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Der Stein der Welten: Teil 4 - Tsapanthas  - Letzer Teil der Saga vom Stein der Welten
Der Stein der Welten: Teil 4 - Tsapanthas  - Letzer Teil der Saga vom Stein der Welten
Der Stein der Welten: Teil 4 - Tsapanthas  - Letzer Teil der Saga vom Stein der Welten
eBook650 Seiten9 Stunden

Der Stein der Welten: Teil 4 - Tsapanthas - Letzer Teil der Saga vom Stein der Welten

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Über dieses E-Book

Teil 4 - Tsapanthas
Die Kremotau und ihre Heere bereiten sich auf den entscheidenden Angriff auf die Länder der Menschen vor, um den Stein der Welten unter ihre Kontrolle zu bekommen. Auch wenn sich die Bewohner Yapentas vereinen, um den übermächtigen Feind aufzuhalten, bleibt ihnen nur die Hoffnung auf den Tsapanthas, der als einziger diesen Feind aufhalten könnte. Doch der Steinkrieger lässt auf sich warten und die Zeit wird knapp, zumal der wahre Feind längst unter ihnen weilt...

Der abschließende 4. Teil der Saga vom Stein der Welten
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. Apr. 2023
ISBN9783347926257
Der Stein der Welten: Teil 4 - Tsapanthas  - Letzer Teil der Saga vom Stein der Welten
Autor

Michael Dechert

Michael Dechert, geboren 1965 in Kaiserslautern, ist in der Nähe von Frankfurt am Main aufgewachsen, wo er immer noch mit seiner Familie lebt. Als Ausgleich für den eher nüchternen Bürojob dienen phantastische Geschichten, die er schon seit dem Teenageralter verfasst - soweit Job und Familie dafür Zeit lassen. Der "Stein der Welten" als epsiche Geschichte und Mix aus Science Fiction und Fantasy ist das Ergebnis einer langjährigen Freizeitarbeit, die aus zunächst vier Teilen besteht, als abenteuerliche Reise zu fremden Welten und Dimensionen dient und deren Protagonisten doch nur nach Freundschaft und Frieden suchen...

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    Buchvorschau

    Der Stein der Welten - Michael Dechert

    Karte von Tsyvania

    Auf der abgelegenen Welt P’hu-Tsa erzählen sich die Menschen in dunklen Nächten die Legende vom Tsapanthas, der dereinst von den Sternen herabsteigen wird, um den Stein der Welten vor dem nahenden Unheil zu beschützen und die galaktische Menschheit vor dem Untergang zu bewahren…

    1. Staub und Furcht

    Weit im Westen, auf einer felsigen, trockenen Ebene gelegen und von schroffen und kargen Hängen umgeben, lag, hoch aufragend wie ein trotziges Symbol der Kraft seiner Erbauer, der heilige Tempel der Saphane.

    Kein Mensch vermochte genau zu sagen, welchem Glauben dieses kriegerische Volk anhing, welche übernatürlichen Mächte den hochgewachsenen Wesen mit den markanten Widderhörnern wichtig waren. Vielleicht war es etwas in der Natur, etwas von urwüchsiger Kraft. Die zum Tempel gehörigen Priester trugen lange Kutten und hoch aufragende, furchterregende Masken. Sie schwenkten schwere Keulen über die Krieger, die sich vor dem Tempel versammelt hatten.

    Das klobig wirkende Tempelgebäude war vom Grundriss her nahezu quadratisch. Seine wenig schmuckvollen Außenmauern ragten etwa zehn Meter in die Höhe. Auf dem flachen Dach war ein weiteres Bauteil errichtet, annähernd rund mit noch einmal fünf Meter hohen Mauern. Darauf saß ein riesiger, steinerner Saphankopf mit gewaltigen Hörnern und vier Gesichtern, die in die vier Himmelsrichtungen blickten. Es war kein Meisterwerk der Steinmetzkunst, aber als Symbol doch hinreichend gut zu erkennen. Der Eingang auf der Vorderseite ruhte auf klobigen, kräftigen Säulen, doch der Blick ins Innere wurde von der Dunkelheit verwehrt. Breite Treppen führten von allen Seiten des Tempels hinunter auf die Ebene. Auf den obersten Stufen loderten Feuerstellen, befremdliche Düfte stiegen aus tönernen Schalen auf, die sie selbst auf diese Entfernung noch riechen konnten – die menschlichen Beobachter hatten sich sicherheitshalber gegen den Wind genähert. Wer wusste schon genau, wie es um das Geruchsvermögen der Saphane bestellt war? Der Tempel wirkte plump und zeugte nicht gerade von hoher Baukunst. Doch mit all den Saphanen davor wirkte er kraftstrotzend und bedrohlich. In gebührlichem Abstand zum Tempel waren kleinere, einfachere Gebäude errichtet, wo offenbar das Tempelpersonal unterkam. Wiederum in einem gewissen Abstand dazu waren eine größere Anzahl schlichter Zelte und Windschutzwände aufgestellt worden. Dort lagerten die Saphane, die an diesem Tage ihre Weihe empfangen würden. Jedenfalls nannten die Beobachter es Weihe, wobei niemand genau wusste, was die Saphane eigentlich trieben. Groß waren sie, nicht selten über zwei Meter hoch, fast alle von kraftstrotzendem Körperbau. Ihre Gesichter erinnerten entfernt an irdische Schafböcke, die Augen standen etwas schräg, der Mund war breit, die Winkel nach unten gezogen. Ihre Stimmen waren rau und laut. Die Beine standen auf kräftigen, breiten Hufen, während sich an den Armen Hände mit jeweils vier Fingern entwickelt hatten, unumgängliche Voraussetzung für die ersten kulturellen Errungenschaften. Und dem Führen von Waffen. Sie waren wilde, barbarisch wirkende Ureinwohner dieser Welt. Sie kamen irgendwo aus dem Westen Tsyvanias, stets bereit, die eingedrungenen Menschen mit ihrer sogenannten Zivilisation zu bekämpfen. Sie bauten Häuser und schmiedeten Waffen, bildeten Sippen, Clans und Stämme, sprachen eine eigene, für Menschen unverständliche Sprache. War es nicht so, dass sie ihre Welt gegen fremdartige Menschen aus einem anderen Universum verteidigten? Doch unter jenen Menschen galten sie meist als Vertreter des Bösen, bereitwillige Diener der Kremotau.

    Sie waren starke und stolze Krieger, doch zogen sie nicht gerne und leichtfertig in einen großen Krieg, der ihnen aufgezwungen wurde. Der wahre Ruhm, die größte Ehre lag immer noch darin, einen mächtigen Konkurrenten aus dem eigenen Volk zu bezwingen. Jetzt aber lebten sie im Schatten der Kremotau, und getrieben von deren Macht und der namenlosen Furcht, vielleicht auch verführt von Versprechungen rüsteten sie sich zum Kampf. Es mochten sich an diesem Tag rund tausend um den Tempel versammeln, die schweren Waffen oft lässig über die Schultern gelegt: mächtige Hiebschwerter, wuchtige Keulen, riesige Äxte, monströse Hämmer, gewaltige Spieße. Unruhig ließen sie den Segen ihrer Priester über sich ergehen. Heute würden sie ihre Heimat verlassen, in den Krieg ziehen, weiter nach Osten, in ein ungewisses Schicksal. Und über allem lag die Aura der Kremotau, sie immer wieder daran erinnernd, wem sie verpflichtet waren. Ein wenig abseits der Masse, auf einer kleinen Erhöhung, stand eine Gruppe Saphane in rot oder bläulich gefärbten Roben. Sie hielten lange Stäbe mit aufgesetzten Tierschädeln in den Klauen und trugen Ketten aus Reißzähnen um den Hals. Sie wirkten ruhiger und gesetzter als der Rest, beobachteten regungslos die Versammlung. Von den Menschen wurden sie gerne Schamane genannt, doch obgleich es unter den Stämmen der Saphane auch richtige Spiritualisten gab, so zogen diese nur selten in den Krieg. Und wenn doch, dann hauptsächlich um den Gefallenen den Weg zu den Ahnen zu erleichtern. Dies waren die Kampfmagier der Saphane, der lebende Beweis, dass dieses Volk mehr als nur einfache magische Zusammenhänge meistern konnten, von denen es in diesem Universum so viele zu geben schien. Sie waren zweifellos etwas älter als die jungen, wilden Krieger und sich ihrer Macht durchaus bewusst.

