Harold Garfinkel
Von Dirk vom Lehn
()
Über dieses E-Book
Ähnlich wie Harold Garfinkel
Titel in dieser Serie (16)
Thomas Luckmann Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMichel Foucault Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAlfred Schütz Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAnselm Strauss Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKarl Mannheim Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRobert E. Park Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHarold Garfinkel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenÉmile Durkheim Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenArnold Gehlen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenClaude Lévi-Strauss Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMaurice Halbwachs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMaurice Halbwachs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGeorg Simmel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPeter L. Berger Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenErving Goffman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHans-Georg Soeffner Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Ähnliche E-Books
Harold Garfinkel Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Robert E. Park Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMaurice Halbwachs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAndere: Eine Einführung in die Sozialphilosophie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEigensinn und Bindung: Katholische Intellektuelle im 20. Jahrhundert Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAlfred Schütz Bewertung: 1 von 5 Sternen1/5Brüder und Schwestern: Geschwisterfolge als Schicksal / Karl König Werkausgabe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNachgelassene Schriften / Ökologie und Gesellschaftskritik Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Politik der Toten: Figuren und Funktionen der Toten in Literatur und Politischer Theorie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLebensgeschichtliche Protokolle der arbeitenden Klassen 1850-1930: Dissertation 1932 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPeter L. Berger Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRorty lesen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGestalt und Gestalten der Soziologie in Hamburg: 120 Jahre Wissenschaft vom Sozialen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenÖsterreichisches Gedächtnis: Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAm Anfang war der Sinn: Zur Naturgeschichte, Psychologie und Philosophie von Tätigkeit, Sinn und Dialog Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPhilosophie als strenge Wissenschaft Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Männlichkeiten in der Literatur: Konzepte und Praktiken zwischen Wandel und Beharrung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Erde menschlich machen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGestalt und Gestalten der Soziologie in Hamburg.: Zum 100. Geburtstag der Universität Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHannah Arendts Literaturrezeption: Dichtung und Erzählen nach dem Traditionsbruch Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAntike Rhetorik in der christlichen Spätantike: Augustinus von Hippo über die Redekunst Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Imaginäre im Sozialen: Zur Sozialtheorie von Cornelius Castoriadis Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenProtexte: Interaktionen von literarischen Schreibprozessen und politischer Opposition um 1968 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHans Jonas: Etappen seines Denkwegs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Wanderer ins Morgenrot: Karl König, Camphill und spirituelle Gemeinschaft Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHusserls Intuition und Levinas' Beitrag Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenZeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 40/41: 21. Jahrgang (2015) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGesammelte Schriften: ERgBd 2.1 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMichel Foucault Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIdeologie, Kultur, Rassismus: Ausgewählte Schriften 1 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Sozialwissenschaften für Sie
Lexikon der Symbole und Archetypen für die Traumdeutung Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Sand Talk: Das Wissen der Aborigines und die Krisen der modernen Welt Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Warum lernst du kein Deutsch ?! Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Die Vagina-Monologe Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus: Enthält außerdem die 'protestantischen Sekten' und vier Antikritiken Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGriechische Mythologie für Anfänger: Gesamtausgabe Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Systemische Fragetechniken für Fach- und Führungskräfte, Berater und Coaches: Die Bedeutung von Fragen im Beruf Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPsychologie der Massen Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Das ist Deutschland!: Eine Landeskunde für alle Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Der Münchner Parkhausmord: Ein spektakulärer und umstrittener Indizienprozess Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Erfindung der Hausfrau – Geschichte einer Entwertung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchlagfertigkeitstechniken für Anfänger: Grundlagen und Techniken der Schlagfertigkeit lernen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenUnverfügbarkeit Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Das Unbehagen in der Kultur Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAnglizismen und andere "Fremdwords" deutsch erklärt: Über 1000 aktuelle Begriffe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Zufall, das Universum und du: Die Wissenschaft des Glücks Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen200 Duas für Muslim Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Gender: Eine neue Ideologie zerstört die Familie Bewertung: 2 von 5 Sternen2/5Hexen: Die unbesiegte Macht der Frauen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas große Latrinum: Ich wollte schon immer Latein lernen. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenResonanzen und Dissonanzen: Hartmut Rosas kritische Theorie in der Diskussion Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen...Als die Noten laufen lernten...Band 2: Kabarett-Operette-Revue-Film-Exil. Unterhaltungsmusik bis 1945 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHandbuch Sinneswahrnehmung: Grundlagen einer ganzheitlichen Bildung und Erziehung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Welt der Commons: Muster gemeinsamen Handelns Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenVon Hier Aus Gesehen: 15 Interviews mit Menschen, die es anders machen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Zukunft der Arbeit: Digitalisierung, Automatisierung, KI Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenZusammenfassung: Gefühle lesen: Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren: Kernaussagen und Analyse des Buchs von Paul Ekman: Zusammenfassung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Macht der Musik: Die Bedeutung von Musik für Jugendliche und die soziale Arbeit mit Jugendlichen Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5
Rezensionen für Harold Garfinkel
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Harold Garfinkel - Dirk vom Lehn
Klassiker der Wissenssoziologie
Herausgegeben von Bernt Schnettler
Die Bände dieser Reihe wollen in das Werk von Wissenschaftlern einführen, die für die Wissenssoziologie – in einem breit verstandenen Sinne – von besonderer Relevanz sind. Dabei handelt es sich vornehmlich um Autoren, zu denen bislang keine oder kaum einführende Literatur vorliegt oder in denen die wissenssoziologische Bedeutung ihres Werkes keine angemessene Würdigung erfahren hat. Sie stellen keinesfalls einen Ersatz für die Lektüre der Originaltexte dar. Sie dienen aber dazu, die Rezeption und das Verständnis des Œuvres dieser Autoren zu erleichtern, indem sie dieses durch die notwendigen biografie- und werkgeschichtlichen Rahmungen kontextualisieren. Die Bücher der Reihe richten sich vornehmlich an eine Leserschaft, die sich zum ersten Mal mit dem Studium dieser Werke befassen will.
»Thomas Luckmann« von Bernt Schnettler
»Marcel Mauss« von Stephan Moebius
»Alfred Schütz« von Martin Endreß
»Anselm Strauss« von Jörg Strübing
»Robert E. Park« von Gabriela Christmann
»Erving Goffman« von Jürgen Raab
»Michel Foucault« von Reiner Keller
»Karl Mannheim« von Amalia Barboza
»Harold Garfinkel« von Dirk vom Lehn
»Émile Durkheim« von Daniel Šuber
»Claude Lévi-Strauss« von Michael Kauppert
»Arnold Gehlen« von Heike Delitz
»Maurice Halbwachs« von Dietmar J. Wetzel
»Peter L. Berger« von Michaela Pfadenhauer
Weitere Informationen zur Reihe unter www.uvk.de/kw
»Haste is for the devil«
(Islamisches Sprichwort aus Garfinkel 2000: 65)
»Ethnomethodologists are a bunch of bastards.
But nobody knows whose bastards they are.«
(Garfinkel 2007: 13)
Inhalt
Soziologie als Liebesabenteuer
Per Anhalter zur Soziologie
Soziologie und »Soziologische Einstellung«
Von der Phänomenologie zur Ethnomethodologie
Was ist Ethnomethodologie?
Ethnomethodologische Arbeitsanalysen
Ethnomethodologie und Soziologie
Wirkungen
Postscript: Garfinkels Waisen
Literatur
Zeittafel
Personenindex
Sachindex
I Soziologie als Liebesabenteuer
Erster Weltkrieg, ethnische Spannungen sowie wirtschaftliche Unsicherheit markieren die Umstände, unter denen Harold Garfinkel am 29. Oktober 1917 als Sohn von Abraham Garfinkel, einem Möbelhändler in der großen jüdischen Gemeinde von Newark (New Jersey) geboren wird. Die Gemeinde setzt sich aus Einwanderern zusammen, die sich bemühen, in den USA gesellschaftlich und wirtschaftlich Fuß zu fassen. Wie die gesamten USA wird die Gemeinde in den 1930er-Jahren von der Weltwirtschaftskrise erfasst. Ökonomische Unsicherheit und Existenzangst greifen um sich und hinterlassen ihre Spuren auch in Garfinkels Elternhaus. Als der junge Harold 1935 im Alter von 17 Jahren den Wunsch äußert, ein Universitätsstudium aufzunehmen, rät sein Vater ihm hiervon ab und fordert ihn stattdessen auf, einen ›richtigen‹ Beruf zu erlernen. Ein Kompromiss wird gefunden – Harold steigt in das Möbelgeschäft seines Vaters ein und belegt parallel dazu Kurse in Betriebswirtschaft und Buchhaltung (»Accounting«) an der University of Newark, dem heutigen Newark Campus der Rutgers University.
