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Graz Biografie: Geschichte einer Stadt
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eBook1.087 Seiten10 Stunden

Graz Biografie: Geschichte einer Stadt

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Über dieses E-Book

Die Geschichte der Stadt und der Menschen in kompakter und reich illustrierter Form.

Die Autoren erzählen die Grazer Stadtgeschichte vom 12. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Italienische Festungsmeister bauten Graz als äußersten Vorposten des "Heiligen Römischen Reiches" gegen das Osmanische Reich aus. Diese Architektur und viele andere Einflüsse prägen die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Altstadt. Lange sahen sich die Stadtväter als Vertreter der "deutschesten Stadt" der Habsburgermonarchie. 1938 war Graz nationalsozialistisch, noch bevor Hitlers Truppen in Österreich einmarschierten. Nach 1945 mussten sich die Grazer*innen neu erfinden: Industrie, Kultur und Wissenschaft bilden heute die Markenzeichen. Wie kam es dazu? Ein reich bebildertes Lesebuch, das die aktuellsten Forschungsergebnisse zusammenfasst.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum3. Nov. 2022
ISBN9783701746941
Graz Biografie: Geschichte einer Stadt

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    Buchvorschau

    Graz Biografie - Wolfram Dornik

    Graz

    Biografie

    Geschichte einer Stadt

    Wolfram Dornik

    Mit Beiträgen

    von Georg Tiefengraber

    und Otto Hochreiter

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

    www.residenzverlag.com

    Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

    Fotos: Die Urheberrechte der verwendeten Abbildungen sind angegeben, die Verwendungsnachweise wurden eingeholt. Im Falle geltend zu machender Urheberrechte ersuchen die Herausgeber um Kontaktaufnahme.

    Grafische Gestaltung (Umschlaggestaltung, Satzspiegel, Karten etc.):

    Cerny / Embacher – Larissa Cerny, Martin Embacher

    Umschlagbild und Zwischentitelblätter: Ausschnitte aus Leichenzug Erzherzog

    Karls II., 1594 (Graz Museum, GRA-04736-05782) von Georg Peham.

    Redaktion: Thomas Stoppacher

    Lektorat und Satz: www.zwiebelfisch.at

    Herausgeberin: Stadtmuseum Graz GmbH

    Textautoren (Werkurheber): Wolfram Dornik, Otto Hochreiter, Georg Tiefengraber

    Verlag: Residenz Verlag

    Gesamtherstellung: GRASPO

    ISBN: 978-3-7017-3574-7

    eISBN: 978-3-7017-4694-1

    © 2022 Residenz Verlag GmbH

    Salzburg – Wien

    Einleitung

    Wolfram Dornik

    1

    Vor der Stadt / 5. Jahrtausend v. Chr. bis 13. Jahrhundert n. Chr.

    Georg Tiefengraber

    2

    Das mittelalterliche Graz / »1128«–1550

    Wolfram Dornik

    3

    Festung des Glaubens und des Reiches / 1550/55–1749

    Wolfram Dornik

    4

    Zwischen Reform und Revolution / 1749–1848

    Wolfram Dornik

    5

    »Grazer Moderne« / 1849–1919

    Wolfram Dornik

    6

    Ein Vierteljahrhundert urbane Utopien / 1919–1945

    Wolfram Dornik

    7

    Auf der Suche nach einer neuen Identität / 1945–2003

    Wolfram Dornik

    8

    Die gespaltene Stadt / 2003–2021

    Otto Hochreiter

    Dank

    Wolfram Dornik

    Anmerkungen

    Literatur

    Quellen

    Abbildungsverzeichnis

    Personenregister

    Einleitung

    Wolfram Dornik

    Graz ist nicht die Reichsstadt, Graz ist keine Weltstadt, Graz ist keine bischöfliche Residenzstadt, Graz ist nicht die Bundeshauptstadt. Graz ist nicht die Stadt des Jugendstils, der Festspiele oder des Wintersports. Aber: Graz war Hauptstadt von Herzogtum und Kronland und ist seit 1918 jene des Bundeslandes Steiermark. Graz war Festungsstadt. Graz ist Messe- und Einkaufsstadt. Graz ist Universitätsstadt, Graz ist Verkehrsknotenpunkt, Graz war Europäische Kulturhauptstadt 2003, Graz ist Fahrradstadt, Graz ist Autoclusterstadt, Graz ist Feinstaubhauptstadt, Graz ist … Die Aufzählung, was Graz ist und was es nicht ist, ließe sich noch weiter fortsetzen. Doch es bleibt der schale Nachgeschmack von vielen Grazer*innen, dass »ihre Stadt« immer in der zweiten Reihe stand und steht: Graz ist nicht Wien, Graz ist nicht Salzburg, Graz ist nicht Innsbruck. Graz steht immer ein klein wenig hinter den großen Stadtgeschwistern. Nicht umsonst stand während des Kulturhauptstadtjahres 2003 an der Stadtausfahrt der Südautobahn in Wien ein Werbeschild mit der provokanten Aufschrift: »Willkommen in Wien, dem schönsten Vorort von Graz«. Unter dem Motto »Graz darf alles« wollte sich die Stadt zumindest in diesem Jahr aus dem Schatten der Bundeshauptstadt, der Mozartstadt an der Salzach und der Wintersportmetropole am Inn in das gleißende Licht der europäischen Öffentlichkeit stellen. Und, es gelang! Seitdem war und wurde Graz zunehmend auch nördlich der Alpen (wieder) wahr- und ernstgenommen, sowohl in Berlin, London, Amsterdam und nicht zuletzt in Brüssel. Zuvor war Graz eher den Menschen aus Zagreb, Maribor, Belgrad, Sarajewo, Triest, vielleicht auch Budapest ein Begriff. Bis zum Beginn der COVID-19-Pandemie im März 2020, die vieles veränderte. Vieles, das wir heute, mit Drucklegung dieses Buches – im Sommer 2022 – noch gar nicht abschätzen können.

    Dass Graz aus einer europäischen Perspektive in der Reihe der österreichischen Städte immer ein wenig in der zweiten Reihe stand, hatte im Verlauf der Geschichte aber auch seine Vorteile. Vom Dreißigjährigen Krieg blieb die Stadt verschont. Auch die osmanischen Truppen hatten nicht Graz sondern Wien im Visier. Die Truppen der Roten Armee zielten 1945 ebenso auf Wien, lediglich die US-amerikanischen und britischen Bombergeschwader nahmen Graz nur zu oft ins Visier: Die kleine Industriestadt mit den strategisch wichtigen Eisenbahnlinien lag am Rückweg von den Hauptzielen Wien, Wiener Neustadt und Obersteiermark. Doch ein Schicksal wie Berlin, Budapest, Wien, Belgrad, Dresden blieb Graz erspart. Die Stadt überdauerte die größten Katastrophen der vergangenen Jahrhunderte den Umständen entsprechend gut, aber nicht unbeschadet. Denn, die Grazer*innen fügten sich selbst mehr als genug schwere Wunden zu: Die jüdische Bevölkerung wurde drei Mal aus der Stadt vertrieben, zwei Mal im 15. Jahrhundert, ein Mal im 20. Jahrhundert. Diese letzte Vertreibung in der Shoah verursachte die tiefsten Wunden. Das Zusammenspiel aus der Selbstunterwerfung unter die Ideologie des Nationalsozialismus (»Stadt der Volkserhebung«) und der Mittäterschaft vieler Grazer*innen brachte ein besonders schweres Erbe mit sich, dessen Aufarbeitung noch Generationen beschäftigen wird.

    Ziel des vorliegenden Buchs ist es, einen Überblick über die historische Entwicklung von Graz und seinen Menschen vom Beginn der Besiedlung bis in die jüngste Gegenwart zu geben. Bewusst wurde diese Stadtgeschichte als Biografie betitelt: »Bios« stammt vom altgriechischen βíοζ (Leben). Städte sind von Menschen erbaute und erdachte Räume, die mit den Menschen verbundene Nutzungsfunktionen haben.¹ Somit haben Städte wie Menschen Lebensphasen und unweigerlich ein Ende. Nämlich dann, wenn sie nicht mehr von Menschen genutzt werden. Im Einzelfall kennen wir viele Beispiele aus der Antike, aus dem präkolumbianischen Amerika aber auch von Wüstungen und Stadtverzwergungen in Europa.² Bekanntes Beispiel einer nicht mehr existenten historischen Stadt nahe Graz ist Flavia Solva, ein römisches Municipium, das zwischen dem 1. und dem 5. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung das bedeutendste Wirtschafts- und Machtzentrum auf heutigem steirischen Boden war, dann aber verlassen wurde. Bauelemente und Grabsteine aus Flavia Solva dienten ironischerweise später als Baumaterial für Graz.³ Dieser Hinweis soll die heute oft als selbstverständlich wahrgenommene Existenz und den nahezu unendlichen Selbstzweck, den wir Städten geben, relativieren. Städte haben einen Beginn, ein Wachsen, vielleicht auch eine Rückentwicklung und eine potenzielle Endlichkeit, die immer in Zusammenhang mit den hier lebenden und wirkenden Menschen steht. Städte leben! Und, wenn sie dies nicht mehr tun, dann sterben sie. – Dies alles soll durch die bewusste Verwendung des Begriffs Biografie auf den Punkt gebracht werden.

    Mit diesem Ansatz steht die vorliegende »Graz Biografie« nicht allein da. Wir können schon auf einen gewissen Trend in der »Vermenschlichung« des Blicks auf eine Stadt blicken.⁴ Auch wenn die individuell gewählten Ansätze der hier zitierten Stadtbiografien im Einzelnen differieren, so weisen sie alle eine Grundkonstante auf: Nämlich, die in der Stadt lebenden Menschen stärker in den Fokus zu nehmen. Den Stadtraum als einen solchen von Menschen gemachten wahrzunehmen, und eben diese Individuen auch in den Blick der Betrachtungen zu nehmen. Nicht als unspezifizierte Gruppe von »Stadtbürgern« – meist großen Männern, die große Entscheidungen treffen –, sondern als Einzelpersonen, die unter den spezifischen Kontexten ihrer Zeit die Stadt im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitprägen: Als Stadtbürger, als Arbeiterin, als Handwerker, als Wäscherin, als Gastwirt, als Hebamme, als Bader, als Künstlerin, als Stadtrichter, als Wissenschafterin, als Sportler, als Stadtpolitikerin …

    Methodisch ist und bleibt es ein heikles Unterfangen, eine Stadtgeschichte zu schreiben, die mehr sein will als eine Chronik. Einerseits kann und darf sich eine solche Erzählung nicht in Details verlieren, andererseits müssen die wichtigsten historischen Ereignisse, Daten und Fakten genannt werden. Auch besteht bei einer Stadtgeschichte die Gefahr, die historische Entwicklung als Singularität darzustellen; dies muss in einer Stadtgeschichte des 21. Jahrhunderts jedenfalls vermieden werden. Vielmehr ist die Einbettung in den jeweiligen Landes-, Staats- und internationalen Kontext zwingend erforderlich. Eine Stadtgeschichte der Postmoderne kann auch nicht mehr einer »großen Erzählung« aus Sicht der Herrschenden folgen.⁵ Vielmehr geht es heute darum, eine offene Erzählung anzubieten, Interpretationen zu- und manchmal Fragen unbeantwortet zu lassen. Eine möglichst breite Perspektive einzunehmen, die hegemoniale Sicht zu brechen und auch Geschichte »von unten« – besser aus der Mitte der Gesellschaft! – zu integrieren.

