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Leinen Los: Unter Segeln in den Ruhestand (Reisebericht)
Leinen Los: Unter Segeln in den Ruhestand (Reisebericht)
Leinen Los: Unter Segeln in den Ruhestand (Reisebericht)
eBook421 Seiten4 Stunden

Leinen Los: Unter Segeln in den Ruhestand (Reisebericht)

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Über dieses E-Book

Leinen los - Unter Segeln in den Ruhestand

Den „drohenden“ Ruhestand nehmen Ernst und Ingrid als Chance für eine neue Herausforderung. Sie kaufen sich ein 35-Jahre altes Segelboot und fahren von Schweden über die Ostsee, die Kanäle und Flüsse Europas und das Schwarze Meer bis ins Mittelmeer.

Aus dem Inhalt:

Mangelnde Erfahrung, die starke Strömung des Rheins, Probleme mit dem Motor und eine teils schwierige Versorgungslage, machen es manchmal nicht leicht, die Reise in den Ruhestand entspannt zu genießen.
Doch mit verstärktem Einsatz, dem Rat erfahrener Skipper und einem offenen Lächeln gelingt es Ernst und Ingrid, über Ostsee, Kanäle, Rhein und Donau bis in Regionen vorzudringen, wo weiße Sandstrände an wilden Flussinseln und romantische Ankerplätze in einsamen Buchten jegliche Mühen der Reise entlohnen. Im rumänischen Donauhafen Tulcea wird das Boot wieder mit seinem Mast bestückt und für das Schwarze Meer aufgetakelt, von wo aus die Segler in die weitläufige türkische und griechische Inselwelt vorstoßen.

Über insgesamt 3 Jahre sind Ingrid und Ernst Gocksch in mehreren Etappen unterwegs und meistern eine Reise auf 13.000 Kilometern durch 18 Länder Europas. Spannend, selbstkritisch und humorvoll erzählt Ernst Gocksch von den vielen vergnüglichen und manchmal auch heiklen Episoden der Reise. Ein Buch, das mitnimmt auf eine Reise unter Segeln und Mut macht, den Ruhestand als Gelegenheit zu neuen Herausforderungen zu nutzen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum11. Jan. 2013
ISBN9783944365121
Leinen Los: Unter Segeln in den Ruhestand (Reisebericht)

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    Buchvorschau

    Leinen Los - Ernst Gocksch

    Bildnachweis:

    Die Bilder des Textteils: Ernst Gocksch

    Coverfoto: Ernst Gocksch

    Kartenicon: © Stepmap GmbH, Berlin

    Karten: Ernst Gocksch

    Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

    © 2012 traveldiary.de Reiseliteratur-Verlag, Hamburg

    www.reiseliteratur-verlag.de

    www.traveldiary.de

    Der Inhalt wurde sorgfältig recherchiert, ist jedoch teilweise der

    Subjektivität unterworfen und bleibt ohne Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Bei Interesse an Zusatzinformationen, Lesungen o.ä. nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf.

    Umschlagentwurf und Layout: Jürgen Bold, Jens Freyler

    Satz: Jens Freyler

    Druck: Standartu Spaustuve

    ISBN 978-3-944365-12-1

    Ernst Gocksch

    Leinen los

    Unter Segeln in den Ruhestand

    Inhalt

    Mit einer Vision fing es an

    Erste Etappe

    Ein Start mit Gegenwind

    Die spannende Fahrt auf den Kanälen

    Zweite Etappe

    Herausforderung am Rhein

    Mit würzigem Bier über die Wasserscheide!

    Schöne blaue Donau

    Begegnungen auf der Donau

    Grenzen und Grenzbeamte

    Leckerer Fisch und wilde Hunde

    Dunkelheit und unbeleuchtete Häfen

    Fahrt durch das Insel-Labyrinth

    Überraschendes Winterlager

    Dritte Etappe

    Donaudelta mit Froschkonzert

    Gestrandet vor Constanta!

    Die drohende Festnahme!

    Der weiße Mantel

    Mooringleine, was ist das?

    Wir erreichen das Mittelmeer

    In Schweden ist Ankern einfacher!

