Abschied von der Zukunft: Die Endzeitstimmung der jungen Generation und was sie bedeutet
Von Felix E. Müller
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Über dieses E-Book
Aus heiterem Himmel kommt diese Stimmungslage nicht. Nach 1945 trat die Welt in eine Phase des Aufbruchs, der Zukunftsfreude, des Optimismus ein. Kurz nach 1970 schlug die Stimmung um. Katalysator war der Bericht «Grenzen des Wachstums», die der Club of Rome vor 50 Jahren publizierte. Nun breitete sich eine pessimistische Grundstimmung aus, die auf die Furcht vor dem ökologischen Kollaps der Erde zurückzuführen ist. Spätestens nach 9/11 begannen sich die schlechten Nachrichten zu häufen. Die Zukunft präsentiert sich so düster, dass man sich eigentlich nur noch von ihr abwenden kann.
Doch die Zukunft kommt auf jeden Fall. Wer sich ihr verweigert, fördert genau das, wovor er sich fürchtet – nämlich, dass alles immer schlimmer wird. Das Buch von Felix E. Müller zeichnet den Weg von der optimistischen zur pessimistischen Weltsicht nach, erklärt die Schlüsselrolle des Club of Rome, gibt einen Überblick über die dystopische Gegenwartskultur und wirft einen Blick in die Zukunft, die einer Generation blüht, die sich von ihr abwendet.
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Buchvorschau
Abschied von der Zukunft - Felix E. Müller
Felix E. Müller
Abschied von der Zukunft
Die Endzeitstimmung der jungen Generation und was sie bedeutet
NZZ Libro
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2022 (ISBN 978-3-907396-09-4)
© 2022 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel
Lektorat: Karin Schneuwly, Zürich
Umschlag: Janet Levrel, Leipzig
Gestaltung, Satz: 3w+p GmbH, Rimpar
Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
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ISBN Druckausgabe 978-3-907396-09-4
ISBN E-Book 978-3-907396-10-0
www.nzz-libro.ch
NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Inhalt
Die Zukunft in Vergangenheit und Zukunft
Die Zukunftsbegeisterung nach 1945
Der Wendepunkt: The Limits of Growth des Club of Rome
Der Pessimismus breitet sich aus
Die Obsession mit der Vergangenheit
Der kulturelle Grosstrend heisst Dystopie
Umgang mit der Endzeitpanik
Weshalb die Zukunft zunehmend düsterer erscheint
Kann man ohne Zukunft leben?
Über den Autor
Die Zukunft in Vergangenheit und Zukunft
«Ihr stehlt uns unsere Zukunft!», warf Greta Thunberg in den letzten Jahren allen vor, die eine oder zwei Generationen älter sind als sie. Nun gibt es Zukunft, seit sich der Mensch als geschichtliches Wesen versteht; sie wird bis zum Weltuntergang nie verschwinden. Doch die Ikone der Klimabewegung meinte eine Zukunft, die durch unser Handeln in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Sie soll lebenswert sein oder wenigstens noch Leben ermöglichen. In dieser Aussage drückt sich eine Auffassung von Zukunft aus, die ausgesprochen modern ist. Wenn der deutsche Komiker Karl Valentin einst sagte: «Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war», spielte er darauf an, dass sich Zukunftserwartungen im Lauf der Zeit verändern können. Sie sind abhängig vom menschlichen Handeln.
Die Vorstellungen über die Welt von morgen wurden im Lauf der jüngeren Menschheitsgeschichte stark von technologischen Verheissungen geprägt. Manche davon sind Realität geworden, andere Vorhersagen haben sich nicht erfüllt. Die Atomenergie etwa hat nicht das Energieproblem der Menschheit ein für alle Mal gelöst. Wir fliegen nicht alle mit Düsentrieb-Rucksäcken durch die Gegend. Aber auch menschliche Entscheidungen wirken sich auf die Zukunft aus. Ein Diktator kann einen Krieg beginnen oder nicht, die Schweiz kann der EU beitreten oder nicht. Zukunft ist folglich stete Option, aber keine Gegebenheit.
Archaische Gesellschaften dagegen erlebten die Zukunft grundsätzlich als Wiederkehr des Immergleichen: Winter und Sommer, Aussaat und Ernte, Geburt und Tod, Krieg und Frieden. Auch das eigene Leben war in diesen ewigen Kreislauf eingebettet. Alle diese Geschehnisse entzogen sich dem Einfluss des Menschen. Sie wurden von den Göttern geregelt und vorbestimmt. Innerhalb eines individuellen Lebens blieb vieles dennoch offen: Starb man früh oder spät? Wurde man reich? Drohte ein Krieg? Fand man den richtigen Lebenspartner? War man als Geschäftsmann, als Herrscher erfolgreich? Die individuelle Zukunft wurde als Schicksalsraum verstanden – als der Bereich, der über den Verlauf des persönlichen Lebens bestimmte.
Diese Zukunft zu kennen trieb die Menschen um. Sie suchten Auskunft bei Schamanen oder Sehern, in Sternenkonstellationen oder den Eingeweiden von Tieren, im Vogelflug oder durch Kartenlegen, in Horoskopen oder im Kaffeesatz.
