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Das Tal der Puppen: Der Welt-Bestseller in ungekürzter Neuübersetzung
Das Tal der Puppen: Der Welt-Bestseller in ungekürzter Neuübersetzung
Das Tal der Puppen: Der Welt-Bestseller in ungekürzter Neuübersetzung
eBook753 Seiten10 Stunden

Das Tal der Puppen: Der Welt-Bestseller in ungekürzter Neuübersetzung

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Über dieses E-Book

Schon lange vor Carrie Bradshaw hielt Jacqueline Susann die Welt mit ihren skandalösen Geschichten von drei jungen Frauen in New York in Atem. Als "Das Tal der Puppen" vor über 50 Jahren veröffentlicht wurde, stürmte es augenblicklich alle Bestsellerlisten. Nie zuvor hatte ein Buch so offen über Sex, Drogen und das Show-Business berichtet. Mit mehr als 35 Millionen Exemplaren gilt es als eines der meistverkauften Bücher aller Zeiten.

Anne, Neely und Jennifer haben einen Traum: es als Bühnen- und Filmstars ganz nach oben zu schaffen. Um das zu erreichen, scheint ihnen kein Hindernis zu groß. Doch als der Druck, schön und erfolgreich zu sein, übermächtig wird, greifen sie zu gefährlichen Hilfsmitteln: Appetitzügler, Beruhigungspillen, Schlaftabletten. Nach außen führen sie das perfekte Leben - doch hinter den glitzernden Kulissen wird der Traum zum Albtraum.

»>Das Tal der Puppen< ist auch heute noch ein kultureller Meilenstein.«
The New York Times Style Magazine

»Ich bewundere die rohe Energie, die Detailtreue und die brutale Authentizität der Darstellung von New Yorks Showbiz. Ich habe von Jacqueline Susann gelernt.«
New-York-Times-Bestsellerautorin Anne Rice

»Ein starkes, mutiges, wütendes und ja, definitiv auch ein feministisches Buch.«
The Guardian

»Ein zeitloser Klassiker. Heute wäre Neely eine YouTube-Sensation, Jennifer eine Instagram-Influencerin und Anne eine Snapchat-Königin.«
Paper Magazine

»Welterfolg in frischer Neuübersetzung.« Wilhelmshavener Zeitung

SpracheDeutsch
HerausgeberHarperCollins
Erscheinungsdatum3. Dez. 2018
ISBN9783959677974
Das Tal der Puppen: Der Welt-Bestseller in ungekürzter Neuübersetzung
Autor

Jacqueline Susann

Jacqueline Susann ist nicht nur eine Bestsellerautorin, sondern auch eine Legende der Popkultur. Die ehemalige Schauspielerin veröffentlichte ihren skandalösen, offenherzigen Roman »Das Tal der Puppen« im Jahr 1966 und war die erste Schriftstellerin, die mit drei aufeinanderfolgenden Büchern auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste stand. Jacqueline war mit dem Produzenten Irving Mansfield verheiratet. Im September 1974 starb sie im Alter von 56 Jahren, nach einem tapferen Kampf gegen den Brustkrebs.

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    Buchvorschau

    Das Tal der Puppen - Jacqueline Susann

    HarperCollins®

    Copyright © 2018 für die deutsche Ausgabe by HarperCollins

    in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

    Copyright © 1966 by Tiger, LLC

    Originaltitel: »Valley of the Dolls«

    Erschienen bei: Grove Atlantic, Inc., New York

    Copyright © für das Vorwort 2016 by Tiger, LLC

    »My Book is Not Dirty!« Copyright © 1966, 2016 by Tiger LLC

    First published in the United States of America in 1966

    by Grove Atlantic Inc.

    Covergestaltung: HarperCollins Germany / Deborah Kuschel,

    Artwork CHIP

    Coverabbildung: Pill bottle: Alexandra Amarotico

    Lektorat: Maya Gause

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN E-Book 9783959677974

    www.harpercollins.de

    WIDMUNG

    FÜR JOSEPHINE,

    die zu meinen Füßen saß

    und davon ausging,

    dass ich ein Sequel schrieb,

    aber vor allem für Irving.

    DAS TAL DER PUPPEN MIT 50

    Simon Doonan

    Lallende Soubretten, knallende Champagnerkorken und Blitzlicht, das sich in die Netzhaut einbrennt. Kurvenreiche Tussis, die ohne jegliches Talent Geld einstreichen. Körperbewusste Superstars, die wirklich alles tun, um »den Babyspeck loszuwerden«. Klammheimliches Vögeln, brüchige Egos und lesbische Rendezvous. Klingt ganz nach 2016, oder? Nicht doch, Baby, das war vor einem halben Jahrhundert.

    Jacqueline Susann hat 1966, im selben Jahr, in dem das Farbfernsehen populär wurde, ein ahnungsloses Publikum mit dem Tal der Puppen konfrontiert. Sie war ihrer Zeit voraus. Das Buch spricht eher das mit Sex aufgeladene, materialistische Klima von 2016 an als das idealistische Blowing-in-the-Wind-Lebensgefühl der Sechzigerjahre. Es erzählt von der Zeit von 1945 bis 1965, und Tatsache bleibt, dass das Tal in seinem Erscheinungsjahr der Belletristik-Bestseller war und von gierigen Lesern verschlungen wurde. Seit damals wurden mehr als 31 Millionen Exemplare verkauft.

    Ruhm, Geld, Macht und Tablettensucht auf Rezept: Die Themen im Tal der Puppen sind absolut aktuell.

    »Das sanfte Taubheitsgefühl begann sich in ihrem Körper auszubreiten. Oh Gott! Wie hatte sie jemals ohne diese himmlischen roten Puppen leben können!«

    Seite 299, Das Tal der Puppen

    Als der Roman erschien, waren Pillen ganz und gar nicht hip. Im selben Jahr brachten die Rolling Stones ihren Hit »Mother’s Little Helper« heraus, eine Satire über Pillen einwerfende depressive Hausfrauen in den Vororten. Szenefrauen im Kaftan – vor meinem geistigen Auge sehe ich Marianne Faithfull und Anita Pallenberg, die sich auf marokkanischen Teppichen rekeln und dabei die Sitar zupfen – erwischte man eher dabei, wie sie einen Joint rauchten, als dass sie Tranquilizer mit Scotch und Soda herunterspülten. Schnitt in die Jetztzeit: Klappernde Pillenfläschchen sind der Soundtrack von heute. Willkommen im Tal der Xanies (Xanax), Rittys (Ritalin), Codies (Codein), Oxys (Oxycodon), Demmies (Demerol), Dillies (Dilaudid) und Mollys (Ecstasy).

    Ein weiteres ungewöhnliches Thema im Tal – das ebenfalls heute viel stärker als damals im Fokus steht – ist das Altern von Prominenten.

    »Mit gewöhnlichen Menschen ging das Alter gnädiger um, aber für Berühmtheiten – vor allem für weibliche Stars – war es wie eine Axt, die das Kunstwerk verwüstete.«

    Seite 122, Das Tal der Puppen

    An einem Punkt der Geschichte wird Jennifer, die Sexbombe, in ein künstliches Koma versetzt, um abzunehmen, ohne zu leiden. Wie viele der heutigen Reality-TV-»Stars« versteht sie ihre diversen Körperteile als Einkommensquelle und als das, was ihr Anerkennung bringt.

    Man darf zudem nicht vergessen, dass Homosexualität, als der Roman herauskam, trotz Flower-Power noch immer ein Tabuthema war. Aber Jackie war bereits Teil der Regenbogenkoalition. Ein Jahr, nachdem das Buch in die Läden gekommen war, wurde Homosexualität in Großbritannien legalisiert. Mitglieder der Schwulenbewegung fühlten sich von der im Buch verwendeten Bezeichnung »Schwuchtel« keinesfalls beleidigt, sondern waren begeistert, sich endlich wiederzufinden und mit solch einer Wucht auf einer internationalen Bühne zu landen. Aber es ging nicht nur darum, dass es hier eine schwule Romanfigur gab oder generell schwule Männer vorkamen: Letztendlich war die Botschaft des Romans schwulenfreundlich und anerkennend. Dann sind wir eben ein bisschen zickig, na und? Wir sind überall.

    Und schließlich ist da noch dieser gnadenlose, zupackende Ehrgeiz:

    »Wenn man ein Filmstar ist, wird man auch wie ein Star behandelt. … Wenn man heiß gehandelt wird – und das werde ich –, bekommt man alles! … Wenn ich irgendwo hinmuss – etwa zu einer Premiere –, schickt man mir einen Wagen mit Chauffeur und ich bekomme Pelze und Kleider geliehen.«

    Seite 332/333, Das Tal der Puppen

    Neely ist eine Romanfigur, die den Seiten der Daily Mail von heute entsprungen zu sein scheint. Es führt eine direkte Linie von Judy Garland durch Neely hindurch bis zu den heutigen Celebrities … nun, Namen braucht man wohl nicht zu nennen.

