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Psychologie der Massen
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eBook231 Seiten4 Stunden

Psychologie der Massen

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Über dieses E-Book

Gustave Le Bon: Psychologie der Massen | Neu editiert, in aktualisierter Rechtschreibung, voll verlinkt, mit eBook-Inhaltsverzeichnis und verlinkten Fußnoten | Mit einem aktuellen Vorwort | Gustave Le Bons Buch Psychologie der Massen ist mehr als eine brillante Analyse von Massenphänomenen - es ist eine Warnung davor. Für Le Bon ist die Masse im höchsten Maße manipulierbar, in ihr zeigt sich das Instinktive, Triebartige und Unbewusste, und sie neigt zu Intoleranz und Verfolgung Andersartiger. Eine einheitliche, kaum kontrollierbare und oft gefährliche "Kollektivseele", bildet sich (»loi de l'unité mentale des foules«). Le Bon macht auf die entscheidende Rolle eines "Führers" in einer Massensituation aufmerksam. In diesem Zusammenhang formuliert er etwa: "Ohne Führer ist die Masse wie eine Herde ohne Hirten. Große Führer können einen Glauben erwecken und damit ganze Völker steuern. Sie wirken oft durch eine große Rednergabe. - Gelegentlich findet man unter ihnen Nervöse, Reizbare und Halbverrückte." Obwohl dies wie auf Hitler gemünzt klingt, ist es nicht so. Der Text wurde 1895 veröffentlicht - und machte Le Bon zum Begründer der modernen Massenpsychologie. © eClassica, 2017
SpracheDeutsch
HerausgeberEClassica
Erscheinungsdatum18. Mai 2017
ISBN9783961898299
Autor

Gustave Le Bon

Gustave Le Bon lebte von 1841 bis 1931 und wurde weltberühmt mit seinem Werk "Psychologie der Massen", mit dem er einen Standard in der Massenpsychologie setzte.

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    Buchvorschau

    Psychologie der Massen - Gustave Le Bon

    Vorwort des Herausgebers

    Gustave Le Bons Buch Psychologie der Massen ist mehr als eine brillante Analyse von Massenphänomenen – es ist eine Warnung davor. Für Le Bon ist die Masse, im Gegensatz zum Individuum, kein »Kulturerzeuger«, sondern sie wirkt dunkel und negativ, ist im höchsten Maße manipulierbar, und neigt zu Intoleranz und Verfolgung Andersartiger. In der Masse zeigt sich das Instinktive, das Triebartige und Unbewusste. Die Individualität der Einzelnen tritt zurück, er verliert seine Kritikfähigkeit und verhält sich affektiv, zum Teil primitiv-barbarisch. Eine einheitliche, kaum kontrollierbare und oft gefährliche »Kollektivseele«, bildet sich (»loi de l'unité mentale des foules«).

    Revolutionär neu war an Le Bons Buch, dass er sich aus psychologischer Sicht mit Themenfeldern auseinandersetzt, die zwar seit Urzeiten in menschlichen Gesellschaften, insbesondere in Konfliktsituationen, eine Rolle spielen, die aber in dieser Form noch nie ausformuliert wurden. Es geht um Konformität, Entfremdung und Führung – und um die zentrale Rolle des Unbewussten.

    Le Bon macht auch auf die entscheidende Rolle eines »Führers« in einer Massensituation aufmerksam, listet die Kriterien eines »geeigneten« Führers auf und beschreibt verschiedene Führertypen. In diesem Zusammenhang formuliert er etwa: »Ohne Führer ist die Masse wie eine Herde ohne Hirten. Große Führer können einen Glauben erwecken und damit ganze Völker steuern. Sie wirken oft durch eine große Rednergabe. – Führer sind keine Denker, sondern Männer der Tat, gelegentlich findet man unter ihnen Nervöse, Reizbare und Halbverrückte.«

    Obwohl dies wie auf Hitler gemünzt klingt, ist es nicht so. Der Text wurde 1895 veröffentlicht – und Le Bons Schreckensbild waren die sozialistischen Ideen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Europa auf dem Vormarsch waren. Sozialismus bedeutete für Le Bon die Gleichmacherei der Menschheit, und in einer möglichen sozialistischen Revolution sah er den Untergang der westlichen Zivilisation. – Er ahnte nicht, dass alles viel schlimmer kommen würde, allerdings aus einer ganz anderen Richtung: durch die Nazis. Man nimmt heute an, dass Hitler Le Bons Werk kannte, oder mindestens aus einer Zweitquelle zum Teil rezipierte. Man kann davon ausgehen, dass er bewusst die Lehren und Kenntnisse des französischen Soziologen übernahm und für seine manipulativen Zwecke ausnutzte.

