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Was man hat man: Ein punkiger Roman über Freundschaft, Musik und Nazis
Was man hat man: Ein punkiger Roman über Freundschaft, Musik und Nazis
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eBook325 Seiten4 Stunden

Was man hat man: Ein punkiger Roman über Freundschaft, Musik und Nazis

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Über dieses E-Book

Miete gestiegen – Bandkasse leer. Was nun?
Die prinzipientreue Punkband »Die Hitler!« (englisch ausgesprochen) lässt sich auf ein einmaliges Booking als Tanzband ein. Leider bleibt es nicht bei diesem einen Mal. Schlimmer noch: Von Event zu Event kratzen die Auftraggeber näher am braunen Rand. Die Band wird schleichend zur angesagtesten Kapelle der rechten Szene.
Als der Bandname mutiert, der Proberaumvermieter Bandmanager wird, der Tontechniker der Rolling Stones dazustößt und sich ein brandgefährlicher Provinznazi einmischt, eskaliert die Situation. Und dann ist da auch noch Emily Rössler und jede Menge Eierlikör. Das ganze Durcheinander, das am Ende nicht nur die Band ins dörfliche Exil zwingt, ist nur noch durch eine hochriskante und streng geheime Spezialoperation lösbar.

Eine brisante Mischung aus Humor, Spannung, Coming of Age, Freundschaft, Abenteuer und Romeo-und-Julia-Lovestory. Manchmal punkig, stachelig und schnell, manchmal träumerisch und introvertiert. Und manchmal erschreckend nahe an der echten Welt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Aug. 2023
ISBN9783347985544
Was man hat man: Ein punkiger Roman über Freundschaft, Musik und Nazis

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    Buchvorschau

    Was man hat man - Eric Krüger

    Scheiß Schimmel

    Jebb pult mit dem Zeigefinger an einer Eierpappe, die so aussieht, als sei sie vor mehr als tausend Jahren zusammen mit einer Milliarde weiterer Eierpappen an die Wand des Proberaums geklebt worden. Wahrscheinlich mit billigem Leim, denkt er. Optisch unterscheidet sich das Eierpappenensemble von italienischem Interieur, wie die Nordlichter von einem breitgetretenen Hundekackhaufen. Zwar steht nirgendwo geschrieben, dass Eierpappenwände ästhetisch ansprechend gestaltet sein müssen, die hier vorliegende Wall of Shame ist aber ein besonders negatives Beispiel menschengemachter Wandverkleidungen. Das ganze Kunstwerk sieht aus, als sei es von einem geisteskranken Inneneinrichter unter dem Einfluss halluzinogener Drogen, während eines Schneesturms angetackert worden. Blöderweise ist dieser Inneneinrichter Jebb selbst gewesen. Zu einer anderen Zeit, mit einer anderen Meinung. Die von ihm angepulte Eierpappe hat die Farbe Kack-Beige und die Konsistenz von feuchtem Lehm. Der Matsch hängt elendig an seinem Fingernagel.

    »Eierpappen haben ein großartiges Dämmverhalten und verwandeln einen kahlen Raum in ein klanglich an sprechendes Umfeld.«

    So hatte es Jebb vor Jahren in einem Userforum im Internet gelesen, in dem sich ganz offensichtlich unzurechnungsfähige Proberaumnutzer über Taktiken des Akustikbaus austauschten.

    »Absoluter Kackdünnschiss!«

    So richtig absolut und so richtig kackdünnschissig. Eierpappen haben nichts mit Akustik und Innenräumen zu tun. Bands in Eierpappenräumen sind Versagerbands. Jebb stellt sich vor, wie es wäre, wenn Greenday nach wie vor in einem solchen Proberaum gastieren würde.

    »Ey, hast du gehört? Greenday spielen ein exklusives Proberaumkonzert für ihre treuesten Fans!«

    »In diesem Raum, in dem die Eierpappen an den Wänden kleben?«

    »Ja!«

    »Arschlöcher! Verjagt sie aus der Stadt!«

    Jebb schüttelt den Kopf, nimmt einen Schluck aus seinem Dosenbier und kratzt sich am Hals. Das Kack-Beige malt einen dreckigen Kackstrich an den Ansatz seines Adamsapfels.

