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Mein Foto: Mit Leidenschaft und Planung zum eigenen fotografischen Workflow
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eBook372 Seiten3 Stunden

Mein Foto: Mit Leidenschaft und Planung zum eigenen fotografischen Workflow

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Über dieses E-Book

Gute Fotografie basiert auf handwerklicher, technischer Fertigkeit des Fotografen, auf einem geschulten fotografischen Blick, auf einer emotionalen Auseinandersetzung mit dem Motiv und – was oft vergessen wird – auf Geduld, Ausdauer und Disziplin.
Diese Aspekte des fotografischen Schaffens in einen persönlichen "Visuellen Workflow" zu integrieren und diesen Workflow dann in der fotografischen Praxis umzusetzen, will Ibarionex Perello mit seinem Buch vermitteln. Aus der Sicht eines erfahrenen und erfolgreichen Fotografen beschreibt der Autor seine fotografische Arbeitsweise und seinen persönlichen Workflow – von der Vorbereitung einer Fotosession über die Aufnahmesituation bis hin zur Bildauswahl und Nachbearbeitung.
In zahlreichen Übungen lernt der Leser, die Schritte eines bewährten Workflows in die eigene fotografische Arbeit zu integrieren. Über diese technischen und organisatorischen Aspekte hinaus vermittelt Perello aber auch die "Softskills", die für eine gelingende Fotografie unverzichtbar sind: den achtsamen und unverstellten Blick auf die Szene, das Erfassen der Lichtsituation, das Empfinden für die Gestaltung mit Form, Licht und Farbe. Zudem zeigt er mit seinen Bildern und deren Entstehungsgeschichten, dass gute Fotografie immer von der Persönlichkeit des Fotografen geprägt ist, dass Leidenschaft und Hingabe ebenso unverzichtbar sind wie handwerkliches Können.
Ein Buch für alle Fotografen, die spüren, dass ihre guten Bilder häufig dem Zufall geschuldet sind und die Qualität nicht konstant erreicht wird. Keine Patentrezepte, sondern eine Anleitung für planvolle, bewusste Fotografie mit Leidenschaft und Methode.
SpracheDeutsch
Herausgeberdpunkt.verlag
Erscheinungsdatum21. Mai 2019
ISBN9783960887102
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    Buchvorschau

    Mein Foto - Ibarionex Perello

    Einleitung

    Ich glaube, das, was es so schwer macht, in der Fotografie besser zu werden, ist die Einfachheit, mit der sie geschieht. Man nimmt die Kamera ans Auge, drückt auf einen Knopf, und schon hat man sein Foto.

    Es ist eben diese Einfachheit des Vorgangs, die einen mal eben zur Kamera greifen lässt anstelle der Gitarre oder des Tennisschlägers. Dank der heutigen Technologie kann man fast jede Kamera hernehmen und damit ein Bild erzeugen, das sowohl gut belichtet als auch scharf wird. Wenn man Glück hat, ist dieses Bild dann auch noch ansprechend und wird von der Familie und den Freunden bestaunt. Würden Sie mit derart geringen Vorkenntnissen das Gleiche mit einer Gitarre probieren, wären lediglich einige unschöne Geräusche das Resultat, das höchstens Ihre Mutter als Musik bezeichnen würde.

    Die Fotografie ist somit einer der ganz wenigen kreativen Prozesse, die praktisch jedem offenstehen. Und aus eben dieser Einfachheit heraus wird bei vielen eine lebenslange Leidenschaft.

    Irgendwann jedoch scheint einem die Fotografie zunehmend schwerzufallen. Und das Problem liegt merkwürdigerweise gerade nicht darin, die Zusammenhänge von Verschlusszeit, ISO-Einstellung und Belichtungskorrektur zu verstehen. Diese technischen Aspekte sind einfach zu erfassen, wenn nicht gar zu beherrschen. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, immer wieder aufs Neue gute Bilder hervorzubringen.

