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Fetzenimperium
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eBook224 Seiten3 Stunden

Fetzenimperium

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Über dieses E-Book

Das Leben treibt manchmal tiefe Furchen in unseren Alltag, die später nicht immer spurlos verschwinden. Die Zeit heilt Wunden, sagt man, dennoch bleiben oft schlimme Narben zurück, die mitunter schicksalhafte Reaktionen auslösen.
Hinter dem Großindustriellen Josef Wegelin, Förderer und Mäzen der Gesellschaft, verbirgt sich ein tyrannischer Gewaltherrscher, um dessen Nachlass sich viele Intrigen und Geheimnisse entwickeln. Sein Testament, in dem er als Vater versucht, seine von ihm abgewandten Nachkommen wieder zu vereinen, entpuppt sich als Dornenkrone, welche die Wahrheit bezüglich seines Erbes offenbart. Während die Geschwister sich über ihr Erbteil streiten, müssen sie schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass ohne Zusammenhalt in der Familie und Hilfe von Freunden nichts weitergeht und der endgültige Bruch droht.
Ein Familienroman über Reichtum, Disziplin, Herrschaft, Erbschaftsstreit und dem harten Weg, die Fesseln einer herzlosen Vergangenheit zu lösen.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Kern
Erscheinungsdatum1. Sept. 2023
ISBN9783957164025
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    Buchvorschau

    Fetzenimperium - Ernst Luger

    1

    Im Städtle Hohenems (Österreich) schlägt gerade der Kirchendiener Albert Sattler im Aushängekasten der Stadtpfarrkirche die neueste Todesanzeige an. Marktbesucher, die gerade am Wochenmarkt ihre Einkäufe tätigen und da und dort zu Klatsch und Tratsch beieinanderstehen, schauen wundrig über den Platz. Noch weiß keiner, wessen Name dort gleich prangen wird, schon wird zwischen den Anwesenden hinter vorgehaltener Hand getuschelt und gemunkelt. Gestern hat am Vormittag das Totenglöcklein geläutet, galt das vielleicht dem alten Doktor? Der soll schon lange daliegen und sich nicht mehr regen, sagt man. Es könnt auch für den Vater vom Büchsenmacher gewesen sein, der ist schon lange im Seniorenheim und kriegt so gar nichts mehr mit, hat sein Sohn seinem Nachbar erzählt. Kaum hängt der Partezettel, schreitet Karl Stropps über den Platz, um seine Neugier zu befriedigen. Kurz zuckt er hoch und schnellen Schrittes kehrt er zu der sich zwischenzeitlich angesammelten Menge zurück. „He Leute, wisst ihr wer gestorben ist? Der ‚Textiler‘".

    Der Textiler: Kommerzialrat Josef Wegelin, Inhaber eines riesigen Textilwerks mit Stammsitz in Hohenems, dessen Grundstein bereits mehrere Generationen vor ihm gelegt haben. Ursprünglich wohnten seine Vorfahren mit ihren Familien in einem Haus in der Marktstraße, schräg visasvis vom heutigen jüdischen Museum, und betrieben im Hinterhof eine kleine, einfache Textilmanufaktur. Das Interesse war groß, bald schon wurden die Räumlichkeiten zu klein und der Betrieb konnte durch Zukauf des Nebengebäudes erweitert werden. Gleichzeitig eröffneten damals seine Vorfahren im neuerworbenen Gebäude das erste Textilgeschäft, worin sie ihre selbsterzeugten Waren feilhielten. Das Geschäft florierte und bald platzte der Standort erneut aus allen Nähten. Auch waren die Arbeitsbedingungen im Hinterhof und in den Kellern der Gebäude nicht mehr zeitgemäß. Der Großvater des heutigen Eigentümers, ein vorausblickender und couragierter Fabrikant, ließ am heutigen Stadtrand, damals noch Marktgemeinde, den zu jener Zeit modernsten Textilbetrieb bauen. So entstand seinerzeit aus dem improvisierten Kleinbetrieb eines der fortschrittlichsten Textilwerke landesweit. Dieser imposante Aufstieg blieb dem Volk nicht unbemerkt und kurzerhand bekam das neue Werk den liebevollen Übernamen „Fetzenimperium".

