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Den Raum halten: Handbuch für das Unterrichten von Achtsamkeit
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Den Raum halten: Handbuch für das Unterrichten von Achtsamkeit
eBook473 Seiten5 Stunden

Den Raum halten: Handbuch für das Unterrichten von Achtsamkeit

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Über dieses E-Book

Achtsamkeit zu lehren heißt' Achtsamkeit zu verkörpern
Dieses Handbuch versammelt alle wichtigen Ressourcen, die Sie brauchen, um kompetent Achtsamkeitskurse zu unterrichten.

Diese systematische und praktische Anleitung hilft Ihnen, die drei wesentlichen Fähigkeiten zur Vermittlung von Achtsamkeit zu erlernen:

Achtsamkeitsübungen sicher anzuleiten,
die Erfahrungen beim Üben zu erforschen und
Wissen lebendig und interaktiv zu vermitteln.
Sie erfahren theoretische Hintergründe und erhalten Beispiele, Merklisten sowie zahlreiche praktische Anregungen. Der Fokus liegt dabei darauf, Optionen aufzuzeigen, die Sie dabei unterstützen, Ihren eigenen Unterrichtsstil zu entwickeln.
SpracheDeutsch
HerausgeberArbor Verlag
Erscheinungsdatum26. Jan. 2024
ISBN9783867813143
Den Raum halten: Handbuch für das Unterrichten von Achtsamkeit

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    Buchvorschau

    Den Raum halten - Rob Brandsma

    Wie Menschen im Achtsamkeitstraining lernen

    Bevor ich meinem Leben sagen kann, was ich mit ihm anfangen will, muss ich meinem Leben lauschen, wer ich bin.

    Parker J. Palmer

    In einer Zeit des drastischen Wandels sind es die Lernenden, die die Zukunft erben. Die Gelehrten finden sich in der Regel ausgerüstet für das Leben in einer Welt, die es nicht mehr gibt.

    Eric Hoffer

    In einem asiatischen Kloster setzt man sich um vier Uhr morgens zur Meditation hin und bleibt dran – eine Stunde, eine Woche oder ein Leben lang. Im Gegensatz dazu geht es beim Achtsamkeitstraining im Westen in der Regel auch darum, ein Umfeld für systematisches Lernen zu schaffen. Ein Trainingskurs könnte als westliches Konzept aufgefasst werden: ein begrenzter Prozess, in dem bestimmte Lernerfahrungen so weit wie möglich begünstigt werden, in der Hoffnung, dass dies zu Einsicht und Veränderung führt.[5]

    Die Praxis in ein westliches Kursformat zu verpacken, als er die Achtsamkeit in den Westen brachte, ist eines der wichtigsten Verdienste von Jon Kabat-Zinn.[6]

    Die Entwicklung von Einsicht durch die Praxis bleibt zwar das zentrale Element, doch hat er dem eine spezifische Struktur und ergänzende Vermittlungsmethoden wie das Inquiry und die explizite Wissensvermittlung hinzugefügt.

    Um auf die pragmatische Grundlage des Achtsamkeitstrainings im Westen zurückzukommen, stellt sich also die Frage, wie man die Vermittlung des Lernstoffs am besten gestaltet. Schon hier stoßen wir auf Schwierigkeiten, denn »Lernstoff« ist im Zusammenhang mit einem Achtsamkeitstraining kein passender Begriff. Beim Achtsamkeitstraining geht es darum, sich öfter seiner selbst und des Augenblicks bewusst zu sein. Hier ist der Lernmoment ein Moment des »Aufwachens«. Es ist ein Moment des klaren Sehens, der Einsicht und der Öffnung für ein tieferes Wissen, verbunden mit der Fähigkeit, diese Erfahrung zu integrieren. Im Bereich der Achtsamkeit dreht sich eine wirksame Vermittlung daher auch um die Eigenschaften der Lernenden. Im ersten Kapitel schauen wir uns diese genauer an. Im zweiten Kapitel befasse ich mich dann mit dem Setting und der Schaffung eines Umfelds, das den Lernenden die besten Möglichkeiten bietet, Erkenntnisse zu gewinnen, bevor ich mich in den Kapiteln 3 bis 5 spezifischen Vermittlungsmethoden zuwende.