Einen besonderen Aufwand betrieben dabei die alten Griechen. Sie bauten eine eigentliche Vorhersageindustrie auf, die ihr Zentrum im Orakel von Delphi hatte. Fast 1000 Jahre lang, von 600 v. Chr. bis gegen 400 n. Chr., versprach diese Institution, einen Blick in die Zukunft zu ermöglichen. Staatsmänner, Herrscher, aber auch einfache Bürger pilgerten zur Stadt am Fuss des Gebirges Parnass, um Rat im Hinblick auf Künftiges zu suchen. Das Ende kam, wie der spätantike Kirchenhistoriker Philostorgios schildert, zur Zeit des römischen Kaisers Julian. Dieser habe im Jahr 362 einen Vertrauten nach Delphi geschickt, weil er sich von dort eine Wegleitung erhoffte. Doch der Spruch des Orakels war wahrlich orakelhaft: «Kündet dem Kaiser, gestürzt ist die prunkvolle Halle, Phoibos hat nicht mehr sein Haus. Auch nicht den weissagenden Lorbeer noch die sprechende Quelle; verstummt ist auch das redende Wasser.» Dies wurde als Hinweis interpretiert, dass sich die Institution Delphi nun auflösen werde.
Ein Grund mag gewesen sein, dass mit der Entwicklung neuer religiöser Konzepte im Nahen Osten die Idee eines Lebens nach dem Tod aufkam. Anstelle der steten Wiederkehr des Immergleichen begann sich ein lineares Verständnis der Zeit durchzusetzen, das in der jüdisch-christlichen Tradition besonders ausgeprägt ist. Jedes Leben hat einen Anfang und ein Ende, und mit dem Ende ist eine Bilanz verknüpft, die das Leben nach dem Tod bestimmt. Was für den Einzelnen galt, traf für die Welt insgesamt zu, die an einem bestimmten Zeitpunkt einen historischen Endpunkt erreichen würde. Es ist dies die Apokalypse, meist mit der Vorstellung eines Jüngsten Gerichts verknüpft.
Mit der Renaissance und der Aufklärung nahm dann das Vertrauen der Menschheit zu, nicht einfach auf das Kommende passiv warten zu müssen. Das stetig wachsende Verständnis für die Gesetze der Natur führte zu Überlegungen, wie sich auf dieser Basis allenfalls in den Gang der Dinge eingreifen liesse.
Man begann den Zusammenhang von Handeln und Ergebnis mittels Experimenten zu prüfen und stellte fest, dass unterschiedliche Verhaltensweisen zu unterschiedlichen Resultaten führen konnten. So verlor die Zukunft allmählich ihre Schicksalshaftigkeit und wurde zum Möglichkeitsraum. Bezeichnend ist, dass in dieser Periode zum ersten Mal staatspolitische Utopien publiziert wurden. Die bekannteste stammt vom englischen Staatsmann und Schriftsteller Thomas Morus, erschien im Jahr 1516 und trägt den Titel Von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia. In diesem Roman wird etwas bis anhin Unerhörtes geleistet: Morus entwirft einen idealen Staat, der sich fundamental von allen damaligen Herrschaftssystemen unterscheidet. «Utopia» signalisiert, dass nun auch die gesellschaftlich-politischen Verhältnisse nicht mehr als schicksalshaft oder göttlich gegeben verstanden wurden, sondern als Menschenwerk, das deswegen auch verändert werden konnte.
Wo etwas Besseres nicht nur denkbar ist, sondern dank menschlichen Handelns auch realisierbar, entsteht etwas, was zum prägenden Begriff der westlichen Neuzeit wurde: Fortschritt. Seit der Aufklärung sind Zukunft und Fortschritt im Westen zu siamesischen Zwillingen geworden, primär wegen der starken Zunahme wissenschaftlicher Erkenntnisse. Diese erlaubten neue Möglichkeiten der Existenz. Sie vereinfachten und bereicherten das Leben der Menschen, sie machten dieses angenehmer und reicher, Krankheiten liessen sich besser bekämpfen, und die Naturgefahren verloren ein Stück weit ihren Schrecken. Parallel dazu begann sich auch die Politik zunehmend als Möglichkeitsraum zu etablieren. Politik hiess, den Bürgerinnen und Bürgern oder wenigstens den eigenen Anhängern eine bessere Zukunft in Aussicht zu stellen.
Zukunft meinte nun eine stete Besserung der Verhältnisse, vorausgesetzt, der Mensch handle richtig. Es war nicht mehr nötig, ihr mit Orakelsprüchen hinter die Kulissen zu gucken und sie so ihrer Unberechenbarkeit zu berauben. Dies geschah nun auf der Basis wissenschaftlicher Methoden. Man strebte an, aufgrund von Erfahrungswerten Abschätzungen über künftige Entwicklungen herzuleiten, also Prognosen zu machen.
Während des Zweiten Weltkriegs entstand daraus eine eigentliche Wissenschaft mit der Bezeichnung Zukunftsforschung oder Futurologie. Sie blühte nach 1945 rasch auf, errang eine grosse Bedeutung in den 1950er- und 1960er-Jahren und erlitt kurz nach 1970 einen jähen Absturz, was ihren Status als eigene wissenschaftliche Disziplin ruinierte.
Doch der Ansatz, aus dem Gegebenen auf das Mögliche oder auf das wünschbare Mögliche zu schliessen, lebte weiter und findet heute einen Höhepunkt in der datengetriebenen Digitalwirtschaft. Diese beruht