    Schon als kleiner Schuljunge durfte Josef an den freien Schulnachmittagen und in seinen Ferien, während die anderen Kinder draußen spielten, in der Färberei und später in der Weberei zusammen mit den Arbeitern sich abschinden. So lernte er schon recht früh die wichtigen Bereiche der Textilherstellung, -veredelung und -verarbeitung kennen, was ihm seinen Spitznamen „Textiler" einbrachte. Den Kriegswirren entronnen und nach der endgültigen Übernahme des elterlichen Erbes schaffte er es mit viel Geschick und stetigem Fleiß, zu den größten Textilherstellern Mitteleuropas aufzusteigen. Seine Waren, die ausschließlich im eigenen Land produziert werden, bietet der Unternehmer auf dem weltweiten Textilmarkt an. In seinen drei Vorarlberger Werken und den Produktionsstätten in der Steiermark, in der Nähe von Wien und in Oberösterreich beschäftigt er heute weit über zweitausend Arbeiter. Seine stattliche Figur, seine Rolle auf dem Weltmarkt und seine wohltätige Ader verschafften ihm Achtung und Respekt bei der Bevölkerung. Sein Erfolg wurde schon vor mehreren Jahren vom österreichischen Staat mit der Verleihung des Titels Kommerzialrat ausgezeichnet. Damals wurde ihm, im Zuge der Eröffnung der Bregenzer Festspiele, die Würdigung persönlich vom österreichischen Bundespräsidenten überreicht.

    In den 50er Jahren ließ Josef für seine Familie eine Villa ganz in der Nähe seines Textilwerkes bauen. Ein nobles Anwesen auf einem 2,5 Hektar großen Areal mit 10 Zimmern und einem eigenen Saal über der Tiefgarage für private wie auch geschäftliche Empfänge. An die 150 Quadratmeter große Hauptterrasse grenzt ein 20 Meter langer und 10 Meter breiter Swimmingpool. Im Keller dieses feudalen Luxusdomizils befindet sich ein Partysaal, der mindestens 50 Personen Platz bietet, mit einer eigenen Hausbar, in der sogar Livemusiker auftreten können. Am unteren Ende des Areals, etwas abseits der privaten Parkanlage, ließ Josef ein Zinshaus errichten, in dem er die Bediensteten der Villa wie auch einige Ingenieure seiner Fabrik unterbrachte. In der Tiefgarage stehen immer noch zwei Luxuskarossen, die einst seinem Sohn Johann gehörten. Der Textiler selbst besitzt nur einen angemessenen Dienstwagen mit Chauffeur, der seinen Stammplatz im Hauptgebäude seines Werkes hat. Auf dem Grundstück befindet sich ebenfalls ein privater Tennisplatz, der seit dem Auszug seiner Tochter Johanna unbespielt blieb. Am unteren Teil des Areals steht ein kleiner Wald, hinter dem sich ein natürlicher Weiher befindet. Hierher zog sich Josef gerne zurück, um sich beim Fischen im eigenen Gewässer vom Alltag zu erholen.

