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Der Islam im Okzident: Cordoba, Hauptstadt des Geistes
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eBook366 Seiten4 Stunden

Der Islam im Okzident: Cordoba, Hauptstadt des Geistes

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Über dieses E-Book

"An der Schwelle zu einem neuen Leben der Spezies war es niemals von größerer Lebensnotwendigkeit, zurück zu diesem allumfassenden Verständnis von Vernunft zu finden, welches Wissenschaft nicht von Weisheit und Glauben trennt, und dieses zur Entfaltung zu bringen.

Dieses Buch ist also nicht bloß ein Geschichtsbuch - die Geschichte unserer verlorenen Dimensionen und deren notwendiger Wiedergeburt - es sei denn, man würde der Geschichte auch die Geschichte unserer Zukunft hinzufügen.

Wenn wir den Weg beschreiben, den der andalusische Islam nahm, haben wir nicht etwa vor, einem illustren Toten einen Schrein zu errichten, sondern vielmehr, das spannende Abenteuer der Symbiose des islamischen und des jüdisch-christlichen Denkens in Andalusien fortzusetzen. In der Sicht der einzigartigen, untrennbar jüdischen, christlichen und muslimischen abrahamitischen Tradition kann unsere Zivilisation noch einmal in Richtung Leben – ja, in Richtung Überleben – neu orientiert werden. Denn die Überlegung über Zweck und Glauben wirft das Problem der moralischen Dimension des Nuklearen, der Eroberung des Weltraums, genetischer Manipulation, ebenso wie des wirtschaftlichen Wachstums auf. Es geht darum, unsere neuen Energien menschlichen, das heißt göttlichen Zwecken zu widmen."

Roger Garaudy
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. Nov. 2022
ISBN9783347528840
Der Islam im Okzident: Cordoba, Hauptstadt des Geistes
Autor

Roger Garaudy

Prof. Dr. Dr. Roger Garaudy (1913-2012), wurde in Marseille als Sohn eines Buchhalters geboren. Er besuchte das Lycée Henri IV. und die Faculté des Lettres in Paris. Seine Studien schloss er mit der Lehrbefähigung für das Fach Philosophie und der Promotion 1953 mit der Dissertation „Die materialistische Erkenntnistheorie (deutsch Berlin 1960)“ an der Universität Sorbonne zum Dr. des Lettres ab. Anschließend schrieb er seine zweite Doktorarbeit 1956 „Die Freiheit als philosophische und historische Kategorie (deutsch Berlin 1959)“ in Moskau. Nach 30 Monaten in einem deutschen Konzentrationslager gelang Garaudy die Flucht nach Frankreich. Seit 1933 Mitglied der Kommunistischen Partei, gehörte er den beiden verfassungsgebenden Versammlungen von 1945 bis 1946 als Abgeordneter der KPF an. 1946 bis 1951 und dann wieder von 1956 bis 1958 war er Abgeordneter des Wahlbezirks seine in der Nationalversammlung, deren Vizepräsident er von 1956 bis 1958 war. Von 1951 bis 1955 war Garaudy Korrespondent des Parteiorgans „L´Humanité“ in der Sowjetunion. Seit 1965 widmete er sich als Professor für seine Lehrtätigkeit an der Universität Poitiers für Philosophie und Kunstgeschichte sowie als Direktor des „Centre d´Etudes de Recherches Marxistes“ in Paris. Von 1961 bis 1970 war er Mitglied des Politbüros der KPF. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU (Februar 1956) machte sich Garaudy zum Wortführer des „Reformkommunismus“, kritisierte 1953 auf künstlerischem Gebiet den „sozialistischen Realismus“ und setzte sich für die Anerkennungen der Kunst eines Picasso, Kafka und Saint- John Perse ein. 1966 forderte er in „Marxismus im 20. Jahrhundert“ die Erneuerung humanistischer Werte, nachdem er bereits ein Jahr zuvor die Vorstellung der „endlichen Liebe Christi“ als „schön“ bezeichnet hatte. 1981 war er Präsidentschaftskandidat der französischen „Alternativen“ und „Grünen“. Zudem war er jahrzehntelang Direktor des „Instituts für den Dialog der Zivilisationen“ in Paris. Garaudy veröffentlichte mehr als 60 Bücher, die zum Teil in über 40 Sprachen übersetzt wurden.