    Vierte Etappe

    Herrliche Buchten und blinde Passagiere

    Trompetensolo in der Bucht der Insel Levitha

    Skipperehre und Ankersalat

    Von den schönsten Plätzen vertreibt uns der Wind

    Wir werden gerammt!

    Fünfte Etappe

    Albanien ist wohl doch zu schwierig

    Die längste Nacht!

    Tosende Wasserfälle in üppiger Vegetation

    Gewitter zwischen den Inseln

    Istrien lockt mit zauberhaften Städtchen

    Letzte Etappe

    Mit Schwung auf die Buhne!

    Wirtshaussingen am Main

    Der Rhein – diesmal mit der Strömung

    Mit aufgetakeltem Boot zurück nach Schweden

    Empfang in Schweden: Opernabend und Hafenfest

    Anhang

    Information zum Boot, zur Ausrüstung, zur Tour

    Danksagung

    Karte der Gesamtroute

    Mit einer Vision fing es an

    Der Abschied aus dem aktiven Berufsleben ist vergleichbar mit dem letztmaligen Herunterfahren eines alten Büro-Computers: Im schlimmsten Fall wird er gleich entsorgt, im besten Fall taugt er noch zum Spielen für die Enkelkinder – das war meine Vorstellung, meine Horrorvorstellung, schon Jahre bevor der Ruhestand kam. Mir wurde klar, dass ich rechtzeitig einen Plan für diesen neuen Lebensabschnitt entwickeln musste!

    Ingrid, meine Frau, und ich waren schon früher alljährlich in den Schären an der schwedischen Ostküste mit einem kleinen Boot gesegelt. Es machte uns Freude und wir fühlten uns trotz geringer Segel-Erfahrung auf dem Meer doch ausreichend sicher – zumal wir bei stärkeren Winden immer schnell Schutz hinter einer Schäre finden konnten. Ein Abenteuer sozusagen mit Netz und doppeltem Boden. Keiner von uns besaß einen Segelschein oder Ähnliches und irgendwelche diesbezüglichen Lehrgänge hatten wir auch nicht absolviert.

    Die Segeltouren fanden natürlich nur in der kurzen Urlaubszeit statt und dauerten gewöhnlich einen, selten mehrere Tage. Als begeisterte Schweden-Fans hatten wir uns bereits vor Jahren an der schwedischen Ostseeküste in Adriansnäs, das zur Gemeinde Figeholm gehört und etwa 30 Kilometer nördlich von Oskarshamn liegt, ein kleines Ferienhaus gekauft. Dort lag auch unser Boot während des Jahres in einer kleinen Werft, mit deren Besitzer Tomas ich mich etwas angefreundet hatte.

    Beim Betrachten einer Europakarte kam mir schon vor vielen Jahren die Idee, nicht nur zwischen den wunderschönen Schären in Schweden, sondern auch irgendwann einmal in den „blauen Wassern" des Mittelmeers zu segeln. Dabei reizte mich vor allem die Bewältigung des langen Weges von Schweden bis zum Mittelmeer mit einem eigenen Boot! Konnte das ein Konzept für den Ruhestand sein? Würde das die richtige Herausforderung sein?

    Die ersten Diskussionen mit Ingrid, deren Rolle in unserer nunmehr 40-jährigen Ehe das Zurückstutzen meiner manchmal etwas ausufernden Ideen auf ein gemeinsam realisierbares Niveau ist, ergaben einige „Randbedingungen":

    • Ein besser geeignetes, vor allem größeres Schiff mit einer Toilette und bequemen Schlafplätzen an Bord müsste erstanden und vorher auf einer etwas längeren Reise erprobt werden,

    • die Tour dürfte in keinem Fall „außen rum", also durch den Ärmelkanal und über den Atlantik gehen. Das traute mir Ingrid in keinem Fall zu, weil mir eindeutig die Erfahrung fehlte. Wenn überhaupt, dann nur nach einer noch zu klärenden Überquerung der Ostsee weiter durch die Flüsse und Kanäle

    • und ich durfte die Idee vorerst allenfalls als Vision behandeln, denn richtig überzeugt war sie nicht.

