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Der Himmel ist altes Silber: Nature Writing
Der Himmel ist altes Silber: Nature Writing
Der Himmel ist altes Silber: Nature Writing
eBook191 Seiten2 Stunden

Der Himmel ist altes Silber: Nature Writing

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Über dieses E-Book

Nur zu gerne folgt man der im Vorwort mitgegebenen Aufforderung: »Dann kommen Sie mit mir!«, nämlich auf eine wunderbare Reise durch Flora und Fauna. Die Autorin entführt in heimische Regionen (Ruhrpott, Rhein, Wupper, Lippe, Lenne, Ostsee, Bayern …), wie auch nach Finnland, Wales, Italien, Frankreich, Tschechien und auf eine holländische Insel. Liedtkes Texte sind vielseitig: Prosa mal stimmungsvoll selbstvergessend, mal reflektierend und in (Reise-)Erinnerungen schwelgend, mal enzyklopädisch – immer großartig verdichtet. Wir tauchen ein in eine Naturwelt, die wir vielleicht kennen, und doch selten so intensiv und durch eine poetische Sprache wahrnehmen. Nature Writing par excellence! … und ein Fanal für ein (literarisches) Engagement für die Natur.
SpracheDeutsch
HerausgeberDittrich Verlag
Erscheinungsdatum16. Okt. 2023
ISBN9783910732148
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    Buchvorschau

    Der Himmel ist altes Silber - Anja Liedtke

    Warum dieses Buch?

    In der Natur spüre ich mich leben. Über natürliche Böden zu laufen, durchs Wasser zu schwimmen, Luft und Pflanzen zu riechen, Tiere zu hören, ist für mich Selbstzweck. Den Sinn meines Lebens sehe ich im Leben selbst. Um mich herum befühle, belausche, beobachte ich Tiere und Gewächse, deren Lebenszweck gleichfalls im Leben selbst besteht. Ich fühle mich zugehörig, in der passenden Gemeinschaft. Komme ich nach einem Gang über Land heim, lese ich über eine Blume, recherchiere einen Pilz, schlage einen Vogel nach. Habe ich ein Landschaftsbild gesehen, notiere ich es, um den Anblick nicht mehr zu vergessen. Was ich aufschreibe, erinnere ich, habe ich beim Tagebuchschreiben erfahren.

    Momente höchsten Glücks sind mit dem Gehen in der Natur verbunden. Meine Eltern wanderten mit mir in den Schweizer und den österreichischen Alpen. Zuhause in Bochum durchstreifte ich allein oder mit meiner Freundin Eva einen Wald namens Hedtberg. Die Sonne sprenkelte durch das Buchendach, um die Stämme waberten Nebelreste, das Laub federte den Schritt und von den trockenen Blättern schien Wärme aufzusteigen. Als Teenager traf ich meine Clique im Siepen in Bochum-Dahlhausen. Mit diesem Tal verbinden Jugendliche, die in den 1970er und 1980er Jahren im Stadtteil aufgewachsen sind, ein Lebensgefühl von Freiheit, Rebellion, Erwartung an die Zukunft. Jeder und jedem von uns stiehlt sich ein Lächeln oder Grinsen aufs Gesicht in Erinnerung an unser Glück in Gras, Farn, Lehm, Schlamm und Schnee.

