Sehnsucht..: ..das Ziel der Flucht
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Über dieses E-Book
Letztendlich eine Fiktion geschrieben unter dem Eindruck der aktuellen Zeit. Eine Fiktion, die dem Autor vielleicht ein Ventil war.
Lothar Jakob Christ
Der Autor wurde am 16. Mai 1954 geboren. Ist heute nach einem ausgefüllten Berufsleben im Ruhestand. Er schreibt, weil es ihm Spaß macht. Hauptsächlich für sich selbst, seine Familie und alle die hier neugierig gemacht wurden.
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Buchvorschau
Sehnsucht.. - Lothar Jakob Christ
„So, Herr Van der Velden, wenn sie nun bitte hier noch unterschreiben, dann sind sie der rechtmäßige Eigentümer von Hofgut Lachnitz und den 8733 Quadratmetern Grund und Boden, der sich um das Gebäude herum verteilt."
Mit den Worten: „Sie können sich nicht vorstellen, wie ich diesem Tag entgegengefiebert habe, Herr Notar Müller" unterschrieb Sebastian Heinrich Van der Velden den Kaufvertrag.
„Das war es dann, Herr Van der Velden. Den Vertrag gemeinsam mit den Grundbuchblättern werden wir ihnen im Laufe der nächsten Woche zustellen. An welche Adresse sollen wir ihnen die Unterlagen zukommen lassen?"
„Nach Berlin bitte, bis ich hier an der neuen Adresse einen Briefkasten anbringen kann, das wird bestimmt noch ein paar Wochen dauern. An Weihnachten hoffe ich ein Zimmer und Sanitär soweit zu haben, dass ich meinen Lebensmittelpunkt hier in die Uckermark verlegen kann."
Ob der sich die Ruine schon einmal vor Ort angesehen hat? Fragte sich Notar Müller im Geiste, als er bereits auf dem Weg zum nächsten Klienten war. Er legte die Akte ’Lachnitz’ einer der Sachbearbeiterinnen auf den Schreibtisch und bat darum, dass man Herrn Van der Velden verabschieden möge.
Die Kanzlei von Notar Müller lag nahe der See-Promenade und gerade jetzt Mitte Oktober war Nebel nicht unüblich, aber heute war mal so eine richtige Suppe.
Sebastians Mercedes stand alleine auf dem kleinen Parkplatz.
Im Nebel kaum auszumachen.
Sebastian hatte das G-Klasse Modell vor einigen Wochen bei einer Auktion erworben. Baujahr 1995, 177 PS in uckerm-arcknebelgrau. Die schwarzen Ledersitze waren saukalt und auch sonst hat der Benz wohl kalte Füße bekommen. Es dauerte, bis der Diesel endlich losnagelte. Außerhalb von Prenzlau wurde der Nebel nicht weniger, das Gegenteil war der Fall und zu allem Überfluss hatte sich Sebastian vorgestern Abend im Parkhaus am Alex die Nebelschlussleuchte abgefahren. Es war absolut die richtige Entscheidung den G-Klassen Benz mit zwei dicken gelben und reflektierenden Streifen etwas auffälliger zu dekorieren. Nur schade, dass der Termin erst in der nächsten Woche sein wird. Mustafa hatte früher keine Zeit, oder Lust, aber für Mittwoch hat er es fest versprochen. Was an dem Benz super funktioniert, das ist die Heizung, merkte Sebastian, hatte ich bei der Probefahrt gar nicht getestet, fiel ihm nun auf. 35 Grad waren es damals. Draußen. Gefühlt die gleiche Temperatur spürte Sebastian mittlerweile im Innenraum des G Benz.
Regulieren ließ sich die Heizung nicht. Hätte es bei der Probefahrt halt doch beachten müssen, sinnierte er und öffnete das Seitenfenster einen kleinen Spalt weit.
