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Esariel
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eBook349 Seiten4 Stunden

Esariel

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Über dieses E-Book

Denkst du, sie wären nie zu etwas Bösem fähig?
Lass mich dir sagen: Du liegst falsch! Verlassen von Gott und gefangen in einem nicht enden wollenden Krieg um die Zukunft der Menschheit, sind sie die wahren Bestien geworden!
Und ich muss es wissen, denn ich bin einer von ihnen!

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Angewidert vom endlosen Krieg seiner Geschwister hat sich der Schutzengel Esariel von ihnen abgewandt. Im Exil lebt er unerkannt unter den Menschen und fristet sein Dasein als Personenschützer in Hamburg. Mit diesen friedlichen Tagen ist es vorbei, als ein unbekannter Gegner beginnt, jagt auf Esariels Schützlinge zu machen. Ehe der Himmlische es sich versieht, ist er in einem tödlichen Spiel gefangen, in dem er letztlich um seine eigene Existenz kämpfen muss.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum22. Apr. 2023
ISBN9783989110519
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    Buchvorschau

    Esariel - Andreas Michels

    Für meinen

    Schutzengel

    Inhaltsverzeichnis

    Impressum

    Prolog

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    18. Kapitel

    19. Kapitel

    20. Kapitel

    21. Kapitel

    22. Kapitel

    23. Kapitel

    24. Kapitel

    25. Kapitel

    26. Kapitel

    Epilog

    Über den Autor

    Impressum: 

    Esariel

    Von Andreas Michels

    Copyright © 2023 Andreas Michels

    Texte: © Copyright by Andreas Michels

    Illustrationen: © Copyright by Andreas Michels

    Lektorat: Gegenstromschwimmer Verlag,

    Tribus Buch & Kunstverlag

    Coverdesign: Verena Valmont

    Bildmaterial: Pixabay, Canva, Shutterstock

    Layout: Verena Valmont

    Besuchen Sie den Autor auf: https://traumwelten.org/

    Kontakt: info@traumwelten.org

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung des Autors nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden.

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    Prolog

    Jerusalem, 15. Juli 1099 n.Chr.

    Es wird nicht mehr lange dauern!

    Sorgenvoll betrachte ich die beiden Flügel des Stadttores, die immer wieder unter wuchtigen Schlägen eines Rammbocks erzittern. Auch die Balken, die panische Verteidiger eben noch zur Verstärkung des Tores dagegenstemmen, werden nichts mehr am Schicksal Jerusalems ändern. Wochen der Belagerung haben die Streitkräfte der Stadt dezimiert und ihren Bewohnern gleichermaßen Hunger und Leid beschert.

    Bald schon donnert ein letzter Schlag gegen das geschundene Tor und lässt es krachend aufschlagen, während an anderen Stellen die Christen über Belagerungstürme die Mauern stürmen. Resigniert verfolge ich, wie sich die verbliebenen Verteidiger verzweifelt den hereinströmenden Angreifern entgegenwerfen, nur um binnen Augenblicken von den zahlenmäßig weit überlegenen Kreuzfahrern niedergemacht zu werden. Es wäre mir ein Leichtes, sie aufzuhalten, doch sind diese Zeiten endgültig für mich vorbei.

    Stattdessen sehe ich mit einem inneren Seufzen nach Kedira, meinem Schützling. Anstatt wie der Rest ihrer Freundinnen davon zu laufen, kauert sie am Rande eines Flachdachs und beobachtet von hier oben mit schreckgeweiteten Augen das Wüten der Eroberer unten in den Straßen. Wie üblich scheint mein kleiner Dickkopf nicht zu realisieren, in welcher Gefahr sie selbst schwebt, denn die Kreuzfahrer machen keinen Unterschied zwischen Christen, Juden oder Moslems. Wer ihnen unter die Klingen kommt, wird abgeschlachtet.