    Einer der Priester hob seine Keule, worauf die Saphane ein tönendes Geschrei anstimmten, das von den umgebenden Hängen widerhallte. Es wurden Befehle gebrüllt und die Ausbilder und Unterführer gingen daran, aus den aufgedrehten Kriegern eine Marschkolonne zu formen.

    Ein Saphan war im Kampf ein furchteinflößender Gegner, eine Kompanie von ihnen, gedrillt und in dichter Formation, glich auf dem Schlachtfeld einem schweren Panzer. Im Grunde waren sie natürlich nicht für solche Art der Kriegsführung gemacht; Saphane waren stolze, notorische Einzelgänger, die man nur schwerlich über längere Zeit in geordnete Einheiten zusammenbringen konnte. Früher oder später würden sie anfangen, sich zu streiten und gegenseitig zu bekämpfen. Die angeborene Aggression und niedrige Reizschwelle sorgte dafür, dass die Zahl der Saphane insgesamt relativ stabil blieb. Obwohl eine Saphanin bei ihrer Niederkunft bis zu sechs Kinder gebären konnte, war es schon schwierig genug, überhaupt einen geeigneten Partner zu finden. Von den Neugeborenen überlebten viele aus unterschiedlichsten Gründen ihre frühe Kindheit nicht. Nur wenige Saphane erreichten ein hohes Alter, wo sie Schamane oder Magier wurden oder einen so legendären Ruf besaßen, dass nicht mal der hitzköpfigste junge Saphan sich an ihnen vergreifen würde. Derzeit war es bereits mit Problemen verbunden, die Krieger in eine Marschkolonne zu bringen. Die Aufseher benutzten gefährlich aussehende Peitschen und auch schon mal dornenbesetzte Keulen, mit denen sie auf störrische Jungsaphane einschlugen. Nicht jeder mochte bei dieser Behandlung den Abmarsch überleben. In den kommenden Schlachten würde man sie als Anführer, Aufseher und Antreiber der Kilron einsetzen. Kilron gab es mehr als genug und an denen würden sie ihre Aggressionen hemmungslos austoben können.

    Dies alles schloss Raimund aus seinen Beobachtungen, aus den Worten der Grodii sowie aus dem, was er sich aus den spärlichen Berichten, die in der Steinschule zur Verfügung gestanden hatten, zusammengereimt hatte. Wirkliche Saphan-Experten gab es unter den Menschen noch keine und die Grodii lebten in weiter Ferne. Die Felsnische, in die er sich gezwängt hatte, um das Treiben zu beobachten, lag so nah am Tempel, wie er es nur wagen konnte, aber immer noch so weit entfernt, dass er viele Beobachtungen mit seiner Phantasie ausschmücken musste. Immerhin schien der Tempel ein Hinweis darauf zu sein, dass sie sich auf dem richtigen Weg befanden, wo immer er die Gruppe schließlich hinführen mochte. Doch die Anlage stellte auch ein unerwartetes Hindernis dar, welches sie weiträumig und mit aller Vorsicht umgehen mussten.

    Vorsichtig kroch Raimund einige Meter zurück und stieg wieder in die Senke, wo der seine Gefährten warteten. Annett hockte auf einem Stein und rieb sich die wunden Füße mit Yurtesalbe ein, die Alice aus ihrem Gepäck gekramt hatte. Die beiden Grodo Smath und Leigthii – bei nicht mehr als zwei Grodo konnte man auf die Pluralform Grodii auch verzichten, wie er gelernt hatte - hockten stumm Rücken an Rücken auf dem Boden, ihre kurzen Rüssel schwenkten scheinbar suchend leicht hin und her. Konnten sie die Saphane riechen? Sie wirkten erschöpft und müde, wie alle anderen auch. Lemenus Pentus lag etwas oberhalb der Gruppe auf einem Stein und beobachtete die Umgebung.

    „Sie ziehen ab", raunte Raimund zu ihm hinauf.

    „Es scheint so. Wir sollten trotzdem noch eine Weile warten. Raimund ließ sich neben Alice auf den Boden sinken und seufzte. „Dieser Tempel wird uns einiges an Zeit kosten, bis wir ihn umgangen haben.

    „Das klingt fast, als hätten wir tatsächlich ein Ziel, erwiderte Alice, ohne die Augen zu öffnen. „Wo geht es hin? Sharan Tsa hat uns als Späher ausgesandt. Haben wir bislang etwas gefunden, das einen Bericht wert wäre? Außer Staub und Steinen…

    Sie lehnte sich an ihn und legte den Kopf auf seine Schulter. Alice tat das in letzter Zeit oft, gelegentlich hatte sie auch erwähnt, wie froh sie war, dass sie zusammen in einer Gruppe waren.

    Raimund wusste nicht recht, wie er damit umgehen sollte. Er mochte Alice, keine Frage, aber mochte er sie genug für so etwas? War das überhaupt die Zeit dafür? Offenbar spürte er wie kein anderer der Gruppe die Schwere der Verantwortung, die ihre Mission mit sich brachte. Sie hatten kein klares Ziel, bewegten sich durch ein feindliches Land und mussten schon eine ganze Weile mit ihren Vorräten knausern. Die kühlen Nächte wurden erträglicher, wenn sie sich, in ihre Decken eingehüllt, eng aneinanderschmiegten. Doch mehr… es hing von ihnen vielleicht so vieles ab… nein, obwohl Alice sicher nichts dagegen hatte, wenn er den Arm um sie legen würde… Nicht jetzt, nicht hier. Auch wenn Alice die Nähe vielleicht nur suchte, um nicht durchzudrehen. Doch schon Morgen könnte er diesem wilden Land zum Opfer fallen… dazu kam, dass es nicht Alice war, die vor seinem geistigen Auge erschien, wenn er nachts für wenige Stunden zur Ruhe kam. Wenn Lemenus Wache hatte und er am einschlummern war, erschien immer wieder Tsamra vor seinem Auge, etwas, das er selbst nicht verstand und nur verwirrte.

    Tsamra, ihre gonische Betreuerin, Tsamra, die ihm den Peilsender zugesteckt hatte. Ob man sie auf Gonien des Verrats überführt hatte? Er mochte gar nicht daran denken, was Leute wie Malz Minds von der Geheimpolizei mit ihr angestellt haben mochten. Oder hatte man sie zum Militärdienst eingezogen? War sie in irgendeinem Raumschiff verglüht oder in einer Steinwüste auf Pellon III zerrissen worden? Es war gleich, sie war, wenn überhaupt noch am Leben, irgendwo auf einem anderen Planeten, in einem anderen Universum. Mehr als unendlich weit entfernt. „Wohin auch immer, aber wir müssen weiter, sagte Raimund schließlich. Die Gedanken an Tsamra brachten ihn nicht weiter. „Wir brauchen mehr Informationen…

    „Und wenn wir welche haben, was machen wir damit? Alice stopfte etwas in ihre Heilertasche. „Eine Brieftaube zu Sharan Tsa senden?

    „Ihr hättet Sharan Tsa vielleicht besser zuhören sollen, bemerkte Annett. „Wenn die Zeit kommt, wird sich ein Weg finden.

    „Das klingt nicht sonderlich konkret", gähnte Alice.

    „Vermutlich so konkret, wie er nur sein konnte. Raimund nickte Annett zu. „Du führst immer noch unser Reisetagebuch? Sie zuckte mit den Schultern. „Ist ja nicht sehr aufwendig. „Welchen Tag…

    „Es ist der dreißigste Tag seit unserem Aufbruch aus der Steinschule. Und wir befinden uns irgendwo in einem Landstrich, der auf der Karte nicht einmal einen Namen hat und weitgehend aus weißen Flecken besteht. Kein Wunder, wenn ich mich so umsehe. Wir sind eine Weile nach Westen gezogen, aber seit etwa einer Woche treibt es vor allem dich immer weiter nach Norden. Dort werden wir, das kann ich dir versichern, irgendwann auf Phogonia treffen, das Zentralgebirge von Tsyvania. Und das steht im Ruf, eine wirklich üble Gegend sein."