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    Buchvorschau

    Der Islam im Okzident - Roger Garaudy

    Über den Autor

    Prof. Dr. Dr. Roger Garaudy (1913-2012), wurde in Marseille als Sohn eines Buchhalters geboren. Er besuchte das Lycée Henri IV. und die Faculté des Lettres in Paris. Seine Studien schloss er mit der Lehrbefähigung für das Fach Philosophie und der Promotion 1953 mit der Dissertation „Die materialistische Erkenntnistheorie (deutsch Berlin 1960)" an der Universität Sorbonne zum Dr. des Lettres ab. Anschließend schrieb er seine zweite Doktorarbeit 1956 „Die Freiheit als philosophische und historische Kategorie (deutsch Berlin 1959)" in Moskau. Nach 30 Monaten in einem deutschen Konzentrationslager gelang Garaudy die Flucht nach Frankreich. Seit 1933 Mitglied der Kommunistischen Partei, gehörte er den beiden verfassungsgebenden Versammlungen von 1945 bis 1946 als Abgeordneter der KPF an. 1946 bis 1951 und dann wieder von 1956 bis 1958 war er Abgeordneter des Wahlbezirks seine in der Nationalversammlung, deren Vizepräsident er von 1956 bis 1958 war. Von 1951 bis 1955 war Garaudy Korrespondent des Parteiorgans „L´Humanité" in der Sowjetunion.

    Seit 1965 widmete er sich als Professor für seine Lehrtätigkeit an der Universität Poitiers für Philosophie und Kunstgeschichte sowie als Direktor des „Centre d´Etudes de Recherches Marxistes" in Paris. Im selben Jahr nahm Garaudy in Salzburg und 1968 in Marienbad an den Diskussionen der Paulus-Gesellschaft teil und hielt viel beachtete Referate über den Marxchen Atheismus als revolutionären Humanismus. Von 1961 bis 1970 war er Mitglied des Politbüros der KPF. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU (Februar 1956) machte sich Garaudy zum Wortführer des „Reformkommunismus", kritisierte 1953 auf künstlerischem Gebiet den „sozialistischen Realismus" und setzte sich für die Anerkennungen der Kunst eines Picasso, Kafka und Saint- John Perse ein. 1966 forderte er in „Marxismus im 20. Jahrhundert" die Erneuerung humanistischer Werte, nachdem er bereits ein Jahr zuvor die Vorstellung der „endlichen Liebe Christi" als „schön" bezeichnet hatte.

    Während ihn die französische Presse weiterhin als „Chefideologen der KPF bezeichnete, nannte ihn die CSSR einen Renegaten, Apostaten und Verräter am Marxismus. Er wurde 1970 wegen seines Engagements für den Dialog zwischen Christen und Marxisten sowie wegen seiner öffentlichen Kritik zum Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR aus der KPF ausgeschlossen. 1981 war er Präsidentschaftskandidat der französischen „Alternativen" und „Grünen". Zudem war er jahrzehntelang Direktor des „Instituts für den Dialog der Zivilisationen" in Paris.

    Garaudy veröffentlichte mehr als 60 Bücher, die zum Teil in über 40 Sprachen übersetzt wurden. Die wichtigsten Veröffentlichungen davon sind:

    Gott ist tot (1965); Der Dialog oder Ändert sich das Verhältnis zwischen Katholizismus und Marxismus? (1966); Marxismus im 20. Jahrhundert (1969); Kann man heute noch Kommunist sein? (1970); Menschenwort (1976); Das Projekt Hoffnung (1977); Plädoyer für einen Dialog der Zivilisationen (1980); Die wiedergefundene Liebe (1981); Aufruf an die Lebenden (1981); Biographie des 20. Jahrhunderts. Ein philosophisches Testament (1985); Avons-nous besoin de Dieu? (Brauchen wir Gott?, 1993); Verheißung Islam (1981); Die Gründungsmythen der israelischen Politik (1996); Le mythe américain (Der amerikanische Mythos, 2001); Le terrorisme occidental (Der okzidentale Terrorismus, 2004).

    Auszeichnungen: Kriegskreuz 1939-45, Deportationsmedaille. Für sein literarisches Werk wurde Garaudy mit dem „prix des deux magots" (1980) ausgezeichnet. Ehrendoktorwürde des philosophischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der UdSSR.