    Josef ist gestorben, ganz allein war er, seine Frau ist ihm ja schon vor vielen Jahren vorausgegangen. Anne war eine geborene Kutzer, stammte aus einfachen Verhältnissen. Geboren wurde sie in Böhmen und als sie gerade zwei Monate alt war, übersiedelte ihre Familie nach Hohenems, wo ihr Vater eine Stellung als Ingenieur im Wegelinschen Textilunternehmen angenommen hatte. Anne war eine gute Schülerin und konnte nach der Grundschule das Gymnasium besuchen. Gleich nach dem Studium bekam sie im Wegelinschen Textilwerk ihren ersten Job als Sekretärin des neuen, jungen Firmenchefs und schon nach zwei Jahren hielt dieser um ihre Hand an. Die junge Frau Wegelin gebar ihrem Gatten zwei Kinder, Johann und Johanna. Bald schon wurde Anne ein drittes Mal schwanger, jedoch bei der Geburt verstarben Mutter und Kind. Für Josef brach eine Welt zusammen und in seinem Schmerz vertiefte er sich noch mehr in seine Arbeit. Für die Obhut seiner Kinder stellte er damals Philomena Kasper als Kindermädchen ein, die Hausarbeit erledigte Emma und in der Küche herrschte Leopold, ein Koch aus Wien.

    Josef hat nicht noch einmal geheiratet, und als die Jungen das Haus verließen, lebte der Textiler mit seinem Personal alleine in der riesigen Villa. Doch sein Umgang mit seinen Bediensteten wurde immer abnormer und extremer. Als eines Abends der Koch die Suppe leicht versalzen hatte, hob der Kommerzialrat die Suppenterrine hoch und schüttete dem Koch die heiße Suppe ins Gesicht. Fazit: Der Koch kündigte seine Stellung und zeigte seinen Arbeitgeber bei der Polizei an. Nach großer Aufregung zog der Anwalt der Familie die richtigen Gegenargumente aus dem Ärmel und wie alle anderen Anzeigen davor, landete auch diese unter dem Tisch und man einigte sich außergerichtlich. Zu einem späteren Zeitpunkt verweigerte sich das Hausmädchen diesem Tyrannen, kurzerhand wurde sie fristlos entlassen. Fortan versuchte Philomena alleine dem alten Herrn zu Diensten zu sein, kochte, putzte und kümmerte sich um alles, was mit der Villa und dem umliegenden Park zu tun hatte. War keine einfache und schöne Zeit für sie, doch die Hoffnung, dass vielleicht einer von den Jungen wieder ins elterliche Anwesen zurückkehrt, machte sie stark. Es kam, wie’s kommen musste: Eines Tages übertrieb’s dieser „Willkürherrscher" so sehr, dass auch seine letzte Hausangestellte ihre Koffer packte und verschwand. Was Genaueres weiß man nicht, aber seit dieser Zeit saß Josef im Rollstuhl und wurde nur mehr ganz selten in der Öffentlichkeit gesehen. Auch die Kirche bemängelte die Abwesenheit ihres hochgeschätzten Gönners, nicht einmal mehr zu Weihnachten oder Ostern fand jener den Weg ins Gotteshaus.

    Vor drei Tagen, als der Briefträger ein Einschreiben zustellen wollte, fand er das Tor zur Villa verschlossen vor. Da ihm nach mehrmaligen Läuten niemand öffnete, ergriff ihn ein komisches Gefühl und er ging ums Gebäude herum. Dort erblickte er durch die Terrassentüre den Textiler unbeweglich in seinem Rollstuhl sitzen. Sogleich verständigte jener die Polizei, die die notwendigen Schritte einleitete. Die pathologische Untersuchung ergab, dass der Kommerzialrat eingeschlafen und eines natürlichen Todes verstorben ist, vermutlich an einem Herzstillstand.

    Kurz nach dem Bekanntwerden seines Ablebens leitete der Pfarrer dessen letzten Willen bezüglich seiner Beisetzung an die Kanzlei des Familienanwalts Dr. Schmachhammer weiter, mit dem Auftrag, die beiden Nachkommen des Kommerzialrats zu verständigen und ihnen zugleich dessen letzten Willen mitzuteilen, dass sein Leichnam erst dann beigesetzt werden darf, wenn sie gemeinsam an seinem offenen Grab stehen. Johannas Adresse in Stuttgart ist dem Anwaltsbüro seit ihrer Hochzeit bekannt, durfte aber nicht an ihren Vater weitergegeben werden. Hierzu konnte die Kanzlei die Tochter direkt per Brief kontaktieren. Bei Johann schaute der Sachverhalt schon etwas schwieriger aus, von ihm waren weder eine Adresse noch ein möglicher Aufenthaltsort oder irgendwelche nahestehenden Kontaktpersonen bekannt, darum leitete der Anwalt über Interpol eine internationale Suche in die Wege.