    Als junge Erwachsene bereiste ich die Welt auf der Suche nach diesem Glück. Sah ich die Natur immer kleiner werden, fand ich es nicht. Immer größere Flächen waren überbaut, trockengelegt, untergraben. Ich irrte orientierungslos und unglücklich durch Großstädte, Abgase, Straßenlärm, Agrarwüsten. Meine Wege endeten an Stacheldraht, Zäunen und Mauern. Fand ich das Glück und die Natur, was für mich eins ist, dann war ich im Tal von En Kerem bei Jerusalem, in der Negevwüste, im jordanischen Wadi Rum, im Hohen Atlas, in den Pyrenäen, im zaunlosen Norwegen, im weiten Lappland, in den Bergen und Tälern Nepals, auf den hawaiianischen Inseln, in den Naturreservaten Australiens. Viele meiner Landschaftsbeschreibungen bildeten den Hintergrund meiner Romanhandlungen. Oft breiteten sie sich aus und wurden eigenständig in Reiseerzählungen. Eines Tages träumte ich von einem Genre, in dem sich meine und die Natur frei bewegen könnten, uneingeschränkt von Personen, Plot und Dramaturgie. Ich suchte eine Literaturform, in der die Umwelt ihr Eigenleben entfalten dürfte wie die Libelle ihre Flügel, nachdem sie sich aus der Larve gezwängt hat. In den Landschaftsbeschreibungen habe ich meinen Traum verwirklicht. Die Erzählerin tritt zurück, der Mensch spielt allenfalls als Beobachterin eine Rolle, als Genießerin, die ihre Aufmerksamkeit der Flora und Fauna, also den Daseinsformen widmet. Mich braucht die Umwelt nicht, um zu existieren, schön oder grausam zu sein. Sie ist stets da, ob ich sie beachte oder nicht, ob ich anwesend bin oder nicht. Umgekehrt brauche ich die Natur, um beheimatet zu sein und mich lebendig zu fühlen.

    Möglicherweise geht es Ihnen ähnlich und Sie haben in der Hektik der Städte und des Alltags, bei der Arbeit und beim Sport in geschlossenen Räumen, nach dem Fernsehen und im Auto das Gefühl, irgendwie nicht wirklich zu leben und zu fühlen. Vielleicht kennen Sie dieses Empfinden von Öde und Leere. Gehen Sie dann hinaus, allein oder mit einer schweigsamen Freundin oder einem stillen Freund, setzen sich auf einen Baumstamm oder stundenlang auf einen Hochsitz oder legen sich in eine Wiese, lehnen an einem Bahndamm oder hocken auf Ufersteinen und tun nichts, sondern lassen die Landschaft um sich herum leben und schauen ihr dabei zu, dann fühlen Sie es vielleicht auch, sich leben. Plötzlich ist sie da, die kalte, nasse, trockene, staubige Luft auf der Haut und in der Nase, dieses leichte und tiefe Atmen, die Entspannung in Bauch und Nacken, diese zuckenden Muskeln, bisweilen sogar die Gänsehaut, wenn der Sonnenuntergang besonders romantisch ausfällt. Vielleicht kommen Ihnen die Tränen und das Lachen zugleich, wenn ein Papageientaucher mit sechs kleinen Fischen im Schnabel vor Ihren Füßen über den Trampelpfad watschelt, den Kopf einzieht und in seiner Bruthöhle verschwindet. Fortan bestellen Sie im Restaurant keine Fischbrut mehr, nachdem Sie von einer Naturschützerin gehört haben, dass diese herzerweichenden Wasservögel verhungern, weil wir ihnen die Beute wegessen. Möglicherweise gehören Sie auch zu den Leuten, die gerne Bäume umarmen, Blumen anfassen, Frösche, Maulwürfe und Mäuse in die Hände nehmen, weil Sie sich aus unerklärlichen Gründen dabei wohlfühlen. Ich vermute, Sie und ich spüren beim Begreifen das Leben selbst. Es pulsiert als schneller Herzschlag in unserer Hand, es bäumt sich mit erstaunlicher Muskelkraft gegen unsere auf, es ist warm und weich oder hart und rau, trocken oder glitschig. Es riecht und es quiekt, es macht komische Sachen, es macht wunderliche Dinge, es macht etwas Ähnliches wie Sie selbst oder etwas, das Sie niemals tun würden. Aber vielleicht wollen. Oder eben nicht. Fliegen zum Beispiel, schwimmen, tauchen, klettern, im Schlamm suhlen, im Staub baden, in der Erde buddeln, Dämme bauen, in etwas hineinbeißen, etwas schlucken oder ausspeien.