    Einleitung

    Zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert, als Cordoba - damals nach Einwohnerzahl und nicht zuletzt aufgrund ihres kulturellen Glanzes die größte Stadt der Welt – das schlagende Herz von El-Andalous¹ war, wurde daselbst eine Auffassung von der Welt, vom Menschen sowie von Gott geboren, die auf einem allumfassenden Vernunftkonzept aufbaute. Die experimentelle Wissenschaft nahm hier ihren Ausgang, wie Roger Bacon erkannte, der sie über ganz Europa erstrahlen ließ.

    Diese Wissenschaft war niemals getrennt von der Weisheit – dem Nachdenken über den Forschungszweck – noch vom Glauben, nämlich dem Bewusstsein, dass weder die Wissenschaft in ihrem Fortschreiten von Ursache zu Ursache noch die von Ziel zu Ziel zurückverfolgende Weisheit jemals weder eine erste Ursache noch ein letztes Ziel erreichen. Glaube, und hierin impliziert die Anerkenntnis, dass sowohl die Postulate der Wissenschaft als auch die Weisheit Grenzen haben, war aus Sicht des andalusischen Islam eine Vernunft ohne Grenzen.

    Das aktuelle Wissenschaftskonzept, der Positivismus, diese verstümmelte Auffassung von Vernunft, die die Wissenschaft, getrennt von Weisheit und Glauben, zu einem Ziel an sich erhebt und nicht länger die Frage nach dem Warum, nach dem Zweck, die Frage nach Grenzen und Postulaten stellt, läuft Gefahr, die gesamte Menschheit in den Selbstmord zu treiben.

    In Hiroshima wurden 70.000 in einem einzigen Moment getötet. Heute verfügt die Welt über das Äquivalent von einer Millionen Hiroshima-Bomben, also faktisch über die technische Möglichkeit, 70 Milliarden Menschen auszurotten, fünfzehnmal mehr als unser Planet beherbergt.

    Von dem Moment an, wo Wissenschaft und Technik uns die Mittel gaben, jegliche Spur von Leben auf der Erde auszulöschen, kann die Frage nach dem Zweck nicht länger ausgeklammert werden: Entweder machen wir uns dieses gewaltige Problem bewusst und die Möglichkeiten, über die wir dank Wissenschaft und Technik verfügen, werden in den Dienst der Befreiung des Menschen und seiner Entfaltung gestellt, oder aber, sollten wir uns dieser „Religion der Mittel ergeben, die „Schreckensgleichgewichte zwischen der Gewalt von Einzelnen, von Gruppen und von Nationen werden die Menschheit in einen weltweiten Selbstmord stürzen.

    An der Schwelle zu einem neuen Leben der Spezies war es niemals von größerer Lebensnotwendigkeit, zurück zu diesem allumfassenden Verständnis von Vernunft zu finden, welches Wissenschaft nicht von Weisheit und Glauben trennt, und dieses zur Entfaltung zu bringen.

    Dieses Buch ist also nicht bloß ein Geschichtsbuch - die Geschichte unserer verlorenen Dimensionen und deren notwendiger Wiedergeburt - es sei denn, man würde der Geschichte auch die Geschichte unserer Zukunft hinzufügen.

    Wenn wir den Weg beschreiben, den der andalusische Islam nahm, haben wir nicht etwa vor, einem illustren Toten einen Schrein zu errichten, sondern vielmehr, das spannende Abenteuer der Symbiose des islamischen und des jüdisch-christlichen Denkens in Andalusien fortzusetzen. In der Sicht der einzigartigen, untrennbar jüdischen, christlichen und muslimischen abrahamitischen Tradition kann unsere Zivilisation noch einmal in Richtung Leben – ja, in Richtung Überleben – neu orientiert werden. Denn die Überlegung über Zweck und Glauben wirft das Problem der moralischen Dimension des Nuklearen, der Eroberung des Weltraums, genetischer Manipulation, ebenso wie des wirtschaftlichen Wachstums auf. Es geht darum, unsere neuen Energien menschlichen, das heißt göttlichen Zwecken zu widmen.

    Warum war das muslimische Andalusien mit seiner geistigen Hauptstadt Cordoba das Zentrum dieses Glanzes?

    In Arabien verlangte der Islam dem Propheten einen zähen Kampf ab, um seine Botschaft gegen die Barbarei einer gesetzlosen Gesellschaft (Jahiliya) an den Mann zu bringen. Das göttliche Gesetz wurde in seiner ganzen unbeugsamen Reinheit dort ausgerufen, wo bis dato spirituelles Ödland geherrscht hatte.

