Willkommen Angst. Vom Nutzen der Furcht. Ein Sachbuch über die positive Funktion von Angst, die Künstler beflügeln und die Wissenschaft vorantreiben kann. Deshalb: Keine Angst vor der Angst!
Von Constanze Dennig
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Über dieses E-Book
Constanze Dennig geht in ihrem neuen Buch einen anderen Weg: Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie erklärt, dass Angst auch durchaus gute Seiten hat – wenn man sie versteht und zu nützen weiß.
Anhand konkreter Beispiele wird erklärt, wie Angst im Gehirn entsteht, wo der Unterschied zwischen "normaler" und pathologischer Angst liegt, welche Systeme unserer modernen Gesellschaft sie ausnützen und befeuern – und wie man sich dem entgegenstellt.
Denn das vermeintlich negative Gefühl ist in Wahrheit auch ein mächtiger Motor für Weiterentwicklung, Veränderung und Selbstakzeptanz.
Aus dem Inhalt:
- Das Geschäft mit der Angst und wie wir mit Angst manipuliert werden
- Angst als Motor der menschlichen Entwicklung
- Angstlust- Furcht in Glück umwandeln
- Unser Alltag aus intelligenten Angstvermeidungsstrategien
- Für den positiven Umgang mit der Angst: 16 "Trickwerkzeuge"Constanze Dennig hat als Autorin stets von Ihrem Fachwissen als Psychiaterin profitiert – das profunde Verständnis über die Psyche des Menschen macht die Darstellung ihrer Protagonisten besonders realistisch.
Für ihr neues Sachbuch hat sie zum Erstlesen deshalb Künstler gebeten, die für die Erschaffung oder Darstellung ihrer Figuren ebenfalls tief in deren Gefühlswelt eintauchen, die Angst oft eindrücklich künstlerisch darstellen.
Niemand geringere als Daniel Kehlmann, Thomas Raab und Christoph Waltz - alle herausragende Meister Ihres Faches – haben ihr Feedback zum Buch gegeben:
Es gibt viele Gründe, Angst zu haben, aber es gibt auch zuverlässige Techniken, um die eigene Angst zu verstehen, zu nutzen und manchmal sogar zu überwinden. Mit Angst umzugehen, das kann man lernen. Zum Beispiel in diesem profunden, klugen und kenntnisreichen Buch: Constanze Dennig ist eine Expertin, die ihr Wissen so zu vermitteln weiß, dass dieses tatsächlich zu helfen vermag.
Daniel Kehlmann
Mit schnörkelloser Eleganz und entlarvender Logik schafft dieses Buch, woran Regalwände voll Ratgebern scheitern. Es will nicht trösten, als wären wir Kinder, sondern hebelt auf Augenhöhe so manchen Irrglauben aus und lässt den Feind zum Freund werden. Absolut beeindruckend. Und wegweisend.
Thomas Raab
Constanze Dennig hat ein nicht nur sehr lehr-, sondern auch ausgesprochen hilfreiches Buch geschrieben. Es zeigt klar und deutlich, dass man sich vor Angst nicht zu fürchten braucht. Und vor allem, warum das so ist.
Christoph Waltz
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Willkommen Angst. Vom Nutzen der Furcht. Ein Sachbuch über die positive Funktion von Angst, die Künstler beflügeln und die Wissenschaft vorantreiben kann. Deshalb - Constanze Dennig
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Kapitel 1 – Wie entsteht Angst?
Jeder hat das Gefühl schon mal erlebt, wenn scheinbar ein Stromschlag durch den ganzen Körper bis in die Fingerspitzen fährt, obwohl keine Elektrizitätsquelle vorhanden ist, zum Beispiel bei einer Notbremsung. Unser Organismus schaltet in solchen Situationen blitzschnell in einen erhöhten Arousalzustand um, das zentrale Nervensystem ist also aufmerksamer, um unmittelbar auf die Gefahr reagieren zu können. Ausgelöst wird diese Erregung durch sensorische Impulse, die auf einen bestimmten Teil des Hirnstammes, die Formatio reticularis, einwirken. Die Hirnrinde wird erregt und dabei das Hormon Adrenalin ausgeschüttet. Über die Formatio reticularis beeinflusst der erhöhte Arousallevel den gesamten Organismus, vor allem das vegetative Nervensystem. Das führt zu fälschlich empfundenen Phänomenen wie dem des Stromschlags. So werden nicht nur sensible Empfindungen durch Angst ausgelöst, sondern auch Veränderungen im Stoffwechsel. Durch einen Reiz kommt es also zu einer Ausschüttung von Hormonen, die den erhöhten Arousalzustand auslösen.
Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass jeder Reiz, dem wir ausgesetzt sind, eine chemische Reaktion im Organismus hervorruft. Die Art der chemischen Reaktion entscheidet dann darüber, ob wir diesen Reiz als angenehm oder als beängstigend wahrnehmen. So kann unter Umständen ein und derselbe Reiz ein Glücksgefühl oder auch Panik auslösen.
Stellen wir uns eine Situation vor, die auf zwei Arten wahrgenommen und verarbeitet werden kann:
1.: Frau Aa. liegt allein im Bett. Sie weiß, dass ihr Freund bis 01:00 Uhr morgens Dienst hat. Als sie des Nachts aufwacht, hört sie, dass die Eingangstür knackt. Sofort ist sie hellwach und ein Gefühl der Freude erfüllt sie.
2.: Frau Aa. liegt allein im Bett. Sie weiß, dass ihr Freund die ganze Nacht Dienst hat und deshalb erst morgens nach Hause kommen wird. Als sie des Nachts aufwacht, hört sie, dass die Eingangstür knackt. Sofort ist sie hellwach, ihr Herz schlägt laut, sie wagt es nicht, die Augen zu öffnen. Sie hat Angst, Panik, sie liegt wie gelähmt im Bett.
Wie dieses Beispiel zeigt, hängt die Auslösung eines Angstzustandes von der Erwartungshaltung ab. Erwarte ich Gefahr, fühle ich mich sicher oder leugne ich gar eine potenzielle Bedrohung? Auch wie stark ein Reiz sein muss, um Angst auszulösen, hängt von der Grundstimmung des Menschen ab. Ängstliche Menschen, die sehr rasch Gefahr vermuten, haben eine geringere Angst auslösende Schwelle als unbekümmerte Persönlichkeiten. Ob ich Angst in einer bestimmten Situation empfinde, hängt also mit meiner Stimmungslage zusammen. Die Interpretation des Reizes geschieht durch die psychische Ausgangslage der Person. Nicht umsonst sind Panikattacken auch Symptome einer Depression. Ein depressiver Mensch ist auch immer ein furchtsamer Mensch.
Die biologischen Grundlagen der Angst
Es ist wichtig, zu bemerken, dass sich die „normale Angst von der „pathologischen Angst
nicht in der Qualität, sondern in der Dauer, der Intensität und der Angemessenheit in Relation zum auslösenden Reiz und im Ausmaß des Vermeidungsverhaltens unterscheidet. Die im Gehirn betroffenen Areale sind in beiden Fällen dieselben, ganz egal, ob die Angst von einer realen Gefahr ausgelöst wird oder sie eine überschießende Reaktion auf einen objektiv ungefährlichen Reiz ist.
Im Gehirn sitzt die Angst – vereinfacht gesagt – im Mandelkern, dem Corpus amygdaloideum. Dieser steht mittels Neurotransmittern (Hirnbotenstoffen) in ständigem Austausch mit
♢ dem Nucleus paraventricularis (der „Stressachse") des Hypothalamus,
♢ dem lateralen Hypothalamus, wo das sympathische Nervensystem aktiviert wird,
♢ dem Nucleus parabrachialis, der das Atemzentrum beeinflusst,
♢ dem Locus coeruleus, der für erhöhten Herzschlag und Blutdruck sorgt,
♢ dem Nucleus reticularis pontis caudalis, wo somatische Reflexe verstärkt werden,
♢ dem Periaquäduktalem Grau, das das sogenannte Freezing-Verhalten, also das „Erstarren", auslöst.
Die detaillierten chemischen Abläufe, die unser Angstverhalten auslösen, sind hochkomplex. Zu den wichtigsten zählt jedoch die Ausschüttung der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Gammaaminobuttersäure und Glutamat. Auch die medikamentöse Therapie einer Angststörung setzt bei der Steuerung dieser Neurotransmitter an. Wenn wir uns fürchten, startet im Hypothalamus zunächst die Stressachse durch einen Reiz, der Angst hervorruft. Hier wird dann CRH (Corticotropin-Releasing-Hormon) ausgeschüttet, das wiederum die Hypophyse zur Ausschüttung von ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) stimuliert. ACTH regt dann die Nebennierenrinde zur Ausschüttung von Glukokortikoiden wie Kortisol und Kortison an. Anschließend wird über den Nervenstrang des Sympathikus das Nebennierenmark aktiviert. Dieses schüttet dann sofort Adrenalin und Noradrenalin aus. Die Mischung aus verschiedenen Hormonen, die das Gehirn bei einem Angst auslösenden Reiz produziert, verursacht dann in unseren Organen die Reaktion auf diesen Reiz. Sinn und Zweck dieses „Hochfahrens" unseres Organismus ist vor allem die Bereitstellung von Energie, um in einer Gefahrensituation zu überleben. Dazu zählen die Beschleunigung der Herztätigkeit, die Erhöhung des Blutdrucks, die Freisetzung von Glukose und die verstärkte Durchblutung der Muskulatur. Kommt es nicht zu einer Reduzierung der die Angst auslösenden Reize, kann das durch Persistenz der Stresshormone zu gesundheitlichen Schäden führen.
