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Fliegende Fische
Fliegende Fische
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eBook381 Seiten4 Stunden

Fliegende Fische

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Über dieses E-Book

Daniel und Mick sitzen im selben Boot. Lilli und Jo, ihre jeweils besten Freunde, sind neuerdings ein Paar und haben nur noch wenig Zeit für andere. Was als Frustgemeinschaft zwischen den zwei Übriggebliebenen beginnt, entwickelt sich schnell zu einer besonderen Freundschaft und mündet schließlich, zu Daniels Überraschung, in einer Liebesbeziehung.Doch was an dieser Stelle ein Happy End sein könnte, entwickelt sich zur Achterbahnfahrt: Daniel muss nicht nur mit der Tatsache klarkommen, „plötzlich“ schwul zu sein, sondern auch mit dem exzentrischen Mick und dessen Stimmungsschwankungen. Schnell wird klar, dass es einen „dritten Mann“ in diesem Zweisitzer gibt: Jo, der Schlagzeuger in Micks Schülerband, spielt bei Mick die erste Geige. Jos Ablehnung kann Mick nicht akzeptieren, und er treibt das Spiel weiter, bis er sich sowohl mit Jo als auch mit Daniel überworfen hat.Mick verschwindet von der Bildfläche. Daniel bleibt zurück und hat mit seinem ersten Liebeskummer zu kämpfen.Bei einem Auftritt der Schülerband laufen Mick und Daniel sich wieder über den Weg. Mit einem Auto, das sie sich von Micks Eltern „leihen“, starten die beiden zu einem Spontantrip nach Berlin, in der Hoffnung, dass es irgendwo einen Ort gibt, der vom alten Leben weit genug entfernt ist.Dort sind sie endlich in der Lage, miteinander reinen Tisch zu machen. Mick legt eine Reihe von Geständnissen ab: Dass er sein Alter verschwiegen hat und nicht siebzehn, sondern erst sechzehn ist. Dass er sich für ein spezielles Musikinternat in einer anderen Stadt beworben hat, ehe er Daniel kannte, und nun auf einen freien Platz wartet. Dass er Jos Zurückweisung erst jetzt allmählich verkraften kann, obwohl Jo, konsequent hetero, ihm noch nie eine Chance gegeben hat.Als Micks Eltern und Daniels Mutter auftauchen, um die Ausreißer einzusammeln, ist Daniel mit sich und Mick im Reinen und bereit, sein neues altes Leben wieder aufzunehmen.Und dann kommt es natürlich, wie es kommen muss. Mick wird zum nächsten Schuljahr an das Musikinternat wechseln. Wie die beiden diese Situation bewältigen werden, bleibt offen. Was bleibt, ist ein öffentlicher Kuss im Treppenhaus der Schule, am letzten Tag vor den Sommerferien, und zwei gereifte Hauptpersonen, denen man zutrauen kann, das Beste daraus zu machen.
SpracheDeutsch
HerausgeberHimmelstürmer
Erscheinungsdatum28. Feb. 2012
ISBN9783863611057
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    Buchvorschau

    Fliegende Fische - S. Pavlovic

    1. INTRO

    Das hier ist wahrscheinlich die Party des Jahres.

    Im ganzen Haus brennt die Luft. Es ist ein großes Haus, beinahe eine Villa. Licht spült durch die offenen Fenster hinaus in den düsteren Garten, in dem sich ein grell blauer Swimmingpool ausnimmt wie ein Ufo-Landeplatz. Musik legt einen Rhythmus unter Stimmengewirr und Gelächter. Die halbe Schule ist gekommen und alle haben Spaß, nur Daniel nicht, denn Daniel ist damit beschäftigt, Betty auszuweichen.

    Er hat ja gewusst, dass es so enden würde: er, blass vor Unbehagen, der versucht, durch die Maschen des Netzes zu schlüpfen, das Betty nach ihm auswirft. Ein einziger Stress die ganze Veranstaltung und alles nur, weil er sich nicht entscheiden kann, weil Betty irgendwie nicht die Richtige ist, aber das ewige Alleinsein auch längst keinen Spaß mehr macht.

    Jetzt steht Betty mit ein paar Freundinnen auf der Terrasse und Daniel traut sich aus seiner Ecke. Er hätte gerne ein neues Bier, seines ist lauwarm und schal vom Angstschweiß, aber noch lieber würde er endlich Lilli treffen: Lilli, die ihn überredet hat, zu kommen, damit er ihren neuen Freund kennen lernen kann.

