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Die Französische Revolution und die Psychologie der Revolutionen
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eBook592 Seiten4 Stunden

Die Französische Revolution und die Psychologie der Revolutionen

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Über dieses E-Book

Die Französische Revolution eine Revolution des Volkes? Le Bon würde sich totlachen.
Wer ihn und insbesondere seine Psychologie der Massen kennt, der kann seine Begründung erahnen. Niemals ist eine Masse zu einem solchen Werk fähig, sie braucht Anführer, die sich ihrer bedienen und im Falle der Französischen Revolution sich an die Stelle des Adels setzten, der allerdings durch seine Schwäche in der Auflösung steckte. Niedere Elemente, wie der Meister der Psychologien sie gerne bezeichnet, die plündern, morden, rauben und brandschatzen wollen, statt Eliten, deren Aufgabe es ist, das Allgemeinwohl zu verwalten.
Und so kann man dieses Buch nicht besser zusammenfassen als es der Karikaturist James Gillray auf dem Titelbild getan hat. Der Zenit des französischen Ruhms bestand aus von allen sozialen Bindungen befreiten Menschen, deren Anführer das Volk zu blutigsten Gewalttaten aufhetzten: symbolisiert durch die nicht mehr angebundenen Fußfesseln des auf einer Laterne sitzenden Geigenspielers und seine auf dem Rücken steckenden Dolche. Die Farben der Revolution – blau, weiß, rot – stehen für eine Devise der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die nur noch als gesetzliche Rechtfertigung diente, die Gefühle der Gier, der Eifersucht und des Hasses auf Überlegenheit, die die wahren Triebfedern der Massen sind und die keine Disziplin mehr zurückhalten kann, zu überdecken. Die Guillotine mit der Aufschrift auf ihrer Fahne Vive l'Egalite als Symbol der Gleichheit; die Freiheit verstanden als mit Füßen getretene, hängende Mönche unter dem Bischofsstab mit der roten Jakobinermütze und seiner Aufschrift Libertas; Gute Nacht, mein Herr wurde auf ein Kreuz genagelt, das auf einem Totenschädel ruht – die Gerechtigkeit erhängt; man nehme noch die Brüderlichkeit als Freiheit zu Brand und Mord hinzu: Der Gipfel der Revolution war erreicht.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum30. Sept. 2023
ISBN9783384031686
Die Französische Revolution und die Psychologie der Revolutionen
Autor

Gustave Le Bon

Gustave Le Bon lebte von 1841 bis 1931 und wurde weltberühmt mit seinem Werk "Psychologie der Massen", mit dem er einen Standard in der Massenpsychologie setzte.

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    Buchvorschau

    Die Französische Revolution und die Psychologie der Revolutionen - Gustave Le Bon

    Vorwort des Herausgebers

    Auch wenn ich Le Bon in diesem Werk wieder nahezu vollständig zustimme, so möchte ich doch zu Beginn eine Unterscheidung anführen, von der ich meine, dass sie keine Erwähnung findet. Dies ist die Unterscheidung zwischen dem immer wieder von ihm erwähnten Glaubenssystem und dem christlichen Glauben. Für Le Bon stehen sowohl der Sozialismus als auch die Französische Revolution auf einem Glauben. Dieser Glaube bezeichnet nach ihm ein Für-wahr-halten einer Überzeugung. Der Sozialismus hat als Grundlagen den Glauben an Gleichheit, die Schaffung des Paradieses auf Erden, die Zerstörung von Gesellschaftsordnungen, die Zentralisierung und die Umkehrung der Naturgesetze. Die Französische Revolution stand diesem Glaubenssystem in nichts nach und fasste alles unter den drei Devisen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zusammen.

    Der christliche Glaube hingegen versteht darunter nicht das Glauben an die Existenz Gottes, denn diese ist beweisbar¹, sondern sieht ihn als das Vertrauen auf Gott an.

    Jost Wunderlich

    Die Französische Revolution

    und die Psychologie der Revolutionen

    Gustave Le Bon

    Vorwort zur neuen Ausgabe

    Aktuelle Ansichten über die Französische Revolution

    Das Buch, dessen neue Ausgabe ich hier vorlege, wurde nicht geschrieben, um die Revolution zu loben oder zu tadeln, sondern nur, um zu versuchen, sie mithilfe der psychologischen Methoden zu interpretieren, die in einem anderen Buch von mir, Meinungen und Glauben², dargelegt sind.