    „Da es gibt Kremotau, pfiff Smath unbekümmert dazwischen. „Die Kremotau, ja. Raimund stützte den Kopf auf die Hände und grübelte über den vergangenen Monat ihrer Reise nach.

    Es hatte noch Dunkelheit geherrscht, als Sharan Tsa sie zu sich gerufen hatte. Sie würden als erste der Gruppen aufbrechen, hatte er ihnen offenbart. Der Plan hatte vorgesehen, dass sie wie die Gruppe des Nordens über Yetzon und Yapent zum Yapentii-Massiv reisen, nach Westen schwenken und sich durch das unwegsame Gelände an der Küste entlang westwärts schlagen. Sie sollten bis zum Niro vorstoßen, dem großen Fluss, dessen Quellen im zentralen Phogoniagebirge entsprangen und zumindest im südlichen Tsyvania als Grenze zum wilden, ungezähmten Westen des Kontinents galt. Von dort aus hätten sie selbst zu entscheiden, wie es weitergehen würde. Beobachtung des Feindes lautete die wage Auftragsbeschreibung.

    Doch Sharan Tsa führte sie an diesem Morgen zu einem Podh-Wagen, der sie nach Süden brachte. Es sei gut, ausgefeilte Pläne zu machen, hatte er verlauten lassen, aber noch besser seien Pläne, von denen die meisten erst gar nichts wussten. Nicht alle Ohren und Augen in Yapenta seien mehr vertrauenswürdig. Sie hatten bereits im Wagen gesessen, als Sharan Tsa noch einen geheimen Stützpunkt der Yapenter im südlichen Phogonia erwähnte. Diesen Stützpunkt sollten sie finden, alles Weitere würde sich ergeben.

    Raimund hatte sich noch gefragt hatte, wie sie einen einsamen Stützpunkt, der sich vermutlich sehr geschickt verbarg, in einer feindlichen Ödnis finden sollten, aber der Wagen war bereits losgerollt. Den ganzen Tag ging es der Südküste Yapentas entgegen, der zweifellos angenehmste Teil der Reise. Die Nacht verbrachten sie in einem gemütlichen Landgasthof und am folgenden Tag erreichten sie Yasen, den wichtigsten Hafen Yapentas. Sie bestiegen ein Schiff, die YATA, das vorgab, nach neuen Fischgründen Ausschau zu halten. Es war für eine Fahrt in den Küstenregionen durchaus brauchbar, für die offene See aber eher ungeeignet. Es gab so gut wie keine Berichte von Seereisen, die über den Kontinentalschelf von Tsyvania hinaus ins tiefere Meer führten. In seinen verblassenden Erinnerungen glaubte Raimund, damals, auf der Flucht vor den Goniern, beim Anflug auf P'hu-Tsa weitere Landmassen ausgemacht zu haben, doch außer Tsyvania schien keine davon von Menschen bewohnt zu sein, eine Rolle zu spielen oder auch nur einen Namen zu besitzen. Der Kapitän der YATA hatte ihm erklärt, die Reise auf die offene See sei viel zu gefährlich, es gäbe Stürme und vermutlich auch Seeungeheuer und man hätte schließlich auf Tsyvania derzeit schon genügend Probleme.

    Drei Tage waren sie bei flauem Wind an der Südküste Yapentas entlang gesegelt und dieser weiter nach Norden gefolgt. Am folgenden Tag hatte der Kapitän, der diese Region Straße von Quendi nannte, befunden, dass er sich in nordwestlicher Richtung von der Küste entfernen wolle, was die Reise abkürzen sollte. Der Kontinentalschelf erstreckte sich relativ weit nach Süden, bis hinter die große Insel Quendi, um die sich in Yapenta Legenden und Mythen rankten, für deren Besuch sie jedoch keine Zeit fanden. Am Abend des siebten Reisetages waren sie in einen schweren Sturm geraten, der die kleine YATA wild umherwarf und einigen ihrer wenig seeerfahrenen Passagieren die Seekrankheit brachte. Sie hatten die aufgebrachte See durchpflügt und waren um einiges vom Kurs abgekommen. Einen ganzen Tag lang kämpften die Seeleute bis zur Erschöpfung um das Schiff. Am Folgetag gönnte sich der Sturm eine Pause und sie hatten einen westlichen Kurs eingeschlagen, dann aber schlug der Sturm erneut zu und trieb sie südlich bis an die Küste von Quendi, wo er endlich abgeflaut war.

    Einen ganzen Tag lang waren sie der fremden Küste gefolgt, doch auf einen Landgang hatten sie verzichtet. Aus der Ferne gab es Anzeichen von wilden und riesigen Tieren, von denen ihnen die Seeleute allerlei abenteuerliche Geschichten erzählten. Einmal war ein riesiges Tier mit langem, stacheligen Hals aus dem dichten Quenwald an den Strand gestapft, von wo es ohrenbetäubende Schreie in Richtung der YATA ausgestoßen hatte. Sie waren der Inselküste noch ein Stück in gebührendem Abstand gefolgt und wieder über das Meer nach Norden gefahren. Fast zwei Wochen nach ihrem Aufbruch in der Steinschule hatte der Ausguck eine weitere Insel gesichtet, die vom Kapitän als Nepukleb bezeichnet wurde und die ihm zu zeigen schien, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Diese Insel lag westlich der Mündung des Flusses Niro, damit näherten sie sich dem Ziel dieses Abschnitts ihrer Reise. Der Niro wurde vom Feind beobachtet, so vermutete man jedenfalls in Yapenta, doch weder von Kilron, Saphanen oder den Kremotau war bekannt, dass sie sich auch nur im Geringsten mit der Seefahrt beschäftigten. Genau zwei Wochen nach ihrem Aufbruch landeten sie vierzig bis fünfzig Kilometer westlich der Niromündung an der schroffen, zentralen Südküste Tsyvanias. Sie hatten sich von der Besatzung der YATA verabschiedet und ihnen eine glückliche Heimfahrt gewünscht. Der Kapitän hatte noch versichert, dass ihm keine Berichte bekannt seien, dass es in Tsyvania ähnliche Ungetüme wie auf der Insel Quendi geben würde, dann hatten sie sich auf ihren langen Fußmarsch gemacht. Der Landstrich in Küstennähe war nicht unfruchtbar gewesen, es hatte Büsche und Wäldchen gegeben, Bäche und kleine Seen und eine Anzahl fremdartiger Tiere, die sich in der Regel von der Gruppe fernhielten. Doch das Gelände wurde nach Norden zunehmend schroffer und schwer begehbar, sie waren immer langsamer vorangekommen. Eine Woche lang hatten sie sich über Felsen, Klippen und durch Senken in ungefähr nordwestliche Richtung gemüht, ohne eine Spur des Feindes oder sonstiger Einwohner dieses Landes zu entdecken. Von den höher gelegenen Punkten ihrer Wanderung vermochten sie in einigen Kilometern Entfernung noch immer das Meer zu ausmachen, denn ohne wirkliche Absicht waren sie zunächst weitgehend dem Küstenverlauf gefolgt. In der zweiten Woche hatten sie den Rand einer Schlucht erreicht, wo sich vor ihnen ein steiler und unwegsamer Abgrund öffnete. Weit unten am Boden schien es ein Lager zu geben, in dem es von Kilron nur so wimmelte. Das Umgehen von Schlucht und Feind hatte sie etwa zwei Tage gekostet. Im Anschluss waren sie immer weiter in nördliche Richtung gezogen, wo das Land noch felsiger, trockener und staubiger war. Jetzt, etwa einen Monat nach dem Aufbruch in Yapenta, hatten sie das gefunden, was sie für sich selbst den Heiligen Tempel der Saphane getauft hatten. Immerhin war es nicht sehr wahrscheinlich, dass jemals zuvor ein menschliches Auge dieses Bauwerk erblickt hatte. Doch es schien zweifelhaft, ob diese Information schon etwas wert war. Die Saphane waren gefährliche Gegner, aber sie waren nicht das eigentliche Problem. Und selbst wenn, so wusste Raimund keinen Weg, um ihre Entdeckung zeitnah nach Yapenta zu melden. Wäre da nicht noch der Hinweis auf den geheimen Stützpunkt gewesen, er hätte nicht gewusst, was sie in dieser Einöde eigentlich suchen sollten. Er konnte nur hoffen, dass Sharan Tsa sich etwas dabei gedacht hatte, sie ausgerechnet in diese Region zu senden.