Ein rostiges Schild wies darauf hin, dass landwirtschaftlicher Verkehr von rechts erfolgen kann. So wie das Schild aussah, kam da aber schon lange kein Traktor mehr von rechts. Hofgut Lachnitz wurde zu Zeiten der DDR als landwirtschaftlicher Betrieb bewirtschaftet, aber schon seit 1993 überlässt man Hofgut Lachnitz sich selbst und spätestens seit dem befindet sich Hofgut Lachnitz im Dornröschenschlaf und das im wahrsten Sinne des Wortes. Das eigentlich stattliche Gebäude ist fast vollständig zu gewuchert. Am meisten hat der Blauregen Besitz ergriffen. Aber auch Brombeeren reichen bis in den ersten Stock hinauf und das Efeu liefert sich mit dem Blauregen ein Wettrennen hinauf zum Giebel des Daches.
Schemenhaft erkennt Sebastian Van der Velden einen großen Findling im Nebel. Einer von zweien, die gleichermaßen die Einfahrt zu Hofgut Lachnitz bilden. Als Erstes führt der Weg nun rechts über eine zwar breite, aber uralte Steinbrücke, die einen Abwassergraben quert. Der Weg hin zum Hauptgebäude ist imposant. Rechts und links des Weges bilden je sieben mächtige und alte Bäume eine Allee. Diese öffnet sich dann wie ein Trichter nach oben und man steht auf einem recht großen Platz vor dem Gebäude. Zum Hauptportal führt eine mächtige, von zwei Seiten begehbare Treppe. Der einzige Teil des Gebäudes, der von dem Immobilien Vermarkter freigeschnitten wurde. Fast könnte man glauben, es wäre eine Pforte in einen großen Busch.
Seit nunmehr etwa eineinhalb Stunden ist Sebastian Eigentümer von Hofgut Lachnitz, so richtig glauben mag er es noch nicht und wo er hier anfangen soll, das weiß er noch viel weniger.
Ein Grund dafür, dass er für 13:00 Uhr mit Berthold John verabredet ist. Berthold John ist Architekt und seit Jahrzehnten mit der Renovierung von Denkmal geschützten Gebäuden vertraut. Mittlerweile schon Mitte achtzig und hauptsächlich beratend unterwegs, er erstellt Gutachten und meistens ist er als Seelenröster gefragt. Und zwar deswegen, weil man ihn, Berthold John, meistens erst dann beauftragt, wenn es zu spät ist und die Kaufverträge bereits unterschrieben sind.
Sebastian blieb im Benz sitzen, der die Wärme erstaunlich gut konservierte. Draußen, der Nebel nahm auch jetzt kurz vor 13:00 Uhr nicht wirklich ab und es war nach wie vor so richtig ungemütlich kalt. Als Sebastian plötzlich von einer Gänsehaut überzogen wurde. Seine Sensibilität für Automobile war wohl der Grund dafür, ein Sound so schön wie bedrohlich ließ ihn aus seinem Mercedes in die Kälte aussteigen. Ein richtig geiles röhren wurde in der Allee und im Nebel irgendwie zusätzlich verstärkt, Sebastian hatte eine Vermutung, konnte aber nicht erkennen, ob es wirklich ein Ur911er war. Zu grell waren die Nebelleuchten, die offensichtlich mittig auf der vorderen Stoßstange angebracht waren und die eigentlichen Fahrlichter zu Statisten degradierten. Eine kleine Bremsspur auf dem Schotter hinterlassend, hielt das Gefährt neben dem Benz und Sebastians Vermutung wurde bestätigt. Ein Grasgrüner 911er-Baujahr 1983 parkte nun neben dem Mercedes.
Die Nebellampen waren auf der Fronthaube angebracht. Und beide Türen waren mit einer großen Nummer 37 foliert. Schwarz auf weißem Grund.
Die Fahrertür wurde bis zum Anschlag aufgestoßen. Aus dem Wagen heraus tönte eine recht starke Stimme: „Moin, sind sie Sebastian Van der Velden? Ich bin Berthold John, aber hier sagen alle nur Boje zu mir. Darf ich Seb zu ihnen sagen?"
„Hat noch keiner so zu mir gesagt, aber gerne. Kann ich ihnen aus dem Porsche helfen?"
„Nee lass mal. Ich habe da mit der Zeit eine gute Technik entwickelt und habe zudem eine spezielle Ausstiegshilfe, die ich benutze."
Boje nestelte neben dem Fahrersitz im Porsche nach einem schwarzen Stock mit einem silbernen Löwenkopf als Knauf. Zunächst stellte Boje nun seine Beine seitlich aus dem Porsche heraus, bevor er sich ächzend erhob. Einen Arm auf dem Porschedach liegend und gestützt auf seinen Stock, sagte Boje noch einmal.