    Gleichzeitig fängt Neelys Freundin Anne als selbstsicheres Ostküstenmädchen mit schlichten, mustergültig strategischen Ambitionen an – in anderen Worten, als perfekte Praktikantin. Als Model für Gillian Cosmetics wird sie dann reich, durch einen Job, der sie ins nationale Bewusstsein katapultiert. Indem sie der arglosen Öffentlichkeit Make-up andreht, wird aus der Tussi ein Markenzeichen: Das Gillian Girl ist geboren.

    Henry Bellamy, Annes Agent und Mentor rät ihr:

    »Sie waren eine großartige Sekretärin – und wenn Sie jetzt das Gillian Girl werden, seien Sie auch dort die Beste. Was haben Sie denn sonst zu tun?«

    Seite 361, Das Tal der Puppen

    Würde sie heute arbeiten, wäre Anne (oder in diesem Fall auch Jackie) die Königin von Instagram oder vielleicht auch Jurorin in Die Höhle der Löwen. (Aber es wird Sie trösten, dass auch bei Anne nicht alles nach Plan läuft, und schließlich greift auch sie zu den Puppen. Die Botschaft? Selbst hocheffiziente Wortführerinnen können unter dem Druck zusammenbrechen, den äußeren Schein zu wahren.)

    Helen Lawson, die alte Schreckschraube mit den sechs Ehemännern auf dem Konto, ist meine Favoritin unter den verrückten Weibern. Sie ist ein Profi und ein alter Hase und sie bleibt dabei, weil sie die Disziplin hat, wirklich immer wieder da zu sein und es einfach durchzuziehen. #Madonna #Fonda #Streep #Keaton #Tomlin #ich

    Diejenigen unter Ihnen, die das Buch noch nicht gelesen, aber den Film gesehen haben, können sich auf eine königliche Belohnung freuen. Es ist äußerst vergnüglich, das Buch mit den bunten Bildern von Barbara Parkins (Anne), Patty Duke (Neely), Sharon Tate (Jennifer) und Susan Hayward (Helen) im Kopf zu verschlingen. Die Figuren wirken ausgesprochen lebendig und die explosiven Ausbrüche knisternder Dialoge geben einem das Gefühl, gerade mit einer Federboa versohlt worden zu sein.

    Aber zuvor noch eine Warnung: Hier geht es nicht um den Beginn des Wassermannzeitalters. Das Tal der Puppen ist eine düstere Geschichte. Sie ist so abgründig wie die Romane Thomas Hardys. So trostlos wie die Werke Balzacs. So roh wie die Dostojewskis. Nichts endet gut. Erfolg korrumpiert. Ruhm zerstört. Aus Träumen werden Albträume. Geld korrodiert. Reiche Männer sind Schweine. Solide Mittelklassemänner sind langweilig. Das Landleben ist erdrückend. Große Städte sind Schlangengruben. Niemand ist nett. Alle sind verkorkst.

    Es ist, anders gesagt, der perfekte Spiegel für unsere heutige Kultur.

    Simon Doonan, 2016

    Simon Doonan ist Autor, Kolumnist von Slate und der Creative Ambassador für die Modekette Barneys, New York

    VORWORT

    Nachlass Jacqueline Susann

    Berühmt wurde Jacqueline Susann, weil sie die Lebensläufe von Hollywood-Sternchen aufzeichnete, doch es dürfte viele überraschen, dass sie als Chronistin ihres eigenen Lebens nicht minder versiert war. Im Laufe ihres kometenhaften Aufstiegs zum Erfolg führte Susann Dutzende ledergebundene Notizbücher, in denen sie fast jeden Zeitschriftenartikel und Zeitungsausschnitt sammelte, der sie oder ihre Puppen – sowohl positiv als auch negativ – erwähnte. Welchen besseren Anlass gäbe es also als die Jubiläumsausgabe zum fünfzigjährigen Erscheinen ihres bahnbrechenden Romans Das Tal der Puppen, um einen Teil von Susanns Archiv der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, darunter persönliche Fotos und einen bisher noch nicht veröffentlichten Artikel, den sie 1966 unter der Überschrift »Mein Buch ist nicht obszön!« schrieb.

    Jetzt, im Zeitalter des Internets, das keine Hemmungen mehr kennt, mag es bizarr erscheinen, aber als Das Tal der Puppen 1966 erschien, empfand man es als gewagt und diskutierte es kontrovers. Schon bald nach Erscheinen kürte Time den Roman zum »Schundroman des Monats« (ja, so etwas gab es).

    Ein Kaufhaus in Chicago verkaufte das Buch sogar unter dem Ladentisch, als wäre es Pornografie. Die Millionen von Menschen, die Das Tal der Puppen kauften, von denen ein Großteil es unter der Bettdecke las, hatten das Gefühl, in ein Geheimnis eingeweiht zu werden. Und in gewisser Weise wurden sie das auch. Susann lüftete den Vorhang und erlaubte ihrem Publikum den allerersten ehrlichen Blick auf die moderne Promimaschinerie von Hollywood, wobei sie darüber hinaus auch etwas noch viel Tiefergehendes zum Vorschein brachte, was die sexuelle DNA ihrer Leser und der Sechzigerjahre insgesamt betraf. Das Beste daran? Sie tat es auf eine Weise, die einem das Gefühl gab, mit der klugen, offenherzigen und lustigen besten Freundin zu sprechen, die einem Dinge erzählte, über die sonst keiner zu sprechen wagte. Wie sie selbst zugab, war eine Menge davon für die allgemeine Öffentlichkeit schockierend, aber obszön war es nicht.

    Susann war für ihre Freunde und Fans immer Jackie, und sie war beiden Gruppen gegenüber ausgesprochen loyal. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem berühmten Presseagenten und Produzenten Irving Mansfield, erfand sie praktisch die moderne Lesereise, indem sie quer durchs Land von Buchladen zu Buchladen zog, um in direkten Kontakt mit denjenigen zu treten, die ihr zum Erfolg verhalfen. Sie unterhielt eine Kartei mit den Geburtstagen der Ladeninhaber sowie den Namen von deren Kindern und versäumte es niemals, zu besonderen Anlässen eine persönliche Nachricht zu schicken. Angesichts der natürlichen Begabung des Paars im Umgang mit der Öffentlichkeit ist es womöglich kein Zufall, dass Jackie die erste Autorin der Geschichte war, die es mit drei Büchern in Folge auf Platz eins der New York Times-Bestsellerliste schaffte.

    Auch wenn sie gerne in der Öffentlichkeit stand, war Jackie doch mehr auf Privatheit bedacht, als ihre Leser ahnten. Vor der Veröffentlichung ihres Romanerstlings Every Night, Josephine! im Jahr 1963 und während der folgenden elf Jahre bis zu ihrem Tod 1974 trug Jackie einen stillen und tapferen Kampf gegen den Krebs aus, verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit. Dennoch verpasste sie während der ganzen Zeit niemals ein Interview oder eine Pressekonferenz. Aber ihre Krankheit verlieh ihrem Leben und Schreiben Dringlichkeit. Die oft zitierten Worte ihrer Romanfigur Lyon Burke aus Das Tal der Puppen geben einen wahrhaftigen Einblick in ihr eigenes Leitprinzip:

    »Ich möchte mir der Minuten und Sekunden bewusst sein und dafür sorgen, dass jede zählt. … man erkennt, dass Zeit das Wichtigste ist. Weil Zeit Leben bedeutet. Sie ist das Einzige, was man nie mehr zurückbekommt.«

    Jackies Leben war kurz, das ihres Buches jedoch nicht. Fünfzig Jahre später ist es noch immer so provokativ und geistreich, wie es einmal war, und bleibt das Vermächtnis einer einzigartigen Frau.

    – Lisa Bishop & Whitney Robinson, 2016

    MEIN BUCH IST NICHT OBSZÖN!

    Jacqueline Susann

    Viele Menschen scheinen nicht in der Lage zu sein, zwischen den Worten schockierend und obszön zu unterscheiden. Die Wahrheit ist oftmals schockierend. Aber obszön ist sie nicht. Das Leben ist manchmal schockierend … obszön ist es nicht.

    Gern werden auch die Worte schonungslos und obszön verwechselt. Gewalttätig und obszön. Für mich ist Gedrucktes nur dann obszön, wenn es allein dem Lustgewinn dienen soll … und es weder durch die Entwicklung einer Figur oder des Plots gerechtfertigt ist.