    Sie verharrten die Mittagsstunden über in ihrem Versteck und zogen weiter, als sich die Sonne dem Bergrücken näherte. Die abziehenden Saphane sollten schon in einiger Entfernung sein, doch wusste niemand zu sagen, ob und wie viele Späher sie noch in der Gegend hatten. Den Tempel würden sei weiträumig umgehen, was sie sicher einiges an Zeit kostete. Dabei mussten sie leise und vorsichtig sein, denn wenn die Saphane sie erst einmal entdeckt hätten, wäre die Mission wohl gescheitert und ihr Überleben mehr als fraglich.

    Es würde noch einige Stunden hell genug bleiben, genug, um einen Weg durch das unwegsame Gelände zu finden. Mit der Dämmerung würden sie sich einen Unterschlupf suchen, denn in der Nacht war es so gut wie unmöglich, selbst beim hellsten Licht der beiden kleinen Monde, sicheren Fußes über die Felsen zu steigen. Das Land war sehr trocken. Auch wenn in den Senken durchaus vereinzelt Gräser und Büsche wuchsen, war Wasser ein ständiges Problem, schwer zu finden und oft verschmutzt. Sie hatten ihre Wasserrationen weit mehr einschränken müssen, als sie sich das vorgenommen hatten. Es gab auch wenig Nahrhaftes auf ihren Wegen, aber sie hatten gelernt, mit den wenigen Vorräten auszukommen, die sie noch von der YATA mitgebracht oder unterwegs eingesammelt hatten. Smath und Leigthii hatten sich hierbei als unschlagbar erwiesen, Essbares von wenig Genießbarem zu unterscheiden, denn die Botanik dieses Landes war ihnen weitgehend fremd.

    Annett war von den Lehrern in der Steinschule intensiv beigebracht worden, wie man in einem unübersichtlichen Gelände die Richtung beibehielt, aber mittlerweile kannten sie sich alle recht gut in dieser Kunst aus. Sie hatten sogar einen einfachen Kompass dabei und konnten das Magnetfeld des Planeten zur Orientierung nutzen. Zwar wich der magnetische Nordpol von P‘hu-Tsa nicht unwesentlich vom geographischen ab, mehr als auf der Erde etwa, dennoch konnten sie damit ein oder zwei Mal täglich recht gut die Richtung bestimmen, in die sie gegangen waren.

    Am Nachmittag wurde es ungewöhnlich früh dunkel und schwere, finstere Regenwolken zogen am Himmel auf, erstmals seit zwei Wochen. Als die ersten Tropfen fielen, suchten sie noch immer nach einem geeigneten Schutz. Sie hockten sich an den Fuß einer Felswand und zogen sich die Kapuzen über ihre Köpfe, ohne wirklich vor dem Regen geschützt zu sein. Immerhin konnten sie mit dem von den Felsen fließenden Regenwasser ihre Vorräte ein wenig auffüllen, sie waren da nicht sehr wählerisch.

    Der Regen dauerte Stunden und die Nacht wurde kühl, feucht und ungemütlich. Auch als die Schauer nachließen, wollten ihre Sachen nur schwerlich trocknen. An ein Feuer war ohnehin nicht zu denken. So war ihnen die Morgensonne im aufklarenden Himmel willkommen, die sie aus ihrem unruhigen Schlaf weckte.

    „Auf, bewegt euch etwas", forderte Lemenus sie auf, der die letzte Wache gehabt hatte.

    Es dauerte eine Weile, die unterkühlten Glieder wieder geschmeidig zu bekommen. Nach einem kargen Frühstück brachen sie mit der noch immer feuchten Kleidung auf. Sie suchten nach einigen markanten Geländemarken, die auf ihrem vorgesehenen Weg lagen und an denen sie sich grob orientieren wollten. Nach dem Aufbruch dauerte es etwa zwanzig Minuten, bis Alice beschloss, dass sie dringend noch einmal austreten musste.

    Wie in solchen Fällen üblich zog sie sich hinter einen Felsen in unmittelbarer Nähe der Gruppe zurück, wo sie außer Sicht-, aber nicht außer Hörweite war. Auch daran hatten sie sich gewöhnen müssen. Die anderen warteten auf ihre Rückkehr, als sie von Alice einen unterdrückten Schrei hörten. Mit einem Satz war Raimund hinter dem Felsen, wo sie sich gerade die langsam zerschleißenden Hosen hochzog.

    „Was ist los?"

    Alice schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht genau… mir kam es eben vor, als habe sich dort hinten ein Felsen bewegt." Raimund starrte in die angegebene Richtung. Das Gelände fiel etwas ab und war mit Steinen und größeren Felsen gesäumt. Alles schien ruhig.

    „Wir haben zu lange schon nichts anderes als dieses langweilige Land gesehen, seufzte er. „Die Sinne spielen uns Streiche… „Du meinst, sie spielen mir Streiche, stellte Alice klar. „Ich… he, da ist es wieder!

    Jetzt konnte Raimund es auch sehen. Einer der Felsen schob sich in die Höhe, fing an zu wanken und bewegte sich über den Hang. „Was ist denn los? fragte Annett, die um den Stein zu ihnen lugte. „Pst! machte Raimund. „Da drüben."

    Der wandelnde Felsen kam etwas näher, endlich konnten sie auch die kurzen, stämmigen Beine sehen, auf denen er ruhte. Es war ganz offenbar eine lebende Kreatur, entfernt an eine Schildkröte erinnernd. Vorne ragte ein langer, dünner Hals heraus, an dessen Ende sich ein kleiner, hin und her schwenkender Kopf befand. Das Wesen hatte, wenn überhaupt, nur winzige Augen, dafür aber drei große, rüsselartige Fortsätze, durch die lautstark Luft eingesogen wurde. Der Panzer des Tieres glich einem Felsen, wie es sie in diesen Landstrichen zuhauf gab.

    „Die perfekt angepasste Lebensform, fand Raimund. „Ich frage mich nur, wovon diese Biester in dieser Einöde leben. „Hoffentlich von Steinen und nicht von unachtsamen Wanderern", murmelte Alice.

    „Das ist ein Saphornok, pfiff Smath leise. Der Grodo war leise an sie herangetreten. „Man sieht sie selten, gehen meist nachts auf die Suche. Aber Regen hat ihnen wohl den Geruchssinn verdorben. „Ein Saphornok, wiederholte Lemenus, wobei er das seltsame Wort langsam und nachdrücklich betonte. „Auf die Suche wonach?

    „Na ja, machte der Grodo eine für ihn seltene Kunstpause. „Sie sind… sozusagen… Haustiere von Saphane. Leben dort, wo Saphane sind. Sie fressen ihren… äh… Mist. Ihren Kot, wie ihr sagt?

    „Diese Viecher fressen die Scheiße der Saphane? Annett riss ungläubig die Augen auf. „Davon können die leben? „Offenbar finden sie genug zum Verwerten darin", folgerte Raimund.

    „Essen auch anderes, ergänzte Smath. „Aber nicht viel finden hier.

    Der Saphornok war stehengeblieben und seine Rüssel schmatzten suchend auf dem Boden herum, bis er gefunden hatte, was er suchte.

    „Kann gut sein, dass gestern rund tausend Saphane durchgekommen sind, vermutete Raimund. „Die hinterlassen sicher Einiges zum, na ja, verwerten.