    Das Ziel, das ich verfolge, befreit mich davon, früher geäußerte Meinungen zu berücksichtigen. Deshalb habe ich ein Kapitel damit verbracht, die widersprüchlichen Ansichten der Historiker über das große Revolutionsdrama aufzuzählen.

    Bücher vermitteln meist nur Meinungen, die schon lange zurückliegen. Sie können die Ideen der Zukunft vorbereiten, drücken aber selten die der Gegenwart aus. Nur Zeitschriften und Zeitungen geben die Gefühle der Gegenwart wahrheitsgetreu wieder. Ihre Ansichten sind daher sehr nützlich.

    Aus den verschiedenen Artikeln, die für die Analyse in dieser Arbeit benutzt werden, lassen sich drei Auffassungen herausarbeiten, die deutlich die heute vorherrschenden Ideen über die Französische Revolution repräsentieren.

    Die erste betrachtet die Revolution als eine Art Glauben, den man entweder akzeptieren oder ablehnen muss; die zweite als ein mysteriöses Phänomen, das unerklärlich bleibt; die dritte als ein Ereignis, das nicht beurteilt werden kann, bevor nicht eine riesige Anzahl von offiziellen, noch unveröffentlichten Dokumenten erschienen sind.

    Es wird nicht uninteressant sein, kurz auf den Inhalt dieser drei Auffassungen einzugehen.

    Mit den Augen des Glaubens interpretiert, erscheint die Revolution den meisten Franzosen als ein glückliches Ereignis, das sie aus der Barbarei herausgeführt und von der Unterdrückung durch den Adel befreit hat. So mancher Politiker glaubt, dass er ohne die Revolution zum Dienstboten eines Standesherrn degradiert worden wäre.

    Diese Geisteshaltung kommt in einer wichtigen Studie gut zum Ausdruck, die ein berühmter Staatsmann, Monsieur Emile Ollivier, der Bekämpfung der Ideen meines Buches gewidmet hat.

    Nachdem er an die Theorie erinnert, die die Revolution als ein nutzloses Ereignis betrachtet, fügt der emeritierte Akademiker hinzu:

    „Gustave Le Bon hat dieser These gerade seine Zustimmung gegeben. In einem kürzlich erschienenen Werk über die Psychologie der Revolution, in dem man seine Stärke der Synthese und des Stils wiederfindet, sagt er: «Der Gewinn, der auf Kosten so vieler Ruinen errungen wurde, wäre später ohne Anstrengung durch den einfachen Lauf der Zivilisation erreicht worden.»"

    Herr Ollivier stimmt dieser Meinung nicht zu. Die Revolution scheint ihm notwendig gewesen zu sein, und er schließt, indem er sagt:

    „Es sei derjenige bedauert, der kein Schurke mehr sein will, der Teiche schlägt³, um Frösche daran zu hindern, den Schlaf der Herrschaften zu stören; es sei derjenige bejammert, der nicht mehr die Genugtuung hat, sein Feld von der Meute eines frechen jungen Mannes verwüstet zu sehen; Wer will, kann sich darüber beklagen, dass er nicht mehr in der Bastille aufwachen muss, weil ein Lauzun seine Frau begehrt, oder wegen eines Wortes gegen einen Mächtigen, oder noch besser, aus einem unbekannten Grund; wer will, kann verzweifeln, dass er nicht mehr von einigen Ministern, von einigen Kommissaren, von einigen Verwaltern tyrannisiert wird, dass er nicht mehr auf Gnade und Ungnade dressiert, nicht mehr geplündert und nicht mehr besteuert wird, dass er nicht mehr von angeblichen Eroberern getreten und verhöhnt wird. Ich als einfacher Mann bin denjenigen dankbar, deren harte Arbeit mich von diesen Jochs befreit hat, die ohne sie noch immer auf mir lasten würden, und trotz ihrer Fehler segne ich sie."

    Der in den vorangegangenen Zeilen zusammengefasste Glaube trug zusammen mit dem napoleonischen Epos stark dazu bei, dass die Erinnerung an die Revolution in Frankreich populär wurde. Er rührt vor allem von der selbst unter Staatsmännern so weit verbreiteten Illusion her, dass die Institutionen die Existenzformen eines Volkes bestimmen, während letztere fast ausschließlich durch den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt bedingt sind. Die Lokomotive war eine Planierraupe, die auf andere Weise wirksam war als die Guillotine, und auch ohne die Revolution wären wir sicher längst in der Phase der Gleichheit und Freiheit angekommen, die wir heute erreicht haben und die übrigens viele Völker schon vor der revolutionären Epoche errungen hatten.