    Im Grunde ist jeder imstande, ein wirklich gutes Bild zu machen, wenn er einfach nur häufig genug fotografiert. Doch die Schwierigkeit liegt in der Konstanz und, noch wichtiger, darin zu wissen, warum ein Bild gelingt. Kommt man nicht dahinter, bleiben die guten Fotos lediglich Glückstreffer, die dann nicht von Talent oder Können herrühren.

    Ich hoffe Ihnen mit diesem Buch in dieser Sache weiterzuhelfen und Sie über die rein technische Seite der Fotografie hinaus in die Welt des Sehens zu geleiten. Es ist nämlich der Akt des bewussten Sehens, der den tatsächlichen Zauber der Fotografie ausmacht. Das Sehen erzeugt die wundervollen Momente des Entdeckens, die uns überhaupt zur Kamera greifen lassen. Dieses Sehen, in dem wir uns üben und verbessern können, lässt uns unser vollständiges Potenzial als Fotografen ausschöpfen.

    Im Verlaufe dieses Buches teilen wir dieses Sehen in einen visuellen Prozess aus Einzelschritten ein, der nicht nur dabei hilft, tolle Fotos zu machen, sondern uns auch bewusst macht, was im Einzelnen dazu erforderlich ist.

    Wir werden diesen visuellen Prozess auf vier Aspekte, die Blickpunkte, hin betrachten:

    –Licht und Schatten

    –Linie und Form

    –Farben

    –Ausdruck

    Sie werden erfahren, wie die Beobachtung von Licht und Schatten dabei hilft, kreative Bilder von Ihren Motiven zu erzeugen, statt diese lediglich zu dokumentieren.

    Durch die Beachtung von Linien und Formen verstehen Sie die Wahl von Bildausschnitt und -komposition besser. Sie werden lernen, wie Sie Farben nutzen können, um den Blick auf das Hauptmotiv oder davon weg zu lenken. Schließlich finden Sie heraus, wie der von Ihnen bewusst kontrollierte Ausdruck einer Person aus einem guten ein hervorragendes Foto machen kann.

    Indem Sie Ihrer persönlichen Art zu sehen eine Struktur geben, wird daraus ein für Sie selbst reproduzierbarer Vorgang, der den Weg zu einem gelungenen Bild weniger rätselhaft macht. Sie erlangen dadurch die erforderlichen Fähigkeiten, jedes Motiv und jede Szenerie einzuschätzen und davon ein Foto zu machen, das sowohl Ihrer Vorstellungskraft als auch Ihrer ganz persönlichen und einzigartigen Sichtweise entspricht.

    Dieser visuelle Prozess ist nicht nur beim Fotografieren selbst wichtig, sondern erweist sich auch beim Durchforsten der Hunderte von Bildern aus einer einzigen Fotosession als große Hilfe. Dieselben Prinzipien Ihres neuen visuellen Prozesses kommen also auch beim Bewerten und Vergleichen von Fotos zur Anwendung. Auf diese Weise werden Sie zielsicher Ihre besten Fotos herauspicken und auch begründen können, warum sie den anderen überlegen sind.

    Zwischendurch werde ich Sie immer an meinen eigenen Erlebnissen auf dem Weg des Sehens teilhaben lassen. Dabei berichte ich Ihnen nicht nur, welchen Einfluss ein Erlebnis auf meine Fotografie hatte, sondern auch wie dadurch mein Genuss am Augenschmaus gesteigert wurde, den unsere Welt zu bieten hat. Ich verschweige dabei auch nicht die Umstände und Gedankenmuster, die mich manchmal davon abhalten, das Beste zu geben.

    So wie Sie Ihre Art, die Welt zu sehen und festzuhalten, verwandeln, werden Sie die Fotografie dazu nutzen, um uns allen mitzuteilen, wie Sie – und nur Sie allein – die Welt wahrnehmen. Wir werden damit die Welt durch Ihre Augen sehen.

    Los geht’s.