    Als ob es ihm nicht genügen würde, zu sehen, dass er sie glücklich macht – und für sie da zu sein, wenn das Glück umschlägt.

    Die Party hat schon erste Spuren hinterlassen. Überall stehen leere Flaschen und die Reste eines geplünderten Buffets verteilen sich auf dem Esstisch. Eine Wand wird von einem mächtigen Kamin beherrscht. Auf dem Sims stehen Fotos. Daniel schlendert hinüber.

    Es sind schöne Menschen, die in diesem schönen Haus wohnen: ein großer, dunkelhaariger Mann, Typ Fernseh-Chefarzt und eine südländisch aussehende Frau, dazu Mick, der Sohn, der heute die Party schmeißt. Kinderbilder von ihm: ein schmaler Junge mit weißer Haut und einer Masse dunkler Locken, am Klavier, mit einer Geige, auf dem Rasen mit einer riesigen Deutschen Dogge. Daniel findet es erstaunlich, dass er auf keinem dieser Fotos lächelt. Selbst die Dogge sieht freundlicher aus als er.

    Er zuckt zusammen, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legt.

    „Hi", sagt Betty und lächelt.

    „Hhhhh, sagt Daniel. „Äh. Hi.

    Sie steht vor ihm, ein Glas Sekt in der einen Hand und streicht sich mit der anderen durch die Haare. Sie trägt ein blaues, schulterfreies Top und glitzernde Ohrringe. Sie sieht hübsch aus und Daniel denkt, dass er ihr das wohl sagen sollte, macht man das nicht in so einer Situation?

    „Schön, dass du da bist", sagt sie.

    „Uh, sagt Daniel. „Ja. Äh. Ebenfalls. Du siehst hübsch aus, heute. Also – nicht dass du sonst nicht – ich meine nur … Mist.

    „Danke."

    Sie strahlt und sieht ihn erwartungsvoll an. Das Schweigen zieht sich.

    „Ja, sagt Daniel hilflos. „Also … coole Party, oder? Was für ein … großes Haus.

    „Ja. Hast du schon den Pool gesehen? Ich kenne niemanden sonst, der einen Pool hat."

    „Na ja. In den meisten Fällen genügt auch eine Badewanne."

    Sie lacht und schüttelt sich Haare aus dem Gesicht.

    „Ob der geheizt ist? Vielleicht könnte man später ja mal eine Runde schwimmen."

    „Lieber nicht, krächzt Daniel. „Ich muss jetzt – sorry. Er macht eine fahrige Geste. „Lilli finden. Bis, äh. Später."

    Er schlüpft durchs Netz und entkommt.

    Patrick ist es schließlich, der Lilli schon auf der Party gesehen haben will.

    „Ist aber schon eine Weile her, sagt er. „Sie ist raus in den Garten, mit ihrem neuen Typen.

    Daniel bedankt sich und steuert durch die Leute hindurch zur Terassentür. Sein Asthma liegt auf der Lauer: zu viel Zigarettenrauch vielleicht, oder zu viel von Bettys Parfüm.

    Zeit, dass er an die frische Luft kommt.

    Auf der hell erleuchteten Terrasse steht ein Mountainbike umgedreht auf Sattel und Lenker. Das Vorderrad fehlt und der Besitzer des Mountainbikes, der gleichzeitig auch Hausherr und Partyveranstalter ist, kniet daneben und hantiert mit dem Reifen.

    „Hi", sagt Daniel und nimmt verstohlen einen Atemzug aus seinem Asthmaspray.

    „Hi", brummt Mick, ohne hinzusehen.

    „Was kaputt?", erkundigt sich Daniel.

    „Nee, knurrt Mick. „Ich mach das nur zum Spaß.

    „Ist nur eine Frage, aber … warum reparierst du dein Fahrrad, während deine eigene Party läuft?"

    Mick sieht auf. Sein Gesicht ist so finster wie auf den Fotos. Über seine Wange und über sein weißes T-Shirt ziehen sich dunkle Streifen von Fahrradschmiere.

    „Warum nicht?, sagt er. „Ist schließlich meine Party und ich kann machen, was ich will.

    „Äh … ja. Natürlich."

    „Wer bist du überhaupt?"

