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Die „Superaktiengesellschaft“
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eBook436 Seiten4 Stunden

Die „Superaktiengesellschaft“

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Über dieses E-Book

Gegenstand seiner Untersuchungen sind die „Mechanismen“ und „Automatismen“, die durch die Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln, speziell denen des damaligen Ostens, zwangsläufig und gewissermaßen automatisch hervorgebracht werden. Also nicht das, was Politiker von sich gegeben haben, wird angeführt, um damit irgendetwas beweisen zu wollen – an dem, was Politiker sagen, muss man sowieso immer zweifeln, meint Lütz - nein, nur das, was sich aus den veränderten Eigentumsverhältnissen logisch erklären lässt. Und er hat Potenzen gefunden, hat aber auch Fehler, die begangen worden sind, festgestellt. Insgesamt erkennt er aber eine Alternative zu unserer heutigen problemgeschüttelten Gesellschaft und sieht die etwas spätere Zukunft trotz aller zuvor noch zu erwartenden Schwierigkeiten, letzten Endes unter durchaus optimistischem Gesichtspunkt.

Manfred Lütz wurde 1939 in Thüringen geboren, hat nach seinem Abitur den Beruf des Gerbers erlernt und danach ein Studium der Ökonomie in der Fachrichtung Außenhandel als Diplomökonom abgeschlossen. 
Er ist immer nur in der Wirtschaft tätig gewesen. „Eine hauptberufliche Arbeit in der Politik wäre auch nie mein Ding gewesen“, sagt der Autor heute im Rückblick.
Mittlere führende Positionen in der Materialversorgung, im Absatz und in der Produktion von Industriezweigleitungen hat er innegehabt und hat dadurch sowohl die wirtschaftlichen Probleme des damaligen Systems kennengelernt als auch die Art und Weise der Zusammenarbeit innerhalb der Wirtschaft und die der Wirtschaft mit den staatlichen Organen, bis einschließlich in die Ministerien und auch ein neues kameradschaftliches, zwischenmenschliches Verhältnis und ein gutes Bildungssystem. 
Als Direktor für Import in einem Außenhandelsunternehmen, hat er geschäftlich Kontakte zu Partnern im Ausland gehabt, sowohl im sozialistischen als auch im kapitalistischen System, sodass er auch die Gepflogenheiten auf diesen Märkten kennt.
Schließlich hat sich Lütz 1990 im Alter von fünfzig Jahren in seinem Fachgebiet selbstständig gemacht, und ist darin bis heute tätig – „ohne, dass ich“, so Lütz, „bei allen Tiefen, die ich selbstverständlich auch durchgemacht habe, die weiße Fahne hätte hissen müssen“.
Nach der Wende hat ihn die Frage beschäftigt, ob die Form eines gesamtgesellschaftlichen Eigentums, das man unter dem Namen Sozialismus praktiziert hatte, und von dessen Vorzügen er nach und nach überzeugt gewesen zu sein gemeint hatte, immer und zwangsläufig untergehen muss, oder nicht? Wenn ja, weshalb? Wenn nicht, weshalb dann?  Zugutegekommen ist ihm dabei, dass er praktische Erfahrungen sowie im System des Ostens als auch im kapitalistischen System hat sammeln können.
Die Antworten, auf die er dabei gestoßen ist, hat er in diesem Buch niedergeschrieben
SpracheDeutsch
HerausgeberEuropa Edizioni
Erscheinungsdatum30. Apr. 2023
ISBN9791220140584
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    Buchvorschau

    Die „Superaktiengesellschaft“ - Manfred Lütz

    Weshalb ich geschrieben habe

    Ich habe in meinem Leben zweimal daran gezweifelt, ob ein gesamtgesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln gut und richtig sei. 

    Das erste Mal, als ich aus einer Handwerkerfamilie, also aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend, ganz selbstverständlich lange die gleiche Meinung vertreten habe wie meine Eltern und Großeltern, nämlich, dass das, was in der damaligen DDR angestrebt worden ist, irgendetwas Unsinniges sei, vor dem man sich hüten müsse.

    Dementsprechend habe ich dem misstraut, was „die Roten" gesagt haben, habe bezweifelt und habe abgelehnt, mich in irgendeiner Form damit zu identifizieren. Mir ist es also so oder so ähnlich ergangen, wie vielen anderen meiner Generation, beziehungsweise den Nachkriegsgenerationen im Allgemeinen, die nichts anderes gehört und gekannt haben.