Der Kurs »Theorie der Buchhaltung« führt Harold in die Bilanzerstellung und die doppelte Buchführung ein. Er sensibilisiert den jungen Studenten dafür, dass Bilanzierung ein überaus praktischer Vorgang ist, wenngleich sehr viel über die Kategorien theoretisiert wird, die die Bilanz abdecken sollen. In Verbindung mit seiner Arbeit im Geschäft seines Vaters lernt Garfinkel in diesem Kurs, dass Bilanzen im Rahmen eines Unternehmens erstellt werden, in dem Buchhalter (»Accounts«) ihren Vorgesetzten und anderen Mitarbeitern gegenüber verantwortlich sind (Rawls 2002).
Als heranreifender Soziologe überträgt Garfinkel später sein Verständnis der Erstellung von Bilanzen auf die Analyse von Alltagshandlungen. Wie der Buchhalter für seine Arbeit in einem Unternehmen verantwortlich ist, so kann der Akteur im Alltag für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden. Das Eintragen von Beträgen in Bilanzen wie auch Alltagshandlungen sind in Garfinkels Terminologie ›accounts‹, was in den wenigen Übersetzungen von Garfinkels Schriften in die deutsche Sprache häufig als ›Darstellung‹ wiedergegeben wird (z.B. Weingarten et al. 1976); Darstellungen sind »beobacht-und-berichtbare« (»observable-and-reportable«; Garfinkel 1967b: 1) Handlungen, für die Akteure zur Rechenschaft gezogen werden können, da sie als Handlungsausführende erkennbar sind. Ich komme in den folgenden Kapiteln dieses Buches noch verschiedentlich auf Garfinkels Konzept der praktischen Darstellung (›account‹ und ›accounting‹) und dessen Konsequenzen für Garfinkels Soziologie zurück.
An der University of Newark knüpft Garfinkel unter seinen Kommilitonen und Tutoren Bekanntschaften, die für seinen späteren Werdegang von großer Bedeutung sein werden: Melvin Tumin (später Anthropologe in Princeton), Herbert McClosky (später Politologe in Berkeley), Seymour Sarason (später Psychiater an der Yale University), Philip Selznick (später Soziologe an der UCLA) und Paul Lazarsfeld, der in den 1940er-Jahren bekanntlich die wissenschaftliche Soziologie und empirische Sozialforschung begründet. In Diskussionen mit seinen Kommilitonen und Tutoren entwickelt Garfinkel ein zunächst noch loses Interesse an der Soziologie und Philosophie. 1937 erwirbt er Talcott Parsons Klassiker The Structure of Social Action (Parsons 1937). Er fühlt sich sofort und vollkommen in den Bann der Soziologie und des soziologischen Denkens gezogen (siehe Rawls 2002).
Von hieran entwickelt Garfinkel ein weitläufiges Interesse an soziologischen Theorien und Debatten. Diese Auseinandersetzung mit soziologischem Denken sensibilisiert Garfinkel schon in den 1930er-Jahren für Fragen der Organisation von sozialen Zusammenhängen. Dies spiegelt sich insbesondere in einer preisgekrönten Kurzgeschichte mit dem Titel »Color Trouble« (Garfinkel 1940) wider, die er als 22-Jähriger in den späten 1930er-Jahren verfasst. In der Geschichte beschreibt er, wie Passagiere bei einer Busfahrt aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen ethnischen Gruppen voneinander getrennt werden und in ihrer Auseinandersetzung mit dem Busfahrer und der Polizei die etablierte soziale Ordnung aushandeln.
Nach dem Abschluss des Bachelor Studiums an der University of Newark (1939) entscheidet sich Garfinkel dazu das Master’s Studium der Soziologie an der University of North Carolina in Chapel Hill aufzunehmen. Dort hatte Howard Odum 1920 das Department of Sociology und 1924 das Institute for Research in Social Science gegründet (Brazil 1988). In Kapitel II beschäftige ich mich mit Garfinkels Studium in North Carolina und seiner Master’s Thesis (1942), in der er seine erste formale Auseinandersetzung mit der Soziologie vorlegt.
An sein Studium in North Carolina anschließend wird Garfinkel zur US-Air Force einberufen. Bis zum Kriegsende ist er damit betraut, Soldaten auf einem Golfplatz in Florida für Infanteriegefechte im Krieg gegen Panzer auszubilden. Nach dem Krieg geht Garfinkel 1946 nach Harvard, um dort unter Talcott Parsons zu promovieren. Gleichzeitig diskutiert er die Bedeutung der Phänomenologie für soziologische Fragestellungen mit Alfred Schütz und Aron Gurwitsch, die er regelmäßig in New York besucht (Barber 2004, Rawls 2002).
