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Und dann kam Uschi: Psychogramm einer Brustkrebsbehandlung
Und dann kam Uschi: Psychogramm einer Brustkrebsbehandlung
Und dann kam Uschi: Psychogramm einer Brustkrebsbehandlung
eBook230 Seiten3 Stunden

Und dann kam Uschi: Psychogramm einer Brustkrebsbehandlung

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Über dieses E-Book

Wie würden Sie reagieren, wenn Sie die Diagnose Brustkrebs erhalten? Und Sie im nächsten Moment mit der Feststellung konfrontiert werden, dass es für Ihre Form des Krebs eine Therapie gibt, von der man aber nicht weiß, ob und wie sie in Ihrem Fall wirkt? Dass sich diese Therapie als Möglichkeit anbietet, aber keine Gewissheit gibt? Für die Autorin dieses Buches wurde 2016 aus der hypothetischen Frage bittere Realität. Wie umgehen mit der Erkenntnis, einen der bösartigsten Tumore in der Brust zu haben? Grit Steinitz stellte sich der Diagnose und nahm den Kampf gegen den Krebs auf. Sie fand ihren Weg, dokumentierte das Wie, hinterfragte das Warum, entdeckte Stolperfallen und Sackgassen, erkannte sich selbst und erschuf sich neu. Das vorliegende Buch ist das Psychogramm des Weges. Es zeigt die ungeschminkte Wahrheit der akuten Behandlung und ist dennoch eine Hommage an das Leben. (Klappentext)
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Sept. 2023
ISBN9783347957114
Und dann kam Uschi: Psychogramm einer Brustkrebsbehandlung
Autor

Grit Steinitz

Geboren in einer Kleinstadt im äußersten Norden verließ ich mit 16 Jahren das elterliche Haus, um in der Ferne einen Beruf zu lernen, der nicht meine erste Wahl gewesen war. Allein der Umstand, dass es mit dem Abschluss der Ausbildung das Abitur obendrauf gab, hatte mich zu dieser beruflichen Entscheidung gebracht und meine strikte Weigerung, die schulische Ausbildung nicht an einer Erweiterten Oberschule fortzuführen. Drei Jahre später mit einem Abitur und einem Facharbeiterbrief in der Tasche wurde die Entscheidung zu dem weiteren beruflichen Weg nicht leichter. In der nahen Zukunft und für eine lange Zeit als Facharbeiterin in der Produktion zu arbeiten, kam nicht in Frage. Ein Studium schien der einzig vernünftige Ausweg zu sein, zumal die Hauptstadt ein neues Flair, viel Wissenschaft und Kultur versprach. Meiner Bewerbung an der renommierten Humboldt-Universität wurde Dank einer Delegierung durch meinen vorherigen Ausbildungsbetrieb und der wohlwollenden Einschätzung durch die Berufsschullehrer stattgegeben. Mitten im dritten Studienjahr meines Ingenieurstudiums wurde ich wie jeder andere DDR-Bürger von den gesellschaftlichen Ereignissen überwältigt. Wieder war ich verunsichert ob der berufliche Entwicklungsrichtung. Trotz der herrschenden Unsicherheiten und den vielen neuen Möglichkeiten blieb ich an der Universität und setzte mein Studium fort. Eineinhalb Jahre später schloss ich es mit dem akademischen Titel Diplom-Ingenieurin ab. Nun hatte ich einen zweiten Berufsabschluss in der Tasche, mit dem ich aber, wie ich feststellen musste, nichts anfangen konnte, denn die dazugehörigen Arbeitsplätze gab es bald im Osten nicht mehr. Beim Arbeitsamt erhielt ich den Stempel Überqualifiziert und galt als schwer vermittelbar. Beruflich schlingerte ich dahin. Fünf Jahre und zwei befristete Jobs später fand ich endlich einen Bereich, in dem ich meine Fähigkeiten einsetzen konnte. Seit fast 26 Jahren arbeite ich in einer Wirtschaftskammer im Bereich der Unternehmensberatung. Den Mut zum Schreiben und Veröffentlichen habe ich erst nach der Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung gefunden. Die Verarbeitung der Krankheit wurde zum Thema meines ersten Buches. Seitdem tauche ich fasziniert in eine völlig neue Welt ein.

