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Morodkins Ausweg: Von einem Feigling, der keiner mehr sein wollte
Morodkins Ausweg: Von einem Feigling, der keiner mehr sein wollte
Morodkins Ausweg: Von einem Feigling, der keiner mehr sein wollte
eBook167 Seiten2 Stunden

Morodkins Ausweg: Von einem Feigling, der keiner mehr sein wollte

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Über dieses E-Book

Peter Morodkin war immer stolz auf seine Findigkeit und seinen wachen Verstand, die es ihm erlaubten, andere zu manipulieren und auszutricksen. Jetzt erkennt er sich als einen kleinen Drecksack und Feigling, der zu allem im Job und Leben Ja sagte, so lange er seine Miete, sein Auto und die Kneipe bezahlen konnte. Nun ekelt er sich vor sich selbst und möchte weg in eine Umgebung, wo ihn keiner kennt.
Da trifft er auf die Russin Marina, die gerade in ihre Semesterferien gehen will. Er bezahlt sie dafür, ihn mit in ihr Land zu nehmen, wo er hofft, von seinem verkorksten Leben befreit zu werden. Marina glaubt, einen Touristen zu betreuen, aber zu ihrem Missvergnügen lässt sich Morodkin auf immer neue, ihr unverständliche Aktionen ein, um seinem alten Ego zu entkommen.
Marina ist Halborientalin und hat einen Bruder im Kaukasus. Als der entdeckt, dass seine Schwester mit einem Mann herumzieht, unverheiratet, sieht er seine Familienehre beschmutzt und verlangt von Morodkin Wiedergutmachung. Der will sich dagegen wehren. Der Moslem besteht aber auf seiner Forderung.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum20. Dez. 2022
ISBN9783347781740
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    Buchvorschau

    Morodkins Ausweg - Anton Samoschkoff

    Kapitel 1

    Für einen Mann wie Peter Morodkin war das Jahr 2015 eigentlich wie ein Riesenlottogewinn: Es ergoss sich ein Millionenheer flüchtender Orientalen und Afrikaner nach Deutschland, um dort Unterschlupf und Fortkommen zu finden. Die Flüchtlinge wurden in großen Lagern gesammelt, von Ärzten sowie Wachmannschaften betreut und in Deutsch-Crashkurse gesteckt. Es wurden Therapiegruppen eingerichtet und Psychologen berufen, um den durch Kriegsgräuel Traumatisierten zu helfen. Und für Peter Morodkin fielen zwölf junge, alleinreisende Araber ab, die er mit Tanz, Sport oder einer Mischung aus beidem beschäftigen sollte. Er bekam zur Unterstützung eine Psychologiestudentin, eine russische Halborientalin, in den Volkshochschulsaal gesetzt und legte los.

    Morodkin ließ dort seine alten, von Mitgliederschwund bedrohten Kurse sausen und sattelte auf Integrationshelfer um. Als solcher würde er sich die nächsten Jahre über von den unverhofft ins Land gekommenen Menschen gut ernähren können, dachte er sich. Und wenn er die Kurse dazuzählte, die ihm das Kulturamt zuteilte, um Kinder aus sozial schwachen Familien in den Ferien durch kreative Spiele zu fördern, dann könnte er eigentlich seinen stressigen Wochenendjob als Koch in einer Freizeitanlage beenden, um sich endlich die Ruhe zu gönnen, die er so dringend brauchte, wie er fand. Einmal von seinem Alter her – kürzlich war er sechzig geworden – und zum anderen wegen der Dauerbelastung: Seit er nicht mehr im Theater arbeitete, powerte er seit mittlerweile über zehn Jahren ohne Urlaub und Wochenende in verschiedenen Jobs durch. Wenigstens konnte er im letzten Jahr dank des Kulturamtes den Job als Getränkeauslieferer an den Nagel hängen.

    Es könnte gut werden für ihn, aber er konnte sich nicht so richtig darüber freuen. Morodkin schob das auf seine Erschöpfung und sagte sich, dass jemand, der seit über zehn Jahren so lebte wie er, sich nur noch aufs Schlafen freuen konnte. Und wenn er nun den Kochjob kündigte und an den Wochenenden ruhte, wie andere auch, dann würde sich die Freude schon noch einstellen.