    „Ich muss mir das wirklich nicht ansehen, fand Alice. „Lassen wir das Vieh frühstücken und ziehen uns dezent zurück, ja? Nur wenige Minuten später stießen sie auf eine Art Pfad, der sich verschlungen durch die Felsen zog. Vereinzelt herumliegende Gegenstände verrieten, dass Saphane in großer Zahl dagewesen waren. Zu spät erkannten sie, dass auf dem kurzen Abstieg, den sie sich ausgewählt hatten, so viel Saphankot lag, dass sie ihm kaum ausweichen konnten. Sie konnten von Glück sagen, dass der Regen schon etliches von den Felsen gewaschen hatte, doch die üppigen, schwarzen Haufen stanken noch immer auf übelste Weise.

    Sich hastig umblickend, ob nicht noch irgendwo Saphane umherstreiften, überquerten sie den Pfad und verschwanden auf der anderen Seite wieder zwischen den Felsen.

    Als sie sich endlich sicher waren, den Tempel der Saphane hinter sich gelassen zu haben, schlugen sie wieder eine ungefähr nördliche Richtung ein. In den folgenden beiden Tagen kamen sie relativ gut voran, das Gelände war weiterhin karg und felsig, aber gut zu bewältigen. Danach wurde es zunehmend schwieriger, einen Weg durch die zerklüftete Landschaft zu finden, die Vegetation verschwand gänzlich und sie fanden keine Ergänzungen für ihre Vorräte mehr. Letztlich wurde auch das Wasser knapp, denn seit dem letzten Regen in der Nähe des Saphan-Tempels war es durchgehend trocken geblieben. Bäche, Seen oder Teiche schien es in diesem Teil von Tsyvania nicht zu geben. Leere Mägen, trockene Kehlen und die trostlosen Felsen drückten zunehmend auf die Stimmung. Mit jedem Schritt wurden die Fragen lauter, was sie überhaupt in dieser selbst von Kilron verlassenen Gegend zu finden hofften.

    Etwa eine Woche, nachdem sie den Saphan-Tempel umgangen hatten, erreichte die Stimmung den Tiefpunkt. Sie drängten sich mit einsetzender Dunkelheit in einer Felsmulde zusammen. Für ein Feuer hatten sie kein Brennholz, nach den eintönigen Tagen ohne Begegnung mit irgendeinem lebenden Wesen verzichteten sie auch auf eine Wache.

    „Wie steht es um unseren Proviant?, fragte Annett, wie sie es schon seit Tagen jeden Abend tat. Sie gähnte. „Wie weit kommen wir noch?

    „Wenn wir die Rationen weiterhin so klein halten, reicht das Essen noch ein paar Tage, schätzte Alice. „Auch wenn wir dabei immer schwächer werden. Aber das Wasser ist fast alle. Wenn wir nicht bald etwas auftreiben, werden unsere Knochen eines nicht allzu fernen Tages zwischen den Felsen verbleichen, wo sie niemand je finden wird.

    „Du solltest sowas nicht herbeireden, murrte Lemenus. Selbst der ehemalige Polizist, der Strapazen gewohnt war, stützte müde und erschöpft den Kopf in die Hände. „Ich habe mir selten so sehr gewünscht, dass es endlich mal wieder regnen würde.

    „Wir müssen irgendwo Wasser finden." Raimund blickte sich in der Dämmerung um. Aber es gab nicht einmal Moos an den Felsen. Nichts wies auf eine Spur Feuchtigkeit hin.

    „Der Fluss, pfiff Smath. „Fluss hat viel Wasser, klar und rein aus den Bergen.

    „Ja, der Fluss, wiederholte Lemenus. „Wir haben uns absichtlich nicht an den Fluss gehalten, weil wir davon ausgehen dürfen, dass der Feind den Fluss überwacht. Und jetzt? Wie weit sind wir vom Niro entfernt?

    „Das kann ich dir nicht genau sagen, gestand Annett. „Wir haben doch keine Ahnung, wo wir eigentlich sind. Das Gelände ist überall gleich eintönig. Vielleicht ist es nur ein Tagesmarsch, womöglich auch vier oder fünf. Wir müssten uns aber direkt nach Osten wenden und das Beste hoffen.

    „Warum gehen wir eigentlich immer nordwärts? stelle Alice die Frage, die alle umtrieb. „Was genau suchen wir eigentlich? Diesen ominösen Stützpunkt, von dem Sharan Tsa gesprochen hat? Wenn wir Informationen über den Feind besorgen sollen, sind wir an der denkbar schlechtesten Stelle. Hier gibt es nämlich rein gar nichts! „Die Kenntnis von der Lage des Heiligen Tempels der Saphane wird wohl nicht gerade von kriegsentscheidender Bedeutung sein", vermutete Lemenus.

    „Sharan Tsa wird sich etwas dabei gedacht haben, als er uns hierherschickte, beharrte Raimund. „Ja, es mag sein, dass er uns nicht alles verraten hat.

    „Der andere Fluss", warf Leigthii pfeifend ein. Die Groda deutete mit ihrem kurzen Arm nach Westen.

    „Der andere Fluss?" fragte Lemenus.

    Annett nickte. „Ja, der zweite Fluss westlich, dem wir vermutlich näher sind. Der Sandel."

    „Aha. Alice war ein wenig aufgebracht. „Du denkst, wir sind dem Sandel näher als dem Niro? Wann wolltest du uns darauf hinweisen? Wenn der Erste verdurstet ist?

    „Der Sandel gilt als reißender Gebirgsfluss mit vielen Fällen und gefährlichen Strömungen. Er soll durch unzählige steile Schluchten stürzen und sehr unzugänglich sein. Es war nie vorgesehen, bis zum Sandel vorzustoßen."

    „Und was war vorgesehen? Alice schüttelte den Kopf. „Dass wir Wasser aus den Steinen quetschen?

    „Wir bewegen uns langsam, aber nachhaltig auf Phogonia zu, sagte Raimund leise. „In diesen Bergen befindet sich die Hochebene von Phogo, dem angeblich Zentrum der Kremotau, wenn es denn so etwas überhaupt gibt. Ich nehme an, das ist es, wohin wir gehen sollen. Sobald wir wieder Wasser haben. „Und wenn wir an der Hochebene eintreffen?, fragte Lemenus. „Das Zentrum der Kremotau erreichen – glaubt ihr, zwei Grodo werden uns retten? Nichts für ungut… Er nickte Smath und Leigthii zu. „Aber gegen eine ganze Horde Kremotau… „Ihr braucht Kremotau nicht fürchten, pfiff Smath. „Wozu?"

    „Nun, das werden wir sehen, wenn wir da sind. Raimund kniff müde die Augen zusammen. „Ich kann wirklich nur hoffen, dass sich Sharan Tsa etwas dabei gedacht hat.

    „Wir werden Phogonia nicht erreichen, da wir vorher verdursten, erinnerte Alice sie. „Mir klebt jetzt schon die Zunge am Gaumen. „Also versuchen wir doch, zum Sandel zu kommen? Lemenus blickte Annett fragend an. „Wir gehen nach Westen? „Wie gesagt, ich weiß nicht genau, wo wir sind und wir lange wir dafür brauchen werden, aber… rein vom Gefühl… also, ich würde sagen, dass wir viel näher am Sandel sind als am Niro! „Ich kann nur hoffen, dass uns dein Gefühl nicht trügt, sagte Alice.