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    Buchvorschau

    Und dann kam Uschi - Grit Steinitz

    NEUE ZEITRECHNUNG

    Am 13. Oktober 2016 detonierte die denkbar schwerste Nachrichtenbombe in meinem Alltag und es begann eine neue Zeitrechnung: »n. U.«. Seitdem zähle ich ein Leben vor diesem Einschlag und eines danach, ein Kreuzweg, dessen Bedeutung ich an diesem Tag nur geahnt, aber erst viel später mit seinen weitreichenden Folgen erfassen konnte. Die Explosion und die Druckwellen, das war mir schon zu diesem Zeitpunkt bewusst, würden meine bisherigen Zukunftspläne vernichten. Nun würde es unbequeme Entscheidungen und schmerzhafte Maßnahmen geben, die mit meinen bisherigen Erfahrungen nicht viel zu tun haben würden. Verwirrt betrat ich eine neue Welt, die Welt der Kranken und des Schmerzes mit all den neuen Begrifflichkeiten und Körperkennzahlen, mit gestresstem ärztlichen Personal und mit Hoffnungen beladenen Strategien zum Überleben. Ich ging durch eine Pforte hindurch in einen Palast mit teuren bedrohlichen Geräten, unbekannten Gerüchen und einem bitteren Beigeschmack. Ab sofort galt ICH todgeweiht.

    »n. U.« – »nach Uschi«. Uschi, der Name klingt harmlos, aber das war Uschi keineswegs. Trotz ihrer Kirschkerngröße war sie hoch aggressiv, wuchs invasiv in das sie umgebende Fleisch und sie reduzierte meine Lebenserwartung auf einen Schlag um ein Vielfaches. Ihrem Wesen nach war sie ein triplenegatives Mammakarzinom, ein Brustkrebs der übelsten Sorte mit der höchsten Wachstumsrate der entarteten Zellen und den schlechtesten Prognosen für das Überleben der Trägerin, mich. Wenn einem etwas Angst machen kann, dann die medizinische Beschreibung dieses speziellen Typus von Brustkrebs.

    An diesem ersten Tag als Kranke in einer Reihe vieler weiterer war zunächst nur eines klar, dass der Schatten, den meine Gynäkologin auf dem Sonographie-Bildschirm sah, einer weiteren Untersuchung und vor allem einer genauen Abklärung bedurfte. Nach den gängigen medizinischen Kategorien sah er in jedem Fall atypisch aus. Die erste Lektion für die neue Patientin lautete:

    »Wenn ein Arzt zu dir sagt, dass eine weitere Untersuchung notwendig ist, wird es ungemütlich und in achtzig Prozent der Fälle schmerzhaft. Es gibt eine geballte Ladung Stress und Angst frei Haus und dabei ist die Verarbeitung des anstehenden Ergebnisses noch nicht mit eingerechnet.«

    Meine Gynäkologin hatte zunächst auf der linken Seite begonnen, die Brust zu scannen. Ich war zu ihr in die Praxis gekommen, um den aktuellen Zustand der Zysten begutachten zu lassen. Seit einiger Zeit hatte ich verstärkt ein Ziehen in der Brust und vor zwei Monaten hatte sie einige Zysten als deren Verursacher erkannt. Heute sollte nun überprüft werden, inwieweit sich die Zysten verändert hatten. Neben den kreisrunden weißen Blasen mit schwärzlichem Inhalt hatte ich aus dem Augenwinkel ein zerrupftes verschwommenes Etwas entdeckt. Genaueres konnte ich aber nicht erkennen, weil die Ärztin abrupt auf die rechte Seite wechselte. Auch auf dieser Seite waren mehrere kreisrunde Zysten vorhanden und jede wurde von ihr gewissenhaft ausgemessen. Eine ähnliche zerrupfte Struktur war aber nicht erkennbar. Sie meinte, dass sie die linke Seite gerne auch ihrem Kollegen zeigen würde, weil eine Stelle atypisch aussehen würde und genauer untersucht werden müsse.

