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Krabat oder Die Bewahrung der Welt
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Krabat oder Die Bewahrung der Welt
eBook278 Seiten3 Stunden

Krabat oder Die Bewahrung der Welt

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Über dieses E-Book

Das vorliegende Werk ist die Fortsetzung des Romans "Krabat oder Die Verwandlung der Welt". Krabat mit seinem Wanderstab, der einmal ein Wunderstab gewesen war, und der Müller mit der Trompete machen sich erneut auf, das Land Glücksland zu suchen. Es liegt hinter den Bergen der Hoffnung und jenseits der Wüste Fata Morgana. Was sie dabei vorfinden, macht Krabat "krank an der Seele". Sein Wanderstab verlernt das Wundern und Jakob Kuschks Trompete vergisst die Fröhlichkeit.
Vor dem Hintergrund ökologischer Zerstörung der Umwelt und wirtschaftlicher Machtinteressen entspinnt sich eine philosophische Geschichte, die den Umbruch der Gesellschaft in der Wendezeit und die "Gebrechen der Marktwirtschaft" widerspiegelt.
SpracheDeutsch
HerausgeberDomowina Verlag
Erscheinungsdatum7. Nov. 2017
ISBN9783742024787
Krabat oder Die Bewahrung der Welt

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    Buchvorschau

    Krabat oder Die Bewahrung der Welt - Jurij Brezan

    9783742024787.jpg7872.jpg22943.jpg

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Domowina-Logo.tif

    Print-ISBN 978-3-7420-2187-8

    E-Book-ISBN 978-3-7420-2478-7

    1. Auflage 2010

    © Domowina-Verlag GmbH

    Ludowe nakładnistwo Domowina

    Bautzen 2010

    Gefördert von der Stiftung für das sorbische Volk,

    die jährlich Zuwendungen des Bundes,

    des Freistaates Sachsen und des Landes Brandenburg erhält.

    Umschlag: Sophie Natuschke

    1/1721/17

    www.domowina-verlag.de

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    Inhalt

    Krabat oder Die Bewahrung der Welt

    1.

    2.

    3.

    4.

    5.

    6.

    7.

    8.

    9.

    10.

    11.

    12.

    13.

    14.

    15.

    Nachwort

    Personen und Handlungen des Romans

    sind reine Erfindungen des Autors.

    An eventuellen Ähnlichkeiten

    in der Wirklichkeit wäre nicht dieser,

    sondern der Zufall schuld.

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    Krabat oder Die Bewahrung der Welt

    Gegen elf Uhr am Montag nach der Erschaffung der Welt nahm Krabat das Hügelchen, fünf Kornhalme hoch über dem Bach Satkula, in Besitz. Vier oder auch fünf Stunden später erschien Wolf Reissenberg dort und erklärte das Hügelchen zu seinem Eigentum. Gegen Abend dann kam von der Mühle an der Satkula der Müller Jakub Kuschk herauf, erfand die Trompete und wurde Krabats Gefährte.

    Krabat mit seinem Wanderstab, der einmal auch ein Wunderstab gewesen war, und der Müller mit der Trompete machten sich auf, das Land Glücksland zu suchen, das hinter den Bergen der Hoffnung und jenseits der Wüste Fata Morgana liegt.

    Der Weg dahin – ein Märchen vielleicht aus Schön-Traum und Albtraum und verbuckelter Wirklichkeit – ist weit. Manchmal scheint es: unendlich weit.

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    1.

    Es geschah aber, als die Zeit sich häutete und die Leute glaubten, es sei eine neue Schlange, was da glitzernd hervorkroch – dass der schwarze Mond die Sonne auffraß und die Dinge ihren Schatten verloren. Die Menschen starrten durch dunkle Gläser, der Kauz schrie, die wirkliche Nacht wagte sich heraus, leer, weit und ohne Laut.