    In Das Tal der Puppen findet sich nichts Obszönes. Es gibt viele schonungslose Kapitel. Es gibt Gewalt und manchmal Schockierendes. Aber die Welt des Showgeschäfts gehört zu den härtesten Kampfarenen. Jeder Star ist ein Gladiator des Augenblicks. Ist Ihnen bewusst, dass jeder Film, den Sie sehen, jede Broadwayshow, jeder Schauspieler und jede Schauspielerin, die es schaffen, für zehntausend Darsteller stehen, die sich für dieselbe Rolle beworben und den Kürzeren gezogen haben? Und dann schauen wir uns die wenigen Erwählten an. Kein Oscar ist von Dauer. Es heißt immer: »Was haben Sie zuletzt gemacht?« Es gibt keine normale Mann-Frau-Beziehung zwischen zwei Darstellern; beide kämpfen darum, am besten dazustehen. Im Showgeschäft bleibt keine Zeit dafür, Zweitbester zu sein. Ein Mann arbeitet sich hoch und wird Präsident einer Bank. Dann hat er es geschafft. Ein Anwalt arbeitet sich nach oben und hat eine große Kanzlei. Dann hat er es geschafft. Ein Star spielt in einem großen Film mit. Er oder sie hat es geschafft … für diesen Film. Diese Saison. Zwei schlechte Filme und tschüss. Ein neuer Gladiator wird in die Arena gebracht. Der König ist tot. Lang lebe der neue König.

    Es ist ein Geschäft, bei dem jede Kerze auf dem Geburtstagskuchen eines weiblichen Stars zu einem Sargnagel wird. Wir leben im Zeitalter der Jugend. Wir leben in einer Welt, in der eine Frau mit dreißig »ihre beste Zeit hinter sich hat«, in einer Welt der Filme.

    Klingt ziemlich brutal … ziemlich schockierend. Stimmt aber. Und in Das Tal der Puppen schreibe ich darüber. Es ist all das: brutal, schockierend, ungerecht, aber nicht obszön!

    Wenn das so ist, werden Sie womöglich einwenden, warum machen sich dann so viele junge Mädchen voll hochfliegender Hoffnungen auf den Weg nach Kalifornien? Sie kommen Jahr für Jahr, junge Schönheiten mit wohlgeformten Vokalen, die ihnen ihre Schauspiellehrer zu Hause beigebracht haben. Die Hälfte von ihnen endet als Oben-ohne-Kellnerinnen. Die Hälfte von ihnen landet im Tal der Puppen.

    Das ist das Berufsrisiko im Showgeschäft. Ein Sporttaucher weiß, dass er einem Hai begegnen und ein Bein verlieren könnte. Trotzdem gibt es jeden Tag mehr Sporttaucher. Ein Fallschirmspringer weiß, dass sich sein Fallschirm eines Tages nicht öffnen könnte, trotzdem gibt es Fallschirmspringer. Und ein Footballprofi weiß, dass er sich den Rücken kaputtmachen, seine Beine brechen, seine Zähne verlieren und sogar einen Gehirnschaden erleiden könnte. Dennoch kämpfen jedes Jahr gut aussehende junge Männer darum, diese Ehre zu erlangen.

    Vielleicht ist alles, was die Chance bietet, ganz nach oben zu kommen, mit einem eigenen Risiko behaftet. Vielleicht lohnt es sich, das Wagnis einzugehen, um den Gipfel des Mount Everest zu erklimmen. Neunundneunzig Prozent der Weltbevölkerung wägen die Chancen und Risiken ab und entscheiden sich für den Mittelweg. Gott sei Dank. Wir brauchen Mütter und Lehrer und nützliche wunderbare Bürger. Sie machen unsere wahre Zivilisation aus. Aber was ist mit diesem einen Prozent? Dem lächelnden Jungen, der Präsident wird und dann in Texas von einer aus unvorstellbar weiter Entfernung abgeschossenen Kugel ausgelöscht wird? Dem amtierenden Präsidenten, dessen Familie sich auf dem Präsentierteller befindet und der seine Gallensteinoperation vor der ganzen Welt öffentlich machen muss, damit der Aktienmarkt nicht ins Wanken gerät? Ein drohender Herzanfall würde Panik auslösen. Eine Gallenblase … na gut … weiter geht’s. Der Filmstar erhält »sofortigen royalen Status« und ist dann auch sofortigen Beleidigungen der Fans ausgesetzt, die Anspruch auf ihn erheben.

    Wenn man über Krieg schreibt, über Kämpfe, kann man nicht nur die schmucken Uniformen, den Trommelwirbel, die Siege schildern. Da gibt es Schlamm und Schleim und Amputationen und Wundbrand. Hässlich … schockierend … aber wahr.

    Und ich beschrieb in Das Tal der Puppen, wie das für eine Frau ist, im Showbusiness den Gipfel des Mount Everest zu erreichen. Nicht alle Frauen finden dort oben das Tal der Puppen. Nicht alle Präsidenten fallen einem Attentat zum Opfer. Aber einige haben wir verloren.

    Gewiss, Das Tal der Puppen ist ein Roman. Und somit Fiktion. Aber in guter Fiktion steckt auch Wahrheit. Und die Wahrheit ist nicht immer hübsch verpackt. Meine Gladiatoren in Das Tal der Puppen sind Menschen, keine Supermänner oder – frauen. Sie haben ihre Misserfolge, ihre Schwächen und manche von ihnen werden im Kampf niedergeschlagen oder verletzt und ich zeige das Blut der inneren Kämpfe. So sieht es aus. So sehe ich es. Gemein, ja. Brutal, mit Sicherheit. Aber nicht obszön …

    – Jacqueline Susann, 1966

    Du musst den Gipfel des Mount Everest erklimmen,

    um in das Tal der Puppen zu gelangen.

    Der Aufstieg zu diesem Ort,

    den so wenige gesehen haben, ist brutal.

    Wie es da oben aussieht, wusstest du nie wirklich,

    aber das Letzte, was du dort zu finden erwartet hast,

    war das Tal der Puppen.

    Du stehst da und wartest auf den Glücksrausch,

    den du dir erhofft hast – aber

    er kommt nicht.

    Du bist viel zu weit weg, um den Applaus des Publikums wahrzunehmen.

    Und weiter hinauf geht es nicht mehr.

    Du bist allein und

    das Gefühl der Einsamkeit ist überwältigend.

    Die Luft ist so dünn, dass du kaum atmen kannst.

    Du hast es geschafft – und die Welt feiert

    dich als Helden.

    Aber unten hat es mehr Spaß gemacht,

    als du mit nicht viel mehr

    als Hoffnung anfingst und

    dem Traum auf deren Erfüllung.

    Du sahst vor dir immer nur die Spitze des Berges –

    keiner hat dir je

    vom Tal der Puppen erzählt.

    Aber wenn du den Gipfel erreicht hast,

    ändert sich alles.

    Die Elemente haben dir zugesetzt, du bist

    angeschlagen, taub und blind – und zu erschöpft,

    um deinen Sieg zu genießen.

    Anne Welles hatte nie vorgehabt, aufzusteigen.

    Doch unbewusst machte sie den ersten Schritt

    an dem Tag, als sie sich umsah

    und zu sich selbst sagte:

    »Das ist nicht genug –

    ich will mehr.«

    Und als sie Lyon Burke traf,

    war es zu spät, um umzukehren.

    ANNE

    SEPTEMBER 1954

    ANNE

    SEPTEMBER 1945

    Zweiunddreißig Grad zeigte das Thermometer an dem Tag, an dem sie ankam. New York dampfte – ein wütendes Betontier, das unversehens in einen heißen Bann geraten war. Aber die für diese Jahreszeit ungewöhnliche Hitze machte ihr genauso wenig aus wie das vermüllte Stadtzentrum, der Times Square. Für sie war New York die aufregendste Stadt der Welt.

    Die junge Frau bei der Arbeitsvermittlung meinte lächelnd: »Ach, für Sie ist das ein Klacks. Auch ohne Erfahrung. Die guten Sekretärinnen sind alle weg, in den Verteidigungsjobs, wo viel Geld bezahlt wird. Aber ganz ehrlich, meine Liebe, wenn ich aussehen würde wie Sie, würde ich direkt zu John Powers oder Conover gehen.«

    »Und wer sind die?«, fragte Anne.

    »Die leiten die besten Modelagenturen der Stadt. Das wäre mein Traumjob, nur dass ich dafür zu klein und nicht dünn genug bin. Aber Sie sind genau das, wonach die suchen.«

    »Ich glaube, ich würde lieber in einem Büro arbeiten«, erwiderte Anne.

    »Na gut, aber dann müssen Sie verrückt sein.« Sie reichte Anne mehrere Formulare. »Hier, das sind alles gute Empfehlungen, aber gehen Sie als Erstes zu Henry Bellamy. Er ist ein bekannter Theateranwalt. Seine Sekretärin hat gerade John Walsh geheiratet.« Da Anne nicht darauf reagierte, ergänzte das Mädchen: »Nun sagen Sie bloß nicht, Sie haben noch nie von John Walsh gehört! Er hat drei Oscars gewonnen und wird, wie ich gerade gelesen habe, die Garbo aus ihrem vorzeitigen Ruhestand zurückholen und in ihrem Comeback-Film Regie führen.«

    Mit einem Lächeln versicherte Anne dem Mädchen, dass sie John Walsh wohl nie mehr vergessen würde.