    Die zweite der oben genannten Auffassungen (die Revolution als mysteriöses und unerklärliches Ereignis zu beurteilen) trägt ebenfalls zur Aufrechterhaltung ihres hohen Ansehens bei.

    In einem Artikel, der der Rezension meines Buches gewidmet war, äußerte sich der politische Direktor einer der wichtigsten Zeitungen von Paris, Herr Drumont, wie folgt:

    „Dieses gewaltige Ereignis, das die alte Welt in ihren Grundfesten erschütterte, bleibt immer noch ein Rätsel. Die Methoden der modernen Psychologie machen nicht verständlicher, was das Seltsame und Geheimnisvolle an dieser Krise war, die immer eines der erstaunlichsten Ereignisse der Geschichte bleiben wird."

    Diese Theorie scheint unter unseren Politikern ziemlich verbreitet zu sein. Ich habe sie in etwas anderer Form in einem Artikel eines ehemaligen Ministers, Edouard Lockroy, ebenso gefunden:

    „Die Historiker haben die Revolution nicht verstanden. Der Konvent lebte im Chaos inmitten ständiger Aufstände. Die Diktatur Robespierres ist ein Märchen. Die Geschichte der Revolution ist die Geschichte eines Mobs, in dem niemand verantwortlich ist und jeder handelt. Wer ist verantwortlich? Die Menge, jedermann, niemand, obskure Leute, die unbekannte Leute mitreißen."

    Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erscheint die Revolution als eine Reihe chaotischer Ereignisse, die von einem mysteriösen Zufall gelenkt werden.

    Diese kurzen Zitate zeigen, welche Unsicherheiten das Studium der Revolution noch immer verdunkeln, und scheinen die Vorsicht von Gelehrten zu rechtfertigen, die sich auf die Veröffentlichung von Texten beschränken.

    Ein unvoreingenommener Geist, der sich eine richtige Vorstellung von der Revolution machen will, sieht sich also heute entweder blinden Glaubensbekenntnissen oder Behauptungen gegenüber, die dieses große Ereignis zumindest mit den heutigen Dokumenten für unerklärlich halten.

    Diese Unfähigkeit zur Interpretation war mir aufgefallen, als ich mit dem Studium der Revolution begann, um eine Anwendung meiner psychologischen Methoden zu finden. Es wurde mir sehr schnell klar, dass die Unsicherheiten der Historiker in Bezug auf diese große Krise einfach aus der Gewohnheit resultierten, rationale Interpretationen zu verwenden, um Ereignisse zu erklären, die von mystischen, affektiven und kollektiven Einflüssen diktiert wurden, die der Vernunft fremd sind.

    Die Geschichte der Revolution liefert auf jeder Seite den Beweis dafür. Nur die kollektive Logik und nicht die rationale Logik konnte aufdecken, warum die Revolutionsversammlungen immer wieder über Maßnahmen abstimmten, die den Meinungen der einzelnen Mitglieder widersprachen. Die Vernunft konnte auch nicht erklären, warum in einer Nacht die Vertreter des Adels auf Privilegien verzichteten, die ihnen so sehr am Herzen lagen und deren rechtzeitige Aufgabe die Revolution vielleicht verhindert hätte. Wie kann man, ohne die Wandlungen von Persönlichkeiten unter verschiedenen Umständen zu kennen, verstehen, dass die intelligenten und friedlichen Bürger, die in einigen Komitees die Einführung des metrischen Systems und die Eröffnung großer Schulen beschlossen, anderswo für so barbarische Maßnahmen wie den Tod von Lavoisier⁵, den des Dichters Chénier⁶, oder die Zerstörung der prächtigen Gräber von Saint-Denis? Wie kann man schließlich die Ausbreitung der revolutionären Bewegungen im Allgemeinen verstehen, wenn man nicht die tatsächlichen Gesetze der Überzeugungskraft kennt, die sich so sehr von denen unterscheiden, die in den Büchern gelehrt werden?

    Wir sind in Frankreich zu sehr rationalisiert, um ohne weiteres zuzugeben, dass sich die Geschichte außerhalb der Vernunft abspielen und oft sogar gegen jede Vernunft richten kann. Wir müssen uns jedoch damit abfinden, unsere Methoden der Geschichtsinterpretation völlig zu ändern, wenn wir eine Vielzahl von Ereignissen verstehen wollen, die die Vernunft nach wie vor nicht zu erklären vermag.

