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Das Weltkapital: Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems
Das Weltkapital: Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems
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eBook644 Seiten7 Stunden

Das Weltkapital: Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems

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Über dieses E-Book

Unbeeindruckt von der Debatte um die Globalisierung geht die Herausbildung eines transnationalen Weltkapitals jenseits der alten Nationalökonomien weiter. Dabei zeigt sich, daß die Erklärungsversuche der 90er Jahre zu kurz gegriffen haben. Die Deutungs- und Bewältigungsmuster blieben pragmatisch und moralisch; die Orientierung war rückwärts gewandte und ging über den Begriffshorizont der traditionellen politischen Ökonomie nicht hinaus. Robert Kurz verläßt diesen Rahmen, um die neue Qualität der kapitalistischen Entwicklung jenseits der veralteten Interpretationsmuster zu untersuchen. Es erweist sich, daß mit der 3. industriellen Revolution der im modernen warenproduzierenden System strukturell angelegte Widerspruch von Nationalismus und Universalismus reif geworden ist. Dabei handelt es sich nicht um die Wiederkehr des Immergleichen, sondern um einen historischen Entwicklungsprozeß. Im Unterschied zur bisherigen Geschichte bildet sich heute eine durch globale Rationalisierungsketten organisierte Betriebswirtschaft heraus, gesteuert von entsubstantialisierten Finanzblasen. Da bedarf es nicht weniger als einer Umwälzung der Gesellschaft über die warenproduzierende Moderne hinaus.
SpracheDeutsch
HerausgeberFuego
Erscheinungsdatum9. März 2018
ISBN9783862870820
Das Weltkapital: Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems

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    Buchvorschau

    Das Weltkapital - Robert Kurz

    Coverbild

    Robert Kurz

    Das Weltkapital

    Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems

    FUEGO

    - Über dieses Buch -

    Unbeeindruckt von der Debatte um die Globalisierung geht die Herausbildung eines transnationalen Weltkapitals jenseits der alten Nationalökonomien weiter. Dabei zeigt sich, daß die Erklärungsversuche der 90er Jahre zu kurz gegriffen haben. Die Deutungs- und Bewältigungsmuster blieben pragmatisch und moralisch; die Orientierung war rückwärts gewandte und ging über den Begriffshorizont der traditionellen politischen Ökonomie nicht hinaus. Robert Kurz verläßt diesen Rahmen, um die neue Qualität der kapitalistischen Entwicklung jenseits der veralteten Interpretationsmuster zu untersuchen. Es erweist sich, daß mit der 3. industriellen Revolution der im modernen warenproduzierenden System strukturell angelegte Widerspruch von Nationalismus und Universalismus reif geworden ist. Dabei handelt es sich nicht um die Wiederkehr des Immergleichen, sondern um einen historischen Entwicklungsprozeß. Im Unterschied zur bisherigen Geschichte bildet sich heute eine durch globale Rationalisierungsketten organisierte Betriebswirtschaft heraus, gesteuert von entsubstantialisierten Finanzblasen. Da bedarf es nicht weniger als einer Umwälzung der Gesellschaft über die warenproduzierende Moderne hinaus.

    Pressestimmen

    »Kurz hebt sich in seiner Kritik vom Mainstream der Globalisierungsgegner insofern ab, als er auf der Ebene des kapitalistischen ›Betriebssystems‹ selbst ansetzt. Er betrachtet sich als radikalen Kritiker der weltweiten wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Entwicklung einer neuen radikalen Systemkritik, ›die über den zu Ende gegangenen traditionellen Marxismus hinausgehen muss‹, sei jedoch Bedingung. Kurz zeigt keine Scheu, auf´s Ganze zu gehen – in der Sache gibt er sich unerbittlich.« (der Freitag)

    »›Das Weltkapital‹ legt mit großer ökonomischer Sachkompetenz und sorgfältig recherchiertem Faktenwissen den Finger in die richtige Wunde.« (Süddeutsche Zeitung)

    »Dieses Buch sollte im gut sortierten Bücherregal zur Globalisierung nicht fehlen.« (UTOPIE kreativ)

    Vorwort

    Dieses Buch sollte eigentlich schon 1998 fertig gestellt werden, aber der Plan wurde immer wieder aufgeschoben. Es erforderte ein weites Ausholen, um nach meiner Untersuchung über den Zusammenbruch des Staatssozialismus und das Ende der traditionellen marxistischen Weltinterpretation (»Der Kollaps der Modernisierung«, 1991) auch den Prozess der kapitalistischen Globalisierung jenseits des Kalten Krieges gegen den Mainstream eines öden »Chancen-und-Risiken«-Diskurses aufzuarbeiten. Dazu war es zunächst einmal erforderlich, die kapitalistische Geschichte der drei industriellen Revolutionen in einer integrierten Darstellung von wesentlichen Schüben der Produktivkräfte, ökonomischen Entwicklungsstufen, politischer »Formatierung«, philosophischer Reflexion und Ideologiegeschichte neu aufzurollen (»Schwarzbuch Kapitalismus«, 1999).

    Die sozialökonomische Analyse der Globalisierung vor dem Hintergrund der gewonnenen Einsichten mußte dann jedoch erneut vertagt werden, weil nach den Terrorangriffen des 11. September das politisch-militärische Moment der krisenhaften planetarischen Vergesellschaftung als zwingende Ereignisgeschichte in der Vordergrund trat. Hatte sich bereits mit dem zweiten Golfkrieg 1991 eine neue Qualität der Kriegführung und des imperialen Zugriffs abgezeichnet, so machten die Interventionen in Afghanistan und im Irak vollends den Charakter eines post-nationalen Sicherheitsimperialismus deutlich. Die Analyse der Globalisierung musste sich deshalb zuerst den Wandel des Imperialismus unter den Bedingungen der dritten industriellen Revolution zum Gegenstand machen und die liegen gebliebene traditionelle Imperialismusdebatte aufarbeiten, um den Übergang von der nationalimperialen Expansion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über den Systemkonflikt der Supermächte nach 1945 zum widersprüchlichen »ideellen Gesamtimperialismus« und Krisenkolonialismus heute begreiflich zu machen (»Weltordnungskrieg«, 2003).

    Wenn nun zwei Jahre später endlich die politisch-ökonomische Analyse der Globalisierung vorgelegt werden kann, so folgt die Darstellung verständlicherweise nicht mehr dem ursprünglichen Plan. Die Entwicklung vollzieht sich in einem derart atemberaubenden Tempo, dass der Reflexionsstand von Mitte der 90er Jahre längst überholt und ein größerer Überblick möglich geworden ist. Inzwischen hat sich der ohnehin theoretisch seichte Globalisierungsdiskurs vorläufig erschöpft und ist in einen ebenso pragmatischen wie prekären Krisenverwaltungsdiskurs umgeschlagen. Das gibt Gelegenheit, im Kontext einer Realanalyse der fortgeschrittenen Globalisierung die bisherige Debatte darüber in Grundzügen darzustellen und einer notwendig polemischen Kritik zu unterziehen. Diese Polemik zielt gerade auch auf die Bewegung der so genannten Globalisierungskritik selbst, die bis jetzt weitgehend verkürzten und obsoleten Interpretationen traditionslinken und neo-kleinbürgerlichen Zuschnitts verhaftet geblieben ist. Für Hinweise danke ich Uli Leicht, Hanns von Bosse, Petra Haarmann, Roswitha Scholz, Horst Ribbeck und Hans-Jochen Vogel.

