Glückspilz
Von Sigi Domke
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Über dieses E-Book
"Glückspilz" ist ein hochamüsanter Roman über das Suchen nach Liebe, Glück und Erfüllung, oder einfach nur nach dem nächsten Kick, und über die Tücken des Findens.
Sigi Domke
Geboren wurde Sigi Domke 1957 in einem Dorf in Hinterpommern und ist - nach kurzer Odyssee - seitdem lebhaft im Ruhrgebiet. Ab 1976 hat er ein paar Jährchen studiert, aber nix zu Ende. Er wollte lieber Rockmusiker werden. Piet Klo-ckes Kamikaze Orkester war im Jahre 1979 seine erste Station als Bassist und machte ihm Appetit auf das komödiantische Musiktheater. Danach folgten diverse Bands, darunter Twist, bis er schließlich 1988 zusammen mit Uwe Lyko Herbert Knebels Affentheater gründete. Bis Ende 1992 stand er mit dem Affentheater als Darsteller und Gitarrist auf der Bühne. Seitdem ist Sigi Domke, im Team mit Uwe Lyko und Martin Breuer, mitverantwortlich für alle Bühnenprogramme und sonstigen Veröffentlichungen des Affentheaters sowie Herbert Knebel solo. Seit 1995 ist Sigi Domke zudem als Theater-Autor und Regisseur tätig und im Ruhrgebiet wohl einer der meistgespielten Komödien-Schreiber. In den Stücken, wie auch in seinen Buchveröffentlichungen, bilden Ruhrgebiets-Themen und ihre Typen einen gewichtigen Schwerpunkt. Sigi Domke macht immer noch und am liebsten Musik. Er ist glücklich verheiratet und hat eine ihn bezaubernde Tochter.
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Buchvorschau
Glückspilz - Sigi Domke
1
Thorben hat wirklich unwahrscheinliches Glück bei Frauen! Warum und wieso? Da rätselt er selbst hin und wieder. Meistens nimmt er es aber einfach hin. Schicksal halt. Und es gibt bestimmt schlimmere Schicksale.
Wie es aussieht, besitzt Thorben den sogenannten „Frauen-Daumen. So nenne ich seine Begabung jedenfalls. Als Schriftsteller ist es mein gutes Recht, Worte zu erfinden. Man sagt ja bei Leuten, die ein Händchen für Pflanzen haben, sie hätten den grünen. Also, den „grünen Daumen
. „Grünes Händchen" sagt man nicht, warum auch immer. Jedenfalls, die mit dem Daumen, bei denen wächst und blüht alles, was an Grünzeug im Zimmer oder im Garten herumsteht, als wäre Doping im Spiel. Die dopen aber nicht. Kümmern sich oft so wenig, dass es an Vernachlässigung grenzt. Maximal ein bisschen gießen tun die. Und andere reißen sich ein Bein aus für - was weiß ich - einen Ficus oder Kaktus, und es kommt nichts als Siechtum dabei heraus. Rätselhaft. Aber jetzt verliere ich mich direkt zu Beginn der Geschichte im Gärtnerischen. Lassen wir das!
Thorben jedenfalls hat eben so eine Art, die bei vielen Frauen gut ankommt und sie zum Blühen bringt. Oft auch zum Glühen. Fieberkurven sind nichts dagegen. Bei den betroffenen Frauen wächst dann sichtbar die Lebensfreude, die Unternehmungslust, auch die Lust ohne Unternehmung, die Leidenschaft und anderes mehr. In vielen Fällen wachsen selbst die Leberwerte auf Grund einer Prosecco-Überdosierung. Zumindest eine Zeit lang geht das so. Thorben möchte halt möglichst vielen weiblichen Wesen guttun mit seiner Begabung.