    Eine Fernsehsendung über zwei Ehepaare, die ihre Segelboote von der Nordsee über den Rhein, die Mosel, einige Kanäle und die Rhone in das Mittelmeer überführten, brachte bei Ingrid aber schon fast den Durchbruch. Insbesondere die Schwärmereien über die netten kleinen Orte mit gastlichen Restaurants und gemütlichen Bars mit leckerem Wein sowie die herrliche Landschaft übten einen unwiderstehlichen Reiz auf sie aus. Probleme wurden in dem Beitrag nicht erwähnt, also gab es wohl keine. Das müssten wir doch auch können!

    Nun traute ich mich, auch anderen Leuten von meiner Vision zu erzählen, frei nach dem Motto, auch eine verrückte Idee kann ein Gespräch bereichern. Und siehe da: neben den oft etwas mitleidig lächelnden Reaktionen gab es auch positive Bemerkungen und unterstützende Hinweise. So erfuhren wir von einem Architekten, der eine ähnliche Reise gemacht haben sollte. Ein sehr lockerer und grundsätzlich positiv eingestellter Mensch. Bei meinem spontanen Anruf erzählte er, er habe die Reise bis Italien während eines Jahres unternommen, in dem er sich aus seinem Beruf beurlauben ließ. Die Nachahmung könne er nur empfehlen! Er sei allerdings über die Donau, das Schwarze Meer und dann durch den Bosporus gereist, weil die Donau doch viel interessanter sei als die Rhone, da sie der letzte weitgehend naturbelassene Strom in Europa ist.

    „Gab es denn keine Probleme in Serbien, Rumänien oder Bulgarien?", fragte ich ihn.

    „Nein, überhaupt nicht. Sind alles nette Menschen, sehr hilfsbereit zudem. Und dann fing er an zu schwärmen. Es wurde ein langes, sehr informatives und vor allem motivierendes Gespräch. Möglichst wortgetreu gab ich anschließend alles sofort an Ingrid weiter und siehe da, es zeigte Wirkung: Ingrid, Mutter unserer zwei erwachsenen Söhne und inzwischen glückliche zweifache Großmutter, wollte sich zwar nicht an die Spitze der Bewegung setzen, aber mir zuliebe ließ sie doch erste Begeisterung erkennen. Wir wurden uns einig! Das ganze Unternehmen erhielt den Status eines Planes und wir verfolgten die Variante „Donau.

    Das klang einfach zu verlockend, weil die Donau uns so fremd war. Sie fließt durch viele wenig bekannte Gegenden und Staaten – und es sollte ja vor allem eine Herausforderung sein, die einen fordert und somit einen Ausgleich zum Loslassen des Berufslebens bietet. Gleichzeitig musste die Reise aber mit unseren Möglichkeiten vereinbar und für beide Partner akzeptabel sein. Letzteres war besonders wichtig, denn es stand nie zur Diskussion, die Reise allein oder mit einem Bekannten zu machen.

    Zwei Jahre waren es noch bis zur Pensionierung aus dem Dienst in der niedersächsischen Wasserwirtschaftsverwaltung. Was war noch alles zu erledigen? Am besten das Unangenehme zuerst: die Prüfungen für die Sportbootführerscheine für die See sowie für Binnengewässer.

    Im Lehrgang war ich mit Abstand der Älteste. Der von einem forschen jungen Mann gestaltete Unterricht war kurzweilig und belebt durch spannende Geschichten von seinen vielen Segeltouren. Nur das Lernen für die Prüfung blieb ein Problem, da half nur auswendig lernen! In der Jugend ist das zwar deutlich leichter, aber im Alter hat man auch so seine Tricks für Prüfungen: Einfach zu jeder Frage viel schreiben, irgendetwas wird schon gewertet werden. Wenn es zumindest logisch klingt und nett formuliert ist, wird doch kein Prüfer völlig hartherzig sein und nicht wenigstens einen Anerkennungspunkt gewähren? Nach diesem „Wer-schreibt-der-bleibt"-Prinzip erhielt ich dann auch tatsächlich schon im ersten Anlauf meine beiden Scheine! Ingrid ersparte sich den Stress der Prüfungen und blickte nur ab und zu in die Lehrbücher.