    Ich unterdrücke den sinnlosen Drang, sie anzuschreien, damit sie endlich flieht. Kleine, süße, unschuldige Kedira, bitte lauf und schau nicht zurück! Mit wachsender Verzweiflung versuche ich, sowohl das Mädchen als auch die Umgebung im Auge zu behalten. Nicht mehr lange, bis andere Engel auf dem Schlachtfeld erscheinen werden. Und damit meine ich nicht die Todesengel, die unten in den Straßen bereits eine reiche Ernte einfahren, sondern diejenigen, die ich einst als Waffenbrüder bezeichnet habe.

    Ich will vor Erleichterung fast schon aufschreien, als sich Kedira endlich in die Höhe drückt und totenblass zur Rückseite des Hauses hetzt, wo eine Treppe nach unten führt. Noch hat sie genug Zeit, bevor die Kreuzfahrer auch in die Nebenstraßen ausschwärmen werden, aber dennoch muss sie sich beeilen! Ich schwebe über ihr und achte auf ihre Schritte, während ich gleichzeitig dem Massaker in der Hauptstraße lausche.

    Verflucht sei Michael und sein verdammtes Christentum! Alles, was es uns gebracht hat, war nur noch mehr Leid im Namen eines Gottes, der uns längst verlassen hat!

    Fieberhaft überlege ich, wie ich Kedira unbeschadet in Sicherheit bringen soll, doch meine Möglichkeiten sind begrenzt, solange ich nur aus der Anderswelt über sie wache.

    Am Fuß der Treppe angekommen, sieht Kedira sich kurz um, bevor sie endlich losrennt. Für kostbare Augenblicke kommt mein Schützling gut voran, bis sie in der nächsten Querstraße in die Masse der Flüchtenden hineingerät. Sofort habe ich alle Hände voll damit zu tun, das Mädchen durch die Menschenmenge hindurchzulotsen, ohne dass sie niedergetrampelt wird.

    Als nur wenig später am Ende der Straße die ersten Kreuzfahrer auftauchen, bricht Panik aus. Bisher haben die Menschen unbewusst den Platz gemieden, an dem ich in der Anderswelt schwebe, doch nun rennen sie blindwütig durch mich hindurch. Bald bleibt mir keine andere Wahl mehr, als Kedira einen direkten Stoß zu geben, der sie in eine weitere Nebengasse in Sicherheit vor dem fliehenden Mob taumeln lässt.

    Gerade will ich ihr folgen, als Kälte meinen Rücken hinabgleitet. Langsam drehe ich den Kopf, wohl wissend, was ich dort sehen werde: Über die Flüchtenden hinweg gleitet schweigend einer der Todesengel in Richtung der wahllos mordenden Kreuzritter an mir vorbei.

    Doch, obwohl es für ihn wahrlich genug zu tun gibt, hält der Engel in der schwarzen Kapuzenrobe kurz inne und dreht den Kopf, um mich zu betrachten. Wie üblich ist unter der Kapuze statt eines Gesichts nur Dunkelheit zu sehen. Dennoch vermeine ich, überraschtes Interesse zu erkennen, als mich der Engel kurz mustert und anschließend weiter schwebt. »Ja, meinesgleichen gibt es noch!«, murmle ich grimmig in die Richtung meines Artgenossen, erhalte jedoch erwartungsgemäß keine Antwort.

    Auch wenn die Engel aus dem Gefolge Azraels niemals am großen Krieg teilgenommen haben, behalte ich ihn im Auge, bis er aus meiner unmittelbaren Nähe verschwunden ist. Zwangsläufig erblicke ich dabei jene Männer, die immer noch mit sichtlicher Begeisterung die Bürger der Stadt massakrieren. Kurz sehe ich zweifelnd zur Seite, wo Kedira eben mit aufgeschrammten Händen wieder auf die Füße kommt. Auch wenn sie in dieser Gasse vor den panisch flüchtenden Massen in Sicherheit ist, braucht sie dennoch mehr Zeit, um entkommen zu können.

