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Fotojournalismus
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eBook380 Seiten3 Stunden

Fotojournalismus

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Über dieses E-Book

'Einfach draufhalten und abdrücken, wir brauchen dringend ein Foto für die Startseite!' In Zeiten schrumpfender RedaktionSetats und wachsendem Produktionsdruck finden sich schreibende Journalisten – insbesondere im Lokaljournalismus – schnell mit einer Kamera in der Hand wieder. Doch ein aussagekräftiges Pressefoto lässt sich nicht im Vorbeigehen schießen: Wenn es seine eigene Geschichte erzählen soll, benötigt es ebenso viel Fachwissen, Hingabe und Konzentration wie eine mühsam geschriebene Reportage. Julian J. Rossig zeigt anhand zahlreicher Beispielfotos, wie das geht. Er informiert über Technik, Komposition und wie man welche Motive fotografiert. Wie bringt man Dynamik in ein langweiliges Gruppenbild? Mit welchen Symbolen lassen sich unterbewusste Assoziationen transportieren? Und wie entstehen packende Action-Fotos? Aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen sind elementar, vor allem bei Veröffentlichungen im Internet. Für die dritte Auflage wurde der bewährte Fachbuch-Klassiker grundlegend überarbeitet und aktualisiert. Neu sind beispielsweise Online-Bildstrecken für Audio-Slideshows oder Infos über die HDR-Technik. Mit Zusatzmaterial auf www.uvk.de/plus.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Juni 2014
ISBN9783744507295
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    Buchvorschau

    Fotojournalismus - Julian J. Rossig

    Gleich zu Beginn eine ganz persönliche Frage an Sie: Sehen Sie sich als einen Fotografen, dessen Veröffentlichungsmedium anstatt einer Galerie nun zufälligerweise eine Zeitung ist – oder als Journalist, der nicht mit Mikrofon oder Stenoblock, sondern mittels einer Kamera berichtet? Mit anderen Worten: Sind Sie Pressefotograf oder Fotojournalist?

    Die offizielle Bezeichnung im Behördendeutsch lautet Bild- bzw. Fotojournalist – und das nicht ohne Grund. Denn um die besonderen Zwänge des Mediums verstehen zu können, sollten Sie in allererster Linie Journalist sein. Das Wort »Foto« steht irritierenderweise zwar vorn, kommt bedeutungsmäßig aber erst an zweiter Stelle (offiziell wird bevorzugt die Bezeichnung »Bildjournalist« verwendet, die jedoch offensichtliche Abgrenzungsprobleme zu Mitarbeitern des gleichnamigen Springer-Blattes verursacht). Im Übrigen war die Bezeichnung »Fotograf« in Deutschland lange Zeit geschützt, sodass nur gelernte Fotografen diesen Titel tragen durften.

    Sie sind also ein Fotojournalist? Dann lautet das ultimative Ziel, genau wie das der Kollegen von der schreibenden Zunft, eine Geschichte zu erzählen. Über Geschehenes zu berichten, Menschen zu porträtieren, Emotionen darzustellen. Themen zu selektieren, Relevantes zu betonen, Fakten einzufangen und in die richtige Perspektive einzuordnen. Und das alles nicht mit Worten oder O-Tönen, sondern in einem einzigen Foto.

    Dazu – und das ist leichter gesagt als getan – müssen Sie Ihr Werkzeug kennen und verstehen. Der textende Kollege hat seinen Duden und seine Allegorien – wir haben Blitz und Verschlusszeit. Was uns eint, ist das Ziel: Getreu des journalistischen Berufsethos’ Neuigkeiten zu berichten und Geschichten zu erzählen.

    Um dies leisten zu können, reicht das bloße Verständnis von Technik und Stilmitteln nicht aus: Gleichzeitig müssen Sie auch die Zielgruppe und die speziellen Nöte Ihres Mediums kennen. Der durchschnittliche [12] Galeriebesucher verweilt fünf Minuten vor jedem Foto – der durchschnittliche Zeitungsleser fünf Sekunden, der flüchtige Internet-Leser gar nur Bruchteile einer Sekunde. In einer Ausstellung stehen die Fotos unangefochten im Mittelpunkt – in unserer Welt sind sie jedoch oft nur ein Mittel von vielen, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu erregen und auf den Text zu lenken. Und auch hier gibt es gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Medien: In einem Anzeigenblatt kommt der Fotografie eine ganz andere Bedeutung zu als etwa in einer Fernsehzeitschrift oder einem Fachmagazin.