    Als wesentliche Stütze, um die »Diskursivität der Erzählung« zu fördern, werden im vorliegenden Band Abbildungen von Objekten und Archivalien herangezogen: Sie sollen nicht nur illustrieren, sondern auch andere Perspektiven als die im Text dargestellten zulassen. Auch wurden bewusst Abbildungen von Personen ausgewählt, die nicht der Gruppe der politisch Machtausübenden entsprangen, sondern die die Vielfalt des städtischen Lebens ausmachten.

    Stadtgeschichte kann keine Universalgeschichte dahingehend sein, dass alles erzählt wird. Stadtgeschichte muss zwangsweise auswählen und damit auch auslassen. Sie wäre sonst nicht mehr von einem oder mehreren Menschen in einem Lebensalter zu leisten, sie würde auch keine Leser*innen mehr finden. Die vorliegende Graz-Biografie versucht deshalb aus der Menge der Möglichkeiten sich auf vier Ansätze zu fokussieren: Erstens, werden die wichtigsten Ereignisse der historischen Entwicklung von Graz vor dem überregionalen Kontext dargestellt. Wann entstand die Stadt? Wie formte sie sich zu den unterschiedlichsten Zeitpunkten? Was waren ihre wichtigsten Rechtsnormen? Wer waren ihre wichtigsten Vertreter*innen? Welche Möglichkeiten zur Mitgestaltung ihrer Bewohner*innen gab es zu den verschiedenen Zeitpunkten? Welche Rolle spielte die Stadt im steirischen, österreichischen und europäischen Kontext? Was waren die Hauptproduktionsbereiche, die das ökonomische Überleben der Stadtbewohner*innen sicherten?

    Zweitens, sollen jene Menschen zu ihrer Zeit dargestellt werden, die die Entwicklung von Graz mitgestalteten. Aus welchen gesellschaftlichen Gruppen kamen die Personen? Wie konnten sie sich einbringen? Woher kamen überhaupt die Einwohner*innen? Wohin gingen sie, wenn sie in größerer Zahl die Stadt verließen (verlassen mussten)?

    Drittens, soll die Ausgestaltung des Stadtraumes durch die verschiedenen Akteur*innen in den Blick genommen werden. Wer hatte die Möglichkeit zu bauen? Warum wurde wie gebaut? Für wen wurde gebaut? Welche kulturellen Bezüge wurden bei der Ausformung der Bauwerke hergestellt? Wie wurden die wichtigsten Probleme der Daseinsvorsorge (Lebensmittel-, Wasser-, Energieversorgung und Emissionsentsorgung) städtebaulich bewältigt?

    Viertens, soll dem Alltag der hier lebenden Menschen nachgeforscht werden. Welchen Glauben hatten die Menschen (Religion)? Woran erfreuten sie sich (Kunst und Kultur)? Wie gingen sie mit dem Problem der räumlichen Enge und der daraus folgenden Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit um (Sport)? Wie legten sie die Wege innerhalb der Stadt, aber auch über die Stadtgrenzen hinweg zurück (Transport)?

    Graz hat das Glück, seit der Universitätsgründung unter Erzherzog Karl II. 1585 (fast) durchgehend Wissenschafts- und Bildungsstadt zu sein. Insbesondere seit dem 19. Jahrhundert verdichtete sich die Anzahl der Institutionen und Personen,⁶ die damit zur Grazer Stadtgeschichte forschten, lehrten und publizierten. Entsprechend vielfältig ist die wissenschaftliche Literatur zur Stadtgeschichte von Graz.⁷ Entscheidend zur Weiterentwicklung der Aufarbeitung der Quellen, aber auch zur Darstellung in Ausstellungen und Publikationen haben Kustod*innen, Kurator*innen und Archivar*innen der in der Stadt beheimateten Museen und Archive beigetragen. Alle Epochen der Entwicklung von Graz wurden erforscht, auch wenn es zu gewissen Zeitabschnitten großes Potenzial für neuere Forschungen gäbe, die ich versucht habe für diesen Band zu synthetisieren. Nur in Ausnahmefällen habe ich durch neue Quellen ergänzt, überwiegend konnte ich mich auf das Publizierte verlassen: Gleichsam wie »nanos gigantum humeris insidentes« (»Zwerge auf den Schultern von Riesen sitzend«). Wenn dies nicht immer gelungen ist, so bitte ich um Nachsicht, dafür umso freundlicheren Hinweis, sodass etwaige Abweichungen von der gewählten Darstellung bei einer Folgeauflage berücksichtigt werden können.

    Denn: Das Ziel der Publikation war es, die Stadtgeschichte von Graz nicht neu zu erfinden, sondern einen konzisen Überblick für ein breites Publikum zu verfassen. Angereichert mit Fragestellungen aus der Gegenwart, sollte der Kontext der Vergangenheit erläutert werden.

    Ganz im Sinne der schon seit einigen Jahrzehnten in der Geschichtswissenschaft gepflegten Herangehensweise, dass die Ausgestaltung des Naturraumes einen immanenten Bestandteil der historischen Analyse ausmacht, sollen auch an dieser Stelle die wichtigsten naturräumlichen Aspekte von Graz in Erinnerung gerufen werden.⁸ Graz ist bis heute davon geprägt, als Siedlung in einem Becken zu liegen: Das Grazer Becken selbst wird ziemlich mittig durchschnitten von der Mur, in die insbesondere von den nördlichen und östlichen Hügelketten Entwässerungsbäche fließen (Andritzbach, Schöcklbach etc.); einziger größerer Entwässerungsbach aus dem Westen ist der Thalerbach. Dieses reiche Wasservorkommen bot den Vorteil, genügend Trinkwasser, aber auch Wasser zur wirtschaftlichen Nutzung und Landwirtschaft zu haben. Andererseits ist der Wasserreichtum für die hier lebenden Menschen auch Gefahr: Hochwasser ist bis heute ein ständiger Begleiter, wenn auch durch neue technische Methoden bereits stark abgemildert.⁹

    Das Grazer Becken wird umgürtet durch eine fast vollständige Hügelkette, die im Norden mit den südlichen Ausläufern der Hohen Rannach (1018 m) und des Schöckls (1445 m) beginnt, sich im Osten fortsetzt über den Lineckberg, die Platte (651 m), Hönigtal, Laßnitzhöhe, den Hühnerberg, im Süden begrenzt wird durch den Wildoner Buchkogel (550 m), den Demmerkogel und den Kaiserwald, dann im Westen durch die Hügelkette vom Florianiberg, den Buchkogel bis zum Plabutsch (754 m) abgeschlossen wird. Im Nordwesten steht noch ein Sporn zwischen Thalerbach und Murtal hinein, dessen höchster Punkt die Reinerspitze (745 m) ist. In der Mitte des Beckens erhebt sich mit dem Schloßberg ein Dolomitfelsen (474 m). Zu erwähnen ist auch noch der Schieferfelsen Austein (Kalvarienberg), der durch sein charakteristisches Aussehen und seine Lage entlang der Mur eine wichtige Rolle in der Stadtgeschichte spielte.

    Von den Ausläufern der umliegenden Hügelketten senkt sich das Grazer Becken terrassenförmig in Richtung Mur. Diese Terrassen stellen auch die vor Hochwässern geschützten Bereiche dar. Die direkt entlang des Flussufers liegenden Zonen sind Schotterbänke, die sich im Süden vor allem als Aulandschaften ausprägten, von denen heute nur noch wenige erhalten sind.

    Die Lage des Grazer Beckens vor den Alpen bedeutet eine klimatische Begünstigung. Andererseits bewirkt die Kessellage in den Herbst- und Wintermonaten häufig Inversionswetterlagen, in denen sich lange Hochnebelschichten halten können, die den Luftaustausch hemmen.

    Heute umfasst das Grazer Stadtgebiet nur etwa das erste obere Drittel des Grazer Beckens. Die südlichen zwei Drittel bilden andere Gemeindegebiete wie jene von Seiersberg-Pirka, Feldkirchen/Graz, Gössendorf, Raaba-Grambach, Hausmannstätten, Kalsdorf/Graz, Premstätten, Wundschuh, Werndorf und Fernitz-Mellach.

    Vorab seien auch einige Anmerkungen zu sprachlichen Regelungen der Graz-Biografie vorangestellt: Begrifflich orientiere ich mich an der von Ernst Hanisch vorgeschlagenen Begriffsbestimmung für soziale Schichten und Klassen einer Gesellschaft. Er wiederum stützt sich auf Max Weber und Karl Marx, wenn er in seiner Gesellschaftsgeschichte Österreichs im 20. Jahrhundert die Bourgeoisie/das Wirtschaftsbürgertum, die Arbeiter*innenschaft, den Adel, die Bauern und Bäuerinnen, das Gewerbe und die Angestellten definiert.¹⁰ All diese Kategorien dürfen natürlich nicht als abgegrenzte Personengruppen verstanden werden, zwischen denen es weder Austausch noch Übertritt geben konnte. Gerade das stellt das Charakteristikum der Stadt dar, dass durch Bildung und ökonomischen Erfolg ein Aufstieg möglich war – der Abstieg oft viel leichter. Da aufgrund der strengen Bindung der Gruppen an Besitzverhältnisse und der homogenisierenden Form der Gruppenkulturen im Verlauf der Geschichte diese Gesellschaftsgruppen sehr wirkmächtig in Erscheinung treten, wurden die Begriffe auch in diesem Band verwendet. Personen, die Gruppen angehörten, die nicht dieser Kategorisierung entsprachen (oder sich bewusst widersetzten), werden versucht in ihrem Zeitkontext zu beschreiben.