    Also wende ich mich abermals den Kreuzfahrern zu und konzentriere mich, bis ein lichterloh brennendes Haus in der Nähe der Mörder in sich zusammenfällt. Lächelnd verfolge ich, wie die herabfallenden Trümmer einen Großteil der Straße blockieren und sich etliche der Eroberer nur durch einen beherzten Sprung nach hinten vor der Verschüttung retten können. Der Todesengel nimmt mein Eingreifen mit Gelassenheit hin, ihm kommt es kaum auf ein paar Minuten mehr oder weniger an. Wessen Zeit abgelaufen ist, den wird er auch bekommen. Vor allem, da inzwischen kaum noch ein Mensch durch meinesgleichen beschützt wird. 

    Das Lächeln vergeht mir nur Augenblicke später, als einer der Kreuzfahrer mich sichtlich überrascht durch den Rauch hindurch direkt ansieht, was unmöglich sein sollte, da ich in der Anderswelt verweile. Ich spüre das Aufwallen himmlischer Kräfte, als der bis eben maskierte Engel seitwärts wechselt und mich nun in wahrer Gestalt anstarrt. Hass verzerrt das selbst nach unseren Maßstäben wunderschöne Gesicht des Herolds, während er auf mich zu schwebt und dabei ein gleißendes Schwert in seiner Hand manifestiert.

    »Verräter!«, herrscht er mich an. »Wie kannst du es wagen, dich hier sehen zu lassen?« Bevor ich antworte, sehe ich nach Kedira, die eben im Dunkel der Gasse verschwindet. Zufrieden taxiere ich wieder den Herold, sehe aber davon ab selbst eine Waffe zu formen.

    »Du nennst mich einen Verräter, weil ich tue, was Gott uns einst aufgetragen hat? Weil ich Menschen wieder beschütze und nicht mehr wie Vieh zur Schlachtbank treibe?«, erwidere ich kühl und schwebe dabei langsam nach oben, weg von Kedira und all den anderen Sterblichen.

    Wie erhofft, folgt mir der zornbebende Herold und verschafft damit den Flüchtenden eine kurze Ruhepause.

    »Du hast dich gegen den Willen deines Herren, dem Erzengel Michael gestellt! Nun trage die Folgen!«, faucht er und geht zum Angriff über. Ich bin etwas verwundert, denn obwohl er sicherlich den oberen Chören angehört, sind die Kampffähigkeiten der meisten Herolde für gewöhnlich eher von bescheidener Natur. Meine Kräfte dagegen sind weitaus schwächer ausgeprägt, doch dafür habe ich Äonen als Fußsoldat Michaels gedient, bevor ich mich schließlich lossagte. Aber gut, ganz wie er möchte!

    Da ich sicher bin, seine Aufmerksamkeit voll und ganz zu genießen, tauche ich, ohne zu antworten, in das Gassenmeer der Stadt ab und ergötze mich zumindest ein wenig an dem Wutschrei des enttäuschten Seraphen. Eilends flitze ich im Zickzack durch die Gassen, bis er vor Zorn jede Vorsicht fahren lässt und seine Kräfte einsetzt, um mich ausfindig zu machen. Den kurzen Augenblick, den er benötigt, um sich zu konzentrieren, nutze ich, um wie ein Blitz wieder in die Höhe zu schießen und ihm meine zur Doppelfaust gefalteten Hände ins Gesicht zu schmettern. Ohne einen Laut von sich zu geben, stürzt er in die Tiefe, während ich mit fast schon beiläufiger Bewegung das Schwert auffange, dass er dabei fallengelassen hat.

    Nur kurz mustere ich die Klinge. Sie ist weitaus mächtiger, als alles, was ich zu erschaffen in der Lage wäre und dennoch werfe ich sie einfach neben meinem angeschlagenen Gegner auf den Boden, nachdem ich vor ihm stehe. »Lass mich in Ruhe!«, fahre ich ihn kalt an. »Ich kämpfe nicht mehr gegen meine Brüder und Schwestern! Aber ich werde dich auch nicht noch einmal warnen!« Er starrt mich schwer atmend an, während sich die Verletzungen in seinem Gesicht bereits wieder schließen, doch ich glaube, er hat verstanden.

    Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schwebe ich davon und versuche, Kedira ausfindig zu machen. Obwohl mich ein besonderes Band mit jedem Menschen verbindet, den ich zu beschützen geschworen habe, brauche ich dafür eine halbe Ewigkeit, da all die Todesangst und der Hass um mich herum meine Wahrnehmung nahezu komplett eintrüben.

    Als ich sie schließlich finde, komme ich gerade noch rechtzeitig. Im letzten Augenblick kann ich mit einem gut platzierten Windhauch verhindern, dass sie von der Brüstung einer teilweise geborstenen Wehrmauer stürzt, über die sie hektisch balanciert. Zwei Waffenknechte hetzen johlend hinter ihr her, die sie bereits eine ganze Weile verfolgen müssen. Andernfalls hätte sie sich nie auf diesen, durch Katapultbeschuss stark in Mitleidenschaft gezogenen, Teil der inneren Stadtmauer geflüchtet.

    Mit bangem Blick verfolge ich ihren Weg über die bröckelnde Mauerkante und bin dabei stets bereit, ein weiteres Mal einzugreifen. Wie sehr juckt es mich in den Fingern, ihre Verfolger einfach abstürzen zu lassen, doch habe ich geschworen, keinem Menschen mehr etwas zuleide zu tun. Aber die Beiden zu verlangsamen, das geht durchaus! Also konzentriere ich mich, um einiges von dem losen Geröll vor ihnen zur Abschreckung in die Tiefe stürzen zu lassen, doch zu meinem Erschrecken geschieht rein gar nichts.

    Fassungslos reiße ich die Augen auf und versuche mich aus der eisernen Klammer zu befreien, die mich auf einmal gefangen hält. Viel zu spät bemerke ich einen weiteren Todesengel, der vom Fuße der Mauer zu mir aufsieht und eine blasse Hand nach mir ausstreckt. Augenblicklich kocht Panik in mir hoch, denn diesen Moment habe ich in der Vergangenheit nur allzu oft erlebt. Immer wieder stemme ich mich gegen die Macht meines Artgenossen und schreie gleichzeitig wie von Sinnen eine Warnung in die Welt der Sterblichen hinaus.

    Mein Ruf wird jedoch vom Rauschen eines nahenden Katapultgeschosses übertönt, wie es von den Christen immer noch dutzendweise in die Stadt geschleudert wird. Kedira ist viel zu sehr mit der Flucht vor den Waffenknechten beschäftigt, als dass sie etwas von der nahenden Gefahr bemerkt. Als sich wenig später ihre Augen vor Schreck weiten und sie endlich nach dem Ursprung des Fauchens Ausschau hält, dauert es nur noch Sekundenbruchteile, bevor das Geschoss gegen die Mauer kracht. Hektisch versucht sie, mit rudernden Armen die Erschütterung auszugleichen, doch ist der Versuch von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

    Mit einem gellenden Schrei stürzt sie zusammen mit ihren Häschern in die Tiefe und schlägt mit absoluter Endgültigkeit auf dem Pflaster unten auf, ohne dass ich bis dahin meine Fesseln auch nur im Ansatz lockern kann. Erst als der Todesengel sich über Kediras zerschmetterten Leib beugt, gibt er mich wieder frei.

    Allein bleibe ich über den Mauern einer sterbenden Stadt zurück und verfolge mit leeren Augen das Gemetzel in den Straßen.

    1. Kapitel

    Heute

    Nietzsche schrieb einst: Gott ist tot!

    Damit lag er nicht ganz richtig, denn tatsächlich hat der Schöpfer, kurz nachdem er frustriert die Sintflut entfesselte, die Welt einfach nur verlassen. Ich muss es wissen, denn ich bin einer der Engel, die er damals ebenso wie die gesamte Menschheit zurückließ.