    „Ich, äh …"

    Daniel fühlt sich ertappt. Wie peinlich. Er selbst gibt nicht oft Partys, aber er würde keinen seiner Gäste nach dem Namen fragen wollen.

    „Daniel, sagt er unglücklich. „Aus deiner Parallelklasse. Wir kennen uns vom Sehen, weißt du … wir hatten mal Ethik zusammen. In der Neunten. Ich bin mit Lilli hier, die mit Jo hier ist … nur dass ich nicht direkt mit ihr hier bin, sondern alleine und jetzt versuche ich, sie zu finden. Damit sie mir ihren neuen Freund vorstellen kann. Jo. Der dein Kumpel ist. Weshalb sie hier ist. Weshalb dann auch ich hier bin. Obwohl ich ihn schon kenne, ich habe Schulsport mit ihm. Aber sie meint, das reicht nicht.

    Daniel verstummt. Mick mustert ihn forschend.

    „Oder so ähnlich, murmelt Daniel. „Ich kann auch gehen, wenn dir das lieber ist.

    „Nö, wieso?"

    Daniel hebt die Schultern und schaut hinunter auf seine Schuhspitzen.

    „Bleib ruhig, sagt Mick. „Ich bin ja sowieso nicht auf der Party, also störst du mich auch nicht.

    „Ach so. Ja, das klingt irgendwie … logisch."

    Mick nickt und wendet sich wieder seinem kaputten Reifen zu. Daniel steht noch ein Weilchen wie ein ratloser Reisender an einer stillgelegten Bushaltestelle, dann beginnt er, sich vorsichtig hinüber auf den Rasen zu bewegen.

    „Ich geh mal Lilli suchen", sagt er, erhält aber keine Antwort. Daniel rettet sich mit einem raschen Schritt aus dem Lichtkegel in die Dunkelheit.

    Zwischen Bäumen und Büschen fällt das Licht von der Straße auf das Grundstück und belebt die Schatten. Daniel schluckt. Vielleicht hätte er den jungen Hausherrn nach dem Verbleib der Dogge fragen sollen.

    Am Zaun entlang geht er ums Haus herum, bis er an der Seitenwand der Garage endet. Keine Spur von Lilli oder der Dogge. Daniel kehrt um und versucht es zur anderen Seite.

    Blöde Sucherei. Der ganze Abend läuft blöd. Daniel überlegt, ob er reingehen, sein Handy aus der Jacke holen und Lilli einfach anrufen soll, aber dann wiederum besteht die Gefahr, dass er Betty trifft, ehe er entschieden hat, wie es mit ihr weitergehen soll.

    Und dann hört er leises Lachen und Flüstern, biegt die Zweige eines Busches beiseite und hat Lilli gefunden.

    In enger Umschlingung mit Jo, Mund auf Mund, Hände unter den T-Shirts.

    Daniel hält den Atem an. Ein merkwürdiges Gefühl ballt sich in seinem Inneren, verdichtet sich zu einem Klumpen, bitter und hart und unschön.

    Er starrt Jo an, diesen großen, sportlichen Siegertypen mit den strubbligen dunklen Haaren, die immer cool aussehen, mit dem strahlenden Lächeln, das er hat, während er Lilli etwas zuflüstert, mit den großen, sicheren Händen, die über Lillis Rücken streicheln.

    Daniel will, ganz dringend und er weiß nicht einmal, was.

    Er lässt den Zweig los und macht einen Schritt rückwärts.

    Was ist los, zum Teufel? Er war nie in Lilli verliebt. Daniel und Lilli, das war immer ganz speziell. Immer mehr als eine blöde Romanze. Warum fühlt er sich jetzt, als wäre er mit dem Kopf voran gegen eine Bretterwand gelaufen?

    Daniel würde gerne die Party verlassen, jetzt, sofort, aber seine Jacke ist noch drin mit Schlüssel und Geldbeutel.

    Mit schweren Beinen umrundet Daniel den Pool und steigt über ein kleines Mäuerchen auf die Terrasse.

    „Gefunden?", sagt Mick, dessen Reparaturversuche in der Zwischenzeit nicht sichtbar vorangeschritten sind.

    „Ja", sagt Daniel.

    „Und?"

    „Besser nicht stören."

    „Verstehe."

    Mick lässt den Reifen sinken. Zum ersten Mal richtet er den Blick voll auf Daniel.

