Hanami
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Über dieses E-Book
Wenn aus der Pandemie etwas Gutes entsprungen ist, dann die Gelegenheit, dem eigenen Leben ebenfalls ein Hanami-Fest zu widmen. Zurückzublicken auf das, was einem selbst zur Blüte verholfen hat und vielleicht auch, was einen bisweilen hat verwelken lassen.
Die Erzählungen in diesem Buch handeln von eben diesen Zeiten. Erste Begegnungen, große Abenteuer und endlose anmutende Sommernächte. Genau wie die Blüte der Sakura sind sie alle vergänglich – und doch immer wiederkehrend.
Mara
Said verliert einen Freund bei einem Anschlag. Er findet Trost in Mara, die sich jedoch bald als personifizierte Depression entpuppt. Der Versuch, sich von ihr loszueisen, wird ein kräftezehrenden Kampf.
Mit weißen Walen schwimmen
Francesca verliebt sich in Noemi. Als diese ihre Gefühle nicht erwidert, kämpft Francescas Rationalität gegen ihr innerstes Verlangen.
What to do in Montauk
Ellas letzte Tage eines Sommers auf Long Island. Über Lieblingsorte, Sonnenaufgänge und warum man sie nicht in den Rucksack stecken kann.
Macchia
Zwei Brüder treffen sich auf Elba, wo sie aufgewachsen sind, um die Asche ihrer Mutter auf einem Berg zu verstreuen. Auf dem Weg ins Tal reminiszieren sie über ihre Kinderjahre.
Unruh
Der pedantische Jack verfällt einer Frau auf einem Plakat. Als sie verschwindet, zerbricht seine Welt und er gerät aus dem Takt.
Grünes Licht
Der Fiebertraum eines Mannes, der ihn zurück in eine winterliche Nacht seiner Studienjahre führt, in der er einst seiner Frau begegnet ist.
Köyliönjarvi
Fünf Freunde, die durch die nächtliche Landschaft Finnlands fahren. Zigaretten, Fast Food und Nacktbaden im See. Der nächste Morgen und der Start ins letzte Jahr an der Schule.
Ludovico e Tagore
Ein Pianist verliert die Fähigkeit, schöne Töne aus seinem Klavier zu zaubern. Der Besuch seines Sohnes weckt Erinnerungen, die den Bann brechen.
Wenn das Meer wieder aufmacht
Eloise kehrt zurück an den Strand, an dem sie mit ihrem verstorbenen Ehemann ihre erste Zigarette geraucht und in Les Fleurs du Mal geblättert hat.
Das Gewicht der Welt
Der Zyklus einer Winterdepression über die Jahre. Ein einsames Haus, ungebetene Gäste und ein rettendes Gedicht.
Die Süße der Aprikosen
Ein Feuer wütet in den Hollywood Hills, doch Theodore bleibt in seiner Hängematte liegen und futtert Aprikosen. Über Realitätsverleugnung, überbordenden Genuss und seine Risiken.
Forever Young
Sam vermisst seinen verstorbenen Freund. In seinem Zimmer sitzt er vor einem Bild von ihm, erzählt ihm von seinem Alltag und stößt auf seinen Geburtstag an.
Buchstabensuppe
In der ereignislosen Einsamkeit von Lappland wird der Hunger auf Geschichten bald größer als der auf Essen. Efraim kocht sich eine farbenfrohe Erzählung.
Nur noch Amerika
Liam meint, dass das Reisen strapaziös sein muss, damit das Ankommen seinen ganzen Geschmack entfalten kann. Eine Wanderung von Limerick bis an den westlichsten Punkt Irlands.
Unter Apfelbäumen
Eine Parabel über das Sterben und die Wege des Lebens und den Glauben daran, mit geliebten Menschen im Tod wiedervereint zu werden.
Kintsugi
Ein weit gereister Fremder kehrt in einem trauernden Dorf ein und spricht über die Lichtblicke, die im eigenen Zerbrechen liegen.
Nuits d'été
Arlo führt auf, warum er Emilia selbst im Streit noch liebt und selbst ihre vermeintlich schlechten Seiten für mehr Gleichgewicht in seinem Leben sorgen.
Perth
Ein Rendezvous in einem rostigen Golf. Ennis fühlt sich danach einsamer denn je. In der Stille lässt er seine Gedanken kreisen.
