Woche, sondern auch einen Hauch von Überzeugungswillen und Besessenheit mit sich führten. Fast wie Fesseln fühlten sie sich an. Vielleicht empfand auch nur sie so. Bei den starken Vertrauensproblemen, die sie hatte, war das nicht auszuschließen.

    Seufzend gab sie das Kennwort in den Computer ein und verdrängte die Gedanken.

    Die Uhr auf ihrem Bildschirm sprang auf 15:00 Uhr.

    Erleichtert fuhr sie den Computer herunter, schnappte sich Jacke und Tasche und machte sich auf den Weg. Im Flur klopfte sie noch einmal kurz an Sandys Bürotür und rief ihr ein schnelles „Bis morgen!" zu.

    Draußen war es schon etwas wärmer als am Morgen. Der Wind war immer noch eiskalt, aber immerhin genügte die Jacke, um nicht zu frieren.

    Der Weg zum Bahnhof war kurz, aber die Bahn brauchte fast eine halbe Stunde. Immerhin keine Verspätung, dachte sie still. Die vier Männer, die morgens mit ihr fuhren, traf sie mittags so gut wie nie. Das musste wohl an den verschiedenen Arbeitszeiten liegen.

    Avery kramte die verknoteten Kopfhörer aus ihrer Umhängetasche und enthedderte die Kabel. Es wurde Zeit, sich endlich mal anzugewöhnen, sie ordentlich wegzupacken, aber immer, wenn sie Musik hörte, verlor sie sich so sehr in ihrer eigenen Welt, dass sie meistens sehr gestresst war, wenn es Zeit wurde, wieder in die Realität einzutauchen.

    Sie steckte den Stecker in ihr Handy und ließ die Musik laufen.

    Angespannt beobachtete sie die verschiedenen Leute, die an ihr vorbeiliefen. Einige schauten zurück, aber die meisten ignorierten sie.

    Manchmal hatte sie das Gefühl, dass die Musik und ihr wachsamer Blick die anderen davon abhielten, sie teilweise seltsam oder gar gierig, wie sie manchmal empfand, anzuschauen.

    Die Bahn fuhr ein.

    Ächzend erhob Avery sich. Das viele Sitzen hatte ihre Beine so erschöpft, dass es beinahe wehtat, sich zu bewegen. In der Bahn war es voll. Sie versuchte, sich durch die Menge zu drängen, aber der einzige freie Platz war an den Türen. Zumindest so frei, dass sie nicht restlos von den anderen Fahrgästen eingeklemmt wurde.

    Wie jedes Mal in solchen Situationen musste sie an früher denken. Noch heute war sie ihren Eltern dankbar, dass sie ihr die Privatsphäre und die Zeit gelassen hatten, um damals mit ihrer unglaublichen Panik vor Nähe und Berührungen klarzukommen.

    Fast ein Jahr war sie mit keinem öffentlichen Verkehrsmittel gefahren und hatte sich von Menschenmengen, so gut es ihr möglich war, ferngehalten, und dann endlich hatte es sich gebessert.

    Manchmal fragte sie sich, was sie wohl damals in einer Situation wie dieser gemacht hätte. Bei dem Gedanken musste sie grinsen und schloss die Augen. Nie wieder würde sie so etwas zulassen.

    Anstrengend war gar kein Wort für diese Phobie.

    Die Bahn fuhr nahtlos zu ihrer Station. Jetzt schien die Sonne und blendete sie. Sie kniff die Augen zusammen. Die Strahlen waren zu schwach, als dass es warm würde, aber die Helligkeit schmerzte in den Augen.

    Auf ihrem Heimweg lief sie an ihrer alten Schule vorbei. Die Schüler waren schon lange zu Hause und auch sonst war keine Lehrkraft oder jemand anderes zu sehen. Avery kannte niemanden hier außer ihrer alten Lehrerin Frau Ludwig, die noch immer hier arbeitete. Der Rest ihrer damaligen Lehrer war entweder in Rente oder nicht mehr an der Schule.

    Selten sah sie ihre Lehrerin, wenn sie an der Schule vorbeilief, aber sie schaute trotzdem jeden Tag, denn Frau Ludwig freute sich immer sehr, wenn sie sich trafen.