    Im gesamten Band wird der Begriff Stadtbürger*in angewandt. Wann jemand in Graz zum*r Stadtbürger*in werden konnte, hatte unterschiedliche rechtliche und gesellschaftliche Voraussetzungen. In der mittelalterlichen Stadt zählten zu den Stadtbürgern nur jene, die besitzend, ein Gewerbe treibend, politisch und gesellschaftlich einflussreich waren – es waren ausschließlich Männer. Frauen konnten im Falle der Abwesenheit oder des Todes des Haushaltsvorstandes nur gewisse Teile dieser Rechte in Anspruch nehmen, waren aber nie tatsächlich Stadtbürgerinnen. Auch wenn Frauen aus stadtbürgerlichen Familien mehr Möglichkeiten zugesprochen bekamen oder in Anspruch nahmen, so wird der Begriff bis 1848 nicht gegendert. Erst mit der Einführung des Gemeinderechtes des zuerst provisorischen Stadtstatuts 1850 waren Stadtbürger*innen nicht mehr aufgrund ihres Geschlechtes, sondern aufgrund ihres Heimatrechtes definiert. Sie hatten unterschiedliche Pflichten und Rechte gegenüber ihrer »Heimatgemeinde«. Damit war die Zeit der gesetzlichen Benachteiligung von Frauen noch nicht vorbei, jedoch war es Frauen nun statuarisch möglich, Stadtbürgerinnen zu sein. Wird die Gesamtheit der in der Stadt dauerhaft lebenden Menschen gemeint, egal zu welchem Zeitpunkt, so wird der Begriff (Stadt-)Bevölkerung, Stadtbewohner*innen oder Einwohner*innen verwendet.

    Dem gleichen Muster folge ich bei den geschlechtsspezifischen Formulierungen anderer, meist an Berufe gebundener Begriffe: Um kontrafaktischen Missverständnissen vorzubeugen, wird ein geschlechtsneutraler Begriff nur dann verwendet, wenn gesichert nachgewiesen werden kann, dass im jeweiligen Kontext tatsächlich auch Frauen Handelnde beziehungsweise Betroffene sein konnten. Beispielsweise Flößer, die im Falle der Grazer Stadtgeschichte, soweit bisher bekannt, ausschließlich Männer waren; hingegen war der Beruf der Wäscherinnen in Graz ausschließlich eine weibliche Tätigkeit – diese Begriffe zu gendern, würde zwangsweise zu einer Verdrehung der historischen Gegebenheiten führen. Bei den Schlossern und Schlosserinnen hingegen gibt es, durch Studien nachgewiesen, seit dem 17. Jahrhundert eindeutig sowohl Männer wie auch Frauen.¹¹ Insofern spiegelt die jeweilige Verwendung den aktuellen Forschungsstand – beziehungsweise meine bescheidene Kenntnis davon – wider: Wenn es hier nach Ansicht des*der Leser*in zu fälschlichen Zuordnungen gekommen sein kann oder es neue Forschungsergebnisse gibt, so bitte ich um einen freundlichen Hinweis.

    Abschließend noch zur Verwendung der Schreibweise von Ortsnamen: Im Text wird durchgehend die deutsche Schreibweise von Ortsbezeichnungen angewandt. Bei erster Nennung wird auch auf eine etwaige heutige andere sprachliche Ausformung hingewiesen, wie beispielsweise bei Marburg/Maribor oder Pettau/Ptuj, in weiterer Folge aber der deutsche Ausdruck beibehalten.

    Graz im September 2022

    1

    Vor der Stadt 5. Jahrtausend v. Chr. bis 13. Jahrhundert n. Chr.

    Georg Tiefengraber

    Seit rund einer halben Million Jahren ist die Präsenz früher Menschen in Europa nachweisbar.¹ Diese führten als Jäger- und Sammlergruppen ein nomadisches Dasein, das sich an den Wanderungen von Rentier, Bison, Ur, Wollnashorn oder Mammut ausrichtete.² Innerhalb dieses langen Zeitraumes hatte sich der Mensch auf permanent schwankende klimatische Verhältnisse in einer Abfolge von Kalt- und Warmzeiten einzustellen. Es spricht für die Anpassungsfähigkeit des Menschen, insbesondere der »Erfolgsmodelle« Homo erectus und Neandertaler, dass diese mitunter schwierigsten Bedingungen bewältigt wurden. Diese frühen Menschen zogen in Gruppen der Jagdbeute hinterher, ihre materiellen Hinterlassenschaften finden sich demzufolge in erster Linie in entsprechenden Lagerplätzen und Jagdstationen, die vor allem durch große Mengen an Tierknochen und Abfällen der Steingeräteherstellung gekennzeichnet werden. Gerade die Abschlagsteingeräte lassen im Laufe der Altsteinzeit eine beachtliche technologische Entwicklung erkennen, die vom Faustkeil zum kleinformatigen, oft nur wenige Zentimeter großen Mikrolithen des Spätpaläo- und Mesolithikums führt.

    Eine weitere wichtige Quelle für paläolithische Funde sind Höhlen, in denen sich oft über Jahrtausende mächtige Schichten gebildet haben. Im Zusammenhang mit den Höhlenfundplätzen sind natürlich die zahlreichen berühmten Bilderhöhlen in Frankreich oder Spanien hervorzuheben.³ Aus dem heutigen Grazer Stadtgebiet sind bislang keine konkreten Funde von paläolithischen Artefakten bekannt.⁴ Grundsätzlich war das Gebiet aufgrund seiner naturräumlichen Gegebenheiten für Jäger- und Sammlergruppen durchaus attraktiv, spätere geologische Prozesse und Überprägungen werden allerdings die meisten potenziellen Fundstellen überlagert oder auch zerstört haben. Wendet man den Blick allerdings nur wenige Kilometer weiter nach Norden in das Gebiet des Grazer Berglandes, so stellt sich dieses sogar als eine der bedeutendsten paläolithischen Höhlenfundstellenlandschaften europaweit dar.⁵ Zu erwähnen sind hierbei etwa die Große Badlhöhle, die Lurgrotte,⁶ die Zigeunerhöhle⁷ oder die Repolusthöhle, die die bislang ältesten datierten Nachweise der Anwesenheit des Menschen in der Steiermark erbracht haben.⁸

    1.1Karte: Ausgewählte, im Text erwähnte archäologische Fundstellen im Grazer Stadtgebiet.

    Die Informationen werden auf einer aktuellen Karte im Stile eines Schwarz-Plans eingetragen. Zur Orientierung werden wichtige Landmarks aus dem Stadtgebiet sowie Geländestrukturen ergänzt.

    Pleistozäne Fauna ist auch an einer Stelle im Grazer Stadtgebiet bekannt geworden, ohne dass dort allerdings bis dato Hinweise auf eine Anwesenheit des paläolithischen Menschen vorliegen würden. So berichtet Vinzenz Hilber, dass bereits im 19. Jahrhundert bei der sogenannten Einsiedelei-Höhle in Eggenberg bei Grabungen im lehmigen Hangbereich zuerst durch den Pächter, Herrn Elmer, Pferdezähne und Knochen eines großen Rindes gefunden worden sind, danach konnte ein gewisser Herr Drugćević sogar eine Zahnlamelle eines Mammuts bergen.⁹ Diese Funde bewogen schließlich Friedrich Pichler, den seinerzeitigen Leiter des archäologischen Kabinetts der Karl-Franzens-Universität Graz und Vorstand des 1869 gegründeten »Münz- und Antikenkabinetts« des Joanneums, zur Aufgrabung des ganzen Abhanges. Dabei wurden weitere vermutlich pleistozäne Pferde- und Rinderreste aufgesammelt, die in der »gleichen Tiefe von der Oberfläche über einen alten Abhang verstreut lagen«.¹⁰ Über mögliche paläolithische Steinartefakte ist aber nichts bekannt geworden. Nichtsdestotrotz gilt der Bereich der Einsiedelei weiterhin als potenzielle paläolithische Fundstelle, in der ein Lager oder eine Station möglich wäre. Ähnliches kann vielleicht auch noch für die Schloßberg-Höhle (am südlichen Abhang des Schloßberges, Sporgasse/Sackstraße) in Erwägung gezogen werden. In der Ebene des zentralen Grazer Beckens selbst sind durch die mächtigen jüngeren Überlagerungen wohl nur wenige Möglichkeiten zur Erhaltung beziehungsweise zur Auffindung von paläo- oder gar mesolithischen Freilandstationen gegeben.¹¹

    Neolithikum (ca. 4600–4300 v. Chr.)

    Um die Mitte des 10. Jahrtausends v. Chr. vollzieht sich im Bereich des sogenannten »Fruchtbaren Halbmondes« (umfasst in einem Bogen etwa die Levante, die Süd- und Südosttürkei, Nordsyrien, Nordirak und den Nordwestiran) ein für die weitere Entwicklung der Menschheitsgeschichte bedeutender Schritt, der Übergang vom Jäger- und Sammlertum zur Sesshaftigkeit.¹² Dabei handelte es sich um einen über mehrere Jahrhunderte andauernden Prozess, der schließlich zur ortsgebundenen Errichtung von Dörfern und Siedlungen führte. Die Einführung von Ackerbau und Viehzucht bedeutete gleichzeitig einen entscheidenden Wandel im Vergleich zum davor gepflegten nomadischen beziehungsweise halbnomadischen Lebensmodell. Dass dieser Wandel in der Subsistenz nicht immer erfolgsgekrönt war, sondern zweifelsohne immer wieder mit Rückschlägen durch ausbleibende Ernten oder negative Wettereinflüsse zu kämpfen hatte, liegt auf der Hand. Nichtsdestotrotz setzt sich diese neue Lebensweise spätestens im 8. Jahrtausend v. Chr. in weiten Bereichen Vorder- und Kleinasiens sowie der Levante fort. Mit der Sesshaftigkeit sind nicht nur erhebliche Veränderungen in der Gesellschaft und im sozialen Gefüge verbunden, sondern auch im kultisch-religiösen Bereich. Der vermeintlich schlagartige Prozess der Sesshaftwerdung, der mit der Domestikation von Wildpflanzen und Wildtieren, wie Schaf und Ziege sowie danach dem Rind, verbunden ist, wurde mitunter auch als »Neolithische Revolution« bezeichnet. Vielmehr jedoch bietet sich der Begriff der »Neolithischen Evolution« zur Beschreibung dieses Prozesses an. Wichtig ist auf jeden Fall, dass sich dieses neue »Lebensmodell« in den folgenden Jahrhunderten etappenweise weiter ausbreitet und spätestens im 6. Jahrtausend den Südosten Europas und über den Seeweg Teile des Mittelmeeres erfasst. Von hier aus setzt sich der Prozess der Neolithisierung sukzessive nach Norden in den mitteleuropäischen Bereich fort.¹³ Getragen wird diese von Südosten her erfolgende Expansion vor allem von Personengruppen, zuerst der sogenannten Starčevo-Kultur im westlichen Balkanraum und danach von der nach der hinlänglich bekannten Linearbandkeramik benannten Kultur, mit der der zentraleuropäische Raum erschlossen wird.¹⁴