    Als die Botschaft dann in die Welt getragen wurde, schlug sie Wurzeln in alten Hochkulturen, insbesondere in der Kultur des persischen Reiches, welche die prophetische Botschaft des Zarathustra erfahren hatte, sowie in der des byzantinischen Reiches, Erbe des griechischen Denkens und des jüdisch-christlichen Glaubens. Etwas später machte sie Bekanntschaft mit der hoch entwickelten Spiritualität Indiens – und zwar nicht durch den blutigen Eroberungszug des Ghaznawiden Mahmud von Ghazni, sondern durch die Weisheit Al-Birunis (973-1030), welcher die Expedition begleitete.

    Wir behandeln hier weder den ursprünglichen arabischen Islam noch seine iranischen oder indischen Blüten, sondern lediglich die Entwicklung seines Glaubens und seiner Kultur in Andalusien und seinem strahlenden Zentrum im Okzident: Cordoba.

    Dieser westliche Islam hat Cordoba seine schönsten Früchte eingebracht.

    In der Philosophie von Ibn Massara bis Ibn Arabi, von Ibn Hazm und Ibn Baddscha zu Ibn Tufail und Ibn Ruschd auf muslimischer Seite, von Ibn Gabirol zu Maimonides als Vertreter des jüdischen Denkens, doch in derselben geistigen Tradition.

    Das Christentum, welches vor dem Islam auf der Iberischen Halbinsel geblüht hatte und dessen arianische und priscillianische Strömungen der islamischen Veredelung den Weg bereitet hatten, wusste sich selbst in Zeiten des Zusammenstoßes mit großen Persönlichkeiten zu bereichern, die für einen offenen Empfang standen: mit Alfons, dem Weisen (1252-1284), der sich mit Gelehrten und Dichtern der drei Religionen umgab, sowie schließlich mit den Übersetzungen des Bischofs Raimund von Toledo (12. Jhd.), welcher kulturell bedeutende Werke aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzen ließ, wurde eine christliche Tradition des Islamverständnisses eingeleitet. Sie entfaltete sich mit Raimund Lull (1233-1316) ebenso wie mit dem lateinischen Avicennismus und Averroismus und findet noch heute ihren Ausdruck in dem Werk von Pater Miguel Asin Palacios, gestorben 1944, und seiner Schule, welche die wichtigen spirituellen Persönlichkeiten des andalusischen Islam zu neuem Leben erweckten.

    In der Sicht von Philosophie, Weisheit und Glauben waren Cordoba und Andalusien nicht nur für die Wissenschaft der europäische Knotenpunkt zwischen griechischer und orientalischer Kultur. Der Beitrag seiner Mathematiker, Astronomen, Chemiker, Agronomen und Mediziner zum wissenschaftlichen Fortschritt war beachtlich.

    In der Astronomie trug im elften Jahrhundert Al-Zarqali (der lateinische Azarquiel), der Vorläufer von Kepler, was die Beschreibung der Planetenumlaufbahnen angeht, zur Entwicklung des Astrolabs für die Messung von Breitengraden bei. Al-Bitrudschi (der lateinische Alpetragius) war zu Beginn des 13. Jahrhunderts der Vorläufer von Kopernikus in seiner Kritik des ptolemäischen Systems.

    In der Medizin war das wichtigste Werk überhaupt das von Abul Qasim Al-Zahrawi (der lateinische Abulcasis), geboren 936 in Zahra, nahe Cordoba. Seine Abhandlung zur Chirurgie und zur Pharmakopöe sollte gegen Ende des 12. Jahrhunderts von Gérard de Crémone ins Lateinische übersetzt und 1475 in Salerno und 1647 in Venedig veröffentlicht werden und somit für ein halbes Jahrtausend wegweisend sein.

    In der Kunst nahm, was Europa betraf, mit Ibn Hazm von Cordoba die höfische Liebeslyrik in Andalusien ihren Anfang, und auch die andalusische Musik hat seit Jahrhunderten nicht aufgehört, im Okzident zu schwingen.

    Von dieser herrlichen Blüte der Kunst sind noch immer große steinerne Zeugen erhalten, von Saragossa bis Sevilla, besonders in der großen Moschee von Cordoba und der Alhambra in Granada.

    Im Zuge dieser Aufzählung mag deutlich geworden sein, dass die erste Renaissance in Europa nicht im Italien des 16. Jahrhunderts, sondern im Spanien des 13. Jahrhunderts ihren Anfang nahm.

