Begegnungen mit Ulrich Seidl
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Über dieses E-Book
Filmjournalist und Regisseur Matthias Greuling (DER BAUER ZU NATHAL) hat Seidl über viele Jahre seiner Karriere journalistisch begleitet. Seine Aufzeichnungen aus 20 Jahren, von Interviews über Filmkritiken und Berichte, verdichtet der Autor in diesem umfassenden und doch auf wesentliche Aspekte des Seidl'schen Schaffens fokussierten Kompendium eines filmkünstlerischen Schaffens der Sonderklasse.
Matthias Greuling
Matthias Greuling begann 1997 als freier Filmkritiker und Kulturredakteur bei der Wochenzeitung Die Furche, weitere Stationen führten ihn zwischen 1999 und 2006 über den Kurier zu den Salzburger Nachrichten bis zur Wiener Zeitung, wo er seit 2010 im Ressort Feuilleton als Filmjournalist und Filmkritiker tätig war, bis die Printausgabe der Zeitung Ende Juni 2023 eingestellt wurde. Im Jahr 2000 gründete Greuling das österreichische Filmmagazin celluloid, das im Rahmen des Kulturvereins Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films in Mödling publiziert wird. 2016 gründete Greuling seine Filmproduktionsfirma "Matthias Greuling Filmproduktion", die 2018 als erste Produktion den Kinodokumentarfilm Der Bauer zu Nathal: Kein Film über Thomas Bernhard veröffentlichte. Die von Matthias Greuling und David Baldinger mit Crowdfunding-Mitteln inszenierte Doku lief unter anderem bei der Diagonale 2019 und beim Bolzano Film Festival Bozen 2019 im Wettbewerb und wurde zwei Mal in ORF 2 ausgestrahlt. Der Film fand auch die Aufmerksamkeit der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft in Salzburg. Im Mai 2023 wurde Matthias Greuling zusammen mit der Redaktion der "Wiener Zeitung" mit dem Kurt-Vorhofer-Preis ausgezeichnet.
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Rezensionen für Begegnungen mit Ulrich Seidl
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Buchvorschau
Begegnungen mit Ulrich Seidl - Matthias Greuling
Meinen Lieben gewidmet
Inhaltsverzeichnis
VORWORT
„SPARTA": CHRONOLOGIE EINES SKANDALS
WAS WAR DA LOS, HERR SEIDL?
„RIMINI, DER BRUDERFILM VON „SPARTA
SEIDL UND DIE GROSSEN FRAGEN
IM KABINETT DER ABGRÜNDE
„IM KELLER": ABTAUCHEN IN DIE ÖSTERREICHISCHE SEELE
ULRICH SEIDL: IMMER FÜR EINE AUFREGUNG GUT
AUF „SAFARI" IN AFRIKA: ULRICH SEIDL UND DIE LUST AM TÖTEN
DIE „PARADIES"-TRILOGIE: SEIDL ZWISCHEN LIEBE, GLAUBE UND HOFFNUNG
ULRICH SEIDL SPRICHT IM VIDEOINTERVIEW
ULRICH SEIDL INTERVIEW PARADIES GLAUBE
„UNRUHE ZU STIFTEN, DAS IST MANCHMAL DIE AUFGABE EINES KÜNSTLERS"
HUNDSTAGE: DER FILM, DER ULRICH SEIDL IN EINE NEUE SPHÄRE KATAPULTIERTE
ULRICH SEIDL UND DAS HAUPTWERK, DAS NOCH KOMMT
FILMOGRAFIE ULRICH SEIDL
VORWORT
Dieses Buch ist ein Bedürfnis. Denn Ulrich Seidl ist in seiner komplexen Filmografie bislang niemals so sehr infrage gestellt worden, wie seit den Vorwürfen, die man gegen ihn bezüglich seines Films „Sparta erhoben hat. Kinder wären am Set schlecht behandelt worden, man habe ihren Bedürfnissen nicht entsprochen. Ein entsprechender „Spiegel
-Artikel im Herbst 2022 hat diese Vorwürfe ans Licht gebracht, und Ulrich Seidl hat alles in seiner Macht stehende versucht, um die Vorwürfe zu entkräften und den Schaden für seine Reputation so gering wie möglich zu halten.
Das hat mehr schlecht als recht funktioniert. Eine Skepsis bleibt, gegenüber einem vielgestaltigen Werk, dass doch vor allem die Ränder oder Grenzen auslotet. Seien es die exaltierten Menschen, die Seidl in „Hundstage begleitet hat, seien es die Tierliebhaber in „Tierische Liebe
, die Keller-Nazis in „Im Keller, die Models in „Models
, die Jäger in „Safari, die Sextouristinnen in „Paradies: Liebe
, die alten Menschen in „Import/ Export, die Seidl am Ende Karneval feiern lässt: All diese Figuren entstammen einem Universum an Ideen, das auch auf die Ränder blickt und nichts Gelacktes zeigen will. Seidl, der Filmkünstler, er ist nun, mit 70 Jahren, in einer neue Sphäre seiner Kunst angekommen. Er muss sie von nun an mit einer ungekannten Vehemenz verteidigen, das ist neu. Zwar wurde Seidl immer wieder angefeindet vom Feuilleton, von Kritikern und Moralaposteln, aber die Gegenwehr, die sich ihm nach Bekanntwerden der Vorwürfe rund um „Sparta
zeigte, ist eine neue Qualität in der Auseinadersetzung mit einem Werk voller schwieriger, provokanter Themen.