    Erst im 5. Jahrtausend v. Chr. lassen sich erste Nachweise für eine neolithische beziehungsweise jungsteinzeitliche Besiedlung auf dem heutigen steirischen Gebiet belegen.¹⁵ Es verwundert dabei nicht, dass die ältesten Fundstellen in der östlichen Oststeiermark am Übergang zu der schon seit geraumer Zeit davor von neolithischen Gruppen besiedelten pannonischen Tiefebene mit ihren fruchtbaren Lössböden liegen (z. B. Hofstätten bei Bad Gleichenberg und Schiefer bei Fehring).¹⁶ Der mittelsteirische Voralpenbereich mitsamt dem Grazer Becken wird von dieser frühen Erstbesiedlung (Starčevo-Kultur und jüngere Linearbandkeramik) noch nicht tangiert. Knapp vor der Mitte des 5. Jahrtausends kommt es aber schließlich im Zuge der Westexpansion der bereits als mittelneolithisch einzustufenden Lengyel-Kultur zu einer sukzessiven und anfangs zweifelsohne noch sehr spärlichen Aufsiedlung des Voralpengebietes und auch der inneralpinen Beckenlandschaften. Infolge dieser Besiedlung durch kleine Gruppen von Ackerbau und Viehzucht Treibenden wurden erste Rodungsinseln angelegt. Diese ersten Siedlungen wurden nicht nur in der Ebene oder auf siedlungsgünstigen Hochterrassen angelegt, sondern finden sich auch auf durchaus exponierten Höhen und Kuppen. In Hinblick auf die größtenteils unkontrollierte flächige Verbauung der Ebene im heutigen Grazer Stadtgebiet verwundert es deshalb nicht, dass gesichert als solche ansprechbare neolithische Funde bislang lediglich von Höhensiedlungen bekannt geworden sind, aus der Ebene fehlen hingegen (noch) Nachweise. Anzuführen sind in erster Linie noch unpublizierte Scherbenfunde von der kleinen Höhensiedlung bei der Kirche St. Johann und Paul,¹⁷ die auf einer der zahlreichen Kuppen des langgestreckten Höhenzuges am Westrand des Grazer Beckens liegt. Weitere Keramikfunde der mittelneolithischen Lengyel-Kultur liegen von der bedeutenden mehrphasigen Höhensiedlung auf dem heute durch den Kalkabbau weitestgehend zerstörten Kanzelkogel an der nördlichen Engstelle des Grazer Beckens vor.¹⁸ Mit weiteren mittelneolithischen Höhensiedlungen auf den das Grazer Becken im Westen, Norden und Osten einfassenden Hügelzügen darf auf jeden Fall gerechnet werden, der Nachweis wird allerdings erst zu erbringen sein. Grundsätzlich zeichnet sich schon jetzt klar ab, dass eher kleine, abgesetzte Kuppen, die von Natur aus eine gewisse Schutzfunktion boten, bei der Anlage dieser mittelneolithischen Siedlungen bevorzugt wurden.

    Dass wohl auch in der siedlungsgünstigen Ebene mit zeitgleichen Siedlungen gerechnet werden darf, vermögen vor allem Einzelfunde von Steinbeilen und Rundnackenäxten aus attraktivem grünem Serpentin beziehungsweise Serpentinit aufzuzeigen, die an mehreren Stellen des Grazer Stadtgebietes durch Zufall zutage getreten sind. Soweit derzeit beurteilbar, begegnen diese auffälligen geschliffenen Grünsteingeräte im Südostalpenraum primär in Siedlungen der Lengyel-Kultur.¹⁹ Das mittelneolithische Fundgut aus dem Grazer Stadtgebiet ist zwar weiterhin nur sehr spärlich vertreten, es ermöglicht aber anhand der Gefäßkeramikfragmente zumindest eine eindeutige Kulturgruppenzuweisung. So lassen sich als charakteristische Formen der im älteren Schrifttum oftmals auch als »Bemaltkeramik« bezeichneten Lengyel-Kultur primär Bruchstücke von profilierten Schüsseln und Fußschüsseln mit hohen, zylindrischen Hohlfüßen ausmachen, die mitunter noch Reste einer roten Bemalung beziehungsweise eines roten Überzuges erkennen lassen. Einzelne dünnwandige Becherbruchstücke sind anzuschließen, ebenso Fragmente von sogenannten Buttengefäßen, einer für die Lengyel-Kultur charakteristischen Topfform mit eigentümlichen, nach oben hin spitz zulaufenden Henkeln. Eine feinchronologische Einordnung innerhalb der Lengyel-Kultur ist anhand der wenigen aussagekräftigen Grazer Funde nur bedingt möglich, doch scheint es sich – analog zur Situation am wesentlich besser erforschten Wildoner Schloßberg – um Funde aus der Mittel- und Spätphase dieser Kulturgruppe aus der Zeit zwischen etwa 4600−4300 v. Chr. zu handeln.²⁰ Zum Zeitpunkt ihrer größten Verbreitung umfasste das Siedlungsgebiet der Lengyel-Kultur einen Bereich von Oberösterreich und Mittelkärnten im Westen, Südpolen im Norden, Zentralslowenien beziehungsweise Slawonien im Süden und Südosten bis an den Karpatenrand im Osten.²¹

    1.2Rundnackenaxt aus Graz-Puntigam/Wagram, 5./4. Jahrtausend v. Chr. Die Steinaxt wurde im Jahr 1937 vom Oberlehrer Tomanitsch aus Feldkirchen im Tauschweg erworben. Über die genauen Auffindungsumstände liegen keine Angaben vor. Das Stück ist oben sowie unten gleichmäßig abgerundet und hat an der Ober- sowie Unterseite eine Mittelrille.

    Spätneolithikum und Kupferzeit (4300–2500 v. Chr.)

    Schon im 6. Jahrtausend v. Chr. lässt sich im Bereich der Balkanhalbinsel die rasche Entwicklung einer eigenständigen Kupfermetallurgie nachweisen.²² An mehreren Stellen konnten beeindruckende untertägige Abbauspuren der frühen Bergleute auf Kupfererz dokumentiert werden. Die berühmtesten kupferzeitlichen Abbaureviere sind beispielsweise in Rudna Glava nahe Majdanpek in Ostserbien und in Ai Bunar bei Stara Zagora in Bulgarien bekannt geworden. Anders etwa als im Vorderen Orient, wo die (kalte) Verarbeitung von Kupfer schon in den Jahrtausenden davor bekannt war, bildete sich auf der Balkanhalbinsel vor allem auf dem Gebiet der Vinča-Kultur eine hochentwickelte schmelzmetallurgische Kupferproduktion aus.²³ Von hier aus finden Kupferartefakte, vor allem verschiedene Gerätschaften (Äxte, Beile, Ahlen, Pfrieme etc.), über weite Bereiche Europas Verbreitung. Das Aufkommen der Kupfermetallurgie bringt aber auch eine Spezialisierung von Handwerker*innen auf diese neue Technologie mit sich, die mit Veränderungen im sozialen Gefüge verbunden sind. Der weiträumige Handel erhält durch den Austausch von Kupferartefakten wichtige Impulse. Aufgrund der Seltenheit von Kupfergerätschaften weisen diese ihre Besitzer*innen als herausragende Personen innerhalb der einzelnen Gesellschaften aus, sie stellen somit ausgesprochene Prestigeobjekte und auch Machtsymbole dar.

    Im Südostalpenraum und den angrenzenden Gebieten scheint nach derzeitigem Kenntnisstand erst frühestens im letzten Viertel des 5. Jahrtausends v. Chr. mit einer eigenständigen Kupfermetallurgie zu rechnen zu sein. Aus der Steiermark liegen konkrete Hinweise dafür allerdings erst für die erste Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. vor.²⁴ In der Zeit um 4300 v. Chr. entwickeln sich aus der Lengyel-Kultur mehrere regional differenzierbare, bereits als frühkupferzeitlich eingestufte Kulturgruppen. Diese lassen zwar auf den ersten Blick zahlreiche Ähnlichkeiten in ihren materiellen Hinterlassenschaften erkennen, doch scheinen jeweils unterschiedliche benachbarte Kulturgruppen wesentliche Impulse zu deren spezifischen Ausprägungen geliefert zu haben. Aufgrund desselben kulturellen Substrates werden diese epigonen Kulturgruppen als sogenannter Epi-Lengyel-Komplex zusammengefasst, der verschiedene regionale Kulturgruppen umschließt. Diese lassen sich vor allem anhand von (zumeist nur geringen) Unterschieden in den Formen und Verzierungen ihrer Keramikgeschirrserien ausmachen. Im Bereich des heutigen Süd- und Südostösterreichs, Zentral- und Nordsloweniens, Westkroatiens und Westungarns entwickelt sich demzufolge die sogenannte Lasinja-Kultur (ca. 4300–3900 v. Chr.) aus der vorangegangenen Lengyel-Kultur. Auch die Lasinja-Kultur weist wieder mehrere regionale Untergruppen auf.²⁵ Letztere definieren auch die frühkupferzeitlichen Fundstellen in der mittleren Steiermark inklusive des Grazer Beckens. Anhand von Gefäßkeramik-Streufunden sind zahlreiche kleine Höhensiedlungen bekannt geworden, die sich vor allem auf die das Grazer Becken umfassenden Kuppen der im Westen, Norden und Osten umliegenden Hügelzüge konzentrieren und nunmehr eine merkliche Verdichtung der Besiedlung am Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. bezeugen. Im Bereich der schon im Mittelneolithikum erstmals besiedelten Kuppe, die heute die Kirche St. Johann und Paul trägt, konnten Reste von zwei Gebäuden in Pfostenbauweise untersucht werden.²⁶ Offenkundig wurde die bereits im Mittelneolithikum auf und rund um diese Hügelkuppe angelegte Rodungsinsel im Spätneolithikum beziehungsweise in der Kupferzeit ohne erkennbaren Abbruch weiter genutzt und besiedelt. An Funden sind der Lasinja-Kultur charakteristische Keramikfragmente, tönerne Spinnwirteln und Tonspulen, Tonlöffel und zwei Tonstempel, aber auch Steingeräte zuzuschreiben. Unter den geschliffenen Steingeräten finden sich etwa ein Steinhammer und ein Flachbeil, an geschlagenen Steingeräten (sogenannten Abschlaggeräten) aus Silex eine dreieckige Pfeilspitze, Klingen, Kernstücke und Absplisse als Produktionsabfall, die eine Herstellung von Silexgeräten vor Ort belegen. An dieser Stelle darf zwischenzeitlich erwähnt werden, dass ein hellgrauer »Hornstein« als bevorzugtes Rohmaterial für diese kupferzeitliche Abschlagindustrie verwendet worden war, für den eine Herkunft aus dem Bereich um Rein, ca. 15 km nördlich von Graz, eruiert werden konnte. Dort wurde dieser Stein bemerkenswerterweise bereits untertägig in Schächten in Form von Platten abgebaut.²⁷ Artefakte, die aus diesem markanten Reiner Plattensilex gefertigt wurden, finden sich sogar noch in über 100 Kilometer entfernt gelegenen Fundstellen, was seine Bedeutung als Handelsgut zeigt.