    1 Im Arabischen steht „El-Andalous" nicht nur für Andalusien, sondern auch für die gesamte Iberische Halbinsel.

    I. Der Islam des Okzidents in Andalusien

    1. Der Mythos der „arabischen Eroberung Spaniens"

    Der Prophet Muhammed brauchte zweiundzwanzig Jahre (von 610 bis 632) und neunzehn Feldzüge (Bukhari, LXIV, 89), um Arabien für den Islam zu gewinnen.

    Die Muslime brauchten weniger als drei Jahre (711-714) und eine einzige Schlacht (in Guadalete, nahe Cadiz), um ganz Spanien zu durchqueren.

    Warum?

    In Arabien, abgesehen von einigen wenigen jüdischen und christlichen Siedlungen, galt es dafür zu kämpfen, den Monotheismus über die gesetzlose Welt (Jahiliya) triumphieren zu lassen.

    Das vorislamische Arabien war im Wesentlichen polytheistisch. Das vorislamische Spanien war christlich und zu einem großen Teil arianisch, mit bedeutenden jüdischen Gemeinschaften.

    Dieser Unterschied erklärt nicht nur die Geschwindigkeit der Ausbreitung, sondern auch deren Gestalt: auf der Iberischen Halbinsel handelte es sich nicht um eine militärische Eroberung durch fremde Eindringlinge, sondern in erster Linie um einen Bürgerkrieg (zwischen solchen Christen, die die Trinitätslehre und die Göttlichkeit Jesu, ausgerufen durch das Konzil von Nizäa im Jahr 325, anerkannten, und unitarischen Christen, also solchen, die die Trinität ablehnten und in Jesus keinen Gott, sondern einen von Gott inspirierten Propheten sahen). Hiernach kam es zu einem kulturellen Wandel, der sich über nahezu anderthalb Jahrhunderte erstreckte.

    Im ersten Jahrhundert der Hidschra breitete sich der Islam überall dort, wo der vorherrschende Glaube entweder jüdisch oder „häretischchristlich" war (damals nannte man jene Christen, die das nizäische Dogma ablehnten, Häretiker), rasend schnell und im Allgemeinen friedlich aus.

    Spanien war hierbei kein Sonderfall, und das aus Gründen, die mit der Essenz des Islam als solcher zu tun haben.

    Die koranische Offenbarung definiert den Islam nicht als eine neue, vom Propheten Muhammed verkündete Religion („Sag: Ich bin kein Neubeginn unter den Gesandten" (Surah 46, 9)), sondern als die eigentliche und ursprüngliche Religion, seit Gott dem Menschen von Seinem Geist eingehaucht hat (Surah 15, 29).

    Seitdem ist Islam (was „Unterwerfung unter den Willen Gottes bedeutet, der gemeinsame Nenner aller Offenbarungsreligionen - jüdisch, christlich oder muslimisch) der einzige Glaube: Im Koran wird Abraham, das Beispiel für bedingungslose Hingabe an Gott, „Vater der Gläubigen genannt, Moses und Jesus gelten als Propheten des Islam, eben jener „Unterwerfung unter Gott". Laut dem Koran kam der Prophet Muhammed, um ihre Botschaft zu bestätigen, sie von historischen Entstellungen zu säubern und zu vervollständigen.

    Laut dem Koran sind die wesentlichen historischen Entstellungen der ewigen Botschaft, was den Judaismus betrifft, der tribale Anspruch, die universelle Botschaft auf ein Volk zu reduzieren, welches ihre von Gott erwählten Träger seien, während der Prophet in seiner letzten Predigt unmissverständlich sagen sollte: „Ein Araber kann allenfalls nur durch seine Unterwerfung unter Gott einem anderen Menschen überlegen sein."²

    So ist die muslimische Gemeinschaft, ungeachtet der Herkunft, jedem offen, der die Einheit und Transzendenz Gottes sowie die universelle Botschaft aller Propheten von Abraham bis Muhammed anerkennt.

    Die antijüdische Polemik richtet sich nicht gegen die Botschaft Moses‘ und der Propheten, sondern gegen deren exklusivistische Interpretation.

    Desgleichen richtet sich auch die antichristliche Polemik nicht gegen die Botschaft Jesu, sondern gegen die „Wesenseinheit: das Konzil von Nizäa verkündet in der (dem Evangelium fremden) Sprache der griechischen Philosophie Jesus als „vom selben Wesen („homoousios) wie Gott und definiert Gott als „Dreiheit aus drei „Hypostasen" (noch immer in der Sprache jener griechischen Philosophie, deren Konzepte die Liebeserfahrung Christi nicht übersetzen können.)