    Die Geisteshaltung

    Ich erinnere mich noch lebhaft an den Moment, als ich mich in die Fotografie verliebte. Es war im Boys Club von Hollywood, zu dem meine Brüder und ich regelmäßig hingingen. Ich schaute auf das Fotopapier, das ich gerade in die Fotoschale mit dem Entwickler getaucht hatte. Dann schob ich die Schale hin und her und erzeugte dadurch Wellen, die über das noch weiße Fotopapier flossen. In der Dunkelkammer war es ganz still, nur das Schwappen der Fotochemie in den Schalen war zu vernehmen. Ganz langsam, aus dem Nichts, erschien auf dem Fotopapier ein Bild. Zunächst nur ein paar graue Sprenkel, doch innerhalb weniger Minuten erkannte ich das Motiv, das ich wenige Stunden zuvor erst fotografiert hatte. So etwas Zauberhaftes hatte ich noch nie gesehen.

    Während ich die restlichen Verarbeitungsschritte in der Dunkelkammer vollzog, war ich von Begeisterung und Freude erfüllt. Diesen Stolz, den ich verspürte, als ich meinen ersten eigenen Abzug in den Händen hielt, war für mich eine völlig neue Erfahrung. Ich hatte ihn selbst erschaffen und er war schön.

    In diesem Moment fühlte ich mich innerlich gestärkt, wie ich es bis dahin selten erlebt hatte. Ich war ein dicklicher Junge, der auch noch schlimm stotterte und ständig in Angst lebte, beim Sport zu versagen oder im Klassenzimmer als Idiot dazustehen. Meine Strategie war, mich möglichst bedeckt zu halten, um mich so nicht lächerlich machen zu können und nicht den Hänseleien meiner Klassenkameraden auszusetzen. Je weniger ich auffiel, desto besser.

    Was mir damals allerdings nicht klar war: Auf diese Weise beraubte ich mich vieler Vergnügen, die man in diesem Alter üblicherweise auslebt. Durch mein Abtauchen schloss ich nicht nur negative Erfahrungen aus, sondern auch alle Freuden, die man beim Erkunden von Unbekanntem, beim Eingehen von Risiken und der Entdeckung von Neuem sowohl in der Welt als auch in einem selbst verspürt.

    Und solch einen Moment hatte ich nun in dieser Dunkelkammer erlebt. Es war ein Gefühl, dem ich seither in all diesen Jahren nachjage.

    Bestimmt haben Sie zur persönlichen Entdeckung Ihrer Freude an der Fotografie eine eigene Geschichte. Sie mag meiner ähneln oder auch nicht. Doch was die Geschichten ganz gewiss gemein haben, sind die Gefühle von Begeisterung, von Entdeckung, von Staunen, die aus dem Ausdruck Ihrer persönlichen Sichtweise resultieren und sich vor Ihren Augen in einem Foto manifestiert haben. Solche tiefe Gefühle entstehen nicht durch die simple Dokumentation dessen, was wir vorgefunden haben, sondern vielmehr durch den Stolz und die Befriedigung über ein Bild, das etwas von uns persönlich an den Betrachter vermittelt. Mit einem Foto können wir etwas kommunizieren, das sich, wenn überhaupt, nur schwer in Worte fassen lässt.

    Doch trotz dieser tiefen und starken Gefühle, die wir mit der Fotografie verbinden, stehen diesen Empfindungen oft viele Dinge im Weg. Manches mag zwar auf mangelndem Verständnis der Technik beruhen, doch in den allermeisten Fällen liegen die Probleme ganz woanders. Unsere kreative Seite der Persönlichkeit wird oft durch Unsicherheiten oder Versagensängste blockiert. Und bei dem Versuch, unter derartigen Umständen dennoch beständig gute Foto abzuliefern, nimmt unser Frust nur noch weiter zu. Fehlversuche sind an der Tagesordnung, und wenn uns dann doch einmal ein gutes Bild gelingt, verstehen wir nicht ganz, wie wir das geschafft haben. Die anfängliche Begeisterung, die uns einst so gepackt hat, scheint jetzt schwerer entzündbar.