    Ein reiches Konvolut an Funden der Lasinja-Kultur konnte im Zuge aufwändiger Rettungsgrabungen auch vom Kanzelkogel am Nordrand des Grazer Beckens geborgen werden.²⁸ Weitere Streufunde der Lasinja-Kultur liegen von einer Reihe weiterer Kuppen der das Graz Becken einfassenden Hügelzüge vor, wie etwa von der kleinen Höhensiedlung am sogenannten Himmelreich in Wenisbuch,²⁹ der – wohl zu einem unbekannten späteren Zeitpunkt befestigten – Höhensiedlung auf dem Reinerkogel,³⁰ der durch die Überbauung weitestgehend zerstörten Höhensiedlung auf dem Grazer Kalvarienberg, dem Kollerberg in Baierdorf, einer Höhensiedlung nahe der Ruine Gösting sowie vom Buchkogel in Webling und dem (ebenfalls erst später befestigten) Florianiberg bei Straßgang.³¹

    Eine der wenigen bislang erfassten Ausnahmen hinsichtlich ihrer topografischen Lage stellt eine Siedlungsstelle in Oberandritz dar, die in der Ebene liegt.³² Diese ist allerdings erst anhand von Oberflächenfunden bekannt geworden, sodass über die tatsächliche Ausdehnung und Größe sowie die zeitliche Tiefe der Siedlung nur eingeschränkte Aussagen möglich sind. Es deutet sich aufgrund der Streuung der Funde derzeit an, dass ursprünglich in geringer Entfernung zueinander mehrere kleine frühkupferzeitliche Gehöfte existierten. An aufgelesenen Funden überwiegen diverse Steinartefakte, wie etwa Klingen, Kratzer, Kernsteine und Absplisse, die klar auf eine lokale Herstellung von Abschlagsteingeräten hinweisen. Der dominierende Rohstoff für diese Geräte ist der oben bereits erwähnte hellgraue Plattensilex aus dem Reiner Bereich. Wenngleich an dieser Siedlungsstelle bislang noch keine gezielten archäologischen Ausgrabungen durchgeführt worden sind, so kann sie als ein unmissverständlicher Beleg dafür erachtet werden, dass mit einer ursprünglich erheblich höheren frühkupferzeitlichen Siedlungsdichte im Flachland gerechnet werden muss. Spätere, vor allem rezente Überbauungen haben aber wohl bereits den allergrößten Teil dieser Siedlungen zerstört – diese Feststellung gilt im Übrigen leider für fast alle Siedlungen in der Ebene.

    Obwohl die Lasinja-Kultur grundsätzlich der Frühkupferzeit zugerechnet werden kann, fehlen weiterhin jegliche Hinweise auf schmelzmetallurgische Aktivitäten in der gesamten Steiermark. Die Lasinja-Kultur stellt in ihrer Subsistenz somit weiterhin eine rein auf Ackerbau und Viehwirtschaft beruhende Erscheinung dar. Um 3900 v. Chr. wird die Lasinja-Kultur schließlich von einer Kulturgruppe abgelöst, die insbesondere anhand einer nunmehr neu in Mode kommenden, eigentümlichen Gefäßkeramikverzierungstechnik erfasst werden kann, dem sogenannten Furchenstich.³³ Dabei handelt es sich um eine spezielle Art einer Gefäßdekoration, bei der feine keilförmige Einstiche eng aneinandergereiht in den noch lederharten Ton eingetieft werden. Zumeist werden ganze Bündel von parallelen geometrischen oder kurvolinearen Einstichreihen zu umfangreicheren Mustern arrangiert, die mitunter größere Partien der Gefäße bedecken können. So finden sich beispielsweise auch hängende Dreiecke, hakenförmige Bündel und auch spiral- oder sonnenförmige Motive. Diese Verzierungstechnik lässt sich weitgehend zeitgleich bei einer ganzen Reihe von Kulturgruppen in Mittel- und Osteuropa nachweisen, wobei die relevanten Funde aus dem Südostalpenraum primär der sogenannten Retz-Gajary-Gruppe (ca. 3900–3600 v. Chr.) zugewiesen werden können. Das Verbreitungsgebiet dieser Kulturgruppe entspricht in groben Zügen dem der vorangegangenen Lasinja-Kultur, wobei aber ein Ausgreifen im Norden bis in das slowakische Gebiet und im Südwesten bis in den slowenischen Karst evident ist. Erneut finden sich innerhalb des Grazer Stadtgebietes furchenstichverzierte Keramikfunde in erster Linie auf den schon seit dem Mittelneolithikum beziehungsweise der Frühkupferzeit besiedelten, das Grazer Becken umgebenden Höhenkuppen. Vom Grazer Schloßberg als zentraler Erhebung innerhalb des Beckens sind interessanterweise noch keine Fundstücke der Furchenstichkeramik bekannt geworden. Eine wichtige Fundstelle der Retz-Gajary-Gruppe stellt hingegen der schon mehrfach erwähnte Kanzelkogel dar.³⁴ Aus dem großen Konvolut an Funden, das zum überwiegenden Teil aus vom Gipfelbereich aberodierten Abraumhalden stammt, liegen neben furchenstichverzierten Scherben auch erstmals Hinweise auf frühkupferzeitliche Metallurgie vor. So wird von Schlacken und Gusstiegelbruchstücken berichtet, einige wenige Kupferartefakte (Ahle, Pfriem und Hakenspirale) sind wohl ebenfalls in den furchenstichverzierten Horizont einzuordnen. Anhand der spezifischen Verzierung einzelner Keramikgefäße konnten bislang nicht weiter spezifizierbare Verbindungen in den nördlichen Voralpenbereich in das Verbreitungsgebiet der sogenannten Mondseekultur angedeutet werden. Diese Kultur ist vor allem durch ihre »Pfahlbau«-Siedlungen in den Uferbereichen verschiedener oberösterreichischer Seen bekannt geworden.³⁵

    Es gilt im Zusammenhang mit der Retz-Gajary-Gruppe allerdings den Blick noch einmal auf das Grazer Stadtgebiet zu werfen: Abgesehen von den schon erwähnten Höhensiedlungen haben zudem die großflächigen Ausgrabungen in den Jahren 2003–2004 im Bereich des Pfauengartens und des Karmeliterplatzes kupferzeitliche Funde erbracht. Darunter befand sich auch eine knapp über 20 cm große tönerne Statuette in Form einer stark stilisierten weiblichen Gestalt, die mit Furchenstichverzierung versehen war.³⁶ Mittels des Furchenstiches wurde offenbar die einstmals reich verzierte Kleidung der Dame angedeutet. Bruchstücke von fast ident geformten und verzierten derartigen Statuetten, sogenannten Idolen, wurden bereits vor Jahrzehnten knapp südlich von Graz am Raababerg in Raaba gefunden. Diesem Typ ist die von den Ausgräbern seinerzeit humorvoll als »Graziella« benannte Statuette zuzuweisen, sie liefert darüber hinaus auch eine Vorstellung vom vollständigen Aussehen derartiger Idole. Über ihre einstige Funktion kann eigentlich nur gemutmaßt werden; eine kultisch-religiöse Funktion, etwa als Abbild einer Göttin, ist naheliegend, jedoch nicht zwingend beweisbar. Auf jeden Fall vermag »Graziella« Hinweise auf komplexe spirituelle Vorstellungen in der frühen Kupferzeit zu liefern.

    Für die mittlere Kupferzeit, die immerhin die gesamte zweite Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. einnimmt, lassen sich nur einige wenige Keramikstreufunde aus dem Grazer Stadtgebiet namhaft machen. Diese Armut an Fundstücken aus dem mittleren Abschnitt der Kupferzeit spiegelt ein im gesamten Südostalpenraum beobachtbares Phänomen eines merklichen Rückgangs der Besiedlungsdichte wider. Gesicherte mittelkupferzeitliche Funde liegen bislang lediglich vom Grazer Schloßberg und vom Reinerkogel vor. Insbesondere die wenigen Funde vom Schloßberg lassen Ähnlichkeiten mit zeitgleichen Funden der sogenannten Boleráz-Gruppe und der sogenannten Stare gmajne-Gruppe erkennen.³⁷ Die mittel- bis spätkupferzeitlichen Keramikfunde vom Reinerkogel wurden mit der sogenannten Chamer Gruppe beziehungsweise der sogenannten »alpinen Leistenkeramik« in Zusammenhang gebracht.³⁸ In den letzten Jahren hat sich im Südostalpenraum die Anzahl an Fundstellen merklich vermehrt, die derartige Keramikfunde erbracht haben. Deren primäres Verbreitungsgebiet war bislang hauptsächlich im nordwestlichen Voralpenbereich (Bayern, Salzburg und Oberösterreich) lokalisiert worden. Ob diese Verdichtung an Fundstellen im Südosten mit verstärkten Handelsbeziehungen in inneralpine Gebiete und den Voralpenbereich in Zusammenhang zu bringen ist, oder ob eine verstärkte Prospektion auf Kupfererze zu diesen Kontakten geführt haben mag, muss derzeit noch unbeantwortet bleiben. Anhand der weiterhin nur wenigen, eindeutig bestimmbaren Stücke lassen sich verständlicherweise aber keine weiteren Schlüsse zur mittelkupferzeitlichen Besiedlung des Grazer Beckens ziehen.

