Gesellschaft ohne Vertrauen: Wie wir kreative und lebendige Systeme in Wirtschaft und Gesellschaft gestalten können
Von Timothy Speed
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Die von ihm als „Fixpunkte“ identifizierten Strukturen im Inneren
menschlicher Gestaltungsprozesse führen zu völlig neuen Einblicken in die Art, wie die Evolution durch uns wirkt, den Menschen zu großartigen kreativen Leistungen antreibt und wie jeder Einzelne zum Ganzen beiträgt.
Er zeigt, dass die aktuellen Krisen von Wirtschaft, Kultur, Justiz, Religion und Politik auf natürlichen Zyklen der Evolution beruhen, in denen ein System angesichts neuer Komplexität in einer Gesellschaft zu wenig Freiheit ermöglicht, und darum in die Krise gerät.
Wird die Freiheit aus Angst erneut reduziert, werden die Probleme größer. Wird die Freiheit deutlich erweitert und neu definiert, gelingt es die nächste Stufe der Evolution zu erreichen. Speed beschreibt die zu erwartende neue Stufe, und macht erstaunliche Veränderungen auf allen Ebenen der Gesellschaft sichtbar.
Es zeigt sich eine komplexere Ordnung, die zum einen zu mehr Selbstbestimmung des Einzelnen, zum anderen aber auch zu einem stärkeren „Wir“ führt.
Timothy Speed
Der 1973 geborene britisch-österreichische Künstler, Philosoph und Schriftsteller Timothy Speed beschäftigt sich in seinen Essays, Performances, sozialen Projekten und literarischen Arbeiten mit der Rolle von selbstbestimmten, unangepassten und kreativen Menschen, in wirtschaftlichen und staatlichen Strukturen. Er setzt sich mit Veränderungs- und Entwicklungsprozessen auseinander, löst diese mit ungewöhnlichen Ansätzen selbst aus, oder begleitet sie. Gerade in Zeiten, in denen Individualismus von Angst verdrängt wird und ein übertriebenes Sicherheitsbedürfnis die kreativen Potenziale und notwendigen, krisenhaften Bewusstwerdungsprozesse verhindert, bekommt seine Arbeit hohe Relevanz und Bedeutung. Durch sie wird eine neue, noch verborgene Ordnung alternativer Lösungen, auf die Probleme unserer Zeit, sichtbar.
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Buchvorschau
Gesellschaft ohne Vertrauen - Timothy Speed
2002
1. Die Gesellschaft im Inneren
Viele Menschen zu Beginn des 3. Jahrtausends erleben ihre Umwelt als hektisch, befremdend und unpersönlich. Sie sind umgeben von großem Druck und der ständigen Angst ihren Job zu verlieren. Dazu kommt, dass die Welt unwirklich und von Terror und den vielfältigsten Krisen bedroht erscheint. Sogar die reichsten und mächtigsten Menschen werden von der leisen Existenzangst in Zeiten des Umbruchs nicht verschont.
Irgendwann bleiben viele hinter dem Rauschen der Welt zurück, lassen die Dinge wie sie sind, und verbergen was sie wirklich denken und fühlen in ihrem Inneren.
Sie spalten sich von der Außenwelt ab und verlieren die Fähigkeit, ihre Träume, Gedanken, Visionen und Gefühle in die Welt zu tragen. Somit drücken sie sich selbst nicht mehr unmittelbar und bewusst aus. Sie spiegeln sich nicht mehr in der Welt des Äußeren, sondern diese spiegelt sich viel mehr in ihnen. In dem, was sie tun, was sie denken, was sie zu fühlen glauben. Mit der Zeit verstehen sie darum jene leisen und verdrängten Töne des Inneren nicht mehr und ihre wahren Motive werden schwer greifbar. Ihr freier Wille wird geschwächt. Sie leben immer mehr in Rollen und immer weniger aus authentischen Emotionen heraus. Die Innenwelt schweigt und drängt sich ins Unbewusste, bis dieses irgendwann herausbricht.
In der modernen Welt fragt man sich vielleicht, was das alles mit der Gestaltung von Gesellschaften zu tun haben soll? Es hat in der Tat sehr viel damit zu tun. Aber wir haben gelernt, dass Gesellschaft sich im Äußeren abspielt und mit äußeren Problemen befasst ist. Sei es nun die große Politik, die Justiz oder das Bildungssystem. Auch die Wirtschaft scheint vollkommen ohne das funktionieren zu können, was man als unsere innersten Absichten bezeichnen könnte.