    Der hinzugerufene Leiter der Praxis Dr. Schmidt schaute sich den Schatten an, den Uschi auf den Sonographie-Bildschirm warf. Er bestätigte die erste Einschätzung meiner Gynäkologin, dass möglichst schnell eine Abklärung erfolgen sollte. In meinem Fall müsse man eine »Stanzbiopsie« einsetzen. Den Namen »Stanze« darf man ruhig wörtlich nehmen und die Bilder, die beim Aussprechen des Begriffes im Kopf entstehen, eine Weile auf sich wirken lassen.

    Von den Ereignissen völlig überrumpelt wurde ich gefragt, ob ein neuer Termin angesetzt werden solle oder ob ich bereit wäre, die Biopsie gleich vornehmen zu lassen. Ich lag mit nacktem Oberkörper und mit Gel beschmierten Brüsten vor den Ärzten und bemühte mich ernsthaft über die Frage nachzudenken. Was würde mir ein späterer Untersuchungstermin bringen, außer dass er mir viel Zeit zum Grübeln geben würde, um noch mehr Ängste zu entwickeln? An der Notwendigkeit nachzuschauen, hätte sich bei einer späteren Untersuchung nichts geändert, also entschied ich mich für eine Biopsie gleich im Anschluss.

    Die Stanze fuhr fünfmal mit Hochgeschwindigkeit in eine der empfindlichsten Stellen meines Körpers. Bei jedem Stich wurden wenige Gramm Gewebe aus dem Kirschkern entnommen und standen für eine spätere Untersuchung zur Verfügung. Dass die Stelle oberhalb der Brustknospe vor dem Einstich örtlich betäubt wurde, milderte den einsetzenden Schmerz nur geringfügig ab. Ein handtellergroßes quadratisches Pflaster bedeckte nach der Untersuchung die Stelle, aber obwohl ich später ein Kühlkissen auflegte, es verhinderte nicht, dass in den folgenden Tagen ein tiefblauer Fleck die zarte Haut zeichnete.

    Der erste Tag als Todgeweihte hielt noch weitere Hiobsbotschaften für mich bereit. Der Arzt erklärte mir eindringlich, dass eine Operation sehr wahrscheinlich notwendig sein würde, aber man müsse erst einmal das Ergebnis des Pathologen abwarten. Dieser würde das Gewebe klassifizieren und erst nach dem Ergebnis würde man entscheiden, wie es mit mir weitergehen würde.

    Irgendwie fand ich den Ausgang der Praxis.

    Warten.

    Gerade war ich stolz, dass ich die Arbeit der Stanze mit zusammengebissenen Zähnen tapfer überstanden hatte, nun musste ich die nächste Lektion im Leben einer professionellen Kranken lernen und WARTEN. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte: Warten ist die Königsdisziplin aller Krebspatienten, ihr tägliches Brot und absolut überlebensnotwendig. Warten auf das Ergebnis der Blutuntersuchung. Warten auf den nächsten Behandlungsschritt. Warten auf das Ende der qualvollen Chemotherapie. Warten auf das Ende.

    Sieben Tage musste ich mich gedulden. Dieser unter normalen Umständen relativ kurze Zeitraum reichte aus, um mich nachhaltig zu verunsichern. Trotz Berufstätigkeit und Alltag gab er mir genügend Raum für Spekulationen. Ich war den schlimmsten Befürchtungen schutzlos ausgeliefert. Mal erstarrte ich und wusste nicht, was ich von den Mitteilungen der Ärzte halten sollte. Dann versuchte ich mir vorzustellen, was demnächst passieren würde. Ein anderes Mal rätselte ich gemeinsam mit meinem Mann über die Ereignisse, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Jeden Tag ging ich zur Arbeit, gab mich wie gewohnt und versuchte zu verdrängen, was mich beunruhigte.

    »Was wäre wenn …«, hämmerte es trotzdem pausenlos im Kopf. Worauf müsste ich mich einstellen? Könnte es das schlimme K-Wort sein? Nein, so schlimm ist es bestimmt nicht.