    Unser bisheriges Boot konnten wir nach dem Sommerurlaub schnell in Schweden verkaufen. Und im Internet fanden wir nach einigem Suchen eine gebrauchte Albin Vega 28, Baujahr 1971 als Nachfolgerin. Da wir keine Experten waren, mussten wir immer wieder Bekannte und vor allem Tomas um Rat fragen. Das Boot hatte den Namen „Convallaria", die lateinische Bezeichnung des Maiglöckchens. Wir behielten ihn bei, weil eine Änderung Unglück bringen soll – und weil es viel Mühe macht, einen neuen Namen am Schiff korrekt anzubringen.

    Im letzten Sommer vor der Pensionierung segelten wir damit von Adriansnäs durch die Schären bis nach Stockholm und zurück. Am Ende dieser Reise wollten wir uns endgültig für oder gegen unseren Plan entscheiden.

    Es begann mit gutem Wetter und günstigen Winden. Die Stimmung an Bord war hervorragend. Leider änderte sich das Wetter schon am zweiten Tag, wir bekamen ausdauernden Landregen. Aber nun zeigten sich die wirklichen Qualitäten meiner Ingrid: „So ein bisschen Regen ist doch kein Problem", lächelte sie tapfer. Als die Anlegemanöver im ersten Hafen etwas chaotisch ausfielen, erntete ich dann aber doch misstrauische Blicke. Das Boot hat nur 1,20 m Tiefgang, dafür aber einen langen Kiel. Außerdem hatte der Motor zwar einen tollen Sound – eben wie ein alter Schiffsmotor – aber kein Getriebe. Vorwärts und rückwärts fahren funktionierte über die Verstellung der Schraubenblätter. Wer damit umgehen kann, kommt damit auch rückwärts klar. Ich konnte damit nicht umgehen und so blieb das Rückwärtsfahren für mich – gelinde gesagt – ein Rätsel.

    Das Boot marschierte nach rechts wenn ich nach links wollte. Da half auch keine noch so souveräne Miene und erst recht nicht die Behauptung, dass ich von Anfang an nach rechts wollte. Schlimm wurde es, als der Motor bei längerer Nutzung zu heiß wurde, ja sogar weiße Wolken aus dem Auspuff sandte. Ich war mir sicher, dass der weiße Rauch in diesem Fall nicht die Ankündigung eines neuen Papstes war, was aber konnte es sonst sein?

    Zum Glück war in der Nähe eine Werft, bei der wir um Hilfe baten. Wir hatten die Wahl, mehrere Tage zu warten bis ein Monteur Zeit hätte, oder einen Rat „auf die Schnelle" zu bekommen. Zeit hatten wir nicht, ich war ja noch im Dienst. Nun musste ich beweisen, dass ich auch mit solch einer Situation fertig werden konnte, denn Ingrids Blick sprach Bände.

    Da wohl die Kühlung nicht ordnungsgemäß funktionierte, riet man mir, den Impeller[1] zu wechseln und verkaufte mir auch ein entsprechendes Ersatzteil. Alles gar nicht so schwierig, wurde mir versichert. Also öffnete ich den Deckel des Motorraumes und suchte mit – wie ich hoffte – fachkundigem Blick nach einer Pumpe, bei der ich den Impeller wechseln wollte. Leider schraubte ich zuerst an der Pumpe für den inneren Kühlkreislauf herum, denn mir kam Kühlmittel entgegen. Im zweiten Anlauf konnte ich dann jedoch in der richtigen Pumpe den defekten Impeller durch den neuen ersetzen. Der Motor lief nun auch bei höheren Drehzahlen einwandfrei.

    Ingrid fasste wie erhofft Vertrauen zu dem Boot und meinen Fähigkeiten. Als dann das Wetter wieder besser wurde, die Schären um Stockholm immer schöner und die Manöver in den Häfen nicht mehr ganz so „kreativ wirkten, fassten wir schon vor dem Ende dieser Reise den Beschluss: „Wir starten im nächsten Jahr unsere große Tour zum Mittelmeer!.