    Den aufmerksamen Leserinnen und Lesern dieses Buches wird nicht entgehen, dass eine bestimmte Dimension des Globalisierungsprozesses ausgespart bleibt: nämlich die politische Ökonomie der letzten Weltmacht USA im Zusammenhang des Weltsystems, die Rolle des Dollar, der pazifische Defizitkreislauf mit dem problematischen Aufstieg samt einprogrammiertem Absturz zuerst Japans, dann der Tigerländer und neuerdings Chinas, die damit verbundene Vorstellung eines »pazifischen Jahrhunderts« sowie das Verhältnis von USA und EU. Zunächst sollten diese Zusammenhänge in einem abschließenden Kapitel aufgenommen werden. Es stellte sich jedoch heraus, dass dies den Rahmen des Buches gesprengt hätte, weil es sich um verschiedene Ebenen der Analyse handelt. Im »Weltkapital« geht es um die Krisenstruktur des transnationalen Kapitals im allgemeinen, während die Vermittlungen auf der Oberfläche des Weltmarkts und die dabei virulenten weltregionalen Besonderheiten einer anderen Stufe der Konkretion angehören. Diese Ebene soll daher in einem Folgeprojekt mit dem Arbeitstitel »Politische Ökonomie der letzten Weltmacht« aufgerollt werden. Nach dem »Weltordnungskrieg« und dem jetzt vorliegenden »Weltkapital« wäre dies dann der dritte und abschließende Band einer theoretischen Analyse der Globalisierung als Krisenprozess des modernen warenproduzierenden Systems.

    Die Welt ist doch eine Ware

    Kritiklosigkeit und moralisierende Beschränktheit des Globalisierungsdiskurses

    Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten geistert ein neues Stich-, Reiz- und Drohwort durch die Medienlandschaften dieser Welt: der Begriff der Globalisierung. »Total global« heißt die modische Devise. dass es sich dabei in erster Linie um die Globalisierung des Kapitals handelt, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Denn Kapital, das sich rastlos und endlos verwerten muss, ist sowieso alles: nicht bloß Industrie, Dienstleistungen, Infrastruktur und die Giftschleuder des Agro-Business, sondern auch Kunst, Kultur, Ideen, ja sogar der menschliche Körper und Geist selber als »Humankapital«. Die Ökonomisierung aller Gegenstände und Lebensbereiche ist so weit getrieben worden, wie es überhaupt möglich ist; und sogar darüber hinaus. Es gibt keine Zone des Planeten mehr, die nicht von dieser ökonomischen Seuche befallen wäre. Von Grönland bis Feuerland ist der Kapitalismus mit sich allein; nicht einmal mehr eine Systemvariante (wie es der östliche Staatskapitalismus war) kümmert als Scheinalternative vor sich hin.

    Die Flut der Literatur über die Globalisierung seit den späten 80er Jahren, die hier zu kommentieren ist, erweist sich als kritiklos hinsichtlich der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise als solcher. Was allgegenwärtig, apriorisch und scheinbar allmächtig ist, wird nicht mehr als besonderer Gegenstand wahrgenommen, sondern sedimentiert zum stummen Hintergrund oder wird zum allumfassenden »Äther« einer Gesellschaft, die in einer Haltung völliger Distanzlosigkeit zu sich selber intellektuell erstarrt.

    Damit ist im gesellschaftlichen Mainstreambewusstsein (die sogenannte Wissenschaft eingeschlossen) auch die Grundvoraussetzung jeder Theorie hinfällig geworden, nämlich die virtuelle Außen- oder Vogelperspektive – die Fähigkeit also, »neben sich« zu treten und die eigenen Verhältnisse gewissermaßen von oben oder von außen zu betrachten. Es gibt in der herrschenden Scheindebatte, die den großen Weltkonsens von »Marktwirtschaft-und-Demokratie« immer schon voraussetzt, nur noch die kapitalistische Innen- oder Froschperspektive. Das macht diese Debatte so öde und sinnlos. Die distanzlose, verzerrte Innenwahrnehmung kann sich zu keinerlei theoretischer Reflexion mehr erheben, die diesen Namen auch nur im entferntesten verdienen würde. Was als Reflexion erscheint oder sich selber dafür ausgibt, ist von vornherein phänomenologisch beschränkt. Diese Beschränktheit entspricht allerdings ganz dem postmodernen Credo, das bekanntlich jede Differenz von Wesen und Erscheinung ableugnet und das »Ende der Großen Erzählungen« verkündet, sprich: das Ende der aufs Ganze gehenden Theorie, die den Zusammenhang von Wesen und Erscheinung durch kritische Reflexion herzustellen sucht.

    Die Mogelpackung der »Zweiten Moderne«

    Die Zusammenhanglosigkeit eines Denkens, das schon keines mehr ist, feiert ihre traurigen Triumphe und blamiert die zugrunde liegende Gesellschaftsform, ohne es zu wissen. Unfreiwillig zeigt das niemand besser als der Soziologe Ulrich Beck, der das Verfahren phänomenologisch verkürzter Gesellschaftsanalyse bis zur Virtuosität entwickelt und geradezu als eine Art theoretische Popkultur kreiert hat, die mit Begriffen spielt, die auch schon keine mehr sind. So hat sich die von Beck in die Welt gesetzte Leerformel der sogenannten »Zweiten Moderne« einen Spitzenplatz in der Hitparade von Schlagworten des dahinplätschernden Beliebigkeitsdiskurses erobert. Wenn dieser clever kreierte Topos überhaupt etwas bedeutet, dann ist es eine Mogelpackung: Er soll suggerieren, dass die kapitalistische Moderne (das Adjektiv kann man sich fast schon sparen) fähig sei, über sich selber hinauszuwachsen und doch immer dieselbe zu bleiben.

    Die Metaphern für dieses Verfahren sind längst schal, weil sie den Betrug und Selbstbetrug der bürgerlich-demokratischen Ideologie von Anfang an gekennzeichnet haben: nämlich den Pelz waschen, ohne ihn nass zu machen – und alles ändern, damit alles bleibt, wie es ist. Das war übrigens auch in einem 90er-Jahre-Werbespot für irgendeinen ungenießbaren EdelKaffee die Antwort einer puppenhaften Jeunesse-doree-Frau auf die Frage, was sie sich wünschen würde, wenn sie einen Wunsch frei hätte: »dass alles so bleibt, wie es ist«. In genau diesem Sinne wird letzten Endes die Formel der »Zweiten Moderne« aufgegriffen, deren Protagonisten sich nun wie über alle zusammenhanglos betrachteten Erscheinungen auch über die Globalisierung hermachen. Ulrich Beck sieht darin, dreimal darf man raten, natürlich eine »Chance«. Und zwar vor allem für die weitere Karriere des Unbegriffs »Zweite Moderne«:

    »Es stellt sich allerdings sowieso ... die Frage: Was trägt die Globalisierungsdebatte zur Klärung des Begriffs ›Zweite Moderne‹ bei? Die Antwort lautet: Wenn es gelingt, die Deutung zu erhärten, hinter der Sprachverwirrung um Globalisierung zeichne sich das Leitmotiv einer neuen Großen Erzählung ab, dann bedeutet das nicht nur einen Abschied von der Postmoderne. Es wird zugleich möglich, die Rede von der Zweiten Moderne auf einer konkreten Ebene zu entfalten« (Beck 1998, 8 f.).