    »Von dem scheiß Schimmel bekommt man hundertpro Krebs oder Kardizom.«

    »K-k-karzinom«, stottert Johannes, während er auf einem Schlagzeughocker im Leopardenmuster-Stil hinter seinem Drumset sitzt. Er hält sein rechtes Knie mit beiden Händen und pendelt dabei seinen Fuß hin und her. Dabei tippt er immer wieder an die kleine Trommel – die Snaredrum: Tack. Tack. Tack. Nervt wie sau, findet Jebb. Tack. Tack. Tack.

    »Nerv nicht, Junge!«

    Er winkt die Korrektur seines Drummers emotionslos ab, stellt das Bier auf eine mannshohe Verstärkerbox und schnallt sich seine E-Gitarre mit Aufschrift »Monkey« um. Bsss–Basch! Es knallt. Laut. Unfassbar laut. Trommelfellriss-Stimmung liegt in der Luft. Aber immerhin ist Jebbs Gitarrenkabel eingesteckt.

    »¡Hostia! Verdammt, Amigo! ›Mute‹ drücken, Jebb!«, ruft Marquess in den Raum, während er die Hände wieder von den Ohren nimmt. Wirklich sauer ist der Bassist aber schon lange nicht mehr auf seinen Sänger. Zu oft war das Ohren-zerreißende Knallen in den vergangenen Jahren durch den Proberaum im Souterrain des ehemaligen Bürogebäudes im Salzwedeler Norden gehallt. Die drei Musiker spielen schon reichlich fünf Jahre zusammen und jeder weiß, was er von dem anderen zu halten hat. Oder was nicht. Man kritisiert nicht, man akzeptiert. Jebb findet, dass sich die Band inzwischen wie eine in die Jahre gekommene Ehe anfühlt. Und das, obwohl er sich nicht vorstellen kann, wie es sein muss, verheiratet zu sein. Genauso wenig kann er sich vorstellen, wie sich eine erfolgreiche Band anfühlen muss. Oder ein vielversprechendes Musikerdasein. Wovon die Hühnerstallcombo nämlich am weitesten entfernt ist, ist Erfolg. »¡Hostia!«

    Rückblick! Nach dem zehnten Schuljahr hatten Jebb und Johannes die Schule mit der bis dahin größten Genugtuung ihres Lebens verlassen.

    »Endlich vorbei, dieser Bockmist!«, fasste Jebb die zehn Jahre zusammen. Seit der Grundschule besuchten beide dieselbe Klasse, machten erste Gehversuche auf dem Orff-Instrumentarium und erkannten schnell, dass das Musikinstrument ihrer Wahl lauter sein müsse. Nach anhaltendem Nerven der Eltern wurde dem einen eine E-Gitarre und dem anderen ein Schlagzeug ins Kinderzimmer gestellt. Damit begann für die Nachbarn die Zeitrechnung stetiger Lärmbelästigungen.

    »Hurensohn! Schalt die beknackte E-Gitarre aus!«, schrie es nicht nur einmal quer über den Hausflur.

    Mehrere Male hatte Jebb als adäquate Reaktion die intoleranten Mitbewohner bestraft, indem er Senf in deren Schlüsselloch gequetscht oder die Briefkästen mit Bauschaum betankt hatte.

