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Norwegen - Eine späte Entdeckung
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eBook440 Seiten4 Stunden

Norwegen - Eine späte Entdeckung

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Über dieses E-Book

Norwegen, ein Sehnsuchtsort für viele. Wilde Natur, eine gefühlt entspanntere Lebensweise und die reichen Fischgründe ziehen immer
wieder Angler und sonstige Naturliebhaber in den hohen Norden Europas. Auch Klaus Mewes entdeckte das Land auf diesem Wege für sich. Aus der erst spät entstandenen Liebe für Norwegen entwickelte sich ein großes Wissen über Land und Leute, das er auch als langjähriger Reiseleiter gern mit seinen Gästen teilte.

In diesem Buch erzählt er von Erlebnissen mit Freunden, Gästen und Familie, verbunden mit tiefen Einblicken in Geschichte, Kultur und gesellschaftliche Entwicklungen. Ein Muss für Norwegen-Liebhaber und Menschen, die mehr über dieses unglaublich schöne Land erfahren möchten.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum24. Apr. 2023
ISBN9783347927407
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    Buchvorschau

    Norwegen - Eine späte Entdeckung - Klaus Mewes

    Von den heimatlichen Seen zum Meer

    Ich bin seit frühester Kindheit mit Fischgeruch groß geworden. Als kleiner Steppke habe ich jede freie Minute in der Mirower Fischerei Dinse verbracht, die sich nur wenige Schritte von unserem damaligen Zuhause im Fischergang befand. Später wurde ich ein begeisterter Angler, aber Norwegen, das war für mich lediglich der Name eines Landes, Welten von unserem damaligen Leben entfernt. Als Kind hatte ich eine Zeit lang Briefmarken gesammelt, und mit den vielen bunten Bildern war mein Interesse an fremden Ländern entstanden. Ich kannte aus Atlanten und Büchern das eigenartig langgestreckte Gebilde entlang der nördlichen Atlantikküste mit seinen vielen tiefen Einschnitten ins Festland, und auch über die Hauptstadt Oslo wusste ich ein wenig Bescheid.

    Die seltenen und zumeist knapp gehaltenen Kriegserzählungen meines Onkels Karl Mewes, der als Soldat die wilde Gegend oberhalb des Polarkreises kennen gelernt hatte, drehten sich ebenfalls um Norwegen. Skandinavien, das war für mich in der Kinderzeit vor allem Schweden, dort, wo unsere Tante Deta wohnte, die uns jeden Sommer besuchte und ein wenig von der unbekannten Ferne mit zu uns nach Mirow brachte.

    Da bis zum Ende der DDR das Reisen nach Norden, Westen und Süden ohnehin tabu war, lohnte es auch später nicht, allzu häufig darüber nachzudenken. Wir hatten mit unserem Alltag zu tun, mit Beruf und Familie, wir hatten unseren Freundeskreis, und wenn die Urlaubszeit nahte, plagte mich kein Fernweh. Für mich gab es nichts Schöneres als die heimatlichen Wälder und Seen. Unsere an Gewässern so reiche Gegend bot mir seit frühester Kindheit genügend Möglichkeiten, als passionierter Angler erfolgreich unterwegs zu sein.

    Es begann damit, dass alte Freunde mir Zug um Zug das Meeresangeln schmackhaft machten. Damit war Norwegen, das Mekka unzähliger Petrijünger, als nächstes großes Ziel eigentlich schon vorgezeichnet. Irgendwann würde es soweit sein, aber Mitte der 90er Jahre war dafür noch keine gute Zeit. Ich steckte mitten im Aufbau unserer 1991 gegründeten Reisefirma BTO International, hatte siebzig und mehr Wochenstunden zu absolvieren und schon etliche Jahre keinen einzigen Urlaubstag gesehen.

    Den ersten Stein warf Siegmar Hauffe, der mich eines Tages zu einem Angelausflug aufs Gelbe Riff überredete. Die Tour endete bereits nach wenigen Kilometern am Ortseingang von Mirow. Der Skipper, mit dem wir auf die Nordsee hinaus fahren wollten, hatte angerufen und den Termin abgeblasen, schlechtes Wetter war im Anmarsch, keine Chance. Wir machten daraus einen feucht-fröhlichen Grillabend, und ich war froh, am nächsten Tag wieder an meinem reichlich beladenen Schreibtisch zu sitzen.