    In der Nacht vor dem nächsten Arzttermin war die Anspannung unerträglich, die Nerven aufs Äußerste gespannt. Im Bett weinte ich hemmungslos und mein Mann versuchte sein Bestes, um mich mit »Das müssen wir jetzt durchstehen« zu trösten. Ich wollte endlich Klarheit, wollte wissen, was im Laborbericht steht, egal was es bedeutete, bloß keine Unsicherheit mehr. Ich war naiv.

    Am nächsten Tag, dem Tag der Verkündung, begannen sich die Ereignisse zu beschleunigen. Das Gespräch mit Dr. Schmidt brachte nun die von mir gewünschte Klarheit. Er eröffnete mir ohne Umschweife, dass »die Stelle« doch keine gutartige Geschwulst sei, sondern ein BRUSTKREBS. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch eine vage Hoffnung auf einen guten Ausgang gehabt. Mit dem einen Satz »Sie haben Brustkrebs« wurde sie ansatzlos vernichtet. Dr. Schmidt fuhr rasch mit seinen Erläuterungen fort, zeigte die Behandlungsstrategie auf und erklärte, dass in jedem Fall eine Chemotherapie notwendig sei, danach sollte die Brust operiert und im Anschluss bestrahlt werden – das volle Programm. Die gesamte Palette der Behandlungsmöglichkeiten wollte er einsetzen. Man dürfe auch nicht mehr lange zaudern, sondern müsse schnell aktiv werden, schob er nach. Mit der Diagnose sei nicht zu spaßen. Das nächste halbe Jahr gäbe es für mich nur die eine Aufgabe, die Behandlung aktiv mitzumachen. Alles andere in meinem Leben sei ab sofort nicht so wichtig wie diese eine Aufgabe.

    Langsam kroch es mir kalt den Rücken hinauf, meine Hände zitterten unaufhörlich und unter der Bauchdecke vibrierte es.

    Dr. Schmidt zeigte sich aber optimistisch, denn man hätte den Krebs in einem sehr frühen Stadium erkannt und mit dem aufgezeigten Behandlungsprofil hätte man sehr gute Erfahrungen gemacht. Außerdem sei mein Allgemeinzustand gut. Körperlich fit würde ich die Behandlung schon gut überstehen.

    Die Worte sollten trösten und aufmuntern, aber ich konnte sie nur schwer aufnehmen, geschweige denn an sie glauben. Meinen Glauben hatte ich gerade restlos verloren. Ich schaute ihn mit verschwommenen Augen an und war auf die nächste niederschmetternde Ankündigung gefasst.

    Dr. Schmidt empfahl mir die Teilnahme an einer medizinischen Studie, die für meinen speziellen Brustkrebstyp besonders geeignet sei. Weiter eröffnete er mir, dass, wenn ich mit der Behandlung einverstanden sei, würde er sich gemeinsam mit seinem Team um die Termine für die Voruntersuchungen kümmern. Schon in der nächsten Woche würde am Montag und an jedem weiteren Wochentag eine Untersuchung stattfinden. Gekrönt würde die nächste Woche mit einer Operation am Freitag, bei der mir ein sogenannter PORT gesetzt werden würde. Port? So wie englisch für Hafen? Nein, wohl eher wie für eine Pforte. Den Begriff hatte ich noch nie gehört. Der Port sei unbedingt notwendig, um die Chemotherapeutika zu verabreichen, erklärte Dr. Schmidt. Und im Übrigen würden mir aufgrund der Behandlung die Haare ausfallen, das sei leider nicht zu verhindern.

    Aha, na ja, wenn es nicht anders geht. Es gab noch einen Krankenschein vom Doktor, denn arbeitsfähig sei ich ab sofort nicht mehr. Wieso denn das? Ich fühle mich doch gut und gesund. Nur dieses Ziehen in den Brüsten wegen der Zysten nervt etwas, aber sonst bin ich doch fit. Ich verstand es nicht.