    Und noch ein weiteres Beispiel: Sicher haben Sie schon einmal auf einer Familienfeier oder einer kleinen Party unter Freunden einige »Erinnerungsfotos« geknipst. Was unterscheidet diese Art der Fotografie vom Fotojournalismus? In erster Linie: die Emotion. Wenn Ihre Freunde und Bekannten Ihre Partybilder betrachten, bringen sie die Emotionen bereits mit: »Was für ein schöner Abend das doch war … Und als der Jürgen dann gesungen hat!« Oder auch: »Schau mal, damals hat mir das geblümte Kleid noch gepasst!«

    Wenn der Betrachter mit dem Abgebildeten identisch ist oder jenen zumindest gut kennt, dienen die Bilder nur als bessere Gedächtnisstütze. Das Foto muss keine besonderen Stilmittel enthalten, um den Betrachter auf die Atmosphäre einzustimmen; im Gegenteil, Unschärfe und andere Kompositionsversuche wären nur hinderlich. Der durchschnittliche Zeitungsleser aber, der von der jüngsten Szeneparty oder dem Wiener Opernball liest, hat dieses Hintergrundwissen nicht. Ihm fehlt die Emotion – deshalb müssen wir sie ihm liefern.

    Zwei Fotos und ein gutes

    Ganz zu Beginn meiner Arbeit bei einer Lokalzeitung gab mir ein »alter Hase« einmal den augenzwinkernden Tipp: »Bring von jedem Termin stets drei Fotos mit: Eine Übersichtsaufnahme, einen Hochformater und ein wirklich gutes Bild«.

    Wieso, mögen Sie nun fragen: Machen wir denn nicht immer »gute« Bilder? Wer könnte denn absichtlich ein schlechtes Foto aufnehmen wollen? Doch wer bereits journalistische Erfahrung mitbringt, versteht den tieferen Sinn dieses ironischen Rates: Aus fotografischer Sicht sind eng komprimierte Aufnahmen oftmals die »besseren« Fotos – und doch rücken viele Lokalredakteure bevorzugt Gruppen- und Übersichtsbilder ins Blatt. Die Begründung: »Unsere Leser wollen sich wiederfinden!« Die Leser-Blatt-Bindung siegt nur zu häufig über die Ästhetik – schließlich ist Journalismus keine weltentrückte Kunstsammlung für Liebhaber moderner Fotografie, sondern muss sich seine Existenzberechtigung Tag für Tag neu verdienen.

    [13]

    Zweimal die gleiche Situation – doch für Hoch- und Querformat hat der Fotograf völlig andere Perspektiven gewählt.

    [14] Ganz ähnlich verhält es sich – auch das illustriert obiges Bonmot sehr anschaulich – mit dem Format: Für den engagierten Fotografen ist die Entscheidung zwischen Hoch- und Querformat einzig eine Frage der Komposition. Personenporträts sehen oft hochformatig schöner aus, während sich etwa Gruppenbilder eher als Querformat anbieten. Doch der schönste Querformater hilft überhaupt nichts, wenn auf der Titelseite nur noch Platz für ein hochformatiges Foto ist! Hier gilt es dann, die Belange der »Blattmacher« im Hinterkopf zu behalten und trotz aller Einschränkungen noch das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

    Es kann aber natürlich nicht die Lösung sein, einen hochformatigen Bohrturm einfach im Querformat zu fotografieren: Am Ende bestünden 80 % des Bildes nur aus nutzlosem Himmel. Stattdessen liegt die Kunst des Fotojournalismus darin, eine geeignete Perspektive zu finden, in der auch ein schmaler Bohrturm einen formatfüllend breiten Querformater abgibt – etwa aus der extremen Froschperspektive fotografiert oder mit einem Menschen im Vordergrund.

    Das wiederum setzt aber voraus, dass die Zusammenarbeit mit der Redaktion vernünftig funktioniert. In der Praxis kommt es leider viel zu häufig vor, dass das Mobiltelefon klingelt und ein gestresster Redakteur fordert: »Machen Sie mal eben ein Bild vom Bahnhof, querformatig, wir haben da eine Geschichte!« Der Bahnhof ist aber groß und bietet zahllose Fotogelegenheiten – was genau wünscht sich die Redaktion? Ein Bild von außen, von der Eingangshalle, den Warteräumen, den Gleisen? Um ein möglichst passendes Bild produzieren zu können, müssen Sie zumindest einen groben Überblick über den geplanten Artikel bekommen: Worum geht es, und was wird die Kernaussage sein?