    Auch der nächste Anlauf zum Gelben Riff scheiterte am Wetter. Aber nun hatten sich die Profis in unserer Gruppe vorsorglich um eine Alternative gekümmert, Heiligenhafen und Kutterangeln auf der Ostsee. Bei dieser Gelegenheit fing ich mit ausgeborgtem Geschirr meine ersten, knapp maßigen Dorsche. Ich besaß damals noch nicht einmal eigenes Gerät fürs Hochseeangeln.

    Im Rückblick war diese erste Angeltour auf dem Meer alles andere als märchenhaft. Fünfzig Petrijünger dicht an dicht entlang der Reling, das ständige Gequatsche einiger besonders aufdringlicher Alleswisser im Ohr, eine mürrisch-rustikale Crew, die peinlich darauf achtete, dass nur ihr überteuertes Bordbier getrunken wurde, hier und dort ein nicht sehr großer Dorsch, und dennoch, mit diesem Tag hatte mich die Meeresangelei gepackt.

    Ich begab mich anschließend auf einige größere Einkaufstouren und bestellte eine Fachzeitschrift für Meeresangler. Schon bald besaß ich die wichtigsten Utensilien, um fortan auch gerätetechnisch mit den Profis mithalten zu können. Musste ich zuvor überredet werden, es einmal mit dem Angeln auf hoher See zu probieren, fieberte ich nun jeder Gelegenheit entgegen, meiner neu entdeckten Leidenschaft freien Lauf zu geben.

    Und diese Gelegenheiten kamen. Zweimal, dreimal im Jahr ging es fortan zum Gelben Riff oder an den Øresund. Damals war ich noch keineswegs seefest und musste bei einer dieser Hochseetouren feststellen, wie qualvoll einem die Seekrankheit zusetzen konnte. Das hatte viel mit eigenem Verschulden zu tun. Wir waren am Abend mit einem kleinen Schulbus nach Hanstholm im Norden Jütlands aufgebrochen. Der Woldegker Eigentümer hatte uns den besten Preis angeboten, dabei jedoch verschwiegen, dass die Sitzplätze für Kinder, nicht aber für kräftig-füllige Erwachsene ausgelegt waren. An Schlaf war in der nächtlichen Enge kaum zu denken, also kreisten die Schnapsflaschen beim Erzählen der unzähligen Anekdoten.

    Übernächtigt und ordentlich angeschlagen stiegen wir frühmorgens vom Bus direkt auf den Kutter. Schon nach den ersten Wellenbergen wusste ich, dass wenig Schlaf und viel Alkohol eine ausgewachsene Seekrankheit garantierten. Nur nicht als erster die Fische füttern, das war mein Nahziel. Diese Angst hatte sich schnell erledigt, denn bald darauf stürzte Frank Weisbach ins Freie und bedachte die aufgewühlte See mit seinem Frühstück. Es wurde ein elender Tag auf See, und den meisten anderen Anglern ging es nicht besser als mir.

    Die Touren zum Gelben Riff litten häufig unter dem Wettervorbehalt, aber der legendäre Fischreichtum dieses Seegebiets zwischen den Küsten Jütlands und Südnorwegens ließ uns immer wieder neue Versuche starten. So passierte es mitunter, dass wir bereits vor Ort waren und vor dem plötzlich aufziehenden Schlechtwetter kapitulieren mussten. Das hat uns nicht entmutigt, weil sofort Alternativen in Angriff genommen wurden. An einem dieser Tage sind wir mit ordentlich Tempo sogar quer durch Dänemark getourt, um am Nachmittag noch ein paar schöne Angelstunden auf dem Øresund zu erleben.