    »Genau so können Sie sich das Umfeld und die Klientel vorstellen, die Sie dort erwarten«, fuhr die junge Frau fort. »Bellamy und Bellows – eine wirklich großartige Kanzlei. Die kümmern sich um all die großen Klienten. Und Myrna, das Mädchen, das John Walsh geheiratet hat, könnte Ihnen in puncto Aussehen nicht das Wasser reichen. Sie werden sich bestimmt gleich was Aufregendes schnappen.«

    »Was denn Aufregendes?«

    »Einen Kerl … vielleicht sogar einen Ehemann.« Sie warf noch mal einen Blick auf Annes Bewerbung. »Sagen Sie, woher kommen Sie noch mal? Das liegt schon in Amerika, oder?«

    Anne lächelte. »Lawrenceville. Es liegt am Anfang von Cape Cod, etwa eine Stunde Zugfahrt von Boston entfernt. Und hätte ich einen Ehemann gewollt, hätte ich gleich dortbleiben können. In Lawrenceville heiraten alle, sobald sie die Schule verlassen. Ich möchte erst mal eine Weile arbeiten.«

    »Und so einen Ort verlassen Sie? Hier sucht jede nach einem Ehemann. Mich eingeschlossen! Vielleicht könnten Sie mich mit einem Empfehlungsschreiben in dieses Lawrenceville schicken.«

    »Würden Sie denn einfach irgendeinen heiraten?«, hakte Anne neugierig nach.

    »Nicht irgendeinen. Einfach jemanden, der mir einen hübschen Bibermantel schenkt, eine Haushaltshilfe bezahlt und mich jeden Tag bis mittags schlafen lässt. Die Kerle, die ich kenne, erwarten nicht nur, dass ich meinen Job behalte, sondern ich soll auch noch im Negligé aussehen wie Carole Landis und gleichzeitig ein paar Gourmetgerichte aus dem Hut zaubern.« Als Anne lachte, meinte sie: »Na, Sie werden ja sehen. Warten Sie, bis Sie mit ein paar der Romeos dieser Stadt Bekanntschaft gemacht haben. Ich wette, Sie nehmen Reißaus und springen in den schnellsten Zug zurück nach Lawrenceville. Aber vergessen Sie nicht, kurz anzuhalten und mich mitzunehmen.«

    Niemals würde sie zurück nach Lawrenceville gehen! Sie hatte Lawrenceville nicht einfach verlassen – sie war geflohen. Geflohen vor einer Ehe mit einem bodenständigen Jungen aus Lawrenceville, vor dem bodenständigen, geordneten Leben in Lawrenceville. Vor demselben geordneten Leben, das ihre Mutter geführt hatte. Und die Mutter ihrer Mutter. Im selben wohlgeordneten Haus. Einem Haus, das eine gute New-England-Familie Generation um Generation bewohnt hatte, dessen Bewohnern vor lauter geordneten, ungenutzten Gefühlen die Luft zum Atmen fehlte, weil ein »Manieren« genannter knarrender Eisenpanzer sie erdrückte.

    (»Anne, eine Dame lacht niemals laut.« »Anne, eine Dame weint niemals in der Öffentlichkeit.« »Aber das ist doch gar nicht die Öffentlichkeit, ich weine vor dir, Mama, hier in der Küche.« »Aber eine Dame zieht sich zum Weinen zurück, du bist doch kein Kind mehr, Anne, du bist zwölf, und außerdem ist Tante Amy hier in der Küche. Jetzt geh auf dein Zimmer.«)

    Und irgendwie hatte Lawrenceville sie auch nach Radcliffe verfolgt. Oh ja, da gab es Mädchen, die lachten und weinten und Klatsch erzählten und die »Höhen« und »Tiefen« des Lebens genossen. Aber sie luden sie niemals in ihre Welt ein. Fast als würde sie ein großes Schild tragen mit der Aufschrift: Finger weg. Kalte, reservierte New-England-Tussi. Und so zog sie sich in die Welt der Bücher zurück und entdeckte auch dort ein Muster, das sich wiederholte: Anscheinend war praktisch jeder Schriftsteller, auf den sie stieß, aus seiner Geburtsstadt geflohen. Hemingway pendelte zwischen Europa, Kuba und Bimini. Auch der arme Fitzgerald, talentiert, aber von Selbstzweifeln geplagt, hatte im Ausland gelebt. Und selbst der rothaarige, pockennarbige Sinclair Lewis hatte in Europa die Liebe und das Abenteuer gefunden.

    Sie würde Lawrenceville den Rücken kehren! So einfach war das. Diese Entscheidung traf sie in ihrem letzten Collegejahr und teilte sie ihrer Mutter und Tante Amy während der Osterferien mit.

    »Mama … Tante Amy … wenn ich das College beendet habe, werde ich nach New York gehen.«

    »Das ist ein schrecklicher Ort, um Urlaub zu machen.«

    »Ich habe vor, dort zu leben.«

    »Hast du darüber schon mit Willie Henderson gesprochen?«

    »Nein. Warum sollte ich?«

    »Na ja, du triffst dich mit ihm, seitdem ihr beide sechzehn seid. Da vermutet natürlich jeder …«

    »Genau das ist es. Lawrenceville ist eine einzige Vermutung.«

    »Du erhebst deine Stimme, Anne«, tadelte ihre Mutter sie ruhig. »Willie Henderson ist ein anständiger Junge. Ich bin mit seinem Daddy und seiner Mutter zur Schule gegangen.«

    »Aber ich liebe ihn nicht, Mama.«

    »Männer kann man nicht lieben.« Das kam von Tante Amy.

    »Hast du Daddy nicht geliebt, Mama?« Das war keine Frage. Es war fast eine Anklage.

    »Natürlich habe ich ihn geliebt.« Die Stimme ihrer Mutter klang gereizt. »Aber was Tante Amy meint … na ja … Männer sind anders. Sie denken oder handeln nicht wie Frauen. Nimm deinen Vater. Ihn zu verstehen, war äußerst schwierig. Er war aufbrausend und hat gerne getrunken. Wäre er mit einer anderen Frau als mir verheiratet gewesen, hätte er womöglich ein böses Ende genommen.«

    »Ich habe Daddy nie trinken sehen«, verteidigte Anne ihn.

    »Natürlich nicht. Es war Prohibition und ich habe nie einen Tropfen im Haus gehabt. Ich habe ihm das abgewöhnt, bevor es sich festsetzen konnte. Ach ja, anfangs hatte er eine Menge wilder Angewohnheiten – seine Großmutter war Französin, weißt du.«

    »Die Romanen sind immer ein bisschen verrückt«, stimmte Tante Amy ihr zu.

    »An Daddy war nichts verrückt!« Anne wünschte auf einmal, sie hätte ihn besser gekannt. Es schien so lange her zu sein … der Tag, an dem er taumelnd nach vorn gestürzt war, gleich hier in der Küche. Sie war zwölf gewesen. Wortlos und leise war er zu Boden gesackt und lautlos gestorben, noch bevor der Arzt ihr Haus erreicht hatte.

    »Du hast recht, Anne. Es war nichts Verrücktes an deinem Vater. Er war ein Mann, aber er war ein guter Mann. Und vergiss nicht, Amy, seine Mutter war eine Bannister. Ellie Bannister ist immerhin mit unserer Mama zur Schule gegangen.«

    »Aber Mama, hast du Daddy jemals wirklich geliebt? Ich meine, wenn dich ein Mann, den du liebst, in seine Arme nimmt und küsst, dann sollte das doch wunderschön sein, oder? War es jemals wunderschön mit Daddy?«

    »Anne! Wie kannst du deine Mutter so etwas fragen?«, empörte sich Tante Amy.

    »Leider sind Küsse nicht das Einzige, was ein Mann nach der Ehe erwartet«, erwiderte ihre Mutter steif, um sich gleich darauf vorzutasten: »Hast du Willie Henderson schon mal geküsst?«

    Anne verzog das Gesicht. »Ja … ein paar Mal.«

    »Und hat es dir gefallen?«, hakte ihre Mutter nach.

    »Ich fand es schrecklich.« Seine Lippen waren weich gewesen – fast schleimig – und sein Atem hatte sauer gerochen.