    Ich glaube, dass sich die in diesem Buch dargelegten Ideen schnell verbreiten werden. Zahlreiche Artikel belegen, dass sie bereits viele Leser beeindruckt haben. Es genügt, einen Auszug aus der wichtigsten englischen Zeitung, der Times, zu zitieren:

    „Alle Staatsmänner sollten das Buch von Gustave Le Bon studieren. Der Autor hat keinen Respekt vor den klassischen Revolutionstheorien und seine psychologischen Interpretationen führen ihn zu sehr neuen Schlussfolgerungen. So legt er eindrucksvoll dar, welch geringe Rolle die Masse des Volkes in den revolutionären Bewegungen spielte, dass es einen absoluten Widerspruch zwischen dem individuellen Willen und dem kollektiven Willen der Mitglieder der Versammlungen gab, welches mystische Element die Helden der Revolution antrieb und wie wenig diese Helden von der Vernunft beeinflusst waren.

    Ohne die Revolution wäre es schwierig gewesen, zu beweisen, dass die Vernunft die Menschen nicht verändern kann und dass daher eine Gesellschaft nicht nach dem Willen der Gesetzgeber umgebaut werden kann, egal wie umfassend ihre Macht auch sein mag."

    Die Geschichte der Revolution besteht in Wirklichkeit aus einer Reihe von parallelen und oft unabhängigen Geschichten: die Geschichte eines abgenutzten Regimes, das mangels Verteidigern zugrunde geht; die Geschichte der Revolutionsversammlungen; die Geschichte der Volksbewegungen und ihrer Anführer; die Geschichte der Armeen; die Geschichte der neuen Institutionen usw. Die Revolutionsgeschichte ist eine Geschichte von Konflikten, die sich aus psychologischen Gründen ergeben. All diese Geschichten sind meist Konflikte psychologischer Kräfte und müssen mit Methoden der Psychologie untersucht werden.

    Man kann über den Wert unserer Interpretationen streiten. Ich glaube jedoch, dass es von nun an schwierig sein wird, eine Geschichte der Revolution zu schreiben, ohne sie in Betracht zu ziehen.

    Paris, Januar 1913.

    Einleitung

    Überprüfung der Geschichte

    Das moderne Zeitalter ist nicht nur eine Zeit der Entdeckungen, sondern auch eine Zeit der Überprüfung der verschiedenen Elemente des Wissens. Nachdem die Wissenschaft erkannt hatte, dass es keine Phänomene gibt, deren Ursache nicht zugänglich ist, hat sie ihre alten Gewissheiten erneut überprüft und festgestellt, dass sie brüchig sind. Heute sieht sie, wie sich ihre alten Prinzipien der Reihe nach in Luft auflösen. Die Mechanik verliert ihre Axiome, die Materie, einst ewiges Substrat der Welten, wird zu einem bloßen Gebilde vergänglicher, vorübergehend verdichteter Kräfte.

    Trotz ihrer spekulativen Seite, die sie einer allzu harten Kritik ein wenig entzieht, konnte die Geschichte dieser universellen Neufassung nicht entgehen. Es gibt keine einzige Phase mehr, von der man sagen kann, dass sie sicher gewusst wird. Was als endgültig gesichert erschien, wird infrage gestellt.

    Zu den Ereignissen, deren Erforschung abgeschlossen schien, gehörte auch die Französische Revolution. Nachdem sie von mehreren Generationen von Schriftgelehrten analysiert worden war, konnte man davon ausgehen, dass sie vollkommen geklärt war. Was kann man noch über sie sagen, außer einige Details zu ändern?

    Und doch fangen ihre überzeugtesten Befürworter an, in ihren Urteilen zu schwanken. Alte Selbstverständlichkeiten erscheinen sehr fragwürdig. Der Glaube an Dogmen, die als heilig galten, ist erschüttert. Die letzten Schriften über die Revolution verraten Unsicherheiten. Nach all dem, was man erzählt hat, verzichtet man immer mehr auf Schlussfolgerungen.

    Nicht nur die Helden dieses großen Dramas werden ohne Nachsicht diskutiert, sondern man fragt sich, ob das neue Recht, das auf die vorrevolutionäre Staatsform⁷ folgte, sich infolge des Fortschritts der Zivilisation nicht ohne Gewalt sowieso etabliert hätte. Die erzielten Ergebnisse scheinen nicht mehr im Verhältnis zu stehen, weder zu dem Lösegeld, das sie unmittelbar gekostet haben, noch zu den weitreichenden Folgen, die die Revolution aus den Möglichkeiten der Geschichte manifestiert hat.