    Die kam aber nicht. Auch nach einem Vierteljahr kam sie nicht.

    Im Gegenteil. Nun war ihm manchmal, als würde ihm die Luft knapp, wenn er an seine Schüler und den nächsten Unterricht dachte. Er bekam Atemnot und reagierte darauf mit einer gebückten, vornübergeneigten Haltung. Seine schlanke Gestalt bekam einen Buckel, auf dem er eine schwere Last zu tragen schien. »Ist eine depressive Verstimmung«, sagte ein Arzt, »gibt sich wieder«.

    Aber sie legte sich nicht, sondern blähte sich zu einer schwarzen Riesenwolke über ihm auf. Morodkin zog unter ihr den Kopf ein und kämpfte sich von einem Tag zum nächsten durch. Er lernte ein paar arabische Worte wie Ja und Nein, um seinen Schülern entgegenzukommen und um seinen guten Willen zu bekunden. Damit tat er das, was er bei anderen Gelegenheiten ähnlicher Art schon immer getan hatte: Er strengte sich besonders an, lief nicht davon, um sich nach einer anderen Arbeit umzusehen, sondern blieb auch diesmal wie festgenagelt bei einer Sache, für die er sich umso stärker einsetzte, je widerlicher sie ihm war. Das war die Lüge, mit der ihm seine Schüler entgegentraten: In ihrer Heimat könnten sie nicht mehr leben, wegen des Krieges und der Not. Aber es waren alles junge kräftige und gut genährte Männer. Die Frauen, Mädchen und Kinder konnten offensichtlich weiter in der Heimat leben und die Alten auch. Das alles mochte so sein oder auch nicht, was Morodkin aber aufstieß war, dass sie die Hilfe der Deutschen in Anspruch nahmen, noch ihren Anhang nachholen wollten und das alles ohne Gegenleistung. Denn die würden sie nie oder nur unwesentlich erbringen.

    Morodkin, der niemals Hilfe empfangen hatte und gewohnt war, allein von seiner Arbeit zu leben, waren nun Leute vor die Nase gesetzt worden, die er, wollte er seinen Job behalten, besser behandeln musste, als er in seinem Leben je behandelt worden war. Aber er verschluckte sozusagen die Fremdheit, die Zumutungen, die an ihn herangetragen wurden, und mühte sich mit überströmendem Einsatz um Leute, die er nicht mochte. So hatte er es auch in seiner kurzen Ehe gehalten und in den zahllosen Jobs, Studien und Projekten, bei denen er hinterher nie wusste, was er eigentlich damit zu tun gehabt hatte und warum er dort gelandet war.

    Er fand eigentlich nie einen wirklich starken, aus tiefer Überzeugung gefassten Grund in sich, warum er bei einer Sache mitmachte. Bei den Jobs gab es wenigstens einen Grund: Von irgendetwas musste er schließlich leben. Aber warum er in diese Ehe geraten war, blieb ihm schleierhaft. Da es nun mal geschehen war, hatte er genau das getan, was er auch in ungeliebten Jobs tat: Er war geblieben, hatte Monate gebraucht, um sich an den ihm unangenehmen Körpergeruch seiner Frau zu gewöhnen, schaffte es endlich und verdrängte energisch den Widerwillen, den er nach wie vor empfand. Noch mehr setzte ihm ihr Lieblingssport zu: das Herumnörgeln an ihm. »Ich kenne keinen größeren Versager als dich.« – »Ich auch nicht«, hatte Morodkin gesagt und ergeben auf ihre Anwürfe geantwortet: »Du hast recht, das muss ich wirklich ändern.« Auf ihren Spott über seine russische Abstammung und seinen Urgroßvater: »Gut möglich, dass der Barin kein Regimentskommandeur war, wie du sagst, sondern ein Pferdeknecht. Ja, und wahrscheinlich ist er nicht 1914 in der Schlacht bei Tannenberg in einem masurischen See ertrunken, sondern als Deserteur aufgehängt worden.« Er verdarb ihr damit, ohne es zu wollen, den Spaß und nach knapp einem Jahr verließ sie ihn.