Evolutionsbiologisch betrachtet, sichert Angst das Überleben unserer Spezies. Allerdings haben sich die Lebensbedingungen über Tausende Jahre dramatisch verändert, unser Gehirn ist aber dasselbe geblieben. Sprich, wir haben uns von Jägern und Sammlern zu Sitzern und Schauern entwickelt. Dadurch bedingt, brauchen wir dieses Hochfahren unseres Organismus nicht mehr in diesem Ausmaß. Aber wohin nun mit den tobenden Stresshormonen? Im besten Fall werden sie etwa durch schwere Arbeit oder körperliche Betätigung abgebaut, im schlimmsten Fall kreisen sie in unserem Organismus und verursachen ein Weiterbestehen von Angstzuständen.
Herr Ba. ist als Programmierer beschäftigt. Berufsbedingt sitzt er den ganzen Tag vor dem Computer und muss unter Zeitdruck Lösungen finden. Das erfordert von ihm sehr schnelle Entscheidungen. Abends versucht er, seinen Stress durch Computerspiele loszuwerden, da er die innerliche Spannung weiter empfindet. Dadurch fühlt er sich abgelenkt und er leidet nicht mehr darunter, nicht einschlafen zu können, da er oft bis spätnachts spielt. Leider verspürt er aber immer öfter scheinbar unbegründete Angstzustände, vor allem, wenn er die Wohnung verlässt. Deshalb igelt er sich immer mehr in seinen vier Wänden ein. Sein Essen lässt er zustellen, und seine sozialen Kontakte verlegt er immer mehr in die sozialen Medien. Dort kommuniziert er großteils mit anderen Gamern und tauscht sich mit ihnen über die gemeinsamen Spiele aus. Als sich die Angstzustände nicht mehr durch die Einkapselung in der Wohnung vermeiden lassen und es zu einer dramatischen Panikattacke zu Hause kommt, in deren Verlauf er Atemnot und Herzschmerzen spürt, ruft Herr Ba. den Notarzt. Er wird in eine Notfallambulanz gebracht, wo die Ärzte keine Ursache für seine Symptome finden können. Man legt ihm nahe, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, und diagnostiziert eine Angststörung. Das will Herr Ba. aber nicht akzeptieren. Wieder zu Hause macht er weiter wie bisher und konsultiert lieber „Dr. Google. Dieser „diagnostiziert
bei ihm eine Lungenfibrose oder eine Herzmuskelentzündung. Herr Ba. ist davon überzeugt, dass er daran sterben wird. Die bald mehrmals täglich auftretenden Angstzustände bestätigen ihn in seinem Glauben.
Wir können nur vermuten, was die erste große Panikattacke bei Herrn Ba. ausgelöst hat. Möglicherweise ein Bild oder ein Geräusch, jedenfalls ein Reiz, den Herr Ba. nicht bewusst wahrgenommen hat. Im Gegensatz zu Angstzuständen, die einer bestimmten Situation zuordenbar sind (z. B. Flugangst), sind Panikattacken im Rahmen einer generalisierten Angststörung meist an keinem einzelnen Ereignis festzumachen. Sicher ist aber, dass die vagen Angstzustände, die der Panikattacke mit Todesangst vorausgegangen sind, bereits Anzeichen dafür waren, dass die Stresshormone bei Herrn Ba. schon längere Zeit erhöht waren und nicht abgebaut wurden. Oft ist dann ein unbestimmter Reiz der Auslöser für den ersten Crash.
Herr Ba. hat sich durch die vorangegangene monatelange Reizüberflutung in einen permanenten Alarmzustand hineinmanövriert. Computerarbeit ist eine Tätigkeit, die ständige Entscheidungen in einem sehr kurzen Zeitraum von Millisekunden erfordert, sodass unserem Gehirn dauernde Gefahr vorgegaukelt wird. Diese Vorgänge durch Computerspiele auch in der Freizeit weiter zu fördern, führt dazu, dass das Gehirn in einen andauernden erhöhten Arousalzustand mit den bekannten körperlichen Folgen abdriftet. Herr Ba. hätte möglicherweise seinen Zusammenbruch dadurch verhindern können, anstrengende Dauerläufe zu absolvieren, statt sich mit Computerspielen zu „entspannen".