    Wechselwirkungen zwischen persönlichen Eigenschaften, dem Setting und Vermittlungsmethoden

    Jeder Mensch kommt mit seinen persönlichen und höchst individuellen Eigenschaften zum Achtsamkeitstraining. Diese Eigenschaften umfassen auch den Lernstil, den Lernfokus, den individuellen Lernzugang und die momentane Aufnahmefähigkeit einer Person. Sie stehen mit dem Setting und den Vermittlungsmethoden in einer dynamischen, wechselseitigen Beziehung, wobei jeder Faktor die anderen beeinflusst und von ihnen beeinflusst wird.[7]

    So passt sich etwa ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin dem Setting an, das Setting wird im Gegenzug aber auch von ihm oder ihr beeinflusst. Die Vermittlungsmethoden wiederum werden vom Setting gestützt, ­wirken sich aber auch auf dieses aus, und so weiter. Das ­dynamische Zusammenspiel zwischen persönlichen Eigenschaften, Setting und Methode ist in Abbildung 2 dargestellt.

    Abbildung 2

    Abb. 2: Die dynamische Beziehung zwischen persönlichen Eigenschaften, Setting und Methode, die dem Lernmoment im Achtsamkeitstraining seine Form gibt

    Sie mögen sich fragen, wo in dieser Abbildung der oder die Lehrende ist. Natürlich ist es die Aufgabe der Lehrperson, die Vermittlungsmethoden auszuwählen und anzuwenden. Sie führt die Vorgespräche, bevor die Gruppe beginnt, und beeinflusst damit das Lernumfeld. Zusätzlich organisiert sie die räumliche Umgebung und ist selbst das entscheidende Element für die Qualität des Umfelds, vor allem durch den kaum greifbaren Faktor der Verkörperung. Und schließlich, wie im nächsten Abschnitt dargelegt, muss der oder die Lehrende die persönlichen Eigenschaften der Gruppenmitglieder miteinbeziehen und sowohl den Inhalt als auch den Lehrstil dementsprechend anpassen. Der Grund, warum ich die Lehrperson in dieser Grafik ausgespart habe, ist einfach folgender: Die Lehrperson ist überall.

    Persönliche Eigenschaften

    Das Setting und die Methoden werden, wie schon erwähnt, in späteren Kapiteln behandelt. Hier wenden wir uns zunächst den persönlichen Eigenschaften der Teilnehmenden zu. Angesichts der Wechselbeziehung der Faktoren, wie sie im vorangegangenen Modell des Lernmoments dargestellt sind, werden wir nicht in der Lage sein, alle Teilnehmenden mit derselben Methode und demselben Setting gleichermaßen wirksam zu erreichen. Wir müssen die individuellen Unterschiede der Teilnehmenden berücksichtigen und überlegen, wie wir auf diese Unterschiede eingehen können.

    Die persönlichen Eigenschaften sind das, was jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer zum Achtsamkeitstraining mitbringt. Und wie wir gesehen haben, üben diese Eigenschaften einen Einfluss auf andere Faktoren des Lernmoments aus. Aus der Sicht der Lehrenden sind diese persönlichen Eigenschaften die Aspekte, die sich am wenigsten beeinflussen lassen. Sie sind in der Regel auch am wenigsten veränderbar. Die ­persönlichen Eigenschaften eines Menschen sind das Ergebnis eines komplexen ­Formungsprozesses durch Gene, Kultur, Geschichte und, je nach Glaubenssystem, durch Zufall, Schicksal oder vielleicht sogar Karma.

    Das hochgradig idiosynkratische Geist-Körper-System einer Teilnehmerin oder eines Teilnehmers bestimmt die Muster, mit denen die Person dem Augenblick begegnet, und die Filter, durch die sie Erfahrungen wahrnimmt. Es entscheidet damit, welche Aspekte dieser Erfahrung in den Vordergrund treten, und welche nicht. Wenn die Person sich neuen Erfahrungen gegenübersieht, bestimmt ihre Persönlichkeit auch den Lernstil. All dies spielt eine Rolle für die Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments und die Offenheit für den Lernprozess.