Der intensive Kontakt mit Gurwitsch und Schütz übt großen Einfluss auf das Denken von Garfinkel aus. Er nutzt seine phänomenologischen Einsichten über die Alltagserfahrung von Akteuren nicht zur Entwicklung einer Gegenposition zu Parsons, sondern um mit ihrer Hilfe neues Licht auf das Hobbes’sche Problem der sozialen Ordnung zu werfen, mit dem sich Parsons in The Structure of Social Action (1937) und The Social System (1951) auseinandersetzt. In dieser Zeit schreibt er nicht nur seine Doktorarbeit, die er 1952 erfolgreich abschließt (Garfinkel 1952), sondern auch ein Manuskript, das erst vor kurzer Zeit unter dem Titel Seeing Sociologically (Garfinkel 2006/1948) veröffentlicht wurde. Beide Schriften spiegeln Garfinkels Bemühen wider, eine spezifisch »soziologische Einstellung« (Psathas 2004: 17) zum Problem sozialer Ordnung zu entwickeln. Diese Perspektive soll erfassen, wie soziale Ordnung von Akteuren in der »natürlichen Einstellung« (Garfinkel 2006/1948: 127–129) hergestellt und erfahren wird.
Mit dem Konzept der ›natürlichen Einstellung‹ bezieht sich Garfinkel (1952, 2006/1948) auf Alfred Schütz und dessen Aufsätze zum Problem der sozialen Wirklichkeit (Schütz). In Kapitel III und IV werde ich dieses Konzept und Garfinkels Entwicklung einer spezifisch soziologischen Einstellung im Detail darstellen. Dabei werde ich erläutern, wie Garfinkel in seiner Doktorarbeit die Phänomenologie von Schütz benutzt, um eine eigenständige, von Parsons klar zu unterscheidende soziologische Perspektive zu entwickeln.
Während Garfinkel an seiner Promotion arbeitet, nimmt er einen Lehrauftrag an der Princeton University (New Jersey) an. Hier organisiert er 1952 eine Konferenz mit dem Titel »Problems in Model Construction in the Social Sciences«, bei der bedeutende Sozialwissenschaftler wie Talcott Parsons, Paul Lazarsfeld, Herbert Simon, Kenneth Burke, Alfred Schütz und Kurt Wolff sprechen. Schütz trägt hier sein Paper »Common-sense and Scientific Interpretations of Human Action« (Schütz 1953) vor, das neben seinem Aufsatz zu den »Mannigfaltigen Wirklichkeiten« (Schütz 1971) von besonderer Bedeutung für Garfinkels Denken wird. Zur gleichen Zeit arbeitet Garfinkel an einem Manuskript mit dem Titel »Toward a Sociological Theory of Information«, das aus seinen Vorlesungen in Princeton hervorgeht.¹
Seine Bekanntschaft mit Kurt Wolff verhilft ihm nach Beendigung des Lehrauftrages an der Princeton University zu einer Anstellung an der University of Ohio. Hier leitet Wolff, der in den USA unter anderem für seine Übersetzungen von Georg Simmels Schriften bekannt ist, ein Forschungsprojekt zum Thema »Personalführung«. Als dieses Projekt Budgetkürzungen zum Opfer fällt, bietet ihm Fred Strodtbeck, ein alter Freund aus Newark, eine Position in einem interdisziplinären Forschungsprojekt an der University of Wichita (Kansas) an. In dem von der Ford Foundation geförderten »Jury Project« (Kalven 1966) werden unterschiedliche Bereiche des amerikanischen Rechtssystems analysiert. Im Rahmen dieses Projektes beschäftigt sich Garfinkel mit der Organisation von Geschworenensitzungen. Im Sommer 1953² präsentieren Garfinkel und seine Kollegen Strodtbeck und Mendlovitz Auszüge aus ihrer Forschung der Geschworenenberatungen auf der jährlichen Konferenz der American Sociological Association (ASA). Hier wählen sie die Bezeichnung ›ethnomethods‹, um die Handlungen zu charakterisieren, durch die Geschworene Entscheidungen treffen und begründen, so dass ihre Diskussionen als die von Geschworenen erkennbar werden. In Kapitel V dieses Buches beschäftige ich mich näher mit der Entwicklung der Ethnomethodologie und den Ethnomethoden.
Im Anschluss an die ASA Konferenz kommen Garfinkel wiederum Freundschaften zugute, die er während seines Studiums in North Carolina und Harvard geschlossen hat. Insbesondere Philip Selznick (1919–2010) wirkt auf den Dekan des Department of Sociology an der University of California in Los Angeles ein, Garfinkel einzustellen. 1954 tritt Garfinkel als Assistant Professor an der UCLA an. Der Beginn seiner Lehrtätigkeit fällt in die Zeit wachsender Bedeutung dieser Universität, die bis zum heutigen Tag zu den Spitzenuniversitäten der USA zählt. Dort arbeitet Garfinkel mit vielen Studenten und Kollegen, die als Ethnomethodologen und Konversationsanalytiker bekannt geworden sind.