Beim „gut Ankommen" muss er sich übrigens gar nicht mal anstrengen. Während andere schwer auf Anmache machen, lässt er die Dinge einfach geschehen und macht dabei den Eindruck eines sympathischen, offenen, lockeren, witzigen, interessierten, intelligenten, originellen, braungebrannten … Also, er macht eine Menge Eindruck! Wenn man genau hinschaut, erkennt man: Er ist gar nicht braungebrannt. Aber er wirkt eben so. Durch seinen Zwei- bis Vier-Tage-Bart, wachsen gelassen je nach Laune oder Arbeitspensum, wirkt er zusätzlich noch leicht verwegen.
Dabei sieht man Thorben seine vierzig Lebensjahre durchaus an. Durchliebte, durchfeierte, aber auch durcharbeitete Nächte haben ihre Spuren hinterlassen. Das Alter zeigt sich auch in einem nicht zu übersehenden Bauchansatz und überwiegend ergrauter Brustbehaarung. Auf dem Kopf sind die grauen noch die Ausnahme, dafür entstehen erste, wenn auch noch zaghafte Lichtungen inmitten des halblangen, leicht gelockten Haarschopfes. Zusätzlich verhindert eine kleine, aber doch deutliche Zahnlücke zwischen den oberen Schneidezähnen unmittelbar jeden Eindruck von Makellosigkeit. In jungen Jahren hat Thorben mit dem Gedanken gespielt, die Zähne mit einer Klammer richten zu lassen. Dann hat er erfahren dürfen, dass dies einen völlig unnötigen Aufwand darstellen würde. Mut zur Lücke!, hat er nach den ersten Erfolgserlebnissen in Liebesdingen gedacht und damit nichts verkehrt gemacht. Es gibt jede Menge Frauen, für die Äußerlichkeiten beim Mann keine allzu große Rolle spielen. Die finden einen Bauchansatz niedlich, Zahnlücken putzig, und ergraute Brustbehaarung wird als Zeichen von Reife gewertet. Ich behaupte, es gibt deutlich weniger Männer, die dies im umgekehrten Fall auch so gelassen sehen. Auf jeden Fall das mit der Brustbehaarung.
Gerade ist Thorben im Gespräch mit Liane und hat schon wieder unwahrscheinliches Glück. Weil Liane eigentlich nicht der Typ Frau ist, der auf Typ „Thorben" steht. Das könnte man zumindest vermuten, wenn man die beiden so nebeneinander stehen sieht. Alles an Liane sieht eindeutig teuer aus. Der Eindruck bleibt, selbst wenn man sich Kleidung und Schmuck wegdenkt. Sie hat schon so eine teure Ausstrahlung, und Haltung hat sie bis in die Zehenspitzen. Thorben ist dagegen ein Schlaks, und seine Bekleidung muss man als ziemlich leger bezeichnen. Edel-Marken sind ihm egal, wenn nicht gar suspekt. Den Eindruck des Unangepassten vermittelt er nämlich auch gerne, und da passen Edel-Marken nicht ins Bild.
Und trotzdem passt Liane dann doch in sein Beuteschema. Thorben hat es irgendwann gelangweilt, dass ihm die Frauen so anstrengungslos quasi in den Schoß fielen und hat gedacht, es müsse doch spannender sein, sein Glück bei denen zu versuchen, wo erfolgreiches Anbandeln eher fraglich, wenn nicht unmöglich schien. Manchmal stellte er sich Aufgaben, die die Sache zusätzlich erschweren sollten. Aber auch stotternd oder hinkend eroberte Thorben Frauenherzen, was ja durchaus für die Frauen spricht und meine These von oben in Bezug auf die Wertung von Äußerlichkeiten stützt. Jedenfalls pflegt unser Protagonist einen eher - nennen wir es mal - sportlich orientierten Ansatz in Beziehungsangelegenheiten.
So, wie nun Thorben und Liane miteinander sprechen, mit viel und intensivem Blickkontakt und Interesse bekundender Körpersprache, könnte sich da durchaus Amouröses anbahnen. Es ist ja unschwer zu erkennen, wenn Menschen, die umeinander werben, bei dem anderen damit auf fruchtbaren Boden fallen.