    Die Tatsache, dass diese Eigenschaften so individuell sind, bedeutet, dass das Achtsamkeitstraining für jeden Menschen eine einzigartige Reise sein wird. Trotzdem (und das mag ein wenig respektlos klingen) werde ich diesen individuellen Eigenschaften später im Buch keine große Aufmerksamkeit schenken. Schlicht aus dem Grund, weil sie weitgehend gegeben und schwer zu ändern sind. Da sie dennoch Einfluss auf den Lernprozess haben, sollen vier entscheidende Qualitäten in diesem Kapitel beleuchtet werden: der persönliche Zugang zum Lernen, der Lernstil, der Lernfokus und die Offenheit für den Augenblick.

    Der persönliche Zugang zum Lernen

    Wir müssen nicht an Karma glauben, um anzuerkennen, dass Erfahrungen aus der Vergangenheit zum Teil darüber bestimmen, wer wir heute sind. Glück, Trauer, Traumata, Familiendynamiken, Krankheiten und viele andere Erfahrungen prägen unsere Vorlieben und Abneigungen. Sie haben auch Einfluss darauf, warum Einsicht für eine bestimmte Person eher leicht oder eher schwer zu erlangen ist. Auch die seelische ­Veranlagung ist ein entscheidender Faktor dafür. Manche Menschen neigen von Natur aus eher zu Schwermut, Ruhelosigkeit oder Verträumtheit als andere.

    Bis zu einem gewissen Grad bestimmen die persönliche Geschichte und die allgemeine Veranlagung die Hürden und Hindernisse, denen die Gruppenmitglieder während ihres Lernprozesses begegnen. Dies widerfährt allen, und es ist nicht vorhersehbar, welche Hindernisse wann auftauchen, oder wie herausfordernd sie sein werden. Das ist ein Teil dessen, was Achtsamkeitstraining zu einer Entdeckungsreise macht.

    Als Lehrende ist es unsere Aufgabe, Vertrauen in den Prozess und in die Fähigkeit zur Selbstheilung auszustrahlen, wann immer die Teilnehmenden seufzen, dass ihre Fortschritte im Vergleich zu denen der anderen so gering erscheinen. Solange Teilnehmende genügend Engagement mitbringen, werden die Themen oder Hindernisse, die für sie auftauchen, die richtigen sein, eben weil sie auftauchen. Einsicht entwickelt sich in ihrem eigenen Tempo, unabhängig von den Erwartungen des Geistes. Da es sich um einen selbstregulierenden Prozess handelt, wird der Lernweg jeder Teilnehmerin und jedes Teilnehmers schließlich zu mehr Achtsamkeit führen. Wie lang dieser Weg ist, wie stark er sich windet, und wie viel davon bergauf oder bergab verläuft, lässt sich einfach nicht vorhersagen.

    Lernstil

    Unter Lernstil versteht man die Art und Weise, wie ein Mensch bevorzugt lernt. Das Wort »Stil« deutet bereits darauf hin, dass es sich um etwas Persönliches handelt, um eine Eigenschaft, die von Mensch zu Mensch verschieden ist. Ein typischer Lernstil ist zum Beispiel der des Theoretikers oder der Theoretikerin. Eine Theoretikerin will in der Regel wissen, welcher Gedanke hinter einer Übung steckt, bevor sie sich darauf einlässt.

    In den frühen 1970er-Jahren entwickelte der US-amerikanische Pädagoge David Kolb eine Lerntheorie, die später von Peter Honey und Alan Mumford (1982) zu vier Lernstilen oder -präferenzen ausgearbeitet wurde, die ich hier zusammenfasse. Bei diesen Stilen geht es mir nicht darum, Menschen in Schubladen zu stecken, sondern vielmehr zu verdeutlichen, wie unterschiedlich verschiedene Personen auf ein und dieselbe Lernumgebung und Vermittlungsmethode reagieren. Das hat zur Folge, dass Menschen unterschiedliche Vorlieben für bestimmte Teile des Lernprozesses haben werden. Als Lehrende können wir uns dazu entscheiden, auf diese Vorlieben einzugehen, um den Teilnehmenden den Zugang zu erleichtern. Natürlich müssen wir dabei immer ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Einzelnen und denen der Gruppe finden (auf dieses Thema komme ich am Ende des Kapitels zurück). Wenn wir es mit einer Theoretikerin zu tun haben, könnten wir zum Beispiel eine Übung erklären, bevor wir sie durchführen. Das würde zwar von der typischen Vorgehensweise, die Erfahrung erst anzubieten und dann zu besprechen, abweichen, kann aber dazu beitragen, dass die Theoretikerin sich auf die Übung einlässt.