    Die nächste Frage an den Redakteur müsste »Wo?« lauten: In welchem Buch (bzw. Produkt) der Zeitung soll das Foto gedruckt werden – Titelseite, Mantel, Lokalteil? Und in welcher Größe? Wird zugleich ein Teaserbild für die Online-Ausgabe benötigt? Der schreibende Kollege recherchiert mit der größten Selbstverständlichkeit für eine 20-Seiten-Exklusiv-Reportage [15] ganz anders als für eine 20-Zeilen-Meldung. Das gilt auch für Sie: Das doppelseitige Aufmacherbild darf (bzw. muss!) mehr Details enthalten als ein Thumbnail in Miniaturgröße.

    Wichtig ist auch die »Wie«-Frage: Farbe oder schwarz-weiß? Ein gutes Farbbild lässt sich nicht ohne Weiteres graustufig konvertieren – auch wenn viele Redakteure dies wider besseres Wissen dennoch immer wieder probieren (und dabei oft vormals wirklich gute Bilder ruinieren). Wie wir später noch sehen werden, kann der gezielte Einsatz von Farbe eine Vielzahl von Funktionen erfüllen, deren wichtigste zweifellos die »Assoziationsstütze« ist (siehe Kapitel 4).

    Je mehr Sie über Ihren Auftrag wissen, desto besser:

    Die beiden Artisten auf diesem Zirkusfoto handeln schließlich auch nach einer sorgfältig geplanten Choreografie.

    [16] Überdies erfordern graustufige – bzw. monochrome, was der technisch exaktere Begriff wäre – Bilder oftmals eine gänzlich andere Komposition: Während sich knallblauer Himmel im Farbbild sehr hübsch macht, wirkt er im Schwarz-Weiß-Foto dunkelgrau und düster. Wer besonders gern monochrom fotografiert, sollte sich an strahlenden Sommertagen also eher zurückhalten – sonst wirkt am nächsten Tag das ganze Blatt depressiv. Dagegen schlägt für Sie an trüben Tagen die Stunde der Freiluftfotos: Ein wolkenverhangener Himmel konvertiert sich im Graustufenmodus in einen freundlich-hellen Grau- bzw. Weißton. Sie müssen also bereits vor dem Betätigen des Auslösers wissen, ob die Redaktion ein farbiges oder ein graustufiges Bild benötigt.

    Nach ähnlichen Maßstäben richtet sich auch die inhaltliche Komposition des Fotos: Braucht die Redaktion einen »Alleskönner«, der drei komplett verschiedene Themen auf einmal abdeckt – oder ist viel Platz im Blatt bzw. im Online-Auftritt und drei einzelne Fotos wären viel eher angebracht? Unter Fotografen hält sich hartnäckig das Gerücht, die Qualität eines Fotos bemesse sich unmittelbar an der Anzahl der Themen, die es abdecke. Das führt jedoch häufig zu unübersichtlichen Rätselbildern und ist in den Redaktionen dementsprechend unbeliebt: Denn wenn schon das Titelfoto »mehr als 1.000 Worte« sagt – was bleibt dann noch für den Innenteil übrig? Wo blieben die 10- und 15-seitigen Fotostrecken, wenn ein einziges Foto schon »alles« sagte? Und, nicht zu vergessen: Wo bliebe Ihr Honorar?

    Doch welche verschiedenen Funktionen kann ein Bild eigentlich erfüllen? In der heutigen Medienlandschaft werden Fotos für alle möglichen Zwecke eingesetzt: Sie dokumentieren, symbolisieren, kommunizieren, dekorieren; sie interpretieren aber auch, veranschaulichen und organisieren. In Anlehnung an den amerikanischen Fotojournalisten Philip Douglis möchte ich bei Pressefotos folgende Verwendungsweisen unterscheiden:

    Wertschätzung und Neugierde: Wenn Lieschen Müller das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommt, könnte das so manchem Lokalmedium ein (Gruppen-)Bild wert sein. Dadurch drückt die Redaktion nicht nur ihre eigene Anerkennung und Wertschätzung aus, sondern ermöglicht implizit auch allen übrigen Bürgern, die die Geehrte kennen, die Gratulation. [17] Die inhaltliche Aussagekraft insbesondere von Gratulationsfotos mit Blumenstrauß und Urkunde ist jedoch stark begrenzt. Diese Variante findet sich häufig in der internen Kommunikation, etwa in Vereins- und Mitarbeiterzeitschriften, weil dadurch die Bindung innerhalb der Gruppe verstärkt werden soll.