    Wenn man aber keine abstrakte Ebene theoretischer Reflexion hat, dann gibt es auch nichts auf einer konkreten Ebene zu entfalten. Die Gesellschaftsanalyse Becks und seiner Mitstreiter in der »Edition Zweite Moderne«, deren Referenzrahmen nicht mehr der kritische Begriff der kapitalistischen Gesellschaftsformen und ihres irrationalen Fetischcharakters bildet, stellt das Phänomen der Globalisierung ebensowenig in einen theoretischen Zusammenhang wie sie dazu hinsichtlich des Phänomens der Individualisierung in den 80ern fähig war. Ausgerechnet Beck, der die postmoderne Abrüstung der kritischen Theorie zwar in ihrer philosophischen Legitimation weitgehend ignoriert, sie dafür aber als Soziologe umso heftiger exekutiert und geradezu verkörpert hat, möchte sich nun in dem für ihn viel zu weiten Mantel der »Großen Erzählung« verstecken.

    Auf diese Weise wird die Becksche Mogelpackung aber nur verdoppelt. Denn wie die kapitalistische Moderne mit der Leerformel der »Zweiten Moderne« gerade dadurch reflexionslos verlängert werden sollte, dass sie mit dem falschen zweiten Namen einer »reflexiven Moderne« geschmückt wurde, ebenso haben wir es jetzt offenbar mit dem Versuch zu tun, diese typisch postmoderne Camouflage noch zu übertreffen: Die Postmoderne soll ihrerseits wieder scheinhaft »überwunden« werden, ausgerechnet durch die Ernennung der theoretisch begriffslosen Globalisierungsdebatte zu einer neuen »Großen Erzählung«. Eben jene phänomenologische Beschränktheit, die soeben noch das Credo der eitlen Großtheorielosigkeit war, möchte nun selber als Großtheorie gelten. Die Nichtigkeit dieses faulen Zaubers zeigt sich auch daran, dass Beck einen durchaus passenden kollektiven Autor oder Co-Autor für die Große Globalisierungserzählung gefunden zu haben glaubt:

    »Marx ist nicht länger freier Schriftsteller und kritischer Kritiker, sondern Angestellter der Weltbank, Finanzjongleur auf den globalisierten Kapitalmärkten oder Wirtschaftsjournalist. Er publiziert unter verschiedenen Pseudonymen in der Financial Times, New York Times oder im Spiegel. Der vierte Band des Kapitals erscheint als Fortsetzungsserie ohne absehbares Ende in den Sprachen der Welt...« (Beck 1998, 9).

    Genau diese Akteure der nationalen und internationalen Finanzinstitutionen, der Finanzmärkte und der Wirtschaftspresse müssen aber von Berufs wegen jene völlige Distanzlosigkeit zum Charakter ihres Tuns und Treibens an den Tag legen, die dann von den Hoffnungsträgern des »neuen Pragmatismus« in die Sprache einer nur noch gespenstischen Postpolitik übersetzt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei der vierte Band des »Kapitals« herauskommt, ist ungefähr so groß wie diejenige, dass die berühmten tausend Affen, an tausend Schreibmaschinen gesetzt, Goethes »Faust« hervorbringen werden.

    Marx müsste heute seine »Große Erzählung« sogar in höherem Maße außerhalb der herrschenden Institutionen formulieren (und insofern vogelfreier Schriftsteller und kritischer Kritiker sein) als im 19. Jahrhundert, weil die Distanzlosigkeit und funktionalistische Reduktion des offiziellen Denkens zu Beginn des 21. Jahrhunderts sowohl im wissenschaftlichen Betrieb als auch im Massen- und Alltagsbewußtsein viel weiter fortgeschritten ist. Die kapitalistischen Funktionseliten des 19. Jahrhunderts waren in vieler Hinsicht nebenbei bürgerlich »gebildet« und konnten daher die theoretische Reflexion zwar auch nicht selber hervorbringen, aber wenigstens ansatzweise verstehen. Wer die gegenwärtigen Akteure des Managements und der Institutionen des Finanzkapitalismus ebenso wie der Politik aus der Nähe erlebt oder ihre schriftlichen Auslassungen auch nur probeweise zur Kenntnis genommen hat, wird erstaunt sein über die Unbildung, die sekundärbarbarische Rohheit dieses Geistes, der in philosophisch-begrifflicher Hinsicht umso tiefer bis auf ein pubertäres Niveau gesunken ist, je mehr er sich technisch und medial aufgerüstet hat. Offenbar bringt der digitale Dschungel des globalisierten Kapitals eine Art »Idiotie des Landlebens« zweiter Ordnung hervor. Deshalb schließt sich das Räsonnement dieser kapitalistischen Funktionsidioten (analog zu dem der akademischen Fachidioten) auch nicht zu einer zusammenfassenden Reflexion, sondern köchelt als »Fortsetzungsserie ohne absehbares Ende« vor sich hin, während ihr praktisches Handeln eher von einem Instinkt der »zweiten Natur« als von bewusstem Denken geleitet wird.

    Es ist also kein Wunder, dass sich sowohl die Emphatiker als auch die Kritiker der Globalisierung nur auf die Oberfläche der Erscheinungen beziehen können. Indem Ulrich Beck Reflexion und Kritik auf das Fassungsvermögen der immanenten Funktionsidioten reduzieren will, muss er sich in Wahrheit vor einem wirklichen »neuen Marx« fürchten, der die radikale Kapitalismuskritik neu formulieren könnte:

    »Bevor ein neuer Marx den Westen wachrüttelt, gilt es, längst fällige Ideen und Modelle für einen veränderten Gesellschaftsvertrag aufzugreifen« (Beck 1997, 107).

    Damit ist apriori festgelegt, dass die Kritiker bestimmter negativer Erscheinungen im Prozess der Globalisierung den kapitalistischen Funktionsrahmen nicht in Frage stellen dürfen; denn der längst abgegriffene und inflationär benutzte Begriff des »Gesellschaftsvertrags« bezieht sich immer nur auf nachgeordnete bürgerliche Rechtsverhältnisse, die von bereits kapitalistisch konstituierten Subjekten eingegangen werden.

    »Kritiker« ist somit zuviel gesagt, denn dabei handelt es sich um eine Kritik, die auch schon keine mehr ist – es geht immer nur um Symptome, die dann durch demokratische Hausmittel behandelt werden sollen. Weniger mit Kritikern als mit Hilfsschwestern und Pferdedoktoren am Krankenbett der Weltmarktwirtschaft haben wir es zu tun. Deshalb beeilen sich die Kritiker in der Regel auch, den Optimisten im Prinzip darin beizupflichten, wie chancenreich im Sinne Becks die Globalisierung doch sein könnte, wenn nur die eine oder andere kleine Maßnahme auf den Weg gebracht würde. So kamen etwa die beiden Spiegel-Redakteure Hans-Peter Martin und Harald Schumann, nachdem sie in ihrem 90er-Jahre-Bestseller »Die Globalisierungsfalle« auf hunderten von Seiten die Schreckensbilder der global enthemmten Märkte, das »Gesetz der Wölfe« und die drohende »Einfünftelgesellschaft« beschworen hatten, zu einem erstaunlich bescheidenen Heilungsprogramm:

    »Den meisten Konzernlenkern und liberalen Wirtschaftspolitikern gilt jeder Widerstand ... nur als nutzloser Versuch, einen Status quo zu verteidigen, der nicht zu halten ist ... Eine Umkehr ist jedoch auch gar nicht wünschenswert. Die weltweite wirtschaftliche Integration birgt schließlich ungeheure Chancen ... Dann aber käme es darauf an, das bislang selbstmörderische Weltmarktrennen in sozial- und demokratieverträgliche Bahnen zu lenken und die Globalisierung der Ungerechtigkeit in eine Entwicklung für den globalen Ausgleich zu verwandeln« (Martin/Schumann 1996, 312 ff.).