    »Geil, wie das gelbe Zeug aus der Briefluke quillt!«

    Jugendliches Amüsement at it’s best, wie er fand. Genauso jugendlich war es auch, die Schule zu hassen. Überall Bevormundung. »Preußische Kackscheißdrillkacke!«, kommentierte Jebb nicht nur einmal die Anweisungen seiner Sportlehrerin Frau Schütz, wenn sie ihn zum dritten Mal die Kletterstange hochkraxeln ließ. Wortkombinationen wie »Kackscheißdrillkacke!« kamen ihm immer wahnsinnig punkig vor. Und alles, was sich punkig anfühlte, war richtig. Nach dem Schulabschluss kletterte Jebb ohne Ausbildung die Karriereleiter des Vervielfältigungsfachangestellten in einem lokalen Copyshop hinauf. Seitdem untersteht er seiner Chefin Herta. Die wiederum ist fast nie selbst im Shop, weswegen Jebb Zeit für steuerfreie Nebentätigkeiten hat: Flyer für Aktivistenkumpels entwerfen, Flugblätter drucken (»Das bringt halt die Kohle für Bier, Butze und Broberaum. B-B-B!«) und nebenbei Inspirationen sammeln, auf den seiner Meinung nach vorbildlich gestalteten Websites der großen Player. Zalando! Dass er sich nebenbei die männlichen Unterwäschemodels anschaut, ist eines seiner Geheimnisse. Manchmal fragt sich Jebb, ob der Beruf des Designers ein alternativer Lebensweg gewesen wäre. Aber Chance vertan, Eisenbahn.

    Wenn Herta mal im Laden ist, hockt sie Kette rauchend und Bier trinkend an ihrem Windows XP-Rechner und zockt Online-Spiele aus den 90ern. Solitär. Ob ihre Eltern schon bei der Vergabe des Namens wussten, dass sie später nicht »Typ Instagram-Influencerin« sein würde? Eltern sollen so etwas ja spüren. So wie Jebbs Eltern gespürt haben, dass er zufrieden mit simplen Lebensinhalten ist. Jebb braucht keine Karriere, kein Auto, keine krasse Wohnung, kein neues iPhone, keine Aufregung, keine Beziehung und auch keinen guten Rat. Jebb braucht ein lautes Instrument, seine Band und ausgewählte Prinzipien des Daseins als Freizeit-Punk. 22 Jahre alt, halblange Haare, Schwalben-Tattoo an der linken Halsseite.

    Johannes hat nach dem Verlassen der Schule eine Ausbildung im Baumarkt begonnen. Davon gibt es jede Menge rund um Salzwedel und er konnte sich die Rosine im Töpfchen der Heimwerker- und Gartenmärkte herauszusuchen. Simple Kriterien: geringe Entfernung zur Wohnung und eingebaute Bäckerei im Eingangsbereich. Man muss schließlich auch essen, während der Arbeitszeit und nebenbei gibt es zu bestaunende Azubinen an der Theke. Johannes ist ein Typ, der ein ganzes Arsenal an »Ach, das hat der Arme auch noch in die Wiege gelegt bekommen«-Themen mit sich herumträgt: Neurodermitis, Ansatz zur Fettleibigkeit, Stottern. Das führte nicht nur dazu, dass sich seine Ausbildung ewig zog und sich seine sozialen Kontakte auf die Band begrenzten, sondern auch zur Nichtexistenz irgendeiner Form geschlechtlicher Beziehung. Ob er jemals eine Freundin hatte, war eines der großen Mysterien Salzwedels. Sex? Absolut unvorstellbar.

    »S-s-sage ich dir nicht, ob ich schon mal ’ne Freundin hatte. D-d-der Gentleman schweigt.«

    »Jaja, alles klar.«

    »W-w-was denn? Habe schon mal geknutscht!« »Deine Mutter!«

    Deswegen ist Johannes beim Schlagzeugspielen aber doppelt so leidenschaftlich: Manchmal ist er schon Stunden vor Probebeginn im Eierpappen-Keller und stellt sich vor, er würde bei Rock am Ring mit einem angesagten Act in das Licht der untergehenden Sonne spielen. Jede Eierpappenwölbung ist dann ein Zuschauerkopf, dessen Augen auf ihn gerichtet sind. Alle würden ihm zujubeln und eine der Bäckerei-Auszubildenden würde ihm einen BH direkt auf die Snare schmeißen. Sie würde seinen Namen rufen und er wäre ein Idol! Trotz seiner körperlichen Attraktivitäts-Stufe von Minus Acht.