    Ähnlich stellt sich die Situation in der späten Kupferzeit in der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. dar: Erneut liegen ausnahmslos Keramikstreufunde vor, die zumindest eine Besiedlung in dieser Zeit zu belegen vermögen. Dabei handelt es sich einerseits um einige wenige Keramikfunde, die im Zuge der schon erwähnten Ausgrabungen im Bereich des Karmeliterplatzes und Pfauengartens zutage gekommen sind.³⁹ Andererseits liegt spätkupferzeitliche Keramik von der ebenfalls schon mehrfach erwähnten Höhensiedlung bei der Kirche St. Johann und Paul im Westen von Graz vor.⁴⁰ Diese Keramikfunde können aufgrund ihrer teils üppigen und charakteristischen Verzierungen und der herrührenden Gefäßformen jeweils eindeutig der sogenannten Vučedol-Kultur zugeordnet werden. Bei beiden Fundstellen treten beispielsweise charakteristische Schüsselformen auf, die an ihrer Innenseite reich verziert worden waren. Als Verzierungstechnik begegnet hier erneut der schon in der Frühkupferzeit verwendete Furchenstich, allerdings in einer etwas feineren Ausführung und mit anderen Dekormotiven. Die Vučedol-Kultur selbst entwickelte sich zu Beginn des 3. Jahrtausends v. Chr. im heutigen Ostslawonien, schon bald danach erweiterte sich das Siedlungsgebiet dieser Kulturgruppe beträchtlich nach Westen und Nordwesten hin und erreichte spätestens um 2850 v. Chr. den Südostalpenraum.⁴¹ Auf der schon seit Jahrtausenden davor genutzten Höhensiedlung auf dem Wildoner Schloßberg befand sich überhaupt eine der bedeutendsten Höhensiedlungen der Vučedol-Kultur außerhalb ihres kroatischen Kerngebietes.⁴² Mehrere tönerne Gusstiegel und Gussformen für kupferne Streitäxte sowie Kupferschlacken belegen eine eigene Kupferartefaktherstellung auf dem Wildoner Schloßberg. Das nunmehr verstärkte Aufkommen der teils komplexen Kupfermetallurgie, deren Beherrschung einiges an technischem Know-how verlangte, bedingte für bestimmte Personen eine technologische Spezialisierung. Gleichzeitig stellte ein guter Teil der ursprünglich prächtig goldglänzenden Kupfergegenstände wertvolle Prestigegüter dar (z. B. Äxte mit Schaft), deren Träger*innen dadurch aus der Masse hervorgehoben wurden und die sich mittels dieser Waffen, die gleichzeitig Statussymbole waren, als Angehörige einer Elite zu erkennen gaben.

    Erst durch eingehende Sichtungen von schon seit geraumer Zeit ergrabenen Fundkomplexen aus diversen Siedlungen in der Steiermark und Kärnten konnte in den letzten Jahren der Nachweis einer deutlich dichteren Besiedlung dieser Gebiete zur Zeit der spätkupferzeitlichen Vučedol-Kultur belegt werden. Aus mehreren Fundorten in Kroatien liegen exzeptionelle Fundstücke vor, die einen punktuellen Hinweis auf komplexe spirituell-religiöse Vorstellungen zu liefern vermögen.⁴³ Bruchstücke von tönernen Idolen vom Wildoner Schloßberg bezeugen, dass mit gleichartigen Phänomenen wohl auch innerhalb der Vučedol-Siedlungen im Grazer Stadtgebiet zu rechnen ist.

    Abschließend gilt es noch zwei bemerkenswerte kupferzeitliche Funde zu erwähnen, bei denen die exakten Auffindungsumstände nicht mehr rekonstruiert werden können. Zum einen handelt es sich dabei um ein Kupferbeil vom Typ Vradište, das aus der Fischerau bei Gösting vorliegt und als eines der ältesten Kupferartefakte im Grazer Stadtgebiet anzusehen ist.⁴⁴ Zum anderen liegt eine überaus bemerkenswerte kupferne Schaftlochaxt vor, die dem Typ Darabani zugewiesen werden kann.⁴⁵ Kupferäxte dieses Typs besitzen ihr Verbreitungsgebiet hauptsächlich östlich der Karpaten im rumänisch-moldawischen Grenzgebiet an beiden Seiten des Prut.⁴⁶ Nur selten finden sich Stücke außerhalb dieses Gebietes, das Stück aus Graz würde auf jeden Fall den westlichsten Punkt seiner Verbreitung markieren.⁴⁷

    In Hinblick auf die Kupferzeit kann für das Grazer Stadtgebiet somit zusammenfassend resümiert werden, dass nach einer anfänglich dichten Besiedlung während der frühkupferzeitlichen Lasinja-Kultur und auch noch der darauffolgenden Retz-Gajary-Gruppe eine merkliche Ausdünnung im Siedlungsbild in der mittleren und späten Kupferzeit evident ist. Diese Entwicklung deckt sich weitgehend mit der in weiten Bereichen des Südostalpenraumes und des anschließenden Voralpengebiets derzeit belegbaren Siedlungsdynamik.

    1.3Schaftlochaxt aus Kupfer vom Typ Darabani, 3. Jahrtausend v. Chr. Bei diesem Stück ist leider ungeklärt, ob es sich um einen tatsächlichen Bodenfund aus dem Grazer Stadtgebiet handelt oder ob die Axt erst wesentlich später nach Graz gelangte, eventuell durch Kauf oder als Souvenir. Kupferäxte dieses Typs besitzen ihr Hauptverbreitungsgebiet im rumänisch-moldawischen Grenzbereich entlang des Flusses Prut.

    Früh- und Mittelbronzezeit sowie Spätbronzezeit (2500–1200 v. Chr.)

    Ab der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. lassen sich aus technologischer Sicht schrittweise bemerkenswerte Veränderungen feststellen: Waren die Metallartefakte der späten Kupferzeit noch aus zumeist ausgesprochen reinem Kupfer gefertigt worden, so belegen metallkundliche Untersuchungen nun die rasch aufkommende Verwendung von Legierungen. Diese bewirkten in der Regel eine höhere Festigkeit sowie geringere Sprödigkeit und vermochten gleichzeitig die Farbe und den Glanz der Metallgegenstände gezielt zu beeinflussen. Ab dem 25. Jahrhundert v. Chr. lassen sich Legierungen mit offenkundig intentionell beigefügtem Arsen belegen (Arsenbronzen), ab dem Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. treten erstmals Legierungen mit Zinn auf (Zinnbronzen). Die Verwendung der Zinnbronzen setzt nicht überall gleichzeitig ein, sondern – vom Nordwesten Europas mit seinen Zinnlagerstätten nach Südosten hin – mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung.⁴⁸ Das neue Metall sowie das zur Auffindung, zum Abbau und zur Verhüttung und Legierung sowie zur Weiterbearbeitung desselben notwendige technische Know-how führt in weiterer Folge zu einer Spezialisierung gewisser Bevölkerungsgruppen und zu Veränderungen in den Sozialgefügen, verbunden mit einer deutlich stärker differenzierten Gesellschaft. Sehr rasch entwickelt sich ein weiträumiges Handelsnetz, das allein schon zur Verbreitung von Zinn und Kupfer notwendig wurde. Dieser Handel beflügelte den kulturellen Austausch und führte zu einem merklichen Aufschwung, der in verschiedenen Gebieten Europas unterschiedlich stark ausfiel. Als Bestattungsform setzt sich schließlich die schon seit der späten Kupferzeit bekannte Körperbestattung in Hockerposition durch.⁴⁹

    Insbesondere der frühe und der mittlere Abschnitt der Bronzezeit, die gemeinhin auch als Hockergräber- und Hügelgräberbronzezeit bekannt sind, sind im Grazer Stadtgebiet bislang weiterhin fast ausschließlich durch einzelne Bronzefunde greifbar. Zum überwiegenden Teil sind diese im 19. Jahrhundert im Zuge des Schotter- und Sandabbaues zutage getreten. Von diesen gerade einmal knapp einem Dutzend Funden aus dem immerhin fast 1200 Jahre umfassenden Zeitabschnitt der Früh- und Mittelbronzezeit sind einige besonders hervorzustreichen: Ein bronzenes Absatzbeil von der Neuholdau, ein Bronzedolch vom Plabutsch sowie eine Nagelkopfnadel mit gewölbtem Schaft aus der ehemaligen Amtmanngrube in Wagram, ein bemerkenswertes bronzenes Griffplattenschwert vom Typ »Gamprin« aus Rudersdorf sowie eine bronzene Sichelnadel aus Graz-Gösting. Der reich verzierte, scheibenförmige Nadelkopf mit Ansatz des verdickten, durchbohrten Schaftes erlaubt eine Zuordnung zum Typ »Wetzleinsdorf«, Variante »Pasohlávky«, der einen der Leitfunde der beginnenden Hügelgräberkultur an der mittleren Donau darstellt. In die Mittelbronzezeit sind ferner ein bronzenes Griffzungenschwert vom Typ »Traun« aus Graz-Puntigam sowie ein Schwert desselben Typs von einer nicht weiter bekannten Fundstelle innerhalb von Graz zu datieren.⁵⁰

    Bei all diesen Streufunden muss offenbleiben, ob sie aus zerstörten Gräbern oder Siedlungen stammen. In manchen Fällen vermögen der Erhaltungszustand und die Oberflächenfarbe, eine charakteristische braungoldene sogenannte Wasserpatina, einen klaren Hinweis darauf zu geben, dass es sich um Stücke handelt, die schlussendlich in ein stehendes oder fließendes Gewässer gelangten. In der Regel darf hierbei davon ausgegangen werden, dass die kostbaren Bronzegegenstände intentionell als Opfer oder vielleicht auch als Selbstausstattung für das Jenseits versenkt worden sind.⁵¹ Insbesondere bei Schwertern besteht der begründete Verdacht, dass diese bevorzugt dem Wasser (respektive einer Wassergottheit) übergeben – und nicht mehr gehoben − worden sind. Dabei handelt es sich um ein in der Bronzezeit in weiten Teilen Europas beobachtbares Phänomen, in dem für uns wohl kultisch-religiöse Vorstellungen greifbar werden.