    Offenkundig fromme Wünsche als hilflose Beschwörung bürgerlicher Moral und bürgerlicher Illusionen mitten in der »Globalisierungsfalle«, das ist die zwangsläufige Folge jenes Mangels an grundsätzlicher Kapitalismuskritik. Martin/Schumann sind so sehr in den Kategorien der herrschenden Ordnung befangen, dass sie sich radikale Kritik höchstens als ein »Zurückdrehen des Rades« in einen früheren phänomenologischen Zustand eben desselben Systems vorstellen können, was natürlich immer unmöglich ist. Da hilft dann nur noch das Beten für »Sozialverträglichkeit« und »Demokratisierung«; passende Sub-Leerformeln für die Großleerformel der »Zweiten Moderne«. So oder so – Dabeisein ist alles, die Globalisierung des Kapitals ist unser Schicksal und soll es anscheinend für immer bleiben.

    Propheten und Quacksalber der Globalisierung

    Dieser unkritischen Begriffslosigkeit geht es letzten Endes immer nur um die Frage, wer denn die Verlierer und wer die Gewinner im kapitalistischen Globalisierungsspiel des 21. Jahrhunderts sein werden, während das gesellschaftliche Bezugssystem selber gedankenlos und blind vorausgesetzt wird. In diesem Sinne spricht etwa Edward N. Luttwak, Direktor am Zentrum für Internationale Strategische Studien in Washington und Erfinder des Begriffs »Turbokapitalismus«, von einem »Weltwirtschaftskrieg« (Luttwak 1994). Auch der US-Wirtschaftsprofessor und Management-»Vordenker« Lester C. Thurow sieht in seinem Buch »Kopf an Kopf. Wer siegt im Wirtschaftskrieg zwischen Amerika, Japan und Europa?« (Thurow 1993) die Globalisierung in erster Linie als Konkurrenz der großen Nationalökonomien, Blöcke und Wirtschaftsräume um die Neuaufteilung und Neugruppierung der Weltökonomie.

    Die Häufung militärischer Metaphern im ökonomischen Jargon ist nicht zufällig; sie entspricht der Logik der Konkurrenz ebenso wie den kriegsökonomischen Ursprüngen des Kapitalismus im 16. Jahrhundert. Und stets ist natürlich in einem solchen Kontext die krudeste Interessiertheit das Leitmotiv: Weniger mit Theoretikern als vielmehr mit wissenschaftlichen und publizistischen Lobbyisten oder gar Propheten der jeweiligen »Wettbewerbsfähigkeit« haben wir es zu tun, die allesamt außer Linderungsmittelchen für die sozialen Folgen des globalisierten Kapitals ihre angeblich unfehlbaren »Zukunftsstrategien« feilzubieten haben. In seinem Mammutschmöker »Nationale Wettbewerbsvorteile« verteilte der US-Ökonom Michael

    E. Porter Anfang der 90er Jahre sogar penibel Zensuren für sämtliche großen Industriestaaten mit anschließenden »Länderprogrammen« zwecks guter Besserung (Porter 1991). Diese neuartige seltsame Beraterliteratur für virtuelle nationalökonomische Subjekte hat seither Hochkonjunktur.

    Es fällt auf, dass derartige Traktate blindlings voraussetzen, was durch die Globalisierung gerade hinfällig gemacht wird: nämlich eben den Bezugsrahmen der Nationalökonomie. Der Prozess der Globalisierung erscheint als eine Art Naturgewalt oder neue Umweltbedingung, an der sich die »realen« Nationalstaaten mit ihrer Ökonomie zu orientieren haben. Der US-Ökonom Paul Krugman hat sich vor einigen Jahren damit profiliert, dass er diese Sicht der Globalisierung als »Weltwirtschaftskrieg« seinerseits zu einem Phantom der »Pop-Ökonomen«, »Sprechblasentheoretiker« und »Flachgeister der populärwissenschaftlichen Fraktion« erklärte (Krugman 1999). Er kritisiert diese Vorstellungen freilich nur, um die negativen Auswirkungen der Globalisierung grundsätzlich abzustreiten. Da Staaten in Wirklichkeit nicht wie Unternehmen miteinander konkurrieren würden, so Krugman, handle es sich bei ihren ökonomischen Austauschbeziehungen auch nicht um ein Nullsummenspiel; vielmehr könne eine Ausdehnung des Welthandels mit Gütern, Dienstleistungen und Kapital durchaus zu erhöhtem Wachstum und Wohlstand führen.

    Ob »Globalisierungsfalle«, ob »Weltwirtschaftskrieg« oder »globale Wohlfahrtssteigerung«: allen Kombattanten ist zumindest so viel gemeinsam, dass sie den Globalisierungsprozess bloß als strukturelle Veränderung, als jüngste Entwicklungsphase oder neues Modell des immerwährenden Kapitalismus und seiner glorreichen Marktwirtschaft verstehen wollen. Kunststück, handelt es sich doch ausnahmslos um Vertreter einer Expertokratie von akademischen und publizistischen Mandarinen, die als Politikberater, Managementgurus und Bestsellerautoren konkurrieren – nicht aber als Gesellschaftskritiker.

    So kommt es keinem von ihnen in den Sinn, dass die verhandelten Probleme die Erscheinungsform einer fundamentalen kapitalistischen Krise sein könnten. Eben deshalb geht es in der ganzen Scheindebatte immer nur um ein Sammelsurium von »Fakten« und »Faktoren«, die vor dem Hintergrund vermeintlich »ewiger« apriorischer Kategorien des herrschenden ökonomischen und politischen Systems einmal multipliziert und dann wieder auseinanderdividiert werden.

    Krugman etwa führt die globalen sozialen Probleme (in den USA für ihn vor allem das rasant wachsende Einkommensgefälle) in erster Linie auf die »Schattenseiten des technologischen Fortschritts« (a.a.O., 209 ff.) zurück. Das ist zwar insofern richtig, als die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik in der Tat qua überproportionaler Produktivitätssteigerung im Verhältnis zur Expansionsfähigkeit der Märkte in einer quantitativ und qualitativ neuen Dimension menschliche Arbeitskraft überflüssig macht oder degradiert. Aber weder denkt Krugman auch nur im Traum daran, in dieser Entwicklung eine Gefahr für den kapitalistischen Akkumulationsprozess zu sehen, noch mag er sie für dauerhaft halten. Im Gegenteil sieht er die kapitalistische Zukunft – das gehört zu seinen Berufsvoraussetzungen – in rosigstem Licht:

    »Die Zeit dürfte kommen, in der die meisten Steuerberater von Expertensystemen ersetzt sein werden. Der Mensch als solcher aber wird nicht überflüssig werden. Nach wie vor werden Tausende wirklich schwieriger, komplexer – und gut bezahlter – Dienstleistungen zu verrichten sein, wie Gartenarbeiten (!), Reinigungsarbeiten (!) usw. Solche Dienstleistungstätigkeiten werden einen immer größeren Anteil unserer Ausgaben ausmachen ... Die Hochqualifizierten, denen es in den letzten zwanzig Jahren so gut ging, könnten sich irgendwann als das moderne Gegenstück der Weber des frühen neunzehnten Jahrhunderts wiederfinden ... Ich vermute daher, dass das derzeit zunehmende Lohngefälle (und damit die Entwertung gewöhnlicher Arbeit) eine Entwicklung von begrenzter Dauer sein wird ... Meine Prognose lautet also, dass auf das momentane Zeitalter der Ungleichheit eine goldene Zeit der Gleichheit folgen wird...« (Krugman 1999, 220 f.).