    Krabat, der das Jahrtausend seinem Ende zu trug, und Jakub Kuschk, der Müller, schritten auf einer leicht abschüssigen Straße abwärts. Sie heiße Libertas-Straße, meinte Krabat, hier habe einmal in der Nummer 8 ein Onkel von ihm gewohnt, vielleicht wohne da noch jemand, der sich erinnere und darum ihnen Quartier für die Nacht gebe. Das Haus Nummer 8 stand allein an der Straße, es war vierstöckig, und seine Fenster waren dunkel, als seien sie mit einer lichtlosen Farbe bestrichen. Krabat hielt es für ein tiefes Blau, Jakub Kuschk für Rußschwärze, er rieche auch kalten Brand, sagte er. Als sie auf die Klingelknöpfe drückten – es waren acht in zwei Reihen, und sie glänzten wie eben geputzt –, öffneten sich alle Fenster, leere Fensterhöhlen, das Haus ausgebrannt oder vielleicht erst im Bau. Vielleicht auch häutete es sich.

    Von oben, aus dem unbegrenzten Leeren kam ein Mann hinter ihnen her, eilig, und seine groben Schuhe schurrten über den nun sandigen Weg. Der Mann fragte nach Woher und Wohin, er lachte dabei, als wüsste er eine lustige Antwort im Voraus. Bevor noch Krabat die Wahrheit sagen konnte, über die Libertas-Straße und seinen Onkel, der ein Feldscher Wallensteins gewesen sei, als dieser umgebracht wurde in Eger an der Eger, und nichts mehr für den Feldherrn habe tun können, als dessen halbausgetrunkene Kanne mit Zypernwein auszutrinken – da also gab Jakub Kuschk wahrheitsgemäß Auskunft, dass sie unterwegs seien von dem einen Ende zu keinem Anfang. Der Fremde nickte, als sei ihm erschöpfende Auskunft erteilt worden, und erklärte, er selbst sei ein Trommler, und die große Bauchtrommel stehe auf dem Hof.

    Das Hoftor war, wie die Tore in den mährischen Dörfern sind, aus Holz, sparsam geschnitzt und nicht höher, als ein Mann hinauflangen kann. Links hing es an einem gemauerten Pfosten, und rechts lehnte es am Haus. Das Haus war einstöckig und hatte im Dach zwei kleine Fenster, eine schiefwandige Kammer mochte dahinter sein. Krabat ging mit dem Fremden in den Hof und schloss das Tor hinter sich.

    Jakub Kuschk blieb auf dem Weg, ihm fiel, ein Hirnzucken, der Wallenstein in Eger ein und gleich darauf, wie sie einen Lachs fingen im Fluss oberhalb der Stadt und ihn am Ufer brieten, Krabat und er und der Holzschnitzer, der ein blutjunges Bauernmädchen zur Frau hatte. Sie war hochschwanger, er schnitt und schnitzte ihre Gestalt aus einem schulterhohen Buchenstamm heraus, später, sagte er, wird man sie vielleicht als Madonna verehren, meine Kindsfrau Smjala. Als wollte er den Namen wegwischen, hatte Krabat schnell gesagt, gestern ist Kolumbus jenseits des großen Meeres an Land gegangen.

    Nun sprach er Ähnliches drinnen im Hof, und der Fremde machte ein Geschrei, dass Krabat ihm die Reichsmütze genommen habe. Versehentlich mit seiner Mütze vertauscht, sagte Krabat ruhig, hier sei sie, und nichts für ungut.

    Er trat aus dem Hoftor, und Jakub Kuschk, plötzlich ohne Grund zornig, rief in den Hof hinein, die Mütze her, oder ich blase dein Haus um. Der Fremde glaubte der Drohung und warf die Mütze übers Tor, das nun samt dem Haus als ein Stück Schwärze in der leeren Dunkelheit zerfloss.

    Die Reichsmütze, von der weder der Reichsgründer Karl noch der Reichsverlierer Wilhelm je gehört hatten, auch keiner ihrer Köche oder Generale, saß Krabat über den Ohren wie eine Nachtmütze, wollig und mit einem bunten Zipfel bis zwischen die Schulterblätter. Sie machten sich lustig darüber, und lachend zog der Müller sie Krabat tiefer in die Stirn. Krabat spürte eine Kälte und Schwere, die Schlafmütze hatte sich in einen Helm verwandelt, gehörnt und mit einem Adlerkopf in der Mitte. Der Müller lachte nicht mehr, und Krabat riss das Doppelding herunter und schleuderte es in die Schwärze.