    Glücklicherweise habe ich für mich Mittel und Wege gefunden, solche kreativen Blockaden zu überwinden. Mein Ansatz, den ich Ihnen in den folgenden Kapiteln näherbringen will, wird Ihnen helfen, mehr Freude an Ihrer Leidenschaft zu haben und das Maximum aus der Zeit herauszuholen, die Sie Ihrer Fotografie zu widmen in der Lage sind.

    Hohe Ansprüche – realistische Perspektiven

    Ich sehe mich als Perfektionisten – und als solcher weiß ich von allerlei überzogenen Erwartungen zu berichten. Schon oft habe ich mein fotografisches Talent anhand der Anzahl außergewöhnlicher Bilder bemessen, die ich innerhalb einer Fotosession produziert hatte. Kam ich mit einem halben Dutzend hervorragender Bilder nach Hause, war ich der Held. Gelang mir kein Einziges, war ich ein Totalversager. Dazwischen gab es für mich nichts.

    Zwischen diesen beiden Extremen war mir allerdings das Wesentliche an der Kreativität entgangen. Sie besteht nämlich nicht nur in den erfolgreichen Ergebnissen, sondern lebt auch in allen Irrtümern, Fehlern und Abweichungen. Bei der Kreativität geht es mindestens genauso um Momente der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit wie um die Augenblicke von Selbstbewusstsein und Klarheit. Für die Fotografie bedeutet dies, dass sie sich sowohl auf den Fotos gründet, die unseren Ansprüchen nicht genügen, als auch auf denen, bei denen wir ins Schwarze getroffen haben.

    Gleichwohl ist es gut und richtig, sich selber hohe Ziele zu setzen, einen hohen Standard erreichen zu wollen, was auf vielfältige Weise herausfordert. Die mit dem Erreichen dieser Ziele verbundenen Anstrengungen, die Sie auf sich nehmen, lassen Sie wertvolle Erfahrungen sammeln. Doch all dies sollte in dem Bewusstsein geschehen, dass es auf dem Weg dorthin viele Fehltritte geben wird, was für Fotografen jede Menge schlechter Fotos bedeutet. Da dies aber ein wichtiger Teil des kreativen Prozesses ist, geht das völlig in Ordnung.

    Als ich einmal in San Francisco fotografierte, hatte ich mir eine einzige Sache zum Ziel gesetzt: ein Foto in dieser Stadt, das ich so noch nie gemacht hatte. Ich wollte keine schlichte Neuauflage eines Fotos, das ich bis dato in irgendeiner Stadt aufgenommen hatte. Ich wollte mich dahingehend herausfordern, diesmal ein wenig anders zu sehen, und mich selber überraschen.

    Als ich schließlich das Schaufenster auf dem Bild erblickte, das diesem Kapitel vorangestellt ist, war ich davon fasziniert, wie das Licht auf die hellen Beine der Schaufensterpuppe fiel, die auffällig rote hochhackige Schuhe trug. Während ich die gesamte Szenerie so betrachtete, sah ich zur Linken einen roten Imbisswagen und direkt unter dem Schaufenster einen dreieckigen Schatten. Mir war schnell klar, dass diese Elemente eine gute Bildkomposition abgeben würden, doch gleichzeitig wusste ich, dass noch etwas fehlte. Ich brauchte noch eine menschliche Gestalt, die das Bild zu einem Ganzen formte.

    Die nächsten zwanzig Minuten verbrachte ich damit, vorbeilaufende Leute zu fotografieren, wobei ich meine Position ständig veränderte, um die Symmetrie und das Gleichgewicht im Bild zu wahren. Die meisten Aufnahmen waren Fehlschüsse, da es entweder nicht die richtige Person war oder mein Timing nicht stimmte. So langsam spürte ich Frust aufkommen, doch ich blieb dran und vertraute auf meine Intuition, die mich an diesen Ort geführt hatte.