Einer der Bekanntesten unter diesen Studenten ist Harvey Sacks, der gemeinsam mit Gail Jefferson und Emanuel Schegloff als Begründer der Konversationsanalyse (Sacks 1992, Schegloff 2007) gilt. Als Student lernt Sacks Garfinkel 1959 in Harvard kennen, wo dieser ein Forschungsfreisemester verbringt. Sacks, der unter anderem Seminare von Noam Chomsky am MIT in Cambridge (Massachusetts) besucht, interessiert sich insbesondere für die Entscheidungsfindung in juristischen Prozessen und für das Problem der Adäquatheit soziologischer Beschreibungen (Silverman 1998). Garfinkel teilt diese beiden Interessen, hatte er sich doch schon in seiner Master’s Thesis und im »Jury Project« mit Darstellungsproblemen im juristischen Entscheidungsprozess beschäftigt. Sacks wechselt 1960 nach Berkeley, wo er seine Interessen an der Jurisprudenz unter Garfinkels Freund Philip Selznick weiterverfolgt. An der Westküste der USA angekommen, hält Sacks engen Kontakt mit Garfinkel, dessen unveröffentlichte Manuskripte er liest und mit Kommilitonen diskutiert. Garfinkels Manuskripte üben einen großen Einfluss auf Sacks aus, was sich insbesondere in seinen Vorlesungen zur Praxis der Jurisprudenz widerspiegelt (Schegloff 1989). 1963/64 ermuntert Garfinkel Sacks, an die UCLA zu kommen, um dort mit ihm an einem Forschungsprojekt am Center for the Scientific Study of Suicide in Los Angeles zu arbeiten. Sacks, dessen Promotion unter Erving Goffman in Berkeley ins Stocken geraten war, sammelt in diesem Projekt die Daten, die er für seine Doktorarbeit (Sacks 1966) verwenden wird (Schegloff 1992).
Garfinkel arbeitet in diesen Jahren an zumindest zwei Buchmanuskripten, die beide bis zum heutigen Tag unveröffentlicht bleiben. Das erste Buchmanuskript, »Parsons’ Primer«, setzt sich mit Parsons’ Lösung des Problems der sozialen Ordnung und dessen Kritikern auseinander. Das Manuskript spiegelt Garfinkels Bewunderung für das Werk seines Lehrers wider und weist viele der Kritiken an Parsons’ Theorie als trivial und irrelevant ab. Es zeigt jedoch auch auf, wo der nunmehr 43-jährige Soziologe Unstimmigkeiten in Parsons’ Theorie sieht. Insbesondere weist Garfinkel darauf hin, dass Parsons’ Theorie nicht dabei hilft, die Perspektive des Akteurs in Situationen zu erfassen, sondern, wie Schütz es nennt, eine Beobachterperspektive zweiter Ordnung einnimmt. Das zweite unveröffentlichte Buchmanuskript (1962), eine Sammlung von Aufsätzen mit dem Titel »Some Sociological Methods for Making Everyday Activities Observable« besteht aus 18 Kapiteln, die sich mit theoretischen, empirischen und programmatischmethodologischen Fragen auseinandersetzt (Schegloff 1999). Einige der in diesem Buch gesammelten Aufsätze werden später als Zeitschriftenartikel veröffentlicht und erscheinen in Garfinkels Studies in Ethnomethodology (1967a). Aber weder »Parsons’ Primer« noch das umfangreichere zweite Buch wurden bisher vollständig veröffentlicht. Viele der Aufsätze sowie verschiedene Versionen des »Parsons’ Primer« kursieren bis zum heutigen Tage in verschiedenen Versionen als graue Literatur unter Ethnomethodologen.³
1967 erscheint Garfinkels Hauptwerk Studies in Ethnomethodology. Bleiben die in Zeitschriften erschienenen Aufsätze, die Eingang in die Studies fanden, relativ unbeachtet, führt ihre Veröffentlichung in Buchform zu heftigen Auseinandersetzungen, die auf Konferenzen und Tagungen (Coser 1975, Gellner 1975) ausgetragen werden und sich in zahlreichen kritischen Buchbesprechungen niederschlagen (Bruyn 1968, Busfield 1968, Coleman 1968, Wallace 1968, Wilkins