    Mehrere Ursachen führten zu einer Aufarbeitung dieses tragischen Zeitraums. Die Zeit hat die Leidenschaften gemildert, zahlreiche Dokumente werden allmählich aus den Archiven geholt, und man lernt, sie eigenmächtig zu interpretieren.

    Aber vielleicht kann die moderne Psychologie am besten auf unsere Ideen einwirken, indem sie es uns ermöglicht, besser in die Menschen und die Motive ihres Verhaltens einzudringen.

    Von ihren Entdeckungen, die bereits jetzt auf die Geschichte anwendbar sind, sind vor allem folgende zu erwähnen: die gründliche Kenntnis der Handlungen unserer Vorfahren, die Gesetze, welche die Massen regieren, die Experimente, die sich mit der Auflösung von Persönlichkeiten befassen, die geistige Übertragung⁸, die unbewusste Entstehung von Glauben, sowie die Unterscheidung der verschiedenen Arten der Logik.

    Um die Wahrheit zu sagen, waren diese Anwendungen der Wissenschaft, die in diesem Buch verwendet werden, noch nicht bekannt. Historiker sind in der Regel auf das Studium von Dokumenten beschränkt. Dies reichte aus, um die Zweifel zu wecken, von denen ich soeben gesprochen habe.

    Die großen Ereignisse, die das Schicksal der Völker verändern, wie z. B. Revolutionen oder der Ausbruch von Glaubensrichtungen, sind manchmal so schwer zu erklären, dass man sich darauf beschränken muss, sie festzustellen.

    Schon bei meinen ersten historischen Forschungen war mir aufgefallen, dass einige der wichtigsten Phänomene, vor allem die Entstehung von Glaubensvorstellungen, undurchschaubar sind. Ich spürte, dass etwas Grundlegendes fehlte, um sie zu interpretieren. Da die Vernunft alles gesagt hatte, was sie sagen konnte, durfte man nichts mehr von ihr erwarten und man musste nach anderen Wegen suchen, um das zu verstehen, was sie nicht erhellte.

    Diese großen Fragen blieben für mich lange Zeit unklar. Auch die Reisen, die ich unternommen hatte, um die Überreste untergegangener Zivilisationen zu studieren, hatten nicht viel Licht gebracht.

    Nach häufigem Nachdenken musste ich erkennen, dass das Problem aus einer Reihe von anderen Problemen bestand, die separat untersucht werden mussten. Das tat ich zwanzig Jahre lang und hielt die Ergebnisse meiner Forschungen in einer Reihe von Büchern fest.

    Eins der ersten war der Untersuchung mit dem Titel Psychologische Gesetze der Entwicklung der Völker gewidmet. Nachdem ich gezeigt hatte, dass historische Rassen, d. h. Rassen, die durch die Zufälle der Geschichte entstanden sind, letztlich psychologische Merkmale erwerben, die ebenso stabil sind wie ihre anatomischen Merkmale, versuchte ich zu erklären, wie die Völker ihre Institutionen, Sprachen und Künste verändern. In demselben Werk zeigte ich auf, warum unter dem Einfluss plötzlicher Milieuveränderungen individuelle Persönlichkeiten völlig zerfallen können.

    Neben den festen Gemeinschaften, aus denen Völker bestehen, gibt es auch bewegliche und vorübergehende Gemeinschaften, die als Massen bezeichnet werden. Nun, diese Massen, mit deren Hilfe sich die großen historischen Bewegungen vollziehen, haben Charaktere, die sich von denen der Individuen, aus denen sie sich zusammensetzen, völlig unterscheiden. Was sind diese Merkmale und wie entwickeln sie sich? Dieses neue Problem wurde in der Psychologie der Massen untersucht.

    Erst nach diesen Studien begann ich, bestimmte Einflüsse zu erahnen, die mir bisher entgangen waren.

    Aber das war noch nicht alles. Bei den wichtigsten Faktoren der Geschichte fand sich ein ausschlaggebender: der Glaube. Wie entstehen diese Glaubensvorstellungen und sind sie wirklich rational und willentlich, wie lange Zeit gelehrt wurde? Sind sie nicht vielmehr unbewusst und unabhängig von jeglicher Vernunft? Eine schwierige Frage, die in meinem letzten Buch Meinungen und Glauben behandelt wird.