    Sieht man von diesen über das nachmalige Grazer Stadtgebiet verstreuten Bronzefunden einmal ab, die sich vage im Bereich von Gösting und Andritz im Norden sowie Rudersdorf bzw. Liebenau im Süden verdichten, so lassen sich tatsächlich nur sehr wenige weitere Hinweise auf eine früh- und mittelbronzezeitliche Besiedlung feststellen. Als bislang einzigen konkreten Anhaltspunkt für eine frühbronzezeitliche Siedlung können einige wenige Keramikfunde gewertet werden, die als Streufunde auf dem schon mehrfach erwähnten Reinerkogel zutage getreten sind.⁵² Dabei handelt es sich um das Bodenstück einer Schale mit einem markanten kreuzförmigen Standfuß, in dessen eingetiefter kreisförmiger und linearer Verzierung sich Reste einer pastosen weißen Inkrustation erhalten haben. Derartige Gefäße werden dementsprechend als Kreuzfußschalen bezeichnet. Sie treten in Zentral- und Osteuropa in einer ganzen Reihe von spätkupfer- und auch noch frühbronzezeitlichen Kulturgruppen in unterschiedlichster Ausführung auf, wobei das Stück vom Reinerkogel aufgrund der Verzierung, der Machart und Tonqualität sowie der Brandfarbe der sogenannten Somogyvár-Vinkovci-Kultur zugewiesen werden kann. Diese Kulturgruppe repräsentiert die erste frühbronzezeitliche Kulturerscheinung am nördlichen Balkan, dem westlichen Transdanubien und offenkundig auch im Südostalpenraum. Fundstellen der Somogyvár-Vinkovci-Kultur sind bemerkenswerterweise überhaupt erst seit wenigen Jahren in der Steiermark und in Kärnten bekannt geworden.⁵³ Mit der nunmehr verbesserten Kenntnis des keramischen Fundbestandes nimmt mittlerweile gleichzeitig auch die Anzahl der Fundstellen in beiden Bundesländern merklich zu. Die in die Zeit zwischen 2500 bis längstens 2200 v. Chr. zu datierende Somogyvár-Vinkovci-Kultur weist hinsichtlich ihrer geografischen Ausdehnung ein Verbreitungsgebiet auf, das weitgehend dem der frühkupferzeitlichen Lasinja-Kultur entspricht und somit erneut einen quer durch die Zeiten immer wieder beobachtbaren zusammengehörenden Kulturraum belegt.⁵⁴ Weitere gesichert frühbronzezeitliche Keramikfunde sind bis dato aus dem Grazer Stadtgebiet nicht bekannt geworden. Dass es sich hierbei wohl eher um eine Fund- als um eine tatsächliche Besiedlungslücke handeln wird, ist eine naheliegende Vermutung. Im Gegensatz zu nur unweit entfernt gelegenen Fundstellen, wie beispielsweise dem Wildoner Schloßberg, fehlen im Grazer Stadtgebiet eigentlich durchaus erwartbare frühbronzezeitliche Keramikfunde, die der folgenden Kisapostag-Kultur (ca. 2200−1800 v. Chr.) und der – aufgrund ihrer markanten Verzierung in Form von eingedrückten breiten Textilbändern – sogenannten Litzenkeramik-Kultur (ca. 1800−1600 v. Chr.) zugewiesen werden können.⁵⁵

    1.4Bronzenes Griffzungenschwert vom Typ Graz, 16. Jahrhundert v. Chr. Das Stück wurde in einer leider nicht mehr bekannten Schottergrube in Graz gefunden und der II. Staatsrealschule in Graz übergeben. Von dieser wurde das Stück vom Joanneum eingetauscht. Das knapp 60 cm lange, bis auf die weggebrochene Spitze fast vollständig erhaltene Schwert könnte aus einem zerstörten Grab stammen oder aber eine Opfergabe darstellen. Vermutlich wurde das qualitätsvolle Stichschwert in einem ostalpinen Werkstättenkreis gefertigt.

    Kann für die darauffolgende mittlere Bronzezeit eine sukzessive Zunahme an Bronzefunden festgestellt werden, so bleibt der konkrete Nachweis zeitgleicher Siedlungsstellen weiterhin äußerst spärlich. Neben einigen wenigen Keramikstreufunden vom Schloßberg, die aufgrund ihrer Verzierungen, ihrer Faktur und der herrührenden Gefäßformen unzweifelhaft in die ausgehende Mittel- und in die Spätbronzezeit datiert werden können,⁵⁶ sowie Scherbenfunden in Webling nahe den heute noch obertägig erhaltenen römerzeitlichen Hügelgräbern bei St. Martin,⁵⁷ liegen ergrabene Befunde dieser Zeit bisher ausschließlich aus Graz-Liebenau vor. Im Zuge der Errichtung des Südgürtels wurden bei baubegleitenden archäologischen Ausgrabungen – neben jüngereisenzeitlichen Objekten – einige wenige Siedlungsbefunde der späten Mittelbronzezeit erfasst.⁵⁸ In erster Linie handelte es sich dabei um einen Graben, der möglicherweise die in ihrer ursprünglichen Größe nicht weiter eingrenzbare Siedlung einfasste. Gerade in den letzten beiden Jahrzehnten ist das Wissen über derartige mittel- und spätbronzezeitliche Flachlandsiedlungen beträchtlich angewachsen. Mehrere Siedlungen dieser Zeitstufen konnten beispielsweise im Vorfeld der Errichtung der Koralmbahn im Laßnitztal großflächig untersucht werden, sodass gute Einblicke in die Lage, Dichte, Dimension und Struktur dieser weilerartigen Siedlungen mit ihrer primär landwirtschaftlich geprägten Subsistenz gewonnen werden konnten. Ihre – fast wie an einer Perlenkette – in relativ geringem Abstand zueinander aneinandergereihte Lage in Talböden oder auf Hochterrassen in unmittelbarer Nähe zu Wasserläufen lässt in weiterer Folge wichtige Rückschlüsse auf die einstmaligen klimatischen Verhältnisse zu. Demzufolge ist in dieser Zeit mit einer Trockenphase zu rechnen, die eine Besiedlung der ansonsten oftmals feuchten Tallagen erst möglich machte. Für das Grazer Feld kann mit einer vielleicht sogar vergleichbar dichten Besiedlung im 14. und 13. Jahrhundert v. Chr. gerechnet werden.

    Ab der späten Bronzezeit nimmt die Anzahl der aus dem Grazer Stadtgebiet bekannt gewordenen Bronzefunde deutlich zu. Dieses Phänomen setzt sich auch in der darauffolgenden Urnenfelderzeit weiter fort. In besser erforschten Gebieten der Steiermark lässt sich insbesondere in den mittelbronzezeitlichen Siedlungen eine kontinuierliche Entwicklung von der Mittel- in die Spätbronzezeit feststellen. Erst am Ende des 12. Jahrhunderts v. Chr. scheint zumindest ein Teil dieser Siedlungen in der frühen Urnenfelderzeit abzubrechen, vor allem in den Flachlandbereichen und den Flussebenen.⁵⁹

    Urnenfelderzeit (ca. 1200 – Ende 9. Jahrhundert v. Chr.)

    Im Laufe des 13. Jahrhunderts v. Chr. lassen sich in weiten Teilen Europas markante Änderungen in der Bestattungsweise konstatieren: War in der Mittelbronzezeit vielerorts die Körperbestattung in Grabhügeln die charakteristische Bestattungsform, so wird diese nun in bemerkenswert kurzer Zeit durch die Brandbestattung ersetzt.⁶⁰ Als Grund für diese rasche Veränderung können in erster Linie Änderungen in grundlegenden religiösen Vorstellungen oder vielleicht auch im sozialen Gefüge ins Kalkül gezogen werden. Bei der Brandbestattung werden die Verstorbenen zumeist in ihrer Tracht auf dem Scheiterhaufen verbrannt, anschließend wird der Leichenbrand aufgelesen und in der Regel in einem Behältnis aus Ton oder einem organischen Material (z. B. Holzkästchen, Lederbeutel, Stoffsäckchen etc.) in einer Grabgrube deponiert. Zumeist wurden noch weitere Beigabengefäße mit der Urne in das Grab gegeben, ebenso Trachtbestandteile und vereinzelt Waffen oder Werkzeuge, in sehr seltenen Fällen auch Bronzegefäße und bronzene Wagenteile. Sehr rasch entwickelten sich ausgedehnte Gräberfelder, die in manchen Fällen sogar mehrere Tausend Gräber umfassen konnten.

    Derartig ausgedehnte Nekropolen mit mehreren Tausend Gräbern sind aus dem Südostalpenraum zwar noch nicht bekannt geworden, im Falle des südlich von Graz gelegenen Gräberfeldes von Kainach bei Wildon sind aber immerhin bis jetzt über 300 Gräber geborgen worden, ohne dass diese Nekropole vollständig ausgegraben wäre.⁶¹ Die Grabinventare urnenfelderzeitlicher Gräber zeigen generell eine ausgesprochene Uniformität und lassen aufgrund der Beigaben kaum größere Schwankungen und Variationen in ihrem Muster erkennen. Offenkundig unterlag die Bestattungs- und Beigabensitte einem klar definierten Kanon. Hinweise auf die einstige soziale Stellung der Verstorbenen sind demzufolge anhand der Beigaben nur in wenigen Fällen möglich.

    Zeitgleich mit dem Aufkommen der Urnengräberfelder lässt sich die Entwicklung von großen, mitunter mächtig befestigten Siedlungen beobachten, die sehr bald in ihrem ausgedehnten Umfeld als politisches, wirtschaftliches und wohl auch kultisch-religiöses Zentrum fungierten. In vielen Fällen wurden für die Errichtung dieser Siedlungen strategisch und verkehrsgeografisch günstig gelegene Höhen gewählt, die mit teils auch heute noch erhaltenen Befestigungsanlagen verstärkt wurden. Diese neuen Machtzentren waren schließlich von teils ausgedehnten Brandgräberfeldern (Urnenfeldern) umgeben. Im heutigen Grazer Stadtgebiet hat die Urnenfelderzeit nicht nur zahlreiche Funde erbracht, sondern es konnten auch großflächige Siedlungsareale archäologisch untersucht werden. Selbst Grabfunde sind bekannt geworden.