    Andreas Weber äußert in seinem Buch »Alles fühlt« die Vermutung, wir brauchten die Natur, um uns in ihr zu spiegeln, um uns zu erkennen. Im Du entdeckten wir, wer oder was wir sind und worin wir uns unterscheiden.

    Abgesehen von diesen tiefen Empfindungen brauchen wir die Umwelt und genießen sie, weil nichts einen derart angenehmen Schatten gegen die heiße Sonne und die kochende Stadt spendet wie ein großer, frischer, feuchter Baum, der uns Sauerstoff entgegenatmet. Nichts schmeckt so süß und sauer, erfrischt und weckt die Lebensgeister wie selbstgepflückte wilde Beeren. Nichts macht den Weihnachtsteller so besinnlich wie selbstgesammelte Nüsse. Kein Mahl ist so edel wie selbstentdeckte Pilze. Kein Kräutersalat schmeckt so gesund wie der selbstgezupfte.

    Wenn ich dies schreibe, spüre ich schon wieder dieses Kichern zwischen Hals und Magen. Es wird Zeit, aus dem Haus zu laufen. Vielleicht kann ich Sie beim Schreiben und Lesen mit auf die kleine oder große Reise nehmen. Hinunter zum Fluss oder hinauf nach Lappland, aufs Wasser der Ostsee oder ins Wasser der Ruhr.

    Sie wundern sich, dass ich in diesem ehemaligen Industriefluss bade? Dass es Natur an der Ruhr gibt? Dann kommen Sie mit mir!

    Ruhrnatur

    Setz dich!

    Bist du bei Sonnenschein gekommen? Fühlst du, wie das Holz der Bank die Wärme gespeichert hat und an dich abgibt? Du steckst gewiss gerade einen Fingernagel zwischen die alten Baumstammringe. Ist der Zwischenraum weich genug, um einzudringen?

    Oder hat es geregnet? Du sitzt auf einer Unterlage und willst mit der Sitzfläche nicht in Berührung kommen?

    Oder besuchst du die Bank bei Schnee? Dann malst du garantiert geometrische Figuren oder chinesische Schriftzeichen in die weiße Masse.

    Jetzt schaust du auf. Du hörst das Zirpen einer Blaumeise. Ist es der klare, offene Gesang des Rotkehlchens? Das leise melancholische Flöten des Gimpels? Das Geschwätz der Kohlmeise?

    Einmal aufmerksam geworden, entdeckst du die Stimmenvielfalt und die Geräusche. Du bist versucht, die Lider zu schließen, um besser horchen zu können, zugleich willst du mit den Augen prüfen, ob du den Vogel an der Stimme erkannt hast.

    Du drehst dich um. Ein blau-gelber Kleiber klettert am Stamm hinauf. Er steckt ein Samenkorn zur Vorratshaltung in eine Rindenfalte. Ein Grünspecht steht von der Ahornrinde ab wie ein alter Fenstergriff. Beim Flug zum nächsten Baum lässt er seinen lachenden Reviergesang hören. Säßest du nicht auf der Bank, hätte er die Feuerwanzen entdeckt. Sie schmiegen sich zwischen die warmen Wurzeln. Ihre rotschwarz gemusterten Schilde leuchten in der Sonne. Einladung oder Warnung für den Grünspecht? Die Wanzen haben kleine rote Eier auf dem Faden einer Spinne aufgehängt.

    Von Baumwurzel zu Baumwurzel hüpft ein Buchfink. Ohne die weißen Rallyestreifen auf den Flügeln wären der graublaue Helm und die rotbraune Unterseite im Laub vom Vorjahr unsichtbar. Wurzeln liegen wie Adern unter der Haut aus Humus.

    Auf die Hainbuche hinten am Zaun stürzt sich ein Buntspecht und hackt die Rinde auf, dass die Späne nur so fliegen.

    Am Boden glaubst du, eine Maus huschen zu sehen. Es ist der Zaunkönig. Wie kann ein Vogel derart klein und der lauteste von allen sein?