    Warum Morodkin stets blieb, bis die anderen gingen oder ihn hinauswarfen, wusste er nicht. Manchmal fühlte er sich nach einem Hinauswurf deswegen ein wenig gekränkt, weil ihm das trotz seiner enormen Anpassungsfähigkeit immer wieder geschah. Offenbar übersahen Kollegen und Vorgesetzte seine Leistung. Morodkin fand, sie könnten ihn schon ein wenig dafür schätzen, dass es keinen Menschen gab, dem er sich nicht geschmeidig anpassen konnte. Landete er in einem Team, in dem man sich mit einem herzhaften Händedruck und lärmenden Gepolter begrüßte, machte er mit. Und wenn es üblich war, mit schiefem Mund und schlaffer Hand durch den Tag zu schleichen, verzog er sofort den seinen, ließ die Arme baumeln, als sollten die Finger an den Boden reichen, und behielt einen trübsinnigen Gesichtsausdruck bei. Er fand, es sei soziale Kompetenz schnell herauszufinden, von woher der Wind wehte, wer den Ton im Laden angab und was die Kollegen gerne hören wollten.

    Bei ihm entwickelte sich diese Kompetenz zur Meisterschaft. Er sprach keinen Dialekt, wenn aber der neue Chef schwäbelte, nahm Morodkin sogleich das Schwäbische an. Als er eine Zeit lang im Theater arbeitete und zu Beginn scherzhaft forschend gefragt wurde »Bist du auch Tänzerin, Schwester?«, wunderte er sich nur ganz kurz und schon übernahm er tuntige Sprüche wie diesen und ließ es auch zu, dass ihm manche Kollegen zur Begrüßung statt zur Hand, an den Hintern griffen. Er empfand das zwar als unangenehm, zog es aber vor, darüber zu lachen.

    Das war kein Problem für einen, der ganz anderes erlebt hatte: Rotz auf seiner Schulbank, Kopfnüsse auf dem Pausenhof und die ganze Clique der Dorfbengel gegen sich vereint – bis er darauf kam, wie er ihnen die Mäuler stopfen konnte: mit Heftchen, auf die sie versessen waren. Drei Goofys gegen vier Micky-Maus-Blättchen. Später ein Herrenmagazin für zehn Jerry Cotton. Oder einen Liter Obstwein, den er seinem Opa klaute. »Ist der geborene Händler, der Junge«, meinte der, als er ihn im Keller an den dicken Ballongläsern beim Abzapfen für einen Kunden erwischte und anschließend den Gewinn aus Tauschgeschäften in Peters Hamsterlager besichtigte.

    Aber trotz der Mittel, die ihm der Handel verschaffte, fand er keine sichere Aufnahme bei den anderen Jungs und wusste darum nie, wann es doch wieder Kopfnüsse setzen würde. Da lud er Florian, einen eingebildeten Bengel, der großen Wert auf seine Kleidung legte, aber wegen seiner Kraft und Aggressivität als Boss akzeptiert wurde ein, mit ihm auf dem Land seiner Eltern ein Baumhaus zu bauen oder über die Abbruchkante der kleinen Sandkaut hinab zu springen und auf dem Hosenboden den Hang nach unten zu rutschen.

    Florian kam und wurde auf einen ganz kleinen knubbeligen Hügel in der Nähe der Abbruchkante aufmerksam, bewachsen nur mit niedrigem weichem Gras und angenehm nach Wildkräutern duftend. Später meinte Peter, dass dieses Hügelchen, diese reizende weiche Erhebung, einem schöngeformten Frauen-Po sehr ähnlich sah. Florian hockte sich oben auf das schöne Hügelchen, drehte sich um und glitt langsam, mit den Händen nachhelfend, auf dem Bauch rutschend statt auf dem Hintern, hinab. Er machte das mehrmals und ohne Rücksicht auf die Bügelfalte seiner guten Flanellhose – ohne überhaupt auf seine Kleider zu achten. Und nach dem zweiten Rutsch sah Peter beim gar nicht großen Florian eine erstaunlich große Erhebung unter der ramponierten Flanellhose. Da probierte auch Peter diese neue Art zu rutschen aus.

    Das mit dem Hügelchen sprach sich herum und bald wollten auch die anderen Jungen nicht abseits stehen, sondern rutschen. Und Peter, als Gastgeber, stand nun im Mittelpunkt und wurde so beliebt, dass er erwog, künftig Eintrittsgeld zu fordern. Er war angekommen bei den Dorfbengeln und aufgenommen in ihre Mitte. Anfeindungen musste er nicht mehr befürchten. Er war bei denen in Sicherheit, die ihm widerwärtig waren und blieben.