    Auf diese Ideen zu stoßen, war nicht schwer, denn »Die Psychologie der Massen« fand bereits zu Lebzeiten des Autors große internationale Anerkennung. Das Werk erreichte eine hohe Auflage und wurde in zehn Sprachen übersetzt. Es galt im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts als Standardwerk der Massenpsychologie und beeinflusste Sigmund Freud ebenso wie Max Weber und viele andere Denker. Gustave Le Bon kann somit als Begründer der modernen Massenpsychologie gelten.

    © Redaktion eClassica

    Über den Autor: Gustave Le Bon (* 7. Mai 1841 in Nogent-le-Rotrou; † 15. Dezember 1931 in Paris) erlebte die Krisenzeiten der Februarrevolution von 1848 und der Pariser Kommune von 1871; beide Ereignisse prägten ihn stark. Nach einem Medizinstudium war er 1870 Militärarzt in einem Lazarett und beobachtete den fanatischen Eifer, den die französischen Soldaten im deutsch-französischen Krieg an den Tag legten. Hier begann er sich erste Gedanken über die »Manipulation der Volksseele« zu machen. Ab 1881 betrieb er auf verschiedenen Reisen, unter anderem nach Nordafrika und Indien, völkerkundliche Studien, und veröffentlichte 1881 bis 1891 mehrere Werke zu den Themengebieten Anthropologie, Archäologie und Ethnologie. 1895 schließlich veröffentlichte er sein Hauptwerk Psychologie der Massen, das ihn zum einflussreichsten Soziologen seiner Zeit machte.

    Vorwort zur ersten Auflage

    Die organisierten Massen haben zu allen Zeiten eine wichtige Rolle im Völkerleben gespielt, niemals aber in solchem Maße wie heute.(1) Die unbewusste Wirksamkeit der Massen, die an die Stelle der bewussten Tatkraft der einzelnen tritt, bildet ein wesentliches Kennzeichen der Gegenwart.

    Ich habe versucht, das schwierige Problem der Massen in streng wissenschaftlicher Weise zu behandeln, also methodisch und unbekümmert um Meinungen, Theorien und Doktrinen. Nur so, glaube ich, kommt man zur Erkenntnis der Wahrheit, besonders, wenn es sich, wie hier, um eine Frage handelt, die die Geister lebhaft erregt. Der Forscher, der sich um die Erklärung einer Erscheinung bemüht, hat sich um die Interessen, die durch seine Untersuchung berührt werden können, nicht zu kümmern. Ein ausgezeichneter Denker, Goblet d'Alviella, hat in einer seiner Schriften gesagt, ich gehöre keiner zeitgenössischen Kritik an und träte zuweilen in Gegensatz zu gewissen Folgerungen aller Schulen. Hoffentlich verdient die vorliegende Arbeit das gleiche Urteil. Zu einer Schule gehören heißt: deren Vorurteile und Standpunkte teilen müssen.

    Ich muss jedoch dem Leser erklären, warum ich aus meinen Studien Schlüsse ziehe, welche von denen abweichen, die sich auf den ersten Blick daraus ergeben, z. B. wenn ich den außerordentlichen geistigen Tiefstand der Massen feststelle und doch behaupte, es sei ungeachtet dieses Tiefstandes gefährlich, die Organisation der Massen anzutasten.