Vor wenigen Minuten hatte es jedoch noch gar nicht nach solch einem Boden ausgesehen. Es wurde allerdings auch nicht geworben. Im Gegenteil. Thorben war zuerst an Lianes Handtasche hängengeblieben. Mit den Augen, aber längst nicht so intensiv schauend wie gerade jetzt. Da stand sie noch in der Auslage eines Schaufensters, die Tasche. Thorben war ohne Ziel unterwegs gewesen, als er hängenblieb. Das macht er öfter. Weil er es sich leisten möchte. Zeit zu haben ist ihm wirklich wichtig. Thorben streunt umher und macht Fotos. Er ist nämlich - höchste Zeit, dies zu erwähnen! - Fotograf von Beruf. Noch etwas, was Eindruck macht. Und beim Streunen ist ihm schon so manch schöner Schnappschuss geglückt.
Diesmal hatte es Thorben nach Kranzberg, den ausgewiesenen Nobel-Stadtteil seiner Heimatstadt Salefeld, verschlagen. Nur den wenigsten Bundesbürgern dürfte Salefeld ein Begriff sein. Dabei liegt es direkt neben Bielefeld. Oder neben Krefeld. Da bin ich mir unsicher. Es liegt aber nicht neben Coesfeld. Da bin ich mir wiederum sicher. Wobei ich wirklich nichts gegen Coesfeld habe. Salefeld ist ähnlich mittelgroß wie die anderen Felder. Oder mittelklein. Das ist ja relativ. Es ist vielleicht ein bisschen unscheinbar, ein typisches Durchschnittsstädtchen eben. Und weil es so typisch ist, beherbergt es neben Reich zunehmend auch Arm, was sogleich eine Rolle spielen wird.
Im noblen Kranzberg haben sich natürlicherweise einige Geschäfte der gehobenen Kategorie angesiedelt, darunter auch der Shopping-Tempel „Style, mit Marken wie „Louis Vuitton
oder „Dolce & Gabbana. Der Preis der ausgestellten Handtasche war denn auch dreistellig im oberen Bereich. Oft sind es ja die unscheinbaren Accessoires, die hochpreisig sind und sich nur Kennern offenbaren. Dieses teure Stück gehörte aber eindeutig in die Kategorie „protzig
. Hinter Thorben war ein offensichtlich Obdachloser aufgetaucht, inspizierte einen Mülleimer und spiegelte sich in der Fensterscheibe. Die zufällige Kombination von Luxus und Armut erschien Thorben ausdrucksstark. Er zückte seine Kamera. Als er auf den Auslöser drücken wollte, tauchte eine Hand über der Tasche auf und angelte sie aus der Auslage. Schnappschuss adé! Das ärgerte Thorben natürlich, aber er war auch neugierig geworden. Anscheinend gab es eine Interessentin für das teure Anhängsel. Wer hatte wohl solch einen aufdringlichen Geschmack?
Thorben ging also eine Zeit lang auf und ab, machte zwischendurch einen Schnappschuss von einer hoch über ihm schwebenden Cirruswolke, die ihm mit ihrer Zerrissenheit wie ein Symbol der gegenwärtigen Weltlage erschien, und irgendwann hatte sich das Warten gelohnt. Die Ladentür wurde geöffnet, und Liane trat heraus, mit einem Arm der Verkäuferin auf gediegene Art zuwinkend, mit dem anderen die Neuerwerbung mit Haltung haltend. Sie hatte die Tasche also direkt in Gebrauch genommen und die alte in Zahlung gegeben. Nun ja, Letzteres ist eher unwahrscheinlich. Offengestanden weiß ich nicht, was man mit gebrauchten Edel-Handtaschen anstellt, wenn man sie nicht mehr gebraucht.
