Zwischen Hoffnung und Melancholie: Kurzgeschichten
Von Martin Bartholme
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Über dieses E-Book
Tiewads, Social Media und entflohene Papageien. Weise Frauen, fußballbegeisterte Jugendliche und alternde Punks. Umweltzerstörung, Kriegserinnerungen und einsame Astronauten. Schlagerstars, Tofuwürstchen und Meeresrauschen. Bei diesen vielfältigen Themen werden beim Lesen die unterschiedlichsten Emotionen angesprochen und aufgewühlt: Man fühlt mit den Protagonisten, sucht nach Erklärungen oder freut sich über Lösungen und Verständnis. Es entstehen Bilder im Kopf und man denkt sich, das kenne ich doch...: "Ich bin angekommen. Vor dem Haus meiner Eltern. Vor der Ritterburg meiner Kindheit, der Spielwiese meiner Jugend. An dem Carport links neben dem Schuppen hängt immer noch etwas schief der alte Basketballkorb..." Oder: "Erinnerst du dich an die billige Lambruscoflasche, die wir uns in Rom teilten? Von der "Spanischen Treppe" aus beobachteten wir den Sonnenaufgang über der ewigen Stadt..."
Ob Visionen, persönliche Erinnerungen, aktuelles Zeitgeschehen oder historische Begebenheiten - Martin Bartholme versteht es meisterhaft, uns mit seinen Geschichten emotional zu berühren und so manche eigene Erinnerung in uns wachzurufen. Einfach lesenswert.
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Buchvorschau
Zwischen Hoffnung und Melancholie - Martin Bartholme
Martin Bartholme
Zwischen Hoffnung
und Melancholie
Kurzgeschichten
Impressum
© 2023 Verlag Renate Brandes
Text: Martin Bartholme
Umschlaggestaltung: Michael Kolmogortsev
Fotografie: Kirsten Bartholme
eBook-Konvertierung: GD Publishing Ltd. & Co. KG, Berlin
1. Auflage
ISBN: 978-3-948818-14-2
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Inhalt
Impressum
Bahnhofsleben
Stadt. Land. Flucht.
Die Stiefel des toten Soldaten
Du warst Ronaldo, ich Zidane
Was du mal werden willst
Rico Schmidt
Glänzende Steine
Das Sankt-Florian-Prinzip
Punks are Dads
Heb' die Fahne höher in den Wind, Kleiner!
Ein Haufen Sand
Tiewads
Genuss bringt Erinnerung
Filter
Ein Brief aus dem Nebel
Plattenladen
Wendepunkt
Der Stich des Skorpions
Sehnsuchtsort
Alte Hütte
Unten am Fluss
Ein roter Fleck im weißen Schnee
Rettung?
Heimkehr und (Rück-) Besinnung
Danke an
Der Autor
Für immer und dich,
Kirsten
Bahnhofsleben
»In Kürze hat Einfahrt der Intercity-Express nach Hamburg-Altona über Fulda, Kassel-Wilhelmshöhe, Göttingen und Hannover«, schallte es durch die Bahnhofshalle. Mark schaute beunruhigt auf seine Armbanduhr. Nur noch fünf Minuten, er musste sich sputen. Entnervt blickte er auf die Kundin vor ihm. Eine ältere Dame, eingehüllt in einem dicken Pelzmantel, konnte sich nicht entscheiden, welches süße Stückchen sie sich gleich zu Gemüte führen wollte. Seit einer gefühlten Ewigkeit erkundigte sie sich bei der jungen Bäckereiverkäuferin nach den Inhaltsstoffen und Zutaten der Leckereien. Marks Magen knurrte. Er brauchte jetzt dringend etwas zu Essen. Den ganzen Tag über hatte er noch nichts zu sich genommen. Sein Loch im Bauch fühlte sich mittlerweile so groß an wie ein gigantischer Meteoritenkrater. Sofort nach der Arbeit hatte er sich auf den Weg gemacht und war aufgeregt und voller Vorfreude zum Hauptbahnhof gehetzt. Jetzt brauchte er dringend noch etwas zwischen die Zähne, ihm war schon ganz übel vor lauter Hunger. So stand er hier in der Warteschlange, mit einem Strauß voll roter Rosen in der linken Hand und einem Koffer in der rechten.
In wenigen Stunden würde Mark sie endlich wieder sehen. Nach über zwei Monaten. Sabrina, die Frau an seiner Seite. Wobei, im Grunde war sie ja kaum an seiner Seite. Ein Jahr Fernbeziehung bedeutete ein ständiger Kampf mit der Einsamkeit. Nächte am Telefon, Chatnachrichten und Skype-Rendezvous. Aber er musste bei ihr sein, musste sie spüren - nicht nur alle paar Monate für ein Wochenende. Und Sabrina war es wert. Heute wollte Mark ihr sagen, dass er seine Festanstellung an den Nagel hängen würde und nun vorhatte, zu ihr zu ziehen. Ein großer Schritt. Etwas Bammel hatte er schon vor ihrer Reaktion, aber eigentlich war Mark zuversichtlich, dass sie sich freuen würde. »Und ganz ehrlich«, dachte er, »48 Stunden können allen, aber nicht uns genügen.«
Endlich war Mark dran. »Das sind aber schöne Blumen. Sind die für mich?« fragte die junge Verkäuferin ihn mit einem Zwinkern.