    Man kann den hübschen Jungen von den Fotos noch in seinem Gesicht sehen, die wilden Locken, die großen dunklen Augen, die geschwungenen Lippen, mit denen er sehr seiner Mutter ähnelt. Daniel denkt, dass es schon klar ist, warum so viele Mädels auf Mick stehen. Komisch eigentlich, dass er nie eine feste Freundin hat.

    „Das ist doch richtig scheiße, oder?, sagt Mick. „Ich meine, man ist befreundet und alles, so richtig eng, man macht alles zusammen und dann kommt so eine Tussi und die Freundschaft hat sich.

    „Die Tussi ist meine beste Freundin, also pass auf, was du sagst!"

    „Trotzdem."

    „Ja."

    Es tut Daniel gut, sich an den Frust eines anderen anzuschließen.

    „Ich könnte kotzen, sagt Mick. „Das darf doch nicht passieren, oder? Keine Frau darf jemals zwischen uns stehen, das haben wir uns geschworen. Und jetzt sieht man mal, was daraus geworden ist.

    „Es bessert sich bestimmt wieder. Wenn die mal eine Weile zusammen sind. Wenn es nicht mehr so frisch ist."

    „Und darauf willst du warten?"

    „Was bleibt mir denn anders übrig?"

    „Ich nicht." Mick schmeißt das halb zerlegte Vorderrad vor sich auf den Boden. Es eiert um sich selbst, bevor es liegen bleibt.

    „Mich kann er mal. Soll er selber klarkommen, wenn sie ihn abserviert hat und er einen Freund braucht. Dann hab ich auch keine Zeit und antworte nicht auf seine SMS."

    Daniel findet das ziemlich kindisch und trotzig, widerspricht aber nicht. Irgendwie hat Mick ja auch recht.

    „Und der Scheiß funktioniert auch nicht, setzt Mick seine frustrierte Tirade fort. „Die können mich alle mal, echt. Das ganze Leben kann mich mal.

    Er versetzt dem Vorderrad einen Tritt, dass es scheppert.

    „Was ist denn kaputt?", erkundigt Daniel sich vorsichtig.

    „Platt", sagt Mick finster.

    „Na und? Vorderrad ist doch kein Problem. Das ist doch in fünf Minuten gemacht."

    Mick schweigt und sieht ihn an mit seinen Mitternachtsaugen. Daniel hebt das misshandelte Rad auf, schraubt das Ventil ab und zieht den Schlauch raus.

    „Hast du was zum Flicken?"

    „Was denn?"

    „Na, Nadel und Faden."

    „Echt jetzt?"

    „Nein, natürlich nicht! So ein kleines Kästchen, in dem Flicken drin sind und ein Spezialkleber. Gibt’s in jedem Fahrradladen."

    „Nie gesehen."

    „Und von welchem Planeten kommst du?"

    „Hör mal, ich weiß nicht, ob ich Lust habe, mich von dir verarschen zu lassen."

    „Dann flick dein Fahrrad alleine."

    Daniel weiß nicht genau, was gerade abgeht. Mick ist frustriert, so viel ist unübersehbar, aber seine Unfreundlichkeit hat nichts Abweisendes, sondern eher etwas von einer Herausforderung. Als suchte er jemanden, mit dem er kollidieren kann. Und statt auszuweichen, wie er es sonst gerne tut, hält Daniel dagegen.

    Für einen Augenblick messen sie sich mit Blicken, dann bückt Mick sich und hebt eine kleine Schachtel vom Boden auf.

    „Ich hab hier einen neuen Schlauch, sagt er, als wäre nichts gewesen. „Ich dachte, man kauft ihn neu, wenn er kaputt ist.

    „Auf dem Planeten der reichen Leute ist das bestimmt so. Daniel nimmt die Schachtel entgegen. „Hast du eine Luftpumpe?

    Mick nickt und zeigt mit dem Finger und dann steht er, die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben und sieht zu, wie Daniel mit ein paar wenigen Handgriffen seinen Platten repariert.

    Es ist ein tolles Mountainbike, das Mick da hat. So eines hätte Daniel auch gerne und wenn er eines hätte, würde er es besser behandeln: Gelegentlich putzen, zum Beispiel, die Kette ölen, die abgefahrenen Bremsklötze ersetzen und aufpassen, dass die Felgen nicht so viele Beulen bekommen. Es sieht aus, als wüsste Mick mit seinem Reichtum nicht wirklich umzugehen und irgendwie findet Daniel den Gedanken tröstlich, dass Mick, obwohl er auf dem Planeten der Reichen wohnt, im Grunde die gleichen Probleme hat wie er selbst.