    Kenneth Brigg war der Tsapanthas. Dessen war er sich mittlerweile sicher. Je länger er es fühlte, es in sich spürte, es nach außen zeigte, umso gewisser wurde es ihm. Nur wenige Phasen der Ruhe hatte es gegeben, seit er mit seinen ersten, noch spärlichen Anhängern nach der Schlacht am Wise-See zur Kilronjagd aufgebrochen war. Fendenus war stets an seiner Seite. Er bestärkte ihn und führte ihm beständig neue Anhänger zu. Auch Silus begleitete ihn, nahm ihm den lästigen Alltagskram ab, um den er sich wirklich nicht mehr kümmern konnte. Kieran und Rheds waren zurück nach Wisedow gegangen, um ihre Sache in der Hauptstadt weiter zu vertreten. Sassia war ebenfalls dort, nachdem sie sich für ein paar Stunden vor der Stadt getroffen hatten. Manchmal, in einer seltenen ruhigen Minute, schmerzte es ihn, dass sie nicht an seiner Seite war. Andererseits war es ihm auch recht, denn so konnte er sich auf seine wichtige Aufgabe konzentrieren und sie geriet nicht unnötig in Gefahr. Als Tsapanthas hatte er Wichtigeres zu tun, es ging um die Rettung der Welt. Auch wenn sie sicher ein Teil der Prophezeiung war. Nun, sie war, soweit er gehört hatte, bei Elysia untergekommen und ohne Zweifel in guten Händen.

    Er trat an den Eingang des prächtigen Zeltes, das man ihm besorgt hatte. Gelassen blickte er über das Lager seiner engen Gefolgsleute mit den kleineren, rasch aufzubauenden Zelten. Es waren mittlerweile mehr als dreihundert, die mit ihm durch die dünn besiedelten Landstriche westlich des Sees Wise zogen. Sie hatten einige Kilronbanden aufgestöbert und vernichtet, doch die Kilron hinterließen aufgrund ihrer Eigenschaft, nach dem Ableben mitsamt ihrer Ausrüstung spurlos zu verschwinden, keine Jagdbeute. Doch schon bald würde es nicht mehr um Kilron gehen, sondern um seine endgültige Bestätigung als Tsapanthas. Seine Anhänger sehnten diesen Moment zweifellos herbei. Sie winkten ihm zu, sobald sie ihn am Zelteingang stehen sahen, zuversichtlich, hoffnungsvoll. Die jüngsten waren kaum mehr als Kinder, die ältesten fast Greise. Aber alle waren entschlossen, mehr für die Verteidigung ihrer Heimat zu tun, als sie der zwischen Magiern, Philosophen und Historikern offenkundig zerstrittenen Staatsführung von Parlatsa zutrauten.

    „Silus!, rief Kenneth, als er den Pruter nähertreten sah. Mit einer Handbewegung lud er ihn in sein Zelt ein. „Wie ich hörte, hast du die Prophezeiung ein wenig überarbeitet.

    „Ja, schon…, sagte Silus. „Es ist etwas eigenartig. Alle menschlichen Wesen dieser Welt scheinen ja die gleiche Sprache zu verstehen, doch gibt es auch wieder Unterschiede. Etwa so wie stark ausgeprägte Dialekte. Die erste Übersetzung der Prophezeiung war in der Kürze der Zeit etwas holprig, ich habe sie nur in etwas andere Worte gefasst. Willst du sie hören? „Natürlich will ich sie hören!" Kenneth goss sich etwas von dem roten Wein ein, den ihm einige seiner Anhänger als Geschenk überreicht hatten.

    „Also", seufzte Silus. „Dann hör mal:

    Dies also ist die Prophezeiung des Tsapanthas;

    dass er von der Sternenschnur trifft ein beim Weltenstein,

    Doch erblickte sein Licht fern unter fremdem Stern.

    Die Gabe ihm gegeben, in der Not sich zu erheben,

    Sei er ein Krieger und ein Weiser,

    sich zaudernd nur seinem Schicksal zu ergeben.

    Mut und Halt gibt ihm ein sternenschnuren Kind".

    Kenneth zögerte einen Moment, doch Silus sprach nicht weiter. „Klingt etwas merkwürdig, fand er. „Da gefiel mir das Alte fast besser. Der Schluss ist etwas…

    „Als ob etwas fehlt, nicht wahr? Du weißt, dass es die durchaus nicht abwegige Meinung gibt, dass die Prophezeiung nicht vollständig ist. Solange es noch einen geringen Zweifel gibt, solltest du es nicht zu weit treiben. Silus seufzte. „Sassia ist der Ansicht, dass nach wie vor erhebliche Ungewissheiten bestehen, dass das Ganze auf dich abzielt. Was immer sie und Elysia in diesem Archiv gefunden haben…

    „Ist nur ein weiteres Stück Papier, winkte Kenneth ab. „Du bist ein richtiger Schwarzseher geworden. Und ich hatte dich gebeten, nicht von Sassia zu sprechen. Es ist schlimm genug, dass ausgerechnet sie an mir zu zweifeln scheint.

    „Sie macht sich Sorgen um dich, warf Silus ein. „Ihr hättet nicht im Streit auseinander gehen sollen…

    „Da hast du Recht. Sie sollte besser stolz auf mich sein. Aber wir werden bald Gewissheit haben. Schon heute Nacht wird sich vielleicht beweisen, dass ich tatsächlich der Tsapanthas bin! Dann wird auch sie es einsehen müssen. Aber sag mal – was soll das mit der Sternenschnur noch mal bedeuten?"

    Silus rollte innerlich mit den Augen. „Das hatten wir doch schon. Die Sternenschnur ist eine alte Bezeichnung für die vier Sterne der Gyxgaresgruppe, welche für Menschen bewohnbare Planeten aufweisen. Von einem bestimmten Blickwinkel aus gesehen liegen diese Systeme in einer Linie hintereinander, wie auf einer Schnur aufgezogen. Der Begriff ist inoffiziell und wird heute kaum noch verwendet. Aber auch in den Archiven von Wisedow ist es ein gängiger Begriff."

    Kenneth nickte. „Gut, gut. Eines noch: du sprichst plötzlich von Krieger und Weiser. Du hast dir das nicht einfach ausgedacht, oder? „Auch so ein altes Wort. Das Wort 'Krieger' gibt einfach nicht das wieder, was die Quelle offenbar mit dem Begriff ‚Tsapanthas‘ meint. Es geht um einen weisen Krieger, einen Behüter, so etwas wie ein Paladin, stark, ritterlich und eben weise. Eine heute seltene Kombination, zugegeben.

    Kenneth wirkte einen Moment irritiert. „Na, wie dem auch sei. Ich werde also Krieger und auch Weiser sein müssen. Sind alle bereit? „Alle, die dir auf diesem Weg folgen wollen, sind bereit. Bist du sicher, dass du schon kommende Nacht…

    Kenneth wirkte entschlossen. „Warum noch warten? Morgen brechen wir auf, und wenn alles gut geht, ist die Prüfung Übermorgen bestanden und wir werden über unsere nächsten Schritte sprechen. Wir haben noch Einiges vor."

    Silus schien nicht ganz überzeugt. „Noch eine Anmerkung, Kenneth. Ist es nicht seltsam, dass in den Eckbergen für alle im weiteren Umkreis spürbar ein Kremotau aufgetaucht sein soll, kaum dass du dich als Tsapanthas präsentiert hast? „Seltsam? Es ist unvermeidlich! Der Feind versucht, seinen größten Widersacher aus dem Weg zu räumen, ehe er zu stark wird! Was soll daran seltsam sein?

    Silus starrte ihn einen Moment an. „Also schön. Aber versprich mir bitte, dass du morgen, wenn alles gut gegangen ist, endlich in Richtung Wisedow aufbrichst. Wenn du mit einem Kremotaukopf auftauchst, bist du als Tsapanthas bestätigt und findest vermutlich Gehör bei den Orden. Dann werden sie hoffentlich zusammenfinden und eine gemeinsame Armee aufstellen. Und diese auch in Marsch setzen."

    Kenneth lächelte. „Keine Sorge, sie werden bereits von mir und meinen Taten gehört haben, ehe ich zurückkehre. Immerhin hat es auch der Feind schon längst. Die Zeit ist gekommen, uns ihm endlich zu stellen, Silus!"