    Sorgfältige Beobachtung der geschichtlichen Tatsachen hat mir nämlich stets gezeigt, dass es ganz und gar nicht in unserer Macht steht, die sozialen Organismen, die ebenso kompliziert sind wie andere Organisationen, jäh tiefgehenden Umwandlungen zu unterwerfen. Zuweilen ist die Natur radikal, doch nicht so, wie wir es verstehen; daher gibt es nichts Traurigeres für ein Volk als die Leidenschaft der großen Umgestaltungen, so vortrefflich sie theoretisch scheinen mögen. Nützlich wären sie nur dann, wenn es möglich wäre, die Seelen der Völker plötzlich zu ändern. Die Zeit allein hat diese Macht. Die Menschen werden von Ideen, Gefühlen und Gewohnheiten geleitet, von Eigenschaften, die in ihnen selbst stecken. Einrichtungen und Gesetze sind Offenbarungen unserer Seele, der Ausdruck ihrer Bedürfnisse. Da die Einrichtungen und Gesetze von der Seele ausgehen, wird sie von ihnen nicht beeinflusst.

    Das Studium der sozialen Erscheinungen lässt sich nicht von dem der Völker trennen, bei denen sie sich gebildet haben. Philosophisch betrachtet, können diese Erscheinungen unbedingten Wert haben, praktisch aber sind sie nur von bedingtem Wert.

    Man muss also beim Studium einer sozialen Erscheinung dieselbe Sache nacheinander von zwei ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten. Wir sehen demnach, dass die Lehren der reinen Vernunft sehr oft denen der praktischen entgegengesetzt sind. Es gibt keine Tatsachen, auch nicht auf physischem Gebiet, auf die sich diese Unterscheidung nicht anwenden ließe. Vom Gesichtspunkt der unbedingten Wahrheit aus sind ein Würfel, ein Kreis unveränderliche geometrische Figuren, die mittels feststehender Formeln genau zu bestimmen sind. Für den Gesichtssinn können diese geometrischen Figuren sehr mannigfache Formen annehmen. In der Wirklichkeit kann die Perspektive den Würfel in eine Pyramide oder in ein Quadrat, den Kreis in eine Ellipse oder Gerade verwandeln. Und diese angenommenen Formen sind von viel größerer Bedeutung als die wirklichen; denn sie sind die einzigen, die wir sehen und die sich photographisch oder zeichnerisch wiedergeben lassen. Das Unwirkliche ist in gewissen Fällen wahrer als das Wirkliche. Es hieße, die Natur umformen und unkenntlich machen, wollte man sich die Dinge in ihren streng geometrischen Formen vorstellen. In einer Welt, deren Bewohner die Dinge nur abbilden oder photographieren könnten, jedoch nicht berühren, würde man nur sehr schwer zu einer genauen Vorstellung ihrer Form gelangen, und die Kenntnis dieser Form, die nur einer geringen Zahl von Gelehrten zugänglich wäre, würde nur schwaches Interesse wecken.

    Der Philosoph, der die sozialen Erscheinungen studiert, muss sich vor Augen halten, dass sie neben ihrem theoretischen auch praktischen Wert haben und dass dieser vom Gesichtspunkt der Kulturentwicklung der einzig bedeutsame ist. Das muss ihn sehr vorsichtig machen gegen die Folgerungen, welche die Logik ihm zunächst einzugeben scheint. Auch andere Gründe veranlassen ihn zur Zurückhaltung. Die sozialen Tatsachen sind so verwickelt, dass man sie in ihrer Gesamtheit nicht umfassen und die Wirkungen ihrer wechselseitigen Beeinflussung nicht voraussagen kann. Auch scheinen sich hinter den sichtbaren Tatsachen oft Tausende von unsichtbaren Ursachen zu verbergen. Die sichtbaren sozialen Tatsachen scheinen die Folgen einer riesigen, unbewussten Wirkungskraft zu sein, die nur zu oft unserer Untersuchung unzugänglich ist. Die wahrnehmbaren Erscheinungen lassen sich den Wogen vergleichen, welche der Oberfläche des Ozeans die unterirdischen Erschütterungen mitteilen, die in seinen Tiefen vorgehen, und die wir nicht kennen. In den meisten Fällen zeigt die Handlungsweise der Massen eine außerordentlich niedrige Geistigkeit; aber in anderen Handlungen scheinen sie von jenen geheimnisvollen Kräften gelenkt zu werden, welche die Alten Schicksal, Natur, Vorsehung nannten, die wir als die Stimmen der Toten bezeichnen, und deren Macht wir nicht verkennen können, so unbekannt uns auch ihr Wesen ist. Oft scheint es, als ob die Völker in ihrem Schoß verborgene Kräfte tragen, von denen sie geführt werden. Kann etwas verwickelter, logischer, wunderbarer sein als eine Sprache? Und entspringt nicht dies wohlgeordnete und feine Gebilde der unbewussten Massenseele? Die gelehrtesten Hochschulen verzeichnen nur die Regeln dieser Sprachen, wären aber nicht imstande, sie zu schaffen. Wissen wir sicher, ob die genialen Ideen der großen Männer ausschließlich ihr eigenes Werk sind? Zweifellos sind sie stets Schöpfungen einzelner Geister, aber die unzähligen Körnchen, die den Boden für den Keim dieser Ideen bilden, hat die Massenseele sie nicht erzeugt?