    Und dass seine Gedanken offenbar genauso darum kreisen wie die von Daniel.

    „Warum hat sie ihn ein Jahr lang baggern lassen?, fragt Mick, als Daniel das reparierte Rad in die Gabel hängt und den Schnellspanner umklappt. „Ich meine, ist das nicht merkwürdig? Wenn sie ihn gut findet, hätte sie ihn gleich ranlassen können, oder nicht?

    „Sie hatte Pech mit ihrem letzten Freund, erklärt Daniel. „Sie musste sich erst erholen.

    „Wieso? Was hat er gemacht?"

    „Na ja … er hat ein bisschen zu gerne gefeiert und wusste dann nicht, wo der Spaß aufhört."

    „Was soll das heißen? Hat er gesoffen? Sie geschlagen, oder was?"

    „Mick, ich kenne dich überhaupt nicht. Glaubst du ernsthaft, ich bespreche mit dir das Liebesleben meiner besten Freundin?"

    „Nicht?"

    „Nein!"

    „Aber sie ist nicht mehr deine beste Freundin. Du wirst sehen. Sie wird keine Zeit mehr für dich haben. Sie wird dir nicht mehr zuhören, wenn du ein Problem hast. Sie wird am Telefon ständig nur davon schwafeln, wie toll ihr Neuer ist. Sie wird dir ohne Ende auf die Nerven gehen. Du wirst sie hassen. Wetten?"

    „Quatsch. Echte Freundschaft hält das aus."

    „Glaubst du das wirklich?"

    Daniel gibt dem reparierten Vorderrad einen Schubs. Es dreht sich leise quietschend in der Achslagerung.

    „Lass dein Fahrrad mal überholen, sagt er. „Ich bin nicht sicher, ob das noch verkehrstauglich ist.

    Mick nickt, gräbt in den Taschen seiner Jeans und fördert eine zerknickte Zigarettenschachtel zu Tage.

    „Kippe?"

    „Nein, danke. Asthmatiker."

    Mick klemmt sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündet sie an. Die flackernde Flamme des Feuerzeugs wirft kleine, zuckende Schatten über sein Gesicht und Daniel betrachtet ihn und wundert sich darüber, dass dieser Junge ihn irgendwie berührt – als wären sie mehr als lediglich entfernte Bekannte, die nachts auf einer Terrasse ein Fahrrad reparieren, während drinnen eine Party läuft.

    Als bestünde eine Verbindung zwischen ihnen.

    Daniel blinzelt. Kann nicht sein. Mick lebt auf einem anderen Planeten. Dort gibt es Mountainbikes und Swimmingpools und Väter und keinen Frust, weil man sich die berufliche Zukunft, die man möchte, einfach nicht leisten kann.

    „Hast du eine Freundin?", fragt Mick. Er schiebt die Frage zwischen seinen Lippen und der Zigarette raus und erwischt Daniel völlig unvorbereitet.

    „Wie bitte?!"

    „Ob du eine Freundin hast. Oder wolltest du eigentlich bei Lilli landen?"

    „Findest du deine Fragen nicht ein bisschen intim, dafür dass wir uns gar nicht kennen?"

    Mick stößt Rauch aus und zieht die Schultern hoch.

    „Aber mit wem soll man denn sonst intim sein, wenn nicht mit Fremden?"

    Daniel blinzelt und sucht nach der Logik, aber Micks Aufmerksamkeit ist schon von ihm abgeglitten und hängt jetzt an einem eng umschlungenen Pärchen, das aus dem dunklen Garten auftaucht und in die Lichtinsel auf der Terrasse tritt.

    „Daniel, sagt Lilli. „Hi. Schön, dass du da bist.

    Ihr Pferdeschwanz sieht aus, als käme sie frisch aus einem Tornado. Ihre Wangen sind gerötet und sie hat ein albernes Kichern in der Stimme, das Daniel an ihr gar nicht kennt.

    „Hi, sagt er. „Ich kann auch gar nicht lange bleiben.