    Natürlich haben wir versucht, das ganze Projekt Erde irgendwie am Laufen zu halten, allerdings mit sehr überschaubarem Erfolg. Bald schon gab es unter den Erzengeln Streit, wie genau wir die Menschen auf den Pfad der Tugend leiten sollten. Je weiter dieser Konflikt eskalierte, umso tiefer wurde auch die Menschheit hineingezogen, bis diejenigen, die wir liebten und immer nur beschützen wollten, in einem letztlich entbrannten Krieg Schlachten in unserem Namen ausfochten. Jetzt, Jahrtausende später, sind kaum noch Himmlische übrig, zumindest verglichen mit früher. Doch der Krieg kam niemals wirklich zu einem Ende, denn eine Entscheidung steht bis heute aus.

    Soweit es mich betrifft, habe ich meinen Dienst in den Reihen des Erzengels Michael vor einer ganzen Weile quittiert und versuchte im Anschluss eine Zeitlang, wieder zu meinen Wurzeln zurückzukehren, um als Schutzengel auf Menschen aufzupassen. Vor knapp tausend Jahren ging allerdings auch dieses Ansinnen endgültig in die Binsen. Man sagt sich eben nicht einfach von seinem Herrn los, ohne früher oder später die Quittung zu erhalten. In meinem Fall musste ich in den vergangenen Jahrhunderten gänzlich zwischen den Menschen untertauchen, die ich gleichzeitig so liebe und verabscheue.

    Aktuell lebe ich seit einigen Jahren in Hamburg, wo ich still unter dem Radar meiner Artgenossen als Bodyguard arbeite. Kein allzu strahlender Job für einen Engel, selbst wenn er nur den niederen Chören entstammt, aber genau richtig für mich. Auch wenn ich meine Kräfte nicht mehr einsetze, kann ich so zumindest, einer Arbeit nachgehen, die sich für mich natürlich anfühlt.

    Zum Verzicht auf meine Kräfte bin ich gezwungen, da ich unter allem Umständen verhindern muss, Gefallene auf mich aufmerksam zu machen, die eine kleine Portion wie mich mit Wonne zum Frühstück verspeisen würden. Das Gleiche gilt für die meisten meiner alten Kampfgenossen, die mir den Gefolgschaftsbruch an Michael vor nicht ganz zweitausend Jahren immer noch sehr übelnehmen.

    Und so lebe ich nun still und in Verborgenheit unter den Menschen. Michael Schwarz, Personenschützer und Privatermittler, angenehm!

    Heute beginnt für mich der Arbeitstag gegen zehn Uhr. Ich hole Steffi, meinen aktuellen Schützling, ab und bringe sie zu ihrem Samstagsseminar. Anschließend warte ich auf sie in einem der zahllosen Studentencafés in der Nähe der Uni, wo ich versuche, mich inmitten der schnatternden Studenten auf die Tageszeitung zu konzentrieren. Beiläufig lausche ich den Gesprächen in der Umgebung, schon um herauszufiltern, welche kommenden Parties mein kleiner Schützling besser meiden sollte.

    Abgesehen davon kann ich über einige der hier vorgetragenen politischen Ansichten nur den Kopf schütteln: Die Menschen um mich herum sollen einmal die Elite dieses Landes bilden und diskutieren dennoch auf Stammtischniveau. Alternativ sind sie dermaßen mit mentalen Scheuklappen ausgestattet, dass ich sie am liebsten tröstend in den Arm nehmen möchte, bevor ich das Gesicht der entsprechenden Person mehrfach mit der Tischplatte bekannt mache. Aber warum sollte sich in dieser Hinsicht in den letzten paar tausend Jahren der Menschheitsgeschichte auch irgendetwas ändern?