    Dr. Schmidt war immer noch nicht fertig mit seinen Ankündigungen. Wenn ich noch etwas Zeit hätte, dann könnte ich heute noch das Gespräch mit dem behandelnden Onkologen Dr. Immerhoff führen. Dieser würde mir im Anschluss viel genauer die einzelnen Behandlungsschritte erläutern. Ich war als ernster Fall eingestuft worden und die beiden Doktoren hatten bereits im Team vereinbart, welche Maßnahmen sinnvoll sein würden. Dr. Schmidt war nur der erste Verkünder der schlechten Nachrichten.

    Ich konnte vor lauter Mitteilungen kaum mit meinen Gedanken folgen und war mit allem einverstanden, was mir vorgeschlagen wurde. Ehe ich mich versah, saß ich mit den Zetteln in den zitternden Händen im Warteraum. Das Arztgespräch hatte nicht länger als eine halbe Stunde gedauert. Das Schwirren im Kopf wollte kein Ende nehmen.

    Hatte ich gerade dieses Gespräch mit dem Arzt geführt?

    Hatte er wirklich BRUSTKREBS gesagt?

    Kneift mich doch einmal irgendjemand! Das kann doch nur ein mächtig falscher Film sein … mit mir als grandioser Fehlbesetzung. Ich versuchte die Gedanken zu ordnen, ein paar Tränen liefen die Wangen hinunter, für mehr blieb keine Zeit, denn nun folgte der nächste Akt mit noch mehr Informationen, die ich unbedingt aufnehmen musste.

    Wenn ich gedacht hatte, das Schlimmste hätte ich an diesem Tag hinter mir, dem war nicht so. Diese und andere Fehleinschätzungen passierten mir in der Folgezeit häufiger. Ich stieg an diesem gewöhnlichen Herbsttag ganz allein in die enge Kabine einer Achterbahn und es begann kopfüber eine rasante, halsbrecherische Fahrt, von der ich nicht wusste, wie lange sie dauern und wohin sie mich bringen würde. Ganz langsam drang die eine ernüchternde Erkenntnis zu mir durch: Nun ist es also wahr geworden, das Unaussprechliche ist Wirklichkeit. Das böse K-Wort war in mein Leben getreten.

    Der Onkologe Dr. Immerhoff kam mir freundlich, aufgeschlossen und empathisch entgegen. Er legte seine warme rechte Hand sanft an meinen linken Oberarm und führte mich zu seinem Schreibtisch. Ein sympathischer schlanker Mann in seinen besten Jahren mit einer Aura aus Kompetenz und Selbstbewusstsein begann seine Rede. Sein Tempo war ein gemächliches, seine Ankündigungen hatten es umso mehr in sich. Sie verbreiteten ihren Schrecken langsamer und nachhaltiger in mir. Er sprach in einem ausgewählten ruhigen Tonfall und entschuldigte sich zunächst für die hektische Art seines Kollegen. Ihm war wichtig, dass ich trotz der gerade erhaltenen niederschmetternden Nachricht begreife, was an einzelnen Behandlungsschritten auf mich zukommen würde, inwieweit die medizinische Studie hierbei eine Rolle spielen würde und was genau ich da in meiner linken Brust hätte. Worte wiederholten sich. Ich hörte sie, aber ich hörte sie auch wieder nicht. Sie drangen nicht bis zu meinem Verstand vor. Ein paar meiner aufkommenden Illusionen nahm er mir gleich in diesem ersten Gespräch. Andere Irritationen, Wünsche und Vorstellungen wurden zu einem späteren Zeitpunkt geradegerückt. Eines stellte er schon in diesem frühen Stadium des Kennenlernens klar, er würde mich auf meinem Weg bestmöglich unterstützen und versuchen, alle meine Fragen zu beantworten. Eine Vertrauensbasis war bereitet und bei allem, was danach kam, wurde sie trotz der Unwägbarkeiten und Frustrationen nie erschüttert.