    Bei einer anderen Gelegenheit landeten wir statt auf dem Gelben Riff auf der dänischen Insel Langeland, wobei die Heimreise zu einem echten Abenteuer wurde. Wir mussten per Fähre zur Insel Lolland übersetzen, das Schiff war randvoll und wir standen mit unserem Auto als eine der Letzten bereits auf der Laderampe. Plötzlich hieß es zurücksetzen, nächste Fähre nehmen, hier muss noch ein Linienbus Platz finden. Das kam für uns nicht in Frage, denn es wäre das Aus für unsere letzte Gedserfähre nach Hause gewesen. Also weigerten wir uns, nichts half, die Polizei wurde gerufen, wir blieben und blockierten erfolgreich das Schließen der Laderampe. Plötzlich erschien der Kapitän, erkannte sofort die vertrackte Situation, ließ ein paar Autos dichter zusammenrücken und siehe da, nicht nur für uns, sondern auch für den hinter uns wartenden Bus gab es plötzlich noch ausreichend Platz. Der ganze Tumult hatte jedoch so viel Zeit gekostet, dass unsere Heimatfähre eigentlich schon abgehakt werden konnte. Aber kapitulieren kam für uns keinen Moment in Frage. Wie die Henker rasten wir durch Dänemark, um tatsächlich noch in allerletzter Sekunde das Scandlines-Fährschiff zu erreichen.

    Den größten Erfolg hatten wir auf der „Thailand, einem umgebauten Fischkutter, auf dem in einem einzigen Raum unter Deck bis zu fünfundzwanzig Angler übernachten konnten. Das Schiff, das wir gelegentlich für Zweitagesfahrten buchten, war total verludert. In der einzigen Gästetoilette klebte aus unerfindlichen Gründen ein „großes Geschäft direkt über dem Klobecken an Wänden und Decke, und auch die Crew war stark gewöhnungsbedürftig. Aber der Skipper Tommy Pedersen wusste, wo es Fisch gab und dort, wo er anhielt, ging es richtig zur Sache.

    Bei einer dieser Gelegenheiten hatte ich den Dorsch meines Lebens am Haken. Der riesige Fisch lag bereits abgekämpft an der Oberfläche, ging aber dann beim Gaffen doch noch verloren. Der Verlust schmerzte, welcher Angler bleibt schon angesichts eines möglichen Rekordfangs frei von Emotionen. Aber für Niedergeschlagenheit blieb keine Zeit, denn es ging weiter, und die nächsten großen Fische ließen nicht lange auf sich warten.

    Abends fanden sich die Angler in ihren würzig riechenden Fischklamotten im einzigen Unterdeck-Raum ein, reichlich trinkend, Knoblauch und Zwiebeln essend, und so mancher „Mecklenburgische Bierfriedrich" strich dabei durch den Raum. Das Erzählen der vielen Anglergeschichten wollte und wollte kein Ende nehmen. Das abendlich-nächtliche Flair unseres Quartiers war nur etwas für ganz harte Burschen. Einige empfindsame Jungs zogen es tatsächlich vor, die Nacht lieber an Deck zu verbringen.

    Die „Thailand blieb lange Zeit unser Favorit für die Angeltouren zum Gelben Riff. Irgendwann blieb der Skipper verschwunden, und der Steuermann übernahm das Kommando. Er war stets guter Dinge, wusch sich wohl eher selten und konnte so herrlich lachen mit seinem einzigen Kuchenzahn in den ansonsten total blanken Kauleisten. Aber er wusste ebenso wie sein verschwundener Chef, wo der beste Fisch zu finden war. Das allein war für uns wichtig. Über den verwahrlosten Zustand der „Thailand sahen wir hinweg und hielten dem Kutter die Treue. Inzwischen gibt es das Schiff offenbar nicht mehr. Dem Vernehmen nach liegt es irgendwo auf dem Meeresgrund.

    Eine zweite Fangregion aus meinen ersten Jahren auf dem Meer war der Øresund. Das Seegebiet zwischen den Küsten Dänemarks und Schwedens war im Herbst und vor allem im Winter bekannt für gute Herings- und Dorschfänge. Ich war Neuling, aber die meisten anderen aus unserer Gruppe kannten sich hier bereits gut aus.