    Leider verrät uns Krugman nicht, wer nach der Wegrationalisierung der kapitalistisch »Hochqualifizierten« und sogar der Steuerberater eigentlich jene famosen persönlichen Dienstleistungen im großen gesellschaftlichen Maßstab kaufen wird. Ebenso wenig macht er sich die Mühe, zu begründen, warum diese weltweit elend bezahlten Dienste sich plötzlich ausgerechnet deswegen einer »guten Bezahlung« erfreuen sollten, weil die »Hochqualifizierten« durch Expertensysteme ersetzt werden. Das Ergebnis könnte nur eine Angleichung auf niedrigem, um nicht zu sagen armseligem Niveau sein. Aber auf Begründungen kommt es hier gar nicht mehr an. Krugman zieht die längst ausgereizte Karte der kapitalistischen »Dienstleistungsgesellschaft« sowieso nur, um sie gegen den Globalisierungsdiskurs auszuspielen. Charakteristischerweise springt er von einer Ebene (Globalisierung des Kapitals) einfach auf eine andere (strukturelles Verhältnis von Industrie- und Dienstleistungskapital). Die bloß vorübergehenden Krisenerscheinungen sollen nicht durch die Globalisierung, sondern durch die neue Qualität des technischen Fortschritts bedingt sein.

    Ganz ähnlich der französische Ökonom Daniel Cohen: In seinem Buch »Fehldiagnose Globalisierung« (Cohen 1997) kommt er zu dem Schluss, dass es allein die Revolutionierung der Produktionstechniken sei, die zu einer Aufspaltung der Qualifikationen und damit zu gesellschaftlichen Problemen geführt habe, »nicht« jedoch weltwirtschaftliche Veränderungen, Deregulierungen etc. dass die Globalisierung in Wirklichkeit ein Produkt der dritten industriellen Revolution selbst ist und beides zusammenhängt, wird so im Unklaren gelassen.

    Dieses Vorgehen hat in der ganzen Debatte Methode. Stets werden nur die Erscheinungen auf den verschiedenen Ebenen gegeneinander ausgespielt, statt nach ihrem inneren Zusammenhang zu fragen. Die richtige Problemstellung in diesem Sinne müsste dagegen lauten: Wie bedingen sich die mikroelektronische Revolution der Produktivkräfte und der Prozess der Globalisierung wechselseitig? Welcher Strukturbruch vollzieht sich in diesen Vorgängen tatsächlich, und inwiefern haben wir es dabei mit einer Zäsur in der kapitalistischen Geschichte zu tun, die sich auf der Ebene der »abstrakten Arbeit« (Marx) selbst manifestiert? Vor allem aber darf die Frage nicht ausgeklammert werden, ob der damit verbundene globale Krisenprozess nicht auf eine innere Schranke des modernen warenproduzierenden Systems verweist und alle systemkonformen Billigrezepte hinfällig macht. Wenn es sich so verhält, dann ist nicht Lebens-, Politik- und Unternehmensberatung angesagt, sondern eine neue radikale Systemkritik, die über den zu Ende gegangenen traditionellen Marxismus hinausgeht.

    Globalisierungskritik auf zu kurzen Beinen

    Natürlich gibt es durchaus Kritik, und die so genannte Anti-Globalisierungsbewegung hat bereits Millionen Menschen in aller Welt auf die Straße gebracht. Seit den späten 90er Jahren deuten die internationalen Großdemonstrationen von Seattle, Genua usw. und das jährliche Weltsozialforum als Gegeninstitution zur offiziellen neoliberalen Weltöffentlichkeit darauf hin, dass sich eine globale soziale Bewegung formiert, deren Konturen noch undeutlich sind. Es ist verständlich, dass eine solche soziale Bewegung von bestimmten unmittelbaren und negativen Erfahrungen ausgeht; von handfesten materiellen Problemen, für die nach einer Bewältigung gesucht wird, ohne dass zunächst die gesellschaftlichen und historischen Bedingungsgründe in den Blick kommen.

    Auf dem Weg von der scheinbaren Unmittelbarkeit des sinnlich und sozial Erfahrenen zur weitergehenden Reflexion und zur Transzendierung des herrschenden gesellschaftlichen Systemzusammenhangs lauern aber die Fallgruben affirmativer Ideologiebildung, die den spontanen Protest in den Grenzen der tradierten und verinnerlichten Ordnung festhalten. Insofern muss eine weitergehende Reflexion die Oberfläche der Erscheinungen und Erfahrungen durchstoßen, um einen Blick für das Wesen des bestehenden Systems und die diesen Erfahrungen zu Grunde liegende gesellschaftliche Logik zu bekommen, die nicht so ohne weiteres ersichtlich ist.

    Diese Aufgabe finden die sozialen Bewegungen des beginnenden 21. Jahrhunderts nicht nur im Kontext der Globalisierung als einer neuen Qualität der kapitalistischen Entwicklung vor, sondern auch im Kontext eines historischen Bruchs in der Gesellschaftskritik. Mit dem seit langem absehbaren Ende der westlichen so genannten Arbeiterbewegung sowie dem Zerfall der südlichen nationalen Befreiungsbewegungen und dem Untergang des östlichen Staatskapitalismus als obsolet gewordenen Formen einer »nachholenden Modernisierung« an der Peripherie des Weltmarkts ist das bisherige marxistische Paradigma der Kapitalismuskritik an historische Grenzen gestoßen

    – ironischerweise zusammen mit seinem Gegenstand, dem globalen Kapitalismus selbst. Diese Gemeinsamkeit der historischen Schranke von traditionellem Marxismus und kapitalistischer Weltgesellschaft verweist darauf, dass die bisherige linke Gesellschaftskritik sich selber noch im Gehäuse kapitalistischer Kategorien bewegte, dass sie eben im wesentlichen immer nur eine Kraft der weiteren »Modernisierung« innerhalb der gesellschaftlichen Formen des warenproduzierenden Systems war.

    Die neuen sozialen Bewegungen stehen also vor einer gewaltigen Herausforderung: Sie können sich in der Auseinandersetzung mit den negativen und destruktiven Phänomenen der Globalisierung nicht auf einen schon in einem historischen Prozess herausgearbeiteten Rahmen, ein Muster, ein Paradigma der Kritik mit einem vertrauten Begriffsapparat beziehen. Vielmehr muss die radikale Kritik selbst neu erfunden werden. dass dabei die präzise Marxsche Analyse der kapitalistischen Formen und gesellschaftlichen Bewegungsgesetze immer noch eine große Rolle spielt und nicht einfach als eine Art ideeller historischer Müll zu entsorgen ist, scheint evident. Aber die Marxsche Theorie muss selber transzendiert, in einem neuen Bezugssystem reformuliert, erweitert und in bestimmten Punkten auch kritisch überwunden werden. Die Aufgabe ist also eine doppelte: Die Bewegungen müssen sich den neuen sozialen Phänomenen und Problemlagen stellen wie alle sozialen Bewegungen zuvor, aber sie müssen gleichzeitig das Paradigma, das Interpretationsmuster und die Begriffe der Kritik neu bestimmen.