    »I-i-ist doch egal, wie man aussieht. Wenn man auf einer Bühne steht, wirkt man eh immer geil! Bühne ist gleich Ladyknacker.«

    So sei es ja im Grunde bei Vertretern der Popmusikszene auch: Diese ganzen Herren sind nach Johannes’ Auffassung auch nicht naturschön und hätten genauso gut im Baumarkt enden können. Es läge eben an der Bühne und an businessorientierten Entscheidungen irgendwelcher Künstlermanager, dass Leute wie Ed Sheeran Idole geworden sind. Johannes hasst, dass er selbst keinen Künstlermanager hat. Und er hasst das Popbusiness und Ed. Würde Ed im Baumarkt arbeiten, würde sich keine Sau für ihn interessieren. Johannes ist sauer auf Ed. Ed kennt Johannes nicht. Während der Schulzeit hatte Johannes fünf Jahre Schlagzeugunterricht an der Musikschule. Eine dieser Musikschulen, die auf ihrer Website alle Instrumente der Welt anbietet und wahnsinnig open-minded daherkommen will (»Ja, natürlich bieten wir auch Einzelunterricht auf der Saz an!«), letztlich aber nur Lehrer für Klavier, Schlagzeug und Akkordeon auftreiben kann.

    »A-a-akkordeon ist ein bescheuertes Mittelalter-Relikt. Peinlich, wer das spielt! Ich spiele Drums! Das ist brutal! Brutal männlich!«

    Schlagzeuglehrer Maik wollte Johannes innerhalb der fünf Unterrichtsjahre dazu überreden, sein Nachfolger zu werden und auch ins Pädagogen-Business einzusteigen. Johannes müsse dafür nur um die vier Stunden pro Tag üben. Dann würde es klappen, mit der Aufnahmeprüfung an einer Hochschule.

    »Du hast wirklich ein super Timing, Johannes. Spielst sehr tasty!«

    »T-t-tasty? Willst du mich verarschen? Das ist Plattenfirmen-Schnack!«

    Das könne vielleicht Ed Sheerans Manager zu seinem Schützling sagen (»Wow, the new lyrics are really tasty, Ed!«), aber doch nicht Maik zu ihm!

    »U-u-und Schlagzeuglehrer will ich auch nicht werden. Ich habe schon ’nen Job im Holzpuff.«

    Johannes’ Synonym für »Baumarkt« war zum Zeitpunkt der Bandgründung sogar im Rennen gewesen, was die Bandnamensuche anging.

    »T-t-tierischer Bandname! Lass nehmen!«, hatte er vorgeschlagen. Marquess fand das aber zu 70s-mäßig. Die Zeit der Bandnamen im Stil von »Die Kassierer« oder »Acht Eimer Hühnerherzen« sei nun einmal vorbei.

    Marquess ist zwei Jahre älter als seine Bandkollegen. Er ist das einzige Mitglied des Trios, das nicht nach der zehnten Klasse mit Begeisterung der Schule den Rücken gekehrt, sondern das Abitur mitgenommen hat. Während der Kursstufe hatte er sich mit Politik beschäftigt, war Teilnehmer von Debattier-AGs und hatte vor, ein Studium der Politikwissenschaft einzuschlagen. Marquess’ Eltern waren allerdings diejenigen, die ihn von seinem ambitionierten Plan abbrachten. Ein Studium der Politik sei wie ein Studium der altgriechischen Philologie: zukunftslos und eine l’art pour l’art. Viel sinnvoller sei es, in dieselbe berufliche Richtung wie sie selbst zu gehen: in die Tourismusbranche. Seine Eltern sind Hotelbesitzer eines kleinen Familienbetriebes in der Nähe von Lezhë im Nordwesten Albaniens.

    »Albanien ist die neue Italien für deutsche Mann und deutsche Frau! Wunderschönes Land und wunderschönes Hotel. Müsst ihr kommen, ich mache super Preis pro Nacht und DZ, ja?«, ist eine der Floskeln von Marquess’ Vater, wenn er im Rahmen von sommerlichen Skatabenden seine deutschen Freunde in der Salzwedeler Downtown trifft. Die Strategie geht auf: Seine Kumpels sind die besten Kunden. Sobald es kalt wird, fliegt er allerdings mit Marquess’ Mutter zurück nach Albanien, um die Wintermonate am Mittelmeer zu verbringen. Marquess ist sich sicher, dass sein Vater in dieser Zeit seinen albanischen Freunden dort von der Schönheit Salzwedels vorschwärmt. Ihn würde es nicht wundern, wenn Papa Albin demnächst ein Hotel in Salzwedel eröffnen würde – für die albanischen Kumpels.