Vor dem Laden blieb Liane stehen und warf einen letzten prüfenden Blick auf ihr neues Luxus-Teilchen. Thorben taxierte sie kurz: Vielleicht etwas älter als er, aber noch „wirklich gut in Schuss. Tut mir leid, aber so drückte er sich gedanklich aus. Typ „Unternehmer-Gattin
. Etwas streng und zugeknöpft wirkend. Die hochgesteckten, perfekt frisierten Haare und das Make-up an die Mode der 50er-Jahre erinnernd. Neben der Tasche protzten auch ein Ring und Ohrschmuck. Ansonsten nobel aber nicht ausfallend auffallend gekleidet.
„Die hast du jetzt nicht wirklich gekauft, oder?!", sagte Thorben.
„Bitte?!" Liane schien mindestens verblüfft.
„Na, das Ding ist doch unglaublich geschmacklos", schob Thorben nun erläuternd nach und guckte dabei kritisch, ja, ein wenig angewidert auf Lianes Neuerwerbung.
Also, so eine Ansprache muss man erst einmal sacken lassen; und das tat Liane denn auch. Sie war kurz sprachlos. Was sie nicht wissen konnte: Spontan hatte Thorben sich die Aufgabe gestellt, das Anbandeln durch Frechheit zu erschweren. Seltsam, aber irgendwie sagte ihm seine Intuition, dass er damit richtig liegen würde.
Dann sagte auch Liane etwas, und zwar: „Das ist ja wohl eine Unverschämtheit!"
„Auf jeden Fall der Preis, pflichtete Thorben bei. „Die Optik allerdings nicht minder. So stillos. Das passt nun wirklich so gar nicht zu dir! Und außerdem hast du mir einen tollen Schnappschuss vermasselt.
Dabei klopfte Thorben wie beiläufig auf seine Kamera.
„Du könntest dich wenigstens mit einem Lächeln entschuldigen!"
Das klang schon etwas charmanter.
Liane schaute auf das große Spiegelreflex-Ding, dann in ein entwaffnendes, lausbübisches Grinse-Gesicht und war schon wieder sprachlos. Da wusste Thorben, dass er gewonnen hatte.
Wie sie nun da stehen und plaudern und lachen und weiter plaudern, immer mit Blickkontakt, ist jede Verstimmung und Zugeknöpftheit aus Lianes Mimik gewichen.
„Soll ich sie umtauschen?", fragt sie gerade.
„Wenn du mich fragst, und du fragst mich ja, antwortet Thorben, „ich finde, man soll zu seinem Geschmack stehen, egal, wie schlecht der auch ist!
„Unglaublich!", sagt Liane kopfschüttelnd, angesichts der erneuten Impertinenz, und lacht schon wieder.
Noch unglaublicher erscheint ihr, dass ihr gerade diese offensive Respektlosigkeit imponiert. Dann fällt ihr etwas ein, und sie schaut auf ihre Armbanduhr.
„Ich bin jetzt leider mit meinem Mann verabredet ...", rutscht es ihr heraus.
Als sie ihren Lapsus registriert, huscht eine Röte über ihr Gesicht. Thorben denkt, dass ihr das gut steht. Und wenn ich auch sonst wirklich nicht immer auf Thorbens Seite stehe, denke ich das auch.
„Morgen ist auch noch ein Tag", sagt Thorben.
Dann zückt er sein Portemonnaie, sucht und findet eine Visitenkarte und steckt sie Liane frech in den Ausschnitt.
„Wenn du mal einen guten Fotografen brauchst ..."
2
„Die Nacht war der Hit! Der absolute Hit! Der Nummer-1-Hit!"
Wie er jetzt so daliegt, glückselig lächelnd, mit nichts als dem Hit im Kopf, neben ihm unterm Laken die für die Chart-Spitzenplatz-Platzierung verantwortliche Frau, mit nichts als ihrer Haut bekleidet, da wird