    Als schließlich eine Frau in einem violetten Mantel und schwarzen Stiefeln vorbeikam, passte ich genau den Moment ab, als ihre Beinstellung der der Schaufensterpuppe entsprach. Damit hatte ich aus meiner Sicht ein Foto, das mehr zeigte als nur jemand, der die Straße entlangläuft: ein Foto, das meinem zunehmenden Gespür für unabhängige Bildelemente entsprungen war, die nur in Form fotografischer Bildgestaltung in einen Zusammenhang gebracht werden können.

    Sie dürfen nicht vergessen, dass ein Meisterfotograf oft auch deshalb als solcher von anderen angesehen wird, weil er nur seine besten Werke zeigt. Die zahllosen mittelmäßigen und schlechten Bilder, aus denen die wenigen überragenden hervorgegangen sind, bleiben im Verborgenen.

    Da Sie als Fotograf alles vor Augen haben, was Sie produziert haben, ist die Selbstwahrnehmung von Ihnen und Ihrer Fotografie reichlich verzerrt. Machen Sie sich deshalb immer wieder klar, dass jedes einzelne Foto einen winzigen Schritt auf diesem Weg bedeutet. Doch ohne diese vielen Schritte gelangen Sie nie an Ihr Ziel.

    Selbstfindung durch persönliche Notizen

    Für mich bedeutet das Fotografieren weit mehr als nur die Arbeit mit der Kamera. Für mich ist es ebenso eine Art Zurückfinden von den zahlreichen Ablenkungen in meinem Leben. Wenn ich mit der Kamera unterwegs bin, fühle ich mich in meinem Leben und meiner Existenz völlig präsent, was ich in meiner täglichen Routine nur selten verspüre. Ich bezeichne die Fotografie daher oft als eine Art meditative Tätigkeit, die die vielen Stimmen in meinem Kopf zum Schweigen bringt. Ich genieße dann, mich dem hinzugeben, was ich im jeweiligen Augenblick sehe. Dabei bin ich für alles und jeden offen. In dieser Geisteshaltung treffe ich auf Motive und Begleitumstände, die ich niemals erahnen konnte, als ich mit der Kamera in der Hand das Haus verließ.

    Allerdings stellen sich diese Erlebnisse auch nach all den Jahren nicht immer leicht ein. Es kommt vor, dass sowohl Verstand als auch Gefühl von der Sorge belastet sind, ob ich ein gutes Foto hervorbringen werde oder nicht. Das sind dann die angstvollen Momente, in denen ich meinen ganzen Mut zusammennehmen muss, um auf einen Fremden zuzugehen und ein Porträt von ihm zu machen. Oder ich bin völlig niedergeschlagen, wenn ich mich und meine Arbeit mit anderen Fotografen verglichen habe und mir nun ganz klein vorkomme. Das sind die Momente, in denen mich die negativen Gefühle übermannen. Von der ursprünglichen Freude, zur Kamera zu greifen, ist dann nichts mehr zu spüren.

    Dann wird die Fotografie zu einem Kampf und an manchen Tagen sogar zur stumpfen Routine. An solchen Tagen fällt es mit schwer, mich aufzuraffen, um mit der Kamera loszuziehen, geschweige denn Fotos zu machen. Geht es Ihnen auch so?

    Ich war immer davon ausgegangen, dass ich mich nur der Last dieser Gedanken und Gefühle entledigen müsse, und schon wäre ich kreativer. Ich müsste mich einfach aufraffen und kraft meines Willens mein Selbstbewusstsein und meine Inspiration wiederfinden. Gelang dies dann nicht, ärgerte ich mich über mich selbst wegen meiner Schwäche und dem Mangel an Disziplin.

    Als ich mit einem Freund über dieses Thema sprach, schlug er mir vor, ein Notizbuch anzulegen, das ich nur meinem kreativen Prozess widmen solle. In diesem speziellen Tagebuch würde ich nicht nur niederschreiben, was ich an jenem Tag gemacht, sondern vor allem wie ich über diese Arbeit gedacht und gefühlt hatte. Ich solle darin sowohl meine Erfolgserlebnisse als auch meine Fehlschläge dokumentieren. Im letzteren Fall sollte ich dann auch denjenigen Gefühlen auf den Grund gehen, die dafür entscheidend waren. Wenn es gut lief, könnte ich so herausfinden, was ich getan hatte, um die negativen Gefühle zu überwinden und letztlich wieder kreativ zu werden.