    »Salzwedel ist die neue Venedig für albanische Mann und albanische Frau! Wunderschöne Stadt und wunderschönes Hotel. Mache ich super Preis für Nacht und DZ!«

    Laber, laber, laber. Llomotitje, llomotitje, llomotitje. In den kalten Monaten wohnt Marquess allein in der Familienwohnung der Hoxhas. Er genießt die elternfreie Zeit, fühlt er sich doch mit fast fünfundzwanzig Jahren getrieben, nicht mehr im Hotel Mama zu gastieren. Diese Thematik allerdings bei seinen Eltern anzusprechen, ist ein »problem i madh«: ein großes Problem. Tradition verpflichte. Auch dazu, sich um seine Eltern zu kümmern, wenn man selbst erwachsen ist und deren Beruf fortzuführen. Eine eigene Wohnung sei da hinderlich. Ein Politikstudium auch.

    »Mit Substanz musst du Beruf lernen, mit Substanz!«

    Nach der Schule organisierte Herr Hoxha seinem Sohn seinen ersten Job als Barkeeper in der hiesigen Strandbar.

    »Ist zwar nicht Mittelmeer, aber Strand.«

    Tatsächlich hat dieser Job für Marquess vor allem ein Argument: die Besucherinnen. Für sie ist Marquess der hotte spanische Barkeeper. Denn anscheinend entspricht sein Äußeres genau dem in Salzwedel vorherrschenden Klischee eines Spaniers: welliges schwarzes Haar, südländischer Teint, dunkelbraune Augen. Marquess spielt mit: Er schmuggelt proaktiv einen spanisch anmutenden Akzent in seine Aussprache, bereichert sie mit Hispanismen und löst selbstverständlich nicht seine echte Herkunft auf. »Te amo« klingt eben anmutiger als »Unë të dua«. Und »Marquess« catchiger als »Lorik«.

    Depression

    Aktuell läuft es nicht gut mit der Band. Die Band- kasse ist leer. Band-Depression. Sowieso sind die Optionen für Konzerte in Salzwedel nicht üppig – gerade für eine Punkband mit klarer Kante. Vor Jahren hat Jebb mit seinen Kollegen noch regelmäßig auf Bandcontests wie »Local Heroes« oder »Emergenza« gespielt und obwohl er nie einen Preis mit nach Hause nehmen konnte, hatte man damit die Möglichkeit, eigene Musik vor Menschen und nicht nur Eierpappen zu prä- sentieren. Für damals reichte das! Aber Dinge ändern sich: Die Blütezeit der Bandcontests in den Neunzigern und Zweitausendern ist vorbei und die Initiatoren liegen inzwischen nach Meinung Jebbs bei Mojito und Zigarre in der Karibik und lassen ihr ergaunertes Vermögen in Form von Aktien arbeiten.

    »Diese beschissenen Contests sind nur gut für die geldgeilen Veranstalter. Keine Band der Welt hat da jemals ’nen Benefit mitgenommen. Pisskram, echt!«

    Aus Jebbs Blickwinkel ist es eine sarkastische Taktik gewesen, die die Organisatoren damals betrieben: Tipps wie »Kauft von uns die Tickets und verkauft sie an eurer Schule weiter. Dann lasst ihr eure Mitschülerinnen und Mitschüler für euch voten!«, wurden den aufstrebenden Amateurbands mit auf den Weg gegeben. Diese Hinweise wurden als absolute Garantie für eine Spitzenplatzierung beim Contest bewertet: Man kauft also Tickets für eine Show, bei der man selbst auftritt, gibt dafür sein Erspartes aus und verkauft diese Tickets wieder. Immer mit Verlust und nie mit der erhofften Spitzenplatzierung. Marquess wollte damals sogar einen kritischen Artikel für eine lokale Zeitung schreiben. Nachdem er seinen Entwurf dem regionalen Büro der Tageszeitung vorgelegt hatte, wurde er aber kopfschüttelnd abgelehnt. Im Grunde solle man sich doch freuen, dass es solche Events für Jugendliche gäbe.