    Die herausragende urnenfelderzeitliche Siedlungsstelle auf dem heutigen Grazer Stadtgebiet befand sich – wie schon in den meisten prähistorischen Epochen davor und auch danach – auf dem Grazer Schloßberg.⁶² Sie beschränkte sich nun bemerkenswerterweise keineswegs alleinig auf den markanten Inselberg selbst, sondern dehnte sich auf der am Ostfuß anschließenden, knapp 100 Meter niedriger gelegenen Hochterrasse und deren nach Süden hin leicht getreppt abfallenden Abhang aus. Besonders der Bereich des heutigen Karmeliterplatzes, Pfauengartens sowie das danebengelegene Areal des Landesarchivs mit seinen Innenhöfen erbrachte im Zuge einer Reihe von teils ausgedehnten und aufwändigen Rettungsgrabungen reiche Funde. Eine exakte Eingrenzung der Ausdehnung dieser Siedlung lässt sich derzeit allerdings nur nach Osten hin verlässlich festhalten, wo bei Ausgrabungen 2002 im Bereich des Pfauengartens ein Palisadengräbchen auf einer Länge von über 50 Metern erfasst wurde. So es sich bei der Palisade nicht um eine neuzeitliche Störung im Zuge der Errichtung der Karmeliterbastei handeln sollte, stellte diese den Ostabschluss der an dieser Stelle dichten Bebauung dar. Nach Süden zu dürfte die markante Geländekante am Rande des Karmeliterplatzes die Grenze der Siedlung bilden, wobei offenbleiben muss, ob nicht auch die rund 10 Höhenmeter tiefer gelegene Hochterrasse des Freiheitsplatzes zu Siedlungszwecken Verwendung fand. Ob sich die Siedlung nach Westen hin bis zu den wohl ursprünglich an den Fuß des Schloßberges herabreichenden Siedlungsterrassen zog, ist derzeit nicht abschließend beurteilbar. Im Westbereich des Karmeliterplatzes konnte im Jahr 2003 ein ca. 9,5 Meter breiter und 2,5 Meter tiefer, in Nord-Süd-Richtung orientierter Graben auf 30 Meter Länge verfolgt werden, dem zum Schloßberg hin ein Palisadengräbchen vorgelagert war. Hier muss offenbleiben, ob diese Befestigung die Untersiedlung zum Schloßberg hin abgrenzte.⁶³ Nach Norden zu lässt sich über das Paulustor hinaus mangels einschlägiger Funde keine eindeutige Siedlungsgrenze in das Areal des heutigen Stadtparks ausmachen. Momentan kann in erster Linie eine grobe Maximalausdehnung der Siedlung nachgezeichnet werden, die zweifelsohne einer in ihrer zeitlichen Dimension bedingten Schwankung unterlag. Dasselbe gilt sicher auch für die zugehörenden urnenfelderzeitlichen Gräberfelder.

    Die Rettungsgrabungen in dem oben umschriebenen Bereich Pfauengarten/Karmeliterplatz erbrachten den Nachweis einer mehrphasigen urnenfelderzeitlichen Nutzung der Hochterrasse: So konnten sowohl im Innenhof des Landesarchivs als auch verstreut über den gesamten Pfauengarten und den östlichen Karmeliterplatz Brandgräber beziehungsweise Reste davon aus der frühen Urnenfelderzeit angetroffen werden, die wohl als Indikator auf ein Gräberfeld des 12. bis 10. Jahrhunderts v. Chr. zu verstehen sind. Erwähnenswert ist hierbei vor allem ein im Innenhof des Landesarchivs geborgenes Urnengrab: Der Leichenbrand wurde hierbei zusammen mit zwei Golddrähten, Fragmenten von beinernen Zierscheiben und stark verschmolzenen Resten eines Bronzearmreifens in einem einfachen bikonischen Gefäß deponiert. Auf diese simple »Steinkiste« war noch ein Stein als Deckel gelegt, auf dem wiederum ein Teil einer Keramiktasse auflag. Dieses Urnengrab stellt das bislang älteste Grab im Grazer Stadtgebiet dar.⁶⁴

    Weitere gestörte Gräber enthielten eine sogenannte Violinbogenfibel mit tordiertem Bügel sowie Fragmente von Gewandnadeln und Messern. Ob auch ein bruchstückhaft vorliegender Golddrahtarmreifen diesen Gräbern zugerechnet werden kann, ist zu vermuten.⁶⁵ Auffällig ist auf jeden Fall der augenscheinliche Beigabenreichtum dieser frühurnenfelderzeitlichen Gräber, der vor allem in den Goldfunden zum Ausdruck kommt. Dieser kann als Beleg für den Reichtum der Bewohner*innen der zugehörenden Siedlung verstanden werden. Die zu diesen Gräbern gehörende Siedlung wird sich einerseits auf dem Schloßberg befunden haben, von wo einige wenige zeitgleiche Keramikfunde bekannt geworden sind. Andererseits könnte ein Nutzungsareal auch im Palais Wildenstein in der Paulustorgasse gelegen sein, der frühurnenfelderzeitliche Keramikfunde sowie Hüttenlehm als eindeutigen Siedlungsanzeiger enthielt.⁶⁶

    Wendet man den Blick wieder zurück in den Bereich des Karmeliterplatzes, Pfauengartens und der Landesarchivhöfe, so setzt am Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. offenbar eine großflächige Bebauung in diesem davor als Gräberfeld genutzten, siedlungsgünstigen Bereich ein. Es ist anzunehmen, dass die Siedlung nun schon in dieser frühen Phase als eine Art »Untersiedlung« der ausgedehnten Höhensiedlung am Schloßberg zu betrachten sein dürfte. Dieser ältesten Siedlungsphase sind eine Reihe von durch Pfostenstellungen erschließbare Hausgrundrisse, Feuerstellen sowie Abfallgruben zuzuweisen, wobei an mehreren Stellen verkohlte Hölzer und hitzegeröteter Lehm auf eine Zerstörung durch Brand hinweisen.⁶⁷ Eine zweite Siedlungsphase, die hinsichtlich ihrer Befundsituation der ersten Bauphase entspricht, wird ins 10./9. Jahrhundert v. Chr. datiert. Abgesehen von den entsprechenden Gebäudegrundrissen werden nun auch kleine Gräbchen erwähnt, die wohl als eine Art »Trauf-« oder »Entwässerungsgräbchen« dienten und unmittelbar neben den Häusern lagen. Im Innenhof des Landesarchivs wurde darüber hinaus ein eingetieftes, L-förmig umbiegendes Gebäude mit Keller aus dieser Bauphase freigelegt. Die jüngste Bauphase, die bereits an den Übergang in die frühe Hallstattzeit gestellt wird (9. Jahrhundert v. Chr.), weist nun zusätzlich mehrere größere Rollsteinpflasterungen auf, die möglicherweise zum Befestigen von bestimmten Arealen dienten. Das Fundmaterial aus sämtlichen Siedlungsphasen ist ausgesprochen reich und mannigfaltig: Neben großen Mengen an teils qualitätsvoller und abwechslungsreich verzierter Gefäßkeramik begegnen zahlreiche tönerne Spinnwirtel, Webgewichte, Tonspulen und auch Feuerbockfragmente sowie eine größere Anzahl an Bronzegegenständen (Nadeln, Fibeln, Armreifen, Rasiermesser, Meißel, Messer, Gürtelhaken und ein Sichelfragment).

    1.5Urnenfelderzeitliches Brandgrab aus dem 2. Innenhof des Grazer Landesarchivs, 11. Jahrhundert v. Chr. Das Grab wurde im Zuge der Bauarbeiten leider an einer Seite von der Baggerschaufel beschädigt. Die bikonische Tonurne befand sich in einer aus plattenartigen Rollsteinen errichteten Steinkiste, die mit einem weiteren Stein abgedeckt worden war. Die Urne selbst enthielt den Leichenbrand einer jungen Frau sowie Golddrahtschmuck und Beinartefakte.

    Die Siedlung bricht am Ende der Urnenfelderzeit am Ende des 9. Jahrhunderts nicht ab, sondern setzt sich ohne erkennbare gröbere Zäsur in die frühe Eisen- bzw. Hallstattzeit fort. Ein Ende der Siedlung zeichnet sich anhand der Funde tatsächlich erst im 6. Jahrhundert v. Chr. ab.⁶⁸

    Aus dem näheren Umfeld der Siedlung am Schloßberg und seiner »Untersiedlung« liegen Hinweise auf ein potenziell zugehörendes urnenfelderzeitliches Brandgräberfeld aus dem Bereich der rund 350 Meter östlich davon gelegenen Leechkirche vor:⁶⁹ Diese bemerkenswerte gotische Kirche sowie schon davor ihre romanischen Vorgängerrundkirchen wurden im Mittelalter auf einem älteren hallstattzeitlichen Grabhügel errichtet, auf den noch im folgenden Kapitel eingegangen wird. Durch diesen hallstattzeitlichen Tumulus mit einem Durchmesser von 15 bis 20 Metern wurden jedenfalls sowohl ältere urnenfelderzeitliche Gräber überlagert als auch bei dessen Aufschüttung zerstört, sodass davon auszugehen ist, dass der Grabhügel in einem ursprünglich dicht belegten älteren Gräberfeldbereich aufgeworfen wurde. Im Zuge der archäologischen Untersuchungen bei der Restaurierung der Leechkirche in den 1990er-Jahren wurden zahlreiche urnenfelderzeitiche Keramikfunde und verstreute Leichenbrandfragmente in der Aufschüttung des hallstattzeitlichen Tumulus geborgen, die aus ebensolchen zerstörten Gräbern stammen. Ein intaktes urnenfelderzeitliches Brandgrab konnte schließlich 1993 in beträchtlichen vier Metern Tiefe knapp außerhalb des Tumulus erfasst und geborgen werden. Das Grab wies eine Einfassung aus senkrecht gestellten Steinplatten aus Kalkstein und Grünschiefer aus, die zum Teil vom nördlich gelegenen Reinerkogel stammen dürften. Stellenweise lagen auch noch Steine als Abdeckung über den im Grab deponierten Gefäßen. Aus bausicherheitstechnischen Gründen war leider nur die Bergung eines Teils des Grabinventares möglich. Im Grab diente ein Kegelhalsgefäß als Urne, darin befand sich der Leichenbrand einer weiblichen, 19 bis 40 Jahre alten Person. Außerdem enthielt die Urne mehrere Bruchstücke von runden, längsgerillten Beinartefakten, für die eine Funktion als Nadelschützer erwogen wurde.⁷⁰ Diese dienten zum dekorativen Abschluss des unteren spitzen Endes von Gewandnadeln. Das Grabinventar umfasste außerdem noch eine Schale,

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