    Es hat lange gedauert, bevor ich mir eingestehen musste, dass dadurch tatsächlich ungeahnte Potenzen für die Menschheit eröffnet werden, deren Umfang und Reichweite meinen Eltern und Großeltern als Kinder ihrer Zeit, nie nahegebracht worden sind, und was sie infolgedessen nicht haben erkennen können.

    Ich muss an die dreißig Jahre alt gewesen sein, und die DDR muss so etwa zwanzig Jahre bestanden haben, als ich immer noch widerstrebend akzeptiert habe, dass es so falsch doch nicht sein könne. Zumindest vom Grundgedanken her. 

    Jetzt, als alter Mann, kann ich lächelnd eingestehen, dass ich als Student sogar so vermessen gewesen bin, Marx widerlegen zu wollen. Na, ja…! Ich kann jedenfalls nur sagen, wenn Sie jemanden, vom Marxismus überzeugen wollen, dann überreden Sie ihn dazu, dass er Marx widerlegen soll. Wenn er das dann wirklich sachlich versucht, brauchen Sie nichts weiter zu tun.

    Die Wende kam dann völlig überraschend. 

    Plötzlich, völlig unerwartet, war jene Gesellschaft nicht mehr existent, war zusammengebrochen, von der ich nun verstanden zu haben geglaubt habe, dass sie, wie sie immer dargestellt worden war, die, die den Kapitalismus ablöst und die historisch überlegene und damit die Bessere sei.

    Und da habe ich das zweite Mal gezweifelt. 

    Sollte das alles wirklich nicht mehr wert sein, als unterzugehen?

    Sollte das, was ich nach so langem Zögern schließlich für richtig gehalten habe, nichts weiter als eine Bauernfängerei gewesen sein, auf die ich hereingefallen gewesen war?! Bin ich zu dumm gewesen, das zu erkennen? Müsste ich mich fortan nun einen Dummkopf nennen? Einen Trottel? 

    Es sind deprimierende und quälende Fragen mit der Neigung zu Minderwertigkeitskomplexen gewesen.

    Oder, so habe ich mich dann bang gefragt, gibt es doch noch irgendetwas, was den Sinneswandel, den ich vollzogen hatte, rechtfertigen könnte? Zumindest ein wenig. Gibt es so etwas wie mildernde Umstände? 

    Also habe ich, die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, begonnen, nach Antworten zu suchen. 

    Mir sind viele Erlebnisse eingefallen. Schöne, aber auch negative. Allerdings eigentlich mehr Beispiele der angenehmeren Art. Keinesfalls aber so viel Schlechtes, wie es jetzt oft dargestellt wird. 

    Allerdings habe ich dabei bald feststellen müssen, dass man Beispiele für alles finden kann. Einzelbeispiele. Für alles Positive, aber auch für alles Negative. Je nachdem, wonach man sucht. 

    Beispiele erlangen eben erst dann Beweiskraft, wenn man genug von ihnen sammelt, sie statistisch auswertet, und alles wissenschaftlich unter Berücksichtigung der Entwicklungstendenzen bewertet. Aber dafür hatte ich keine Voraussetzungen. Und die Statistiken, auf die ich nun hätte zurückgreifen können? Na, ja, „Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe!", hat Churchill gesagt. Weshalb sollte ich das nicht beherzigen?!

    Anhand von Beispielen kann man außerdem ja auch nicht erkennen, weshalb etwas gescheitert ist. Die negativen zeigen zwar, dass etwas „faul ist, aber nicht den Grund, weshalb es „faul ist. Von den Gegnern werden sie in der Regel als Fehler des Systems interpretiert. Als etwas grundsätzlich Unvermeidbares. Aber es hat ja schon immer gute Vorhaben und Absichten gegeben, die auch erst einmal gescheitert sind, aber nicht, weil die Idee falsch gewesen ist, sondern, weil bestimmte, notwendige Voraussetzungen noch nicht bestanden haben, um sie schon realisieren zu können. Denken Sie doch nur an die Entwicklung eines Flugzeuges. Immer wieder sind Versuche gescheitert, und heute fliegt der Mensch dennoch. Die Ideen sind nicht verantwortlich für das, die Menschen aus ihnen machen! (Werner Heisenberg)

    Die genaueren Ursachen für ein Scheitern zu kennen, ist also wichtig, um den Wert einer Idee überhaupt ermessen zu können.