    Hier die vier primären Lernstile, wie sie Honey und Mumford skizziert haben: der aktivistische, der reflektierende, der theoretische und der pragmatische. Wenn der Eindruck entsteht, dass die Beschreibungen eher auf die problematischeren Aspekte jedes Lernstils ausgerichtet sind, so liegt das daran, dass es genau diese Herausforderungen sind, auf die wir als Lehrende achten und mit denen wir umgehen müssen.

    Der aktivistische Lernstil

    Aktivistisch Lernende zeichnen sich dadurch aus, dass sie gegenwarts­bezogen und aktiv sind. Ihre Stärke ist ihre Fähigkeit, greifbare Erfahrungen zu machen. Sie sind praktisch veranlagt und experimentieren gern, und wenn eine Aufgabe erledigt ist, stürzen sie sich sofort in die nächste. Aktivistisch Lernenden fällt es schwer, einen Schritt zurückzutreten, innezuhalten und sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen, um Zusammenhänge und Muster zu erkennen. Sie brauchen eine ausdrückliche Aufforderung in diese Richtung. Eine Polizistin oder ein Polizist verkörpert oft so einen aktivistischen Ansatz – immer von einem ­Vorfall zum nächsten eilend, in die konkrete Situation vertieft, ohne sich auf die zugrunde liegenden Ursachen und Muster zu konzentrieren (und vielleicht auch ohne dazu in der Lage zu sein).

    Der reflektierende Lernstil

    Reflektierend Lernende zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Dinge sachlich betrachten und darüber nachdenken. Sie sind sehr gut im Beobachten von Erfahrungen – so gut, dass ihr Blick für Details zur Unfähigkeit führen kann, das große Ganze zu sehen. Genauigkeit in der Beobachtung ist reflektierend Lernenden heilig, während sie weniger daran interessiert sind, was sie aus ihren Beobachtungen machen könnten. Sie sind wie Laboranten, die sich Zeit nehmen, um ihre Beobachtungen mit großer Präzision zu erstellen und zu perfektionieren. Sie brauchen Anleitung, um sich von den Details zu lösen und sich für das große Ganze zu öffnen.

    Der theoretische Lernstil

    Theoretisch Lernende zeichnen sich dadurch aus, dass sie logisch und analytisch denken können. Sie ziehen Interpretationen und Konzeptualisierungen den tatsächlichen Erfahrungen vor. Bevor sie ein Experiment oder eine Übung ausführen, wollen sie die Idee dahinter kennen. Sie neigen dazu, bereits zu analysieren und Schlussfolgerungen zu ziehen, bevor das Experiment abgeschlossen ist. Die Herausforderung für sie besteht darin, sich dem Experiment hinzugeben, ohne ihre Erfahrungen sofort zu konzeptualisieren. Eine Juristin, die versucht, Ereignisse in einen bestimmten (juristischen) Kontext einzupassen, liefert ein Beispiel für einen theoretischen Ansatz.

    Der pragmatische Lernstil

    Pragmatisch Lernende zeichnen sich dadurch aus, dass sie abstrakt denken können und dabei aktiv sind. Sie wollen so schnell wie möglich lernen, damit sie das Gelernte in die Praxis umsetzen können. Folglich neigen sie dazu, den Nutzen des Lernprozesses selbst nicht zu schätzen. Im Umgang mit pragmatisch Lernenden gilt es, ihren Enthusiasmus zu zügeln und sie aufzufordern, sich die Sache noch einmal anzusehen, bevor sie vorwärts preschen. Sie sagen oft Dinge wie »Ich bin nicht an Problemen interessiert, sondern an Lösungen« oder »Was bedeutet das für das nächste Mal?« Manager sind oft typische Pragmatiker.

    Lernfokus

    Mit dem persönlichen Lernstil eng verbunden sind unsere Gewohnheiten, also wie wir mit unseren Erfahrungen in Beziehung treten. Unsere Aufmerksamkeit folgt unseren natürlichen Interessen, aber sie hat kein freies Spiel. Im Lauf des Lebens entwickeln wir Gewohnheiten und Muster, auf welche Art und worauf wir uns konzentrieren. Manche Menschen konzentrieren sich eher auf Probleme, während es andere eher zu Lösungen hinzieht. Einige neigen zur Anstrengung, andere zur Entspannung. Manche sind sich der Unterschiede bewusster, während andere mehr auf Gemeinsamkeiten achten. Und manche richten ihr Augenmerk eher auf Farben, während andere mehr die Konturen wahrnehmen.