    Es gibt im Kontext der Globalisierung eine grundsätzlich veränderte Situation nicht nur für die soziale Praxis, sondern auch für die kritische Theorie. Das spiegelt sich in der akademischen Theoriebildung etwa eines Ulrich Beck ebenso wie in den Reflexionen der Bewegungsaktivisten. Wenn aber Becks begriffliches Konstrukt der angeblichen »zweiten Moderne« eine Verlegenheitslösung und eine Mogelpackung darstellt, dann fragt sich natürlich, wie es damit bei den neuen sozialen Bewegungen selbst steht. Auf den ersten Blick scheint hier zumindest ein Impuls wirksam, der über den traditionellen Marxismus und die akademische Gesellschaftswissenschaft hinausgeht. Die bekannte Parole »Eine andere Welt ist möglich« wird nämlich inzwischen durch die ebenso bekannte Parole »Die Welt ist keine Ware« ergänzt und perspektivisch bestimmt.

    Implizit und explizit geht aber die gesamte akademische Theoriebildung von dem unhinterfragbaren Axiom aus, dass die Welt genau das ist – eine Ware bzw. eine »ungeheure Ansammlung von Waren« (Marx), produziert durch jene ominöse »abstrakte Arbeit« als spezifisch kapitalistische Tätigkeitsform im Rahmen betriebswirtschaftlicher Rationalität. Und trotz der Marxschen Kritik am modernen Warenfetischismus liefen der westliche Arbeiterbewegungsmarxismus, die südlichen nationalen Befreiungsbewegungen und der östliche Staatskapitalismus auf nichts anderes hinaus als auf eine Teilhabe am modernen warenproduzierenden System und auf eine bloße staatliche Moderation der abstrakten, ihrem stofflich-sinnlichen Inhalt gegenüber in jeder Hinsicht gleichgültigen Produktionsweise. Insofern scheint die Parole »Die Welt ist keine Ware« den praktischen und theoretischen Konsens der Modernisierungsgeschichte aufzukündigen, um aus den neuen Krisenerscheinungen der dritten industriellen Revolution und der damit verbundenen Globalisierung eine tiefer gehende, radikalere Kritik zu entwickeln, nämlich erstmals eine Kritik der gesellschaftlichen Warenform selbst.

    Um zu sehen, wie ernst diese Parole gemeint ist und ob sie tatsächlich eingelöst oder auch nur der Versuch dazu gemacht wird, ist es nötig, die in den Bewegungen zirkulierende kritische Reflexion zu prüfen. Und zwar nicht die äußerlich etwa von traditionell marxistischen Gruppen und Sekten (nicht selten trotzkistischer Provenienz) herangetragenen alten Theorien bzw. deren Verfallsgestalten, sondern die authentische Reflexion im Kontext der Bewegungen selbst. Exemplarisch in dieser Hinsicht könnten zum einen die Auffassungen sein, wie sie die weltweit in den sozialen Bewegungen prominent gewordene französische Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne und besonders deren Führer José Bové vertreten. Zum andern sind es die Ideen der kanadischen Autorin und Aktivistin Naomi Klein, wie sie in ihrem Buch »No Logo!« formuliert sind, das zum internationalen Bestseller wurde.

    Die Gedanken von Bové und seinem Mitstreiter Francois Dufour sind unter Mitarbeit des Journalisten Gilles Luneau in dem Buch »Die Welt ist keine Ware« zusammengefasst, das gewissermaßen die neue Parole kreiert hat, 1999 bzw. in erweiterter Fassung 2000 auf Französisch herauskam und inzwischen in einer internationalen Ausgabe parallel auf Deutsch, Spanisch, Italienisch, Englisch, Portugiesisch, Türkisch, Katalanisch, Japanisch und Koreanisch erschienen ist. Zweifellos enthalten die dabei formulierten Analysen der weltweiten kapitalistischen Agro-Industrie und der damit verbundenen Lebensmittelkonzerne sowie Fastfoodketten wichtige Einsichten in den destruktiven Charakter von »abstrakter Arbeit« und Warenproduktion hinsichtlich der Nahrungsmittel und ihrer Qualität. Mit dem polemischen Begriff des »Schlechtessens« (Malbouffe) einerseits und der Forderung nach »Ernährungssouveränität« der Menschen andererseits werden erst einmal empirische Bestimmungen entwickelt, die Momente einer Kritik des warenproduzierenden Systems sein können.

    Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die scheinbar konkrete Kritik an bestimmten negativen, sinnlich erfahrbaren Erscheinungen nicht in geringster Weise mit einer Kritik der gesellschaftlichen Warenform vermittelt ist, deren innere Dynamik doch den globalen Krisenerscheinungen zu Grunde liegt. Stattdessen finden wir im Manifest der Confédération Paysanne zentrale Aussagen, die auf das vollkommene Gegenteil verweisen:

    »Bäuerliche Landwirtschaft muss ... wirtschaftlich effizient sein. Sie muss, gemessen an den eingesetzten Produktionsmitteln und im Hinblick auf die produzierten Mengen, eine hohe Wertschöpfung aufweisen. Nur unter dieser Bedingung können die Bauern mit relativ bescheidenen Produktionsmengen zurechtkommen, und nur unter dieser Bedingung kann die Landwirtschaft eine große Anzahl von Arbeitskräften beschäftigen. Eine in dieser Form effiziente Produktion ist Voraussetzung für die Produktion von Qualität« (Bové/Dufour 2001, 282).

    Hier finden wir die zentralen Kategorien und Kriterien des warenproduzierenden Systems ganz positivistisch und unkritisch wieder: abstrakte »Effizienz«, »Wertschöpfung«, »Beschäftigung« von »Arbeitskräften«. Der inhaltsleere Produktivismus, den Bové und seine Mitstreiter auf der praktisch-sinnlichen Ebene so beredt kritisieren, kehrt begriffslos in ihr Räsonnement zurück, sobald es um die Abstraktionsebene der gesellschaftlichen Form geht, die diese destruktiven Inhalte überhaupt hervorgebracht hat, wie sie sich in den Krisenerscheinungen von dritter industrieller Revolution und Globalisierung verschärft manifestieren. Es geht also auch den Bewegungsaktivisten darum, den Pelz zu waschen, ohne ihn naß zu machen. Sie kritisieren gewissermaßen nur die Oberflächenebene, während das »Betriebssystem« des gesellschaftlichen Formzusammenhangs ausgeblendet bleibt. Insofern denken sie selber in den Kategorien der Ware und wollen sich gar keine Vorstellung über eine Welt jenseits davon machen.