    Eine verwandte Variante sind jene Dankbarkeitsfotos, mit denen sich der Journalist indirekt bei Helfern bedanken möchte: Etwa, weil der Pressesprecher so zuvorkommend bei der Recherche geholfen hat. Ob diese Fotos dem Leser allerdings einen echten Mehrwert bieten, darf bezweifelt werden.

    Ersatz und Symbolismus: Auch Symbolfotos haben tendenziell eine geringere Aussage als der begleitende Text. Sie werden oft aus der Not heraus geboren, wenn das Thema schwer greifbar ist: Wie lässt sich etwa eine Polizei-Einsatzstatistik visuell umsetzen? Die feierliche Übergabe der Statistik an den Stadtrat scheint genauso unkreativ wie eine Außenansicht des Präsidiums. Aber ist ein Archivbild von der letzten spektakulären Festnahme wirklich sinnvoller? Mehr dazu auch in Kapitel 7.4. Bei der Verwendung von Symbolfotos muss unbedingt kenntlich gemacht werden, dass es sich dabei nicht um eine tagesaktuelle Aufnahme handelt, etwa durch den Zusatz »… wie unser Symbolfoto zeigt« in der Bildzeile.

    Illustration und Dokumentation: Diese Fotos haben einen großen Erklärungsanteil und ergänzen den begleitenden Text. Vor allem Fachmedien bedienen sich vieler dokumentarischer Abbildungen, die dem Leser den Artikelinhalt plastisch vor Augen führen – etwa den Ablauf eines neues Fertigungsverfahrens für Hosenknöpfe. Aber auch im Lokalteil machen sie Sinn, etwa wenn die Umgestaltung eines Stadtparks kontrovers diskutiert wird und sich der Leser von der Situation selbst »ein Bild« machen soll. Sie eignen sich besonders, wenn das Ereignis außergewöhnlich und schwer bzw. selten beobachtbar ist – etwa die Geburt eines Elefantenbabys. Klare, übersichtliche Illustrationen sind übrigens keine kleine Leistung: Anstelle einer kreativen Bildgestaltung muss der Fotojournalist penibel auf Klarheit, Deutlichkeit und Unmissverständlichkeit achten.

    Vorsicht allerdings vor dem berüchtigten »Beweis-Foto«: Allzu schnell verkommt das erklärende Illustrationsbild zu einer reinen Nacherzählung des Textes oder gar der Karikatur eines Symbolbildes. Wenn eine Baustelle in der Innenstadt wieder einmal zu langen Staus führt, wirkt eine Fotografie der Fahrzeugschlangen höchstens lächerlich (»Ja, es war wirklich Stau, wir haben uns das nicht ausgedacht!«). Hier ist Ihr journalistischer Instinkt gefragt, das wirklich Relevante an der Geschichte zu enthüllen: Der Grund für die Bauverzögerung, die persönlichen Dramen der gestressten Autofahrer, die resultierende Luftverschmutzung, und so weiter.

    [18]

    Transportieren Sie Emotionen, indem Sie Emotionen zeigen. Ein Bild vom Weihnachtsmann ist langweilig – aber die Gesichter der Beschenkten können wahre Spiegel ihrer Seelen sein. Dieses Foto entstand bei der Bescherung in einem Heim für Asylbewerber, die von ehrenamtlichen Helfern organisiert wurde.

    [19] Kommunikation und Handlungsinduktion: Wenn das Hochwasseropfer vor den Trümmern seines zerstörten Hauses in Tränen ausbricht, dann geht es um mehr als eine reine Schadensdokumentation oder die symbolische Darstellung von Naturgewalten: Diese Kategorie von Pressefotos »spricht« direkt mit dem Leser und teilt ihm etwas mit – sie kommuniziert. Damit ist sie jeder anderen Darstellungsform im Printbereich überlegen, kann Emotionen blitzschnell hervorrufen und den Leser aus seiner passiven Lektüre in einen aktiven Zustand der Anteilnahme bringen: Begeisterung, Abscheu, Mitleid, Wut. Solche Fotos herzustellen, sollte das Ziel jedes Fotojournalisten sein – denn was ist die Aufgabe der Presse, wenn nicht Kommunikation? Je nach Intensität kann das Foto indirekt sogar zu einer Handlung aufrufen – in diesem Fall etwa zur Spende – und so den Leser aus seiner passiven Rolle heraus aktivieren.