    Silus trat zum Zelteingang und blickte die schroffen Felswände der Eckberge empor, die sich kantig von den sonst abgerundeten Kuppen der Umgebung abhoben und dem Gebirgszug den Namen gegeben hatten. Wieder beschlich ihn ein mulmiges Gefühl, wie stets, wenn er hinaufblickte. Irgendwo oben sollte ein Kremotau warten. Aber konnten sie dessen wirklich sicher sein? Hatte ihn jemand gesehen? Aber etwas war dort, er konnte eine aufsteigende Unruhe in sich fühlen, wenn er nur hinaufblickte. Keine Frage, dass ihn diese Aussicht nicht sonderlich beruhigte. War das bereits die berüchtigte Aura der Kremotau oder noch die Furcht um Kenneth? Der Mann von der Erde hatte sich in letzter Zeit verändert. Überall wurde verbreitet, er sei der Tsapanthas. Vor allem der Pellonier Fendenus war unermüdlich unterwegs gewesen, um wie ein Prophet diese Kunde zu verbreiten und neue Anhänger zu sammeln. Mit einem geliehenen Monpeh durchstreifte er die Landstriche westlich des Wise, suchte Dörfer und Weiler auf und warb um Beistand für den Tsapanthas. Und immer mehr Menschen folgten seinen Worten und trafen im Lager ein. Menschen, die an den Tsapanthas glaubten, vielleicht auch Menschen, die sich und ihre Familien durch die Regierung in Wisedow nicht ausreichend beschützt fühlten und selbst etwas unternehmen wollten. Natürlich hatten sie damit teilweise recht, die Orden und die Armee konnten unmöglich das weitläufige, dünn besiedelte Gebiet verteidigen, in dem sich in friedlichen Jahren immer wieder vereinzelt Menschen angesiedelt hatten, die weitgehend nach eigenen Regeln lebten. Aber würde es hilfreich sein, gemeinsam mit dem angehenden Tsapanthas einem Kremotau entgegen zu ziehen? Er konnte nur hoffen, dass Fendenus‘ Versprechungen sie nicht alle in den Untergang führten. Den ehemaligen Offizier des Raumflughafens interessierte das Schicksal der Leute, die er versammelte, vermutlich wenig. Ihm ging es vor allem darum, diesen Krieg schnellstmöglich zu beenden, damit er in das Heimatuniversum zurückkehren konnte. Silus hätte nie damit gerechnet, dass es von Seiten der Kremotau eine so rasche und deutliche Reaktion geben würde. Fürchtete der Feind den Tsapanthas tatsächlich? Oder störten ihn mehr die Auswirkungen auf die Kampfmoral der Menschen, die allein das Gerücht über den Steinkrieger schon bewirkte? Jedenfalls waren vor zwei Tagen einige verstörte Berghirten im Lager aufgetaucht und hatten davon berichtet, dass sie in den Eckbergen einige Saphane gesehen hätten. Ebenso hätten sie Hinweise darauf erhalten, dass ein Kremotau eingetroffen sei. Zweifellos wollte der sich mit dem Tsapanthas messen. Kenneth hatte dies als willkommene Gelegenheit begrüßt, die letzten Zweifler zu überzeugen. Am kommenden Morgen wollte er in die Berge emporsteigen, sich dem Kremotau stellen und ihn bezwingen. Silus konnte nur hoffen, dass Kenneth sich seiner Sache wirklich sicher war.

    Mit dem ersten Licht des Morgens zogen sie weiter.

    Aufkommender Wind trieb Sand und Staub über die Felsen, unter ihre Kleidung, bis auf die Haut. Schon nach kurzer Zeit fühlten sie sich wieder erschöpft, der Durst wurde immer schlimmer. Manchmal mühte sich jemand auf einen höher gelegenen Felsen, doch den ganzen Tag über war keine Spur eines Flusses zu bemerken, weder des Niro noch des Sandel. Von anderen Wasserquellen ganz zu schweigen. Weder kannten sie die genaue Richtung, noch war es ihnen möglich, eine konkrete Richtung strikt einzuhalten. Sie suchten verschlungene Pfade durch das felsige Gelände und kamen immer wieder vom Weg ab, auf dem Annett sie anfangs noch leiten wollte. Irgendwann gab sie es auf, sie folgten einfach den Möglichkeiten, die das Land ihnen bot. Bis zum Abend hatte ihnen das allerdings kein Wasser gebracht. Die folgende Nacht verbrachten sie schweigsam, die Stimmung war noch schlechter als zuvor. Füße und Beine schmerzten, die Kehlen brannten, sie fühlten sich mehr und mehr ausgetrocknet. Annett war es in den letzten Stunden der Wanderung schwindelig gewesen, am Abend bekam sie leichtes Fieber. Alice mit ihren Yurtekräutern konnte nur wenig dagegen ausrichten.

    Raimund kletterte in der Dämmerung schnaufend auf einen Felsen und streckte die Nase in die Luft, als könne er so irgendwie wittern, in welcher Richtung feuchtere Luft lag, welcher Weg sie zum Fluss führen würde. Doch dafür reichte seine Nase wohl doch nicht aus. Er lauschte eine Weile, leckte mit der rauen Zunge über die aufgesprungenen Lippen und stieg schweigend wieder hinab.

    Sie ruhten unruhig und lagen oft wach, nur Annett und die beiden Grodo schliefen tief und erschöpft. Irgendwann ließ der Wind nach, der sie den ganzen Tag gepeinigt hatte. Sie vermeinten ein seltsames Tosen zu hören, das wie aus weiter Ferne zu ihnen drang. Vielleicht ein Geräusch, welches der Wind mit sich brachte. Sie vermochten aber nicht zu sagen, woher es genau stammte. Wieder kam ein Morgen, sie benötigten lange, bis sie sich aufgerafft hatten und den Weg fortsetzten. In der Morgendämmerung tauchten höhere Bergformationen am Horizont auf, Berge, die für sie, in ihrer derzeitigen Verfassung, unüberwindliche Hindernisse darstellten.

    Schon die erste Stunde der Wanderung war eine Qual. Annett schleppte sich nur noch dahin, die anderen wechselten sich damit ab, sie zu stützen. Sie musste mehrmals anhalten und schien zeitweise nicht mehr zu wissen, wo sie sich befand. Die Grodii kamen noch relativ gut mit den Umständen zurecht, doch auch sie ließen das obligatorische Pfeifen vermissen, mit dem sie sich ansonsten in ihrer eigenen Sprache unterhielten.

    Raimunds Hände zitterten. Die Knie waren weich, die Füße setzten sich nur noch mechanisch auf die Steine. Über ihnen riss die zuletzt dichte, aber keinen Regen bringende Wolkendecke auf und ließ wärmende Sonnenstrahlen durch, was ihre Situation nicht gerade verbesserte. „Was für eine Ironie", murmelte er.

    Lemenus blieb keuchend stehen und wandte sich um. „Ironie? „Ironie ist, dass ich drei Planeten und einen interstellaren Krieg überlebt habe, nur um in einer Steinwüste im Nirgendwo zu verdursten, erklärte Raimund. Seine Stimme war heiser und kratzig.

    Lemenus seufzte. „Am Ende gewinnen wir noch eine Erkenntnis.

    Auch Yotsa können irren…"

    Raimund hielt inne und lauschte. Das Tosen schien irgendwie deutlicher zu sein als noch am Morgen. „Hörst du das auch? Der Pellonier nickte. „Ja, schon… Er legte den Kopf schief. „Von dort", beschloss er, entschieden in eine Richtung deutend. Es mochte Westen sein, jedenfalls ungefähr.

    Sie wankten in die angegebene Richtung, wo der Weg einfacher war, da die Felsen flacher und zugänglicher wurden. Das Tosen wurde bald kraftvoller, auch ohne, dass sie anhalten und lauschen mussten. Die Luft schien frischer und tatsächlich eine Spur feuchter zu werden. Doch erst nach weiteren, qualvollen Wegstrecken standen sie plötzlich, wie aus dem Nichts, am Rand einer gigantischen Schlucht.

    Lemenus sank auf die Knie, legte sich auf den Boden. Raimund kroch auf allen vieren zu ihm und blickte in den Abgrund. Dort, tief unter ihnen, tobte ein Fluss wütend durch sein enges Bett, welches er in den Stein geschnitten hatte. Die Gischt schäumte hoch an den Felsen hinauf. Viel zu weit entfernt, als dass sie ihn erreichen konnten.

    „Was ist?" frage Alice von hinten.