    Deshalb habe ich fortan aufgehört, nach Beispielen zu suchen, sondern habe stattdessen begonnen, mich zu fragen, wodurch es eigentlich zu diesen Beispielen kommen konnte? Wodurch sie eigentlich hervorgebracht worden sind? Welche „Automatismen, welche Gesetzmäßigkeiten diesem System dafür innegewohnt haben müssen. Jene „Mechanismen, die meist ja nicht vordergründig ins Auge fallen. Die gewissermaßen „unterhalb der Oberfläche aber zwangsläufig wirken, sich aber logisch erklären lassen. Also indem man lediglich „eins und eins zusammenzählt, ohne politische Absichtserklärungen und Parteitagsbeschlüsse zu zitieren. Beschlüsse, an deren Richtigkeit ich in Anbetracht des Untergangs ja sowieso gezweifelt habe. Einzelbeispiele habe ich deshalb fortan nur noch genutzt, wenn ich das eine oder andere besser und anschaulicher erklären wollte.

    So oft wie möglich habe ich Gespräche gesucht, Diskussionen, um die Argumente anderer Leute, speziell Gegenargumente, kennenzulernen und Antworten darauf zu finden. Und weil Schreiben dazu zwingt, seine Gedanken ganz exakt zu formulieren, zumindest exakter, als wenn man nur über etwas nachdenkt, und weil man außerdem das, was man geschrieben hat, nicht immer wieder neu erarbeiten und formulieren muss, habe ich begonnen, zu schreiben. 

    Weil das alles aber nicht nur für mich, sondern auch für andere Leute interessant sein könnte, für solche wie meine Eltern und Großeltern und für solche, die die sich Gedanken über die Zukunft machen, habe ich nach einem Verlag gesucht, um es zu veröffentlichen.

    Wenn ich jetzt, nach rund drei Jahrzehnten zurückschaue, muss ich sagen, dass mich in der ehemaligen DDR niemand mehr hätte überzeugen können, als diese schreibende Beschäftigung und das, was ich im jetzigen System seitdem erlebt habe und noch jeden Tag erlebe. 

    I. Allgemeine Auswirkungen einer „Superaktiengesellschaft"

    1.  Der Staat in Form einer  „Superaktiengesellschaft"

    Der Kerngedanke jenes Systems des ehemaligen Ostens hat darin bestanden, die Produktionsmittel zu einem gesamtgesellschaftlichen Eigentum zu machen, sie also zu verstaatlichen, um auf diesem Weg bestehende Probleme zu lösen und neue Potenzen zu eröffnen.

    Was hat es aber eigentlich gebracht?

    Damit ist also die in der Vergangenheit in viele Eigentümer zersplitterte Wirtschaft in der Hand eines einzigen Eigentümers, nämlich des Staates, und nur des Staates, vereinigt worden. Damit hat als wichtigste und entscheidende Folge der Staat über alle Gewinne verfügt und über deren Verwendung entschieden. 

    Oder andersherum: Es hat keine Konzerne mehr gegeben, die die Gewinne ihres Unternehmens vereinnahmen, mit diesen Lobbys finanzieren, gefügige Politiker in Regierungsämter lancieren und unliebsame Politiker kaltstellen und so ihre betriebsegoistischen Ziele durchsetzen konnten. Für Zwecke, die nicht immer im Interesse der Gesellschaft liegen, sondern ihr sogar zum Schaden gereichen. Durch die, wie Friedrich Schorlemmer, einer der führenden Bürgerrechtskämpfer der ehemaligen DDR sagt, es zu einem „hemmungs- gar gnadenlos agierenden Kapitalismus gekommen ist, der zu einer „Liberalisierungs-, Deregulierungs- und Privatisierungsorgie und zu

    einem „gigantischen wie fragilen Weltfinanzsystems" geführt hat (Sein Zitat wird ausführlicher im 11. Kapitel betrachtet.)

    Derart durch Macht- und Geldgier die Existenz der Menschheit bedrohenden Konzerne hat es nicht mehr gegeben. Wie es übrigens überhaupt keine großen Unternehmen mehr gegeben hat, die sich noch in Privathand befunden hätten. 

    Weil niemand, keiner der Entscheidungsträger, keiner der Politiker, einen direkten Anteil am Eigentum eines konkreten Betriebes gehabt hat, weil also keiner Veranlassung gehabt hat, sich als Lobbyist oder gar aus persönlichem Interesse für irgendeinen bestimmten Betrieb einzusetzen, waren die Eigentumsverhältnisse also so, dass alle Entscheidungen potenziell wirklich und abstrichlos im Interesse der gesamten Gesellschaft, der Allgemeinheit, getroffen werden konnten. 