    Solange die Psychologie den Glauben als unfreiwillig und rational ansah, blieb er unerklärlich. Nachdem ich bewiesen hatte, dass er meistens irrational und immer unfreiwillig ist, konnte ich die Lösung für dieses wichtige Problem angeben: Wie konnte ein Glaube, der durch keine Vernunft gerechtfertigt werden kann, von den aufgeklärtesten Köpfen aller Zeitalter ohne Schwierigkeiten angenommen werden?

    Die Lösung der historischen Schwierigkeiten, die ich so viele Jahre lang verfolgt hatte, wurde nun deutlich. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass es neben der rationalen Logik, die die Gedanken verknüpft und einst als unser einziger Führer galt, sehr unterschiedliche Formen der Logik gibt: affektive Logik, kollektive Logik und mystische Logik, die meistens die Vernunft dominieren und die Impulse erzeugen, die unser Verhalten bestimmen.

    Nach dieser Feststellung wurde mir klar, dass viele historische Ereignisse oft unverstanden bleiben, weil man sie im Licht einer Logik interpretieren will, die in Wirklichkeit kaum Einfluss auf ihre Entstehung hatte.

    All diese Forschungen, die hier in wenigen Zeilen zusammengefasst sind, nahmen viele Jahre in Anspruch. Verzweifelt wollte ich sie beenden, und brach sie mehrmals ab, um zu den Laborarbeiten zurückzukehren, bei denen man immer sicher sein kann, die Wahrheit zu berühren und zumindest einen Teil der Gewissheit zu erlangen.

    Aber auch wenn es sehr interessant ist, die Welt der materiellen Phänomene zu erforschen, ist es noch viel interessanter, die Menschen zu entschlüsseln, und deshalb kam ich immer wieder auf die Psychologie zurück.

    Da mir einige der aus meiner Forschung abgeleiteten Prinzipien vielversprechend erschienen, beschloss ich, sie auf die Untersuchung konkreter Fälle anzuwenden und gelangte so dazu, die Psychologie von Revolutionen, insbesondere der Französischen Revolution, anzugehen.

    Als ich mit der Analyse unserer großen Revolution fortfuhr, verschwanden nach und nach die meisten der Meinungen, die ich durch die Lektüre der Bücher vermittelt bekam und die ich für unerschütterlich hielt.

    Um diese Zeitspanne zu erklären, darf man sie nicht als einen Block betrachten, wie es verschiedene Historiker getan haben. Sie setzt sich aus gleichzeitig auftretenden, aber voneinander unabhängigen Phänomenen zusammen.

    In jeder Phase werden Ereignisse ausgelöst, die auf psychologischen Gesetzen beruhen, die mit der blinden Regelmäßigkeit eines Getriebes ablaufen. Die Akteure in diesem großen Drama scheinen sich wie die Figuren auf einer vorgezeichneten Bühne zu bewegen. Jeder sagt, was er sagen soll, und handelt, wie er handeln soll.

    Zweifellos unterschieden sich die revolutionären Akteure von denen eines geschriebenen Dramas darin, dass sie ihre Rollen nicht einstudiert hatten, sondern diese Rollen ihnen von unsichtbaren Kräften so diktiert wurden, als ob sie sie gelernt hätten.

    Gerade weil sie dem verhängnisvollen Ablauf einer für sie unverständlichen Logik unterworfen waren, sieht man sie über die Ereignisse, deren Helden sie waren, genauso erstaunt, wie wir es sind. Nie erahnten sie die unsichtbaren Mächte, die sie handeln ließen. Sie waren nicht Herr über ihre Wut und auch nicht Herr über ihre Schwächen. Sie sprechen im Namen der Vernunft und behaupten, dass sie von ihr geleitet werden, doch in Wirklichkeit ist es keineswegs die Vernunft, die sie leitet.

    „Die Entscheidungen, die man uns so sehr vorwirft", schrieb Billaud-Varenne⁹, „wollten wir nicht. Meistens zwei Tage, einen Tag vorher: Die Krise allein hat sie hervorgerufen."¹⁰

    Es ist nicht so, dass wir die revolutionären Ereignisse als von zwingenden Schicksalsschlägen beherrscht betrachten sollten. Die Leser unserer Bücher wissen, dass wir dem überlegenen Handelnden die Rolle zuerkennen, die Fatalitäten zu zerlegen. Er kann jedoch nur wenige von ihnen trennen und ist oftmals machtlos gegenüber dem Verlauf von Ereignissen, die man nur an ihrem Ursprung beherrschen kann. Der Wissenschaftler weiß, wie er die Mikrobe zerstören kann, bevor sie ihre Wirkung entfaltet, aber er ist machtlos, wenn es um den Verlauf der Krankheit geht.