    Dieser persönliche Stil des Aufmerksamseins bestimmt den Fokus und damit auch, welche Aspekte einer Gesamterfahrung eine Person wahrnimmt. Wenn wir etwas fokussieren, hilft uns das, etwas Bestimmtes zu sehen, während es uns für anderes blind macht. Es ist ähnlich wie in dem bekannten Gleichnis von den drei Blinden, die einem Elefanten begegnen: Derjenige, der den Schwanz des Elefanten berührt, hält ihn für ein Stück Seil; diejenige, die eines der Beine umschlingt, hält ihn für einen Baum; und derjenige, der den Rüssel zu fassen bekommt, meint, er sei eine Schlange.

    Auf ähnliche Art haben Menschen persönliche Vorlieben in Bezug darauf, wie sie sich ihren Erfahrungen widmen. Das werden Sie wahrscheinlich bereits während des Bodyscans bemerken: Einige Teilnehmende folgen der Reise durch den Körper, indem sie Körperteile visualisieren; andere tun dies, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf Körperempfindungen lenken; und wieder andere lassen sich auf die Metapher des weiten Raumes ein, öffnen sich für ihre Erfahrung und umarmen sie mit ihrem Bewusstsein. Für einige sind visuelle Anleitungen effektiver, während andere eher davon profitieren, wenn andere Sinne angesprochen werden.

    Diese Fokussierung beim Lernen beruht auf Gewohnheit und ist oft mit der Persönlichkeit verbunden; daher ist sie in den meisten Fällen nur begrenzt flexibel. Auch hier ist es die Aufgabe der Lehrperson, ein Gleichgewicht zu finden, indem sie einerseits auf Einzelne eingeht und andererseits der Gruppe gerecht wird. In Bezug auf den Bodyscan kann dies zum Beispiel bedeuten, dass wir in der Anleitung zwischen visuellen, auditiven und propriozeptiven Orientierungen abwechseln.

    Aufnahmefähigkeit und Offenheit für den Augenblick

    Eine persönliche Eigenschaft, die anscheinend stärker beeinflusst werden kann, ist die gegenwärtige Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft. Das Setting (wie in Kapitel 2 beschrieben) kann viel dazu beitragen, eine Atmosphäre der Offenheit zu schaffen oder zu unterstützen, insbesondere wenn ein Gefühl von Sicherheit vermittelt wird. Letztendlich kann die Aufnahmefähigkeit alle vorangegangenen Faktoren aufheben, im Guten wie im Schlechten. Stellen Sie sich vor, Sie könnten einen Lernmoment anbieten, der perfekt auf eine einzelne Teilnehmerin zugeschnitten ist und sich deren Lernzugang, Lernstil und Fokus genau anpasst. Das wäre immer noch keine Erfolgsgarantie. Die betreffende Teilnehmerin könnte in diesem Moment geistig abwesend, von ihrem Sitznachbarn abgelenkt, oder mit ihren Gedanken noch bei einem Konflikt am Arbeitsplatz sein. Und selbst wenn die Teilnehmerin in diesem Moment geistig präsent wäre, würde sie vielleicht an Ihrer Autorität zweifeln oder hätte bereits so viele Informationen aufgenommen, dass sie nicht mehr aufnahmefähig wäre.

    All diese und weitere Faktoren bestimmen die Aufnahmefähigkeit der Teilnehmenden – mit anderen Worten, ihre Offenheit, Bereitschaft und Fähigkeit, in einem bestimmten Moment neue Informationen in sich aufzunehmen. Auf diese Weise ist die Fähigkeit und Bereitschaft, etwas aufzunehmen, vielleicht der flüchtigste aller Faktoren, die bestimmen, ob Einsichten entstehen, also ob »der Groschen fällt«.

    Die Balance zwischen individuellen Bedürfnissen und denen der Gruppe

    Individuelle Bedürfnisse lassen sich am besten durch einen maßgeschneiderten Ansatz erfüllen. Aber der ist nicht immer möglich, vor allem nicht in Gruppen. Die Aufgabe der Lehrenden besteht darin, gleichermaßen die Bedürfnissen der Einzelnen und die Bedürfnisse der gesamten Gruppe im Blick zu behalten. Auf dieses Thema werde ich im zweiten und im vierten Kapitel zurückkommen. An dieser Stelle möchte ich nur erwähnen, dass bestimmte Ansätze dabei helfen können, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen.