    Damit bleiben sie aber auf der basalen Ebene der gesellschaftlichen Form kompatibel mit dem vielgehassten Neoliberalismus. Was dann als vermeintliche Kritik einer Welt der Waren übrig bleibt, ist nichts als eine verkürzte und nebelhafte Denunziation von (subjektiver) »Profitgier« und »Geldgeilheit«, wie sie gerade von reaktionären Demagogen und Kultur-konservativen schon seit gut 200 Jahren bemüht wird. Dufour etwa prangert völlig platt diejenigen an, »die aus allem Profit schlagen wollen, dem Diktat von König Geld folgen« (a.a.O., 210). Das Geld ist aber nur die Erscheinungsform der universellen Warenproduktion, nicht deren Wesen, das in »abstrakter Arbeit« und Wertform gründet. Die Weltkrise der dritten industriellen Revolution geht vom System der »abstrakten Arbeit« selbst aus, nicht bloß von der Oberfläche der Geldbeziehungen. Die Konsequenzen aus dieser verkürzten Kritik macht unmissverständlich Bové deutlich:

    »Wozu das führt, sieht man daran, dass die Zirkulation von Geld mehr abwirft als die traditionellen Produktions- und Handelsaktivitäten. Heute bearbeitet das Geld sich selbst: Bei jeder Weltumrundung macht es Gewinn. Wo ist da die Schaffung von Gütern, von Reichtum für andere? Das Geld, die Macht der Aktionäre, die Pensionsfonds, Spekulanten aller Art zwingen den Unternehmen eine solche hohe Profitrate auf, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als Beschäftigte zu entlassen, obwohl sie Gewinn machen ... Eine neue Art von Parasiten (!), von gelddürstigen Vampiren macht uns das Leben schwer. Geldjunkies sind das« (a.a.O., 211).

    Hier wird überdeutlich, dass Bové nicht nur ebenso wie der traditionelle Marxismus die eine Seite der Warenform, nämlich die Produktion oder »abstrakte Arbeit«, gegen die andere Seite derselben Form, nämlich die Zirkulation oder das Geld, auszuspielen sucht. Vielmehr fällt er noch hinter den Marxismus zurück, indem er wie die Utopisten oder der ur-anarchistische Ökonom Proudhon nur das spekulative Geld oder implizit das zinstragende Geldkapital für die Übel des modernen warenproduzierenden Systems verantwortlich machen will, während »traditionelle« Warenproduktion und »Handelsaktivitäten« als solche sogar positiv als Gegenbild beschworen werden. Nicht umsonst bezieht sich Bové gelegentlich auf den alten, in vieler Hinsicht an Proudhon anschließenden Syndikalismus, den historischen Zwillingsbruder des Arbeiterbewegungsmarxismus, der in Wahrheit ebenso obsolet ist. Bové stellt dabei wie seine historischen Gewährsleute das Verhältnis von zinstragendem Kapital bzw. Spekulation einerseits und »Produktionsaktivitäten« andererseits auf den Kopf; denn die Spekulation und das damit zusammenhängende »fiktive Kapital« (Marx), wie sie sich im Zuge der Globalisierung als weltumspannender finanzkapitalistischer Zusammenhang neuen Typs herausgebildet haben, ersticken nicht etwa qua Boshaftigkeit von »gelddürstigen Vampiren« die »gute« und »reelle« Warenproduktion, sondern sie wachsen im Gegenteil schon immer aus den inneren Widersprüchen und Krisen dieser Produktion selbst hervor; und heute eben in neuer Qualität.

    Die Globalisierungskritik von Bové läuft auf viel zu kurzen Beinen, weil er bloß zurück will zu einem sowieso idealisierten »traditionellen« Zustand der Warenproduktion, der den anonymen Mächten weltkapitalistischer Vergesellschaftung gegenüber als Imagination des »kleinen« Warenproduzenten geltend gemacht wird. Das ist aber noch nicht alles. Denn die von Bové geschürte Pogromstimmung gegen »die Spekulanten« und die Rede von den »Parasiten« knüpft bewusst an die schlimmsten Ideologiebildungen der Modernisierungsgeschichte an. So naiv kann dieser Bauernführer mit durchaus intellektueller Geschichte gar nicht sein, dass er von diesen Zusammenhängen als Unschuld vom Lande nichts wüsste. Jedem Schulkind ist heute bekannt, dass eine auf Spekulation und zinstragendes Kapital verkürzte Kapitalismuskritik, die mit Begriffen wie »Parasiten« und »Geldjunkies« operiert, unvermeidlich an den antisemitischen Wahn anschließt und ihn füttert. Nach Auschwitz kann man nicht mehr ungestraft eine derart dumpfe Spekulantenhetze betreiben. Auch die Nazis stellten den Gegensatz des »schaffenden« (produktiven) und des »raffenden« (spekulativen, als »jüdisch« konnotierten) Kapitals ins Zentrum ihrer Mordideologie. Bei den Aussagen von Bové kann einem nur noch übel werden. »Die Welt ist keine Ware«, diese scheinbar griffige und weiterführende Parole, knüpft so in Wahrheit an die Naziparole an: »Der Jude (der Spekulant) macht den Menschen zur Ware«. Es ist geistiges Malbouffe, was Bové da verbreitet. Der Ausgangspunkt der Globalisierungskritik von Naomi Klein ist nicht die Landwirtschaft, sondern das Marketing. »No Logo!« bezieht sich auf eine Entwicklung innerhalb des globalen warenproduzierenden Systems hin zu »Markennamen«, bei denen der Gebrauchswert der Ware hinter dem Logo verschwindet und eine virtuelle Pseudorealität aufgebaut wird, die dann auf das wirkliche Leben abfärbt. Die Globalisierung sieht sie vor allem unter diesem Aspekt:

    »Die Markenpolitiker gewannen, und ein neuer Konsens wurde geboren. Die Produkte, die in Zukunft florieren, werden nicht mehr als ›Waren‹ präsentiert, sondern als Ideen: die Marke als Erfahrung, als Lifestyle ... Die Markenmanie hat einen neuen Typ des Geschäftsmanns hervorgebracht. Er verkündet mit stolzgeschwellter Brust, die Marke X sei kein Produkt, sondern ein Lebensstil, sei eine Haltung, ein Wertesystem, ein Aussehen, eine Idee ... ›Nike‹, verkündete Phil Knight in den Achtzigerjahren, sei ein ›Sportunternehmen‹; seine Mission bestehe nicht darin, Schuhe zu verkaufen, sondern ›das Leben der Menschen durch Sport und Fitness zu verbessern‹ und ›den Zauber des Sports am Leben‹ zu erhalten. Der Präsident und Turnschuhschamane des Unternehmens Tom Clark erklärt, dass ›wir uns dank der Inspiration des Sports ständig neu gebären können‹. Berichte über solche Erleuchtungen hinsichtlich der ›Markenvision‹ wurden an allen Ecken und Enden laut. ›Das Problem von Polaroid‹, diagnostizierte John Hegarty, Chairman der Werbeagentur des Unternehmens, ›bestand darin, dass man sich immer als Kamera präsentierte, doch der Prozess der (Marken-)Vision hat uns etwas gelehrt: Polaroid ist keine Kamera, sondern ein soziales Schmiermittel‹. IBM verkauft keine Computer, sondern ›Problemlösungen‹ für Unternehmen, Bei Swatch geht es nicht um Uhren, sondern um die Idee der Zeit ... Die radikale Markenpolitik lässt sich keineswegs als bloße Spielwiese für die Vermarkter von modischen Konsumgütern wie Turnschuhen, Jeans und New-Age-Getränken abtun. Caterpillar, eigentlich ein Hersteller von Traktoren und bekannt für seine Gewerkschaftsfeindlichkeit, stürzte sich mit Feuereifer in die neue Markenpolitik und brachte die Cat-Accessoires auf den Markt: Stiefel, Rucksäcke, Hüte und alles Mögliche andere, das nach einem postindustriellen je-nesais-quoi schreit ... Seit Mitte der Neunzigerjahre sind die global operierenden Konzerne ... mit geradezu religiösem Eifer auf den Markenboom eingeschwenkt. Nie wieder wird die Wirtschaft vor dem Altar des Gebrauchsgütermarktes das Haupt beugen. Von nun an wird sie nur noch den durch die Medien geschaffenen Götzenbildern huldigen...« (Klein 2005/2000, 42-46, Hervorheb. Klein).