    Auf dem Weg kamen von unten Leute, ein Grüppchen Männer, Frauen und Kinder, leicht vorgeneigt gegen die jähe Steile des Wegs. An der Spitze schritt ein hochgewachsener Mann in einem langen grauen Mantel, er trug auf jeder Schulter ein Kind. Die Leute waren in einer stillen Art fröhlich, als hätten sie einen Ausflug gemacht und kehrten nun heim.

    Krabat fragte eine Frau.

    Sie sagte: »Wir haben die Arbeit geholt.« Der in dem langen grauen Mantel habe sie, sie alle wohnten zusammen in einem Haus, zehn Klingelknöpfe an der Tür, und einen werde sie nun putzen, bis er glänze wie Hoffnung.

    Das Grüppchen zog weiter den Weg hinauf, und Krabat und Jakub Kuschk wandten sich wieder dem Tal zu. Der Weg lief von den Rändern her ein und führte als Pfad in die Bucht, wo sie den Lachs über dem Feuer gebraten hatten, die Steine waren noch warm und die Asche noch nicht tot. Krabat stocherte mit seinem Wanderstab in der Asche, und zuckend erwachte ein Flämmchen. Knüppelholz lag herum, genug, dass sie im Nachtatem des Flusses nicht frösteln mussten. Der Fluss war nicht das Lachswasser der Eger, sondern ein dunkler, säuerlich und wie abgestanden riechender Strom, sein jenseitiges Ufer verlor sich in wabernden Schwaden.

    Ohne Verwunderung sah Krabat den Helm, den er weggeschleudert hatte, neben dem Feuer liegen und im Geflacker sein Aussehen wechseln, Kriegerhaube und Schlafmütze.

    Jakub Kuschk hockte auf den Fersen, blicklos und stumm. Im Sack auf seinem Rücken hing die Trompete, sie klagte leise. Vielleicht war es auch das Wasser, das sich am Ufer rieb. Krabat saß auf einem Stein, an Knie und Schulter lehnte sein Wanderstab. Die Schlange, darein geschnitzt, ringelte sich um den Baum der Erkenntnis, und Eva bot Adam den Apfel, ein altes Märchen, und dass der Stab ein Wunderstab sei, war es auch. Die Zeit der Märchen war vergangen, die Zeit der Wunder nie gewesen, und der Mensch verkauft die Jahre der Enkel an der Börse des Widersinns. Der Stab war Krabat lästig, ein dummes, mürbendes Erinnern, er hob ihn an, soll das Feuer ihn haben oder der Fluss. Das Holz schmiegte sich ihm in die Hand, verlor die kalte Härte, und seine Finger erkannten die Klarinette. Er war nicht die tote Asche, die er zu sein glaubte und sein wollte, er gehorchte dem nicht benennbaren Zwang und führte die Klarinette an die Lippen. Jakub Kuschk, der Müller und Meistertrompeter, holte sein Instrument aus dem Sack, nahm die Lungen voll Luft und ließ sie in die Trompete strömen. Doch weder Trompete noch Klarinette wussten noch, wie Ton an Ton zu binden sei. Einzeln, unzugehörig fielen die Töne zwischen die Steine, ein Konzert für Taube, und Trompete und Klarinette elektronische Gebilde, chimärisch zerfließend.

    Vielleicht hätte die Wirklichkeit sich als trügerische Spiegelung erwiesen, wenn nun Worte gesagt würden, hingesagte Laute, die auf der Zunge nisten. Doch sie kannten keine gedankenlosen Worte, und Gedanken hatten sie nicht, nicht im Kopf und nicht in der Seele. Sie unterhielten das Feuer, wie ein Fuchs eine Höhle gräbt, ein Igel Laub zusammenschiebt.