    Der Leichnam des Kommerzialrats Josef Wegelin wurde im Nebenschiff der Pfarrkirche von Hohenems aufgebahrt. Viele seiner Wegbegleiter aus Nah und Fern sind gekommen, um von demjenigen Abschied zu nehmen der ihnen Arbeit gab, der ihre Stadt weitaus bekannt machte, der der Steuerkasse jährlich einen großen Geldbetrag einbrachte, der sich stets mit großzügigen Spenden vermeintliche Vertraute kaufte. Doch wirkliche Freunde oder gar Familienangehörige, außer dem Familienanwalt und dem amtierenden Direktor der Firma, wurden keine gesichtet.

    Zum Gedenken an den hochgeschätzten Bürger der Stadt, Kommerzialrat Josef Wegelin, lud der Pfarrer zu einem Gedenkgottesdienst ein. Das Kirchenschiff ist bis auf den letzten Platz besetzt. Alle sind sie gekommen, die Neugierigen, die Wissbegierigen, die Besserwissenden und die immer und überall Dabeiseienden. Nur in der ersten Bankreihe, die für die Trauerfamilie reserviert ist, sitzt als Einzige die damalige Erzieherin der Kinder, Philomena Kasper. Der Pfarrer leitet den Gottesdienst mit einer kurzen Biografie des Verstorbenen ein:

    „Wir befinden uns hier im Land der Lebenden, aber auch die Toten sind ein Teil von uns. Die Brücke dazwischen ist unsere Liebe.

    Unser Bruder Kommerzialrat Josef Wegelin hat die Seite gewechselt. Zurück bleiben viele gemeinsame Erlebnisse und schöne Erinnerungen. Aber auch traurige Begebenheiten und schwere Stunden pflasterten den Weg unseres Bruders. Erst wurde seine Frau Anne aus ihrem jungen Leben gerissen, ihr Verlust hat ihn sehr getroffen. Als alleinerziehender Vater kümmerte er sich fortan mit der Unterstützung der Erzieherin Philomena um die gemeinsamen Kinder. Als die Jungen später das elterliche Haus verließen, traf dies Josef schwer und er vereinsamte innerlich. Nicht genug, vor ein paar Jahren fesselten ihn die Folgen eines Unfalls an den Rollstuhl. Dieses Handicap erschwerte seine Bewegungsfreiheit exorbitant und war auch der Grund, warum sich der Textiler immer mehr von seiner beruflichen Kariere zurückzog und die Geschicke der Firma in die Hände von Direktor Gustav Hämmerle legte.

    Die letzten Jahre seines irdischen Daseins verbrachte Josef allein in seinem Haus. Da weder Familie noch Freunde anwesend waren, halfen ihm zeitweilig freiwillige Frauen aus der Fabrik, den Haushalt zu erledigen. Trotz seines Handicaps und seiner altersbedingten Gebrechen war er stets sehr daran interessiert, was in seinen Werken lief.