    Gleich bei meiner ersten Ausfahrt zahlte ich tüchtig Lehrgeld. Aus meinen wenigen Kuttertouren wusste ich, dass die begehrtesten Angelplätze an Bug und Heck lagen. Es wehte kräftig, und ich wunderte mich, dass sich alle Angler in einer geschützten Ecke unterhalb der Brücke versammelten. Also nutzte ich die Gelegenheit und nahm Kurs auf die vereinsamte Bugspitze. Wenige Augenblicke später war ich klüger. Gleich der erste Brecher verpasste mir eine ordentliche Dusche. Gefühlt ein Liter winterfrisches Meerwasser landete in meinem offenen Jackenkragen. Gelächter und gutmütiger Spott empfingen mich, als ich mich pudelnass zu den anderen gesellte. Alles war halb so schlimm, ich verrieb die Nässe in meinen Sachen so gut es ging. Als wenig später die Angelei begann, hatte die Körperwärme das Problem schon fast beseitigt.

    An den Øresund-Touren nahm auch Herbert Knuth gelegentlich teil, mein alter Freund aus Starsower Zeiten. Mit ihm war ich viele Jahre lang auf unseren heimatlichen Gewässern unterwegs gewesen. Das Meeresangeln war für ihn eine neue Erfahrung, die er sich als alter Fuchs rasch zu eigen machte. Ich habe ihm viel zu verdanken, er war immer helfend zur Stelle, auch in manch einem Wellental meines Lebens. Herbert ist leider viel zu früh verstorben. Sicherlich hätte auch er gern unser späteres Zuhause an der norwegischen Fjordküste kennen gelernt.

    Die Gruppentouren der ersten Jahre haben mich als Meeresangler klüger gemacht. Ich war Anfänger und konnte mir bei den Profis einiges an Fangtechnik abschauen. Ich lernte, aus dem riesigen Angebot an Angelgeräten die richtige Auswahl zu treffen. Nicht alles, musste ich feststellen, war in jedem Angelrevier gleichermaßen erfolgreich.

    So hatte ich etwas über Kleingehacktes aus Leber und rohem Fisch gelesen. In hauchzarten Damenstrumpf-Resten verschnürt, sollte diese Mixtur einen vorzüglichen Köder abgeben. Mit solchen Mozartkugeln, wie wir sie nannten, bin ich eines Winters zum Øresund aufgebrochen, völlig sinnlos, wie sich herausstellte. Die verschlossene Blechdose mit den vorgefertigten Kugeln stand auf der Heizung unseres Quartiers und „arbeitete" in der Wärme vor sich hin. Meinem Neffen Christoph, mit dem ich das Zimmer teilte, packte die Neugier, was wohl in der Dose sein könnte. Ich erzählte ihm ein paar Räuberpistolen und erlaubte ihm erst bei der Abreise, sie zu öffnen. Er fuhr entsetzt zurück, als ihn der fürchterliche Gestank ins Gesicht sprang.

    Wir haben gute gemeinsame Zeiten erlebt auf unseren Gruppentouren, echte Kameradschaft, manch feuchtfröhlichen Abend und tolle Erlebnisse auf See, die ich niemals missen möchte. Am Øresund wohnten wir meistens im Hornbæker „Søbakkehus", einer ganz einfachen Herberge, aber Komfort war für niemanden von uns wichtig. Dafür gab es bei den Jensens dort am ersten Abend immer einen deftigen Schweinebraten mit knusprig-krachender Kruste. Der Schweinebraten mit Musik wurde zu einem Markenzeichen unserer Touren an den Øresund und durfte in keinem Jahr fehlen.

    Sommertag am Mirower See

    Der heimatliche Fehrlingsee

    Auf dem Weg zum Nordseefisch

    Mit der Thailand unterwegs zum Gelben Riff

    Da ist er! Vielleicht ein richtig guter Dorsch?

    Die Größten kommen aufs Foto

    An Bord wird gleich filetiert

    Kleine Fachsimpelei unterwegs

    Nicht schlecht der Dorsch, wenn nur eine Hand frei ist…

    Anglercamp hinter den Dünen

    Unser Quartier am Øresund

    Faszination Fjordnorwegen

    Im Sommer 2000 begann meine Norwegenzeit. Damals war in unserem Freundeskreis der Wunsch nach einem gemeinsamen Urlaub in nördlichen Breiten entstanden. Einige kannten Norwegen schon ein wenig und schwärmten in höchsten Tönen von der Schönheit des Landes. Ich war noch weit weg von diesem Thema, so dass ich die Sache wegen des erhofften, erwarteten Fischreichtums zwar positiv betrachtete, selbst aber keinerlei Zeit und Aufwand in die Vorbereitungen steckte. Ich ließ mich überraschen.