    Die Gestaltung Ihres Fotos beginnt schon weit vor der Aufnahme: Mit der richtigen Vorbereitung. Viele Fotojournalisten halten Planung fälschlicherweise für ein Zeichen von Schwäche (»der wahre Profi überblickt die Situation auch unvorbereitet«) und verhalten sich nach dem Hubschrauber-Prinzip: Unter großem Getöse einfliegen, jede Menge Staub aufwirbeln, und gleich zum nächsten Termin weiterhetzen. Ein solches Verhalten mag ihnen unter Amateuren vielleicht Anerkennung einbringen, den Veranstalter nerven solch selbstherrliche Gestalten aber nur – und das beste Foto verpassen sie dabei meistens auch noch.

    Denn unabhängig von Ihrer persönlichen Einstellung gegenüber Parteitagen oder bierseligen Spielmannszug-Sommerfesten: Wer sich nicht auf seine Gegenüber einlässt, wird sie nicht verstehen und schließlich auch nicht angemessen fotografieren können. Selbstverständlich schließt das nicht aus, dass wir uns – in unserer Funktion als unabhängige Journalisten – auch kritisch zu Wort melden. Arroganz oder Überheblichkeit sollten aber außen vor bleiben.

    Deshalb empfiehlt es sich, sofern Sie nicht gerade eine dramatische Terminkollision davon abhält, sich stets viel Zeit für Außentermine zu nehmen. [20] Bereits im Vorfeld besorgen Sie sich das Programm und sprechen mit dem Veranstalter offen über mögliche Verschiebungen oder Änderungen, sodass Sie den für Sie interessantesten Programmpunkt rechtzeitig erreichen. Optimal ist es, wenn vor dem eigentlichen Beginn noch eine Viertelstunde Zeit bleibt, um die Lokalitäten zu erkunden, Schleich- und Fluchtwege zu suchen und die allgemeine Atmosphäre aufzunehmen – dabei entstehen manchmal schon wertvolle Fotoideen. Wenn Ihnen vor lauter Ideen bereits der Kopf brummt, kann der Rundgang auch dazu dienen, die guten von den weniger guten Einfällen zu trennen und auf Realisierbarkeit abzuklopfen. Gleichzeitig können Sie an strategisch wichtigen Punkten auch schon einmal Ihr Territorium »markieren« – dazu eignen sich aufgestellte Stative oder andere kunstvoll drapierte Ausrüstungsgegenstände ganz hervorragend.

    Außerdem ist das der optimale Zeitpunkt, um sich beim Veranstalter und den Rednern kurz vorzustellen (»Sie haben doch sicher nichts dagegen, wenn ich während Ihrer Rede mit Blitzlicht fotografiere«), was nicht nur eine freundliche Geste ist, sondern auch aus rechtlicher Sicht einige Bedeutung hat (siehe Kapitel 8). Bei der Gelegenheit können Sie sich nach kurzfristigen Programmänderungen erkundigen oder sogar welche anregen: »Bitte treten Sie doch zur Begrüßung der Ehrengäste einen Schritt vom Mikrofon weg, das ergibt schönere Fotos«.

    Als besonderer Gag fielen die beiden Solistinnen dieses Konzerts zum Schlussapplaus in gespielte Ohnmacht. Die Veranstalter hatten die Überraschung vorher nicht verraten – doch der Fotojournalist war aufmerksam und hielt seine Kamera bereit für ein »etwas anderes« Konzertfoto.

    [21] Und schließlich ist es immer recht vorteilhaft, bereits vor den »Hubschrauber-Kollegen« der Konkurrenzmedien anwesend zu sein: Denn dann sehen Sie, welche Bilder die Kollegen machen, können sich ggf. von deren Ideen inspirieren lassen oder aus ihren Fehlern lernen. Nichts ist peinlicher, als wenn Sie kleinlaut den Veranstalter fragen müssen: »Welches Bild hat denn der Kollege von der XY-Presse gemacht? Nicht, dass wir hinterher die gleichen Fotos haben …«