„Moin! Da bin ich. Was kann ich für dich tun. Wahrscheinlich geht es um dieses herrliche Altertum. Hast du Interesse, diese Ruine zu kaufen?"
„Ich bin bereits Besitzer von Hofgut Lachnitz."
„Na dann herzlichen Glückwunsch, da kann ich ja direkt wieder fahren. Ich mache seit Jahren nur noch Kaufgutachten und Kaufberatungen. Hier komme ich ganz offensichtlich zu spät. Dich, mein lieber Seb, kann ich vor einer großen Dummheit nicht mehr bewahren. Sorry."
Sebastian stand ziemlich bedröppelt da und wusste gar nicht so recht wie er sich nun verhalten soll.
„Ich muss mal pinkeln, in meinem Alter bin ich nicht mehr so muskulös, dass ich das lange einhalten kann."
„Ich weiß nicht, ob die Toilette funktioniert."
„Funktioniert nicht, ich gehe da drüben an den Busch."
Boje schien trotz Stock noch relativ gut beisammenzusein. Irgendwie sah er schon gut aus. Enge Jeans, Lederjacke, Boots, alles in Schwarz. Eine knallrote Dogger Cap als farblichen Kontrast. Und nun, da er Richtung Busch ging, erkannte Sebastian den schlohweißen Zopf, der aus der Dogger Cap heraus wuchs und am Ende mit einem Haargummi ebenfalls in Rot zusammengehalten wurde.
Nach vollbrachtem Geschäft zippte sich Boje im Zurücklaufen den Reißverschluss seiner Jeans hoch. Bei Sebastian angekommen, schaute er auf seine Boots und rieb sie abwechselnd über die jeweils gegenüberliegende Wade.
„Da kannste machen, was du willst, ein paar Tropfen landen immer auf den Boots."
„Sag mal, warum nennt man dich eigentlich Boje? Vielleicht wegen der roten Dogger Cap?"
„Wärst du nur mal so schlau gewesen, als du den Kaufvertrag für diese Ruine unterschrieben hast. Ich mach mich dann mal wieder. Viel Spaß."
„Nun warte doch bitte einmal, auch wenn das Hofgut mir bereits gehört, so kannst du mir doch ein Gutachten erstellen. Deine Arbeit ist doch die gleiche, ob ich nun plane zu kaufen oder ob ich schon gekauft habe.
„OK, da hast du eigentlich recht. Boje reichte Sebastian die rechte Hand entgegen und sagte: „Lass uns einen Vertrag machen.
„Einen Vertrag? Wann?Wo?"
„Mensch Seb, komm schlag ein, das ist mir Vertrag genug."
Boje war mittlerweile 84 Jahre alt. Die Nummer 37 war ein Hinweis auf sein Geburtsjahr. Geboren wurde er in Bremen, wo er aufwuchs, Abitur machte und Bau Ingenieurwesen studierte. Dann zog es ihn hinaus in die Welt, wo er auf allen Kontinenten Brücken baute, bis er vor rund 30 Jahren das Elternhaus in Bremen verkaufte und an der Ostsee Wurzeln schlug. Nun, mit 84 war er jedoch leichter und kleiner als damals als er hier im Nordosten seine Firma gegründet hat. Den Rauschebart stutzt er mittlerweile einmal in der Woche auf die Länge eines vier Tage Bartes. An sein zum Zopf geflochtenes Haar wird einmal im Jahr die Schere angelegt. Dafür fährt er, meistens kurz vor Weihnachten, nach Schwerin zu Ali Baba, sonst darf keiner an das Schwänzchen dran. Ob Ali Baba wirklich so heißt oder ob das nur der Name des Barber Shops ist? Man weiß es nicht und Boje interessiert es nicht wirklich.
Da standen Sebastian und Boje nun im kalten Nebel. Wie gesagt, Boje befand sich im altersbedingten Schrumpfprozess und leicht nach vorne gebeugt auf seinen Stock gestützt maß er mit großem Wohlwollen vielleicht noch 1,70 cm eher weniger.