    Der Morgen graute, als sie die Frau auf dem Fluss bemerkten. Sie saß, die Hände im Schoß, auf der Heckbank eines Kahns, der wie von selbst zum Ufer her trieb. Auf der Ruderbank stand eine Ziege und meckerte. Das Boot schurrte auf das kieselige Ufer und neigte sich zur Seite. Die Frau schob sich breithüftig mit dem Rücken voran aus dem Kahn und wandte sich dem Feuer zu, massig auch in den Schultern und schwerbrüstig. Ein grob gefalteter, ungemein weiter Rock scheuerte die Schäfte ihrer wadenlangen rötlichen Stiefel, und so verpackt wirkte die Frau schwerfällig und ihr Gang holprig. Kurz und ohne Inte-resse musterte sie die zwei Männer und setzte sich auf den höchsten Stein in der Nähe des Feuers, abwartend oder etwas erwartend. Ihr breitwangiges, flächiges Gesicht mit dem großen Mund, der leicht abgeknickten Nase, der hohen, grausträhnig verhangenen Stirn und dem schwammigen Kinn drückte Unmut aus, vielleicht auch Ungeduld. Sie war gewohnt, als Erstes für freundliche Begrüßung zu danken. Krabat und der Müller sahen sie oder sahen sie nicht, sie waren aus Holz.

    Die Frau sagte: »Ich bin die Frau vom Großen Fluss.« Es war leicht zu hören, dass sie ungern ihr eigener Herold war.

    Die stummen Männer waren auch taube Männer. Bis die Frau sagte: »Da ist ja mein Hut«, und Krabat ihr den Wechselbalg mit dem Fuß zuschob.

    »Ich habe viele Hüte«, redete die Frau, die Stimme schartig in bemühter Bescheidenheit. »Feine und solche, unter den Leuten zu tragen, runde Strohhüte für einen Sommertag und spitze aus gemäßen Feierlichkeiten. Dieser passt hier und dort.«

    Das Hier und das Dort umschrieb sie mit einer weiten, runden Geste, wie sie ein geübter Redner stets zur Verfügung hat, wenn es gilt, etwas Bestimmtes nicht ganz genau bestimmbar zu machen.

    Die Frau war nicht mehr ungeduldig, die Stimme nicht mehr harsch, biegsam freilich auch nicht, irgendwie ist ihr Öl hineingeraten, dachte Jakub Kuschk.

    »Sprich weiter von dir«, sagte er, »du klingst, als wärest du sanft.«

    Die Frau lächelte, ihre Augen lächelten nicht mit.

    »Ich rede nicht über mich«, sagte sie, »ich rede über die Zeit, und meine Zeit ist nicht ohne mich, und ich bin nicht ohne die Zeit. Wird man morgen und in zehn Jahren über die Zeit reden, wird man über mich reden, ich kann es nicht ändern.« Sie seufzte, zutiefst einverstanden mit sich.

    »Über den Fluss wird man reden und auch dabei über mich, gut oder schlecht, das hängt nicht von mir ab, sondern von dem, der redet. Ich bin da hineingeworfen worden, nicht in den Fluss natürlich, sondern in die Umstände. Den Umständen hat man mich zum Fraß ... ihr wisst ja, die Jungfrau an den Felsen geschmiedet und das Ungeheuer. Es fand sich kein Held, der mich errettet hätte, ich nahm die Umstände an und musste eine Heldin werden, obwohl ich nichts mehr hasse als Helden und Heldengetue. Aber was soll’s – da war der Fluss, da war ich und da war die Aufgabe.