    „Hi, Daniel." Jo streckt Daniel die freie Hand entgegen. Daniel ergreift sie gehorsam und schüttelt sie. Jo hat den zupackenden Händedruck eines Sportlers. Daniel kann nur hoffen, dass diese Beziehung nicht wieder im Chaos endet und er, Daniel, seine Nase für Lilli hinhalten muss.

    „Was machst du da?" Jo deutet auf das Fahrrad, das immer noch auf dem Rücken liegt.

    „Ich repariere mein Fahrrad, sagt Mick unfreundlich. „Was ist denn da so Besonderes dran?

    Daniel schaut auf seine Hände, an denen Kettenfett und Dreck vom Fahrrad klebt, und schluckt eine Bemerkung.

    „Ich mein ja nur, sagt Jo. „Das macht man normalerweise nicht während einer Party.

    „Man hängt auch nicht zwischen den Büschen rum, während einer Party. Normalerweise. Büsche gibt es nämlich auch ohne Party."

    „Jetzt krieg dich wieder ein, Mann."

    Jo schlingt den Arm fester um Lilli, beinahe beschützend. Er sieht aus wie einer, der gerne wütend wäre, aber irgendwie in Hilflosigkeit stecken bleibt. Lilli wechselt einen Blick mit Daniel. Daniel zieht den Kopf ein. Die Spannung auf der Terrasse ist mit Händen zu greifen.

    „Ich hab keinen Bock mehr, sagt Mick. „Am liebsten würde ich manchmal … würde ich … ach, Scheiße.

    Er breitet die Arme zur Seite aus, Handflächen nach oben, hebt das Gesicht zum Himmel, schließt die Augen und lässt sich nach hinten fallen. Es klatscht gewaltig. Wassertropfen schlagen wie kleine kalte Geschosse auf Daniels Gesicht und Armen ein. Die glatte Oberfläche des Swimmingpools ist zerrissen, Mick treibt reglos darin, das Wasser bläht seine Jacke auf wie einen Ballon.

    „Hoppla, sagt Daniel erschreckt. „Hat er was? Ich meine – müssen wir ihn retten?

    „Der ist nicht zu retten. Lass ihn. Der kommt schon alleine wieder runter von seinem Trip."

    Daniel schaut in den Pool, in dem Mick immer noch „Toter Mann" spielt, und kann Jos Gelassenheit nicht teilen.

    „Komm mit rein, sagt Jo. „Hast du schon was zu trinken?

    „Ein Bier. Ich hab’s irgendwo drin stehen lassen."

    „Ich hol dir ein neues."

    Mit gemischten Gefühlen reißt Daniel sich von Micks Anblick los und folgt Jo und Lilli ins Haus.

    Drinnen hat die Party ihren Siedepunkt erreicht. Für eine Sekunde wünscht Daniel sich wieder hinaus auf die stille Terrasse, dann hat Lilli ihn untergehakt und zieht ihn in die Küche, um den Getränkevorrat zu untersuchen. Jo bleibt bei ein paar Jungs aus der Parallelklasse hängen und für Augenblicke ist alles wie früher. Langsam wird Daniel warm.

    Sie nehmen sich Bier und verziehen sich aufs Sofa. Jo gesellt sich wieder zu ihnen und trotz der Enttäuschung, dass er Lilli schon wieder teilen muss, kann Daniel nichts gegen Jo haben. Jo ist ein netter Kerl, es lässt sich leicht und angenehm mit ihm reden und er behandelt Lilli wie eine Prinzessin. Daniel lässt sich vom Strom der Party treiben und entspannt.

    Irgendwann kommt Mick von draußen rein, klatschnass, baut sich über Jo auf und tropft auf ihn runter.

    „Du tropfst!" Jo und hält sich die Hand übers Gesicht.

    „Ich weiß", grinst Mick.

    Jo schubst Mick. Mick schubst Jo zurück und Sekunden später wälzen sie sich über der Sofalehne, ein Knoten aus Armen und Beinen. Lilli lacht und schüttelt den Kopf. Daniel steht vorsichtshalber auf, um aus dem Radius der strampelnden Beine zu kommen.

    „Möchtest du tanzen?"

    „Huh?"

    Daniel erschrickt, als Betty ihm plötzlich die Hand auf die Schulter legt. Er ist so darin versunken gewesen, den Ringkampf zu beobachten, dass er sie gar nicht bemerkt hat.

    „Tanzen", wiederholt sie und lächelt ihn an. Ihre Lippen glänzen rosa, vielleicht hat sie Lippenstift drauf getan.