    Zu Hause steckte sie den Schlüssel ins Schloss, drehte, wartete, bis es klickte und betrat ihre Wohnung. Es erwartete sie niemand, kein Partner, kein Kind und auch kein Haustier. Manchmal war sie einsam, aber gleichzeitig genoss sie es, dass sie für nichts verantwortlich sein und sich um nichts sorgen musste außer um sich selbst.

    In der Wohnung war es warm. Am liebsten hätte Avery sich mit einem guten Buch einfach auf die Couch gesetzt und nichts mehr getan, aber dafür gab es noch zu viel zu tun. Das Bad musste noch geputzt werden, sie musste noch kochen und – bei dem Gedanken biss sie sich auf die Unterlippe – die Wäsche musste noch in den Keller gebracht werden.

    Es gab wahrscheinlich keinen Ort, ihr fiel zumindest keiner ein, den sie mehr hasste als diesen. Dort unten war es kalt, es hallte und… es war stockfinster.

    Wenn es eine Sache gab, die ihr wirklich Angst machte, war es Dunkelheit.

    Das Gefühl, dass sie nicht sehen konnte, wohin sie ging und ob sie allein war oder nicht, machte sie wahnsinnig. Nicht nur einmal war dort unten die Tür durch einen Windhauch zugefallen und sie hatte urplötzlich im Dunkeln gestanden. Jedes Mal hatte sie sich vor Schreck fast die Lungen aus dem Hals geschrien, und schon zweimal hatten Nachbarn, die gerade ebenfalls dort unten gewesen waren, sie darauf angesprochen.

    Egal, das wird schon. Ich knipse das Licht an, gehe in den Waschkeller, schmeiße die Wäsche in die Maschine und fertig.

    Seufzend schnappte sie sich den Wäschekorb und ging wieder aus der Tür.

    Die steinerne Wendeltreppe, die vom Hausflur in den Keller führte, machte das Ganze auch nicht gerade einfacher.

    Unten befand sich noch eine Tür, welche in den gefürchteten, langen Gang führte, in dem auch der Waschkeller lag. Der Gang hatte leider die Eigenschaft, dass man nie beide Enden sehen konnte. Wenn das Licht an der einen Ecke an war, war es auf der anderen Seite aus. Avery atmete noch einmal tief durch und schloss dann die Tür auf.

    Der schwere und typische Geruch durchströmte ihre Nase. Es roch ein bisschen nach Erde und frischem Beton, nach Keller. Vor ihr erstreckten sich die finsteren und gähnend leeren Flure. Ängstlich tastete sie neben sich, bis sie den kleinen Schalter fand, mit dem in dem Teil des Flures, in dem sie stand, die grellen Neonröhren aufblitzten. Sie schloss die Augen. Es ist nur ein Keller, ein gewöhnlicher Keller. So schnell sie konnte, huschte sie um die nächste Ecke und betrat den hellen Waschkeller.

    Hier war es wärmer, und der vertraute Duft von Waschmittel und frisch gewaschener Wäsche beruhigte sie. Noch während sie das Pulver in die Waschmittelschublade gab, hörte sie aber die Tür wieder ins Schloss fallen. Ängstlich drehte sie sich um. War da jemand im Flur? Ja, sie hörte eindeutig Schritte, und zwar direkt auf sie zukommen. Aber es war nur ihr Nachbar. „Oh, was für eine Überraschung, grinste er. „Dich sieht man hier selten.

    Verlegen drehte sie sich von ihm weg. „Ja, die Wäsche hat sich leider immer noch nicht selbstständig gemacht."

    Er grinste. „Ja, stimmt wohl."

    Ihn hier unten zu treffen, war ihr immer wieder aufs Neue unangenehm. Dass sie sich einmal fast heulend zu Tode erschreckt hatte, als das Licht ausgegangen war, hatte er sie nie vergessen lassen.

    „Und wie geht‘s dir?", fragte er, während er die nasse Wäsche aus der Maschine auf die Leine aufhängte.

    „Ganz gut so weit, antwortete sie und widmete sich wieder ihrem Waschmittel. „Und dir?

    „Auch. Ich muss gleich die Glühbirne in unserer Küche wechseln. Nicht dass sich meine Frau erschreckt, wenn plötzlich das Licht ausgeht."

    Genervt schaute sie ihn an. „Wirklich witzig."

    „Schön, dass du das auch so siehst."

    „Das war sarkastisch gemeint."