    Unser erstes Ziel war der Bognafjord oberhalb von Stavanger. Das Ferienhaus mit eigenem Bootsanleger, großer Terrasse, Indoor-Schwimmbad und schönen Zimmern lag direkt am Meer und bot ausreichend Platz für unsere elfköpfige Freundesgruppe. Sicher, die felsige und leicht bergige Landschaft drumherum war eher wenig spektakulär im Vergleich zu anderen Regionen Norwegens, die ich später kennen lernen sollte. Dennoch haben mich die Fjordgewässer mit ihren vielen Inseln und Riffen, die Weiten des nur spärlich besiedelten Landes schon dort beeindruckt. Auch mit dem Angeln klappte es am Bognafjord nicht schlecht. Neben den reichlichen Fischmahlzeiten konnten wir noch etliche Gefriertüten mit fangfrischen Filets füllen.

    Da wir das schöne Ferienhaus nur für eine Woche mieten konnten, zogen wir danach um in den kleinen Ort Tveita. Er lag viele Kilometer von der Küste entfernt im bergigen Landesinneren, ziemlich am Ende eines verzweigten Fjordsystems. Auch hier hatten wir Glück mit unserem neuen Domizil direkt am Fjord. Schwimmbad, große Freiterrasse, schöne Zimmer, alles war in bester Ordnung.

    Die Eigentümerin, eine attraktive rotblonde Mittvierzigerin, hieß wie etliche weitere Familien Tveita, genau wie der Ort selbst. Das gab zunächst Anlass zu allerlei dunklen Vermutungen. Erst später, als ich mich eingehender mit der Namensgeschichte befasst hatte, klärten sich die Hintergründe auf. Bis ins 19. Jh. hinein blieb es nämlich auf dem Lande wenig üblich, dass die einfachen Leute Nachnamen besaßen. Das war den wohlhabenden und gebildeten Schichten vorbehalten, bei denen die Nachnamen der Kinder sich aus den Vornamen der Väter bildeten, versehen mit der Nachsilbe „son für die männlichen und „dottir oder „datter" für die weiblichen Nachkommen. Unter den einfachen Leuten, zumal auf dem Lande, hatte man einen Rufnamen, und damit war die Sache erledigt. Wenn es tatsächlich zwei Haralds auf einem Hof gab, dann war der eine eben der große und der andere der kleine.

    Diesem Wischiwaschi machten die Behörden irgendwann ein Ende. Nun musste sich ein jeder einen Nachnamen zulegen. Und was machten die kleinen Leute häufig in den Weiten des Landes? Sie entschieden sich für den Namen ihres Ortes, ihrer Insel, ihres Wohnplatzes. Aus diesem Grund gab es in Tveita etliche Tveita-Familien. Später habe ich auf anderen Dorffriedhöfen Gleiches vorgefunden. Viele Namen auf den Grabsteinen waren identisch mit dem des Ortes oder eines nahen Wohnplatzes.

    Mit den Fischen war es allerdings in der Tveita-Region nicht weit her. Mitunter dauerte es Stunden, bis wir unser Abendessen beisammen hatten. Eine Ausnahme bildeten die Makrelen, die es in solchen Massen gab, dass wir mit unseren Angeln in den dichten Schwärmen einfach hängen blieben. Unsere eigentlichen Zielfische über dem Meeresgrund erreichten wir häufig gar nicht.