    Dadurch, dass der Islam so, wie der Koran ihn offenbart, in Erscheinung getreten ist – in seiner Universalität und nicht an die Traditionen eines bestimmten Volkes gebunden – erfuhr er einen ungeheuren Aufstieg, denn für einen gläubigen Menschen handelte es sich bei seiner Annahme nicht um einen Bruch, noch weniger um eine Lossagung, nein, vielmehr erkannte jeder eben jene Botschaft wieder, die er von seinen Propheten empfangen hatte, und zwar in ihrer einfachsten und vertrautesten Form. Ihre Anwendung auf jeden Bereich des Lebens ließ Gott in jedem von ihnen wie auch in sämtlichen sozialen Beziehungen – wirtschaftlich, politisch, kulturell – präsent sein.

    Im Nahen Osten stieß dieser koranische Islam in sämtlichen jüdischchristlichen Kreisen auf ein tiefes Echo: Die Ebioniten – das sind Juden, für die Christus der von Moses angekündigte Prophet, nicht aber der Sohn Gottes war - waren wahrscheinlich asketische essenische Juden, die nach 70 das Christentum angenommen hatten. Sie sind zahlreich im aramäischen Syrien, in Damaskus, nicht jedoch im hellenistischen Antiochia. Die Elkaiten, aufgekommen unter der Herrschaft Trajans (98-117) und den Ebioniten nahe, betrachteten ebenfalls Jesus als Mensch und Propheten. Der Begründer ihrer Bewegung, Elkai, hatte in Persien (bei den Parthern) eine Offenbarung empfangen und verlangte, ganz in der jüdischen Tradition, die Beschneidung sowie den Gehorsam gegenüber dem Gesetz. Der Monarchianismus in Kleinasien und sogar in Byzanz ist die Fortsetzung des jüdischen Monotheismus, für den der Sohn und der Heilige Geist Manifestationen des Einen Gottes im Sinne des Judaismus sind. Sein Hauptvertreter Sabellius, ein palästinensischer Kyrenäer, wurde 220 von Papst Calixtus I. verurteilt.

    In Andalusien trat die Opposition zwischen Mono- und Polytheismus nicht nur lange vor dem Eindringen des Islam, sondern auch bereits vor den Kontroversen zwischen trinitarischen Christen (die das nizäische Dogma zur Göttlichkeit Jesu annahmen) und unitarischen Arianern, welche die Wesenseinheit ablehnten, auf.

    Die „Fuqaha (Juristen und scholastische Kasuisten), die aus dem Nahen Osten auf die Iberische Halbinsel gekommen waren, wussten nichts von dieser tausendjährigen Kultur. Sie waren überzeugt davon, dass der Islam erst mit dem Propheten Muhammed entstanden war. Während der Koran nicht müde wird zu erklären, dass Islam (was „bedingungslose Unterwerfung unter Gott bedeutet) die erste und ursprüngliche Religion seit dem ersten Menschen (Adam) ist, dem Gott von Seinem Geist eingehaucht hat. Abraham (laut Koran Vater der Gläubigen), Moses, Jesus und Muhammed sind die Botschafter derselben und einzigen Religion.

    In Andalusien standen sich seit Jahrtausenden ein Monotheismus, wie er allen hochentwickelten spirituellen Systemen (bereits lange vor den kanaanitischen Propheten) eigen ist, und ein weit verbreiteter und ebenso alter Polytheismus gegenüber, dessen Manifestationen in allen Jahrhunderten wieder erschienen (noch heute in Form der Anbetung von Geld, Nation, Sex oder dessen, der das Sagen hat).

    Die Suche nach „Vermittlern zwischen dem Einen Gott und der multiplen Wirklichkeit kommt immer wieder auf: in den indischen Veden wurde vor viertausend Jahren gesagt: „Seine Namen sind viele, aber Er ist Einer. Die Dreiergruppe Brahma, Vischnu und Shiva sowie der iranische Manichäismus oder der Demiurg in Platos „Timaios" sind vielsagend.

    Um diese Konstante innerhalb der Menschheitsgeschichte kommt man nicht umhin, wenn man sich den Streitgesprächen zwischen trinitarischen und unitarischen Christen oder auch den tieferen Gründen für die Ausbreitung des Islam sowie deren Schwierigkeiten widmet.