    Nun sind die großen Konzerne ja aber nicht von ungefähr entstanden. Nichts in der Welt kann entstehen, wenn keine Notwendigkeit dafür besteht und es keinerlei Voraussetzungen und Lösungsansätze dafür gibt. - Man hätte das erste Mikroskop zum Beispiel nicht erfinden können, wenn es das Glas nicht schon gegeben hätte, und ohne die mittelalterlichen Städte mit ihren Zünften und ohne Manufakturen hätte sich die bürgerliche Gesellschaft nie herausbilden können. Und so haben Wissenschaft und Technik besonders im letzten Jahrhundert derart produktive Produktionsmittel hervorgebracht, die nur durch dementsprechend große Unternehmen genutzt werden können und die zwangsläufig solche auch haben entstehen lassen. Mittlerweile haben sich Konzerne herausgebildet, die zwanzig, dreißig Prozent eines Industriezweiges beherrschen. Oder sogar noch mehr. Oft mit Tochterunternehmen in verschiedenen Industriezweigen und zunehmend auch über die Landesgrenzen hinaus, also international. Und sie werden größer und größer. Diese Entwicklung zu großen und immer größeren Wirtschaftseinheiten ist unvermeidbar. Kein Mensch kann sie aufhalten. Selbst Kartellämter nicht. Die Konzerne werden größer und größer. Eigentümer kleiner und mittlerer Betriebe, wie sie für die Anfangszeiten des Kapitalismus typisch gewesen sind und die man gewissermaßen als die klassischen kapitalistischen Eigentümer bezeichnen kann, können heutzutage nur noch in Nischen oder als Zulieferer für die „Großen" existieren. 

    Damit haben diese Konzerne insofern eine Daseinsberechtigung, indem sie diejenigen Unternehmen sind, die die Potenzen der vorhandenen Produktionsmittel am effektivsten ausschöpfen und nutzen können. Sie haben außerdem den großen Vorteil, dass sie, und zwar je größer und heterogener sie sind, Wissenschaft und die Technik in einem solchen Maße vorantreiben können, wie es keins der kleineren Unternehmen kann. Beispiel Mikroelektronik, Telekommunikation oder Raumfahrt. Sie sind damit also ein zwangsläufiges Ergebnis der Aufwärtsentwicklung von Wissenschaft und Technik, können dieser Entwicklung auch gerecht werden, führen aber im gleichen Zuge zu gewaltigen negativen Auswirkungen. Das heißt, man braucht sie, hätte gleichzeitig aber auch gute Gründe, sie zu beseitigen, was man aber wiederum nicht kann, weil sie eben gebraucht werden.

    Weil sie die Entwicklung nicht aufhalten kann, und man es auch gar nicht erst versuchen darf, steht die Menschheit also vor der schwierigen Aufgabe, eine Lösung zu finden, wie sie der Entwicklung folgen und deren positive Ergebnisse übernehmen kann, aber gleichzeitig deren negativen Auswirkungen verhindert. Ganz nach der Maxime „Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig setzen."

    Schwierig. Sehr schwierig.

    Und dennoch gibt es eine Lösung! Eine Lösung, die der Gründungszeit der Sowjetunion und nach 1945 in den Ländern des Sozialistischen Lagers praktiziert worden ist, als man alle oder zumindest alle wichtigen Unternehmen in einem Staatseigentum vereinigt hat. Man hat den Anteil eines Konzerns am Industriezweig also nicht nur bei zwanzig oder dreißig Prozent belassen, sondern man hat dort, wo es möglich gewesen ist, sogar einhundert Prozent vereinigt. In jedem Industriezweig einen. Im Fahrzeugbau. In der Schuhproduktion. In den Bereichen der Webereien, der Spinnereien und so weiter. Jeweils wie zu einem Industriezweigkonzern. Und alle Industriezweige in der Hand des Staates, also eines einzigen Eigentümers. Wie zu dem größten Konzern, den es innerhalb eines Landes überhaupt geben kann. 

    Man hat damit der Entwicklung zu großen Produktionseinheiten also Rechnung getragen, hat sie aber nicht nur schlechthin aufgegriffen, sondern sie sogar noch fortführt. Ganz bewusst. Bis an die Grenzen des Möglichen und Machbaren. Und damit war viel Überraschendes entstanden: Man hat die Volkswirtschaft wie einen Konzern führen, hat dessen Vorzüge nutzen können, hat die negativen Auswirkungen, die die Existenz von (mehreren oder vielen) Konzernen innerhalb einer Volkswirtschaft mit sich bringt, aber verhindert. 