    Wenn eine Frage zutiefst widersprüchliche Meinungen hervorruft, kann man sicher sein, dass sie zum Kreislauf des Glaubens und nicht zu dem des Wissens gehört.

    In einem früheren Buch haben wir gezeigt, dass der Glaube, der unbewussten Ursprungs und unabhängig von jeglicher Vernunft ist, niemals durch Argumentationen beeinflusst werden kann.

    Die Revolution war das Werk von Gläubigen und wurde auch nur von Gläubigen beurteilt. Von den einen verflucht, von den anderen bewundert, blieb sie eines jener Dogmen, die en bloc akzeptiert oder abgelehnt wurden, ohne dass eine rationale Logik bei einer solchen Entscheidung eine Rolle spielte.

    Eine religiöse oder politische Revolution mag zwar in ihren Anfängen rationale Elemente als Unterstützung haben, doch sie entwickelt sich nur, wenn sie sich auf mystische und affektive Elemente stützt, die der Vernunft absolut fremd sind.

    Die Historiker, die die Ereignisse der Französischen Revolution im Namen der rationalen Logik beurteilten, konnten sie nicht verstehen, da diese Art der Logik sie nicht diktiert hat. Da die Akteure dieser Ereignisse sie selbst nur unzureichend durchdrungen haben, würde man nicht zu weit von der Wahrheit abweichen, wenn man sagt, dass unsere Revolution ein Phänomen war, das von denen, die sie machten, und von denen, die sie erzählten, gleichermaßen unverstanden wurde. In keiner Epoche der Geschichte hat man die Gegenwart so wenig begriffen, die Vergangenheit mehr ignoriert und die Zukunft weniger erahnt.

    Die Macht der Revolution lag nicht in den – im Übrigen sehr alten – Prinzipien, die sie verbreiten wollte, oder in den Institutionen, die sie zu gründen vorgab. Völker kümmern sich sehr wenig um Institutionen und noch weniger um Doktrinen. Wenn die Revolution sehr stark war, wenn sie Frankreich die Gewalt, die Morde, die Ruinen und die Schrecken eines schrecklichen Bürgerkriegs auferlegte, wenn sie sich schließlich siegreich gegen das bewaffnete Europa verteidigte, dann deshalb, weil sie nicht ein neues Regime, sondern eine neue Religion begründet hatte. Nun zeigt uns die Geschichte, wie unwiderstehlich ein starker Glaube ist. Selbst das unbesiegbare Rom musste sich einst Heerscharen von Hirtennomaden beugen, die vom Glauben Mohammeds erleuchtet waren. Die Könige Europas leisteten aus demselben Grund keinen Widerstand gegen die zerlumpten Soldaten des Konvents. Wie alle Apostel waren sie bereit, sich selbst zu opfern, nur um den Glauben zu verbreiten, der ihrem Traum zufolge die Welt erneuern sollte.

    Die so gegründete Religion hatte die Stärke ihrer Vorfahren, aber nicht deren Ausdauer. Sie ging nicht unter, sondern hinterließ tiefe Spuren und ihr Einfluss hält bis heute an.

    Wir werden die Revolution nicht als einen Bruch der Geschichte betrachten, wie ihre Apostel glaubten. Wir wissen, dass sie, um ihre Absicht zu demonstrieren, eine Welt zu errichten, die sich von der alten unterscheidet, ein neues Zeitalter schufen und vorgaben, mit allen Überresten der Vergangenheit vollständig zu brechen.

    Aber die Vergangenheit stirbt nie. Sie ist sogar mehr in uns selbst als außerhalb. Die Reformer der Revolution blieben also ohne ihr Wissen mit der Vergangenheit verbunden und führten lediglich die monarchischen Traditionen unter anderen Namen fort, wobei sie sogar die Autokratie und die Zentralisierung des alten Regimes übertrieben. Tocqueville hatte keine Mühe, zu zeigen, dass die Revolution kaum mehr tat, als das zu stürzen, was untergehen sollte.