Die Kugelrobinie
Jasper bricht seinen Stubenarrest, um Clara zu küssen. Über Jugendlieben und die stolze Rebellion gegen das Elternhaus.
Mattis Paul Ackner
Mattis Paul Ackner wird im Sommer 1997 geboren. Er wächst in einem künstlerisch geprägten Umfeld auf und kommt schon während seiner Kinderjahre mit verschiedenster Musik, Literatur und Fotografie in Berührung. Nach unzähligen Dia-Abenden schenkt ihm sein Vater gegen Ende der Nullerjahre seine erste Digital-Kamera, ohne die er fortan nur noch selten das Haus verlässt. Als Jugendlicher bringt er sich das Klavier- und Gitarrespielen sowie das Produzieren von Musik bei und erhält professionellen Gesangsunterricht. Seit 2014 schreibt er eigene Musik, seit 2019 unter seinem Soloprojekt “Lovers In Japan“ und veröffentlicht bis heute vier LPs, zwei EPs und mehrere Musikvideos. Im Sommer 2018 beginnt er erstmals mit dem Verfassen von Kurzgeschichten und Lyrik, seit 2019 arbeitet er an seinem ersten Roman. Im Jahr 2021 unterstützt ihn die bayerische Landesregierung mit einem Stipendium bei diesem Vorhaben. Neben der Musik, Schriftstellerei und der freiberuflichen Arbeit als Texter hat er sich im Zuge einer Schaffenspause während der Corona-Pandemie auch immer weiter der professionellen Fotografie zugewandt und sein jahrelanges Hobby zum Beruf gemacht. Mittlerweile ist die Fotografie und Bildbearbeitung zu einem seiner Hauptarbeitsbereiche herangewachsen. Er wohnt in seiner Heimatstadt Nürnberg.
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Buchvorschau
Hanami - Mattis Paul Ackner
What To Expect / Mara
Ein Anschlag in Kabul, afghanische Beerdigungsrituale, ein zurückgelassener Freund. Mara, das buddhistische Prinzip des Todes und des Unheils als menschgewordene Begegnung.
Zuflucht, Ausbruch und Depressionen.
MARA
~
Die Beerdigung hatte noch im Morgengrauen stattgefunden.
In den Sommermonaten waren die Stunden rar, in denen die Stadt nicht unter der altbekannten Hitze ächzte und wer konnte, verlegte das Nötigste in die Stunden von Dämmerung und Dunkelheit.
Auf dem Friedhof am Fuße der alten Zitadelle hatte noch Stille geherrscht, nur hie und da hatte ein Vögelchen sein Lied angestimmt, und wenn ein Windhauch über die Ebene gegangen war, hatten die trockenen Blätter der spärlich gepflanzten Eschen friedlich geraschelt.
Durch die Szenerie hatte sich bald eine Gruppe von schwarz gekleideten Trauernden ihren Weg durch den sanft knirschenden Sand gebahnt. Mit gesenkten Köpfen waren sie einem Imam gefolgt, der die angedeuteten Pfade zwischen den Grabhügeln etwas besser zu finden verstand als die anderen.
Zumindest gab er sich so; wenn diesem Friedhof jemals eine erkennbare Ordnung innegewohnt hatte, dann vor derart langer Zeit, dass ihre letzten Zeugen längst selbst zu seinen Bewohnern geworden waren.
Heute wurde gegraben, wo sich eben noch Platz fand.
Der Tod als Geschäft wuchs bedeutend schneller als die Erde und der im Land regierende Terror als sein Handlanger kannte ohnehin keine Ordnung und wenn doch, dann duldete er sie nicht.
Nachdem der helle Holzsarg von vier Männern bedächtig neben dem frisch ausgehobenen Grab niedergelegt worden war, hatte der Geistliche schließlich seine Predigt begonnen. Kein Vögelchen hatte noch gezwitschert, kein Wind war mehr durch die Bäume gefahren. Alles, was noch klang, war die brummende, rauchige Stimme des Imams gewesen, die über das Gelände dröhnte.