    Weil sich die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln aber verändert hatten, hatte sich auch alles andere, hat sich das gesamte Leben verändert. Das ist nun einmal so. Die bürgerliche Gesellschaft hat zum Beispiel auch so gut wie alles verändert, als sie mit ihren Fabriken zuerst wirtschaftlich dominiert und dann auch die politische Macht übernommen hatte. Sie hat nicht nur eine ganz neue Art der Wirtschaftsführung hervorgebracht, die Naturalwirtschaft abgeschafft und der Geldwirtschaft zum Durchbruch verholfen, sie hat auch das gesamte übrige Leben verändert. Die Rechtsauffassungen, die Kunstformen, die Lebensauffassungen und sogar die alltäglichen Sitten und Gebräuche, von der Mode bis zu der Art, Feste zu feiern. 

    Vergleichbar umfangreich hatte sich auch im Osten alles verändert. Professor Wolfgang Elsner hat ein sehr lesenswertes Buch über China geschrieben, aus dem ich noch des Öfteren zitieren werde. Der Buchtitel lautet: „Das chinesische Jahrhundert. Aber es trägt auch noch den Zusatz: „Die neue Nummer eins ist anders. Zu Recht.

    So darf man zum Beispiel nicht in den Fehler verfallen, die staatlichen Betriebe des Ostens mit den Staatsbetrieben des Westens gleichzusetzen. Erstere sind wie ein einziges Unternehmen vom Staat geleitet worden. Die gesamte Wirtschaftspolitik, das gesamte Wirtschaftsrecht sind darauf zugeschnitten gewesen. Die Vorschriften und Weisungen, die die Staaten des Ostens der Wirtschaft gemacht haben, ist Leitungstätigkeit der eigenen Wirtschaft gewesen.  Sie sind ihrem Charakter nach „innerbetriebliche Weisungen gewesen. Kein „Hineindirigieren und keine Kommandowirtschaft. 

    Letztere unterliegen dagegen den Grundsätzen und den juristischen Gesetzen einer kapitalistischen Wirtschaft. Sie unterscheiden sich von den rein privaten Unternehmen lediglich dadurch, dass der Eigentümer oder einer der Eigentümer der Staat ist. Dass es also nicht allein nur Privatpersonen sind wie die Herren Müller, Meier oder Schulze. Mit den Vorschriften und Weisungen, die die Staaten des Westens der Wirtschaft machen, greifen sie in fremdes Eigentum, in das von Privatleuten, ein. Auch wenn die Vorschriften noch so notwendig sind, wie zum Beispiel solche, die dem Arbeitsschutz dienen, sind sie von ihrem Wesen her ein „Hineindirigieren". 

    Weil die gesamte Wirtschaft wie zu einem riesigen Konzern geworden war, ist viel von dem übernommen worden, wie Konzerne funktionieren. Man findet deshalb tatsächlich viel davon, was mit einem Konzern vergleichbar gewesen ist. Selbstverständlich den viel größeren Dimensionen des Staatseigentums angepasst. 

    Zum Beispiel: In jedem großen Unternehmen müssen die Rechte und Pflichten eines jeden Mitarbeiters, vom einfachen Hofarbeiter bis zum Topmanager, aufeinander abgestimmt, also durch einen Arbeitsvertrag geregelt werden. Jeder, also auch der Topmanager, wird damit formell zu einem „Arbeitnehmer"!

    Mit der Konsequenz, dass man solche Arbeitsverträge auch mit jedem abschließen kann. Auch mit solchen, die keine (Mit-)Eigentümer, sondern wirklich und tatsächlich echte „Arbeitnehmer" sind. Es genügt, wenn sie fähig und willens genug sind, um die ihnen übertragenen Aufgaben zum Nutzen des Unternehmens zu erfüllen. Selbst Manager in der höchsten Position müssen nicht mehr, unbedingt selbst noch Anteile am Unternehmen besitzen.

    Sicher sind in den Konzernen viele wichtige Positionen von Leuten besetzt, die selbst große Aktienanteile besitzen. Aber auch sie haben sich an die mit ihnen vereinbarten Rechte und Pflichte zu halten. Nur in den Vollversammlungen können sie grundsätzliche Entscheidungen durchsetzen. 