    »Hast du jemals einen anderen Jungen geküsst?«

    Anne zuckte die Achseln. »Ja, vor ein paar Jahren, als Willie und ich anfingen, miteinander auszugehen, da haben wir auf Partys Flaschendrehen gespielt. Dabei habe ich wohl die meisten Jungs aus der Stadt geküsst, aber soweit ich mich erinnere, war ein Kuss so widerlich wie der andere.« Lächelnd fügte sie hinzu: »Ich glaube, Mutter, wir haben in ganz Lawrenceville keinen anständigen Küsser.«

    Die gute Laune ihrer Mutter kehrte zurück. »Du bist eine Dame, Anne. Deshalb magst du nicht küssen. Das mag keine Dame.«

    »Ach Mama, ich weiß nicht, was ich mag und wer ich bin. Deshalb möchte ich ja nach New York gehen.«

    Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Anne, du hast fünftausend Dollar. Die hat dein Vater dir hinterlassen und du kannst damit machen, was du möchtest. Wenn ich sterbe, wird es noch um einiges mehr sein. Wir sind nicht reich, nicht wie die Hendersons, aber wir leben gut und unsere Familie hat einen guten Stand in Lawrenceville. Mir wäre lieb zu wissen, dass du zurückkommst und dich in diesem Haus niederlässt. Meine Mutter wurde hier geboren. Natürlich wird Willie Henderson vielleicht anbauen wollen – Grund ist ja genug vorhanden –, aber es wird wenigstens unser Haus sein.«

    »Ich liebe Willie Henderson nicht, Mama!«

    »So etwas wie die Liebe gibt es nicht – nicht, wie du darüber sprichst. Diese Art von Liebe wirst du nur in billigen Filmen und Romanen finden. Liebe ist Kameradschaft, man hat gemeinsame Freunde und gemeinsame Interessen. Du verbindest Sex mit Liebe, aber lass dir gesagt sein, junge Dame, dass diese Art von Liebe, falls und wenn es sie denn gibt, nach der Heirat sehr rasch stirbt – oder sobald dem Mädchen klar wird, worum es dabei eigentlich geht. Aber geh du nur in dein New York. Ich werde dir nicht im Weg stehen. Ich bin sicher, dass Willie auf dich warten wird. Doch lass es dir gesagt sein, Anne, nach ein paar Wochen wirst du nach Hause gerannt kommen – du wirst froh sein, diese schmutzige Stadt hinter dir zu lassen.«

    Sie war wirklich schmutzig – und heiß und überfüllt – am Tag von Annes Ankunft. Seeleute und Soldaten schlenderten über den Broadway und in ihren neugierigen Blicken spiegelten sich ausgelassene Urlaubsstimmung und Begeisterung über das Ende des Krieges. Und diese Erregung sprang über auf Anne, sodass sie sich inmitten dieses Schmutzes, der feuchtschweren Luft und der Fremdheit lebendig fühlte. Was waren schon die Bäume und die reine Luft Neuenglands gegen die zugemüllten und rissigen Gehwege von New York. Der unrasierte Mann, der das Schild mit der Aufschrift »Zimmer zu vermieten« aus dem Fenster nahm, nachdem er die Miete für eine Woche im Voraus kassiert hatte, sah aus wie Mr. Kingston, der Postbote zu Hause, aber sein Lächeln war freundlicher. »Das Zimmer ist nichts Besonderes«, hatte er zugegeben, »aber es hat eine hohe Decke, sodass die Luft zirkulieren kann. Und ich bin immer da, falls es was zu reparieren gibt.« Sie hatte das Gefühl, dass er sie mochte, und sie mochte ihn. In New York akzeptierte man einander vorbehaltlos, als wären alle gerade erst zur Welt gekommen und niemand hätte eine Vergangenheit, die es zu würdigen oder zu verstecken galt.

    Und jetzt stand sie vor den imposanten Glastüren mit dem eingravierten Schriftzug Bellamy and Bellows und hoffte, dass auch Henry Bellamy ihr diese Akzeptanz entgegenbringen würde.

    Henry Bellamy traute seinen Augen nicht. Sie konnte unmöglich aus Fleisch und Blut sein. Auf ihre Art war sie womöglich eins der schönsten Mädchen, das er je gesehen hatte, und er war an schöne Mädchen gewöhnt. Statt der Pompadourfrisur, die gerade in Mode war, und Plateauschuhen trug das Mädchen die Haare lang und natürlich, und das helle Blond schien tatsächlich echt zu sein. Aber es waren vor allem ihre Augen, die ihn durcheinanderbrachten. Sie waren richtig blau, himmelblau – aber eisig.

    »Warum möchten Sie diesen Job, Miss Welles?« Aus unerfindlichen Gründen war er nervös. Verdammt, er war einfach neugierig. Sie trug schlichtes dunkles Leinen und bis auf eine hübsche schmale Armbanduhr keinerlei Schmuck, aber sie hatte irgendetwas an sich, das einem die Gewissheit gab, dass sie keinen Job benötigte.

    »Ich möchte in New York leben, Mr. Bellamy.«

    Einfach so. Eine direkte Antwort. Warum gab sie ihm dann das Gefühl, dass er herumschnüffelte? Er war dazu befugt, Fragen zu stellen. Und wenn er es ihr zu einfach machte, nahm sie den Job womöglich nicht an. Auch das war verrückt. Sie saß schließlich hier, oder? Sie war nicht einfach zum Tee vorbeigekommen. Warum fühlte er sich dann, als wäre er der Bewerber, und bemühte sich, einen guten Eindruck auf sie zu machen?

    Er warf einen Blick auf das Formular, das die Agentur mitgeschickt hatte. »Zwanzig Jahre alt und ein B.A. in Englisch also? Radcliffe College. Aber keine Büroerfahrung. Nun sagen Sie mir, was soll uns dieser tolle Abschluss hier helfen? Können Sie mir damit helfen, ein Biest wie Helen Lawson zu bändigen oder einen betrunkenen Kerl wie Bob Wolfe dazu zu bringen, das wöchentliche Radioskript rechtzeitig abzuliefern? Oder einen schwulen Sänger davon zu überzeugen, dass er bei Johnson Harris kündigen soll, damit ich mich um seine Angelegenheiten kümmern kann?«

    »Das soll ich alles machen?«, fragte sie.

    »Nein, das mache ich. Aber Sie müssen mir dabei helfen.«

    »Aber ich dachte, Sie seien Anwalt.«

    Er sah sie nach ihren Handschuhen greifen und setzte ein entspanntes Lächeln auf. »Ich bin Theateranwalt. Das ist was anderes. Ich setzte Verträge für meine Klienten auf. Verträge ohne Hintertürchen, es sei denn zu ihren Gunsten. Ich kümmere mich auch um ihre Steuern, helfe ihnen, ihr Geld anzulegen, hole sie aus allen möglichen Schlamasseln heraus, vermittle bei Eheproblemen, sorge dafür, dass ihre Ehefrauen und Geliebten sich nicht über den Weg laufen, bin Pate ihrer Kinder und halte Händchen, vor allem, wenn sie eine neue Show haben.«

    »Ich dachte immer, Schauspieler und Schriftsteller haben Manager und Agenten.«

    »Haben sie auch.« Er bemerkte, dass die Handschuhe wieder in ihrem Schoß lagen. »Aber die ›Jumbos‹, die ich betreue, brauchen auch mich als Berater. Ein Agent zum Beispiel drängt sie natürlich dazu, den Job anzunehmen, der am besten bezahlt wird. Ihn interessieren seine zehn Prozent. Aber ich überlege, welcher Job für sie der beste ist. Kurz gesagt, ein Theateranwalt muss eine Kombination aus Agent, Mutter und Gott sein. Und wenn Sie den Job bekommen, haben Sie die Rolle der Schutzheiligen.«

    Anne lächelte. »Warum ersetzen die Theateranwälte dann nicht sämtliche Agenten?«

    »Würden sie wahrscheinlich, wenn es genügend passionierte Schmocks wie mich gäbe.« Er fing sich rasch wieder. »Entschuldigen Sie die Wortwahl. Wenn ich in Fahrt bin, merke ich oft nicht, was rauskommt.«

    »Welche Wortwahl? Schmock?« Sie wiederholte es neugierig.

    Aus ihrem Mund hörte es sich so absonderlich an, dass er laut lachen musste. »Es ist ein jüdisches Wort und die wörtliche Übersetzung ließe Sie erröten. Aber es ist Slang für Trottel. … Ach, lassen Sie sich von dem vornehmen Etikett Bellamy nicht täuschen und auch nicht von meinem komischen Bischofsgesicht. Ich bin ein geborener Birnbaum. Als Jugendlicher habe ich im Sommer als Unterhaltungsdirektor auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet – schrieb die Kolumne der Bordzeitung. Und da wollte man nicht, dass über den hochtrabenden Artikeln ›An Bord mit Birnbaum‹ stand, deshalb schlug jemand stattdessen Bellamy vor. Auf diesen Kreuzfahrten lernte ich jede Menge wichtige Leute kennen. Eine Sängerin, die an Bord auftrat, wurde meine erste Klientin. Eine Menge Leute lernten mich als Bellamy kennen und so blieb ich dabei. Aber ich habe immer dafür gesorgt, dass niemand vergisst, dass unter dem Bellamy ein Birnbaum steckt.« Er lächelte. »So, jetzt kennen Sie die ganze Geschichte. Denken Sie, Sie schaffen das?«

    Diesmal war ihr Lächeln echt. »Ich würde es gern versuchen. Ich kann recht gut tippen, aber meine Kenntnisse in Stenografie sind eher dürftig.«

    Er winkte ab. »Ich habe da draußen zwei Miezen sitzen, die Stenografiewettbewerbe gewinnen könnten. Ich brauche jemanden, der mehr ist als eine Sekretärin.«

    Ihr Lächeln verschwand. »Ich glaube, ich verstehe nicht ganz.«

    Mist! Das hatte er damit doch gar nicht gemeint. Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und zündete sich die nächste an. Jesus, die saß vielleicht gerade. Unbewusst richtete er sich in seinem Stuhl auf.