    So bietet beispielsweise ein Vorgespräch die Gelegenheit, Einzelne auf die Gruppenerfahrung vorzubereiten oder auch zu erkennen, dass eine Person für ein Gruppenprogramm nicht geeignet ist.[8]

    Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sich mit einer Teilnehmerin oder einem Teilnehmer außerhalb des Gruppenrahmens zu beschäftigen. (In Kapitel 4 werde ich näher erläutern, wie man individuell auf Teilnehmende zugehen kann.)

    Die Tatsache, dass es wenig Möglichkeiten gibt, das Achtsamkeitstraining in der Gruppe an die individuellen Bedürfnisse und Lernstile anzupassen, mag wie eine Einschränkung erscheinen. Der Mensch ist jedoch ein soziales Wesen, deshalb ist ein Gruppensetting in der Regel weitaus wirkungsvoller als ein individuelles Lernsetting, selbst wenn dieses genau auf die jeweilige Person zugeschnitten ist.

    Letztlich ist die wichtigste Voraussetzung für eine fruchtbare Lern­umgebung, dass die Teilnehmenden sich auf eine zu ihnen passende Weise gesehen, unterstützt und herausgefordert fühlen – und dafür bietet das Achtsamkeitstraining reichlich Raum. Außerdem kann es sich auch positiv auswirken, wenn die Bedürfnisse eines Gruppenmitglieds nicht vollständig erfüllt werden. Wo immer persönliche Eigenschaften mit der Trainingsmethode kollidieren, gibt es etwas zu lernen.

    Wenn man zu sehr versucht, den Bedürfnissen Einzelner gerecht zu werden, kann dies den Lernprozess sogar beeinträchtigen oder gefährden. Wenn Sie sich zu sehr für die Entwicklung einer Person verantwortlich fühlen und gleichzeitig keine klare Sicht auf diese Entwicklung haben, tendieren Sie womöglich dazu, zu früh einzugreifen.

    Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich eine Teilnehmerin ansprach, weil ich mir Sorgen machte. Sie war still, und ich fragte mich, ob sie sich in den Gruppenprozess eingebunden fühlte. Nachdem ich ihr gegenüber meine Besorgnis geäußert hatte, wirkte sie etwas verlegen, so als müsse sie sich für ihre natürliche Art der Teilnahme rechtfertigen. Sie erklärte: »Ich höre anderen gern zu. Ich erkenne viel von mir selbst in dem, was die Leute sagen, und daraus kann ich viel ziehen. Ich lerne eine Menge. Da ich festgestellt habe, dass alles, was ich erlebt habe, früher oder später sowieso zur Sprache kommt, habe ich nicht das Gefühl, etwas beitragen zu müssen. Ich rede den Tag über ohnehin schon so viel.«

    Wenn Sie eine Gruppe leiten, denken Sie vielleicht manchmal: Ich habe überhaupt keinen Einfluss darauf, ob sie es verstehen oder nicht. Das ist wahr. Ein Lernmoment ist das Resultat einer komplexen Dynamik, und das Ergebnis ist unvorhersehbar. Die Darstellung des Lernmoments in Abbildung 2 könnte Sie jedoch zu dem Gedanken verleiten: Dieser Ansatz hat eine Struktur. Wenn ich dieser Struktur folge, werde ich etwas erreichen. Auch das ist wahr. Wir können etwas über die Momente der Einsicht sagen – und wiederum auch nicht. Man kann einen Lernmoment strukturieren – und gleichzeitig ist er schwer fassbar.

    Es ist nützlich, eine Struktur, eine Vorlage oder eine Landkarte zu haben, an der Sie sich orientieren können. Das wird Ihnen helfen zu wissen, was Sie tun sollen und warum Sie es tun sollen. Es kann für Sie auch klären, wo Sie Ihre Fähigkeiten wirksam einsetzen können und welche Ergebnisse Ihre Bemühungen möglicherweise haben werden. Wie ein Geistesblitz zustande kommt, bleibt allerdings ein Geheimnis. Achtsamkeitslehrende sind immer wieder überrascht von den Momenten, in denen ein Teilnehmer oder einer Teilnehmerin eine Einsicht hat, und davon, wie unvorhersehbar diese Momente sind. Niemand kann ein Rezept dafür liefern. Es gibt keinen Plan, der Ihnen sagt, was Sie tun müssen, damit der Groschen fällt.