    Und so kam es, dass die schwarze Zahl in der Bandkasse Stück für Stück ins Rot wechselte. Ab und an wurde im bandinternen Krisenrat analysiert, woran es liegen könnte, dass keine Bookings einflogen. Man hatte sogar darüber nachgedacht, den Bandnamen zu ändern. Eventuell könnte er einer der Gründe für ausbleibende Konzertbuchungen sein.

    »V-v-vielleicht schreckt unser Name ab!«, stotterte Johannes einmal spontan in den Raum und erntete sofort einen Konter von Jebb.

    »Ey Johannes. Ein Name ist das Wichtigste überhaupt! Unser Gesicht! Und unsere Identitikation!«

    »Id-d-dentifikation mit fi.«

    »Ist doch egal. Um Prinzipien geht’s!«

    Tatsächlich scheint der Name der Band sogar jedem Nicht-Punk faktisch richtig, jedoch zweifellos debattierbar: Die Hitler!, englisch ausgesprochen. Mit Ausrufezeichen. Entstanden bei reichlich Bier und Motivation und im selben Proberaum wie heute:

    »Ey! Wir brauchen ’nen harten und super provozierenden Namen. Muss knallen!«

    »W-w-was knallt denn? Arschloch? Wichser

    »¡Hostia! Nein, muss politisch sein, Amigo. Arschloch ist ja nicht politisch.«

    »Lass uns doch was mit dem Führer höchstpersönlich machen. Ist politisch. Und knallt automatisch!«

    » F-f-führerarschloch

    »Viel zu konstruiert.«

    »Hitlers Enemies?«, schlug Marquess vor.

    »Nee, zu weich. Arschloch Hitler Wichser

    Marquess stellte sich daraufhin neben das Mikrofonstativ und mimte den Moderator eines Festivals.

    »¡Hola! Liebe Konzertgänger! Heute Abend für euch: Arschloch Hitler Wichser

    Kurze Stille, dann Rückzug von Jebb.

    »Auch Scheiße. Absolute Scheiße. Muss ’ne Aufforderung mit rein. Stirb Hitler zum Beispiel.«

    »F-f-finde ich gut!«

    »Knallt aber immer noch nicht. Deutsch knallt aber eh selten. Also außer bei Hitler, damals.«

    »Amigos, dann lasst uns doch Stirb Hitler auf Englisch machen!«

    »Dead Hitler? Klingt, als ob der mein Vater wäre!«

    »N-n-nee. Falsch übersetzt, Jebbi! D-d-die! Die anstelle von Dead. Also: D-d-die Hitler! Englisch ausgesprochen und mit Ausrufezeichen hinten dran.«

    Anerkennendes Nicken bei den Kollegen. Eingelocht. Mit mehreren Hopfengetränken wurde die Namensfindung begossen, und über den nun anstehenden Erfolg, der mit dem unglaublich guten Bandnamen in Verbindung stehen würde, schwadroniert. Die Hitler! Die Punkband aus Salzwedel. Inzwischen aber leider pleite und demotivierter als die morschen Eierpappen an der Wand.

    Jebb schiebt den Gitarrengurt an seinem Hals zur Seite und kratzt sich an der Stelle, an die er den Eierpappenmatsch geschmiert hat. Marquess findet, dass das Geschmiere aussehen würde, als hätte Jebbs TattooSchwalbe auf seinen Adamsapfel gekotzt.

    »Schwachsinn. Vögel können nicht kotzen«, kommentiert Jebb den Hinweis und zündet sich erst einmal eine Kippe an. Danach fummelt er am Mikrofon herum, drückt mal hier, zieht dort mal. In der heutigen Probe wurde noch kein einziger Song gespielt.