    »Hören Sie, Miss Welles, mehr als eine Sekretärin zu sein, bedeutet, dass Sie keinen geregelten Arbeitstag haben. Es kann Tage geben, da müssen Sie vor Mittag gar nicht hier sein. Wenn ich Sie abends brauche, erwarte ich normalerweise nicht, dass sie am nächsten Tag früh kommen. Wenn es allerdings eine Krise gibt, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie, selbst wenn Sie bis vier Uhr morgens gearbeitet haben, hier sind, bevor diese Kanzlei öffnet, und zwar, weil Sie hier sein wollen. In anderen Worten, Sie bestimmen Ihren Zeitplan selbst. Aber Sie werden an einigen Abenden zur Verfügung stehen müssen.«

    Er hielt kurz inne, aber da sie nicht reagierte, sprach er rasch weiter. »Sagen wir, ich bin mit einem möglichen Klienten im ›21‹ zum Abendessen verabredet. Wenn ich den richtigen Rahmen und die richtigen Worte wähle, stehen die Chancen gut, dass er bei mir unterschreibt. Aber es kann gut sein, dass ich mit ihm sechs oder sieben Drinks nehmen und mir sein Genörgel über sein momentanes Management anhören muss. Natürlich werde ich bei meinem Leben schwören, dass er bei mir nichts dergleichen zu befürchten hat. Ich werde ihm alles Mögliche versprechen – sogar den Mond mit seinem Namen darauf. Ich kann zwar nicht all die Dinge erfüllen, die ich verspreche. Das könnte keiner. Aber ich würde mich aufrichtig bemühen, die Fehler seines vorherigen Managements zu vermeiden und meine Versprechen zu halten, soweit es mir möglich ist. Nur dass ich mich am nächsten Morgen an kein Wort mehr erinnern werde. Und da kommen Sie dann ins Spiel. Sie werden keinen Kater haben, weil Sie während dieses ganzen spannenden Abends an einem einzigen Sherry genippt haben, und Sie werden sich an jedes meiner Worte erinnern. Am folgenden Tag werden Sie mir eine Liste all meiner Versprechungen vorlegen, die ich dann mit klarem Kopf studieren kann.«

    Sie lächelte. »Ich wäre also eine Art menschliches Diktafon?«

    »Ganz genau. Trauen Sie sich das zu?«

    »Nun, mein Gedächtnis ist ausgezeichnet und ich hasse Sherry.«

    Diesmal lachten sie beide.

    »Okay, Anne. Möchten Sie morgen anfangen?«

    Sie nickte. »Werde ich auch für Mr. Bellows arbeiten?«

    Sein Blick ging ins Leere und er sagte leise: »Es gibt keinen Mr. Bellows. Nun, da ist natürlich George, sein Neffe, aber George ist nicht der Bellows von Bellamy und Bellows. Das war Georges Onkel – Jim Bellows. Ich habe Jim seine Anteile abgekauft, bevor er in den Krieg zog. Ich habe versucht, es ihm auszureden, aber nein, er fuhr nach Washington und wurde in der Navyuniform und mit einem Offizierspatent losgeschickt.« Er seufzte. »Der Krieg ist was für die Jungen. Jim Bellows war dreiundfünfzig. Zu alt für den Krieg … aber zu jung, um zu sterben.«

    »Kam er in Europa oder im Pazifik ums Leben?«

    »Er starb an einem Herzanfall in einem U-Boot, dieser verdammte Narr!« Aber sein schroffer Ton unterstrich nur die Zuneigung, die er für den Toten empfunden hatte. Gleich darauf schlug seine Stimmung um und er schenkte ihr ein warmherziges Lächeln. »Also gut, Anne, ich denke, wir haben uns genug über unsere Lebensgeschichten unterhalten. Ich kann Ihnen für den Anfang fünfundsiebzig die Woche bieten – sind Sie damit einverstanden?«

    Das war mehr, als sie erwartet hatte. Ihr Zimmer kostete achtzehn, für Essen musste sie etwa fünfzehn veranschlagen. Sie sagte ihm, dass sie damit recht zufrieden sei.

    OKTOBER 1945

    Der September war ein guter Monat gewesen. Sie hatte einen Job gefunden, der ihr Spaß machte, eine Freundin namens Neely und einen sanften, umgänglichen Begleiter namens Allen Cooper.

    Im Oktober kam Lyon Burke.

    Sowohl die Empfangsdame als auch die beiden Sekretärinnen hatten sie sofort akzeptiert und freundlich aufgenommen. Sie verbrachte ihre Mittagspause jeden Tag mit ihnen im Drugstore um die Ecke. Lieblingsthema beim Essen war Lyon Burke, und Miss Steinberg, die Chefsekretärin, war die Expertin dafür. Sie arbeitete bereits seit zehn Jahren für Henry Bellamy. Sie hatte Lyon Burke gekannt.

    Lyon hatte zwei Jahre in der Kanzlei gearbeitet, als der Krieg erklärt wurde. Am Tag nach Pearl Harbor war er aufgebrochen, um sich zu verpflichten. Jim Bellows hatte schon oft vorgeschlagen, seinen Neffen in die Kanzlei aufzunehmen. Obwohl Henry nichts gegen George Bellows hatte, fand er, dass »Geschäft und Verwandtschaft nicht zusammenpassen«, und hatte sich deshalb immer dagegen ausgesprochen. Aber nachdem Lyon weg war, blieb Henry kaum eine Wahl.

    Gegen George war nichts einzuwenden. Er war ein fähiger Anwalt, doch ihm fehlte die Ausstrahlung, über die Lyon Burke verfügte – jedenfalls in Miss Steinbergs Augen. Was Lyon im Krieg erlebte, war von der gesamten Belegschaft der Kanzlei begierig verfolgt worden, und nach seiner Ernennung zum Captain hatte Henry den halben Tag freigenommen, um zu feiern. Sein letzter Brief war im August aus London gekommen. Lyon war am Leben, ließ alle grüßen, verlor aber kein Wort über seine Rückkehr.

    Anfangs hatte Henry jeden Tag die Post durchgesehen. Als der September ohne weitere Nachricht verstrich, versuchte er, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass Lyon wohl nie wieder in die Kanzlei zurückkehren würde. Aber Miss Steinberg wollte so schnell nicht aufgeben. Und Miss Steinberg hatte recht. Das Telegramm traf im Oktober ein.

    Ohne Umschweife kam es zur Sache:

    LIEBER HENRY: NUN IST ES ALSO VORBEI UND ICH BIN IMMER NOCH GANZ. HAB VERWANDTE IN LONDON BESUCHT UND IN BRIGHTON DAS MEER UND ERHOLUNG GESUCHT. BIN IN WASHINGTON UND WARTE AUF MEINE OFFIZIELLE ENTLASSUNG. SOBALD SIE MICH IHRE UNIFORM GEGEN MEINEN ALTEN BLAUEN ANZUG TAUSCHEN LASSEN, KOMME ICH ZURÜCK. HERZLICH. LYON.

    Henry Bellamy begann übers ganze Gesicht zu strahlen, als er das Telegramm las. Er sprang auf. »Lyon kommt zurück! Mein Gott, ich wusste es!«

    Während der folgenden zehn Tage herrschte Chaos in der Kanzlei – alle waren aufgeregt, es wurde viel spekuliert, Innenausstatter stellten die Räume auf den Kopf.

    »Ich kann es gar nicht erwarten«, seufzte die Empfangsdame. »Es klingt so, als wäre er genau mein Typ.«

    In Miss Steinbergs Lächeln zeigte sich ihr geheimes Wissen. »Er ist jedermanns Typ, meine Liebe. Wenn sein Aussehen Sie nicht umhaut, dann erledigt sein englischer Akzent den Rest.«

    »Er ist Engländer?« Anne war überrascht.

    »Hier geboren«, erklärte Miss Steinberg. »Seine Mutter war Nell Lyon. Das war lange vor Ihrer Zeit. Auch vor meiner. Aber sie war ein berühmter englischer Operettenstar. Sie spielte hier in einem Stück und heiratete einen amerikanischen Anwalt, Tom Burke. Sie gab ihre Karriere auf und Lyon wurde hier geboren und ist somit amerikanischer Staatsbürger. Aber seine Mutter hielt an der britischen Staatsbürgerschaft fest, und als Lyons Vater starb – Lyon muss etwa fünf gewesen sein –, nahm sie ihn mit nach London. Sie kehrte auf die Bühne zurück, und er ging dort zur Schule. Als sie starb, kam er zurück und studierte hier Jura.«

    »Ich weiß, dass ich mich schrecklich in ihn verlieben werde«, meinte die jüngere Sekretärin.

    Miss Steinberg zuckte die Schultern. »Jedes Mädchen hier im Büro hat für ihn geschwärmt. Aber ich bin unglaublich gespannt, wie er reagieren wird, wenn er Sie sieht, Anne.«

    »Mich?«, fragte Anne verdutzt.