    Gewiss üben die Massen ihre Wirkungskraft stets unbewusst aus. Aber vielleicht ist gerade dies Unbewusste das Geheimnis ihrer Kraft. In der Natur gibt es Wesen, die nur aus Instinkt handeln und Taten vollbringen, deren wunderbare Mannigfaltigkeit wir anstaunen. Der Gebrauch der Vernunft ist für die Menschheit noch zu neu und zu unvollkommen, um die Gesetze des Unbewussten enthüllen zu können und besonders, um es zu ersetzen. Der Anteil des Unbewussten an unseren Handlungen ist ungeheuer und der Anteil der Vernunft sehr klein. Das Unbewusste ist eine Wirkungskraft, die wir noch nicht erkennen können. Wollen wir uns also in den engen, aber sicheren Grenzen der wissenschaftlich erkennbaren Dinge halten und nicht auf dem Felde unbestimmter Vermutungen und nichtiger Voraussetzungen umherirren, so dürfen wir nur die Erscheinungen feststellen, die uns zugänglich sind, und müssen uns damit begnügen. Jede Folgerung, die wir aus unseren Beobachtungen ziehen, ist meistens voreilig; denn hinter den wahrgenommenen Erscheinungen gibt es solche, die wir undeutlich sehen, und hinter diesen wahrscheinlich noch andere, die wir überhaupt nicht erkennen.

    Le Bon

    ____________________

    ↑ (1) Vorwort leicht gekürzt. Le Bon verweist auch auf seine frühere Arbeit Psychologische Gesetze der Völkerentwicklung. (Anmerkung der Redaktion)

    Einleitung:

    Das Zeitalter der Massen

    Entwicklung des gegenwärtigen Zeitalters — Die großen Kulturwenden sind die Folge von Wandlungen im Denken der Völker — Der Glaube der Neuzeit an die Macht der Massen — Er verändert die hergebrachte Politik der Staaten — Wie sich das Emporkommen der Volksklassen vollzieht und wie sie ihre Macht ausüben — Die Syndikate — Notwendige Folgen der Macht der Massen — Sie können nur eine zerstörerische Rolle spielen — Durch sie vollendet sich die Auflösung der zu alt gewordenen Kulturen — Allgemeine Unkenntnis der Psychologie der Massen — Wichtigkeit des Studiums der Massen für Gesetzgeber und Staatsmänner

    Entwicklung des gegenwärtigen Zeitalters

    Die großen Erschütterungen, welche den Kulturwenden vorangehen, scheinen auf den ersten Blick durch bedeutsame politische Veränderungen bestimmt zu sein: durch Völkerinvasion oder durch den Sturz von Herrscherhäusern. Eine aufmerksame Untersuchung dieser Ereignisse enthüllt jedoch hinter ihren scheinbaren Ursachen als wahre Ursache eine tiefgehende Veränderung in den Anschauungen der Völker. Das sind nicht die wahren historischen Erschütterungen, die uns durch ihre Größe und Heftigkeit verwundern. Die einzigen Veränderungen von Bedeutung — die einzigen, aus welchen die Erneuerung der Kulturen hervorgeht — vollziehen sich innerhalb der Anschauungen, der Begriffe und des Glaubens. Die bemerkenswerten Ereignisse der Geschichte sind die sichtbaren Wirkungen der unsichtbaren Veränderungen des menschlichen Denkens. Wenn diese großen Ereignisse so selten sind, so hat das seinen Grund darin, dass es nichts Beständigeres in einer Rasse gibt als das Erbgut ihrer Gefühle.