    Allerdings sollte vorher doch ein neuer Motor mit 20 PS statt der bisherigen 10 Pferdestärken eingebaut werden. Natürlich mit einem Getriebe, damit das Rückwärtsfahren auch für meine Fahrkünste möglich wurde. Ansonsten meinten wir, dass unser Boot trotz des Alters von 36 Jahren für die geplante Reise optimal geeignet sei.

    Im Winter besorgten wir die noch fehlenden Seekarten und Hafenbücher für die Ostsee und einige Karten und Informationen für den Main, den Main-Donau-Kanal und die Donau. Weiter noch nicht, denn weiter würden wir im ersten Jahr wohl nicht kommen. Zumindest konnten wir uns das nicht vorstellen – wie wir uns vieles noch nicht vorstellen konnten...

    Erste Etappe

    Ein Start mit Gegenwind

    Anfang Mai, gleich nach der Pensionierung, fahren wir mit umfangreichem Gepäck nach Schweden. Unsere Gefühle sind am besten mit „aufgewühlt" zu beschreiben. Grübeln oder Trauer über das Ende eines aus meiner Sicht interessanten Berufslebens? Nein, dazu fehlt wirklich die Zeit. Warum auch zurückblicken? Es liegt doch so viel unglaublich Spannendes vor uns! Allenfalls reden wir ab und zu über die sehr persönlich gestaltete Abschiedsfeier, bei der aber auch schon sehr viel über unser geplantes Abenteuer gesprochen wurde.

    In Schweden angekommen, bringe ich gleich das Boot in die größere Werft in Oskarshamn, wo der neue Motor eingebaut werden soll. Friedrich, der Chef der Werft, fragt mich: „Wie groß soll denn der Propeller sein?"

    „Na, halt groß genug!, ist meine total hilflose aber umso forschere Antwort. Als ich seinen fragenden Blick sehe, füge ich nachdenklich hinzu: „Wir müssen den Rhein gegen die Strömung aufwärts fahren! Welche Strömungsgeschwindigkeiten der Rhein hat, weiß ich ehrlich gesagt nicht.

    Der Architekt ist ja auch den Rhein hochgefahren und hatte diesbezüglich keine Probleme erwähnt. Friedrich klopft mir beruhigend auf die Schulter: „Dann will ich mal einen für euch geeigneten Propeller aussuchen."

    Am 11. Juni, einem Mittwoch, ist der Einbau des neuen Motors endlich abgeschlossen und wir wollen ihn so schnell wie möglich mit einer Probefahrt im Hafen von Oskarshamn testen. Ein starker, böiger Wind macht das Einsetzen des Bootes und das Ablegen schwierig. Hendrik, der den Motor eingebaut hat, kann gerade noch mit dem Bootshaken verhindern, dass wir an die Kaimauer knallen. Aber dann zeigen sich die Vorteile unseres neuen 20-PS-Motors: Mit der doppelten Leistung und der größeren dreiflügeligen Schraube, lässt es sich deutlich besser fahren, wir sind schnell im freien Wasser. Alle Tests verlaufen zufriedenstellend, über sieben Knoten Geschwindigkeit erreichen wir mit unserem 28 Fuß langen Segelboot.

    Nun wollen wir möglichst schnell die restlichen Vorbereitungen erledigen und endlich los. Geduld ist nicht wirklich meine Stärke! Aber Hendrik runzelt die Stirn, als er von meinem Vorhaben hört, am gleichen Tag noch aufzubrechen. „Dazu muss erst mal der Mast wieder aufgesetzt werden. Das dürfte bei dem starken Wind schwierig werden!", hält er dagegen.

    „Wir wollen es wenigstens versuchen!", drängele ich weiter.

    Ingrid steht dabei, runzelt ebenfalls die Stirn und zu meinem Leidwesen hat meine Bedenkenträgerin Recht: Der Mast lässt sich am Mastkran hochziehen, schwankt aber im Wind so stark, dass wir den Versuch abbrechen müssen.