    Meine philosophische Erörterung über den Geisteszustand der heutigen Jugend wird durch eine kurze Meldung in der Zeitung unterbrochen, die banaler eigentlich nicht sein könnte. Mir aber schlägt die Nachricht förmlich ins Gesicht und nur mit Mühe kann ich Ruhe bewahren. Es ist ein schlichter Nachruf auf einen Oswald Rosenbaum, Geschäftsführer einer kleinen Restaurantkette im bayrischen Raum, der nach dem Konkurs seiner Läden Selbstmord begangen hat. Scheinbar hat die Belegschaft zusammengelegt, um den Nachruf veröffentlichen zu können, denn eine Familie wird nicht erwähnt.

    Tragisch, aber was hat das mit mir zu tun? Betont langsam lege ich die Zeitung weg und trinke von meinem inzwischen kalt gewordenen Kaffee. Ich kann Oswald deutlich vor mir sehen. Ein freundlicher, etwas rundlicher Herr, Mitte Fünfzig, für den das Kochen zu Lebzeiten sowohl Leidenschaft als auch Lebensinhalt dargestellte. Ich habe ihn zwei Jahre lang bewacht, als die Russenmafia versuchte, bei ihm einen Fuß in die Tür zu bekommen und Schutzgeld zu erpressen. Damals wurde es hässlich, ein paar der Kerle lernten durch mich auf die harte Tour, wo ihre Grenzen lagen.

    Und jetzt ist er tot. Betroffen sehe ich auf die Meldung, die auf der Zeitungsseite gerade mal den Platz einer Spielkarte einnimmt und massiere mir dabei die rechte Hand. Oswald war ein freundlicher, aber zurückhaltender Herr, den im Kern nichts mehr erfreute, als die zufriedenen Gesichter der Kunden nach dem Essen zu sehen. Der Verlust der Restaurants muss für ihn einen unerträglichen Schicksalsschlag bedeutet haben. Genau wie sein Tod es jetzt mir verdammt schwer macht, die Fassung zu bewahren.

    Mit leicht zitternden Fingern greife ich schon nach meiner Zigarettenpackung und halte erst im letzten Moment inne, als ich realisiere, wo ich mich befinde. Also erhebe ich mich und stelle Blickkontakt mit der Bedienung, einer übernächtigt wirkenden Studentin her. Ihre Augen weiten sich, als ich anschließend einen Zwanziger auf den Tisch fallen lasse und gehe. Ein fürstliches Trinkgeld für einen servierten Kaffee, aber selbst die Zeit auf Wechselgeld zu warten dauert mir zu lange. Ich muss einfach raus hier!

    Kaum fällt die Tür hinter mir ins Schloss, als ich auch schon die Kippe im Mund habe, um alsbald den ersten Zug zu inhalieren. Mit raumgreifenden Schritten laufe ich los, fast wie auf der Flucht vor diesem kleinen Zeitungsausschnitt. Wieder ein Mensch tot, den ich einst beschützt habe!

    Wahrscheinlich kann man die Schmerzen, die ich empfinde, nur verstehen, wenn man meine ehemalige Tätigkeit als Schutzengel in Betracht zieht. Nach der Schöpfung der Welt tat ich wenig anderes, als über einen mir anvertrauten Menschen zu wachen. Und ich habe meine Arbeit gut gemacht, egal wie viel Kummer mir die jeweiligen Schützlinge bereiteten. Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, sie im Stich zu lassen, bis zu dem Moment, an dem einer der Todesengel sie holen kam. Doch mit dem Krieg ging alles den Bach runter…

    Innerlich knurrend schiebe ich die sich anbahnenden Gedankengänge zur Seite und kämpfe gegen einen im Hals ansteigenden Kloß an. Oswald ist tot, daran kann ich nichts mehr ändern. Dennoch spüre ich nur zu bald die altbekannte Wut in mir hochkochen, die mir seit den ersten Kriegstagen ein ständiger Begleiter geworden ist. Ich muss etwas tun, sonst wird meine Umgebung leiden. Also greife ich in die Tasche und ziehe mein Handy hervor, um mit dem Daumen eine Nummer zu wählen und lausche anschließend dem Klingelton. In der Zeitung steht Selbstmord, aber ich will einfach sicher gehen…