    Im Osten ist es genauso gewesen. Da sind alle, die Arbeiter sowieso, aber auch jeder Leiter oder „Chef nichts weiter als nur „Arbeitnehmer gewesen. Und die grundsätzlichen Entscheidungen sind auch in einer „Vollversammlung" gefällt worden, in der Volkskammer.

    Auch die Art und Weise, wie man solch großen Unternehmen finanzieren kann, ist übernommen worden. 

    Die benötigen ja immer viel Geld. Mehr, als eine Person üblicherweise aufbringen kann. Die pragmatische Lösung besteht darin, dass mehrere Leute Geld zusammenlegen und eine Gesellschaft gründen. Niederländische Kaufleute haben deshalb 1602 in Amsterdam die erste Aktiengesellschaft der Welt, die „Verenigte Oost-Indische Compagnie" gegründet. Nicht ohne Grund gibt es heute nur noch ganz wenige große Unternehmen, die sich wirklich noch im Besitz einer einzigen Person befinden. Selbst, wenn es sich um einen Familienbesitz handelt, werden sie ja bereits Eigentum mehrerer und ihrem Wesen nach schon zu Gesellschaften. 

    Keine heutige Gesellschaft, kein modernes Staatswesen kommt noch ohne Kapitalgesellschaften aus.

    Im Osten hat hinter der Wirtschaft doch aber auch nichts anderes gestanden, als nur eine Gesellschaft. Die gesamte Gesellschaft zwar. Nicht nur eine, die lediglich aus einer Anzahl Leuten besteht, die Geld besitzen und die bereit sind, einen Teil davon zur Verfügung zu stellen, sondern der Staat als Ganzes. Aber eben eine Gesellschaft. Der Staat war also nicht nur schlechthin zu einem Konzern geworden, sondern von der Form her auch zu einer Kapitalgesellschaft.

    Völlig neu ist dadurch folgendes: Durch dieses staatliche Eigentum ist jeder einzelne Bürger in seiner Eigenschaft als Bürger des Staates automatisch zu einem Miteigentümer am staatlichen Eigentum gemacht worden. 

    Weil das Wohl jedes Bürgers aber entscheidend davon abhängig gewesen ist, wie gut oder wie schlecht es diesem großen Unternehmen, diesem Staat, gegangen ist, ist jeder in irgendeiner Form zum Nutznießer von dessen Erfolgen oder zum Betroffenen von dessen Problemen geworden. Deshalb hat jeder in seiner Eigenschaft als Bürger daran interessiert sein müssen, dass gute Ergebnisse erzielt und Verluste verhindert worden sind. Objektiv. Unabhängig davon, ob es ihm bewusst geworden war oder nicht. Unabhängig davon, ob er wirklich dementsprechend gehandelt hat oder nicht. Jeder musste sich logischerweise so verhalten oder hätte sich so verhalten müssen wie ein Aktionär. Wie ein echter Aktionär. Diesbezüglich hat es also nicht einmal einen Unterschied zu echten Aktionären gegeben. 

    Echte Aktien hat allerdings niemand besessen. Selbst die Direktoren, die Minister und die höchsten „Parteichefs" nicht. 

    Man hat auch keine gebraucht, denn alle sollten im gleichen Maße am Gesamteigentum beteiligt sein. Wo aber alle den gleichen Anteil haben, braucht man keine Aktien auszugeben. Die sind ja nur dort notwendig, wo jemand unterschiedlich viele erwerben kann. Jeder war also vom Wesen her zum Aktionär geworden, allerdings zum „Aktionär ohne Aktien. Oder zu einem „Aktionär der besonderen Art

    Ich bekomme immer wieder einmal zu hören, dass im Osten das notwendige Interesse an guten Ergebnissen, das notwendigerweise gute unternehmerische Interesse gefehlt haben müsse, weil niemand Eigentümer gewesen sei und dass demzufolge eine desaströse Interessenlosigkeit bestanden haben müsse. 

    Weshalb sollte das aber eigentlich so sein?! Es kommt doch nicht darauf an, ob die Menschen ihre Aufträge von der Vollversammlung einer Kapitalgesellschaft bekommen oder von einem Parlament, das die Aufgaben einer Vollversammlung übernommen hat. Entscheidend ist doch, dass beide, sowohl die Vollversammlung einer Kapitalgesellschaft als auch das Parlament eines Staates, der Eigentümer nahezu der gesamten Wirtschaft ist, die Menschen anleiten müssen, die von ihrer Stellung her sowohl hier wie da lediglich „Arbeitnehmer" sind. Deren Recht und Pflichten also in Arbeitsverträgen vorgeschrieben sind. Die miteinander kooperieren müssen. Von denen also keiner mehr wie ein klassischer Unternehmer etwas, was ihm gemäß Arbeitsvertrag nicht zugestanden worden ist, allein entscheiden darf. 