    „Mist, warum sind die nicht vor zwei Tagen fertig geworden, als es noch sehr ruhig war?", hadere ich etwas mit den Gegebenheiten.

    Am Nachmittag beruhigt sich das Wetter aber doch. Wir können den Mast aufsetzen und die Segel anschlagen. Die Nacht wollen wir schon im Boot verbringen, um am nächsten Morgen früh ablegen zu können.

    Beim letzten Abendessen in einem griechischen Restaurant im Ort sind wir beide doch etwas nervös. Dem griechischen Wirt gegenüber lasse ich mir aber nichts anmerken, sondern verkünde betont selbstsicher: „Morgen starten wir mit unserem Segelboot Richtung Mittelmeer! Ja, wir sind auf dem Weg in Ihre Heimat."

    „Das ist aber weit! Welchen Weg wollen Sie denn nehmen?", fragt er etwas ungläubig.

    „Zunächst über die Ostsee nach Deutschland, dann über die Kanäle und Flüsse zur Donau. Die Donau runter bis zum Schwarzen Meer, durch den Bosporus, das Marmarameer und die Dardanellen in das Mittelmeer."

    Er schaut etwas entgeistert, wünscht uns dann aber: „Gute Reise, Ihr werdet sehen, Griechenland ist schön."

    Auch wir schauen uns etwas unsicher an. Bisher war immer nur von „Absicht und „Plan die Rede. Nun wird aus Planung tatsächlich Wirklichkeit!

    Als wir zurück zum Boot kommen, brennt die Toplaterne, obwohl sie nicht eingeschaltet ist. Offensichtlich haben wir beim Aufsetzen des Mastes in der Eile die Kabel falsch angeklemmt. Mühselig ändere ich in der kleinen Öffnung im Deckenbalken unter dem Mastfuß die Kabelverbindungen so lange, bis Ingrid von Deck verkündet: „Toplaterne ist aus!" Zum Glück gibt es nur drei Möglichkeiten…

    Danach gehen bei einem Glas Rotwein unsere Gedanken zurück.

    „Weißt du noch, als wir vor 10 Jahren mit unserer Jolle zwischen den Schären gesegelt sind und ganz stolz waren, als wir die freie Ostsee durch die äußeren Schären erahnen konnten und uns nicht weiter raus trauten", erinnert Ingrid.

    „Wie viel mutiger waren wir schon mit unserer kleinen Segeljacht Svala, als wir bis Nyköping gesegelt sind."

    Es kommen die Erinnerungen an die Anfänge unseres Segelns mit einer Jolle vor 30 Jahren in Sri Lanka auf. Ich hatte dort zwei Jahre im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe an einem Staudammprojekt mitgewirkt. Ingrid und unsere beiden damals vier und sechs Jahre alten Kinder waren mit mir nach Sri Lanka gezogen. An den Wochenenden trafen sich viele der internationalen Experten, um in einer Lagune zu segeln. Ich hatte eine alte, aus Holz gebaute Jolle gekauft und war Mitglied im Segelclub. Sonntags wurden vom Club Rennen veranstaltet, bei denen ich zuerst als Mitsegler und später mit dem eigenen Boot zusammen mit Ingrid teilnahm. Unvergessen war das von uns verursachte Desaster bei unserem ersten Start. Ich nahm allen anderen Startern die Vorfahrt, weil ich von der Existenz von Vorfahrtsregeln keine Ahnung hatte.

    Wir schlafen beide unruhig in dieser Nacht, ständig lauert im Hinterkopf die Frage, ob denn alles Notwendige bedacht und geregelt ist.

    Friedrich kommt morgens vorbei und verbreitet Ruhe und Zuversicht: „Ruft einfach an, wenn es Probleme mit dem Motor gibt. Ich schicke euch dann Hendrik zum nächstgelegenen Hafen. Also, viel Glück!"