    Nach einer Weile wird abgenommen. »Ja?«, werde ich kurz und knapp begrüßt. »Walther, hier ist Michael! Du musst etwas für mich herausfinden!«, antworte ich genauso kurz angebunden. Erst einmal herrscht Stille in der Leitung, bevor ein leises Seufzen folgt. »Name?«, wird dann barsch gefragt. »Oswald Rosenbaum, ein Restaurantbesitzer aus Nürnberg. Ich will wissen, was über die Begleitumstände seines Selbstmords aktenkundig ist.« Zunächst höre ich kurz eine Tastatur, dann ertönt wieder die vertraute Stimme. »Gut, ich klemme mich dahinter. Wird ein paar Tage dauern, bis ich die richtigen Fragen stellen kann. Sonst noch etwas?«

    Ich schlucke trocken. »Nein, danke!« Walther unterbricht, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, die Verbindung. Was genau er beim Bundesnachrichtendienst macht, habe ich in den zwanzig Jahren nie gefragt, die ich ihn jetzt kenne. Ich weiß aber gewiss: Ich werde bald alles über Oswalds Tod wissen, was den Weg in eine Polizeiakte gefunden hat. Nur für den Fall…

    Erneut wallt siedende Wut in mir auf. Schnell stecke ich das Handy weg, vergrabe die Hände in den Jackentaschen und gehe weiter. Der Herbst schickt seine ersten Vorboten durch die Stadt, was für Hamburg eine steife Brise von der See her und kühle Temperaturen bedeutet. Ich achte nicht mehr auf die Leute um mich herum, sondern beschleunige meine Schritte und trachte nur noch danach, die in mir tobende Wut loszuwerden.

    Das Klingeln meines Handys reißt mich aus dem Strudel, in den ich immer tiefer zu sinken drohe. Ohne auf die Nummer zu sehen, nehme ich das Gespräch an und halte mir das Gerät ans Ohr. Doch noch bevor ich etwas sagen kann, plärrt mir Steffis Stimme entgegen. »Verdammt, Micha, wo bist du?« Unvermittelt bleibe ich stehen, schließe die Augen und versuche das Gefühl loszuwerden, als ob mir gerade jemand einen Kübel Eiswasser über den Kopf gekippt hat. »Ich bin seit zehn Minuten fertig, wann gedenkst du mich abzuholen?«, tönt es weiter aus dem Gerät. »Ich bin sofort da, Frau Dressler!«, antworte ich und marschiere los. »Bleiben Sie bitte im Gebäude, bis ich da bin!«

    »Darauf kannst du Gift nehmen!«, ätzt sie noch und legt auf. Einfach wunderbar: Weil ich mir die Haare über den Tod eines ehemaligen Schutzbefohlenen raufe, vernachlässige ich meine aktuellen Pflichten!

    In Rekordzeit erreiche ich das Campusgelände und finde Steffi nur wenig später genau da, wo sie auf mich warten soll. Auch ohne ihre Aura zu betrachten, weiß ich nur zu gut, wie sauer sie ist.

    Doch überraschenderweise weicht der distanzierte Ausdruck in ihrem Gesicht auf, als ich näherkomme. »Micha?«, fragt sie in vorsichtigem Tonfall. »Alles in Ordnung?«

    Kurz zögere ich und versuche, mich zu sammeln. »Ich habe eben vom Tod eines guten Freundes erfahren!«, erwidere ich vorsichtig. »Bitte entschuldigen Sie mein Versäumnis!« Wahrscheinlich hat Steffi die Wartezeit genutzt, um sich eine gründliche Schimpftirade bereitzulegen. Doch diese bleibt aus, stattdessen lächelt sie mich an. »Ist schon gut! Du siehst aus, als ob dir ein Gespenst begegnet wäre.« Ich nicke nur und atme tief durch, bevor ich ihr die Tür aufhalte. »Wollen wir dann?«