    Die Makrelen werden von den Einheimischen sehr geschätzt. Kalorienreich und mit viel Omega-3-Fettsäure versehen, waren sie seit jeher eine wichtige Nahrungsquelle. Unter uns fanden die frisch gebratenen Makrelen ein geteiltes Echo, denn ihr intensiver, bisweilen sogar strenger Geschmack war nicht jedermanns Sache. Das änderte sich erst, als unsere Frauen die knusprigen Makrelenfilets wie Bratheringe sauer einlegten und zwei Tage lang ziehen ließen. Damit war eine weitere Fischspezialität entdeckt worden, der selbst die eingefleischten Makrelengegner unter unseren Freunden nicht widerstehen konnten.

    Nach einiger Zeit waren die Fischer auf die Makrelenschwärme aufmerksam geworden. Eines späten Abends begannen zwei, drei Trawler die Fjordgewässer rund um Tveita herum abzufischen. Dennoch blieben die Makrelen auch danach so zahlreich, dass wir sie nach Belieben vom Bootsanleger aus fangen konnten. Nur die größten nahmen wir für unseren neu entdeckten Bratfischtopf mit.

    Das Defizit an Fischen wurde durch die schöne Berglandschaft mehr als wettgemacht, die sich rund um das Tveita-Haus erstreckte und in hohen Felswänden bis an die Fjordküsten heranreichte. Wie sehr auch das Landesinnere reich an dramatisch schönen Landschaften war, sollte uns der Abreisetag zeigen. Staunend durchquerten wir die zweitausend Meter hohe Ryfylke-Bergwelt auf der gleichnamigen Nationalen Landschaftsstraße und nahmen unseren Weg zum Fährhafen Kristiansand.

    Wie auch immer, mit diesem Sommerurlaub hatte mich die Norwegen-Leidenschaft gepackt. Obwohl ich als Touristiker ständig auf Reisen war und viele andere Länder kannte, kreisten meine Gedanken fortan nur noch um die Fjorde des Nordens. Eine Zeitlang hing ich weiterhin am Tropf meiner Angelfreunde, die unsere Touren organisierten. Erst später wurde aus mir ein Antreiber und Initiator. Der Sognefjord, der Halsafjord und danach vor allem der Masfjord waren die nächsten Wegmarken, bevor ich schließlich an der Trondheimsleia heimisch wurde.

    In den folgenden zwei Jahren buchten wir eine Angelwoche in Risnes an einem Seitenarm des Sognefjords, dem längsten und tiefsten aller norwegischen Fjorde. Unsere schöne Ferienhütte gehörte Oddvar Hotleb, der wie viele Norweger auf mehreren Hochzeiten tanzte. Er war für ein Energieunternehmen tätig, besaß aber auch eine Landwirtschaft, einige Ferienhütten und ein großes Jagdrevier.

    Trotz seiner vielen Arbeit nahm er sich immer Zeit für einen kleinen Plausch. Er sprach leidlich gut deutsch und erzählte uns viel Interessantes über seine Heimatregion und die hiesige Lebensweise. Von ihm erfuhren wir, dass in den 20er Jahren an der Felswand hinter dem Dorf eines der ersten norwegischen Postflugzeuge bei dichtem Nebel zerschellt war. Später haben die Einheimischen den Verunglückten ein kleines Denkmal errichtet.

    Oddvar lehrte uns, auf die Vorzeichen einer aufziehenden Schlechtwetterfront zu achten. Man muss Achtung vor dem Meer haben, lautete sein Credo. Deshalb ließ er in der sturmreichen Winterzeit keine auswärtigen Gäste aufs Meer hinausfahren. Auch wir sollten später erleben, wie wichtig es war, die Vorboten eines Sturms rechzeitigt zu erkennen. Oddvar trank gern einen Schnaps mit uns und verströmte höchstes Glücksgefühl, wenn er, in einer Hand das Whiskyglas, in der anderen eine brennende Zigarre, zum Himmel schaute und genussvoll feststellte: Smeckt sön!

    Nur mit der Angelei war es in Oddvars heimatlichem Lifjord nicht weit her. Hier ein paar maßige Köhler, Pollaks und Dorsche, dort etwas Leng und Schellfisch, auch ein größerer Steinbeißer war eines Tages dabei. In diesen Größenordnungen bewegten sich unsere täglichen Fänge. Es reichte für den abendlichen Bratfisch und ein paar Filetpackungen in der Kühltruhe, mehr war nicht drin. Erst später, als wir erneut nach Risnes zurückkehrten, ließ uns der Sognefjord an seinem Fischreichtum teilhaben.