    Dieser Ausdruck und seine Formen haben auch mit den spezifischen Konditionen auf der Iberischen Halbinsel zu tun. Im Norden wie im Zentrum der Halbinsel herrschte die indoeuropäische Tradition vor, während der Süden (insbesondere das Siedlungsgebiet der Turdetaner – das heutige Andalusien mit den Regionen Murcia und Badajoz) im Wesentlichen durchdrungen war von einer unitarischen Tendenz in ihrer semitischen Form (propagiert von der jüdischen Diaspora) sowie in ihrer gnostischen Form, wo man durch karthagische und berberische

    Einflüsse hindurch die alexandrinische Strömung aus Ägypten wahrnehmen konnte und welche mühelos in der koranischen Verkündigung mit ihrem klar definierten Monotheismus mündete.

    Das Konzil von Nizäa 325, einberufen von Kaiser Konstantin, um seinem Reich eine ideologische Einheit zu verleihen, indem das Dogma der Trinität und der Wesenseinheit Jesu mit dem Vater ausgerufen wurde, spaltete die Christenheit, indem es den alexandrinischen Priester Arius anklagte und dafür verurteilte, diese Glaubenssätze abzulehnen.

    Seitdem vervielfachten sich die „Häresien zur „doppelten Natur Jesu. An ihren beiden Polen zum einen der Nestorianismus, eingeführt durch Nestorius, einem Mönch aus Antiochia, der 428 zum Bischof von Konstantinopel wurde und Jesus als Mensch betonte sowie die Vorstellung ablehnte, dass Gott in der Passion gelitten hätte und ebenso, dass die Jungfrau Maria den Namen „Mutter Gottes" bekäme. Zum anderen den Monophysitismus, ausgerufen etwa 447-448 ebenfalls in Konstantinopel durch den Mönch Eutyches, für den Jesus ausschließlich göttlicher Natur war.

    Sagen wir zur Vereinfachung, dass die Nestorianer, welche die Zweinaturenlehre ablehnten, Christus als rein menschlich betrachteten, während die Monophysiten, welche die Zweinaturenlehre ebenfalls ablehnten, ihn als rein göttlich betrachteten.

    Die Arianer wiederum betrachteten Christus als das unerschaffene Wort Gottes.

    All diese „Häresien entwickelten sich in Asien: der Nestorianismus erstreckt sich von Persien bis in den Jemen, die lachmidischen Araber (im Dienst der persischen Sassaniden) sind Monophysiten. In Kleinasien stehen die syrischen Ebioniten, die irakischen Elkaiten und die alexandrinischen Arianer in Opposition zu der „nizäischen trinitarischen Kirche Roms und Byzanz’ und werden von ihr verfolgt.

    Im ganzen Nahen Osten sollte sich der Islam rapide ausbreiten: nach nur wenigen Schlachten gegen die byzantinischen Kaiser (wie die Schlacht am Jarmuk 636) und gegen die sassanidischen Kaiser und persischen Feudalherren (wie in Kadesia 637, Nehawand 642 oder im ägyptischen Alexandria 642) wurden die Muslime von den Bevölkerungen als Befreier empfangen.

    Innerhalb von sechs Jahren ging der gesamte Nahe Osten, von Persien bis Ägypten, an den Islam über, obwohl die arabischen Armeen des Hedschaz sowohl hinsichtlich ihrer Anzahl als auch hinsichtlich ihrer militärischen Technik denen des byzantinischen und des sassanidischen Reiches weit unterlegen waren.

    Man kann ruhig von einer Befreiung sprechen. Michael der Syrer, an die Verfolgungen durch die Byzantiner erinnernd, freut sich in diesem Sinne über die Ankunft der Muslime:

    „Als der Gott der Rache […] die Bosheit der Römer sah, die, wo immer sie in der Mehrheit waren, unsere Kirchen und Klöster brutal plünderten und uns unbarmherzig verurteilten, ließ er aus dem Süden die Söhne Ismaels heraufkommen, um uns durch sie zu befreien … Es war keine Kleinigkeit für uns, von der römischen Grausamkeit befreit zu sein […] und nun in Ruhe gelassen zu werden."

    (Michael der Syrer, Chronik II, 413)

    Man könnte niemals verstehen, wie eine Handvoll Männer Spanien in weniger als drei Jahren durchquerte, wenn man an eine militärische Invasion dächte.