    »Amigos, ich sag’s ungern, aber Schmidt hat die Miete erhöht. Und zwar satt!«, wirft Marquess ein. Er ist Hauptmieter des Raumes, der unweit der sogenannten »Erlebnisstraße der Deutschen Einheit« im Salzwedeler Norden liegt. Warum es in Deutschland diese Erlebnisstraßen gibt, versteht die Band nicht. Es gibt sogar einen Die Hitler!-Song darüber: »Erlebnisstraße der Einsamkeit«. Lyrisch ganz groß, findet Jebb. Und viel spannender als diese Straßen. Johannes hatte vor einigen Monaten mal die Theorie, dass diese Straßen »B-B-Bordellmeilen« sein könnten. Das würde ihren Namen zumindest auf einer Metaebene erklären. Er war daraufhin ein paar Mal mit dem Fahrrad über die Salzwedeler Erlebnisstraße gefahren und hatte nach verräterischen Wohnwägen mit puffroter Innenbeleuchtung Ausschau gehalten. Er wurde nicht fündig und musste die Feldstudie als gescheitert betiteln.

    Der von Marquess erwähnte Schmidt ist Hausmeister, Vermieter und gleichzeitig Eigentümer des Gebäudes. Mitte Fünfzig, kurze Carhart-Hose, Goldzahn und Typ Stachelbär. Dazu fährt Schmidt einen Kleinbus der Firma Volkswagen: einen T2, Baujahr 1971, blau, mit weißem Dach. Gepflegt bestimmt ein halbes Eigenheim im Speckgürtel einer Metropole wert. Gepflegt ist der Wagen aber – genau wie Schmidt – nicht. Den Vornamen von Schmidt kennen die Jungs nicht, sind aber geschlossen der Meinung, dass man jemanden wie Schmidt ohnehin nicht beim Vornamen nennen möchte. Irgendwie würde er etwas Unangenehmes und Hinterlistiges ausstrahlen und seine Nähe erzeugt ganz automatisch eine HabAcht-Stimmung. Gleichzeitig schleimt sich Schmidt aber regelmäßig, bestückt mit Dosenbier oder Donuts, bei den Jungs ein, als sei er ein enger Kumpel aus der Nachbarschaft. Völlig selbstverständlich reißt er dann die Tür auf und beendet damit die Probe, setzt sich irgendwo hin und erzählt aus seinem Leben. Anscheinend gibt es sonst niemanden, der ihm zuhört. Und so kommt es vor, dass die Band Schmidts Gegenwart hinnimmt und ihm interessiert bei seinen Erzählungen folgt, weil kostenloses Bier sogar ein Argument für aufgesetzte Aufmerksamkeit ist.

    »Ick hab’ echt schon allet erlebt, wat man so als Junge vom Land erleben kann.«

    Schmidt berlinert, obwohl er weder Berliner noch Brandenburger ist.

    »Ick hab’ auch schon viel mehr gesoffen als ihr alle zusammen. Und ick hab’ schon mehr Ladys gebumst, als ihr euch vorstellen könnt! Da waren Raketen dabei, Leute! Die Leiterin vom Jugendclub zum Beispiel. Kennt ihr?«

    Schmidt unterhält sich nicht, Schmidt unterhält die anderen. Er ist Meister üppiger Metaphern und schießt immer übers Ziel hinaus. Schmidt sagt nicht Euro. Er sagt Mark. Schmidt sagt weder Mercedes noch Citroën. Er sagt Benz und Zitrone. Schmidt sagt nicht Frau. Er sagt Lady. Wenn Schmidt über Nebenkosten und Mieterhöhung spricht, wird das egale Storytelling allerdings zum weniger egalen Businesstalk.

    »Hab’ ick fast vergessen, Jungs: Miete wird mehr. Fünfhundertfuffzig Mark. Könnt ihr mir nächsten Montag geben. Cash. Johnny Cash, hahaha. Tschüssikowski.«

    »Wir b-b-brauchen mehr Kohle!«, kommentiert Johannes die unfrohe Kunde von Marquess.

    »¡Hostia! Ja, leider! Ich habe noch mal mit Schmidt gesprochen. Aber er faselt was von Inflation und Weiterbelastung. Keine Chance, da was zu drehen. ¡Hostia!«

    »Boah, hör doch mal mit deinem beschissenen Spanisch auf. Kannste bei deinen Bumsschlitten machen!«

    »¡Hostia! Amigo! Kann dir doch egal sein!«

    »Ja, ist es mir ja auch. Jedenfalls brauchen wir ’nen Imwestor oder so.«

    »Investor. In! Und w-w-wer soll denn in uns investieren? Keine Sau!«

    Jebb schnallt die Gitarre wieder ab und zieht das Kabel, ohne stumm zu schalten. Es knallt erneut und Marquess verkneift sich den zweiten Kommentar binnen drei Minuten. Die Eierpappen halten. Schade, findet Jebb. Er lässt sich auf einen Sessel fallen.