    Tatsächlich hat die Musik sich geändert, etwas Langsames wird gespielt und Paare finden sich eng umschlungen zwischen Sofa und Fernseher ein, um sich im Takt zu wiegen.

    Daniel schluckt und sieht zu Lilli. Sie lächelt ihn an und zwinkert ihm zu. Neben ihr hat Jo seinen Freund offenbar bezwungen; jedenfalls sitzt er rittlings auf ihm und hält seine Arme fest.

    „Okay", sagt Daniel ein wenig heiser.

    Betty ist hübsch und weich in seinen Armen, sie lächelt und legt die Wange an seine Schulter und für Augenblicke ist Daniel stolz darauf, mit einem Mädchen zu tanzen, so wie die anderen, dafür anerkennende Blicke zu ernten, so wie die anderen.

    Er darf bloß nicht daran denken, wie schrecklich peinlich es enden kann. Wie damals mit Laura im Zeltlager.

    Er überlegt, ob es mit Betty anders sein könnte.

    Wenn er doch nur wüsste, wie es sich anfühlt, wirklich verliebt zu sein. Wenn man dafür doch nur einen Referenzwert herstellen könnte, wie im Labor, damit man wüsste, woran man ist.

    Betty atmet in seine Halsbeuge und kuschelt sich an ihn und in die angenehme Wärme des Körperkontaktes mischt sich eine Spitze von Panik.

    Was erwartet sie von ihm? Soll er sie küssen? Wird sie ihn küssen? Will er das?

    Über Bettys Schulter sieht Daniel nach Lilli. Auch mit ihr hat er schon eng umschlungen getanzt und es war schön, auf eine völlig entspannte Art. Keine Gedanken, keine Zweifel, keine unklaren Erwartungen.

    Lilli tanzt mit Jo und sie verlieren sich im Blick des anderen. Am Rand steht Mick in seinen nassen Klamotten, neben ein paar anderen aus der Schule und starrt finster zu den beiden hinüber.

    Als Daniel nach einer Weile wieder hinsieht, ist Mick verschwunden. Dann spürt er Bettys Wange an seiner.

    „Ich finde dich echt nett", flüstert sie ihm ins Ohr, dann sieht sie ihn an und lächelt unsicher.

    Daniel erwidert den Blick. Sie ist ein mutiges Mädchen und wäre es nicht schön, nicht mehr allein zu sein und sowieso brächte er es nicht übers Herz, ihr nicht zu sagen, was sie hören will.

    „Ich dich auch", sagt er und dann küssen sie sich auf der Tanzfläche und es fühlt sich fremd an, irgendwie sehr weich und feucht und Daniel nutzt die erste Gelegenheit, um den Kuss zu beenden. Betty strahlt und Daniel wischt sich verstohlen die Lippen am Ärmel ab.

    Später versteckt Daniel sich auf dem Klo. Sein Spiegelbild sieht ratlos aus. Draußen irgendwo wartet Betty und Daniel denkt, dass es wahrscheinlich nicht normal ist, wenn man über das Erdgeschossfenster als Alternative ernsthaft nachdenkt und dass Betty wohl wieder nicht die Richtige ist, wieder einmal nicht.

    Er fragt sich, ob es irgendwo da draußen auf diesem merkwürdigen Planeten ein Mädchen gibt, das er so ansehen will, wie Jo Lilli ansieht.

    Durch die Eingangshalle geht er von hinten in die offene Küche, in der Mick dabei ist, aus verschiedenen Flaschen buntes Zeug zu mixen. Er hat mittlerweile trockene Klamotten an und ein Lächeln auf den Lippen, das beinahe echt aussieht. Daniel lässt sich von ihm etwas Grünes geben und stößt mit ihm an. Das Zeug schmeckt ziemlich künstlich.

    Betty steht drüben im Wohnzimmer und unterhält sich mit ihren Freundinnen. Daniel lässt das grüne Zeug im Glas kreisen.

    „Kennst du das? Dass man immer wieder den gleichen Fehler macht, obwohl man es besser wissen sollte?"

    „Ich glaub schon, sagt Mick. „Wer macht nicht immer wieder die gleichen Fehler. Und warum auch nicht, wenn’s Spaß macht.

    „Aber was, wenn nicht?"