    Wenn man das Thema Krebs in seiner bisherigen Lebenswirklichkeit erfolgreich verdrängt hatte, so wie ich, und daher der irrigen Annahme war, wenn die eigene Mutter bisher keinen Brustkrebs bekommen hatte, man selbst auch keinen bekommen würde, dann war die Zeit mehr als reif dafür, endlich auf die realen Gefahren eines Frauenlebens in der heutigen Zeit zu schauen. Eine halbwegs gesunde Ernährung, eine moderate Bewegung, der Verzicht aufs Rauchen und ein überschaubarer Alkoholkonsum hatten meinen Körper nicht davon abgehalten, Brustkrebszellen zu entwickeln. Oft erscheint es mir, dass die genetische Komponente bei der Berichterstattung über Brustkrebs überbetont wird. Angelina Jolie sei dank.

    Wahr ist, dass JEDE ACHTE FRAU einmal in ihrem Leben an Brustkrebs erkrankt und dass erbliche Faktoren nur bei zehn bis fünfzehn Prozent der Fälle eine Rolle spielen. Die ungeschminkte Wahrheit ist, dass unser Lebensstil, die schnelllebige Arbeits- und Freizeitwelt, die Belastungen in der Familie, dazu unsere Ernährung und die Industrieprodukte um uns herum dafür sorgen, dass wir krank werden. Egal in welchem Alter, jede achte Frau wird dieser Schicksalsschlag treffen und nun bin ich eine von ihnen.

    Dr. Immerhoff erläuterte sehr genau, welcher spezielle Typ von Krebs in meiner Brust heranwuchs. Aber auch seine ruhige und mitfühlende Art machte es mir nicht leichter, die Fakten zu verdauen. Ich lernte, dass Brustkrebs nicht gleich Brustkrebs ist und zahlreiche Variationen von entarteten Zellen entstehen können. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass die in der Chemotherapie einzusetzenden Mittel hochgradig giftig für meinen Körper sein würden. Ein verkürztes Intervall würde ihre Wirksamkeit noch steigern. Statt eines dreiwöchigen Abstandes zwischen den einzelnen Therapien, sollten die Infusionen alle zwei Wochen erfolgen.

    Aha, na ja, anders geht es wohl nicht. Es würden bei jeder Behandlung zusätzliche Mittel geben werden, die den Körper auf das Gift vorbereiten und die Nebenwirkungen abmildern würden: Antibiotika, Antihistamine, Tabletten gegen Schmerzen, Mittel zur Anregung der Blutbildung und so weiter. Na, das hört sich doch gut an. Dann wird es wohl nur halb so schlimm. Er fuhr fort. Leider sei die Auswahl der unterschiedlichen Gifte nur bedingt zuverlässig, da man aus ärztlicher Sicht nicht gesichert weiß, welches der Mittel gegen meinen triple-negativen Brustkrebs helfen würde, welches das beste Mittel für die Bekämpfung sei. Die Krux sei, dass die Krebszellen eine besondere Ausstattung hätten, keine Rezeptoren für Progesteron, Östrogen und keine HER2neu-Rezeptoren und deshalb würde diese Art von Brustkrebs TRIPLE-NEGATIV genannt.

    Na toll! Nein … Mist! Nein … Scheiße! Es gab keine anerkannten und wirksamen Heilmittel! Und das trotz hochgelobter Medizin und der ganzen technischen Errungenschaften! Wenn schon ein Einstieg ins Thema Brustkrebs, dann aber richtig und mit voller Breitseite. An diesem Tag erfuhr ich, dass mich von allen möglichen Brustkrebsarten, die tödlichste Variante erwischt hatte. Der Boden brach vor mir auf und ein klaffender Abgrund starrte mich an. Kein sicheres Terrain in Sicht. So am Rand zu stehen, drohte mir jederzeit der Absturz in die Tiefe. Ein falscher Schritt und der letzte Rest Halt würde wegbrechen und mich ins pechschwarze Nichts stürzen lassen.

    Mit dem Stapel Unterlagen – Überweisungen, dem Krankenschein, den Informationen zur geplanten Studienteilnahme und der Einverständniserklärung – ging ich aus der Praxis und konnte nicht schnell genug das Gebäude verlassen. Jetzt blieben mir vier ganze Tage, um mich in die Studienunterlagen einzulesen und dann zu entscheiden, ob ich mich für die Studie zur Verfügung stellen wollte.

    Eine letzte schwierige Aufgabe kam an diesem Tag noch auf

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