»Leider nein, Rosen verschenke ich nur an meine Freundin!«, rechtfertigte er sich leicht grinsend. Die Frau sah müde aus. Tiefe Ränder umgaben ihre Augen. Mark gab seine Bestellung auf und holte das Portemonnaie aus der Hosentasche. Beim Einpacken in die Papiertüte rutschte der Verkäuferin eines der belegten Brötchen aus den Händen. Entschuldigend wischte sie die Sauerei vom Boden auf.
Unterdessen pöbelte der Mann hinter Mark in der Schlange: »So etwas Unfähiges habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Jetzt mach endlich mal hinne, Mädchen - ich muss meinen Zug erwischen.«
Mit rotem Kopf übergab sie Mark die Bestellung und nahm seine Münzen entgegen. Die junge Frau tat ihm leid. Kurz entschlossen entfernte er eine Rose aus dem prächtigen Strauß und schenkte sie ihr. Die Verkäuferin freute sich sehr, das sah man. Strahlend bedankte sie sich bei ihm und wünschte Mark eine angenehme Reise.
Die junge Frau hieß Marie. Seit 7 Uhr in der Frühe stand sie nun schon hier hinter der Theke. Marie hasste ihren Job. Warum war sie ausgerechnet in dieser Filiale gelandet? Der Lärm der Passanten, die ständige Hektik der Menschen, das dauerhaft dämmrige Licht in der riesigen Bahnhofshalle. Schrecklich! Aber sie hatte keine Wahl. Marie musste Geld verdienen. Für sich und für ihre kleine Tochter - Helen. Marie war mit siebzehn nach einem One-Night-Stand schwanger geworden und musste sich seitdem allein durchboxen. Ihre erzkonservativen Eltern hatten aufgrund der Schwangerschaft mit Marie gebrochen und die beiden in ein Mutter-Kind-Heim abgeschoben. Zwei Jahre später, im letzten Herbst, hatten sie es endlich geschafft und waren in eine kleine Wohnung im Süden der Stadt gezogen. Jetzt stand Marie auf eigenen Beinen, ganz ohne die Unterstützung von Vater Staat. Um die Miete bezahlen zu können, arbeitete sie vierzig Stunden in der Woche. Dazu kamen etliche Überstunden, wenn wieder ein Kollege krankheitsbedingt ausfiel oder den Job an den Nagel gehängt hatte. In ihrer Branche gab es eine ständige Fluktuation. Die meisten hielten nur wenige Monate durch. Heute war sie um 5 Uhr aufgestanden, hatte sich fertig gemacht, den Tisch gedeckt, ihre Tochter angezogen und nach dem Frühstück in die Krippe gebracht. Um 16 Uhr würde ihre Schicht enden. Nur noch zehn Minuten. Sie durfte Helen nicht zu spät im Kindergarten abholen. Erst letzte Woche war sie von der Erzieherin ermahnt worden. Dabei konnte Marie sich hier am wenigsten Ärger erlauben, war sie doch abhängig von der Betreuung durch die Kita. Träge bewegte sich der große Zeiger auf der riesigen Bahnhofsuhr endlich auf die zwölf. Ihre Kollegin übernahm und Marie spurtete los. Schnell schnappte sie sich eine Tüte mit Brötchen und die Rose, anschließend verließ sie die Bäckerei durch die Hintertüre. Bei der Warenannahme am frühen Morgen sortierte Marie stets die unförmigen und zu kleinen Exemplare aus. Eigentlich hatte sie den Auftrag, die nicht der Norm entsprechenden Stücke zu entsorgen, aber diese Wegwerfattitüde war ihr zuwider.
Vor dem Gebäude traf Marie auf Paul. Paul saß immer dort. Egal zu welcher Jahreszeit, egal zu welcher Stunde. Eine scheinbar immerwährende Konstante in der Betriebsamkeit des Bahnhoflebens. Seine verranzte Schildkappe lag einem Meter vor ihm auf dem Boden, er saß eingemummelt in einen alten Schlafsack, angelehnt an der steinernen Mauer. Gedankenversunken streichelte er den Hund, der neben ihm auf einem alten Karton schlief.
»Hallo Paul, ich hab' dir wieder ein paar Brötchen mitgebracht.« Marie kniete sich hin und übergab ihm die Tüte.
»Nett von dir meine Liebe, nuschelte er dankbar. »Hast du heute eine Blume geschenkt bekommen?« Nickend zeigte er mit dem Kopf auf die rote Rose.
»Ja, die hat mir vorhin ein Kunde in die Hand gedrückt, mein Highlight des Tages!«, erwiderte Marie ihm lächelnd. »Riech‘ mal dran, forderte sie Paul auf, »duftet das nicht nach Sommer und Sonne?« Sie hielt ihm die Blüte unter die Nase. Paul schloss seine Augen und atmete tief ein.
»Oh ja, so roch es Anfang August auch immer auf unserer Terrasse.« Wehmütig blickte er ihr in die Augen.
Marie mochte Paul. Jeden Tag, wenn sie ihn sah, wurde ihr wieder bewusst, dass es Menschen gab, denen es noch beschissener ging als ihr. Und Paul ertrug sein Los mit großem Überlebenswillen und Standhaftigkeit. Er strahlte, allen