Er sprach über den jungen Menschen, der da im Sarg zu seinen Füßen seine letzte Ruhe finden sollte. Sprach über sein Leben, das viel zu kurz gewesen war und die Zeit, die nun folgen und viel zu lang sein würde. Sprach darüber, wie sie ihn der Erde übergeben würden, die so viel toleranter als die Menschen war, keinen Unterschied machte zwischen dem Opfer und dem Mörder, dem Reichen und dem Armen, dem Fremden und dem Einheimischen.
Die Erde, alles bereitwillig aufnehmend, weil alles auch einst ihr entsprungen.
Murda Shuis¹ hießen jene, die die Toten auf ihren letzten Metern begleiteten, die sie wuschen und ihre sterblichen Überreste schließlich in den Stoff wickelten, der sie zumindest für eine Weile noch vom Erdreich trennen würde.
Zwanzig Meter bei jedem Mann, vierundzwanzig bei jeder Frau.
Der junge Mann jedoch, der an diesem Morgen zu Füßen des Imams aufgebahrt dalag, hatte keinen Stoff bekommen, keinen einzigen Meter.
Blutverschmiert und noch in den Klamotten, die er im Moment seines Ablebens am Körper getragen hatte, hatten sie Amar in die Kiste von Holz gelegt, ungewaschen und mit Straßenstaub in den buschigen Augenbrauen. Nicht, weil sie ihn nicht geehrt wissen wollten; im Gegenteil.
Wenn wer, so wie Amar, gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde, dann wurde aus ihm hierzulande kein gewöhnlicher Toter, sondern ein Märtyrer. Und weil nichts reiner war als das Blut eines solchen, ließ man ihre Körper unberührt; damit sie auf dem nächsten Abschnitt ihrer Reise auch in ihrer Besonderheit erkannt werden würden.
An dem Freitag, der Amar vorzeitig das letzte Korn aus seiner Sanduhr geraubt hatte, hatte emsiges Treiben in der Innenstadt von Kabul geherrscht.
Die Luft hatte wie der Verkehr in den Straßen gestanden, stickig und heiß und bloß schwer zu ertragen. Die meisten hatten sich auf dem Nachhauseweg vom wöchentlichen Freitagsgebet befunden, noch vertieft in die Verse des Korans oder in Gedanken bereits bei den letzten Besorgungen für das anstehende Wochenende.
Yaum al-jum’a, der Tag der Zusammenkunft, war in jeder Woche Amars Lieblingstag gewesen.
Nachmittags das gemeinsame Gebet mit Said, seinem besten Freund aus frühester Kindheit, und am Abend der Besuch bei seiner großen Schwester und seinen beiden aufgeweckten Neffen bei gutem Essen und Gesprächen – oft bis tief in die Nacht.
Amar hatte gerade den Obstladen am Eck verlassen und sich mit einem Beutel Früchten in der Hand in Richtung der Wohnung seiner Schwester ein paar Blöcke weiter aufgemacht, als ein Lastwagen auf die ohnehin schon überfüllte Kreuzung hinter ihm eingebogen war. Ein paar Meter war er noch gefahren, hatte dann eine schwarze Rußwolke aus den himmelwärts gerichteten Auspuffrohren gestoßen und war zum Ärger der anderen Verkehrsteilnehmer unvermittelt zum Stehen gekommen.
Die Farbe an seinen Seiten war abgeblättert, die Kotflügel rostig, die Stoßstange nur noch mit einem notdürftig angebrachten Seil an der Karosserie befestigt und manch einer hatte vielleicht geglaubt, dass dem Wagen schlichtweg zum ungünstigsten Zeitpunkt der Motor versagt hatte.
Als der Fahrer jedoch auch nach einigen Augenblicken des Stillstands keine Anstalten gemacht hatte, seinen Führerstand zu verlassen, war bald ein ungehalten gellendes Hupkonzert herangewachsen.
Aus hastig heruntergekurbelten Autofenstern hatten sie in seine Richtung gefuchtelt und wüst geschimpft, doch den Fahrer hatte all das schon nicht mehr gekümmert.
Zu beschäftigt war er damit gewesen, ein letztes Gebet in seine Handflächen vor ihm zu murmeln und schließlich die Augen zu schließen – und alles um ihn herum in pechschwarze Dunkelheit zu hüllen.
Für Sekundenbruchteile war diesem Ort jegliches Licht entzogen worden und vielleicht wäre es besser gewesen, wenn es nie an ihn zurückgekehrt wäre.