    Nach diesen aufmunternden Worten legen wir vorsichtig ab, fahren aus dem Hafen raus und setzen die Segel. Wir sind unterwegs! Ein schönes, unglaublich aufregendes Gefühl! Auf diesen Moment habe ich seit Monaten gewartet und mir ausgemalt, wie toll das sein müsste. Ist es auch, aber irgendwie anders: gehen mir doch viele banale Dinge durch den Kopf, die es zu beachten gilt und mein Gehirn erfasst jetzt nur die nächsten Tage auf der Ostsee. Alles darüber Hinausgehende ist momentan noch total ausgeblendet – weil noch unvorstellbar.

    Ingrid schaut kritisch zu einigen dunklen Wolkenbergen, die sich in der Ferne auftürmen und sinniert: „Was wird uns die Reise bringen?"

    Das Wetter ist in den letzten Wochen vor unserem Start sehr schön gewesen, vorrangig mit für uns günstigem Wind aus Ost. Nun ändert sich die Wetterlage, die Winde kommen aus West und Südwest. Das bedeutet, wir werden häufig Wind von vorn haben!

    Aus dem Logbuch:

    „Donnerstag, 12. Juni. Gegen 8 Uhr in der Marina abgelegt. Zunächst Kurs 130 Grad entlang der Küste. Wind kommt von Ost, ist verhältnismäßig schwach. Segeln hoch am Wind. Laufen etwa 3 Knoten. Leuchtturm Dämman in Sicht. Ändern Kurs auf Süd, wollen den Hafen Borgholm auf der Insel Öland erreichen.

    Wind lässt nach, kommt nun mehr von Süd und damit direkt von vorn. Zum Kreuzen ist der Wind zu schwach. Fahren die letzten 12 Seemeilen der insgesamt 28 Seemeilen langen Strecke mit dem Motor. Gute Gelegenheit, den neuen Motor weiter zu testen, solange wir noch in der Nähe der Werft sind. Erreichen Borgholm und fahren in den Hafen. Es gibt hier viel Platz, können am Kai längsseits anlegen."

    Borgholm zeigt sich bei einem Stadtrundgang als hübsches Hafenstädtchen mit bunt herausgeputzten kleinen Häusern und viel Blumenschmuck. Es sind erst wenige Touristen da, die Saison beginnt hier später.

    Am nächsten Morgen geht es weiter Richtung Süden durch den Kalmar Sund, unter der Brücke zwischen Kalmar und Öland durch. Der Wind frischt auf, leider konsequent direkt von vorn. Tapfer kreuzen wir gegen den Wind. Die Wellen werden höher und ab und zu kommt schon mal etwas Wasser über die Aufbauten.

    „Macht es Sinn, den ganzen Tag gegen die hohen Wellen und den heftigen Wind anzukämpfen? Haben wir es eigentlich so eilig?, fragt Ingrid. „Sollen wir nicht besser umkehren und im Hafen Kalmar auf bessere Verhältnisse warten?

    Zu Beginn der Reise schon umkehren? Das widerstrebt mir gründlich! Aber irgendwie ist meine Anfangsnervosität noch nicht ganz vorbei und so kommt mir der Vorschlag gerade recht. Laut formuliere ich meine Gedanken um: „Ingrid, dir zuliebe gebe ich doch gern nach!" Es wäre doch unklug, wenn der Skipper schon zu Beginn der Reise Schwächen erkennen ließe…

    Neidisch hören wir in Kalmar die Berichte anderer Segler. Sie sind aus Süden gekommen und haben den Wind von achtern für einen tollen Ritt über die Wellen genutzt.

    Am nächsten Morgen starten wir sehr früh in der Hoffnung, die für den Vormittag vorhergesagten etwas besseren Windverhältnisse ausnutzen zu können. Bis Mittag ist es auch ganz annehmbar, doch nach einigen Stunden kommt wieder starker Wind von vorn. Diesmal halten wir durch und schaffen es bis Karlskrona in die kleine Bucht Norreviken. In dieser Bucht haben wir vor zwei Jahren das Boot von seinem früheren Eigentümer übernommen. Ich schreibe eine SMS an Kinder, Freunde und Nachbarn: „Wir sind unterwegs, haben Karlskrona fast erreicht, Stimmung an Bord ist gut." Verabredungsgemäß wollen wir nun die Kontakte vorwiegend über SMS pflegen.