    Trotz aller Vorbereitung – seien Sie immer offen für Unvorhergesehenes! Sei es, dass der Veranstalter noch eine kleine Überraschung eingebaut hat, die er Ihnen nicht verraten wollte, sei es ein ungeplanter Zwischenfall oder eine spontane Gefühlsregung (unvergessen ist Willy Brandts Kniefall im Warschauer Ghetto) – die besten Fotos entstehen oft dann, wenn das minutiös durchgeplante Programm aus dem Takt kommt. Auf Jubiläumsund Geburtstagsfeiern treibt es beispielsweise den Geehrten mitunter nach einer besonders feierlichen Ansprache in die Arme des Redners. Das sind echte Emotionen – das wollen Ihre Redakteure und Leser sehen!

    Zudem haben solche ungeplanten Zwischenfälle noch einen weiteren Vorteil: Sie werten Ihre Geschichte enorm auf – und manchmal begründen sie sogar erst die Berichterstattung. Die jährliche Hauptversammlung des Kaninchenzüchtervereins ist noch keine Titelgeschichte – aber wenn als »Special Guest« ein Zauberer auftritt, der Kaninchen aus dem Hut zaubert … Mit ein bisschen Glück erwischen Sie das Foto sogar exklusiv und haben dann, um mit dem »rasenden Reporter« Egon Erwin Kisch zu sprechen, einen echten »Solokarpfen« an der Angel.

    Deshalb empfiehlt es sich stets, auch ein Auge auf ungewöhnliche Bewegungen im Saal zu haben: Oft deuten sich Überraschungen schon vorher an, etwa durch hektisches Gewusel von Teilnehmern, TV-Kollegen oder Personenschützern. Die Kollegen vom Fernsehen wissen zwar nicht immer alles besser, werden aber manchmal vom Veranstalter früher ins Vertrauen gezogen als Vertreter der Print- und Onlinemedien. Unübertroffen sind aber nach wie vor Insiderinformationen von Bekannten oder Freunden, die sich mit dem Ablauf der Veranstaltung auskennen. Ohne gute Kontaktpflege sind Sie aufgeschmissen!

    [22]

    Erst die Pflicht, dann die Kür!

    Stephan Jansen, dpa-Cheffotograf in München

    Sie suchen geregelte Arbeitszeiten, Montag bis Freitag von 9 bis 16 Uhr? Dann sind Sie in diesem Beruf falsch. Und bei einer Nachrichtenagentur wie der dpa erst recht – wir haben nie Redaktionsschluss. Hier wird rund um die Uhr gearbeitet. Agenturfotografie ruft aber auch in anderer Hinsicht nach Flexibilität: Wir berichten buchstäblich über alles von Sport bis Mord. Es sind also Allrounder gefragt.

    Einen Tipp, den ich Ihnen unbedingt ans Herz legen möchte: Bereiten Sie sich gut auf Ihre Termine vor. Es kann hilfreich sein, schon vorher ein »Bild« im Kopf zu haben – vor allem bei extremem Zeitdruck. Wenn Sie warten, bis etwas passiert, werden Sie leicht von den Ereignissen überrollt. Als Fotojournalist müssen Sie aber zu jedem Zeitpunkt Herr der Situation sein – sonst verpassen Sie womöglich das Bild des Tages.

    Schon vor Beginn des Rennens wusste EPA-Sportfotograf Arno Balzarini, dass dieses »Pflichtbild« von US-Ski-Legende Bode Miller bei den Redaktionen besonders gefragt sein würde. Nahezu alle Nachrichtenagenturen hatten aber letztlich ein ähnliches Bild im Angebot.

    [23] Natürlich gibt es Situationen, in denen wir reagieren müssen – etwa in der Sportfotografie. Bei vielen anderen Terminen aber können (und müssen!) wir aktiv agieren und so Einfluss auf unsere Fotos nehmen. Das Posieren wirft natürlich eine Reihe ethischer Fragen auf – aber bei vielen »Pflichtbildern« bleibt einfach keine andere Wahl.

    Bei praktisch jedem Termin gibt es ein paar »Pflichtfotos«, die Sie mitbringen müssen. Sie mögen zwar nicht sehr spannend sein, aber es gibt doch immer wieder ein paar konservative Redakteure (und Leser), die ohne dieses Material nicht leben können. Nach der Pflicht kommt dann die Kür: Haben Sie den Mut, mal etwas Anderes zu probieren – selbst wenn Sie dadurch vielleicht ein weiteres Pflichtbild

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