    Letzte Woche noch ließ er nach mir rufen. In einem außerordentlich langen und offenen Gespräch vertraute er mir an, dass er fühle, seinem Lebensende nahe zu sein, habe jedoch keine Angst vor dem Tod. Sein größter Schmerz hingegen sei, dass keiner seiner Nachkommen in seine Fußstapfen treten wollte, stattdessen jeder von ihnen einem eigenen Leben in der Fremde den Vorzug gab. Diesbezüglich hege er keinen Hass, jedoch liege ihm sein Lebenswerk und das seiner Ahnen sehr am Herzen. Um in Frieden von hier und von seiner Familie gehen zu können, richtete er seine letzte Bitte stellvertretend an mich und beauftragte mich, sein Anliegen an seine Nachkommenschaft weiterzuleiten. Mit diesem letzten Wunsch hoffte er, dass vielleicht irgendwann doch noch ein Nachkomme der Wegelin hierher zurückehrt und sich um das Lebenswerk seiner Ahnen kümmert.

    Liebe Familie, Freunde, Bekannte und Kollegen, ich finde wir sollten alle ein bisschen wie der Textiler sein, darum lasst uns sein wundervolles Wirken hier auf Erden immer in Ehren halten. Nehme Gott ihn in sein himmlisches Reich auf."

    Mit diesen Worten beendete der Geistliche die Biografie und setzte den Wortgottesdienst fort.

    2

    Der Sohn des Kommerzialrats war schon vor Jahren nach Kanada ausgewandert, hat seine Zelte in Manitoba am Lake Oxford* aufgeschlagen und residiert seit dieser Zeit im kleinen Ort Oxford House*. Am Hyers Point, direkt am See, besitzt Johann ein kleines Häuschen mit einer großen Terrasse, die in den See hineinragt, und bestreitet sein Leben mit all dem, was See und Wald hergeben.

    Johann wünschte sich, sein Leben selbst zu bestimmen, hatte genug von Familie, Vorschriften und einem aufgezwungenen Lebensweg. Niemals gedachte er in die Fußstapfen seines autoritären und herrschsüchtigen Vaters zu treten. Zum Glück war da noch das Kindermädchen Philomena, die ihm in schwierigen Zeiten den Rücken stärkte. Hannes, wie er zuhause gerufen wurde, wollte nie von Hohenems weg, jedoch des Friedens willen beugte er sich dem Willen seines Vaters und besuchte nach der Grundschule das Gymnasium in einem Kloster in der angrenzenden Schweiz. Im ersten Jahr ging alles gut, die Lernerfolge gefielen dem Vater. Doch schon im zweiten Jahr ließen die Fortschritte stark nach. Ein Gespräch zwischen dem Prior und dem Familienoberhaupt brachte keine Änderung, auch nicht, als ein hoher Geldbetrag als großzügige Zuwendung für das Internat gespendet wurde. Der junge Wegelin versagte immer mehr im Unterricht, erneut erreichte er das Lernziel nicht und stand kurz vor dem Rauswurf aus dem Stiftsinternat. In einem mahnenden Gespräch zwischen dem Prior und dem Zögling Wegelin gestand dieser, dass er von seinem Internatsleiter mehrfach sexuell missbraucht wurde. Nicht genug, auch musste er dem Erzieher monatlich die Hälfte seines Taschengeldes abliefern, ansonsten würde er Hannes bei der Internatsleitung schlechtmachen. Der Prior war empört: Wie kann das kleine Früchtchen solch eine Behauptung aufstellen? Spontan schlug er dem Zögling ins Gesicht und trat ihm mit voller Wucht gegen sein Bein. Johann flog vom Stuhl und lag blutend am Boden. Mit kalter Schulter ließ der Prior Johann von einem Mitbruder fortschaffen und zitierte erneut das Familienoberhaupt herbei. Ein endgültiger Rauswurf aus dem Internat konnte gerade noch verhindert werden, indem erneut ein großzügiger Geldbetrag die Seite wechselte. Noch vier weitere Jahre musste der junge Wegelin durch die Hölle des Stiftsinternats. Den Vater kostete dies einen Haufen Geld, doch was tut man nicht alles für den Erfolg seiner Nachkommenschaft. Johann hielt eisern durch in der Hoffnung, nach der Schule seinen eignen Weg gehen zu können. Doch falsch gedacht, die Matura* grad so geschafft, schon hieß es auf nach Wien zum Studieren. Erst inskribierte er auf Wunsch seines Vaters ein Wirtschaftsstudium, doch dann liebäugelte er mit der Wissenschaft der Medizin, was seinem Vater gar nicht in die Zukunftsplanung seines Sprösslings passte. Trotzdem studierte Johann heimlich weiter, bis sich eines Tages ein Freund von ihm vor den Ohren des gestrengen Herrn Vaters verplapperte. Dieser Fauxpas hatte zur Folge, dass ihm das Familienoberhaupt den Geldhahn zudrehte. Der junge Wegelin gab nach und ließ sich erneut zur Lehre der Wirtschaft einschreiben, jedoch nur, um sein zwischenzeitlich feudales Leben weiterführen zu können. Zu lange Studienzeit und zu wenig besuchte Vorlesungen führten schlussendlich zu einem Ausschluss aus der Uni. Die Gnadenlosigkeit des Familienoberhaupts traf den jungen Wegelin voll und brachte den endgültigen Bruch zwischen Vater und Sohn. Fazit: Johann kehrte seiner Familie den Rücken und wanderte nach Kanada aus.