    Der Historiker Dozy gibt uns in seiner „Geschichte der Mauren in Spanien" eine tiefgründige Erklärung für dieses Phänomen:

    „Die arabische Eroberung war für Spanien ein Segen: Sie brachte eine bedeutende soziale Umwälzung hervor, ließ einen Großteil jener Übel, unter denen das Land seit Jahrhunderten ächzte, verschwinden […] Die Araber regierten nach folgender Methode: im Vergleich zu den früheren Regierungen waren die Steuern entschieden geringer. Die Araber nahmen den Reichen Land weg, welches – aufgeteilt in riesige Gebiete, die dem Ritterorden gehörten – von leibeigenen Bauern oder unzufriedenen Sklaven kultiviert wurde, und verteilten es gerecht unter denen, die den Boden bearbeiteten. Die neuen Eigentümer bearbeiteten es voller Eifer und erzielten die besten Ernten. Der Handel wurde von den Beschränkungen und hohen Steuern, die ihn erdrückten, befreit und entwickelte sich beachtlich. Der Koran ermöglichte es Sklaven, sich gegen eine angemessene Entschädigung freizukaufen, was neue Energien freisetzte. All diese Maßnahmen riefen einen allgemeinen Wohlstand hervor, welcher der Grund dafür war, weshalb der arabischen Herrschaft von Anfang an ein solch herzlicher Empfang bereitet wurde."³

    Der große spanische Schriftsteller Blasco Ibanez bezeugt seinem Land:

    „In Spanien kam die Erneuerung nicht aus dem Norden mit den barbarischen Horden, sondern aus dem Süden, mit den arabischen Eroberern […]. Vielmehr als um eine Eroberung handelte es sich um eine zivilisatorische Expedition […]. Hierdurch etablierte sich bei uns diese junge, starke und spritzige Kultur mit ihrem erstaunlich raschen Fortschritt, die, kaum entstanden, auch schon triumphierte, diese Zivilisation, die, erschaffen durch den Enthusiasmus des Propheten, sich das jeweils Beste aus Judaismus und byzantinischer Wissenschaft angeeignet und darüber hinaus die große hinduistische Tradition, Relikte Persiens sowie viele aus dem geheimnisvollen China entliehene Dinge mit sich gebracht hatte. Der Osten drang in Europa ein, nicht wie ein Darius oder Xerxes über Griechenland, welches sie zurückstieß, um seine Freiheit zu bewahren, sondern über das andere Ende, über Spanien, welches als Sklave theologischer Könige und kriegerischer Bischöfe die Eindringlinge mit offenen Armen in Empfang nahm.

    In zwei Jahren bemächtigten sie sich all dessen, wozu es sieben Jahrhunderte brauchte, um es ihnen wieder zu nehmen. Es war keine bewaffnete Invasion, es war eine neue Gesellschaft, die ihre starken Wurzeln in alle Richtungen ausstreckte. Das Prinzip der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Eckstein, auf dem die wahre Größe von Nationen beruht, war ihnen teuer. In den Städten, wo sie die Herren waren, akzeptierten sie christliche Kirchen und jüdische Synagogen.

    […] Vom achten bis zum 15. Jahrhundert sollte die schönste und reichste Kultur entstehen und sich weiterentwickeln, die es im mittelalterlichen Europa gab. Während die Völker des Nordens sich durch Religionskriege dezimierten und sich wie Barbarenstämme aufführten, belief sich die Bevölkerung Spaniens auf über 30 Millionen Einwohner, und in dieser Vielzahl an Menschen mischten und engagierten sich alle Rassen und Glaubensrichtungen in einer unendlichen Vielfalt, welche die mächtigsten sozialen Anstöße zum Ergebnis hatten […]. In diesem fruchtbaren Völker- und Rassen-Amalgam existierten sämtliche Ideen und Bräuche, sämtliche bis dato erzielten Entdeckungen auf Erden nebeneinander, sämtliche Künste, Wissenschaften, Industrien, Erfindungen und alten Disziplinen. Und dem Aufeinanderprall all dieser Elemente entsprangen neue Entdeckungen und neue schöpferische Energien. Seide, Baumwolle, Kaffee, Zitronen, Orangen, Granatäpfel kamen gemeinsam mit den Fremden aus dem Orient an, ebenso wie Teppiche, Stoffe, Tüll, Damaszener Metalle und Schießpulver. Außerdem das Dezimalsystem, Algebra, Alchemie, Chemie, Kosmologie und gereimte Dichtung. Die griechischen Philosophen, beinahe

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