    Das war ein Erfolg gewesen. Und den verdankte er seinem Geschick. Morodkin wurde warm, wenn er daran zurückdachte, und klopfte sich auf die Schulter: Alle konnte er sie hochnehmen, einfach weil er mehr Verstand besaß als sie.

    So ein Ding müsste ihm auch jetzt gelingen, etwas Ähnliches. Er bräuchte es, denn Morodkin musste zum Semesterende belegen, dass sein Unterricht den zwölf Schülern ein positives Erlebnis, eine Hilfe aus ihren Traumata heraus und einen Halt im fremden Land bot: »Wir werden sehen, ob sie sie abgeholt haben aus ihrem schlimmen Erleben, hin zu etwas Optimismus, der sie befähigt, eine Perspektive für sich zu sehen, in der neuen Heimat.« Morodkin hatte sich den seifigen Sermon seiner Vorgesetzten angehört und dabei die ganze Zeit das Gefühl gehabt, die Arschkarte gezogen zu haben. Hier konnte er nur verlieren. Dann fiel ihm ein, dass für den Psychokram ja letztlich die psychologische Hilfskraft zuständig war und er eigentlich nur eine möglichst knackige Shownummer mit den Jungs auf die Beine zu stellen hatte. Wenn das gelang, würden sich seine Schüler sicher ziemlich gut fühlen und er konnte eine kleine Vorstellung vor Kollegen, geladenen Gästen und der Schulleitung durchziehen.

    Morodkin hatte einen Plan erstellt, wie er die Orientalen bis zum Semesterende dahin bringen konnte. Er hatte genau festgelegt, wann was gelernt werden sollte und vor allem, bis wann es jeweils bei den Schülern sitzen musste: drehen, springen, Salto, Handstand … Aber sie hinkten dem Zeitplan schon beträchtlich hinterher und das wurde von Woche zu Woche schlimmer. Konnte er zum Semesterende kein ordentliches Resultat vorweisen, dann wäre der Job futsch, dann wäre wieder Getränkeausfahren oder der Küchenstress angesagt.

    Das Problem war, dass die Schüler keinerlei Sinn für seinen Zeitplan zeigten. Gefiel ihnen die Springerei, dann blieben sie auch in der folgenden Stunde dabei, in der eigentlich ein anderes Thema vorgesehen war, und Morodkin sah eine hüpfende, durcheinander springende Horde miteinander wetteifernder Kerle, von denen jeder versuchte, seine Toberei fantasievoller zu gestalten als der andere – und vor allem lauter, denn es gelang ihnen auch dann weiter zu plappern und zu schreien, wenn sie einen halben Meter über dem Boden in der Luft zappelten.

    So würde es mit der Vorstellung nichts werden. Er versuchte, sie dazu zu bewegen, zum Beispiel einen Sprung nicht dem Zufall zu überlassen, sondern ihn zu planen und damit wiederholbar zu machen. Nur so könnten sie die Shownummer zustandebringen. Das wurde verstanden, aber weiterhin geriet kein Sprung wie der andere.

    Morodkin versuchte es mit Freundlichkeit. Das kam schlecht an. Jetzt ignorierten sie jede seiner Anweisungen.

    Am Biertresen seiner Stammkneipe erklärte ihm ein Gast, dem er sein Problem klagte: »Du musst den Musels die harte Kante zeigen. Freundlichkeit verstehen die als Schwäche. Bei denen musst du mit einem dicken Knüppel dazwischengehen.«

    So sind die das von zu Hause aus gewohnt, dachte Morodkin, schnappte sich beim nächsten Mal einen der ärgsten Störer und warf ihn für eine Stunde aus dem Unterricht. Nach der Arbeit wurde er prompt ins Sekretariat zitiert, denn der Bursche hatte sich über ihn beschwert. »Sie müssen sensibler vorgehen. Die Armen haben Furchtbares erlebt, sind traumatisiert!«, bekam er zu hören. »Ja«, sagte Morodkin. Aber in einem Monat würde das Semester zu Ende sein und wenn es so weiterging, wie bisher, dann konnte er einen Kindergarten beim Toben vorführen, mehr nicht.

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