    Steffi wirkt nach wenigen Schritten wie ausgewechselt, als ich sie zum Wagen bringe. Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf warnt zwar vehement vor einer sich anbahnenden Stolperfalle, aber gerade erscheint mir jede Ablenkung wie einem Ertrinkenden der Rettungsreifen. Zum Verständnis: Es gab auch schon Zeiten, in denen ich aus Wut über eine erschütternde Nachricht einen kleineren Landstrich verwüstet habe. Mein Wiederholungsbedarf in dieser Hinsicht ist allerdings mehr als gedeckt, weswegen ich mich förmlich an Steffis Worte klammere.

    Während wir unterwegs sind, erzählt sie mir munter allerlei Trivia aus ihrem Studienalltag, beschwert sich über ihre Kommilitonen und spricht beim Einsteigen ganz beiläufig die Abendplanung an. Wider Willen muss ich lächeln, als ich mich hinter das Steuer klemme. Daher weht also der Wind! Ihre Vorhaben werden Papa Dressler sicher nicht in den Kram passen, wenn sie es mit dieser Taktik versucht. Denn ihr Vater, ein Bankier, der es als Sportart betrachtet, von einem Bankenvorstand zum nächsten zu wechseln, bezahlt mich auch dafür, Steffi von Örtlichkeiten und Personen fernzuhalten, die sich als schädlich für das geliebte Töchterlein erweisen könnten.

    Die junge Dame stellt im Übrigen ein kleines »Ups« dar, das ihr feiner Herr Vater nach Feierabend mit einer Putzfrau im Büro produziert hat. Nachdem aber ein Motorradunfall wenig später weitere Erben für Herrn Dressler unmöglich machte, geniest Steffi jetzt dennoch seine volle väterliche Aufmerksamkeit, die aber neben einer Menge Geld vor allem in meiner Anstellung resultiert.

    Vorsichtig gesagt ist die Arbeitsbeziehung mit Steffi deswegen etwas wechselhaft, um es diplomatisch auszudrücken, denn es existieren zwischen uns oftmals erhebliche Meinungsdifferenzen, wie genau die Weisungen des hohen Herrn Dresslers auszulegen sind. Trotzdem mag ich sie, oder eigentlich sogar exakt wegen ihres beständigen Kleinkriegs gegen die väterlichen Allmachtsphantasien. Aber besonders heute könnte sie mir wahrlich weiß Gott was aus den Rippen leiern.

    Ich betrachte Steffi kurz im Rückspiegel, schmunzle ein weiteres Mal und starte den Wagen. »Na, dann lassen Sie mal hören, was Ihnen so vorschwebt!«

    Es sieht nach einer langen Nacht aus…

    2. Kapitel

    Ein paar Tage später fällt mir zu Hause in Wilhelmsburg die Decke schier auf den Kopf. Ich habe quasi dienstfrei, denn Steffi brütet in ihrem Apartment über ihren Büchern, da einige Termine für Klausuren rasend schnell näher rücken. Ohne Recht zu wissen, was ich also tun soll, wandere ich in meiner Wohnung herum und versuche dabei nicht auf Katze zu treten, die mir beständig um die Beine streicht. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, dem Vieh einen Namen zu geben, immerhin hat sie noch gerade mal 15 Jahre zu leben. Warum sie überhaupt meine Nähe sucht, ist mir ein Rätsel, denn normalerweise erkennen Tiere recht gut, was ich bin und meiden mich deshalb. Vor dem großen Krieg war das anders, aber inzwischen ist man als sterbliches Wesen generell gut darin beraten, sich nicht mit Himmlischen abzugeben. Zumindest, wenn man nicht wert auf eine extrem verkürzte Lebenserwartung legt. Ich habe Tiere in

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