    Kapitel 2

    Eine fruchtbare Lernumgebung schaffen

    In der Welt der Maßeinheiten setzt man ein Ziel und verfolgt es. Im Universum der Möglichkeiten setzt man die Rahmenbedingungen und lässt das Leben sich entfalten.

    Rosamund Stone Zander und Benjamin Zander

    Und es kam der Tag, da das Risiko, in der Knospe zu verharren, schmerzlicher wurde als das Risiko zu blühen.

    Verfasser unbekannt

    Achtsamkeit lernen wir durch direkte Erfahrung. In gewissem Sinn lässt sich das mit dem spielerischen Lernen von Kindern vergleichen. Wenn wir dieses erfahrungsbezogene Vorgehen für Erwachsene beschreiben, dann benutzen wir natürlich eher Worte wie »Erforschen« oder »Experiment« als den Begriff des »Spielens«. Aber schauen wir uns an, wie Kinder etwas erkunden: Da ist einerseits die Spannung des Unbekannten und andererseits das Gefühl, dass die Erkundung sicher ist. Ein Elternteil – oder zur Not auch der Boden – stehen bereit, um das Kind aufzufangen. Wie dieses Beispiel zeigt, bietet ein fruchtbares Lernumfeld gleichzeitig den Anreiz, sich auf etwas Neues einzulassen, und das Gefühl, dass es in Ordnung ist, das zu tun.

    Lernen erfordert den geistigen Sein-Modus. Einige Eigenschaften dieses Sein-Modus sind Sicherheit, Ruhe, Nicht-Tun, Offenheit und Verbindungsfähigkeit. Der konditionierte, getriebene Tun-Modus unseres Geistes hemmt die offene und spielerische Haltung, die wir zum erfahrungsbasierten Lernen brauchen. Im Allgemeinen sind wir darauf getrimmt, Erfahrungen mit Gedanken zu begegnen, mit Ernsthaftigkeit, einer Vorstellung von Komplexität und einer Ergebnisorientierung. Ein fruchtbares Lernumfeld gleicht diese Konditionierung aus, indem es uns einlädt, präsent zu bleiben und uns auf den Prozess zu konzentrieren (statt auf das Ergebnis), zu spüren (statt zu denken) und Erfahrungen mit Unbeschwertheit und Einfachheit anzugehen. Diese Eigenschaften gehören zum Sein-Modus des Geistes.

    Das heißt jedoch nicht, dass alles von selbst geschieht und wir nie geistig rege sein müssen. Wenn ein Setting zu sicher ist, kann es passieren, dass wir einschlafen und potenzielle Augenblicke des Erwachens verpassen. Ein übermäßig erholsames Umfeld kann zu Trägheit führen. Wenn das Nicht-Tun überwiegt, bieten die Übungen uns nicht genug Anreiz, um uns neuen Erfahrungen zu öffnen. Grenzenlose Offenheit kann in uns Unklarheit, Unbestimmtheit, Ziellosigkeit und Laxheit ­hervorrufen und uns schließlich demoralisieren. Gut für uns selbst zu sorgen, bedeutet nicht, dass keine Disziplin nötig ist. Im Lernprozess des Achtsamkeitstrainings müssen wir als Lehrende zwar mit dem arbeiten, was der Moment bringt, wir müssen aber auch durch ein Trainingsprogramm führen. Und obwohl die zur Offenheit gehörende Haltung des Nicht-Wissens so wesentlich ist, dürfen wir trotzdem Wissen vermitteln, wenn dieses für den Lernprozess gerade förderlich ist.

    Um optimales Lernen zu ermöglichen, müssen also der geistige Sein-Modus und der geistige Tun-Modus miteinander verwoben sein. Der Sein-Modus bietet uns ein Feld, in dem wir uns öffnen können und uns sicher und entspannt fühlen, während uns der Tun-Modus hilft, uns auf die Herausforderungen des Lernprozesses einzulassen. Das Entscheidende ist das Gleichgewicht zwischen den

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