    Alle sahen es, dass der Wolf und die Ziege und die Kohlköpfe über den Fluss gebracht werden mussten, aber niemand hatte Verstand und Mut genug, das Richtige zu tun. Alle jammerten über die fehlende Brücke. Ich aber nahm den Wolf an den Hörnern – bildlich natürlich, die Hörner hatte ja die Ziege –, zog und zerrte ihn in den Kahn, lud den Kohl dazu und ruderte los. In Gottes Namen, sagte ich mir. Der Fluss war breit, die Strömung stark, aber ich fühlte, dass ich – ich will nicht sagen auserkoren – aber ausersehen doch war für diese Aufgabe. Ich ruderte und ruderte, und auch als ich mir die Hände blutig gerudert hatte, gab ich nicht auf, ließ Wolf und Kohl am Ufer und holte die Ziege. Da überfiel mich die Erkenntnis, dass Wolf, Ziege und Kohl nicht zusammenbleiben dürfen, nicht an diesem und nicht am anderen Ufer, und dass es mir aufgegeben war, sie nicht zu trennen und doch zu verhindern, dass eines das andere frisst. So geschah es also, dass ich den Kohl hüben ließ, den Wolf drüben und die Ziege über den Fluss ruderte, hin und her und her und hin, und die Leute fingen an, mich ›Die Frau vom Fluss‹ zu nennen. Ich schlug drüben einen Haken in die Felsen und hüben einen Haken, ließ ein Stahlseil spannen von Ufer zu Ufer, es lief über die Rolle an meinem Boot, die Strömung trieb mich herüber, hinüber. Nicht wenige Male hockte neben der Ziege ein Mensch, ich war die Fährfrau für viele, nicht, dass ich mich hervortun will, es wird auch ohne mich geschrieben werden über meine Rolle, das Boot und die Strömung. Es kann auch sein – ich stelle es dahin –, dass man mich dafür loben wird, ich sage nicht: über Gebühr. Die Leute werden vielleicht sagen, dass ich eine Heldin sei. Ein Held hat, wenn ich es richtig weiß, keine Angst, ich habe immer Angst gehabt. Dass das Stahlseil reißt, irgendwie, und ich in die Strudel gerate. Und Angst vor dem Wolf. Er fletschte immer die Zähne, heulte wütend, seine Augen funkelten vor Mordlust. Ich weiß, manche sagen, er habe die Ziege fressen wollen. Doch ich war mir stets sicher, dass er sich auf mich stürzen würde, sobald ich vor Angst in die Knie ginge. Mein Herz zitterte wohl, mein Kopf nicht.

    Ich rede nicht über mich, ich rede über das Schicksal – oder wie man es sonst nennen mag –, das mich zwang, die Lösung zu suchen für Ziege, Kohl und Wolf. Das hat mein Leben ausgemacht.

    Doch nun haben sie die Brücke gebaut, die Ziege frisst den Kohl, der Wolf die Ziege ... Und mich frisst, dass ich mein Leben lang eine Fährfrau war für viele, doch das zählt nun nicht mehr, und ich zähle nicht mehr ...«

    Die Frau sank zusammen, sich und das Vergebliche betrauernd, und Krabat war versucht zu sagen, in deinem Rücken geschieht jetzt, was du vor Augen nicht hast haben wollen – doch wozu, es geschieht, ob zugesehen oder weggesehen. Der Wolf sprang in den Kahn und riss die Ziege auf, der Fluss trocknete aus, auf seinem Grunde lag der Große Sagenschatz, obwohl doch der Fluss gewiss nicht der Rhein war, die Burgen fehlten und die Loreley, und Wein, Weib und Gesang reimten sich nicht, auch nicht als näher benannte Zutaten.

    Der Schatz war überzogen mit Schlick und Schlamm, doch wer sich auskannte in Schätzen, sah das Gold glänzen. Dunkelgewandete Männer erschienen auf dem einen Ufer und karrten, wie in Todeseile, den Schatz hinweg, jeder Mann hatte zwei Schatten. Auf dem anderen Ufer standen Männer, in Flickendecken gehüllt, bewegungslos, und hatten ihren Schatten nicht bei sich.

    Jählings erhob sich die Frau, straff und gespannt, hob die Arme und sprach mit einer Stimme wie aus Messing: »Sie scharren und karren, treiben den Bohrer in den Bauch der Erde und in das Gewölbe des Himmels. Kaltes Magma bricht hervor, und nackte Sonne schmilzt das Eis der Pole, die Flüsse strömen bergwärts, und die Erde taumelt aus ihrer Bahn.«

    Sie schloss die Augen und rief mit großer Stimme: »Wehe!« Die Stimme brach und verhallte echolos. Die schattenlosen, in Flickendecken gehüllten Gestalten falteten in demütiger Ohnmacht die Hände vor der Brust. Die Frau machte sich auf den Weg dahin, wurde kleiner und kleiner, glitt aus im Schlamm des toten Flusses, und einer der Schatzgräber warf sie auf den Karren.