    „Du meinst, wenn es nicht einmal Spaß macht? Mick zieht die Schultern hoch. „Ich schätze, dann ist man ganz schön dämlich.

    „Ja. Daran wird’s liegen."

    Später bringt er Betty nach Hause und lässt sich von ihr zum Abschied küssen und von zu Hause aus schreibt er ihr dann eine SMS, in der er ihr mitteilt, er wäre nicht bereit für eine Beziehung und wolle sie nicht verletzen, den üblichen verlogenen Quatsch, und liegt bis drei Uhr morgens wach im Bett und fühlt sich schlecht.

    2. NEUE FREUNDE

    Krügers Aquarium ist der Knaller. Die Frontscheibe misst zwei Meter und dahinter befindet sich ein perfektes afrikanisches Steinbiotop, dessen Bewohner schimmern und funkeln wie Edelsteine.

    „Neolamprologus brevis, sagt Daniel atemlos und andächtig. „Haplochromis species. Wow. Wahnsinn.

    „Wie bitte?", sagt Lilli verständnislos.

    „Labidochromis yellow, sagt Daniel. „Mann. Wie groß die werden! Ich hab bisher immer nur Jungfische gesehen. Und hier! Prinzessin von Burundi.

    „So heißen die, oder was?"

    „Genau. Da hinten, die rosafarbenen."

    „Man sollte meinen, du hättest irgendwann genug von Fischen. Dreimal die Woche im Laden und zu Hause auch noch …"

    „Jungfische im Händlerbecken sind überhaupt nicht mit dem hier zu vergleichen und meine paar Neons schon gar nicht. Das hier. Das ist … wunderschön."

    Lilli legt ihm von hinten die Arme um die Schultern.

    „Weißt du, man kann deiner zukünftigen Freundin nur wünschen, dass du mal so liebevoll von ihr sprichst wie von deinen Fischen."

    „Was für eine zukünftige Freundin? Ich habe keine zukünftige Freundin."

    „Was ist mit Betty?"

    „Betty, wieso? Was soll mit ihr sein?"

    Lilli versetzt Daniel einen freundschaftlichen Schubs. Daniel greift nach der Futterdose, um die Aufschrift zu lesen.

    „Stell dich nicht dumm, sagt Lilli. „Das zieht bei mir nicht.

    „Betty ist nicht die Richtige, sagt Daniel. „Und damit ist das Thema durch.

    Lilli seufzt und wendet sich ab, um das Wohnzimmer des Sportlehrers zu begutachten. Krügers Frau ist Architektin oder etwas Ähnliches, ein Beruf jedenfalls, der Geld einbringt, denn von einem Lehrergehalt kann man sich wohl eine solche Luxushütte nicht hinstellen. Daniel hat vor den Pfingstferien von Krüger den Schlüssel bekommen, um sich um die Fische zu kümmern, während Krüger mit seiner Frau auf die Kanaren fliegt. Noch während er die Schlüssel entgegen nahm, hat er gewusst, dass er das Vertrauen des Lehrers zumindest zum Teil missbrauchen wird, indem er Lilli hierher einlädt. Schließlich kriegt man so eine Gelegenheit nicht alle Tage.

    „Schau mal, sagt Lilli. „Ein Riesen-Flachbildfernseher. Lass mal sehen, was der Krüger so für DVDs hat.

    „Nicht zu fassen. Daniel bringt im Augenblick kein Interesse für Fernsehen auf. „Da stellt er sich ein Becken hin für ein paar tausend Euro und dann füttert er diesen billigen Flocken-Mist. Das nenne ich am falschen Ende sparen!

    „Bladerunner, zählt Lilli auf. „Die Terminator-Trilogie. Alien … Star Trek … Lethal Weapon … scheint mir ein Fan der Achtzigerjahre zu sein, der Krüger.

    „Kein Wunder. Wie alt ist der? Mitte Vierzig? Da war der jung, in den Achtzigern."

    Daniel öffnet die Abdeckung und die farbenfrohe Wohngemeinschaft versammelt sich unter der Wasseroberfläche. Zögernd streut Daniel ein paar Flocken ins Wasser, die sofort gierig verschlungen werden.

    „Notting Hill!", trompetet Lilli. „In Sachen Liebe. Email für dich. Huh, das müssen die DVDs seiner Frau sein. Emergency Room! Haha! In der Sammelbox. Brokeback Mountain! Schokolade zum Frühstück … Ob

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