Kann die Neigung zu Angstzuständen vererbt werden?
Wir wissen, dass Angsterkrankungen multifaktorielle Entstehungsmechanismen haben. Dazu gehört auch die genetische Prädisposition. Angst wird also auch vererbt. Rund die Hälfte der Menschen mit pathologischen Angstzuständen haben mindestens einen Elternteil, der ebenfalls darunter leidet.
Ursachen für „vererbte Angst" können – unter anderem – verschiedene Genvarianten sein:
Genvariante der Monoaminooxidasen
Genvariante gewisser Serotoninrezeptoren
Genvariante des Serotonintransports
Genvariante des Noradrenalintransports
Genvariante der Catechol-O-Methyltransferase
Genvariante im GABA-ergen System
Genvariante der HPA-Achse
Genvariante des Wachstumsfaktors BDNF
Auch die Epigenetik spielt in der Vererbung von Angststörungen durch Veränderung der Expression der Gene – das ist die Vervielfältigung bestimmter Eiweiße in der Zelle – eine Rolle. So können sich zum Beispiel traumatische Erlebnisse, die im Leben der Mutter oder des Vaters stattgefunden haben, epigenetisch auf das Kind übertragen. Studien über die Nachkommen von Holocaust-Überlebenden belegen das. Trotz der Erforschung der Vererbungstheorien durch wissenschaftliche Studien ist es aber schwierig, zwischen dem sozialen Lerneffekt und der direkten genetischen Vererbung bei einzelnen Menschen mit Angststörungen zu unterscheiden.
Frau Ca. ist ein Einzelkind. Sie wuchs durch ihre sehr ängstliche Mutter überbehütet auf. Diese sorgte sich sehr um ihre Tochter, schirmte sie deshalb weitgehend vor der Umwelt ab und musste schließlich ihren Job aufgeben, da sie sich in einem ständigen Erschöpfungszustand befand. Sie übertrug ihr persönliches Unwohlsein auf ihre Tochter und suggerierte ihr, dass die Lehrer zu viel von ihr verlangen würden. Auch war die Mutter ständig in Sorge, dass sich das Kind „überanstrengt. Deshalb wurde Frau Ca. zu einem „Stubenhockerkind
, das das „Draußen" als gefährliche Umgebung wahrnahm. Schon als Kind fürchtete sie sich in öffentlichen Verkehrsmitteln vor einer möglichen Entführung oder ansteckenden Krankheiten, weshalb sie täglich von der Mutter mit dem Auto zur Schule gebracht und wieder abgeholt wurde. Sie war zwar eine gute Schülerin, hatte aber keine Freunde, da sie sich nicht traute, sich mit den Schulkameraden zu treffen oder ihnen sonst irgendwie näherzukommen.
Obwohl sie jetzt ihr Studium der Biologie erfolgreich absolviert hat, schafft sie es aus Angst zu versagen nicht, einer regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen. Sie bleibt deshalb zu Hause bei ihrer Mutter. Da sich ihre Angstzustände immer mehr häufen und sie aus Angst vor Psychopharmaka nur natürliche und homöopathische „Medikamente" einnimmt, verschlechtert sich ihr Zustand so weit, dass sie einen Suizidversuch unternimmt und daraufhin in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert wird.
Drei erkennbare Faktoren dürften für Frau Ca.s Angstzustände verantwortlich gewesen sein: ein genetischer, ein epigenetischer und ein anerzogener. Welche Ursache nun die dominierende war, können wir nicht feststellen. Tatsache ist aber, dass ihr Gehirnstoffwechsel – aus welchen Gründen auch immer – fehlgesteuert ist. Zusätzlich hindert ihre Angst sie daran, nach einer effektiven Behandlung zu suchen. Ein häufiges Problem: Depressive, ängstliche Patienten verweigern oft eine Therapie mit wirksamen Medikamenten, da sie die Nebenwirkungen fürchten.
Gelernte Angst?
Wie man aus der Forschung mit traumatisierten Menschen weiß, kommt es als Folge eines Traumas sehr oft zu einer Angststörung. Diese muss sich keineswegs auf den Inhalt des vorangegangenen Traumas beziehen, sondern kann auch andere Inhalte besetzen. Wissenschaftlich belegt ist aber, dass ein Trauma in der Kindheit oder Jugend sehr viel öfter eine Angststörung als Folge bedingt als im Erwachsenenalter. Deshalb ist es auch so wichtig, dass kindliche Traumata, etwa ausgelöst durch Missbrauch, sofort behandelt werden.
Herr