    Da, das Rascheln. Du dachtest, du wirst von einem Menschen gestört. Jetzt winkst du ab. Es ist die Amsel. Sie dreht auf der Suche nach Insekten Blätter um. Ihre Vorfahren waren scheue Waldvögel, bis sie uns in die Städte gefolgt sind.

    Mein Vater sagte »Ringeltaube«, wenn er etwas Seltenes bezeichnen wollte. Mittlerweile bevölkern sie viele Böden unter den Buchen. Sie schlucken Eckern im Ganzen, dann wölbt sich das weiße Collier auf grauem Kleid.

    Das Krächzen der Krähen reißt deinen Kopf in den Nacken. Der blau bebänderte Eichelhäher fällt mit ein. Was sind die schwarz Gefiederten so aufgeregt in den Wipfeln? Sie schwingen sich auf, um dem Bussard nachzustellen und ihn zu nerven, bis sie ihn vertrieben haben. Der hochspitze Schrei des Räubers warnt vor seiner Jagdlust. Er steigt über dem Ruhrtal auf und kreist hoch am Himmel.

    Sind die Buchenblätter unter Burg Blankenstein eben erst aus den Hülsen geschlüpft und hell? Sommerlich dunkel oder schon gelb und braun? Links unter den Buchen steht ein Birkenhain; zu seinen Füßen reihen sich unzählige Maulwurfburgen.

    Es ruft von der Ruhr her: Möwen üben Kunstflug über dem Wasser. Ein Graureiher startet aus dem Stand. Er legt sich in die Horizontale und fliegt eine gerade Linie zum anderen Ufer. Ist die Strecke weit genug? Hast du Zeit, die im Flug aufrechtstehende hintere Zehe zu erkennen? Er kippt die Beine unter sich, als fahre er ein Fahrgestell aus, und landet mit einem eleganten Ausfallschritt im Gras.

    Stockenten fahren lautstark Wasserski, bevor sie ihre Körper auf der Oberfläche ablegen. Schillernd grüne Erpelköpfe sehen zwischen den matten Farben der Ufersteine wie künstliche Deko aus. Als ob den Erpeln das bewusst wäre, recken sie die Köpfe über die Leiber der braunen Entendamen und über die Uferböschung. Sie zupfen die frischesten Gräser, gründeln nach Wasserpflanzen und schnattern am Algenteppich. Kleine schwarz-weiße Reihererpel tauchen tief nach Muscheln und Schnecken. Nach dem Auftauchen schütteln sie die Reiherfedern am Hinterkopf wie Teenager im Freibad ihre Haare. Bei den Gänsesägern tragen die Weibchen Hauben. Zeigen Zähnchen in den Schnäbeln, schnappen nach Fisch.

    Zwei Haubentaucher sitzen sich auf dem Wasser gegenüber. Den Kopfschmuck weit ausgestellt. Sie tauchen synchron unter und mit gleicher Art und Menge Nistmaterial wieder auf. Sie lehnen die Brüste aneinander, recken sich in die Höhe, kreuzen die Hälse und präsentieren das Material mal vor dem linken, mal vor dem rechten Auge des Tanzpartners.

    Fließt die Ruhr heute ruhig? Hat sie Hoch- oder Niedrigwasser? Flockt Nebel auf der Oberfläche? Ist er früh noch nicht aufgestiegen? Oder hat die Sonne ihn bereits verflüchtigt? Schreibt der Wind Zeilen auf die Wasseroberfläche?

    Wenn es Frühling ist, schau nach, ob Jungfische im seichten Ufergewässer stehen. Große Fische bekommst du ohnehin nicht zu sehen. Die lagern über dunklem Grund in der tiefen Mitte des Flusses. Du müsstest schon den Hecht im Schilf angeln. Hast du mal versucht, eine Forelle mit der Fliegenrute zu fangen? Glaub mir, die Stelle ist ungeeignet. Suche flussabwärts nach Gumpen oder geh zum Wehr! Willst du es geruhsam haben, wirf Würmer oder Mais für den Friedfisch aus. Mach es dir bequem! Doch achte auf Kormorane! Die

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