    Auch wenn die Revolution in Wirklichkeit wenig zerstörte, so förderte sie doch die Entstehung einiger Ideen, die danach weiter wuchsen. Die Brüderlichkeit und die Freiheit, die sie verkündete, waren für die Völker nie sehr attraktiv, aber die Gleichheit wurde zu ihrem Evangelium, zum Dreh- und Angelpunkt des Sozialismus und der gesamten Entwicklung der heutigen demokratischen Ideen. Man kann also sagen, dass die Revolution weder mit dem Aufkommen des Kaiserreichs noch mit den darauffolgenden Wiederherstellungen endete. Ob schleichend oder am helllichten Tag, sie entfaltete sich langsam und drückt noch immer auf die Gemüter.

    Die Untersuchung der Französischen Revolution, der ein großer Teil dieses Buches gewidmet ist, wird dem Leser vielleicht mehr als eine Illusion nehmen, indem sie ihm zeigt, dass die Bücher, die von ihr berichten, eine Ansammlung von Legenden enthalten, die weit von der Realität entfernt sind.

    Diese Legenden werden wahrscheinlich lebendiger bleiben als die Geschichte. Wir sollten das nicht zu sehr bedauern. Für einige Philosophen mag es interessant sein, die Wahrheit zu kennen, aber Völker werden Hirngespinste immer vorziehen. Als Synthese ihrer Ideale stellen sie mächtige Handlungsmotive dar. Man würde den Mut verlieren, wenn man nicht von falschen Ideen unterstützt würde, sagte Fontenelle. Jeanne d'Arc, die Giganten des Konvents, das kaiserliche Epos, all diese Glanzlichter der Vergangenheit werden in den dunklen Stunden nach einer Niederlage immer Hoffnung schüren. Sie sind Teil des Erbes der Illusionen, die unsere Väter uns hinterlassen haben und deren Macht manchmal größer ist als die der Realitäten. Der Traum, das Ideal, die Legende, kurz gesagt das Unwirkliche, das ist es, was die Geschichte antreibt.

    A.

    Psychologische Elemente revolutionärer Bewegungen

    Allgemeine Merkmale von Revolutionen

    Wissenschaftliche und politische Revolutionen

    Klassifizierung von Revolutionen

    Der Begriff Revolution wird im Allgemeinen auf plötzliche politische Veränderungen angewandt, doch sollte er auch für alle plötzlichen oder scheinbar plötzlichen Veränderungen von Glaubensvorstellungen, Ideen und Doktrinen verwendet werden.

    An anderer Stelle haben wir die Rolle rationaler, affektiver und mystischer Elemente bei der Entstehung von Meinungen und Glauben untersucht, die das Verhalten bestimmen. Es wäre daher unnötig, hier noch einmal darauf einzugehen.

    Eine Revolution kann mit einem Glauben enden, aber sie beginnt oft aus völlig rationalen Motiven: Beseitigung von eklatanten Missständen, eines verhassten despotischen Regimes, eines unpopulären Herrschers etc.

    Auch wenn der Ursprung einer Revolution manchmal rational ist, darf man nicht vergessen, dass die Gründe, die zu ihrer Vorbereitung angeführt werden, erst dann auf die Massen wirken, wenn sie sich in Gefühle verwandelt haben. Mit rationaler Logik kann man die Missstände aufzeigen, die es zu beseitigen gilt, aber um die Massen zu bewegen, muss man in ihnen Hoffnungen wecken. Dies gelingt nur, wenn man affektive und mystische Elemente ins Spiel bringt, die dem Menschen die Kraft zum Handeln verleihen. Zur Zeit der Französischen Revolution zum Beispiel machte die rationale Logik, die von den Philosophen vertreten wurde, die Nachteile des alten Regimes deutlich und weckte den Wunsch, es zu ändern. Die mystische Logik inspirierte den Glauben an die Tugenden einer Gesellschaft, die nach bestimmten Prinzipien von Grund auf neu geschaffen werden sollte. Die affektive Logik entfesselte die durch jahrhundertealte Bremsen eingedämmten Leidenschaften und führte zu den schlimmsten Exzessen. Die kollektive Logik beherrschte die Klubs und Versammlungen und verleitete ihre Mitglieder zu Handlungen, die weder die rationale, noch die affektive, noch die mystische Logik sie hätten begehen lassen.

    Unabhängig von ihrem Ursprung hat eine Revolution erst dann Folgen, wenn sie in die Seele der Massen hinabgestiegen ist. Die Ereignisse nehmen dann die besonderen Formen an, die sich aus der besonderen Psychologie der Massen ergeben. Volksbewegungen haben aus diesem Grund so ausgeprägte Merkmale, dass die Beschreibung eines von ihnen ausreicht, um die anderen zu erkennen.

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