    Dafür sichteten wir gleich bei unseren ersten Ausfahrten einige Schweinswale, die uns neugierig begleiteten und nur wenige Meter von uns entfernt elegant durchs Wasser glitten. Damals wusste ich noch nicht, dass Wale in der Nähe von Anglern nichts Gutes bedeuteten. Sie waren auf Beutefisch aus und verjagten alles, was für unsere Angelei interessant sein konnte.

    Noch eine weitere Entdeckung machten wir, als an einem Sturmtag keine Ausfahrt möglich war. Oddvar gab uns den Tipp, im wenige Kilometer entfernten Hafen von Leirvik gäbe es prima Schollen. Muschelfleisch als Köder war schnell besorgt, und bald schon zappelten die ersten Plattfische an unseren Angeln. Das Schollenangeln wurde mehr als ein Ersatz für den entgangenen Tag auf dem Meer. Am Abend gab es Schollen frisch aus der Pfanne, eine kulinarische Köstlichkeit, die sogleich einen zweiten Ausflug nach Leirvik auf den Plan rief.

    Der Lifjord war durch zwei enge Passagen mit dem riesigen Sognefjord verbunden, in denen bei jedem Gezeitenwechsel eine enorme Strömung herrschte. Unsere kleinen, nur leicht motorisierten Boote hatten es mitunter schwer, diese Barrieren aus reißenden Wassermassen zu bezwingen. Außerhalb der größeren Durchfahrt befand sich auf der Halbinsel Nesje ein verlassenes Militärcamp, dessen deutsch-norwegische Geschichte uns Oddvar erzählte. Im Zweiten Weltkrieg hatten die Deutschen dort eine befestigte Artilleriestellung errichtet, um den Zugang zum inneren Sognefjord unter Kontrolle zu behalten. Nach Kriegsende übernahm die norwegische Armee den Stützpunkt mit allen Waffen und hielt ihn weiter in Betrieb.

    Oddvar kam bei der Erzählung über diese Zeit ins Schwärmen, denn er hatte dort seinen Militärdienst abgeleistet. Es müssen für ihn paradiesische Zustände gewesen sein. Morgens fuhr er mit seinem Boot hinüber und war nachmittags zur Kaffeezeit rechtzeitig wieder zu Hause. Dabei erfuhren wir auch, wie es zur Schließung des Camps gekommen war. Ein Übungsschießen mit scharfen Granaten auf dem Sognefjord war anberaumt worden. Wie es damals üblich war, sollte das Zielobjekt von einem Schleppschiff an einem etliche hundert Meter langen Seil übers Wasser gezogen werden. Granaten und Geschütze, alles war Kriegsware aus den alten Wehrmachtsbeständen. Der Abend vor dem Schießtraining muss jedoch schwer aus dem Ruder gelaufen sein. Jedenfalls war eine der Geschützbesatzungen alles andere als gefechtsbereit und schickte um ein Haar das Schleppschiff auf den Grund des Fjords. Die Schuld bekamen schließlich die alten deutschen Kanonen, deren Treffsicherheit nun wohl doch zu sehr nachgelassen hatte. Mit diesem Beinahe-Eklat fanden deren Gebrauch und auch der Militärstützpunkt ein Ende. Als wir später die Region für uns entdeckten, hatte die Natur den einstigen Militärstützpunkt bereits überwuchert. Nur einige Bunker und betonierte Geschützstellungen waren noch zu erkennen.

    Einige Jahre später verschaffte Oddvar uns einen neuen Freundschaftskontakt in Risnes. Unsere größer gewordene und auseinandergedriftete Angler-Freundestruppe wollte noch einmal gemeinsam nach Norwegen fahren. Das Ferienhaus am Masfjord, in dem wir inzwischen mehrmals im Jahr Quartier gemacht hatten, war für unsere achtköpfige Mannschaft zu klein. So kamen Oddvars Ferienhäuser erneut ins Spiel. Er freute sich, nach langer Zeit wieder etwas von uns zu hören, aber nein, helfen könne er uns nicht, alle seine Ferienhäuser wären ausgebucht. Er gab uns aber den entscheidenden Tipp. Ein Paar aus Deutschland hätte die alte Lachsfarm gekauft und würde auch Ferienwohnungen vermieten. Die beiden seien in Ordnung, er hätte ihnen auch ein wenig Starthilfe gegeben, und dort könnte es mit unserer großen Gruppe klappen.