    Bereits nach kurzer Zeit wurde mir klar, dass diese negativen Gefühle praktisch jedes Mal dabei waren, wenn ich kreativ tätig sein wollte. Ihre Intensität variierte, doch sie begleiteten mich praktisch immer. Aber ebenso klar wurde mir, dass diese Gefühle jedes Mal schnell in den Hintergrund rückten, sobald ich tatsächlich fotografierte. Sie waren vielleicht nicht vollständig verschwunden, standen mir aber beim Fotografieren nicht im Wege.

    Während ich also pflichtgetreu meine Notizen machte, analysierte ich meinen eigenen kreativen Prozess und stellte fest, wie meine Gedanken und Gefühle ihn entweder unterstützten oder torpedierten. Die wichtigste Erkenntnis daraus war, dass für mich die einzige Möglichkeit, die negativen Empfindungen zu überwinden, darin bestand, real in der Praxis kreativ zu werden. Ich konnte nicht darauf warten, dass mich die Muse küsst und mich aus meinem Dilemma herausholt. Die Inspiration musste aus mir selbst erwachsen, indem ich aktiv wurde und Fotos machte.

    Schrieb ich meine Empfindungen nicht nieder, blieb ich in meiner Gedankenwelt gefangen.

    Ich fühlte mich wie in einem Hamsterrad, in dem ich jede Menge Energie aufwendete und doch nicht von der Stelle kam. Ich dachte immer wieder über alles nach und glaubte mich rein aus Gedankenkraft aus der Zwickmühle befreien zu können, doch das führte nur dazu, dass ich alles vor mir herschob und mich dann dafür hasste.

    Immer wenn ich losging, um zu fotografieren, schrieb ich diese Gedanken in meinem Notizbuch nieder und konnte so wieder mit mir selbst und meiner Fotografie eins werden. Auf diese Weise assoziierte ich Fotografie wieder mit Freude und weniger mit Frust, Angst und Mühe.

    Indem ich die Fotografie mit positiven Empfindungen von Freude, Erschaffen und Neuentdeckung verband, überwand ich die vielen Ausreden, die mich vorher in solchen Momenten von der Fotografie abgehalten hatten. Ich nahm die Herausforderung an, Risiken einzugehen und herauszufinden, zu was ich in der Lage wäre, wenn ich meine Bequemlichkeit überwinden und mich ins Ungewisse vorwagen würde.

    Das Moment des Zögerns in der auf der nächsten Seite in einem Notizbucheintrag ausgeführten Situation ist typisch für mich. Ich bin damit praktisch jedes Mal konfrontiert, wenn ich losziehe, um fremde Menschen zu fotografieren. Bei mir zuhause komme ich mangels Sprachbarrieren leicht darüber hinweg. Doch an jenem Tag in Paris wurde mir klar, dass die eigentliche Barriere nicht die der Sprache war. In Wirklichkeit war es meine Angst vor allem davor, dumm dazustehen. Das war es, was mich tatsächlich zurückhielt.

    Notizbucheinträge wie der folgende sind es, die mir sowohl meine Stärken als auch meine Schwächen in Sachen Fotografie vor Augen führen. Als ich über diese eine Begegnung nachdachte, erkannte ich, dass es bei mir weniger um die Angst vor Ablehnung ging als darum, in den Augen anderer schlecht auszusehen. Im Laufe der Zeit halfen mir Beobachtungen wie diese, mich mehr zu trauen und meine Art, ein Motiv oder eine Szenerie anzugehen, zu überdenken.

    NOTIZBUCHEINTRAG | 28. AUGUST 2017

    Heute war unser letzter Tag in Paris. Als wir in einem Café beim Frühstück saßen, fiel mir ein sehr interessant aussehender Mann mit einem prächtigen weißen Bart auf. Er trug eine dunkle Sonnenbrille, einen

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