    »Ja, Sie. Sie beide verbindet eine ganz besondere Eigenschaft. Eine gewisse Unnahbarkeit. Nur dass Lyon einen mit seinem Lächeln blendet und anfangs täuscht. Man denkt, er ist freundlich. Aber man kommt nicht richtig an ihn heran. Keiner schafft das. Nicht einmal Mr. Bellamy. Insgeheim empfindet Mr. B. ein wenig Ehrfurcht vor Lyon, und das nicht nur wegen seines Aussehens oder Auftretens. Lyon hält, was er verspricht. Passen Sie auf, eines Tages wird diese Stadt Lyon Burke gehören. Ich habe Mr. B. einige ziemlich brillante Geschäfte an Land ziehen sehen, aber er muss dabei um jeden Zentimeter kämpfen, weil alle wissen, dass er klug ist, und auf ihn vorbereitet sind. Lyon spaziert da einfach rein mit seinem englischen Charme und dem Aussehen eines Filmschauspielers und Peng! bekommt er alles, was er will. Aber nach einer Weile wird einem klar, dass man gar nicht weiß, wie er wirklich ist – und was er von einem denkt oder von allen anderen. Ich meine, er scheint alle gleichermaßen zu mögen. Und dadurch bekommt man das Gefühl, dass ihm die Menschen oder Dinge im Grunde genommen nicht wirklich etwas bedeuten – abgesehen von seiner Arbeit. Für die tut er alles. Aber was auch immer man von ihm halten mag, am Ende bewundert man ihn doch.«

    Das zweite Telegramm traf zehn Tage später an einem Freitagmorgen ein:

    LIEBER HENRY: HAB DEN BLAUEN ANZUG. TREFFE MORGEN ABEND IN NEW YORK EIN. KOMME DIREKT ZU IHRER WOHNUNG. RESERVIEREN SIE MIR BITTE EIN HOTEL. GEDENKE AM MONTAG ANZUFANGEN. HERZLICH. LYON.

    Henry Bellamy machte mittags Schluss, um zu feiern. Anne war gerade mit der Post fertig, als George Bellows vor ihrem Schreibtisch stehen blieb.

    »Warum gehen wir nicht auch irgendwohin und feiern?«, fragte er beiläufig.

    Sie konnte ihr Erstaunen nicht verbergen. Ihre Verbindung zu George Bellows hatte sich bis dahin auf ein offizielles »Guten Morgen« und ein gelegentliches Zunicken beschränkt.

    »Ich lade Sie zum Mittagessen ein«, erklärte er.

    »Tut mir wirklich leid, aber ich habe den Mädels versprochen, sie im Drugstore zu treffen.«

    Er half ihr in den Mantel. »Schade«, meinte er. »Das wird womöglich unser letzter Tag auf Erden sein.« Mit einem reumütigen Lächeln kehrte er in sein Büro zurück.

    Beim Mittagessen hörte sie dem endlosen Geplapper über Lyon Burke nur halbherzig zu und fragte sich, warum sie Georges Einladung ausgeschlagen hatte. Aus Angst vor Komplikationen? Wegen eines Mittagessens? Wie dumm. Aus Loyalität gegenüber Allen Cooper? Gut … Allen war der einzige Mann, den sie in New York kannte, und er war sehr nett. Vielleicht hatte er deswegen Loyalität verdient.

    Sie erinnerte sich an den Tag, als er in die Kanzlei gestürmt kam, entschlossen, ein Geschäft zu machen – eine Versicherung zu verkaufen, wie Anne später herausfand. Henry war ungewöhnlich abweisend gewesen und hatte ihn rasch abgefertigt. Tatsächlich so rasch, dass Annes Mitgefühl geweckt war. Als sie ihn zur Tür brachte, flüsterte sie ihm zu: »Viel Glück beim nächsten Versuch.« Auf ihren warmherzigen Ton hatte er fast überrascht reagiert.

    Zwei Stunden später klingelte ihr Telefon. »Hier ist Allen Cooper. Sie erinnern sich – der dynamische Vertreter? Nun, ich wollte Sie wissen lassen, dass mein Gespräch mit Henry ein unglaublicher Erfolg war, verglichen mit meinen anderen Anläufen. Bei Bellamy bin ich immerhin Ihnen begegnet.«

    »Sie meinen, Sie haben nichts verkauft?« Er tat ihr wirklich leid.

    »Nee. Überall Absagen. Ist wohl einfach nicht mein Tag … es sei denn, Sie sorgen für einen glücklichen Ausgang, indem Sie mit mir was trinken gehen.«

    »Nein, ich …«

    »Sie trinken nicht? Ich auch nicht. Dann lassen Sie uns stattdessen essen gehen.«

    So fing es an – und so ging es weiter. Er war sympathisch und hatte Humor. Sie sah in ihm eher einen Freund als ein Date. Oft machte sie sich nicht mal die Mühe, sich nach der Arbeit umzuziehen. Ihm schien nie aufzufallen, was sie trug. Und er war allem Anschein nach äußerst dankbar für ihre Gesellschaft. Sie speisten in kleinen unbekannten Restaurants, wo sie jedes Mal das günstigste Gericht auf der Speisekarte wählte. Am liebsten hätte sie ihm angeboten, ihren Anteil selbst zu bezahlen, ließ es aber sein, weil sie befürchtete, er könnte sich dann noch mehr als Versager fühlen.

    Als Vertreter war Allen eine hoffnungslose Fehlbesetzung. Für diesen Beruf war er viel zu nett und sanftmütig. Er fragte sie über Lawrenceville aus, über ihre Schulzeit und wollte wissen, was in der Kanzlei passierte. Und gab ihr damit das Gefühl, das interessanteste und faszinierendste Mädchen der Welt zu sein.

    Sie traf sich weiterhin mit ihm, weil er keine Forderungen stellte. Im Kino hielt er manchmal ihre Hand. Er unternahm keinen Versuch, ihr einen Gutenachtkuss zu geben. Doch in ihre Erleichterung darüber mischte sich ein seltsames Gefühl der Unzulänglichkeit. Es war fast beschämend, dass sie im armen Allen offenbar keinerlei Leidenschaft entfachen konnte, doch sie ließ es gern auf sich beruhen. Der Gedanke, ihn zu küssen, erfüllte sie mit demselben Ekel, den sie empfunden hatte, als sie Willie Henderson zu Hause in Lawrenceville geküsst hatte, und wieder stellte sie ihre eigene Liebesfähigkeit infrage. Vielleicht stimmte etwas nicht mit ihr – oder womöglich hatte ihre Mutter doch recht damit, dass Leidenschaft und romantische Liebe nur in Filmen und Romanen existierten.

    Am späteren Nachmittag blieb George Bellows erneut vor ihrem Schreibtisch stehen. »Ich bin gekommen, um einen neuen Versuch zu unternehmen«, sagte er. »Wie wäre es am sechzehnten Januar? So weit im Voraus können Sie noch nicht verabredet sein.«

    »Aber bis dahin sind es doch noch fast drei Monate.«

    »Also ich würde sehr gern auch jede frühere Premiere nehmen. Aber Helen Lawson hat gerade angerufen und nach Henry geschrien, und das hat mich daran erinnert, dass ihre Show am sechzehnten Premiere hat.«

    »Das stimmt, für Hit the Sky beginnen nächste Woche die Proben.«

    »Also werden Sie nun mit mir hingehen oder nicht?«

    »Sehr gern, George. Ich finde Helen Lawson wundervoll. Sie hat mit allen ihren Shows in Boston gastiert. Als kleines Mädchen habe ich sie zusammen mit meinem Vater in Madame Pompadour gesehen.«

    »Okay, dann sind wir verabredet. Ach und Anne, wenn die Proben für die Show anfangen, wird Helen wahrscheinlich ziemlich oft hier hereingeschneit kommen. Sollten Sie beide miteinander ins Gespräch kommen, vermeiden Sie am besten diese ›Ich-mochte-Sie-schon-als-ich-noch-ein-kleines-Mädchen-war‹-Floskel. Sie würden dafür büßen.«

    »Aber ich war ein kleines Mädchen. Und so lächerlich es klingt, das ist erst zehn Jahre her. Aber selbst damals war Helen Lawson bereits eine reife Frau. Sie war mindestens fünfunddreißig.«

    »Wir tun hier alle so, als wäre sie achtundzwanzig.«

    »Das ist doch nicht Ihr Ernst, George! Wieso das denn, Helen Lawson ist alterslos. Sie ist ein berühmter Star. Ihre Anziehungskraft beruht auf ihrer Persönlichkeit und ihrem Talent. Mit Sicherheit ist sie zu intelligent, um zu glauben, dass sie wie ein junges Mädchen aussieht.«

    George zuckte die Achseln. »Ich sag Ihnen was. Ich werde Sie in zwanzig Jahren anrufen und Sie fragen, wie Sie sich fühlen. Auszusehen wie achtundzwanzig scheint eine ansteckende Krankheit zu sein, die die meisten Frauen befällt, wenn sie die Vierzig erreichen. Um ganz sicherzugehen, sollten Sie das Thema Alter bei Helen aussparen. Und bitte machen Sie sich einen Vermerk in Ihren Kalender. Sechzehnter Januar. Bis dahin ein schönes Wochenende und entspannen Sie sich ein bisschen. Am Montag wird es hier ziemlich hektisch werden – wenn der siegreiche Held nach Hause zurückkehrt.«

    Die Empfangsdame trug einen engen neuen Rock mit Karomuster. Die Tolle der Juniorsekretärin war fünf Zentimeter höher als sonst. Selbst Miss Steinberg hatte ihr blaues Kostüm vom letzten Frühjahr hervorgeholt. Anne saß in ihrem Kabuff vor Henrys Büro und versuchte, sich auf die Post zu konzentrieren. Aber wie die anderen konnte auch sie ihre Aufmerksamkeit nicht von der Tür wenden.