    Damals führte ihn sein Weg direkt nach Montana. Zuerst verkroch er sich in den Wäldern rund um den Lake Oxford. Doch dann trat die schwarzhaarige, schlanke Mestizin Anuk in sein Leben. Vater vermutlich europäischer Herkunft, Mutter eine Squaw vom Stamm der Cree. Anuk arbeitet als Servierkraft in „Tims Restaurant" und lebt schon des längeren an Hannes Seite, der für alle in Kanada der Jo ist, auch für Anuk. Die kleine Squaw, wie er sie liebevoll nennt, begleitet ihn gerne auf den See zum Fischen, oder streift mit ihm durch den Wald, um Wild, Pilze oder Pelztiere aufzustöbern. Immer wenn Jo seine Beute am örtlichen Wochenmarkt anbietet, hilft ihm Anuk dabei, denn sie spricht die Sprache der Indigenen. Mit ihrem spärlichen Einkommen aus dem Restaurant und dem Erlös aus dem Marktverkauf bestreiten die zwei ihr genügsames, friedliches und vor allem aufgeräumtes Leben.

    Johann pflegt seit seiner Flucht aus der Heimat keinen Kontakt mehr zu seiner Familie in Europa. Auch verschweigt er Anuk gegenüber komplett sein Leben in der alten Heimat. Schon bei der kleinsten Erinnerung an seine Kindheit und Jugendzeit überkommt ihn das kalte Grausen. Trotzdem fragt er sich manchmal, was wohl aus seiner Schwester, dem verhassten Vater, der kleinen Marktgemeinde Hohenems und auch was aus Philomena, seinem damaligen Kindermädchen, geworden ist. Steht die feudale Villa noch, wird im Familienunternehmen noch produziert? Doch dann kommen ihm wieder die Jahre im Internat in den Sinn und sogleich ist er glücklich, dass er heute mit seiner kleinen Squaw hier so ein frohes und befriedigendes Leben führen darf.

    Gerade hat er Anuk ins Restaurant zur Arbeit gefahren, als ihm sein Freund, der Sheriff von Oxford House, einen Besuch abstattet. Maulfaul wie immer erwidert Jo den Gruß des Gesetzeshüters, aber das ist für diesen nichts Neues. Jack kommt gleich zur Sache und informiert seinen Freund über die weltweite Ausschreibung seiner Person und möchte gerne Genaueres darüber erfahren. Jo ist überrascht, glaubt Jack nicht und fordert ihn auf, hier keine Possen zu reißen. Was wohl wird die Interpol von ihm wollen, nichts natürlich, stellt Jo klar. Schließlich lebt er hier schon einige Jahre und hat bis dato keinen Schritt mehr aus diesem Territorium gemacht.

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