    Wilma und Andreas stammten aus der Oranienburger Gegend, hatten am Sognefjord jahrelang Urlaub gemacht und irgendwann beschlossen, nach Norwegen auszuwandern. Er als Auto-Karosseriemeister, sie als Marketing-Chefin eines großen Hotels hatten ihre gesicherte heimatliche Existenz an den Nagel gehängt und in Norwegen neu angefangen. Als ich die beiden kennenlernte, arbeitete Wilma im Sparmarkt von Hyllestad und Andreas auf einer Lachsfarm gleich um die Ecke auf dem Sognefjord.

    Das größte Wagnis waren die beiden jedoch mit der alten Lachsfarm eingegangen, an die wir uns aus unseren früheren Aufenthalten in Risnes erinnern konnten. Das massive, teils zweistöckiges Gebäude aus den Anfängen der Fischfarmen stand halb an Land und teils auf Pfählen im Fjord. Alles in allem ging es um eine ziemlich heruntergekommene, fast tausend Quadratmeter große Lebensaufgabe, wunderschön gelegen, aber eigentlich kaum zu schaffen für zwei nicht mehr blutjunge Neuankömmlinge.

    Als ich die beiden kennenlernte, hatten sie bereits den Wohnteil des Anwesens gut in Schuss gebracht. Unten befand sich die Wohnung der neuen Eigentümer, darüber zwei Ferienwohnungen, von denen die eine riesengroß mit Platz für acht bis zehn Leute war. Den von einem Betonkai umgebenen zweiten Gebäudeteil, einst von der Lachsfarm als Wirtschaftsraum genutzt, hatte Andreas an seinen neuen Arbeitgeber vermietet. Die gesamte ebene Dachfläche darüber war begehbar und diente den beiden Ferienwohnungen nun als riesige Außenterrasse mit tollem Fjordblick.

    Mit Wilma und Andreas landeten wir einen Volltreffer. Andreas kannte sich aus in den Fischgründen des Sognefjords, was sich vorteilhaft auf unsere Fänge auswirken sollte. An manchen Tagen war es einfach nicht zu schaffen mit dem vielen Fisch. Nach wenigen Angelstunden machten wir Schluss und hatten danach lange Zeit zu tun, um den Fang in der gebotenen Qualität zu verarbeiten.

    Eines Tages lud uns Andreas auf seine Fischfarm ein. Alles dort war hochmodern und automatisiert, die Mannschaft hatte kaum mehr zu tun, als an den diversen Monitoren die Abläufe zu überwachen. Die Anlage bestand aus zehn Rundkäfigen mit einem Durchmesser von ca. achtzig Metern, die bis in vierzig Meter Tiefe reichten. In jedem Käfig lebten bis zu einhundertzwanzigtausend Lachse. Auf dem Versorgungsschiff, das die Futtersilos, die Überwachungstechnik, Werkstätten und Mannschaftsräume beherbergte, wähnte man sich in einem 4-Sternehotel. Es gab aber auch Arbeitsspitzen, wenn Lachse sortiert oder abgefischt wurden, wenn Säuberungsarbeiten anfielen oder eine der gefürchteten Krankheiten ausbrach. Bei der Gelegenheit erfuhren wir viel Neues über die Segnungen, aber auch über die enormen Risiken der Farmen, die wie bei jeder Art von Intensivtierhaltung latent vorhanden waren.

    Andreas erzählte uns, dass sein Start in die norwegische Arbeitswelt etwas holprig verlaufen war. Er sei rastlos und umtriebig gewesen, wollte dieses und jenes machen, wofür die Stammbesatzung später Zeit finden wollte. Kurz, er verbreitete Unruhe und ging den Fischern, die es gewohnt waren, recht lange bei gemütlichem

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