Wir machen und tun und entscheiden, meist noch ehe wir inne gehalten und uns gefragt haben warum wir das tun, ob es wirklich gerade die beste Option ist, oder ob es Alternativen gäbe.
Wir geben den äußeren Gegebenheiten einen sehr hohen Stellenwert und den weltbildbezogenen und bewusstseinserweiternden Betrachtungen einen sehr kleinen.
Aber jedes Produkt, jede gesellschaftliche Errungenschaft, jede wirklich wichtige Vision von einem besseren und sinnvolleren Zusammenleben, fand immer schon seine Wurzeln im Inneren einzelner Individuen, die diese Träume nach außen trugen. Vergessen wir nicht, dass jede Gesellschaft mit einer Idee beginnt. Ob es nun Königreiche, Diktaturen, Kolonialreiche oder Demokratien waren. Sie alle begannen mit geistigen Vorstellungen, die zu abstrakten Modellen des Zusammenlebens wurden. Immer konnte das Innenleben weniger Menschen die Welt verändern, weil das Geistige der materiellen Welt gegenüber im Vorteil ist. Es ist wandelbarer und lässt Veränderungen schneller erkennbar werden, als die sichtbare Realität. Darum nimmt jede Wandlung ihren Anfang in unserem Bewusstsein. Von dort aus entfaltet sie sich langsam in der Welt.
Erleben wir aber eine Umgebung voller Angst, erleben wir immer eine Welt voller Stagnation. Der innere Wandel wird verschüttet.
Der Terror dient also nie der Veränderung oder den Innovationen, sondern immer nur dem Stills tand in einer Gesellschaft.
Wirtschaft und Kultur aber leben vom Wandel und von der Freiheit. Nur äußere, politische Macht lebt von der Stagnation. Insofern arbeitet die Politik in Zeiten des Umbruchs nicht selten gegen Kultur und Wirtschaft. Leider sind die ökonomischen und politischen Systeme in Krisenzeiten von zu vielen Beschränkungen geprägt, die uns schützen sollen. Was die Krisen häufig nur verschärft.
Probleme des Krisenmanagements
Die Krise war schon immer ein Mittel der Macht, gegen welche die Demokratie noch effektivere Wege entwickeln muss, um nicht immer wieder vom vermeintlichen Feuerwehrmann der eigenen Werte beraubt zu werden. Gemeint ist damit der Zerfall der Komplexitätskompetenz und der Bereitschaft zur Vielfalt im politischen und wirtschaftlichen Management, angesichts schwieriger Herausforderungen. Dies wird gerade für moderne Gesellschaften mehr und mehr zum Konfliktgrund, weil diese heute wesentlich mehr Vielfalt und Kreativität vereinen müssen, als dies in früheren Jahrhunderten der Fall war. Vereinigungen wie die Europäische Union benötigen längerfristig sicherlich eine andere Kultur des Leaderships. Die Nationalstaaten haben noch nicht die optimale Reife für multikulturelle und von Vielfalt geprägte Politik erreicht. Lagerdenken ist immer noch viel bestimmender als integrale Ansätze³. Denn noch immer gibt es eine einfache Regel in der Gestaltung von Gesellschaften, die sich besonders angesichts von Krisen zeigt.
Je dramatischer oder unübersichtlicher die Situation, umso weniger Menschen werden an der Lösung beteiligt.
Je weniger Menschen an der Lösung beteiligt werden, umso weniger nachhaltig, werteorientiert und gesellschaftliche Errungenschaften hervorbringend sind die Gestaltungsansätze.
Die Folge in einer zunehmend komplexer werdenden Welt sind immer mehr oder immer größere Krisen. Eine Form des integralen Leaderships ist dringend erforderlich.