    Das gegenwärtige Zeitalter bildet einen jener kritischen Zeitpunkte, in denen das menschliche Denken im Begriff ist, sich zu wandeln.

    Da die Ideen der Vergangenheit, obwohl halb zerstört, noch sehr mächtig, und die Ideen, die sie ersetzen sollen, erst in der Bildung begriffen sind, so ist die Gegenwart eine Periode des Überganges und der Anarchie.

    Was aus diesem notwendig etwas chaotischen Zeitraum einmal hervorgehen wird, ist im Augenblick nicht leicht zu sagen. Auf welchem Grundgedanken wird sich die künftige Gesellschaft aufbauen? Wir wissen es noch nicht. Schon jetzt aber kann man voraussehen, dass sie bei ihrer Organisation mit einer neuen Macht, der jüngsten Herrscherin der Gegenwart, zu rechnen haben wird: mit der Macht der Massen. Auf den Ruinen so vieler, einst für wahr gehaltener und jetzt toter Ideen, so vieler Mächte, die durch Revolutionen nach und nach gebrochen worden sind, hat diese Macht allein sich erhoben und scheint bald die andern aufsaugen zu wollen. Während alle unsre alten Anschauungen schwanken und verschwinden und die alten Gesellschaftsstützen eine nach der andern einstürzen, ist die Macht der Massen die einzige Kraft, die durch nichts bedroht wird und deren Ansehen immer mehr wächst. Das Zeitalter, in das wir eintreten, wird in Wahrheit das Zeitalter der Massen sein.

    Vor kaum einem Jahrhundert bestanden die Haupttriebkräfte der Ereignisse in der überlieferten Politik der Staaten und dem Wettstreit der Fürsten. Die Meinung der Massen galt in den meisten Fällen gar nichts. Heute gelten die politischen Überlieferungen, die persönlichen Bestrebungen der Herrscher und deren Wettstreit nur noch wenig. Die Stimme des Volkes hat das Übergewicht erlangt. Sie schreibt den Königen ihr Verhalten vor. In der Seele der Massen, nicht mehr in den Fürstenberatungen bereiten sich die Schicksale der Völker vor.

    Der Eintritt der Volksklassen in das politische Leben, ihre fortschreitende Umwandlung zu führenden Klassen, ist eines der hervorstechendsten Kennzeichen unsrer Übergangszeit. Dieser Eintritt wird nicht durch das allgemeine Stimmrecht gekennzeichnet, das lange Zeit so wenig einflussreich und anfangs so leicht zu lenken war. Die Geburt der Macht der Masse entstand zuerst durch die Verbreitung gewisser Gedankengänge, die langsam von den Geistern Besitz ergriffen, sodann durch die allmähliche Vereinigung der einzelnen zur Verwirklichung der bisher theoretischen Anschauungen. Die Vereinigung ermöglichte es den Massen, sich, wenn auch nicht sehr richtige, so doch wenigstens ganz bestimmte Ideen von ihren Interessen zu bilden und das Bewusstsein ihrer Kraft zu erlangen. Sie gründen Syndikate, denen sich alle Machthaber unterwerfen, Arbeitsbörsen, die allen Wirtschaftsgesetzen zum Trotz die Bedingungen der Arbeit und des Lohnes zu regeln suchen. Sie entsenden in die Parlamente Abgeordnete, denen aller Unternehmungsgeist, alle Selbständigkeit fehlt, und die oft nur zu Wortführern der Ausschüsse, die sie gewählt hatten, herabgewürdigt wurden.

    Heute werden die Forderungen der Massen nach und nach immer deutlicher und

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