Dieses Buch beurteilt nicht, sondern will Lesestoff bieten in Hinblick auf die Rezeption von Seilds Filmen. In Interviews, in Kritiken und Beiträgen werden die wesentlichen Stationen in der Karriere von Ulrich Seidl aufgerollt, es ist gedacht als ein Zeitdokument, das den Werdegang eines der renommiertesten Filmemacher Österreichs nachzeichnet. Dabei ist wichtig: Es gibt, anders als bei anderen Autoren, die sich mit Ulrich Seidl beschäftigt haben, kein Naheverhältnis zum Künstler, sondern lediglich die journalistische Arbeit, über die ich den Regisseur mehr als zwei Jahrzehnte begleitet habe. Von Film zu Film, von Interview zu Interview. Ich habe Ulrich Seidl in meiner Eigenschaft als Filmjournalist seit dem Jahr 2001 sehr oft getroffen, Interviews und Hintergrundgespräche mit ihm geführt und bin der Überzeugung, dass seine filmischen Arbeiten in einer ganz eigenen Liga spielen: Darin geht es um das Menschsein im Allgemeinen und um die Spielformen des gesellschaftlichen Gefüges im Besonderen, je nachdem, wo Seidl seine Handlungen gerade ansetzt.
Meine Begegnungen mit Ulrich Seidl - seien es Interviews, Kritiken zu seinen Filmen oder Beiträge - sind in diesem Buch versammelt und kommentiert. Ich bin überzeugt davon, dass dieser Regisseur ganz und gar nicht einverstanden wäre mit der Form dieses Buches und seiner Ausprägung. Aber genau deshalb ist es erschienen, um den von Seidl versuchten Tenor der Unverfänglichkeit gegenüber seinem Werk zu enttarnen, und vor allem, weil die Hetzjagd gegen einen Künstler niemals so sein darf, wie sie sich im Falle der „Sparta"-Berichterstattung zugetragen hat. Betrachten Sie diesen Band also als eine Mischung aus der Entschlüsselung eines Künstlers, die dieser in Form von Interviews auch selbst betreibt, und aus Betrachtungen darüber, wie Kunst auch zur Provokation (genutzt) werden kann.
Meine Begegnungen mit Ulrich Seidl reichen zurück ins Jahr 2001, als er in Venedig Premiere feierte mit seinem ersten Spielfilm „Hundstage", und viele der folgenden Begegnungen betrafen alle seine seit damals entstandenen Filme; mal physisch bei Interviewterminen auf Festivals oder in seiner Wiener Produktionsfirma, mal filmische Begegnungen in Form von Filmkritiken und Kinobesuchen. Seidl, das soll man vorab wissen, hat mich immer willkommen geheißen in seinen Filmen, sie waren mir immer ein Freude und auch ein Bedürfnis. So wie nun dieses Buch darüber.
„SPARTA": CHRONOLOGIE EINES SKANDALS
Im September 2022 kam rund um die geplante Premiere von „Sparta ein „Spiegel
-Artikel an die Öffentlichkeit, in dem Ulrich Seidl mit schweren Vorwürfen konfrontiert wurde. Eine kommentierte Chronologie der Ereignisse.
In letzter Minute wurde Ulrich Seidls neuer Spielfilm „Sparta im September 2022 vom Filmfestival in Toronto ausgeladen, nachdem „Der Spiegel
massive Vorwürfe gegen den österreichischen Regisseur veröffentlicht hatte, die die Dreharbeiten zu „Sparta betrafen. Es stand im Raum, Seidl habe beim Dreh in Rumänien kindliche Laiendarsteller „offenbar ausgenutzt
und zu belastenden Szenen genötigt, die Eltern wären nicht vollumfänglich über den Inhalt des Films aufgeklärt worden. Toronto reichte die Weltpremiere durch die Absage somit an das Festival in San Sebastian weiter, wo der Film am 18. September 2022 seine Weltpremiere feierte. Man bewerte Festivalbeiträge ausschließlich nach ihrer Qualität, hieß es vom Festival. Und weiter: „Wenn jemand Beweise für ein Verbrechen hat, sollte er dies der Justiz melden. Nur ein Gerichtsbeschluss könnte dazu führen, dass wir eine geplante Vorführung aussetzen".
Aber wozu die ganze Aufregung? Es gibt im Werk von Ulrich Seidl bekanntlich viele anstößige Momente. Die Provokation, sie ist dem Schaffen dieses österreichischen Filmemachers immanent, und auch ist sie die Vorbedingung für das Glücken seiner Filme. Glücken im Sinne einer cinephilen Grenzerfahrung, die Seidl mal drastischer, mal milder ausfallen lässt. Von seinem Dokumentarfilm „Tierische Liebe (1995) über die wenig gustiösen Rituale von Tierhaltern und ihren Lieblingen mit deftigen Sodomie-Szenen, über „Hundstage
(2001), Seidls erstem fiktionalen Stoff, bis zu „Import Export" (2007) ist es für die Kritiker der bittere, sezierende Blick auf menschliche Abgründe, die Seidl geradezu zelebriert.
Man dachte schon, der Regisseur sei altersmilde geworden, als er im Frühjahr 2022 „Rimini bei der Berlinale vorstellte – es geht um den gealterten Schlagersänger Richie Bravo, der den Bierbauch ins Glitzerkostüm zwängt, um vor betagtem Publikum an der Adriaküste sein täglich Brot zu verdienen. Doch dann kam „Sparta
, der zweite Teil von „Rimini, den Seidl „Bruderfilm
genannt hat, auch, weil er vom Bruder dieses Richie Bravo handelt. Georg Friedrich spielt diesen Mann, der seine Zeit in Rumänien damit verbringt, mit Kindern eine alte Schule in eine Festung umzubauen, wo gespielt, getobt, gelacht werden kann. Glückliche Kinder