Dort, wo gerade noch eine Kreuzung gewesen war, hatte bloß noch ein Krater geklafft, so tief, dass man gut meinen konnte, an seinem Ende wäre die Hölle zu sehen gewesen.
Dunkler Rauch hatte sich rasch in alle Himmelsrichtungen ausgebreitet und sich stumm und schwer über das Verderben gelegt. Das Blut hatte in den Straßen gestanden, zwischen zerborstenem Schaufensterglas, Trümmerteilen und lichterloh brennenden Autowracks. Überall hatten die zerfetzten Überreste unzähliger Menschen verstreut gelegen, bis zur Unkenntlichkeit und darüber hinaus entstellt.
Der beißende Gestank von verbranntem Gummi und Fleisch war all jenen in die Nasen gezogen, die noch hatten atmen können und die anfänglich gespenstische Stille war bald von den schmerzerfüllten Schreien derer zerrissen worden, die noch um ihr Leben gekämpft hatten.
Amar hatte da schon nicht mehr zu ihnen gehört.
Zwar hatten zwischen ihm und dem Obstladen schon gut fünfundzwanzig Meter gelegen, als der bis zum Rand mit Sprengstoff beladenen Laster explodiert war. Amar war auch nicht wie so viele andere regelrecht auseinandergerissen worden. Doch die Druckwelle der Explosion hatte jedes noch so kleine Einzelteil der Karosserien in heimtückische Geschosse verwandelt und mit dem Rücken zum Geschehen hatte er nicht kommen sehen, was sein Ende werden sollte.
Beim Eintreffen der ersten Rettungskräfte hatte er schon starr mit dem Gesicht nach unten auf dem Bordstein gelegen, mit einem Beutel Früchten in der Hand und einem verkohlten Stück Stahl, das kerzengerade aus seinem blutüberströmten Unterleib geragt hatte.
Die Sonne war bald hinter den schneebedeckten Gipfeln des Hindukusch emporgestiegen, ohne von der Frische des Morgens etwas übrig zu lassen. Nach der Predigt des Imams hatte sich der kleine Kreis aus Freunden und Familie schnell auf dem riesigen Gelände verlaufen, war anderen Verpflichtungen nachgegangen oder hatte den Heimweg angetreten.
Bloß einer war noch regungslos im Schneidersitz hockend unter dem löchrigen Schatten einer einzelnen Esche zurückgeblieben. Manchmal hatte sich sein Blick dann für einen Moment an einen der Vögel gehaftet, die beneidenswert schwerelos und frei am azurblauen Himmel vorbeizogen. Die meiste Zeit waren seine Augen jedoch bloß starr auf den ihm gegenüberliegenden Grabstein gerichtet.
Said hatte sich gerade wieder mit dem Ärmel seiner schwarzen Kurta die Schweißperlen von der Stirn gewischt, als hinter ihm abermals die Stimme des Predigers erklungen war.
Er musste nicht sehen, wer die anderen Menschen waren, zu denen der Imam nun sprach, musste nicht in die verzweifelten Gesichter blicken, nicht wissen, wen sie verloren hatten. Es wäre einem Blick in den Spiegel gleichgekommen, er trug all das in sich selbst.
Diesen stumpfen Schmerz, diese Ungläubigkeit.
Es war egal, dass der Tod in dieser Stadt ein alteingesessener Nachbar war, den man nahezu täglich zu Gesicht bekam. Es war egal, weil auch das keine zufriedenstellende Erklärung für den durchlöcherten Sandplatz abgab, in dessen Mitte Said saß.
Keine Erklärung, wie man in der einen Stunde noch den besten Freund in Fleisch und Blut an seiner Seite wissen konnte, umgeben sein konnte von seiner Art, seinem Gelächter und all den schönen Worten, die er stets gesprochen hatte.
Nur, um in der nächsten unter sengender Hitze im Dreck zu sitzen, mit nichts als einem schweigsamen Stein als Gegenüber. Ein Stein, der am Vortag von irgendeinem Fremden lieblos in Form geschlagen worden war und nicht einmal der Erde würdig war, auf der er nun gleichermaßen verhöhnend und nichtssagend thronte.
Von dem Menschen, der einige Fuß tief unter ihm lag, ganz zu schweigen.
Said war dabei gewesen, als sie das Grab ausgemessen