Systemisch betrachtet ist die Verknüpfung von Macht und Krise eine Dynamik die weit in der Menschheitsgeschichte zurück reicht und natürlich auch ihre Befürworter hat. Grundsätzlich ist daran zunächst nichts falsch, dass einer das Sagen hat. Es geht um Gleichgewicht und um die Frage, wo dies wirklich erforderlich ist und wo wir andere Wege gehen sollten. Besonders wo heute Veränderungen konkret machbar wären, weil wir beispielsweise gesellschaftlich reifer geworden sind, wesentlich leichter die Mitbestimmung des Einzelnen integrieren können, als dies früher der Fall war. Allein der technologische Fortschritt wäre in der Lage komplexere Formen der Partizipation zu ermöglichen. Aber hier geht es nicht um Internetdemokratie, sondern um ein grundsätzliches Neuverständnis der kulturellen Grundlagen unserer Systeme, um eine Veränderung im systemischen Denken. Zentral ist dabei die Fähigkeit die inneren Motive, den freien Willen des Menschen ganzheitlicher und unmittelbarer in die Entscheidungsfindung einzubinden, als dies bisher möglich war. Der Schlüssel dazu ist der Umgang mit den Fixpunkten des Menschen. Erst wenn wir in der Lage sind innere Individualität sinnvoller in Systeme zu integrieren, ohne die individuellen Ressourcen des Individuums im Vorfeld auszuschließen, erreichen wir die nächste Stufe der Mitbestimmung. Das angestrebte Ziel ist eine Personalisierung der Mitgestaltung. Also eine weitreichende Flexibilisierung der politischen und wirtschaftlichen Systeme, entsprechend der tatsächlichen Notwendigkeiten und Erfordernisse.
Statt: „Du darfst mitreden, wenn Du in unser Raster passt! geht es um den Ansatz: „Wir wollen wissen wer Du bist, damit wir verstehen können, wie wir Dich mit all Deinen ganzheitlichen Qualitäten optimal integrieren können. Dies wird uns allen einen großen Nutzen bringen und das demokratische wie auch das wirtschaftliche System erweitern.
Es geht darum die Systeme in ihrer Monotonie aufzubrechen. Es ist heute nicht mehr erforderlich, dass eine Gemeinde beispielsweise nach demselben Modell funktionieren muss, wie ein Staat, oder ein Unternehmen. Ein Kindergarten, ein Krankenhaus nicht so wie eine Fabrik.
Der systemkreative Ansatz ist die Suche nach dem optimalen System, Weltbild, der besten Philosophie und Strategie für die individuelle Situation. So ineinander greifend, dass das eine System das andere unterstützt, statt es zu behindern und die Menschen vor Ort selbst an der Entwicklung ihres Systems beteiligt werden. Das ist es, was wir mit IFM tun. Wir stärken die Individuen im System und über sie dann wiederum das System. Dazu unterstützen wir sie bei der bewusstein Arbeit an sich selbst, an ihren Fragen, ihrer Identität, ihren Visionen und deren Auswirkung auf unterschiedlichen Ebenen.
Nehmen wir folgendes Beispiel.
Angenommen Sie wachen nach einem Terroranschlag oder einer längeren traumatischen Situation auf, in der ihr Lebensmotiv Angst, Ignoranz und Einschüchterung war und haben über die Jahre vergessen, wer Sie sind, also was in Ihrem Inneren liegt, was Ihre Integrität ausmacht. Sie müssen es vielleicht nicht gleich vergessen haben, aber Sie sind sich Ihrer feinen inneren Wahrnehmungen nicht mehr bewusst. Sie agieren wie durch einen Tunnelblick. Der Alltag hält sie gefangen. Sie bewegen sich wie in einer Tretmühle.
Wenn Sie dann zur Arbeit gingen, hätten Sie in diesem leicht traumatisierten Zustand große Schwierigkeiten damit, herauszufinden, was Sie dort machen sollen. Ihre Kollegen würden Ihnen Arbeit zuweisen, aber Sie wären sehr verwirrt und ängstlich. Nichts würde für Sie zusammenpassen.
Sie wären nach kurzer Zeit abhängig von Fremden und kämen sich vor, als lebten Sie das Leben von anderen. Ihre eigene Welt könnten Sie unmöglich dort draußen finden, weil dort die Welten von Milliarden von Menschen sind. Es ist wie ein Puzzel, in dem Sie sich selbst zusammensetzen sollen, ohne zu wissen, wer Sie sind. In einer solchen Welt sind alle Handlungen der Menschen geschwächt. Das Glück ist fern und unkonkret und wird nur in einer oberflächlichen Welt gesucht, wo es stets unerfüllt bleibt. Diese Form der Gesellschaft, ohne selbstbewusste Menschen, bietet die Möglichkeit dieses Volk unendlich zu manipulieren. Vielleicht versuchen Sie diese innere Leere durch übermäßigen Konsum auszufüllen, was eine Zeit lang die Wirtschaft beflügelt, aber irgendwann versiegt die Fähigkeit Neues zu schaffen. Die Zeiten ändern sich, eine Energiequelle verschwindet und die kreative Anpassungsfähigkeit wurde