    So gesehen hatte der Osten sogar den Vorteil, dass jeder Einzelne einerseits genug Aktionär gewesen ist, um an hohen Ergebnissen interessiert sein zu müssen. Und indem jeder seinen Lebensunterhalt und den seiner Familien grundsätzlich nur durch Arbeit hat verdienen können, hat jeder andererseits an seinem Arbeitsplatz ganz aktiv und fachlich konstruktiv mitarbeiten können. In etwa so, wie es nur noch diejenigen Aktionäre können, die in dem Unternehmen aktiv tätig sind, an dem sie beteiligt sind. Die also dort einen Job haben. 

    Sicher hat es Leute gegeben, die das noch nicht begriffen hatten, und die sich dementsprechend tatsächlich wenig interessiert gezeigt haben. Es ist aber eine sehr gute Basis dafür gewesen, dass alle wirklich aktiv und schöpferisch haben mitarbeiten können, und es hat viele gegeben, die sich voll engagiert haben. Ich vermute sehr stark, sogar noch mehr als die meisten „Arbeitnehmer" im Westen. Also mangelndes Interesse an Erfolgen aufgrund der anderen Eigentumsverhältnisse? Das ist eine Verunglimpfung. Mangelndes Interesse durch fehlendes Verständnis, - das ja.  Das hat es gegeben. Aber das Gemeinschaftseigentum ist nicht der Grund gewesen.

    Dass die anfallende Dividende unter diesen Umständen anders ausgeschüttet werden mussten, ist logisch. Zwar immer im Interesse der Gesellschaft, wie es auch in jeder normalen Aktiengesellschaft üblich ist, und trotzdem anders.

    Für Investitionen selbstverständlich. 

    Leider, leider musste auch viel zu viel für den ruinösen Rüstungswettlauf während des Kalten Krieges ausgegeben werden.

    Aber zum erheblichen Teil sind sie als soziale Leistungen ausgeschüttet worden. In Form von Lohnerhöhungen, Renten, Kindergeld und um viele Dinge zu subventionieren, wie die Mieten, die Ausbildung, die medizinische Hilfe, die Kultur und den Sport, die Kindergärten, die Schulhorte, die Schulbücher, die Ferienlager, auch Schuhe und Kleidung für Kinder, die Fahrkarte für die Straßenbahn, die immer nur fünfzehn bis zwanzig Pfennige gekostet hat … 

    Vielen Leuten ist es ein Rätsel, wieso der Osten trotz seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seine sozialen Leistungen im damals beachtlichen Umfang noch hat finanzieren können. Die Antwort ist ganz einfach: Der Staat hat damals die Millionen an Dividenden nur anders ausgeschüttet. Und zwar nach dem Grundsatz: Derjenige, der es benötigt, soll es bekommen.

    Er hat tatsächlich große Teile des Mehrwertes, den sich anderswo der oder die privaten Eigentümer aneignen dürfen, den arbeitenden Massen nach deren Bedürfnissen zugutekommen lassen. 

    Weil der Staat die gesamte Wirtschaft besessen hat, und sie deshalb auch lenken und leiten musste, weil er also neben seinen Aufgaben, die er in seiner Rolle als Staat ohnehin zu erfüllen hatte, eine zusätzliche Aufgabe übernommen hatte, hatte sich auch der Charakter des Staates verändert. Er war zu einem neuen Staatstyp, zu einem ganz anderen Staatstyp geworden als es ein bürgerlicher Staat ist. Die Staaten in Ost und West lassen sich deshalb nicht „eins zu eins" miteinander vergleichen. Und schon gar nicht unter dem Aspekt: ‚Was ein westlicher Staat macht, ist richtig. Was anders gemacht wird, ist falsch!‘  Der Osten hat zwar auch manches von dem übernommen, wie ein bürgerlicher Staat seine Gesellschaft führt, dazu gehört zum Beispiel das Bürgerliche Gesetzbuch, in angepasster Form selbstverständlich, er konnte aber nur wenig davon gebrauchen, was das Verhältnis eines bürgerlichen Staates zur Wirtschaft des Landes anbetrifft. Diesbezüglich hat er deshalb viel mehr von dem übernommen, wie Konzerne geführt werden als von der Arbeit des Staates.