    Um elf Uhr kam er dann. Trotz all des Büroklatsches und der Spekulationen war sie nicht darauf vorbereitet, wie umwerfend Lyon Burke tatsächlich war.

    Henry Bellamy war ein groß gewachsener Mann, aber Lyon Burke überragte ihn um gut sieben Zentimeter. Er hatte tiefschwarzes Haar und seine Haut schien dauerhaft gebräunt zu sein. Henry strotzte vor unverhohlenem Stolz, als er Lyon herumführte und allen vorstellte. Die Empfangsdame errötete sichtlich, als er ihre Hand schüttelte, die Juniorsekretärin lächelte einfältig und Miss Steinberg wurde vor Aufregung ganz kokett.

    Zum ersten Mal war Anne dankbar für ihre eiserne New-England-Reserviertheit. Doch als Lyon Burke ihre Hand ergriff, wusste sie, dass die Ruhe, die sie ausstrahlte, nicht echt war.

    »Henry hat unentwegt von Ihnen gesprochen. Jetzt, da wir uns begegnen, kann ich das nur allzu gut verstehen.« Der englische Akzent war definitiv ein Pluspunkt. Anne gelang eine höfliche Antwort, doch sie war dankbar, als Henry Bellamy Lyon in sein frisch renoviertes Büro führte.

    »Kommen Sie doch mit uns, Anne«, befahl Henry.

    »Es ist überwältigend«, erklärte Lyon. »Fast wird einem ein wenig bange vor der Arbeit, die dafür von einem erwartet wird.« Er setzte sich in einen Stuhl und lächelte träge. Plötzlich verstand Anne, was Miss Steinberg meinte. Lyon Burke lächelte jeden an, und dieses mühelose Lächeln war undurchdringlich.

    Henry strahlte väterlich. »Seien Sie einfach derselbe Faulpelz wie vor Ihrem Weggang, und ich werde es jedes Jahr neu für Sie gestalten. Aber jetzt lasst uns zur Sache kommen. Anne, Lyon braucht eine Wohnung. Er wohnt bei mir, bis er was gefunden hat«, erklärte Henry. »Ist das nicht unglaublich? Wir konnten kein Hotelzimmer für ihn finden.«

    Sie glaubte es. Aber sie fragte sich, was sie damit zu tun hatte.

    »Ich möchte, dass Sie eine Wohnung für ihn finden«, sagte Henry.

    »Sie möchten, dass ich für Mr. Burke eine Wohnung finde?«

    »Das werden Sie schon schaffen. Das gehört dazu, wenn man mehr als eine Sekretärin ist.«

    Diesmal lachte Lyon herzhaft. »Sie ist eine Schönheit, Henry. Sie ist genauso, wie Sie gesagt haben. Aber sie ist kein Houdini.« Er zwinkerte Anne zu. »Henry hat ein sehr bequemes Leben geführt. Er weiß nicht, wie schwer es ist, in New York eine Wohnung zu finden.«

    Henry schüttelte den Kopf. »Hören Sie, dieses Mädchen ist vor zwei Monaten hier angekommen und konnte die Seventh Avenue nicht vom Broadway unterscheiden. Sie hat nicht nur gleich am ersten Tag eine Wohnung gefunden, sondern auch diesen Job an Land gezogen und mich dazu gebracht, ihr aus der Hand zu fressen.«

    »Also Wohnung kann man meine Bleibe nicht wirklich nennen. Es ist ein sehr kleines …«

    Sein direkter Blick war verstörend. »Meine liebe Anne, nach den ausgebombten Häusern, in denen ich während des Krieges geschlafen habe, kommt für mich alles mit einer Zimmerdecke dem Ritz gleich.«

    »Anne wird sicher was finden«, beharrte Henry. »Versuchen Sie es an der East Side. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad und Küche, möbliert, um die hundertfünfzig im Monat. Gehen Sie hoch auf hundertfünfundsiebzig, wenn es sein muss. Fangen Sie gleich an, noch heute Nachmittag. Nehmen Sie sich morgen frei, lassen Sie sich Zeit … aber kommen Sie erst wieder, wenn Sie eine Wohnung haben.«

    »Dann dürften wir dieses Mädchen wohl nie mehr wiedersehen, Henry«, warnte Lyon ihn.

    »Ich baue auf Anne. Sie wird was auftreiben.«

    Ihr Zimmer lag im zweiten Stock des Stadthauses. Heute kamen ihr die beiden Treppen plötzlich unüberwindlich vor. Sie stand auf dem Treppenabsatz, in der Hand die zerlesene New York Times. Den ganzen Nachmittag hatte sie damit zugebracht, sämtliche darin aufgelisteten Wohnungen abzuklappern, aber alle waren bereits weg gewesen. Ihr taten die Füße weh. Sie hatte sich am Morgen fürs Büro gekleidet und nicht für die Wohnungssuche. Morgen würde sie zeitig anfangen – in flachen Schuhen.

    Bevor sie die nächste Treppe erklomm, klopfte sie an Neelys Tür. Keine Antwort. Sie stapfte die wackeligen Stufen hinauf, schloss ihr Zimmer auf und war dankbar, als sie den Dampf durch den alten Heizkörper zischen hörte.

    Trotz Lyon Burkes »Ich-nehme-alles«-Ansage konnte sie ihn sich in einem Zimmer wie diesem nicht vorstellen. Nicht dass es ein schlechtes Zimmer gewesen wäre. Es war sauber und lag günstig. Verglichen mit ihrem geräumigen Schlafzimmer in Lawrenceville war es natürlich schrecklich! Das durchgelegene Einzelbett sah aus, als würde es kein Jahr mehr halten. Manchmal fragte sie sich, wie viele Menschen darin wohl schon geschlafen hatten – Hunderte vielleicht. Aber sie kannte sie nicht, und vielleicht war es diese Anonymität, die es zu ihrem Bett machte. Solange sie die Miete zahlte, gehörte alles im Zimmer ihr. Der kleine ramponierte Nachttisch, der von Kratzern und alten Brandflecken übersät war, die Kommode mit den drei Schubladen, die man ein wenig offenstehen lassen musste, weil sie klemmten, wenn man sie ganz schloss, und deren Knöpfe abgingen, wenn man zu fest zog, der dickbauchige Sessel, auf dessen Sitzfläche sich die Spiralfedern abzeichneten, als wollten sie gleich herausspringen.

    Man könnte es hübsch herrichten, aber am Ende der Woche war nie genug Geld übrig. (Sie war entschlossen, die Fünftausend, die sie auf der Bank hatte, nicht anzurühren.) Außerdem zahlte sie noch immer die Rechnung von Bloomingdale für das gute schwarze Kleid und den guten schwarzen Abendmantel ab.

    Sie hörte das vertraute Klopfen und rief: »Bin da«, ohne aufzublicken.

    Neely trat ein und ließ sich in den Sessel sinken, dessen Ächzen das Schlimmste befürchten ließ. »Was willst du mit den Annoncen in der Times? Überlegst du umzuziehen?«

    Als Anne ihr erklärte, worin ihre neue Aufgabe bestand, fing Neely an, laut zu lachen. »Du meinst, er braucht nicht unbedingt eine Terrasse zu den ungefähr vier begehbaren Kleiderschränken?« Doch nachdem sie das Unterfangen als unmöglich abgetan hatte, kam sie auf die wichtige Angelegenheit zu sprechen. »Hattest du denn heute Gelegenheit, es bei ihm anzusprechen, Anne?«

    »Es« war ein Gefallen, um den Neely Anne gebeten hatte und mit dem sie ihr bereits seit zwei Wochen in den Ohren lag.

    »Wie denn, Neely? Ausgerechnet heute … der Tag, an dem Lyon Burke zurückkommt.«

    »Aber wir müssen es schaffen, in Hit the Sky zu kommen. Aus irgendeinem verrückten Grund scheint Helen Lawson unsere Nummer zu gefallen. Wir wurden schon dreimal zum Vortanzen bestellt und sie war jedes Mal da. Es bräuchte nur ein Wort von Henry Bellamy und die Sache wäre geritzt.«

    Mit »wir« meinte Neely sich und ihre beiden Partner. Neely hieß eigentlich Ethel Agnes O’Neill (»Ist das nicht ein Knaller?«, waren

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