    Jakub Kuschk sagte: »Sie hatte kein Echo.«

    Krabat sagte: »Deine Trompete weiß keine Melodie«, und warf seinen Wanderstab ins Feuer. Das Feuer spielte mit dem Stab, machte die Schlange am Baum züngeln, leckte Eva die Füße und schmeichelte ihren Brüsten, und als Adam sich reckte, erschrak es und verkroch sich unter die Asche.

    Ohne Verwunderung sah Krabat, dass sein Stab nicht einmal mehr taugte, sie zu wärmen.

    Der Trompeter hatte einen absonderlichen Einfall.

    »Erinnerst du dich, Bruder, an den Wallenstein?«, sagte er.

    »Ich war Wallenstein«, sagte Krabat. »Es bedeutet nichts.«

    »Du wolltest den Krieg beenden«, sagte der Müller.

    »Ich wollte Kaiser sein und jeden Krieg tottreten.«

    Jakub Kuschk nickte. »Mit einem starken Heer.«

    »Die Sterne waren gegen mich«, murmelte Krabat.

    »Du warst gegen dich, Bruder«, sagte Jakub Kuschk.

    Wir sind immer gegen uns, dachte Krabat. Immer verlieren wir, töten uns und sind wir, gegen uns seiend ... das ewige Leben, bis dass einer den anderen an den Baum der Geschichte hängt, Wolf Reissenberg oder ich.

    »Der Baum der Geschichte ist wahr«, sprach er, »Wolf Reissenberg ist ein Märchen. Ich werde am Baum hän-gen, Henker und Gehängter. Damals in Eger war noch Zeit ...«

    Noch ist Zeit, wollte der Müller sagen, aber da sah er den Wald der Schwarzen Fontänen brennen, Rauch wirbelte hoch, fraß die Bläue vom Himmel, das orangene Licht der Wüste, das silbrig-grüne Meer, und stieg und stieg, und die Winde webten ein Band daraus, rund um die Erde ein Trauerband für die Welt. Die Feuer, angezündet für einen Sieg oder eine Niederlage, zerbrannten den Sieg zur Niederlage, töteten die Vögel in der Luft, Muskeln und Fische im Meer, Sandkäfer und Grillen im Sand der Wüste, Aladins Wunderlampe zerbarst, Sindbad der Seefahrer verlor die Sterne und zerschellte an einem Riff. Hans der Sänger erstickte, und der Prophet Mohammed rief vergeblich um Rettung zu Allah.

    Jakub Kuschk sagte: »Und doch ist noch Zeit!«

    Er riss den Sack auf, nahm die Trompete, dreimal schrie sie kurz und lang und kurz, grell und misstönig.

    Sie zerrte Krabat aus der Starre, er griff nach seinem Wanderstab, den das Feuer nicht angenommen hatte, und erhob sich.

    »Du glaubst immer noch und trotz allem, Bruder?«, fragte er ohne Anteilnahme.

    »Ich glaube, weil ich lebe«, antwortete Jakub Kuschk. Sie verließen den Ort, wo sie einmal, vor langer Zeit, einen Lachs über kleinem Feuer geröstet hatten.

    »Damals haben die Menschen einander auch totgeschlagen«, sprach Krabat, wie für sich selbst. »Die Erde nahm ihr Blut auf, und es kümmerte sie nicht. Nun aber erzittert sie öfter und öfter und erbricht ihre Furcht.« Sie spürt, dachte er, das Ende.

    »Ich habe Mitleid mit ihr«, sagte er.

    »Mit uns?«, fragte der Trompeter.

    Krabat schüttelte den Kopf.

    Von irgendwoher verhallte ein Ruf. Vielleicht war es das Echo der Frau.

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    2.

    Immer noch fünf Kornhalme hoch

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