Sebastian, Mitte 50, blickte von ganz oben auf Boje herunter, 1,95 mindestens war der groß und sehr athletisch gebaut. Ein schönes Bild also, was man sich nun ausmalen kann. Pat und Patachon im Nebel vor diesem im dichten Nebel liegenden Hofgut am Ende einer Allee.
„Zuerst musst du das Gestrüpp beseitigen lassen. Vorher kann man zum äußeren Zustand des Hauses gar nichts sagen. Kann aber sein, dass das Gemüse die Bausubstanz vielleicht sogar vor Schlimmerem bewahrt hat." So startete Boje seine Begutachtung.
„Lass uns einmal um das Haus herum laufen, nicht dass auf der Rückseite eine Überraschung auf uns wartet."
Der Regen der letzten Tage hatte die Erde ziemlich morastig werden lassen. Boje ging vorneweg und bewegte sich so, als würde er hier jeden Stein und jede Baumwurzel persönlich kennen. Sebastian für seinen Teil trat, obwohl hinter Boje laufend in jede zweite Pfütze und traf zielsicher jedes Morastloch.
„Schöne weiße Schuhe trägst du zu deinem Anzug, war bestimmt teuer das Outfit. Kannste hier aber vergessen," lachte Boje als sie zurück am Parkplatz waren.
„Das Haus ist wirklich rundum zugewachsen. Auf den ersten Blick aber keine offenen Wunden zu erkennen. Wie gesagt: Als Erstes musst du das Gestrüpp entfernen, danach schauen wir uns das noch einmal an. Wenn du also im nächsten Jahr am und im Haus irgendetwas arbeiten möchtest, dann musst du das Grünzeug bis Ende Februar beseitigen lassen. Dann beginnt die Brut- und Setzzeit, danach darfst du hier keinen Grashalm mehr heraus reisen. Lass uns nun einmal schauen, wie das Nest von drinnen aussieht?"
Sebastian fragte: „Möchtest du vorgehen? „Nö
, antwortete Boje.
„Geh du einmal voran, Seb, ich warte hier in angemessener Entfernung. Wer weiß, ob der Träger über der Pforte auch wirklich trägt und Gott weiß, was da noch passiert, wenn du die Pforte öffnest."
Sebastian ging voran. Er genoss es geradezu, die Treppe hinauf zur Pforte zu steigen. Auf dem Podest vor der großen Eingangstür stehend, schaute er hinunter zu Boje, er steckte denn großen Bartschlüssel in das Schloss, zweimal drehte er den Schlüssel, dann drückte er den Türgriff nach unten und öffnete die schwere Eichentür.
„AAAHHHHH" entfuhr ihm ein lauter Schrei. Erschrocken und angst geschwängert. In seiner Rückwärtsbewegung wäre Sebastian beinahe über die Brüstung des Podestes auf den Parkplatz gestürzt, wo sich Boje vor Lachen fast in die Hose gemacht hätte und froh war, seine Notdurft bereits erledigt gehabt zu haben.
„Na Seb, da haste wohl ein paar Untermieter beim Mittagsschlaf gestört. Sei froh, dass es nur ein paar Ratten und keine Wildschweine waren. Ich komme jetzt zu dir hinauf, dann schauen wir einmal, was wir noch so entdecken in deinem Schloss, mein Prinz."
Einmal davon abgesehen, dass hier in den letzten geschätzt fünfzig oder noch mehr Jahren, keiner mehr sauber gemacht hat, dafür sah es recht passabel aus. Durch die Eingangspforte betrat man zunächst eine geräumige Halle, von der aus eine Treppe im 90 Grad Winkel in den ersten Stock führt. Direkt hinter dem Eingang waren links und rechts eine Tür, die jeweils in einen kleineren Raum nach rechts und einen größeren nach links führte. Geradeaus blickte man auf einen großen verglasten Durchgang, welcher offensichtlich in das große Wohnzimmer führte. Dominiert wurde der Raum von einem runden Erker mit verglasten Türen, die auf eine Terrasse führten. Der Raum war nach rechts offen, führte in ein weiteres großes Zimmer, von wo man wieder in die Halle gelangte. In der Halle zur linken befand sich ein geräumiger Essbereich und offensichtlich befand sich hier auch die Küche. Auffallend war, dass das gesamte Untergeschoss mit Linoleum ausgelegt war.
Boje begann in