    »O-o-oder wir spielen halt mal eine Show für Geld.« »Es gibt keine Punkshows mit Geld, Amigo!«

    »J-j-ja, ich weiß. Aber vielleicht müssen wir um die Ecke denken, was das angeht.«

    »Um welche Ecke?«

    »N-n-na ich meine: Offenbar lässt sich mit unserer Mucke aktuell nichts verdienen. Vielleicht braucht es zeitweise ein anderes Setting.«

    »Hä? Setting? Was laberst du, Johannes? Zu viel Lack eingeatmet, im Holzpuff?«

    »I-i-ich meine: Wir könnten ja auch mal auf ’ner Hochzeitsparty spielen oder so. Eben dort, wo man Geld bekommt, wenn man auf der Bühne steht.«

    »Alter! Auf ’ner Hochzeit? Bescheuert?«

    »Por qué? Finde den Vorschlag nicht schlecht!«

    »Dude! Hör auf mit deinem Spanisch-Kack! Bist Albaner! Und seid ihr bescheuert? Wir sind ’ne Punkband! Wir spielen doch nicht auf ’ner beschissenen Hochzeit! Maximal ’ne Beendigung würde ich machen. Aber nur mit richtig viel Blut gibt!«

    »B-b-beerdigung heißt das, Jebb! Außerdem gibt es da nie Blut.«

    Marquess stellt seinen Bass ab und wechselt zum Schneidersitz auf den unechten Perserteppich. Er malt Striche auf die Teppichoberfläche. Je nach Stand der Fasern kann man das Gemalte sehen oder eben nicht. Er müht sich an einem Hakenkreuz ab, und streicht es anschließend wieder durch.

    »Amigos, ganz ehrlich? Wir heißen Die Hitler!. Keiner wird uns für irgendein Familienevent, ’ne Geburtstagsparty oder eine Hochzeitsfeier buchen. «

    »Ja eben! Deswegen ja Beendigung!« »B-b-beerdigung!«

    Jebb schaut an die Wand.

    »Scheiß Schimmel. Müsste man auch mal abfackeln. So richtig mit Flammenwerfer.«

    Johannes wechselt das Knie und legt die Drumsticks auf die Snare. »2A« ist auf den Sticks eingraviert.

    »2A ist übrigens die D-d-dicke der Sticks.«

    »Aha. Wichtige Sachinformation oder was willst du uns damit sagen?«

    »D-d-das sind Rock-Sticks. Gibt auch Jazzsticks. Die kann ich mir ja kaufen und dann können wir ’ne Jazzband gründen und Dinnerpartys spielen.«

    »Alter! Rad ab? Noch so ‘ne beschissene Idee? Gerade waren es Hochzeiten und jetzt Dinnerpartys? Außerdem ist Jazz pseudointelligentes Geklimper! Diese Jazzmucker spielen irgend ‘ne Kacke auf ihrem Instrument und debattieren dann über Akkorde und Skalen. Absolut überdreht! Jazzmusiker sind die FDP unter den Musikern!«

    Johannes legt den Kopf in den Nacken, nickt Jebb anerkennend zu, weil er »pseudointelligent« richtig ausgesprochen hat und anscheinend etwas über Akkorde und Skalen weiß. Dann stellt er beide Beine auf und erhebt sich vom Schlagzeughocker. Er tut so, als würde er eine Stretchingrunde einlegen wollen.

    »A-a-also ich habe da vielleicht ’ne Möglichkeit. Ich habe ’nen Onkel. Harald. Der sucht gerade eine Band für ein Event bei sich auf dem Dorf.«

    »Event auf dem Dorf? ¡Hostia! Wir auf dem Dorf? Als Punkband?«

    »Exakt, was Marquess sagt! Da passen wir Null rein. Außerdem würden

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