    Ähnlich wie Bové und seine Bauerngewerkschaft trifft auch Naomi Klein mit ihrer Kritik bestimmter Erscheinungen durchaus ein qualitatives Krisenproblem des sich globalisierenden Kapitalismus. Die universelle Warenproduktion, wie sie aus der Logik der Verwertung von Kapital folgt, tendiert dazu, sich vom Gebrauchswert zu entkoppeln. Die französischen Situationisten und ihr Haupttheoretiker Guy Debord hatten schon in den 60er Jahren die scheinhafte Medialisierung und Virtualisierung kapitalistischer Reproduktion mit dem Begriff der »Gesellschaft des Spektakels« bezeichnet. Streckenweise liest sich die Analyse von Naomi Klein wie eine Reminiszenz an die Situationisten im Kontext des beginnenden 21. Jahrhunderts. Nicht nur bei den Nahrungsmitteln in Gestalt des »Malbouffe«, sondern generell bei allen Gegenständen des Bedarfs und bei allen Dienstleistungen überlagern eine oft infantile »Botschaft«, eine Lifestyleimagination, die Suggestion eines Lebensgefühls etc. die Nützlichkeit und den realen Genuss. Zunehmender »Gebrauchswertschrott«, an sich peinlich, ungenießbar, bloß noch zum schnellen Wegwerfen bestimmt, wird mit Gefühlen aufgeladen, wie sie die Leere des kapitalistischen Daseins überspielen sollen (»Erlebniseinkauf« etc.; inzwischen gibt es sogar schon »Erlebnisbäckereien«). Diese Entwicklung geht weit über die traditionellen Reklametechniken hinaus, auch wenn sie ursprünglich darin wurzelt.

    dass der Gebrauchswert in gewisser Weise »verschwindet« bzw. völlig verzerrt und sekundär besetzt wird, diese Einsicht tauchte in der Reflexion des »westlichen Marxismus« außer bei den Situationisten in verschiedener Weise auf, konnte jedoch nicht zu einer grundsätzlichen Kritik der Warenform und ihrer globalen Entfaltung zugespitzt werden. Naomi Klein ist dieser Gedankenweg erst recht völlig fremd; ihre Reflexion verbleibt ganz selbstverständlich im Rahmen des warenproduzierenden Systems. Was sie beklagt, ist »die Übermacht des Marketings gegenüber der Produktion« (a.a.O., 43). Die Wirtschaft soll wieder »vor dem Altar des Gebrauchsgütermarktes das Haupt beugen«, der dann eben ein Markt für die Warenprodukte der »abstrakten Arbeit« bleibt.

    Das gilt im weiteren auch für die Produktionsbedingungen selbst: Klein sieht die Erscheinungen des Billiglohns, der miserablen Arbeitsbedingungen, der Privatisierung, der Zwangsmigration usw., wie sie sich im Zuge des Globalisierungsprozesses ständig verschärfen, ebenfalls nur im Kontext der auf »Markenmanie« geeichten, weltweit operierenden Konzerne, die sich hinter den Imaginations- und Identifikationsmustern ihrer »Logos« moralisch verstecken. So richtig die Kritik an der negativen praktischen Erfahrung ist und die Phänomene benennt – sie dringt nicht bis zum Wesen und damit zur immanenten Logik des Gesellschaftsverhältnisses vor, das jene Erscheinungen erst hervorgebracht hat.

    Wie Bové stellt auch Klein eine idealisierte »Produktion« (von Gebrauchsgütern, deren Warenform ausgeblendet bleibt) dem Marketing und der Politik der »Logos« entgegen; und wie dieser erkennt sie nicht, dass die beklagte negative Entwicklung aus dieser Produktion selbst hervorgegangen ist. Und abermals wie Bové kritisiert sie so nicht die globalisierte Warenform als solche, sondern bloß die Tatsache, dass

    »heute so viel Macht im Virtuellen konzentriert ist – in Devisenhandel, Aktienkursen, geistigem Eigentum, Marken und geheimen Handelsabkommen. Indem sich die Protestaktionen auf Symbole konzentrierten, von der berühmten Marke wie Nike bis zum internationalen Gipfeltreffen führender Politiker, wurde das Ungreifbare zeitweise konkretisiert, der riesenhafte Weltmarkt auf ein menschlicheres Maß zurechtgestutzt« (Klein, a.a.O., 507).

    Der Reduktion der Kritik auf die sekundäre Ebene der kapitalistischen Geldbeziehungen entspricht die Fokussierung auf die »Konzerne« statt auf die Produktionsweise selbst, und die krude Personalisierung auf »fiese« Manager und Politiker. Klein versteigt sich zwar nicht zur kaum verhüllten, antisemitisch konnotierten Spekulantenhetze wie Bové, aber ihre Argumentation liegt auf derselben Linie. Nicht um eine »Konkretisierung« des Ungreifbaren handelt es sich dabei, nicht um ein Zurückbringen des riesenhaften Weltmarkts auf das vermeintlich »menschliche Maß« von subjektiven, persönlichen Verursachern, sondern um eine ideologische Mystifikation. Das »Ungreifbare« könnte nur dadurch konkretisiert werden, dass der gesellschaftliche Formzusammenhang, der die handelnden Subjekte übersteigt, in seiner Entwicklung analysiert wird.

    Auch Naomi Klein möchte stattdessen nur eine »gute«, »reelle« Warenproduktion zurückbringen (die es in Wahrheit so nie gegeben hat), eine Warenproduktion mit handfesten Gebrauchswerten, mit anerkannten Gewerkschaften, annehmbaren Löhnen und Arbeitsbedingungen usw., kurz: eine sozial und sinnlich konkret gemachte »abstrakte Arbeit«, ein Widerspruch in sich, und im Grunde genommen bloß eine Idealisierung des Kapitalismus vor der dritten industriellen Revolution und der Globalisierung, aus dem doch gerade die »Gesellschaft des Spektakels« und die heutige Weltkrise hervorgegangen sind.

    Naomi Klein sieht inzwischen selber, dass eine Gegenbewegung, die nur auf der »Entwertung mächtiger kapitalistischer Symbole« (a.a.O., 507) beruht, etwa durch moralische Diskreditierung von »Logos« wie Shell, Nike usw., indem deren üble Praktiken aufgedeckt werden, zu kurz greift: Sie wird von der Semiotik des Marketings wieder eingeholt; sogar dadurch, dass die »Logos« selber paradox mit der Thematisierung des Elends operieren, als würden sie dieses nicht mit erzeugen. Das geht überhaupt nur, weil bei solchen imaginativen Markenkampagnen die Lücke in der kritischen Reflexion ausgenutzt werden kann, die genau in der mangelnden konkreten Kritik von Warenform und »abstrakter Arbeit« besteht.

    Naomi Klein aber propagiert als Alternative (und darin drückt sie nur das gegenwärtige allgemeine Bewegungsbewusstsein aus) nichts als die »Unmittelbarkeit« einer eher gefühlsmäßig bestimmten Gegengesellschaft: »Aktionen, die auf die Erfüllung unmittelbarer Bedürfnisse abzielen« (a.a.O., 513), und ein unmittelbar anders gelebtes Leben und Produzieren im Nahbereich. Wie

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