    Was sich im Osten vollzogen hatte, als man die gesamte Wirtschaft zum größtmöglichen Konzern vereint hat, hat philosophisch gesehen zu einem Umschlag von Quantität in eine neue Qualität geführt. Sie wissen doch, dass sich mit zunehmender Menge die Eigenschaften einer Sache ändern. Die Menge macht das Gift, haben die alten Römer schon gewusst. Nach fest kommt locker. Sonne im richtigen Maß ist lebensspendend. Zu viel wirkt katastrophal. Ein Ein-Mann-Unternehmen, ein mittelgroßes Unternehmen, ein Konzern oder gar ein Staat, der wie ein einziger Konzern arbeitet, bringen infolge ihrer unterschiedlichen Größen eben jeweils unterschiedliche Eigenschaften mit sich. Man muss sich also davor hüten, zu schlussfolgern, dass das, was und wie es der eine tut, der andere auch so machen müsste.

    Aber, dass man ausgerechnet auf diese Weise das Problem gelöst hat, was „normale" Konzerne an Nachteilen mit sich bringen, ist doch faszinierend!

    Selbstverständlich wird die Leitung eines Unternehmens immer komplizierter, je größer es ist. Und das Ganze hätte nicht funktioniert, wenn nicht die entsprechenden Leitungsstrukturen dafür geschaffen worden wären.

    Eine Möglichkeit, wie eine solche Leitungsstruktur hat aussehen können, möchte ich anhand der ehemaligen DDR in groben Zügen beschreiben. 

    Die verstaatlichten Betriebe sind als „Volkseigene Betriebe bezeichnet worden, abgekürzt „VEB. Sie sind die kleinsten selbständigen Wirtschaftseinheiten gewesen. 

    Betriebe, die für die gesamte Volkswirtschaft von Bedeutung gewesen sind, wie die der Stahlindustrie, die der Schuhindustrie, die der Zuckerindustrie und so weiter, sind wie schon erwähnt zu jener Art „Industriezweigkonzern zusammengeschlossen gewesen. Das ist jeweils eine „Vereinigung Volkseigener Betriebe oder kurz „VVB" gewesen (später sind daraus die sogenannten Kombinate geworden). 

    Jede VVB ist für alle den Industriezweig betreffenden Aufgaben allein zuständig und verantwortlich gewesen. Für die gesamte Versorgung des Landes, für die Produktentwicklung, für die Ökonomie, für alles. Die VVB hatten im Rahmen der gesamten Wirtschaft vergleichbare Aufgaben, wie sie eine Produktions-Abteilung innerhalb eines Unternehmens hat.

    Zu den VVB hat darüber hinaus alles das gehört, was für den Industriezweig wichtig gewesen ist; die Betriebe des fachspezifischen Maschinenbaus, spezielle Reparaturbetriebe, die Forschungseinrichtungen und die Ausbildungsstätten für Facharbeiter und Ingenieure. 

    Jede VVB ist durch einen Generaldirektor geleitet worden, der die alleinige Verantwortung für alles zu tragen gehabt hat, was in der VVB getan oder nicht getan worden ist. Ihm haben die Direktoren der Fachbereiche der VVB und die Direktoren der VEB, also der Betriebe, direkt unterstanden. Alle wichtigen Entscheidungen des Zweiges hatte er mit ihnen zu beraten und gemeinsam zu erarbeiten. 

    Die VVB haben jeweils einem von 17 Fachministerium direkt unterstanden. Dieser Teil der Wirtschaft ist als Zentral geleitete Industrie bezeichnet worden. 

    Banken, Versicherungen, die Justiz, die Feuerwehr, die Polizei und jeder andere Bereich des Staates und des täglichen Lebens und so weiter sind ebenfalls unter eine einheitliche Leitung bis hinauf in ein Ministerium gestellt und nach einheitlichen Prämissen geleitet worden. Sogar die Vereine, die Kulturgruppen wie Chöre und Tanzgruppen, der Sport, die Kleintierzüchter und Kleingärtner und so weiter. 

    Dadurch hatte sich auch deren Charakter verändert: Die Banken waren dadurch zu so etwas geworden wie zur Finanzabteilung der gesamten Wirtschaft und des Staates. Die Justiz, Polizei, Armee und Feuerwehr zu dem, was in einem normalen Unternehmen der Betriebsschutz

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