    Wir genießen einen schönen ruhigen Abend mit Schwimmen und dem Beobachten von Haubentauchern, Enten und Gänsen. Die Sonne verschwindet erst spät hinter den Schären. Wir sind wirklich unterwegs!

    Boot in der Bucht bei Karlskrona

    Am Sonntag segeln wir weiter im Schutz der Schären an Karlskrona vorbei. Auf einer kleinen Felsschäre steht ein dicker Festungsturm, der in vergangenen Zeiten mit seinen mächtigen Mauern der Verteidigung der Stadt diente. Ingrid entdeckt etwas später vor uns eine Brücke, die unsere Weiterfahrt versperrt. „Das haben wir wohl in der Karte übersehen!", meint sie besorgt. Hat der Skipper aber nicht übersehen, auf den Skipper ist Verlass! Es handelt sich um eine Drehbrücke, die vom Brückenwärter bei Bedarf geöffnet wird. Allerdings lässt er uns warten, bis sich noch mehr Segelboote eingefunden haben. Nach diesem kurzen Stopp geht es raus in die freie Ostsee. Wir nehmen Kurs auf die kleine Insel Hanö.

    Aus dem Logbuch:

    „Hoch am Wind pflügt das Boot durch die Wellen, macht Spaß, gibt das Gefühl, wir können mit diesem Boot auch bei etwas stärkerem Wind sicher umgehen. Segeln Richtung West bis in die Nähe von Karlshamn. Dann Richtung Süden, um die Insel Hanö zu erreichen. Wind hat inzwischen auf Süd gedreht, mühseliges Kreuzen ist angesagt. Das letzte Stück ist eine sehr feuchte Angelegenheit, bekommen immer wieder Wasser über das ganze Boot bis in das Cockpit. Nur wenn man sich blitzschnell unter die Kapelle duckt, kann man den Duschen entgehen."

    Im Vergleich dazu ein Zitat aus Ingrids Tagebuch:

    „Tapfer kämpfen wir uns durch die Wellen, gegen den Wind. Das Boot quält sich durch das wütende Meer. Wir preschen auf die Wellenberge und fallen mit einem Ruck in die Wellentäler. Es ist schrecklich!"

    So unterschiedlich sind die Wahrnehmungen. Ich hoffe, dass auch Ingrid sich immer besser an solche Situationen gewöhnen wird, ja sogar Freude dabei entwickelt. Als erste Maßnahme lobe ich ihr Durchhaltevermögen. Lob ist fast immer gut – das habe ich mal in einem Kurs über Mitarbeitermotivation gelernt!

    „Nimm mal die Pinne, ich muss zur Toilette!, rufe ich Ingrid zu und klettere den Niedergang runter. „Mach bloß schnell! Bei diesen Wellen und dem schräg liegenden Boot wollte ich eigentlich nicht steuern!

    Schnell machen! Ja wie denn, in einem wild schaukelnden Boot. Die Segeljacke ziehe ich schon im Salon aus und setze mich dabei hin. Dann gehe – oder besser gesagt hangele – ich mich nach vorn zur Toilette. Eine an Land so einfache Aktion ist bei hohem Seegang nur mit akrobatischen Fähigkeiten zu bewältigen und so bin ich hinterher um einige blaue Flecken reicher!

    „Das Gefährlichste beim Segeln scheint mir das Pieseln zu sein!", gebe ich erschöpft von mir, als ich wieder im Cockpit ankomme.

    Direkt neben der Hafeneinfahrt Hanö brechen sich die Wellen beeindruckend an großen Felsen. Aber mit Hilfe unseres starken Motors meistern wir die Passage und hinter der schützenden Hafenmauer wird das Wasser sofort ruhiger.

    Der Hafenmeister freut sich, dass wir ein wenig schwedisch mit ihm sprechen können. Unsere Devise ist: auch wenn man nur wenig Schwedisch kann, sollte man immer wieder versuchen, es bei allen Gelegenheiten

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