    „Ich weiß."

    Sie drehte sich weg und kümmerte sich weiter um ihre Maschine.

    „Komm schon, du musst doch zugeben, dass das ein bisschen lustig ist. Ich meine, du bist eine erwachsene Frau und fängst an zu heulen, wenn das Licht ausgeht."

    „Am lustigsten ist der Spaß eben meistens, wenn er einseitig ist.

    Ich finde das nicht so lustig, und ausgesucht habe ich mir das auch nicht. Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht Gründe habe?"

    „Spielverderber."

    Avery verdrehte die Augen und schnappte sich den Wäschekorb.

    „Immer wieder schön, mit dir zu reden", sagte sie zum Abschied bissig und knallte die Tür hinter sich zu.

    Der dunkle Gang versetzte sie zwar augenblicklich wieder in Panik, aber immerhin war sie von diesem Idioten weg. So schnell sie konnte, hastete sie zur Kellertür, stieß sie auf und verließ die verschluckende Dunkelheit mit eiligen Schritten.

    DER LIEBESFILM

    Als der Wecker klingelte, hatte Avery das Gefühl, kaum geschlafen zu haben. Fragen des Tages hatten sie wachgehalten, und dass sie bis spät in die Nacht noch einen Film schauen musste, hatte ihren Schlafrhythmus auch nicht unbedingt verbessert.

    Der Wecker sprang von der Snoozetaste wieder um und piepste erneut. „Ja! Ist ja gut!" Müde und genervt quälte sie sich aus dem Bett und schlurfte ins Bad, nur um sich dort für mehrere Minuten auf das Waschbecken zu lehnen. Erst als sie irgendwann nicht mehr das Gefühl hatte, von dem grellen Badlicht zu erblinden, griff sie nach der Zahnbürste und putzte sich gedankenverloren die Zähne.

    Draußen war es immer noch dunkel, als wäre es mitten in der Nacht!, fluchte sie im Stillen. Sie lief in die Küche, kochte sich einen schnellen Kaffee und ging danach heiß duschen. Das Wasser weckte sie etwas mehr auf, und langsam begann sie sich auch wieder wie ein Mensch zu fühlen und nicht wie ein Zombie.

    Zuletzt föhnte sie sich die Haare, ignorierte ihre Augenringe, zog sich an und machte sich samt ihrer geliebten Umhängetasche auf den Weg.

    Es war schon etwas wärmer als am vorherigen Tag. Dennoch fror sie stark und verfluchte sich selbst, dass sie sich keine wärmeren Sachen angezogen hatte. Erst als sie komplett durchgefroren in der Bahn saß, taute sie wieder ein bisschen auf.

    Auch heute, als die Bahn zwei Stationen gefahren war, stieg einer der bekannten Männer ein, allerdings nur der Blonde.

    „Guten Morgen!, rief er erfreut, als er sich zu ihr setzte. „Guten Morgen, wo ist denn dein Kollege?, fragte Avery.

    „Mein Kollege?"

    „Der Mann, mit dem du sonst auch immer einsteigst."

    „Ach so! Du meinst Bryson?"

    Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn er so heißt, ja."

    Der andere lachte. „Ja er heißt Bryson. Ich weiß nicht, wo er ist.

    Er war schon am Bahnhof nicht da."

    „Hast du eine Idee, wo er sein könnte?"

    „Womöglich ist er krank."

    Sie nickte. „Ja, das wird es wohl sein."

    „Woran hast du denn gedacht? Er grinste. „Ihm wird schon nichts passiert sein.

    „Du wirst schon recht haben."

    „Denkst du das wirklich? Dass ihm was passiert ist?"

    „Ich habe gelernt, dass es nicht gut ist, sich immer auf das Sorglose im Leben zu verlassen. Können wir bitte das Thema wechseln?"

    Der Mann zuckte mit den Schultern. „Wie du willst. Über was möchtest du dich denn unterhalten?"

    „Weiß ich nicht. Ich bin heute nicht so in Plauderlaune", antwortete sie leise.

    „Wir können auch einfach schweigen, wenn dir das lieber ist."

    Sie nickte.

    Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und schaute wortlos aus dem Fenster. Bei Avery setzte sofort wieder das schlechte Gewissen ein. Hatte sie zu harsch reagiert? Über jede Konversation, die etwas hitziger verlief, dachte sie

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