    Raimund drehte den Kopf. „Wir haben den Sandel gefunden, sagte er. „Nur erreichen können wir ihn nicht.

    Jetzt, wo es wieder eine Aussicht auf Wasser, auf Leben, gab, mobilisierten ihre Körper erstaunliche Kräfte und Reserven. Sehnsüchtig blickten sie auf den tosenden Fluss unter ihnen, atmeten die kühlere, mit Feuchtigkeit getränkte Luft ein. Doch die Felswände waren viel zu steil und unwegsam, an einen Abstieg war nicht zu denken.

    Sie folgten dem Wasser flussaufwärts, froh, endlich einem vorgegebenen Weg folgen zu können und nicht länger ziellos durch die immer gleichförmige Landschaft zu irren. Doch zunächst wollte sich die Situation nicht merklich verbessern. Der Sandel raste weiterhin tief unter ihnen dahin, ohne dass sie eine Stelle fanden, an der an einen Abstieg auch nur zu denken war. Und wenn es ihnen gelungen wäre – der Fluss mit seiner unbändigen Kraft hätte sie vermutlich mit sich gerissen. Ein flaches Ufer war nicht zu erkennen, nur steile Felsen, die in die Fluten tauchten.

    Die anfängliche Euphorie verflog, die Erschöpfung kehrte zurück, gepaart mit ein wenig Verzweiflung. Annett konnte kaum noch weiter, immer öfter mussten sie Pausen einlegen. Raimund und Lemenus stützten sie zuletzt, doch auch die Kräfte der beiden hochgewachsenen Männer gingen zur Neige. Sie vermochten nur noch mit Mühe ihre eigenen Körper zu tragen.

    Sie machten Rast, als die Sonne hoch am Himmel stand, daran zweifelnd, ob sie noch genügend Kräfte für eine Weiterreise aufbringen würden. Lemenus und Alice versuchten, einen ihrer leeren Wasserschläuche an ein Seil zu binden und zum Fluss hinab zu lassen, aber das Seil erwies sich als zu kurz. Raimund starrte durch die Ritzen seiner Finger auf die Sonne. Er nannte den Stern Sonne, wie alle anderen auch, in fast allen Sprachen ein Synonym des Heimatsterns. Auf den Sternenkarten hieß er Glax. War das in diesem Universum immer noch der gleiche Stern? Kam er nicht gerade immer näher, um ihn erbarmungslos zu verbrennen? War er tatsächlich am Ende seiner verrückten Reise angekommen? Nichts spielte jetzt noch eine Rolle. Glax, die Sonne, flimmerte hinter dünnen Wolkenfetzen, die keinen Regen versprachen. Es war nicht sonderlich heiß, aber sein Körper verdorrte. Der Kopf schmerzte fürchterlich. Vielleicht sollte er sich einfach in den Fluss stürzen. War es besser zu ertrinken als zu verdursten? Oder war das Flussbett so flach, die Strömung so stark, dass sein Körper an den Felsen zerschmettern würde?

    „Dort hinten!" Lemenus‘ Stimme drang wie durch Watte zu ihm. Er merkte, dass er auf den Steinen lag, dass es erträglich war, einfach nur da zu liegen. Sollte jemand anders nach dem Tsapanthas suchen. Er würde nicht mehr aufstehen.

    „Jetzt kommt schon, hörte er Lemenus wieder. Dessen Stimme klang heiser und rau. „Wir haben Wasser…

    Einen Moment später spürte Raimund, wie ihn jemand an den Schultern rüttelte. „Steh auf, Raimund, schnaufte Lemenus. „Ich habe eine Felsstufe mit einem Wasserfall gefunden. Nicht weit von hier. Der Fluss stürzt weit in die Tiefe, aber im oberen Teil kommen wir ans Wasser!

    Es dauerte eine Weile, bis Raimund begriff, was der Pellonier ihm sagte. Woher nahm Lemenus nur die Kraft, noch immer nach einem Weg Ausschau zu halten? War dies das jahrelange Training der Werkspolizei bei TYGOR? Egal, mit frischem Wasser konnten sie sich stärken, noch eine Weile überleben. Der Kampf gegen die Kremotau würde weiter gehen.

    Annett lag erschöpft und schlafend auf einem Felsen, Alice hockte neben ihr, den Kopf zwischen den Knien vergraben. Smath und Leigthii saßen dicht an dicht in einer Kuhle und hatten die Augen geschlossen. Aber Lemenus zerrte ihn vorwärts. Sein Gesicht wirkte eingefallen, seine Lippen waren aufgesprungen, er sah furchtbar aus. Ähnlich wie er selbst, vermutete Raimund.

    Das Gelände gab seine Geheimnisse nur ungern preis. Wie aus dem Nichts öffnete sich der Boden, und dort, wenige Meter unter ihnen, befand sich eine Stufe im Felsen, in der sich ein kleiner Teich gesammelt hatte. Er wurde vom Spritzwasser des gewaltig tosenden Wasserfalls gespeist, der mit unbändiger Macht in die Tiefe stürzte. Wie hatte er das überhören können?

    Der Weg nach unten war nicht so steil wie befürchtet, sondern führte über einige Vorsprünge, die relativ guten Halt boten. Dennoch war äußerste Vorsicht geboten, denn der Stein war von der Gischt glitschig und ihre Verfassung nicht die Beste. In Vollbesitz ihrer Kräfte wäre es ein Leichtes gewesen, hinunter zu gelangen, doch jetzt war es eine gewaltige Aufgabe. Lemenus stürzte die letzten Schritte hinunter und blieb am Rand des Teiches, eigentlich nur eine größere Pfütze, liegen. Raimund folgte ihm und tauchte die Hände in das Wasser.

    Es war klar und kalt. Nichts hatte ihm jemals besser geschmeckt. Raimund trank vorsichtig, aber beständig. Als auch Lemenus Wasser geschöpft hatte, deutete Raimund nach oben. „Komm, lass uns die anderen holen."

    Nur langsam kehrten ihre Kräfte wenigstens teilweise wieder. Sie saßen einige Stunden auf den Felsen um die Wasserstelle herum, in der vom herabstürzenden Fluss geschwängerten Luft, tranken sich immer wieder satt und warteten, bis ihre Körper das Wasser aufgenommen hatten. Als der schlimmste Durst gestillt war, wuschen sie sich mit dem Spritzwasser des Falls so gut es ging Staub und Schmutz vom Körper. Raimund wäre beinahe ausgerutscht, als er am Rand der Felsstufe stand und in den Abgrund blickte. In der Folge füllten sie ihre Schläuche und alles, in dem man Wasser transportieren konnte, ehe sie wieder hinaufkletterten.

    Nach einer längeren Rast beschlossen sie, dem Fluss weiter nordwärts zu folgen, um in der Nähe der Trinkwasserquelle zu bleiben. Es zeigte sich, dass der Sandel hier oben wesentlich ruhiger floss und auch nur wenige Meter unterhalb des normalen Geländes lag. Der Boden wurde sandiger, hin und wieder tauchten auch wieder Pflanzen auf. Ihre Hoffnung, irgendwann etwas Essbares zu finden, stieg. Schon bald ragten am Horizont die Berge höher empor, während der Sandel sich auszuruhen schien und sich mit einem Mal sogar ein fruchtbares Tal öffnete. Noch am frühen Abend sahen sie Büsche und Sträucher, es gab sogar Beeren, von denen die Grodo einige für essbar erklärten. Sie lagerten zeitig, sammelten ein wenig Holz und entzündeten mit viel Mühe ein kleines Feuer, über dem sie ausgegrabene Wurzeln einkochten, bis man sie einigermaßen verzehren konnte. Die Grodo hatten angedeutet, dass diese Wurzeln sicher nicht schaden würden, doch als Raimund einschlief grübelte er darüber nach, was dies wohl bedeuten sollte. Vermutlich mochten sie nicht schaden, aber auch zu nichts nutze sein und einen dürftigen Nährwert haben. Aber immerhin hatten sie die Mägen einigermaßen gefüllt. In dieser Nacht schlief

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